"... nachdem Ex-Spectre Saren und die von ihm ausgehende Bedrohung durch den tapferen, aufopferungsvollen Einsatz von Commander Shepard endgültig gestoppt werden konnte."
Die Stimme, die einer Reporterin des Alliance News Networks gehörte, verkündete den glorreichen - wenn auch mit herben Verlusten gespickten - Sieg von Spectre Shepard über den indoktrinierten Turianer und die noch viel erheblichere Bedrohung durch ein... Etwas namens "Sovereign".
"Fast ein bisschen schade!", dachte Balint laut und weckte dadurch auch das Interesse von Chloe.
"Schade?", fragte die Sekretärin und sah ihn fast etwas angewidert an, woraufhin der Verwaltungsassistent erst richtig aus den Gedanken geweckt wurde. "Wie bitte?"
"Du sagtest, es wäre schade... das mit Saren!"
"Oh, ja." Da war was. "Ich meine... irgendwo ist es doch schade. Um die Person hinter der Indoktrination. Und soll nicht immer etwas Genie im Wahnsinn stecken? Das sagen Sie doch so!"
"Saren war ein Genie, auf das ich gerne verzichte!"
"Natürlich w..." - "Manchmal erstaunst du mich, Balint!" Mehr als ein Hauch von Vorwurf lag in der Stimme seiner Kollegin und mit diesem Eindruck verließ sie den Raum, den Stapel an Akten zurücklassend, die sie zuvor gebracht hatte.
~
Niamis Offenbarung hatte ihn dazu gebracht, sich an diesen ersten Moment zu erinnern, in welchem er sich - erst jetzt in Selbstreflexion feststellend - nicht von seinem eigenen Geist hat lenken lassen.
Es war harmlos gewesen, doch weitere Vorfälle folgten. Mehr und mehr Momente gab es, in denen er geglaubt hatte, die Reaper verstehen zu können, ihre Ziele in an- und vorgeblich neutraler Beobachtung neben die des Rests der Galaxie zu stellen - oder sogar davor.
Sie hatten seine Schwäche ausgenutzt, ihm versprochen, mehr zu sein als das Häufchen Elend, das seine Eltern in ihm sahen - wenn er nur nach ihrem Gusto handeln würde. Vielleicht hatte er sich gewehrt, vielleicht hatte er tief im Inneren gewusst, dass es nicht richtig sein kann, das zu tun, was sie verlangten. Er wusste nicht genau, wie es dazu gekommen war, doch jetzt, in diesem Augenblick, war er sich sicher, dass er als Indoktrinierter für die Tode von Bertha und Estray verantwortlich war.
Dennoch erfüllten die Worte der Asari ihn mit Schmerz. Nicht, weil sie sich dazu durchringen konnte, ihn zu nominieren - nein, das machte ihn seltsam glücklich -, sondern weil sie offenbarte, dass ihr Leben untrennbar mit dem Celspots zusammenhing. Sollte Omikron Recht behalten - und daran glaubte er - würde auch der Elcor irgendwann gehen müssen, um die Station retten zu können; und damit Niami ebenfalls in den Tod reißen.
Neben der Tatsache, gegen die Gefahr, in der sie schwebte, nichts tun zu können, spürte er das aufsteigende Gefühl von Neid. Zu gerne wäre Balint derjenige gewesen, dessen Leben so eng mit dem der Siari-Priesterin verbunden sein sollte.
Doch nun gab es Wichtigeres als den verbitterten und ängstlichen Blick in die Vergangenheit und die nahe Zukunft. Er musste die wenigen Momente, die ihm blieben, nutzen, um etwas Sinnvolles mit ihnen anzustellen und so trat er zur weinenden Niami, schloss seine Arme um sie, wie er es schon früher hätte tun sollen. Er konzentrierte sich darauf, nicht jetzt noch einmal das Steuern seines Geistes und Körpers den Reapern zu überlassen, doch machte sich keine ernsthaften Sorgen. Sie waren dazu fähig, ihn morden zu lassen, doch sie waren nicht stark genug, um auch den Willen, sie niemals verletzen zu wollen, zu brechen.
"Du hast Recht!", hauchte er ihr zu, in der Hoffnung, ihr die Stärke zu geben, die sie brauchte. "Mit allem!" Es gab so viel, dass er ihr noch hätte sagen müssen, und zu wenig Zeit, um alles umzusetzen. Doch für den Moment reichte es ihm, sie einfach nur zu halten.
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Für einen kurzen Augenblick lang schien wirklich die Zeit stehen zu bleiben - so wie sie es sich vorhin gewünscht hatte. Als Balint Niami in den Arm nahm, fühlte sie sich so als hätte ihr Körper all die Jahre lang nur auf diesen Moment gewartet, als würde sie genau dort hin, und nur dort hin gehören. Einen Wimpernschlag später prasselte die Realität wieder auf sie herein. Dies war das erste Mal, dass sie ihm so nah sein konnte. Und das letzte Mal.
"Es tut mir leid...", flüsterte sie. In diesem Moment war ihr egal, ob sie recht gehabt hatte.
Obwohl es ihr vorkam, als würde sie jeden Moment zusammensinken, löste sie sich nach einiger Zeit aus Balints Umarmung. Sie wollte ihm ins Gesicht sehen, während sie mit ihm sprach und legte eine Hand an seine Wange.
"Ich werde mir das niemals verzeihen." Niami sah in seine Augen und versuchte in ihnen zu ergründen, wie er es nur schaffen konnte, so stark zu sein. Sie in den Arm zu nehmen, obwohl sie seinen Tod beschlossen hatte. Sie hasste sich selbst dafür, wieso tat er es nicht?
"Ich wünschte, ich könnte statt dir gehen... oder mit dir gehen! Was soll ich denn nur ohne dich?" Wieder kamen ihr die Tränen und sie versuchte sich damit zu beruhigen, dass sie wieder in seine Arme sank. Weinend konnte man sich nicht besonders gut unterhalten und diese Worte gerade waren doch so unfassbar wichtig. "Selbst wenn du kein Unschuldiger bist, habe ich immer gedacht, dass ein großer, wundervoller Teil von dir immer noch echt ist. Ich habe gespürt, dass du ehrlich zu mir warst und ich... ich habe nichts dergleichen zu dir gesagt. Hätte ich doch nur früher mit dir darüber gesprochen, oder...nein." Sie seufzte. Natürlich wusste sie, dass es nichts gebracht hätte. "Hätte ich doch nur mehr Zeit mit dir gehabt."
Eine kurze Zeit lang beschloss Niami zu schweigen, und sich noch einmal kurz einzubilden, dass sie alle Zeit der Welt zur Verfügung hatten. Sie versuchte sich seine Berührung genau einzuprägen, die Wärme seines Körpers, seinen Duft,... damit sie diesen Moment niemals vergessen konnte.
"Ich denke, ich werde dir bald folgen.", sagte sie schließlich, als sie sich noch einmal von Balint löste und ihn ansah, während sie sich auch seinen sanften Blick einprägte. "Aber das ist gut so. Mein Lebenslicht wird in irgendjemandem neu erwachen, genau wie deines." Dabei legte sie ihre Hand an sein Herz. "Wo und wie auch immer das geschehen wird, ich werde daran glauben, dass diese beiden sich wieder begegnen. Mein Licht wird niemals vergessen, was du getan hast. Ich werde dich niemals vergessen."
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Balint spürte sein Herz an der Hand Niamis schlagen. Es war nicht einfach, doch er hatte sich so weit unter Kontrolle, nicht ebenfalls zu weinen. Er musste nun die Zuversicht ausstrahlen, die er für den Rest ihres bald wohl ebenfalls endenden Lebens in der bezaubernden Asari wecken wollte.
"Ich wünschte mir, dich unter anderen Umständen kennengelernt zu haben. Doch ich werde mir nicht gestatten, das Schicksal zu verteufeln, denn es hat trotz allem dafür gesorgt, dass ich dich kennen lernen durfte und diese letzten Minuten meines Lebens zu den intensivsten gemacht."
In diesem Augenblick hatte er keine Angst mehr vor dem Tod, lediglich davor, sie alleine zu lassen.
"Zeit meines Lebens galt ich als Enttäuschung für meine Rasse und allen voran meine Familie. Ich versagte, wo es ging und ließ mir einreden, nichts wert zu sein, glaubte es für die Dauer von mehr als 39 Jahren!" Er schmunzelte kurz bei dem Gedanken daran, dass diese Zahl für eine Asari wenig zu bedeuten hatte. "Doch in dem Moment, in dem du offenbartest, wie du zu mir stehst, habe ich gewusst, dass das alles nicht stimmen kann." Für einen Moment blitzte etwas wie Euphorie in seinen Augen auf, machte dann wieder einem sanften Lächeln Platz. "Wie kann ich wertlos sein, wenn etwas so Weises, Wundervolles wie du mich für wertig hält?"
Seine Hände ruhten noch immer sanft an den Rückseiten ihrer Schultern und lösten sich nur schwer. Doch es musste sein. Er musste diesen Moment beenden, bevor es unmöglich war, ihm zu entkommen. Er stieß mit einem Mal einen ganzen Schwall Luft aus, es war fast ein erleichternder Moment. Der Druck der Ungewissheit war wie weggewischt und all die Dinge, die noch gesagt werden mussten, haben seinen Körper verlassen.
"Halte dich an Iron. Er wird dir ein guter Begleiter - und euch ein guter Hauptmann - sein. Ich wünschte, ich könnte euch sagen, wer meine Komplizen waren, doch ich weiß es nicht." Er nickte seinem Freund und Rassenvetter ein letztes Mal zu, hoffte, ihm mit einem Blick zu verstehen zu geben, dass er nun auf seine Liebe aufzupassen hatte...
...und dann verließ er sie, ihre Hand im Bruchteil einer Sekunde instinktiv greifend und sie anschließend nur langsam wieder aus der seinen gleiten lassend, dabei verehrend in ihre wunderschönen Augen sehend.
Er drehte ihr den Rücken zu und lief zügig, jedoch ohne Hast, in Richtung des Schotts, auf dessen anderer Seite sich der Zugang zum Vakuum, seinem Ziel, befand. Er öffnete es mit seinem Omni-Tool und trat hindurch, wandte sich erst dann wieder um, blickte ein letztes Mal in das schönste Gesicht der Galaxie.
Balint kam sich vor wie ein Drell, so intensiv waren seine Eindrücke, so bewusst erinnerte er sich für den Bruchteil einer Sekunde an jeden der kleinen Momente, die er in den letzten Stunden mit Niami gehabt hatte, an jeden Blick, jede Berührung, jedes Wort. Wie vergleichsweise wenig es auch gewesen ist, es war alles und mehr für ihn.
Wie in jeder Sekunde zuvor vertraute er ihr auch jetzt bedingungslos. Er vertraute ihrem Glauben an die Lebenslichter und ihrem Glauben daran, dass sie wieder zusammenfinden würden.
Und als sich die Hydraulik der Tür quälend langsam wieder in Bewegung setzte und ihm immer mehr den Blick ins Innere der Orion-Hall nahm, flüsterte der Indoktrinierte in seinem letzten klaren Moment leise zu sich selbst, zur Welt, zu Niami:
"Du wirst mein Licht daran erkennen, dass es deinem am sehnsüchtigsten folgt."