Viel Spaß beim Lesen

Wild Arms the 4th Detonator

Die Story
Ein jahrzehntelang in ganz Filgaia wütender Krieg zerstörte die Umwelt des Planeten und brachte furchtbare neue Waffen hervor. Zwei Gruppen spalteten die Welt: Die Global Union, angeführt von den Staatsoberhäuptern, und die Congressional Knights, ein Zusammenschluss von Bürgern. Diktatur und Parlamentarismus kämpften erbittert gegeneinander um die Zukunft Filgaias, doch keine der beiden Seiten konnte die Oberhand gewinnen. Das Ende der Kampfhandlungen kam plötzlich, als ein politischer Umsturz den Zusammenbruch der Global Union bewirkte. Die Congressional Knights gewannen zwar, aber waren nach Generationen militärischer Führung mit den Grenzen demokratischer Herrschaft konfrontiert und überfordert. Versuche des Wiederaufbaus in der Nachkriegszeit scheiterten oder führten zu nichts, und so versank das ganze Land allmählich in Chaos und Anarchie.
In diese für ihn völlig unbekannten Umstände stolpert der dreizehnjährige Jude Maverick hinein, als sein ruhiges Leben in dem verborgenen Dorf Ciel eines Tages mächtig durcheinandergebracht wird. Er verliert seine Heimat aber findet neue Freunde, nämlich das etwas schüchterne und gerade erst aus der Gefangenschaft befreite Mädchen Yulie Ahtreide, den leicht egozentrischen und doch offenherzigen Drifter Arnaud G. ’razor-sharp Intellect’ Vasquez sowie die mysteriöse und vielseitig begabte Kämpferin Raquel Applegate. Ausgerechnet eine Technologie, die Wissenschaftler ursprünglich zur Regeneration des Planeten entwickelten, wurde früher als Waffe missbraucht. Ein solcher aus einem Cluster von Nanomaschinen bestehender ARM ist Jude sozusagen in die Hände gefallen. Der Junge beschließt verantwortungsbewussterweise, diese Macht einzusetzen, um Yulie zu beschützen, denn die wird aufgrund ihrer seltsamen Kräfte von den Mitgliedern der Spezialeinheit Brionac verfolgt, zu der auch ihr Bruder Kresnik gehört, mit dem sie eine tragische Vergangenheit teilt.
Oha! Jenes Filgaia unterscheidet sich etwas stärker als sonst von dem der Vorgänger. Die Wildwest-Elemente wurden ein wenig reduziert, dafür wirkt die trockene Spielwelt nun teilweise moderner und realistischer. Auf manche alten Serientraditionen wurde weniger Wert gelegt, so taucht beispielsweise Baskar nur als Gob-verseuchte, vom Sand zugewehte Ruinenstadt auf. Die gewohnte Charakter-Auswahl am Anfang, in der die Helden nacheinander vorgestellt wurden, ist diesmal nicht mehr mit dabei, man startet direkt ins Abenteuer. Ab und zu können Jude und die anderen schonmal nerven, die eigene Truppe geht in Ordnung aber ist nicht ganz so sympathisch wie die aus dem dritten Teil. Der Party werden die Leute von Brionac auf den Hals gehetzt, sodass man auf der Reise einen Freak nach dem anderen ausschalten muss, was für den Handlungsverlauf nicht unbedingt von Vorteil ist.
Ansonsten haben die Entwickler hier meistens die richtigen Entscheidungen getroffen. Die Geschichte ist viel mehr wie aus einem Guss und zusammenhängender als in den früheren Spielen der Reihe, bleibt aber auf dem Teppich. In die relativ kurze Spielzeit wurden ein paar ziemlich coole Storywendungen und Enthüllungen gepackt, durch die bis zum Schluss eine gewisse Spannung aufrecht erhalten wird.

Das Spiel
Wild Arms 4 spielt sich anders als die bisherigen, eher traditionell gehaltenen Teile der Serie. Einige der vielen Innovationen sind willkommen und tragen zum Spielspaß bei, ein paar Neuerungen hingegen wären nicht wirklich nötig gewesen oder sind im Gesamtbild etwas zu extrem ausgefallen.
Da wäre zunächst einmal der grundsätzliche Aufbau des Spiels. Cutscenes bestehen aus einer Mischung aus voll animierten 3D-Modellen und einfachen Dialogsequenzen, in denen die Textboxen zusammen mit großen, schicken Charakter-Porträts eingeblendet werden und gegebenenfalls auch Sprachausgabe zu hören ist. Wenn es um für die Handlung weniger bedeutsame Dinge geht, wird jedoch oft auf aufwändigere Animationen vollkommen verzichtet und nur mit den Bildern der Figuren und Textboxen gearbeitet. Das mag im ersten Moment ziemlich billig wirken, jene Herangehensweise hat aber den Vorteil, dass problemlos eine Menge Gespräche untergebracht werden können, was die Geschichte stellenweise interessanter und nachvollziehbarer macht.
Erstmals gibt es keine begehbare Weltkarte mehr, stattdessen klickt man auf einer einfachen Übersichtskarte nur noch die jeweiligen Orte an. Da hierbei praktisch keine alternativen Routen vorhanden sind, macht das den Spielverlauf leider sehr linear - erst gegen Ende bekommt man die Möglichkeit, frei überall hin zu reisen. Im dritten Wild Arms gab es massenweise winzige Siedlungen, diesmal allerdings sind es lediglich vier Städte, die dafür etwas größer und belebter ausfallen. In die einzelnen Häuser kann man nicht mehr direkt hineingehen, stattdessen folgt beim Betreten eine der bereits erwähnten Dialog-Szenen. Darüber hinaus ist die Kamera nicht mehr nach Belieben drehbar, sondern läuft immerzu automatisch mit.
Was die Dungeons angeht, haben sich die Entwickler ein paar ganz schön durchgeknallte Dinge einfallen lassen. Protagonist Jude kann nämlich springen, stampfen, klettern, rutschen und per Accelerator-Funktion sogar die Zeit um ihn herum langsamer laufen lassen, und das aus gutem Grund: Einerseits wechselt das Spiel in manchen Abschnitten in eine Seitenansicht, in der diverse kleine Geschicklichkeitsaufgaben überstanden werden müssen, die eher an klassische 2D-Platformer wie Super Mario Bros. erinnern als an ein RPG. Diese Jump ’n’ Run-Einlagen sind ja recht lustig, aber auch gewöhnungsbedürftig und wurden dafür zum Teil zu sehr in den Vordergrund gerückt. Andererseits sind die genannten Fähigkeiten nötig, um die wieder einmal zahlreich vorhandenen Schalter- und Verschiebe-Rätsel zu lösen. Auch die aus den Vorgängern bekannten Tools sind zu diesem Zwecke wieder dabei, jedoch behält Jude diese nicht permanent, sondern benutzt je nach Situation das, was er in den Dungeons findet bzw. was dort so auf dem Boden herumliegt (hauptsächlich Schwerter, Stäbe, Bomben und Vasen). Übrigens darf man während man die Zeit langsamer laufen lässt oft ein paar versteckte Gella-Boni auf dem Weg einsammeln. Die Spielwelt ist an sich schon nicht gerade riesig, da ist es schade, dass einige Verbindungsorte nur kurze Level sind, in denen es nicht viel zu entdecken gibt und die man in Windeseile hinter sich bringen kann.
Das Herzstück des Spiels ist das neue Kampfsystem. Kämpfe beginnen durch Zufallsbegegnungen, die sich zwar nicht mehr wie bisher abbrechen lassen, dafür kann man sie aber jederzeit komplett an- und abstellen, sobald man den entsprechenden Speicherpunkt erreicht und an diesem entweder eine Horde Monster geplättet oder eine spezielle Rätselaufgabe gelöst hat. So darf man später in aller Ruhe nach Schätzen suchen, ohne von lästigen Feinden unterbrochen zu werden. Wurde man von den Gegnern besiegt, kann man es gleich darauf so oft man möchte erneut versuchen oder zum Titelbildschirm zurückkehren. Auch werden nach jeder erfolgreichen Schlacht die HP (nicht aber die MP) wieder komplett aufgeladen, es sei denn, ein Charakter wurde während der Auseinandersetzung erledigt. In diesem Fall wird der maximale HP-Wert als Handicap temporär gesenkt, bis man den nächsten Speicherpunkt erreicht oder ein besonderes Item benutzt.
Die Kämpfe selbst laufen rundenbasiert ab, ähnlich wie in Final Fantasy X ist die Zugreihenfolge allerdings sichtbar und beeinflussbar. Der Clou von Wild Arms 4 besteht jedoch darin, dass das Schlachtfeld in sieben Sechsecke, sogenannte Hexes, eingeteilt ist. Attacken beziehen sich gewissermaßen nicht mehr in erster Linie auf eine Figur, sondern auf ein Hex, wobei Gegner und Partymitglieder niemals gleichzeitig in einem Bereich stehen können. Wird also ein solches Feld angegriffen, trifft die Aktion alle Figuren, die sich darauf befinden. Damit die Monster nicht die ganze Party mit ein paar starken Schlägen wegpusten, ist es oft von Vorteil, die eigene Truppe über die Felder zu verteilen. Andersherum kann man logischerweise die Charaktere, die sich zusammen in einem Hex befinden, viel leichter heilen. Auch die Reichweite verschiedener Fähigkeiten spielt eine Rolle. Im Normalfall kann man nur die unmittelbar angrenzenden Bereiche angreifen, sodass man in den Kämpfen oft die Position wechseln und sich der Situation entsprechend neu ausrichten muss. Wenn man im mittleren der sieben Hexes steht, kann man zwar optimal alle anderen sechs erreichen, aber eben auch von allen Seiten attackiert werden.
Und das war noch längst nicht alles. Auf drei der äußeren Felder werden bei Kampfbeginn zufällig elementare Attribute verteilt, die berücksichtigt werden sollten, denn Sieg oder Niederlage ist nicht selten davon abhängig, wer sich diese Eigenschaften besser zunutze machen kann. Wenn man auf einem Feuerfeld steht, verringert das beispielsweise den Schaden, den man durch feuerelementare Angriffe erleidet; steht ein Gegner auf jenem Feld, ist er besonders empfindlich gegen Wasserzauber, und so weiter. Außerdem verändern sich manche Fertigkeiten der Partymitglieder, wenn sie sich in diesen Bereichen befinden. Arnauds Blast-Kommando verwandelt sich in einen Zauber des jeweiligen Elements und Yulies mächtige Beschwörungen richten sich ebenfalls danach. Der obligatorische Force-Balken darf natürlich auch nicht fehlen, bezieht sich jetzt aber auf die gesamte Party. Und dann wären da noch charakterspezifische Spezialtechniken, Kombinationsattacken, an denen mehrere Figuren beteiligt sind, Erfahrungspunkte-Boni und Schätze nach den Kämpfen ... man hört es schon, hier ist den Entwicklern ein kleiner Geniestreich gelungen.
Leider lässt sich das Gleiche nicht über das Abilitysystem sagen. Durch Level-Ups meistert man nacheinander die passiven und aktiven Fähigkeiten einer für jeden Charakter von Anfang an feststehenden Liste. Da es aufgrund der vierköpfigen Truppe also auch nur vier unveränderliche Zusammenstellungen von Abilities gibt, ist die Rollenverteilung klar: Jude ist gut im Fernkampf, Yulie ist die Heilerin, Arnaud kümmert sich um Angriffsmagie und Support und Raquel ist die schwertschwingende Killermaschine des Teams. Mit steigendem Level erhält man ferner Punkte, die man verwenden kann, um manche Fähigkeiten schon vorzeitig freizuschalten, muss dann aber Einschränkungen bei den maximalen HP-Werten in Kauf nehmen. Alles sehr einfallslos. Immerhin sind im vierten Wild Arms die Ausrüstungsgegenstände wieder dabei, es gibt Waffen, Rüstungen und sechzig sammelbare Badges. Bei letzteren handelt es sich um hübsch illustrierte Accessoires, die unterstützende Eigenschaften haben und von denen später bis zu drei Stück angelegt werden können. Jude ist diesmal der einzige, der einen der gefährlichen Arms benutzen kann. So etwas wie ein Item-Synthese-Feature wird auch noch geboten, der dazu nötige Workshop ist dummerweise aber erst sehr spät im Spielverlauf zugänglich.
Erneut warten viele geheime, superstarke, optionale Bossmonster darauf, besiegt zu werden, und wieder existiert eine Kampfarena. Passend zum Gameplay wurde ein kniffliges Jump ’n’ Run-Minigame eingebaut, bei den Sidequests gab es in der Serie zuvor allerdings schonmal mehr zu entdecken. Dennoch lassen sich diverse Extras freispielen, je nach dem, was man in dem RPG erreicht hat.
Über die Grafik müssen hier nicht mehr viele Worte verloren werden. Die gezeichneten Charakterporträts mit ihren unterschiedlichen Posen erwecken die Figuren zum Leben, die zum Einsatz kommenden Polygonmodelle sehen völlig in Ordnung aus. Besonderer Aufwand wurde betrieben, um die Orte atmosphärisch zu gestalten, so zeugen unter anderem die überall herumstehenden Panzerwracks vom Ausmaß der Zerstörung durch den Krieg. Die fast schon selbstverständlich gewordenen Anime-Intros erfreuen ein weiteres Mal den Spieler.
The 4th Detonator ist das erste Wild Arms, in dem der Soundtrack nicht alleine von Naruke Michiko stammt, mehrere andere Komponisten leisteten ihren Beitrag. Das ändert aber nichts daran, dass die absoluten Highlights wie That Is Where The Spirit Becomes Certain oder das grandiose Hauser Hazard nach wie vor von ihr erdacht wurden. Das im japanischen Original von Asō Kaori gesungene Opening Theme I Look Up At The Sky Because You Are There übersetzte man für die westlichen Versionen ins Englische. Die Musik des Spiels ist wie immer sehr gut, jedoch fällt es schwer, die ab und zu auftauchenden Lückenfüller zu übersehen. Sprachausgabe gibt’s für alle wichtigen Cutscenes sowie in den Kämpfen, in denen sogar von zahlreichen normalen Gegnern Kommentare abgegeben werden.

Interpretation
Vordergründig setzt sich das Spiel mit der Nachkriegsproblematik auseinander: Zurückgekehrte Soldaten lungern in den Städten herum, manche fühlen sich schuldig, andere wissen nichts mehr mit ihrem Leben anzufangen, da sie ihre Aufgabe verloren haben. Die Gesellschaft folgt keiner inneren Ordnung mehr, der lange Konflikt hat viele Orte in Geisterstädte verwandelt und auch von Kriegsverbrechern ist die Rede. Die japanischen Entwickler werden wohl in der jüngeren Geschichte des eigenen Landes einige Inspirationsquellen gefunden haben.
Im Kern ist Wild Arms 4 allerdings eine Coming-of-Age-Story. Jude lernt in der neuen Umgebung viel von den Leuten, mit denen er zu tun hat. Er wächst mit seinen Aufgaben und an den Schicksalsschlägen, die er im Laufe der Handlung überstehen muss. Ausgerechnet die Greise des Hohen Rates verraten die Ideale der Demokratie, indem sie nur darauf aus sind, ihr eigenes Leben zu verlängern. Erwachsen werden heißt aber mehr als nur älter werden, man sollte auch geistige Fortschritte machen und lernen, mit Verantwortung umzugehen. Nicht ohne Grund wird im Abspann gezeigt, was aus den Helden der Party Jahre später geworden ist.

Fazit
Wild Arms the 4th Detonator macht alles anders, aber nicht alles richtig. Story, Musik und vor allem das Kampfsystem sind klasse, aber Umfang und Aufbau der Spielwelt, das rudimentäre Abilitysystem und die manchmal seltsam anmutenden Sprungeinlagen enttäuschen etwas. Das Spiel schenkt der Serie viele neue Impulse und schafft Grundlagen, auf die weiter aufgebaut werden kann, opfert jedoch einige angenehme Tugenden vergangener Tage auf dem Altar der Innovation. Ein interessantes, spezielles, doch letztenendes auch gewöhnungsbedürftiges und umständliches RPG.

Story.............4/5
Grafik............4/5
Gameplay......3/5
Sound............4/5

Wissenswertes
Wild Arms the 4th Detonator wurde von Media Vision für die PlayStation 2 entwickelt und im März 2005 von Sony Computer Entertainment in Japan veröffentlicht. In den USA wurde das Spiel von Xseed Games am 10. Januar 2006 unter dem Titel Wild Arms 4 herausgebracht. In ein paar Regionen Europas erschien am 13. Oktober 2006 auch eine PAL-Version des italienischen Publishers 505 Games, welche leider nur in geringer Stückzahl produziert wurde und einige Bugs aufwies.