Es war ziemlich genau das, was er ohnehin gewollt hatte und nie wäre Balint auf die Idee gekommen, Niami den geäußerten Wunsch eines Gespräches unter vier Augen abzuschlagen. Unabhängig davon, dass man gerade in Situationen wie dieser zu gerne Zeit mit ablenkenden, schönen "Nebensächlichkeiten" verbrachte, hätte der Verwalter wohl auch zuvor nicht abgelehnt, ihre Anwesenheit des öfteren zu genießen.

Fast ein bisschen sentimental werdend, bei dem Gedanken, die Asari nicht schon wesentlich früher kennengelernt zu haben, nickte Balint, sich die eigene Überraschtheit aus dem Gesicht fegend und einige Schritte zur Seite machend.

Als er sich weit genug von Iron und Omikron entfernt fühlte, um die Bedingungen für das Gespräch unter vier Augen gesetzt zu haben, wandte er sich wieder Niami zu, sie mit dem letzten Rest an Aufmunterung, das er noch in sich fand, anlächelnd.

"Was gibt es denn?"

***

Niami war noch damit beschäftigt, Iron verdattert anzusehen, als Balint sie erwartungsvoll ansah. Das hatte sie nun wirklich nicht erwartet und irgendwie kam es ihr vor, als würden sich dunkle Wolken über ihr zusammenziehen. Seit sie sich an diesem Tag vorgenommen hatte, alles richtig zu machen, war absolut alles daneben gegangen. "Ich... es tut mir leid, dass das nun so passiert ist. Jetzt können Sie nicht einmal mit Iron darüber reden." Als sie Balint nach diesem Satz schließlich ansah wirkte er allerdings nicht allzu bedauernd. Vielleicht brauchte er ja auch etwas Abstand. Auf jeden Fall wartete er immer noch, dass sie etwas von sich gab, was ein Gespräch unter vier Augen rechtfertigte, und Niami versuchte sich zu konzentrieren.

"Ich hatte heute eigentlich einen Plan im Kopf, wie ich die Situation meiner Meinung nach am besten anpacken kann. Erst wollte ich mit Iron sprechen, da ich eigentlich mit ihm kooperieren möchte, und dann mit Ihnen. Aber meine Pläne funktionieren hier offenbar nicht." Sie lächelte, auch wenn ein bitterer Ausdruck kurz über ihr Gesicht huschte. "Iron hört sowieso nie auf mich und jetzt, wo ich vor Ihnen stehe, weiß ich gar nicht mehr so recht, was ich Ihnen sagen wollte." Nun, offenbar war keine Zeit für Plänkeleien. Balint hatte bereits zwei Stimmen und die Indoktrinierten hatten schon nicht mehr so eine große Auswahl, wen sie als nächstes Opfer nehmen würden. Also einfach raus damit.
"Ich denke ich habe Sie am ersten Tag vor allem deshalb unterstützt, weil ich nicht verstehen konnte, dass Leute Sie als Anführer wählen und daraufhin gleich wieder loswerden wollen. Und ich dachte, ich hätte alles im Griff. Angst lag mir fern - ich kümmere mich eigentlich nicht so sehr um den Moment, denn am Ende zählt nur, was für das größere Wohl das Beste ist. Deshalb dachte ich, ich wäre als Unterstützung gut geeignet. Aber das hat sich geändert." Sie zögerte kurz und sah betreten auf den Boden. "Ich zweifle an meinem Urteilsvermögen, denn aus irgendeinem Grund sind Sie der, bei dem ich mich am wohlsten fühle. Am liebsten würde ich jedes noch so winzige Detail mit Ihnen besprechen und einfach bei jeder unpopulären Entscheidung neben Ihnen stehen, um Ihnen den Rücken zu stärken." Nun entfuhr ihr ein peinlich berührtes Lachen. "Das ist mir vollkommen fremd. Ich meine, wir sind uns eigentlich vollkommen fremd. Ich weiß eigentlich nichts über Sie."

Niami machte eine kurze Pause und sah Balint abschätzend an. Sie fragte sich, ob sie wirklich alles sagen konnte, was ihr auf dem Herzen lag.

***

Er musste nun alle Konzentration der Welt aufbringen, um ihren Blicken nicht auszuweichen und wie ein nervöses Schulkind während eines Rüffels durch die Rektorin auf den Boden der Orion-Hall zu blicken.

In den fast vierzig Jahren seines Lebens war er nie auch nur ansatzweise nah an einer Situation gewesen, in der sich ein weibliches Wesen - noch dazu eine so bezaubernde Asari - für seine Person interessierte, doch Niami hatte gerade eindeutig Kund getan, dass sie sich "bei ihm am wohlsten fühlte", was auch immer das hieße.

Nun stand er da und wusste nicht, wie er auf ihre Ausführungen reagieren sollte. Wollte sie eine Bestätigung? Wollte sie hören, dass er genau diese Ablenkung suchte und sich für diesen einen Moment nicht damit beschäftigen wollte, dass Iron ihn erneut nominiert hat?

"Das ist mir vollkommen fremd. Ich meine, wir sind uns eigentlich vollkommen fremd. Ich weiß eigentlich nichts über Sie."

Wollte sie, dass er sich vorstellte, einen Lebenslauf abgab, ihr erzählte, wie es ihn hierher gebracht hatte? Da gab es nicht viel zu erzählen und selbst wenn es das gegeben hätte, war er der Letzte, der eine Geschichte so verpacken konnte, dass sie spannend und eindrucksvoll wirkte.

Also stand er einfach da und sah sie an, lächelnd, hoffend, dass sie ihn erlösen und weiter sprechen würde, ihn darüber aufklärte, wo sie mit diesem - ihm geltenden - Monolog hin wollte.

***

Balint schwieg einfach, aber es war keine unangenehme Stille. Er hatte den Blick nicht von ihr abgewendet und wirkte definitiv nicht einmal halb so peinlich berührt wie sie. Er lächelte einfach, aber so sehr sie seine freundliche Mimik freute, sie machte es trotzdem schwerer, weiterzureden. Wahrscheinlich war es doch keine so gute Idee gewesen, ihren Redefluss selbst zu unterbrechen, jetzt war sie in Sorge, dass alles ein bisschen zu viel des Guten werden könnte. Aber irgendetwas in ihr ließ sie weiterreden - eigentlich war es sowieso egal, was machte es am Ende für einen Unterschied? Sie waren nur zwei Individuuen, deren Schicksal wohl kaum bedeutend genug für das Universum war.

"Ich habe mich manchmal sogar gefragt, ob ich nicht lieber statt Ihnen für die Bereinigung gewählt werden wollen würde, sollte es so weit kommen. Und die Antwort, die mir angemessen unangenehm ist, wäre möglicherweise 'Ja'. Mein Leben ist nicht so wichtig, ich bin nur ein kleines Licht, das am Ende - wann es auch kommen mag - einfach wo anders leuchten wird. Mir vorzustellen, bei Ihrem Tod zuzusehen und danach dann einfach weiterzumachen, fällt mir ungleich schwerer. Das macht mir Angst und ist zudem falsch." Sie holte tief Luft, um ihre gefühlsbelasteten Worte zu stoppen, bevor sie wirklich jeden Faden an Objektivität verlor. "Verstehen Sie mich nicht falsch, ich wollte nicht mit Ihnen sprechen, um Sie damit zu belasten. Eigentlich sollten Sie das überhaupt nicht wissen, weil ich mich selbst dagegen sträube. So seltsame Gefühle sind mir neu und mein Verstand weiß, dass sie auch alles andere als förderlich sind." Nun blickte sie auf und sah Balint fest in die Augen. "Es geht hier nämlich nicht nur um mich. Auch wenn es mir noch so undenkbar erscheint, ohne Sie hier zu verweilen, muss ich überlegen, was für die Gruppe das Beste ist. Für die Leute, die in diesem Fall das größere Wohl darstellen."

Niami ließ die Worte eine kurze Zeit im Raum stehen, denn irgendwie fühlte sie sich jetzt etwas benebelt. - unter anderem wohl auch, weil diese Flut von unbekannten Emotionen sie irgendwie geschafft hatte. "Ich denke, jetzt habe ich genug Schwachsinn von mir gegeben." Sie lächelte unsicher. "Aber ich wollte, wie immer, einfach ehrlich zu Ihnen sein. Und ich hoffe wirklich inständig, dass Sie auch mir hin und wieder die Wahrheit gesagt haben." Als Balint den Mund öffnen wollte, schüttelte Niami schnell den Kopf. "Darauf brauche ich keine Antwort. Ich hätte aber eine andere Frage: Warum haben Sie sich damals selbst zum Offizier gewählt? Vielleicht haben alle es vergessen, aber hätten Sie Ihre Stimme nicht geändert, wäre vielleicht Megan siegreich hervorgegangen. Nur durch ihre geänderte Wahl haben Sie gewonnen. Wieso wollten sie das so sehr?"