[Aaren]
Das Gespräch war ganz offensichtlich beendet, denn nach einer Reaktion, deren Deutung vielfältigste Möglichkeiten zuließ, war Niénor aus seinem Blickwinkel verschwunden und hatte sich wieder leicht versetzt hinter dem Rothwardonen platziert.
Aaren war das ganz recht, denn obwohl ihm bewusst war, dass die Hochelfe nur etwas über ihn herausfinden wollte, waren ihm diese Gespräche doch recht unangenehm. Dies lag nicht speziell an Niénor oder dass er generell ungern etwas über sich preisgab, sondern einzig und allein an der Tatsache, dass er es hier mit einer Thalmor zu tun hatte. Dieser Organisation gegenüber musste man vorsichtig mit seinen Aussagen agieren, dies war Aaren in all den Jahren bewusst geworden, und auch jetzt bei Niénor sah er keine Veranlassung dazu, an diesem Verhalten etwas zu ändern. Sie holt so oder so Erkundigungen über mich ein, insofern kann ich auch wage bleiben und Taten sprechen lassen.

Der Rest der Reise verlief überraschenderweise ereignislos, in Anbetracht der klirrenden Kälte hatten wohl weder Banditen noch ein Rudel wilder Wölfe allzu große Lust, die beiden Reisenden zu überfallen; davon abgesehen wäre dies wohl sowieso keine allzu gute Idee gewesen und wäre ungünstig für die Angreifer ausgegangen, dessen war sich Aaren sicher, obwohl er sich nicht hundertprozentig sicher war, welche Fertigkeiten Niénor besaß. Sicher, er hatte versucht, Informationen eingeholt, aber diese waren mehr schlecht als recht, denn seine Kontakte nach Alinor waren nicht sonderlich gut ausgebaut. Ich muss sie wohl einfach beobachten, wär ja zu einfach wenn ich immer gleich alles auf Anhieb in Erfahrung bringen würde.

Das in Sichtweite kommende Portal der Festung Nordwacht erhob sich schließlich über die Nadelbäume und setzte Aarens Gedanken ein Ende. Spitze Barrikaden waren zur Verteidigung des Eingangs vor der Feste platziert worden, und direkt in dem Torbogen standen zwei Wachen, der Statur nach Waldelfen, in golden glänzenden Rüstungen, ein untrügliches Zeichen für die Garde der Thalmor. Oben auf den Mauern erkannte man desweiteren Bewegungen von auf und ab laufenden Wachen, höchstwahrscheinlich Bogenschützen, und im Hintergrund streckte sich ein großer, runder Bergfried in die Höhe.
Die beiden Waldelfen am Tor verzogen keine Miene, als Niénor und Aaren herankamen und schließlich vor ihnen Halt machten. Kurioserweise waren dem Rothwardonen die Bosmer in der Organisation der Thalmor um einiges sympathischer als die Hochelfen und er kam mit ihnen auch besser zurecht. Vermutlich lag das daran, dass die Waldelfen ebenfalls ständig Erfahrung mit der Arroganz der Altmer machen mussten, und irgendwie befanden sie sich damit im selben Boot wie Aaren.

Der etwas größere, behelmte Waldelf trat an Aarens Pferd heran und musterte den Rothwardonen eindringlich, erkannte aber dann wohl ein bekanntes Gesicht, denn er nickte kaum merklich und setzte dann seinen Weg zu Niénor fort und wiederholte das Spiel, nachdem er einen Blick in die Pergamentrolle an seinem Gürtel getätigt hatte.
"Justiziarin Niénor?", fragte er mit fester Stimme und fixierte die Altmer auf dem Pferd.
"Welche Farbe hat der Himmel über Arkngthand?", und erwartungsvoll blickte der die Hochelfe an.


[Niénor]
Das kommt aufs Wetter an. „Wie der Klang von Trauerglocken“, gab Niénor dem Waldelfen Antwort, woraufhin sich das ganze „Empfangskomitee“ sichtlich entspannte - die Leute waren zu durchgefroren, um große Lust auf Ärger zu haben. Über Aarens Anwesenheit ergaben sich keine Fragen, aber Niénor ging davon aus, dass es daran lag, dass man sein Gesicht hier bereits kannte.
Die Justiziarin ließ ihren Blick kurz über die Mauern der Festung schweifen, bevor sie ihr Pferd antrieb und in den Burghof dirigierte: Nordwacht war ein ziemlich massiver Haufen Steine und lag auf einer kleinen Landzunge, die ins Geistermeer hineinragte. Das Plätschern der Wellen, die in ewiger Wiederkehr an den Strand spülten, war im Außenbereich des Bollwerks eine leise Untermalung für jedes Wort und jeden Gedanken.

Sie gaben die Pferde an einen der Torwächter weiter, der sie zu einem geschützten Unterstand führte. Die Tiere würden gut versorgt werden, waren sie unter den Extrembedingungen, die im Norden Haafingars herrschten, doch überlebenswichtig.
Niénor und der Vollstrecker betraten daraufhin die Festung durch das Haupttor und fanden sich in einer kleinen Wachstube wieder, von der aus eine Treppe tiefer in das Gebäude führte. Es war hier nicht so kalt wie draußen, aber immer noch unangenehm und zudem zugig. Rußende Fackeln verbreiteten ein wenig Licht und eine Menge Gestank.
„Beeindruckend, nicht wahr?“ wandte sie sich an Aaren, einen Mundwinkel zu einer Art spöttischem Lächeln hochgezogen. Grundsätzlich, so war ihr auf dem Weg hierher klargeworden, war Himmelsrand von großer Schönheit. Gewiss war das Land aber leichter zu lieben, wenn man nicht mit einem Arschtritt aus dem sonnigen Alinor dorthin verfrachtet wurde.
„Ich muss mit dem Kommandanten sprechen“, fuhr sie fort und erwartete gar keine Reaktion auf ihren Kommentar zuvor, „bitte, zeigt mir den Weg.“

[Aaren]
Auf Niénors zweifelsohne rhetorisch gemeinte Frage hin schwieg der Rothwardon und schenkte ihr lediglich einen ausdrucksloses Nicken. Er war schon zu oft hier gewesen um von der Festung noch 'beeindruckt' zu sein, auch wenn sie allen Anlass dazu gab. Dessen war sich die Hochelfe aber definitiv noch nicht bewusst, aber sie würde es werden, denn Nordwacht machte zwar nach außen hin einen unscheinbaren Eindruck, der Teufel lag jedoch im Detail, denn diese Burganlage ging ein beträchtliches Stück in die Tiefen der Klippe hinein.

Aaren nickte auf die Bitte der Thalmor hin und deutete mit einer Kopfbewegung zu einer spiralförmig nach unten führenden, breiten Treppe. Er ging etwa einen Schritt voraus und betrat die Stufen als erster, und nachdem er sich versichert hatte, dass Niénor ihm folgte, setzte der Vollstrecker seinen Weg fort.
Sie blieben eine ganze Weile auf der Treppe, welche einen weitläufigen Radius beschrieb, und mit zunehmender Tiefe wurde der von unten heraufziehende Luftzug stetig kälter. Aaren spielte mit dem Gedanken, irgendein Gespräch zu beginnen, aber irgendwie mochte ihm kein passendes Thema einfallen, und somit beschränkte er sich auf das allgegenwärtige Schweigen.
Endlich erreichten sie den vorläufigen Boden der breiten Wendeltreppe, und es schob sich ein schweres Holztor, welches jedoch offenstand, und ein dahinterliegendes, geschlossenes Gitter in ihr Blickfeld.
„Und da wundert sich noch jemand über den Zug“, kommentierte Aaren trocken, bedeutete Niénor nach der Öffnung des Gitters vorzugehen und ließ dann hinter ihnen die Holztür schwer ins Schloss krachen.

Augenblicklich ließ der durch das Gemäuer ziehende Wind nach und es wurde gefühlt ein paar Grad wärmer. Sie setzten ihren Weg fort, und nach ein paar Metern durchschritten sie ein Portal und standen an dem oberen Ende einer Steintreppe inmitten eines geräumig wirkenden Gewölbes. Viele Tische mit den unterschiedlichsten Alchemieutensilien und -ingredienzien standen herum, quasi ein Paradies für jeden experimentierfreudigen Magier. Der Rothwardon setzte sich in Bewegung und bedeutete der Altmer, ihm zu folgen, und kaum waren sie unten angekommen, wurden sie von der Seite angesprochen.
„Aaren; welch ganz und gar nicht unerwarteter Besuch“, sprach es mit leiser Stimme aus dem Schatten und ein hochgewachsener Hochelf mit schlichter Kapuzenrobe trat in das schummrige Fackellicht und musterte den Rothwardonen mit einem verschlagenen Lächeln.
„Seid gegrüßt, Sanyon“, und Aaren nickte lächelnd. Tatsächlich hatte er hier den einzigen Thalmor aus der Führungsriege vor sich, der ihn (zumindest meistens) nicht von oben herab behandelte; zwar mit ziemlicher Sicherheit nur aus zweckmäßigen und eigennützigen Gründen, aber der Vollstrecker ließ dies als Anerkennung seiner Arbeit und Fähigkeiten gelten. Die wachen Augen des Altmers kamen auf Niénor zum Liegen, und fragend blickte er sie an.


[Niénor]
Ihr Blick zuckte noch einmal kurz zu Aaren, und er nickte bestätigend.
Kommandant Sanyon? Mein Name ist Niénor Direnni. Ich komme direkt von der Botschaft und bin eines Gefangenen wegen hier. Ein Bretone; Magier.“
Der andere Thalmor reichte ihr die Hand, und Niénor ergriff sie. „Das dachte ich mir bereits“, sagte er und nickte dabei dem Rothwardonen zu, der auf wundersame Weise bereits wieder halb in einen Schatten diffundiert war und dessen Anwesenheit kaum mehr auffiel. Manchmal benimmt er sich wirklich wie ein Lakai! „...zum einen, weil Ihr gemeinsam mit Aaren reist, zum anderen, weil das der Hauptgrund ist, diese Festung am Ende der Welt überhaupt zu unterhalten.“
„Ich bezweifle, dass Fluchtversuche ein großes Problem darstellen“, erwiderte die Justiziarin diplomatisch. „Was wisst Ihr bisher über diesen Bretonen?“
Sanyon schüttelte bedauernd den Kopf. „Wenig. Er wurde in Grenznähe zu Hochfels aufgegriffen; eine Patrouille hat ihn ein Stück nordwestlich von Markarth aus dem Fluss gefischt.“ Bei den letzten Worten konnte der Altmer sich ein schiefes Grinsen nicht verkneifen.
„Aus dem Fluss?“ Niénor runzelte die Stirn. „Na gut. Wenn er mit Veränderungszaubern nicht so klarkommt, muss ich wenigstens nicht damit rechnen, dass er sich plötzlich seiner Ketten entledigt... Ich brauche den entsprechenden Bericht der Patrouille und alles, was über den Kerl vermerkt wurde, seit er hier ist. Und... ein ruhiges Zimmer, wenn möglich.“
Sanyon versprach, Niénor so schnell wie möglich alles zukommen zu lassen und wandte sich kurz an Aaren um ihm zu erklären, welchen Raum sie benutzen könnten. Da der Vollstrecker sich in der Festung einigermaßen auskannte, war die Frage schnell geklärt.
„Gut.“ Niénor war bis zu dieser Stelle einigermaßen zufrieden. „Während ich mich mit den Informationen vertraut mache, lasst bitte den Gefangenen aus der Zelle holen und ihn für das Verhör vorbereiten. Eure Leute sollen nicht übermäßig grob sein. Vorläufig besteht kein Grund dazu.“
Als der Kommandant sich daraufhin ohne weiteren Kommentar zum Gehen wandte um ihre Anweisungen weiterzugeben, rief Niénor ihn noch einmal zurück: „Sanyon!“
Er wandte sich ihr zu.
„Danke für Eure Unterstützung“, sagte sie leise.
Sanyon stutzte kurz, erwiderte dann ihr Lächeln und wandte sich endgültig zum Gehen. Sein Schritt war etwas zackiger als noch einige Momente zuvor, bemerkte Niénor zufrieden.

Unmittelbar darauf ließ sich die Thalmor von Aaren in das erwähnte Arbeitszimmer führen, wo schon bald ein Bosmersoldat auftauchte und die geforderten Papiere ablieferte. Niénor winkte den Rothwardonen (sie sollte wirklich aufhören, ihn im Geiste als „ihren“ Rothwardonen zu bezeichnen) heran: „Aaren, seht Euch das an. Es ist nur gut, wenn wir beide auf dem selben Stand sind...“

Tatsächlich gab es noch nicht einmal einen Namen, dafür aber einige Ungereimtheiten. Eine ungewöhnliche Menge an Wundheilungs- und Ausdauertränken sowie eine größere Summe Goldes bei der Habe des Mannes. Dass er floh, sobald die Patrouille sich ihm näherte. Ein Scharmützel mit einem kleinen Trupp Rebellen in der Gegend zwei Tage zuvor. Das war mehr als genug, um sich vor den Thalmor in Schwierigkeiten zu bringen.
„Ohne den Kerl gesehen zu haben, auf mich wirkt er nicht sonderlich professionell. Elenwen warnte zwar in ihrem Brief, dass er ein fähiger Magier sein, aber das hier...? Ein paar Frostzauber, nachdem die Soldaten ihn in die Enge getrieben hatten?“ Sie sah Aaren an, der sich neben ihr über den Bericht beugte. „Hört sich eher nach Verzweifelungstat an.“
Sie richtete sich auf und strich die nachtblaue Robe glatt, zupfte hier und da die Schnallen zurecht. „Schauen wir mal, was dahintersteckt. Ich will, dass zunächst Ihr mit ihm sprecht. Stellt mich vor, fragt ihn, wie er heißt und was ihn zum Besuch dieses wundervollen Fleckchens Nirn motiviert hat. Setzt ihm auseinander, in welcher Situation er sich befindet... macht ihm ein wenig Angst, wenn es sich als nötig erweist. Und wundert Euch nicht, wenn ich mich irgendwann einmische“, sagte die Altmer im Plauderton. Sie bemerkte seinen Blick und seufzte. „Ich muss wissen, wie Ihr arbeitet, Aaren. Also seid spontan und improvisiert ein wenig.“

[Aaren]
Der Vollstrecker hatte dem Gespräch der beiden Thalmor aufmerksam gelauscht und dabei unmerklich die Stirn gerunzelt, was aber aufgrund des Halbschattens recht gut vor den Hochelfen verborgen blieb. Aus dem Fluss? Bei der Kälte? Sicher, dass es sich dabei um einen Bretonen handelt? Die magische Begabung sprach auf jeden Fall dafür, jedoch bereitete ihm diese wohl auch vorhandene Kälteresistenz Kopfzerbrechen. Vielleicht ein Elternteil Nord? Das könnte mir noch nützen.

Später im Arbeitszimmer überflog der Rothwardon das Papier, aber großartig Neues brachte dies nicht zutage. Auf den ersten Blick sah alles nach einem einfachen Schmuggler aus, der sich einfach einen schnellen Beutel Gold mit den Tränken verdienen wollte, wäre da nicht die große Menge Goldmünzen. Scheint demnach eher eine Art Kurier zu sein. Weder Name noch sonstige Informationen waren aus dem Bericht herauszuziehen, insofern wussten sie also: Nichts. Das machte die Situation verzwickt, denn Verhöre ließen sich am Besten mit einer gehörigen Portion Hintergrundwissen führen. Familienstand, Neigungen, Besitztümer, irgendwelche Dinge, an denen die jeweilige Person emotional hing. Aber das hier war gar nichts, da blieb im Endeffekt tatsächlich nur die Folter.
Niénor riss ihn aus seinen Gedanken, und sein Blick muss aufgrund ihrer Ankündigung wohl ziemlich skeptisch gewirkt haben, denn sie setzte nach und erläuterte, dass sie nur schauen wollte, wie Aaren arbeitete.

Alles klar. Also quasi eine Art Prüfung ob ich das Zeug dazu habe. Und ohne Folter? Langsam wird dieses ständige Beweisen langweilig, Justiziarin, dachte er spöttisch, nickte aber nach außen hin nur neutral und tippte dann auf das Papier.
"Der wird gar nichts sagen, zumindest nicht auf die nette Art", murmelte Aaren und blickte einen Moment lang ins Leere während er überlegte.
"Am Liebsten würde ich noch ein wenig warten, denn solche Kerle muss man eine Weile allein im eigenen Saft schmoren lassen, das verunsichert viel mehr als jede Foltermethode. Andererseits hab ich bei dem Kerl ein mulmiges Gefühl, also je eher wir wissen, für wen er arbeitet, desto besser", und der Rothwardon blickte von dem Papier auf.

Kurz darauf schritten sie durch die verwinkelten Gänge der Festung in Richtung des Verhörraums. Aaren überlegte sich die ganze Zeit, auf welche Art er an die Sache herangehen würde, letztendlich entschloss er sich jedoch dazu, es so wie immer zu machen: Sich spontan bei Betreten des Raumes zu entscheiden. Vor der schweren Pforte hielt er inne und musterte nochmal Niénor, nickte dann und öffnete elegant die Tür.