Nach den nervzerreißenden letzten Tagen hatte es eine Weile gedauert, bis die Gruppe wieder zur Ruhe gekommen war und man sich langsam Gedanken machen konnte, wie es weitergehen sollte. Für Dolores war die Sache ganz klar - sie wollte ihre Tochter finden und ihr wenigstens ein Mal die Dinge sagen, die sie verdiente, aber nie zu hören bekommen hatte. Natürlich hieß das gleichzeitig, dass sie Abschied nehmen musste, und bei einigen fiel es ihr tatsächlich schwer. Nichts desto trotz wollte sie sich so schnell wie möglich auf ihre Suche begeben.
Dolores bedankte sich bei allen, die ihr Leben in der letzten Zeit auch für sie aufs Spiel gesetzt hatten, ganz besonders bei Fritz, mit denen sie auch gemeinsame Erlebnisse geteilt hatte - auch Matt hätte sie gerne ein paar Worte des Dankes gesagt, aber er war irgendwie plötzlich verschwunden gewesen und nie mehr wiedergekommen. Der Abschied von Niki fiel ihr auch besonders schwer, am liebsten hätte sie ihn einfach mitgenommen, aber er hatte wenig überraschend andere Pläne. Besonders wichtig war auch ein Gespräch mit Léo, denn sie war die einzige, die wirklich wusste, wo Barbara sich bis vor kurzem aufgehalten hatte und sogar ein wenig ihr Leben mit ihr geteilt hatte. Durch diese Informationen würde es um ein Vielfaches einfacher werden, ihre Tochter zu finden.
Als Dolores schließlich alles Wichtige erledigt und selbst schon ihre sieben Sachen zusammengepackt hatte, konnte sie es nicht mehr länger hinauszögern. Auch von Celina musste sie sich verabschieden, und diese saß gerade bei David und unterhielt sich angeregt mit ihm. "Darf ich euch beide kurz stören? Ich möchte mich nur von Celina verabschieden.", sprach sie die beiden ungewohnt kleinlaut an und nickte David entschuldigend zu. Ihm hatte sie schon gesagt, dass sie ihn als Anführer durchaus für fähig hielt und ihm Alles Gute gewünscht. Was aber sagte man zu einem Menschen, der mehr als ein paar Worte der Dankbarkeit verdient hatte? "Ich denke es ist am besten, wenn ich sofort aufbreche, auch wenn ich nichts dagegen gehabt hätte, noch mehr Zeit mit euch zu verbringen.", sagte sie zu Celina und lächelte. "Ich muss meine Tochter so schnell wie möglich finden, man kann ja nie wissen, wie viel Zeit einem wirklich noch bleibt und nun muss ich die Gelegenheit beim Schopf packen. Du hast doch bestimmt auch das ein oder andere neue Ziel vor Augen?"
Celina hörte Dolores aufmerksam zu.
Sie hatte geahnt, dass es so kommen würde.
Insgeheim hatte sie gehofft, noch etwas mehr Zeit mit der rothaarigen Dame verbringen zu können.
Wahrscheinlich war das auch der Grund gewesen, warum sie noch nicht mit ihr über die Zukunft gesprochen hatte.
Ein wenig traurig war Celina bei dem Gedanken, ihre Freundin nun wohl zum letzten Mal zu sehen.
"Ja, das stimmt. Ich werde mit Shelley und David", ein sanftes Lächeln legte sich auf ihre Lippen, "nach einer Gelegenheit suchen nach Amerika reisen. Vielleicht werden wir Texas erreichen und dort beim Wiederaufbau helfen."
Ein wenig unkomfortabel fühlte Celina sich schon.
Sie wusste nie so recht, was man bei Abschieden sagen sollte.
"Dolores... ich hoffe wirklich, dass du deine Tochter findest", brachte sie schließlich ernst hervor.
Dolores spürte, dass Celina diesen Wunsch voller Ehrlichkeit aussprach und sie nickte dankbar. Eine kurze, unangenehme Pause setzte ein, in der sie überlegte, ob sie wirklich sagen sollte, was ihr auf dem Herzen lag. "Celina... auch wenn unsere Wege sich vielleicht nicht besonders lange gekreuzt haben, hatte ich doch ein bisschen das Gefühl, wieder eine Tochter zu haben." Sie lachte verlegen und irgendwie war ihr plötzlich ganz heiß vor Scham. Es lag ihr einfach nicht, jemandem so etwas zu sagen. "Ich war wahrscheinlich eine schlechte Mutter für mein richtiges Mädchen. Ich bin froh, dass ich jetzt nach ihr suchen kann, aber ohne dich hätte ich vielleicht gar nicht so schnell erkannt, was es eigentlich heißt für jemanden Sorgen zu wollen ohne ihm einen gewissen Weg aufzuzwingen." Wieder lachte sie verlegen. "Ich war wirklich keine besonders gute Mutter." Kurz fragte sie sich, ob sie es jetzt überhaupt sein konnte, aber für solche Zweifel war später noch genug Zeit. "Jedenfalls, danke für alles und viel Glück auf deinem weiteren Weg." Für einen kurzen Moment ließ sie ihre Arme etwas unbeholfen herumschlackern, weil sie nicht sicher war ob nun eine Umarmung angebracht war. Aber wann wenn nicht jetzt? So umarmte Dolores Celina also doch ungewohnt herzlich und mit einem melancholischen Gefühl des Abschiedes in ihrem Herzen. "Du wirst bestimmt noch viel erreichen, auch in dieser Welt. Oder gerade in dieser. Zweifle bloß nie an dir!"
Celina erwiderte die Umarmung herzlich.
Dies war wahrscheinlich das allerletzte Mal, dass sie ihre mütterliche Freundin sehen würde.
„Danke“, erwiderte sie leise. Es war ein gutes Gefühl, dass jemand an sie glaubte, auch wenn sie selbst sich häufig genug einfach nutzlos fühlte.
Als sie sich wieder von Dolores löste, fügte sie hinzu:
„Ich … ich kann nicht beurteilen, ob du früher eine gute Mutter warst oder nicht.
Aber ich glaube, dass sich deine Tochter bestimmt freuen wird, dich wiederzusehen.
Egal, was vorher war.“ Weißt du das, weil du deine Alte selbst vermisst? Vielleicht …?
Jetzt stahl sich ein breiteres Lächeln auf ihren Mund.
Sie sollte ihn nicht einfach halten.
Manchmal musste man eben aussprechen, was man dachte.
„Und ich für meinen Teil habe unsere gemeinsame Zeit miteinander genossen.
Und die Umstände ändern nichts daran, dass ich froh bin, dir begegnet zu sein, Dolores.“
Nach einer kleinen, nachdenklichen Pause fügte sie noch hinzu:
„Ich wünsche dir alles Gute.“
Später, als Dolores schon längst gegangen war, saß Celina alleine am Waldrand. Traurig, Prinzessin? Willst du mich etwa trösten? Nicht wirklich. Ich bin nur immer wieder aufs Neue fasziniert, wie du in jeder Situation lieb lächelst. Das ist schon ziemlich unheimlich. Ich freue mich für sie, deshalb habe ich gelächelt. Jaaaaaaa, sicher. Deswegen sitzt du auch niedergeschlagen hier, anstatt mit deinem Lieblingsanführer zu turteln oder mit der Krankenschwester über Zukunftspläne zu schwärmen. Ist ja gut!
Ich bin traurig.
Ich mag keine Abschiede.
Und?
Ich kann ihr doch trotzdem Glück wünschen und mich für sie freuen? Yo, kannst du. Es ist nur komisch, dass du immer so sehr aussprechen willst, was du denkst – und dann doch nur die unverfänglichen Dinge sagst. Ich kann eben nicht alles sagen. Außerdem stimmt alles, was ich gesagt habe. Und das waren ohnehin die wichtigsten Dinge.
Sie richtete sich auf, denn sie sah wie David winkend auf sie zuhielt. Und alleine bin ich auch nicht. Da ist es nicht so schlimm, jemanden zu vermissen. Hach ja, die Macht der Liebe und der Freundschaft … Und wenn das nicht reichen würde, hätte ich noch immer dich, Will. Aw, wie süß …
Ob es so gut war, selbstreflektierende Gespräche mit einer Wahnvorstellung zu halten, wusste Celina nicht.
Aber geschadet hatte es bisher offenbar nicht und besser fühlte sie sich auch.
Und für den Augenblick war das mehr als genug.
Vielleicht würde sie eines Tages ja auch mit realen Menschen gut und unbefangen über solche Dinge reden können.
Und wer konnte schon wissen, ob sie Dolores nicht doch eines Tages wiedersehen würde?
Schließlich zog Dolores - bepackt mit einem dicken Brief von Léo, der neben mit Buntstiften geschriebenen Seiten auch ein paar Zeichnungen enthielt, die für Dolores eigentlich nur nach Gekrakel aussahen. Aber die Kleine hatte sich offenbar bei jeder etwas gedacht, zumindest stand überall genauestens, für wen das Bild war und es half Dolores auch, sich die Namen der Leute zu merken, nach denen sie suchen musste. Vermutlich war "Onkel Alistar" am einfachsten auszumachen, der hatte immerhin ein eigenes Schiff und war der Beschreibung nach keine unauffällige Figur. Selbst wenn Clover nicht mehr bei ihm war, würde er Dolores bestimmt weiterhelfen können.
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Wenige Monate später
Dolores versuchte, ihren missbilligenden Blick mit einem leichten Hüsteln zu verbergen. Sie hatte gerade die Bar betreten, die offenbar "Onkel Alistar" gehören musste und hatte alle Mühe, nicht wieder umzudrehen. Ja gut, es hatte eine Apokalypse gegeben und Bars waren nie besonders Dolores' Fall gewesen, rein objektiv gesehen war das hier eigentlich kein allzu schlechter Ort.
"Kann ich Ihnen helfen, Ma'am?" Wie aus dem Nichts stand ein Mann mit Stoppelbart und leichter Alkoholfahne - dies musste ohne Zweifel "Onkel Alistar" sein - vor ihr, der sie äußerst misstrauisch ansah. "Hab Sie hier noch nie gesehen." Dolores sah sich um und fragte sich, warum er sie bei der Menge an Leuten - die Bar war recht gut besucht - sofort erblickt hatte. "Entzückend, dass Sie mich das fragen. Ich wollte mich gerade danach erkundigen, ob eine Frau namens Clover hier ist? Sie tritt doch manchmal hier auf, oder nicht?" Dolores versuchte ihr süßestes Lächeln aufzusetzen, aber Alistars Miene blieb unverändert. "Sie ist nicht zu verkaufen." Dolores schnaubte entrüstet. Ja, sie sah durch die Reiserei nicht mehr völlig frisch aus, auch ihr Haar hatte verdächtige, einzelne graue Härchen zum Vorschein gebracht, aber so schlimm war es nun auch nicht. "Wie bitte? Sehe ich wirklich so aus, als würde ich Menschenhandel betreiben, Sie..." "Ich gebe einen Dreck darauf wie Sie aussehen, Ma'am. In diesen Zeit hält man am besten jeden für einen Kriminellen. Woll'n Sie was zu trinken? Weiß nicht, ob Clover heute noch kommt. Sie tritt nicht mehr so oft auf." Sein Blick wurde etwas weicher und wirkte bedauernd. "In Ordnung, ich komme später noch einmal vorbei. Aber vorerst gebe ich Ihnen noch etwas, damit sie mich nicht für eine verrückte Alte halten." Sie kramte in ihrer Tasche auf der Suche nach Léos Brief. Es war noch nicht an der Zeit, Alistar zu sagen wer sie war, sonst bestand die Gefahr, dass Barbara sie vielleicht gar nicht sehen wollte. Sie schien ja noch irgendwo hier auf diesem Schiff zu sein, also suchte sie am besten einfach noch eine Weile und würde, sollte sie kein Glück haben, in die Bar zurückkehren. "Ah, da ist er ja." Sie hielt Alistar den dicken Umschlag mit einem ehrlichen Lächeln entgegen. "Am besten öffnen Sie ihn gleich, dann sind Sie vielleicht nicht mehr so grummelig. Bis später dann."
Nach einiger Zeit auf dem Schiff kam Dolores der Gedanke, dass sich wirklich ungewöhnlich viele Leute hier aufhielten. Léo hatte erzählt, dass es gar nicht so einfach werden würde, hineinzukommen, aber anscheinend hatte sich die Lage geändert. Wahrscheinlich waren die Zeiten so schlecht geworden, dass man auf Gäste auf der Durchreise angeweisen war, oder ihnen einen sicheren Platz bieten wollte. Das war bestimmt auch der Grund, warum der Ire in der Bar so misstrauisch gewesen war. Oder vielleicht war er auch immer so gewesen, sie kannte ihn nicht und-
Ein roter Haarschopf stürmte an ihr vorbei, eine Strähne streifte kaum ihren Arm, und Dolores war sofort klar, dass sie gerade von ihrer eigenen Tochter überholt worden war. Diese schien aufgeregt nach jemandem zu suchen - es war doch nicht möglich, dass sie doch schon von ihrer Ankunft erfahren hatte? Als Dolores ihr eiligen Schrittes folgte merkte sie, dass Clover von zwei Jungs begleitet wurde, bei denen es sich laut Léos Beschreibung vermutlich um Noah und Josh handelte, die ebenso ziemlich nervös wirkten.
"Ist es wirklich wahr? Es gibt Neuigkeiten über Léo?" ,rief Clover schon von weitem Alistar zu, der unverkennbar völlig aufgelöst den Brief des Mädchens in den Händen hielt. Natürlich, es ging um Léo. Es musste eine ziemlich große Sache sein, vollkommen aus dem Nichts eine Nachricht von ihr zu erhalten. Dolores beschloss, die Szene aus sicherer Entfernung zu beobachten, jetzt war wirklich nicht der Moment, dort hineinzuplatzen.
Gerade stieß noch ein junger Mann zur Gruppe - dies war bestimmt Ian, der nun Seite an Seite mit Clover den Brief las. Ihre Tochter vergrub das Gesicht in den Händen und auch der junge Mann, der sie nun in den Armen hielt, schien berührt zu sein. Selbst Alistair hielt nun völlig seelig die beiden Jungs fest an sich gedrückt und diese kleine Gruppe war wie in einer unsichtbaren Blase das harmonischste, was Dolores seit langer Zeit gesehen hatte. Alleine die Nachricht, dass es Léo gut ging (gemeinsam mit ein paar Hinweisen, was sie vorhatte und dass sie sich alle wiedersehen würden), schien für sie alle gerade das wichtigste auf der Welt zu sein. "Wir werden weiter nach ihr suchen.", grummelte Alistar schließlich, aber mit einem glücklichen Lächeln im Gesicht. Clover nickte heftig und umarmte nun auch ihn. "Ich bin so froh, dass es ihr gut geht." Schließlich fiel sie auch noch Josh und Noah um den Hals, und dann blickte sie alle Beteiligten mit einem Ausruck in den Augen an, dass es Dolores einen kleinen Stich gab. Sie kannte diesen Blick. Vielleicht nicht von sich selbst, aber von Mr. Williams, von Ethan und von anderen Familien, die im Village gelebt hatten. Vielleicht hatten sie gar nicht die Wahrheit verleugnet und sich vorgegaukelt, dass es eine heile Welt gewesen war. Für sie war es wirklich die heile Welt gewesen, weil das einzig Wichtige war, seine Liebsten um sich zu haben. Und dann war es egal, was wirklich draußen vor sich ging, denn man hatte das Gefühl, trotzdem alles schaffen zu können.
Etwas zog an ihrem Ärmel und Dolores bemerkte, dass einer der Jungs urplötzlich neben ihr aufgetaucht war und sie aus großen, braunen Kulleraugen ansah. "Entschuldigung, aber meinem Bruder ist aufgefallen, dass Sie schon eine Weile hier stehen und uns anstarren." Dolores blickte panisch zu Clover, die aber noch ganz vertieft mit Ian und Alistar sprach. Der andere Junge starrte allerdings unbehaglich zu ihr. "Verzeiht mir, ich wollte nicht unhöflich sein... oder gruselig." Sie lachte beschämt. "Sind Sie die Frau, die den Brief mitgebracht hat?" Dolores nickte. "Aber verrate es niemandem. Ich bin nur der Bote, der offensichtlich viel zu auffällig nachsieht, ob die Nachricht in den richtigen Händen gelandet ist." Josh... oder Noah, wer auch immer das da war, nickte als würde er sie gut verstehen. "Wenn du schon hier bist, weißt du zufällig, wo ich Papier und Stift herbekomme?"
Es dämmerte bereits, als Dolores erneut die Bar des Iren betrat und bereits von Klängen begrüßt wurde, von denen sie nicht gedacht hätte, dass sie sie jemals wieder hören würde. Auf der Bühne stand Clover und sang - es war irgendein fröhliches Lied, das sie mit so einer aufrichtigen Freude vortrug, dass Dolores wusste, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Sie legte einen Brief - diesmal ohne Zeichnungen und mit fein geschwungener Schrift - auf den Tresen. Sie wusste Alistar würde ihn gleich finden und ihn später bestimmt Clover geben. Und selbst wenn nicht - ihre Tochter würde es auch überleben. Ihr ging es gut. Das war das Wichtigste. Sie hatte in all der Misere ein eigenes Leben aufgebaut, das in solchen Zeiten wahrscheinlich kaum glücklicher sein konnte. Kurz dachte Dolores an die Worte von Celina. Aber ich glaube, dass sich deine Tochter bestimmt freuen wird, dich wiederzusehen. Egal, was vorher war.“ Das stimmte wahrscheinlich. Aber was war danach? Konnte man Jahre des Unverständnisses einfach auslöschen, nur weil die Welt untergegangen war? Sie und ihre Tochter waren wahrscheinlich nicht mehr als zwei Fremde, die eben auch noch verwandt waren. Vielleicht war es feige, aber gleichzeitig auch das Beste für Clover, davon war sie überzeugt. Sie hatte eine ganz eigene "Familie" gefunden. Sie brauchte keine alte Mutter, mit der es nur zu verwirrenden Gesprächen über unterdrückte Gefühle kommen würde.
Dolores sah mit einem Lächeln zu ihrer Tochter, unterdrückte eine winzige Träne, von der sie nicht wusste ob es eine traurige oder eine freudige war, und ging aus der Bar. Ich bin stolz auf dich. Ich liebe dich.
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5 Jahre später
Es war finstere Nacht und nur eine Art Laterne erleuchtete den kleinen Steg, vor dem ein Schiffskutter lag. Der Seemann leuchtete unangenehm in Dolores' Gesicht, um sie mustern zu können. Nach einer Weile rief er "Hey Cap, so ne alte Schachtel fragt, ob wir se mitnehm'. Sieht harmlos aus und hat zwei Balgen dabei." Aus der Dunkelheit hörte man Schritte, die von klobigen Stiefeln stammen mussten. Dolores zog die Mädchen, die sie bei sich hatte, instinktiv näher an sich heran. "Cap", was wohl so etwas wie der Kapitän des Schiffes sein musste, sah selbst im spärlichen Licht im Gegensatz zu seinem Kumpanen etwas freundlicher aus. "Also, Madame, was treibt Sie zu so später Stunde zu Gesindel wie uns?" Er lächelte, aber seine Augen drückten Misstrauen aus. "Sind nicht Ihre Kinder, nich'?", fügte er mit einem Blick auf das dunkelhäutige Mädchen, das bei ihr war, hinzu. Dolores schüttelte den Kopf. "Ich bin Dolores Williams, ich wohnte eine Zeit lang in der kleinen Siedlung hinter dem Hügel." Sie deutete in die Dunkelheit, obwohl unmöglich zu erkennen war, ob dort überhaupt irgendetwas außer Schwärze lag. "Aber Sie wissen ja, wie das heutzutage ist. Es war anzunehmen, dass... nun, dass man besser von dort verschwinden sollte. Die Mädchen habe ich aufgenommen, schon bevor ich hergekommen bin. Wir sind schon viel gereist. Ich passe auf sie auf und lehre sie alles was ich weiß, damit sie später auch alleine in dieser Welt überleben können. Das ist meine Aufgabe - Kindern eine mögliche Zukunft zu bieten." Sie blickte den Mann mit der Mischung eines stolzen und forschenden Blickes an. Es fühlte sich an wie eine Ewigkeit, doch nach einer Weile nickte "Cap". "Iosif, pack dein Zeug, du ziehst für eine Weile um." Er wies Dolores und die Mädchen mit einer einladenden Geste an, an Bord zu kommen. "Ich habe auch eine Tochter. Ihr werdet euch bestimmt gut mit ihr verstehen." Und zu Dolores sagte er etwas leiser: "Schön zu wissen, dass sich noch jemand um die Kinder kümmert. Sie müssen unsere Welt immerhin wieder aufbauen, wenn es so weit ist." Er lachte aus tiefer Kehle und schon bald darauf legte das kleine Schiff ins Ungewisse ab.
Sommer 2021 - Hadley's Hope - Lage: Festland, Wüste, nordwestlich von Sydney - außerhalb der neu eingerichteten militärischen Sperrzone - Population: 121
"Manchmal kommt mir das alles vor wie ein langer Traum aus dem es kein Erwachen gibt."
Sie knallte zwei Metallstücke, die sie per Vorschlaghammer in Münzform gebracht hatte bevor sie in die Stadt eingeritten waren und knallte sie auf den Bartresen, direkt neben ihre Beretta-Pistole. "Bar". Naja, wenn man viel Fantasie mitbrachte war es so ähnlich wie eine Bar. Ein nach vorne hin offener Wellblechverschlag mit zwei Holztischen verschiedener Dekors, an jedem drei bzw. fünf Campingstühle, eine auf Hüfthöhe des Barkeepers angebrachte Holzplatte, die sich von Wellblechwand zu Wellblechwand erstreckte, hinter dieser wiederum ein halbvergammeltes schwarz-graues Ikea-Regal, in dem ein paar Spirituosen und staubige Gläser gelagert waren. Preise gab es nicht, zumindest nicht so richtig. Es wurde mehr nach Gefühl und Güte des pisswarmen Krawallwassers bezahlt als nach dessen tatsächlichen Preis. Lexis Gefühl sagte ihr, dass durch ihr MItwirken nicht nur hunderte Menschen umkamen, sondern auch noch nichts erreicht worden war. Kein Heilmittel, keine Hilfe, nada. Aber zur Abwechslung mal ein 4km²-Bereich auf dem Festland, der nicht mit Zombies überschwemmt war. Das war allerdings weniger den Eierköpfen in Übersee verschuldet als der Tatsache, dass Lexi mit ihren neuen Freunden (und wahrscheinlich noch mehr Leute wie sie) effektiv jeden Untoten umnieteten der ihnen über den Weg kam. "Buccaneers" wurden sie am Festland genannt, nichts weiter als ein fancy Ausdruck für "Piraten".
Sie wusste, dass jemand hinter ihnen her war. Vielleicht Regierungsfutzis (falls es überhaupt noch solche gab)? Alte Bekannte? Sheng?
Sie zog mit nachdenklichem Gesichtsausdruck das Barret vom Kopf. Ihre bis unter die Brüste reichenden, strohigen blonden Haare schälten sich frömlich auseinander als sie sich mit der rechten Hand dadurch ging. Ihr Gesicht zeigte Narben aus Straßenschlachten und Kämpfen mit Untoten. Ein weißer Strich prangte neben ihrem linken Auge, da wo sie ein Armbrustbolzen streifte bei einem ihrer Raubzüge. Die Lederjacke knatschte traurig bei jeder ihrer Bewegungen, vor allem als sie mit der rechten Hand in die Innentasche langte und eine Schachtel Zigaretten herausnahm. Noch drei in der Packung. Eine pro Tag. Zumindest solange, bis sie wieder an welche herankommen konnte. Das konnte Stunden dauern. Oder Tage. Oder Wochen.
Sie wandte sich von der Theke ab, nachdem sie sich mit der linken Hand - die Fingerbewegungen langsam und fast schon überkoordiniert - das Glas trübem Schnaps geschnappt hatte und mit der rechten Hand in den Untiefen ihrer Jackentaschen nach ihrem Feuerzeug. Sie schritt langsam - auf dem linken Bein humpelnd - zum Tisch an dem ihre drei Kollegen saßen. Im Kofferradio lief völlig übersteuert knarzend zwischen dem Gebrüll eines durchgeknallten Radio DJs Blues-Musik - alles in allem ein relativ beschissenes Ambiente unter beschissen heißer Sonne an einem beschissenen Tag in einer beschissenen Kolonie die umringt war von beschissenen metallenen Wänden. Ein weiterer typischer Donnerstag im postapokalyptischen Kängaruland.
"Und ich sage dir:...", begann Zeke McDowell, genannt "Preacherboy". Lexi war mitten in eine Diskussion gestolpert zwischen den dreien. Das Thema war ihr nicht bekannt. Und im Moment interessierte sie eh nur, wo ihr gottverdammtes Zippo geblieben war.
"... die Regierung wollte es so. Die haben nur auf einen Moment wie diesen gewartet, ich schwör's dir!", die helle, fast schrille Stimme des dürren Glatzkopfs mit dem Vollbart schien die Aufmerksamkeit der auf dem nahegelegenen Fußweg vorbeikommenden Leute auf sie zu ziehen, so wie sie dasaßen, grinsend, siegessicher, rauchend und saufend wie ein paar Matrosen auf Landgang. Als Buccaneer war das Leben auf dem Festland tatsächlich manchmal ganz passabel. "Ich hab von 'nem Militärprojekt gehört - von wegen: die haben 'nen Flugzeugträger als schwimmende Festung, mit dem sie das Festland zurückerobern wollen. Die killen die Zombies, die bomben unsere Siedlungen weg, dann kommen sie und killen uns alle - es macht alles Sinn im Kontext, yeah."
"Das wäre unsagbar dämlich.", sagte die gegenübersitzende Sophie Vasquez. Den mit Wasser gefüllten Plastikbecher mit "Springbreak '12"-Aufdruck vor sich schwenkend, schaute die Halbschwarze mit der Kurzhaarfrisur herüber zu Zeke und grinste hämisch. "Bruder, niemand wäre dumm genug die lebende Bevölkerung einfach wegzubomben. Mal ganz davon abgesehen dass die hier nichtmal so'n verkackten Volvo zum Laufen kriegen - wie wollen die dann 'nen fuckin' Flugzeugträger antreiben, huh? Wir haben hier weniger Sprit als wir Alkohol haben - und das is' schon tragisch genug."
Die rechts neben Zeke sitzende Sandy, ein 14-jähriges asiatisches Mädchen das sie irgendwo im Outback aufgelesen hatten (und das Lexi irgendwie an Niki erinnerte - was er wohl mittlerweile machte?), nickte nur stumm und grinste Sophie an. "Selbst sie gibt mir Recht, Bruder. Du laberst Bullshit und du weißt es."
"Nichts davon ist Bullshit, Sophie! Schau' dich um - die wollen, dass wir so leben!"
"Ich glaube, die wollen einfach - genau wie wir - dass du die Fresse hälst und dein Bier trinkst.", warf Lexi genervt ein, als sie endlich ihr Zipoo in der linken Jackentasche gefunden hatte. Beim dritten Versuch zeigte sich endlich eine Flamme, mit der sie genüsslich die Zigarette ansteckte. Rauch waberte aus ihrem Mund. Sie grinste, fühlte sich ein bisschen high vom Nikotin, schaute etwas dösig um sich, sah den recht regen Publikumsverkehr auf dem Dorfplatz, in dessen Mitte der Wellblechverschlag (a.k.a. die beschissene Ausrede für eine Bar) stand, sah hier und da Rauch aufsteigen aus den Waffenschmieden und Dudes mit Äxten, die aufpassten dass niemand durchdrehte. Arme Teufel. Lexi hegte und pflegte die zwei verbliebenen Schusswaffen von vor drei Jahren, ebenso wie die Magazine und Kugeln dafür. Für den Fall der Fälle, natürlich. Armeeeinrichtungen - die einzigen Orte an denen man mit Sicherheit an Munition herankommen konnte - waren immer noch viel zu gefährlich um einfach reinzulatschen und den dort befindlichen Scheiß zu klauen. Seien es Untote oder arg schießwütige Army-Comaneros - nichts machte ihr mehr Sorgen als an den Punkt zu kommen, an welchem sie entweder auf ihre Babies verzichten und auf Pfeil und Bogen umsteigen müsste wie so'n verkackter Höhlenmensch, oder an dem sie wegen desselben Umstandes dazu gezwungen war in eine Kaserne zu rennen, haufenweise Zombies/Soldaten/Soldatenzombies über den Haufen zu schießen. Deshalb suchte sie immer Leute, die für sie die "Arbeit" erledigen, sie strich einen Teil der Belohnung ein und gut war. Die "Arbeit" bestand im Normalfall daraus, für jemand bestimmten etwas Bestimmtes oder jemanden Bestimmtes zu holen/umzubringen. Die Belohnung war von zwei Litern Benzin über Sex bis hin zu Revolverkugeln alles mögliche was man verwenden konnte. Selbst Lexi machte mittlerweile was den zweiten Punkt anging keine Unterschiede mehr zwischen Mann und Frau - es war für sie weniger Belohnung als fünf Minuten lang (oder länger) mal kurz zu vergessen, was um sie herum geschah. Sie war damit offiziell zum Bösewicht geworden. Wenn sie ihren jetzigen Begleitern erzählen würde, wieviele von ihrer Sorte sie bereits verheizt hatte nur um über die Rudnen zu kommen - um Gottes Willen. Dieser Moment der Realisierung wäre biblisch. Und sie wäre sowas von-
Die Frau mit der kreideweißen Haut im dunkelgrauen Nadelstreifenanzug vor ihnen war irgendwie aus dem Nichts gekommen, doch stand jetzt am anderen Ende des Tisches und schaute in etwas, das aussah wie ein schmaler Aktenordner. Sie blickte kurz auf und fuhr sich mit den Fingern durch ihre dunkelbraunen, kinnlangen Haare, bevor sie mit ebenjenen Fingern die Sonnenbrille auf ihrer Nase etwas nach oben schob. Dann zupfte sie den zum Blazer passenden, bis an die Knie gehenden Rock zurecht, strich einmal über den Kragen des hellgrauen Hemds um die schwarze Krawatte halbwegs gerade erscheinen zu lassen und zeigte mit ihren leicht gelblichen, aber für diese Umwelt doch fast schon klinisch sauberen Zähnen ein breites Lächeln.
"Wir kennen uns nicht.", sagte sie mit deutlichem englischen Akzent.
"Kein Scheiß...", sprach Lexi und schaute verdutzt drein, ebenso wie ihre Begleiter, die direkt nervös wurden. Und sie wurden beinahe panisch, als sich die Fremde einen Stuhl schnappte, diesen zu sich heranzog und sich ans Kopfende setzte, immer noch lächelnd.
"Hi erst einmal.", sagte die Frau im Anzug und reichte Lexi über den Tisch hinweg die Hand, wozu sie vom Stuhl wieder aufstehen musste, auf den sie sich gerade gesetzt hatte. Als Lexi die Geste nicht erwiderte und sie stattdessen einen Moment lang verärgert anstarrte, setzte sich die Frau wieder, räusperte sich und setzte eine ernste Miene auf. "Oho, ich merke schon: Serious Business und so. Mit euch Leuten ist es auch nie 'ne Freude zu reden. Tja." Kurz pausierte sie und schaute sich um. "Tja, ja." Nun drehte sie den Kopf in die andere Richtung, so als ob sie nach etwas oder jemanden Ausschau hielt. "Tja."
"Was meint sie mit 'euch Leuten'?", fragte Zeke halblaut. Sandy schüttelte hierzu nur mit ernstem Gesichtsausdruck den Kopf. Sophie schaute stumm in ihr Wasserglas.
"Und mit wem haben wir Leute das Vergnügen?"
"Ihr Leute habt die einmalige Gelegenheit mit einer inoffiziellen Repräsentantin der Regierung zu reden - ist das nicht fantastisch?", sie ratterte den Text grinsend runter als wäre sie ein Telemarketer. "Der Name dieser dramatis persona...", dramatisch presste sie die behandschuhte rechte Hand zwischen ihre Brüste, "... ist Federal Agent Jaqueline Sartana. Aber weil ihr so coole boys 'n' girls seid, könnt ihr mich auch gerne Jacky nennen. Oder Sartana. Na, wie klingt das?" Jetzt dämmerte es Lexi: Jaqueline redete wie ihre Mum, als sie versuchte mit Lexis damals 12-jährigen Freunden Kontakt aufzunehmen. Jacky redete wie eine 90er-Mum, aber war maximal MItte Zwanzig, ihrem Aussehen nach zu urteilen. Was verdammt nochmal war los mit der Alten? Sophie zuckte ihrerseits kurz zusammen, als die modisch gekleidete Fremde ihren Namen nannte - so als wüsste sie, wer es war der da saß. Nervös stupste sie unterm Tisch Lexi mit dem Finger gegen das Knie und schaute sie eindringlich an, während Jacky geistesabwesend ihren Text herunterratterte:
"Bevor wir en détail gehen, was der Anlass unseres Besuchs ist, kann ich euch ja mal kurz erzählen was meine Aufgabe ist, ja? Also:... Sie fummelte ein Blatt Papier aus der Mappe und las davon ab, weiterhin freundlich lächelnd. "Wir - das ist die Institution für ein vereinigtes Commonwealth - sind interessiert daran, nach den Ereignissen der letzten Jahre ein neues Programm durchzuführen, das auf Zusammenarbeit der Kommunen basiert. Und auf die Mithilfe von Leuten wie Ihnen." Sie blickte vom Zettel in die Runde und fügte "Das wären dann Sie vier, natürlich." hinzu, bevor sie fortfuhr. Lexi driftete indes gedanklich ab - Sophies Gesichtsausdruck, der schiere Panik erkennen ließ warf Lexi aus der Bahn. Vasquez war ein wahrer Hartarsch, nichts konnte sie abschrecken - aber eine Dame im Anzug, die redete wie eine 90er-Mum und lächelte wie eine 50er-Mum? Was konnte schon so schlimm an ihr sein. Zeke hörte derweil zu, ab und an mit dem Kopf nickend, bevor er wortlos aufstand und gehen wollte.
"Moment.", sagte Jacky mit deutlich angepisstem Tonfall, legte langsam den Zettel mit der Schrift nach unten vor sich und strich ihn mit den Händen glatt (was völlig überflüssig war, so zerknittert wie er aussah). "Ich war noch nicht fertig." Das Lächeln war verflogen, jetzt war ihr Gesichtsausdruck streng, ihre Stimme allerdings war immer noch auf merkwürdige Art und Weise fast fröhlich. Doch eher fröhlich im Sinne von "Kettensägen schwingender Clown"-fröhlich. Sie jagte Lexi nun Angst ein. Und Sophie wuselte unruhig auf ihrem Stuhl herum.
"Ich... ich wollte nur kurz pinkeln geh-", begann Zeke, doch die Sonnenbrillen tragende Anzugträgerin erhob die linke Hand, den Zeigefinger ausgestreckt wie eine Mathelehrerin.
"I-ich...", fing sie an und schluchzte theatralisch, "Ich habe mir den ganzen weiten Weg von der Nordostküste hierher gemacht, nur um euch ein wirklich, wirklich gutes Angebot zu machen - und ihr-ich meine, ich seid Profis, oder? Ihr seht aus wie Profis, oder? Und ich seh' aus wie ein Profi, ich habe mir extra diesen Anzug geklau-organisiert, um richtig Eindruck zu schinden und meinen Arbeitgeber - das glorious Commonwealth - stolz zu machen, seiner Majestät der Königin zu dienen, und vor allem um endlich mehr heruaszufinden über die glorreichen Buccaneers über die man sich hier im Umkreis so viel erzählt. Furchtlose Söldner, die es mit alles und jedem aufnehmen und eine von ihnen angeblich sogar ein Überlebender von Wallis et Fortuna!" Sie pausierte, stand nun mittlerweile um der dargebotenen Rede die nötige Portion Pathos zu geben, "... oder besser gesagt: eine Überlebende." Sie starrte Lexi an und nahm die Sonnenbrille ab. Ihre Augen waren an den Lidern stark gerötet, die Pupillen hellrot. Sie kniff kurz die Augen zusammen und musterte Lexi von oben bis unten. "Lexi Miller, ja? Ich bin hier um lose Enden zu kappen."
"Lose Enden?", fragte Lexi mit einem kecken Grinsen. Die rechte Hand wanderte langsam zum Oberschenkelholster, die Finger umklammerten Griff und Abzug der Schrotflinte.
"Aber ich bin auch hier, um Sie zu rekrutieren."
"Wofür?"
"Das's Bullshit, Lex. Die Bitch ist 'ne Bitch, und 'ne durchgeknallte Bitch noch dazu."
"Nichts besonderes, das selbe was Sie jetzt machen, nur dass ein Teil der Gewinne in mei-ich meine, die königliche Kasse fließt. Wir reden hier von maximal zwanzig Prozent - was sind schon zwanzig Prozent?"
"Manchmal das größte Stück vom Kuchen." Der Griff um die Schrotflinte festigte sich noch mehr, jetzt wo die Anzugträgerin ihre Hände hinterm Rücken verschränkt hatte und dort an irgendetwas mit ihren Fingern nestelte.
"Wen interessiert das größte Stück vom Kuchen, wenn es auch bedeutet dass Sie wieder in wohnlichen Gebieten leben können? Wenn Sie wieder sauberes Wasser haben? Wenn Sie wieder Kippen rauchen können so oft Sie wollen? Es ist wie ein Stück Kot gegen ein Stück Gold einzutauschen, oder eine M1914 gegen eine Gatling Gun."
"Ich mag die 1914."
"Ich präferiere die Gatling Gun."
"Ist das 'ne Gatling Gun mit der du hinter deinem Rücken rumspielst?"
Jacky seufzte laut. "Leider nein." Dann setzte sie die Sonnenbrille wieder auf. "Es ist für den Fall, dass meine Verhandlungspartner hartnäckig sind und Schrägtrich oder ich meinen Text vergesse."
Ein breites Lächeln folgte.
In dem Moment traf eine sanfte Brise den Dorfplatz, hob das Blatt Papier welches sie so sorgfältig vor sich gelegt hatte in die Luft und wendete es entsprechend - es war von beiden Seiten leer. Doch das machte keinen Unterschied, jetzt wo die Anzugträgerin die entsicherte Rauchgranate hinter ihrem Rücken fallen ließ und im roten Nebel verschwand. So schnell konnte Lexi die Schrotflinte nicht ziehen wie Jacky verschwunden zu sein schien. Sie hustete stark, hörte auch Zeke und die beiden Mädels laut nach Luft schnappen. Dann hörte sie es mehrere Male knallen, Glas zerbarst über ihr, Holz gab neben ihr nach und zerplatzte in einer Art Dunstwolke aus Sägespähnen, Fremde schrien sich die Lunge aus dem Hals und verstummten abrupt im nächsten Augenblick - jetzt hörte sie Sandy und Zeke schreien. Und dann nur noch Zeke. Und dann nur noch sich selbst, wie sie laut atmend unterm Tisch hockte, den Lederjackenärmel auf Mund und Nase gepresst und die Augen zusammengekniffen. Sie starrte in die rote Nebelbank, hustete stark, schob sich ein paar Glassplitter vom Gesicht und schaute nach rechts. Dort lag Sophie, mit weit aufgerissenen Augen, schaute fast schon so drein als würde sie Lexi für all das die Schuld geben.
"Schau' mich nicht so an...", knurrte die Blondine und robbte vorsichtig aus ihrer Deckung heraus, bis sie endlich das Ende der Nebelwolke erreicht hatte. Leute riefen Namen, rannten panisch über den Dorfplatz, flohen vor irgendetwas. Oder irgendjemanden. Lexi hielt die Schrotflinte im Anschlag, schaute sich paranoid um während sie sich humpelnd den Weg zu den Pferden bahnte, auf denen sie in die Stadt geritten waren. Doch aus irgendeinem Grund schaute sie nicht hinter sich, als sie ihr braun-weiß geschecktes Pferd ableinen wollte - denn dort schritt Jacky auf sie zu, Lexis halb abgebrannte Zigarette in der einen und Lexis Beretta 92FS in der anderen Hand - die, die sie vor lauter Schusseligkeit und Alkohol auf dem Tresen hatte liegen lassen.
"Hey, Miss Miller - ich wollte Ihnen nur schnell etwas zurückgeben!", rief sie und feuerte zwei Kugeln ab, die Lexi in die linke Pobacke und das linke Knie trafen. Laut schreiend fiel sie zu Boden und ließ vor Schreck die Schrotflinte fallen, nach der sie ohne zu zögern griff. Es war ihr möglich, einen Schuss abzufeuern, doch der Schuss streifte Jacky am Oberarm und ruinierte etwas ihren Anzug, anstatt sie ernsthaft zu verletzen. Lexi war älter geworden, eindeutig. Lexi war auch eingerostet, soviel war klar. Und Lexi war vor allem müde. Dementsprechend hatte es bisher nur Sinn gemacht, andere ihren Scheiß erledigen zu lassen. Doch jetzt, mit zwei verkrüppelten Beinen und einem lahmen Abzugsfinger - sie war geliefert.
Noch ein Schuss flog an der Anzugträgerin mit dem Hausfrauen-Lächeln vorbei bevor diese einen weiteren Schuss abgab, der Lexi an der rechten Hand traf. Das Projektil zerfleischte förmlich ihren Ring- und kleinen Finger, letzterer landete im abgetrennten Zustand im Sand neben ihr. Ein gellender Schmerzensschrei folgte, dann landete Lexi mit dem Gesicht zuerst im Staub. Jacky stand vor ihr und schaute auf sie herab, bevor sie stumm mit dem rechten Fuß auf Lexis Kopf stieg. Die Sohle des schwarzen Turnschuhs bohrten sich förmlich in ihren Hinterkopf, während sie panisch mit den Armen gestikulierend nach Luft schnappte und sich Nase und Hals mit Sand füllten.
"Ich soll Ihnen was ausrichten von meinem Auftraggeber, für den Fall dass sie das Angebot ausschlagen und anfangen dämliche Fragen zu stellen: Fort Palmbay, 422 Tote, du hättest darunter sein sollen.", sprach's mit einem gleichzeitig monotonen und irgendwie fast fröhlichen Ton in der Stimme, während Lexis dumpfe Schreie im wahrsten Sinne des Wortes unter ihr versandeten. "Sie hätten ihr einfach nur den Gefallen tun sollen, wissen Sie? Okay, ich hätte von vornherein sagen sollen, dass sie mich schickt - aber hey, irgendwie musste ich ja Eindruck schinden, nicht wahr? Tja ja. Tja. Aber was soll man machen, wenn die Ganovenehre von heute es einem verbietet, Authoritäten gegenü-also, selbst falschen Authoritäten gegenüber Respekt zu zeigen, also im Ernst: das ist inakzeptabel. Das ist echt superduperrespektlos gewesen von euch. Ihr hättet einfach ein paar Fragen stellen können wie 'Wo soll ich unterschreiben?' - ich meine, klar, zwanzig Prozent klingt nach viel, aber ist im Kontext gar nicht so- Hallo?"
Lexi Miller rührte sich nicht mehr.
Zwei behandschuhte Finger an der Halsschlagader verrieten Jacky, dass sie eiondeutig und ohne Zweifel tot war.
"Dahingeschieden. Von uns gegangen. In die ewigen Jagdgründe hinabgestiegen.", sagte sie laut und schnallte den Oberschenkelholster von Lexis Bein während sie weitersprach. "Das macht dann nur noch... äääähh..." Sie zählte im Kopf zusammen, während sie die Schrotflinte und das halbe Dutzend Patronen dafür einsammelte. "Ach keine Ahnung, all dieses Nachforschen und Nachprüfen und Nach-äh-stalken ist so anstrengend auf Dauer. So, so, so sehr anstrengend." Entnervt seufzte sie aus. "Du hättest mir echt einen Gefallen getan wenn du einfach 'Ja.' gesagt hättest. Wenn du 'Ja.' zur Königin und zum Vaterland und all dem Jazz ges-Ooooohhh, welch' auswegslose Situation du mir da eingebrockt hast, Lexi Miller. Auswegslos und ganz, ganz traurig, Lexi. Hörst du mir überhaupt zu?" Sie war im Begriff zu gehen, als sie noch einmal hinabschaute. Etwas stimmte nicht. Sie kniete auf den Boden, drehte den Leichnam der Blondine und betrachtete sie kurz mit ihrem von Sand bedeckten, leblosen Gesicht - bis sich plötzlich ihre Augen öffneten und sie mit beiden Hände den Hals der schlanken Albinobraut umschlung. Sie fiel nach hinten hin über, Lexi hockte nun auf ihr und schlug mit der rechten blutigen Hand mehrmals in Jackys Gesicht, bis diese eine handvoll Sand griff und Lexi ins rechte Auge rieb. Sie ließ ab und fiel nun ihrerseits nach hinten, während Jacky von ihr wegrobbte und laut nach Luft schnappte. Neben ihr lag Lexis Schrotflinte die sie mitsamt des Hoslters und der Patronen hatte fallen lassen, hinter Lexi die fast leergeschossene Beretta. Die beiden Frauen starrten sich kurz gegenseitig an, nachdem sie sich Sand aus den Augen und Luft zurück in die Lunge geholt hatten. Schwer atmend. Ernst schauend.
So schnell sie konnte wandte sich die schwer verwundete Lexi um und schnappte sich die Beretta, während sich Jacky zur Seite hin abrollte und die Schrotflinte ergriff.
Beide krümmten zeitgleich den Abzug.
Klack. Klack.
Sand in den Wummen sorgte für Ladehemmungen. Überrashct starrten beide auf ihre jeweilige Schusswaffe. Jacky lud die nächste Patrone und gab einen Schuss ab auf die zur Seite hin wegkrabbelnde Lexi, doch verfehlte um ein paar Meter. Lexi verkroch sich hinter dem Trinkbecken der Pferde und zog den Schlitten der Beretta nach hinten. Er rastete ein und gab den Blick auf die Kugelauswurfkammer frei. Die letzte Patrone war völlig bedeckt mit Sand, klemmte zwischen Schlagbolzen und Rohr fest. So schnell wie möglich fingerte Lexi die Kugel aus der Kammer, pustete drauf, schrubbte sie pber ihre Klamotte, pustete das Rohr durch, ließ zwei Male den Schlitten zurück und nach vorne schnellen - all das während Jacky aus ihrer Deckung - ein noch frischer Pferdekadaver direkt zwischen Pferdetränke und dem nahegelegenen Ein- und Ausgang der Stadt - heraus zwei weitere Schüsse abgab. Selbst wenn die Wumme jetzt fast schon wackelig klang und ihr die Munition ausging, sie konnte nicht irskieren dass Lexi zuerst schießen konnte. Sie war der Gunsmith von Wallis et Fortuna, einer der Schlächter von Fort Palmbay - die •••••••• hatte Eier aus Titan, wenn die Legenden stimmten. Doch bis jetzt war Lexi nichts weiter als eine 40-jährige Schabracke deren Körper nicht mehr bei all ihren Abentuern mitmachen konnte. Jacky hingegen war patriotisch erzogen worden - patriotisch, militärisch (zumindest halbwegs) und immer mit dem Gedanken, dass nur das Commonwealth die Wende bringen könnte in diesem Krieg. Nicht Räuber und Banditen wie die Miller oder all die anderen furchtbaren Individuen, die unschuldige Leute umbrachten für ihr eigenes Wohl. Piraten hatte man diese Leute genannt - nein, lediglich einfache Leute von einfachem Schlage waren das gewesen. Wie Bauern, nur mit weniger Getreide und mehr Prostituierten. Aber selbst die Prostituierten hatten mehr Ehre in sich als diese Miller!
"Mir macht das ja schon Spaß, Miss Miller.", rief sie herüber und lud lautstark die Schrotflinte durch nach dem zweiten Schuss in die Tränke. "Aber so langsam müssen wir das Ganze zu einem halbwegs zufriedenstellenden Ende bringen. Wissen Sie, wie schwer es ist in der heutigen Zeit an Informationen heranzukommen? Wirklich, wirklich, wirklich sehr sehr schwer. Und all diese Arbeit und all dieses Geschieße und Geschrei und all das wofür? Dafür, dass ich hinter einem toten Pferd liege und darauf warte, dass sie Ihren letzten Schuss abgeben. Man nennt mich nicht Jacky 'The Noble' Sartana weil ich von königlicher Abstammung bin..."
"... sondern weil du ein bekackter Snob bist?", wurde sie harsch von Lexi unterbrochen, was sie mit einem weiteren Schrotflintenschuss in die Tränke beantwortete. Aus den zahlreichen Löchern floss trübes Wasser in den Sand, verwandelte die Wüste um den Bottich herum in ein Schlammbad das in der Hitze der Sonne wiederum zu einer tonartigen Masse trocknete.
"Exakt - ich bin zu gut für diese Art von Arbeit."
"Bist du also nicht gerne der Bösewicht?"
"Inkorrekt - ich denke, ein jeder muss ab und an die dunkle Seite seiner Selbst herauslassen um zu imponieren. Es ist primitiv, ja, aber wirkungsvoll, wenn man jemandem vor den Augen seiner Leute eine Machete in den Kopf rammt als wäre dieser eine Kokosnuss. Plus, es macht Spaß, solange man dafür bezahlt wird."
"Aha. Ich glaube, ich könnte dich sogar gut leiden mit einer derartigen Einstellung. Abgesehen vielleicht vom Part mit der Kokosnuss..."
"Oh, im Ernst? Danke. Das ehrt mich! Das mit der Machete, also der Spruch, auf den bin ich ganz alleine gekommen."
"Also haust du nicht Leute Messer in die Köpfe?"
"Oh doch, da war das eine Mal wo ich einem tatsächlich eine Machete in den Kopf gehauen habe - aber er war schon ein Zombie, also zählt das nciht wirklich, denk' ich. Und da war das eine Mal, wo ich einer Frau mit die Brüste amputiert habe weil sie nicht ganz ehrlich mit mir war was, äh, ihre finanzielle Situation anging. Ich mag es nicht, übers Ohr gehauen zu werden."
"Und ich mag es nicht ,wenn man auf mich schießt."
"Das Adrenalin, der Schub, diese Spanung - ich liebe die Augenblicke der Gefahr, vor allem bei SChusswaffen. Es kommt in letzter Zeit so selten vor, dass ich in eine glorreiche Schießerei verwickelt werde. Alles ist so barbarisch geworden mit ihren Äxten und Messern und, es stimmt, es hat irgendwo seinen Reiz. Aber ncihts geht über gehärtetes, stark erhitztes Blei, was mit Überschallgeschwindigkeit durch eine Röhre katapultiert wird und Leute blitzschnell kampfunfähig macht. Plus, es macht um einiges weniger Sauerei als, äh, naja siehe Kokosnuss-Metapher."
"Ich bin auch eher der Fan von Schusswaffen - aber nicht weil es schnell geht, sondern weil ich den Geruch von verbranntem SChwarzpulver liebe. Und ich liebe es Waffen auseinanderzubauen und zu modifizieren. Das.... es hat was von Vollkommenheit für mich, weißt du, etwas Meditatives."
Ein paar Sekunden lang herrschte Funkstille zwischen den beiden Frauen.
"Bereit?"
Der Schlitten der Beretta schnellte nach vorne, die Waffe war geladen. Entsichern. Schonmal in Bereit-Stellung vor die Brust halten...
"Ich wurde bereit geboren."
Zwei Schüsse fielen in dem Moment, als die beiden Frauen aus ihren Deckungen hervorkamen. Die Schrotflintenschrapnelle trafen Lexi in den Bauch, durchsiebten ihre Lunge und ihren Darm, während Jacky mit einem Bauchschuss nach hinten hin zu Boden fiel und liegen blieb. Ein paar Sekunden lang blieb Lexi stehen, blickte auf den leblos da liegenden Körper der jungen Frau im Anzug, bevor sie ihre Augenlider schloss und nach vorne hin in den Sand fiel.
Ein echt cooler Tod eben.
Soviel Geschnatter und Gerede und all die lauten Geräusche von ihrem Atmen und-
Mit Schnappatmung erwachte Jacky und sah in die Runde. Da waren zehn Leute, allesamt in rudimentärer Alltagskleidung - meist braun- oder beigefarbene Stoffroben, hier und da trugen welche Sonnenbrillen gegen die Sonneneinstrahlung - und wuselten um sie herum. Hatten sich Schrotflinte und Beretta geklaut, verarbeiteten deren Einzelteile wohl gerade in einer primitiven Schleifmaschine oder ähnlichem. Jacky hingegen stand auf, fummelte im Aufstehen vor sich im Sand und fand tatsächlich ihre Sonnenbrille, ohne die sie quasi blind war in der Wüste. Sie setzte sie im Aufstehen auf und schaute hinüber zu fünf Typen, die Lexis Leich vom Boden aufhoben und im Begriff waren, die wegzutransportieren.
"Haltet ein! Lasst die gute Frau Doktor mal kurz gucken ob es der toten Patientin wirklich gut geht.", rief die Kopfgeldjägerin und stapfte zu ihnen. Diesmal tastete sie mit der nicht behandschuhten Hand nach einem Puls am Hals. Doch da war nichts. Lexis Augen starrten nach oben hins Leere, um ihrem Mund herum war verkrustetes Blut zu erkennen - diese Frau war offiziell nicht mehr am Leben.
"Okay, tot, sehr gut. Und ab dafür.", sagte sie und winkte in die grobe Richtung des Dorfplatzes, wo man fünf oder sechs weitere Leichen vom Boden aufsammelte. Die Tatsache, dass niemand nach ihr suchte in dieser Stadt oder nicht nach ihr suchen wollte, gab ihr irgendwie zu denken. Auf der anderen Seite war es wahrscheinlich der Anzug, vor dem sie alle Schiss hatten. Anzüge bedeuteten Ärger. Anzüge bedeuteten Authorität. Anzüge bedeuteten "Diese Person trägt einen Anzug und darf entsprechend nicht herablassend behandelt werden.". Sie stapfte zurück zum Üferdekadaver und hob die papierne Akte auf, die sie im Feuergefecht hatte fallen lassen. Oben auf im Papierhaufen lag eine Liste mit Informationen zu Lexi Miller. Körpergröpße, Haarfarbe, religiöse Ausrichtung, Rang beim MIlitär und ihre Rolle beim Massaker von Palmbay. Und nun konnte sie mit ihrem Daumennagel ein Kreuz auf Lexis Foto machen, um die Mission als Erfolg zu kennzeichnen.
Sie würde zurückkehren müssen, um noch mehr Informationen zu sammeln.
Es gab viel zu tun. Viel zu viel. Aber dafür war sie da. Sie machte die Arbeit die sonst keiner machen wollte.
Sie trug einen Anzug. Und sie war die einzige Normale im Outback.
Ihr Name war Jacky "The Noble" Sartana. Und sie war Britin.
Das Blöde war nur, dass sie ihren Auftrag nicht zufriedenstellend erfüllt hatte.
Ein Röcheln, ein lautes Aufatmen, ein verschwommenes Gesicht vor ihren Augen, Druck auf Brust und Bauch, und das erste Wort seit ein paar Minuten totaler Schwärze:
"Fuck...!"
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Geändert von T.U.F.K.A.S. (07.03.2014 um 08:43 Uhr)
Es war wie in den ganzen „Filmen“, die er sich damals so gern anschaute. Ihre Stimmen waren hoch, sie quietschten, kniffen die Augen zusammen oder sie hielten ganz still. Sie ließen ihn einfach machen, ohne ihn wissen zu lassen, ob sie es wirklich mochten oder nicht. Aber das war ihm auch egal, was sollte es ihn kümmern?
Er konnte sein Leben schlichtweg genießen mit Karten, Kricket und Alkohol… viel gab es hier wirklich nicht zu tun. Aber wenn man die Dienstmädchen mit einbezieht.
Jack liebte es. Liebte sie. Sie alle. Jeden Tag. Jede freie Minute. Lange genug hatte er seine Furie von Mutter ausgehalten, den strammen Drill der vermutlich stockschwulen Sergeants der ADF. Jetzt war die Zeit gekommen, das Leben zu genießen.
Er. 20 Dienstmädchen. Die paar Bälger und seine geliebte Susie. Sie war so viel besser als all die Schreckschrauben, die sein Leben bis zu der großen Katastrophe (oder dem „vom Himmel gesandten Glücksfall“, wie er es gerne nannte) bestimmten. Seine Mutter, seine Frau, das widerspenstige Biest namens Helena, welche, dank ihm, einen Job am Flughafen von Sydney hatte und es ihm nie dankte… undankbarer Unfall.
Einzig Susie, die treue, liebevolle, knallharte, qualmende Susie. .44er Magnum, Colt Anaconda, 35cm rostfreier Stahl. Susie war seine einzig wahre Liebe und die einzige Schusswaffe weit und breit. Und das war auch gut so.
Das hohe, quietschige Stöhnen nahm wieder zu, holte ihn von seinem Gedankenausflug zurück. Ohne zu zögern fing er an, sein Becken mit harten, kraftvollen Stößen rauf und runter zu hämmern.
Diese Phillipinos waren aber auch einladend… und es war Zeit zu beenden, was er angefangen hatte.
_________________________
Die gestrige Nacht war anstrengend, aber befreiend. Jetzt war nichts schöner als bei einer Tasse Tee, Bisquites und „feinem“ Besuch zu entspannen.
„Sie… scheinen nicht schockiert?“
„Sollte ich?“
„Sir, sie war eure Mutter.“
„Sie war die Frau, aus der ich rausrutschte. Jetzt ist sie eingeschlafen… für längere Zeit. Gibt es Dinge auf Gottes wunderschönen Erden, die erstrebenswerter sind?“
„… Nein Sir. Ein friedlicher Tod is…“
„Wer hat den hier von friedlichen Toden gesprochen? Sie kannten meine Mutter wohl nicht. Der Tod hat der Welt einen Gefallen getan, ihre Seele dahin zu befördern wo sie hingehört. In die sieben Zirkel der Hölle.“
„…“
„Warum so stumm, Corporal Sheng?“
„Nichts. Sir. Ich bin nur überrascht von…“ Shengs ausladende Handgeste ließ nicht lange daran zweifeln, was er meinte.
„Diese Insel? Ja, wundervoll, nicht wahr? Gehörte einem Industriebaron. Hab die Leiche seiner Frau im Heizungskeller gefunden. Hat sich aufgehangen. Er hat sich im Gästezimmer erschossen. Kurz nachdem er meine süße Marilou gebummst hatte. Seine Alte hat ihn erwischt und beide konnten vermutlich nicht so richtig damit leben. Gott sei Dank gibt es ja ehrenwerte Menschen wie mich, die dafür Sorge tragen, dass so ein schickes Domizil wie dieses hier nicht den Bach runter geht.“
Schickes Domizil war eine Art es zu beschreiben. Protziger, verschnörkelter, altbackener und kitschiger Palast, der einen in das 18. Jahrhundert zurückversetzte eine Andere. Es war ein Ausflug in die Vergangenheit, in eine Zeit, in der reiche, englische Lords beim 5 o’clock Tea zusammensaßen und sich von jungen Einheimischen bedienten ließen. Also exakt die Art von Leben, die Jack nun führte.
„Das ist aber reichlich… makaber.“
„Nein, nein, wissen sie was makaber ist? Das Jack XIV. vor Jack XIIV. geboren wurde. Das ist furchtbar! Das zerstört die ganze Ordnung. Und das nur, weil Marilianne 15 Stunden länger in den Wehen lag als Marianne.“
Sheng wurde bleich. Der Typ war durch. Alleine sein Auftreten hätte ihm das sagen müssen. Er sah nicht mehr aus wie ein Angehöriger ihrer Sache. Eher wie ein verrotteter Landstreicher. Mit ausgeprägtem Hang zum Narzissmus.
„Sie…?“
„Natürlich! Irgendwer muss die Welt doch bevölkern und sie sehen es doch selbst. Dieser Ort ist perfekt, mein Genie, mein scharfes Auge… wenn jemandes Gene weitergegeben werden sollte, dann wohl meine.“
Auch die Tatsache, wie er ständig den protzigen Revolver streichelte, der auf dem Marmortisch lag. Direkt neben der Teetasse, die vollkommen leer war, aus der Jack jedoch ständig einen Schluck zu trinken nahm. Der war durch. Vollkommen durch.
„Wenn sie mich jetzt entschuldigen würden Corporal, mein 6 Uhr Termin wartet auf mich.“
„Termin? Aber… was für Termine müssen sie denn hier einhalten… Sir?“
„Na, Josephine natürlich. Was denken sie den? Irgendwer muss sich doch um diesen Körper kümmern.“
Jack stand auf und griff seinen Revolver, verstaute die Waffe im Holster unter seinem mit Blümchen gemusterten Bademantel.
„Sie wissen was sie zu tun haben Corporal? Susie mag keine Enttäuschungen.“
Sheng schluckte. Er hatte keine Ahnung, warum man diesen Wahnsinnigen hier tun und machen ließ, was er wollte. Aber er stellte keine Fragen mehr, er nickte zaghaft. Er wusste… gerade weil Jack den Bezug zur Realität verloren hatte, dass er gefährlich war. Sehr gefährlich.
„Sehr gut. Laden sie alles am Kai ab. Die Mädels werden sie um alles Übrige kümmern.“
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Vollkommene Entspannung zog sich über das Gesicht des Wahnsinnigen. Unter der blubbernden Wasseroberfläche war nur der schwarze Schopf Josephines zu sehen. Wie sie das immer machte… er hätte das gar nicht gekonnt. Die ganzen Blasen des Whirlpools würden ihn doch total verrückt machen. Blasen alleine war für ihn ja schon undenkbar. Aber das musste er zum Glück ja auch garnicht! Er hatte ja Josephine. Und Marilou. Und Marianne. Und Michelle. Und Jennifer. Und Christine. Und Joan. Und… ach… halt. Er strich Joan von seiner geistigen Liste. Die war furchtbar. Die wollte er nur von hinten, um nicht ihr Gesicht zu sehen. Dieser Überbiss… ach herrje, wie sie ihn immer damit anschaute… wie ein treues Pferd. Nur reiten konnte er sie nicht. Ihr Rücken war kaputt vom vielen Tragen… naja, auch egal.
Aber jaja… Marilou, Marianne, Michelle, Jennifer, Josephine und Christine, die wussten was Sache war! Die hatten, wortwörtlich, von Tuten und Blasen die absolute Ahnung. Aber genug davon… er musste eine Welt retten. Ruppig griff er unter die Wasseroberfläche, packte Josephine im Nacken und zog sie nach oben, sie wusste, was sie zu tun hatte und tat es, denn der Revolver lag immer in Jacks Nähe und sie war allein mit ihm. Das war sowieso Regel Nummer 1 in diesem Haushalt. Immer nur eine gleichzeitig. Er betrieb hier ja keinen Hochleistungssport.
Oder war das Regel Nummer 2? Vielleicht auch Nummer 74. Wer wusste das schon? Er war ja nur Hausherr, nicht der Jurist. Den gab es nämlich nicht. Deswegen wusste es ja niemand.
Sein Vater hingegen hätte sowas gewusst. Sein Vater war ja im Grunde auch seine Mutter. Mit Anhang und in schlimm.
„Sir…“
„HALT DIE SCHNAUZE! HALT EINFACH DIE SCHNAUZE UND MACH FERTIG. ICH BEZAHL DIE NICHT FÜRS REDEN! ICH BEZAHL DICH NÄMLICH ÜBERHAUPT NICHT!“
Josephines Gesichtsausdruck versteinerte sich. Sie drückte nur noch ihren nackten Körper an die haarige Brust von Jack und setzte sich langsam auf seinen Schoß.
„Braves Mädchen.“
Jack war wieder zufrieden und was machte ein so zufriedener Mann wie Jack einer war? Er schaute sich natürlich um! Ein verdammter Whirlpool, auf dem verdammten Balkon, einer verdammten Villa, auf einer verdammten Insel, mitten im verdammten Pazifik.
Er schaute sich um… schaute über das Stückchen Land, welches er sehen konnte. Die Kinder spielten Kricket.
Da war Jack II., Jack I. war natürlich er selbst, Jack V., Jack VI., Jack XI… und sie.
Er hasste sie.
Sie… war falsch hier. Wie konnte sie passieren? Natürlich wusste er wie sie passiert ist, aber warum zum Teufel passierte sie?
15 Söhne und eine Tochter. Ein einziges Mädchen hüpfte zwischen den 15 Knaben herum, die ihm fast alle wie aus dem Gesicht geschnitten waren.
Sie…
Scheissregen …, murmelte eine mürrische Stimme. Celina erwiderte nichts. Die Tropfen hatten bereits vor einer ganzen Weile aufgehört, vom Himmel zu fallen und sogar ein paar vereinzelte Sonnenstahlen waren an diesem Morgen zwischen den Wolken hervorgebrochen.
Dennoch fand die hellhaarige Britin die Tatsache, dass es beinahe unmöglich war, ein Feuer zu entzünden, mindestens genauso beklagenswert wie ihre lauthals fluchende Wahnvorstellung es tat. Im Regen nass zu werden war eine Sache, aber dann auch noch morgens mit klammer Kleidung aufzuwachen und keine richtige Wärmequelle zu haben, war eine ganz andere.
Und dazu kamen nun auch langsam ein leichtes Pochen im Schädel und ein Kratzen im Hals. Nun, immerhin sind wir seit Tagen keinen Untoten mehr begegnet, meinte Celina schließlich hoffnungsvoll. Oh verdammt, sag das bloß nicht zu laut! Ich wette, die Viecher hören solche Sprüche noch Lichtjahre entfernt… Jetzt bist du aber paranoid, Will. Sagt die Prinzessin zu der Stimme in ihrem Kopf. Der übrigens wehtut. Tu mal was dagegen! Und was genau schlägst du vor? Ich bezweifle, dass wir hier eine Apotheke finden werden. Was weiß ich. Sprich doch mit deiner Krankenschwesterfreundin oder so!
Shelley schien bereits seit einer Weile wach zu sein.
Verwunderlich war das nicht, denn auch im provisorisch errichteten Lager mitten in den Wäldern Chinas war es nicht gerade einfach einen trockenen, geschweige denn einen warmen oder komfortablen Schlafplatz zu finden. Und trotz des Mangels an störenden Untoten herrschte immer noch eine gewisse Anspannung in der Gruppe. Schließlich war jedem bewusst, dass es nur eine Frage der Zeit sein würde, bis man ihnen erneut begegnen würde.
Das alles lud nicht gerade zum langen Schlafen ein.
Mit einem, den Umständen entsprechend trotzdem sehr freundlichen Lächeln, wünschte Celina der jungen Ärztin einen guten Morgen und fuhr dann fort:
„Shelley, hättest du rein zufällig in deinem Koffer irgendetwas gegen Kopfschmerzen? Oder Halsschmerzen? Das Wetter scheint mir etwas zugesetzt zu haben. Aber ich glaube nicht, dass es etwas Schlimmes ist“, fügte sie rasch hinzu. „Es ist nur etwas unangenehm.“
*****
Shelley hatte gefühlte Ewigkeiten gebraucht, um den Schock zu verarbeiten, den der Höhepunkt ihrer Expedition hinterlassen hatte. Gefühlte Ewigkeiten. In Wirklichkeit waren es nur wenige Tage. Und wenn sie ehrlich war, hatte sie das alles längst verdaut. Das war das viel größere Problem.
Trotz all dem Ärger, den sie empfunden hatte, als sie Ivans Leiche dort am Boden liegen sah, war sie glücklich gewesen, überhaupt so stark fühlen zu können. Inzwischen rang ihr das Geschrei von Tag 1 nicht mehr als ein müdes Lächeln ab. "Wie scheiß bescheuert muss das fucking Militär sein, um diese Massenvernichtungsscheiße 'Heilmittel' zu nennen?", hauchte sie nun leise zitierend Worte, die vor ein paar Tagen noch energisch waren. Die Mundwinkel schoben sich schmunzelnd nach oben, was ihren Körper wieder erwachen ließ und die Kälte zurückbrachte. Sie zog die Beine heran und legte die Arme um sich.
Wenn nicht jetzt, wann dann? Es wurde Zeit, Lexis Rat vom Anfang ihrer gemeinsamen Reise in die Tat umzusetzen. Sie brauchte ein Ziel. Irgendeinen Traum, dessen Verfolgen ihr mehr bot, als das bloße Überleben. Die Lethargie hinterließ nicht nur das Gefühl von langsam herannahenden Depressionen, sondern stellte auch eine Gefahr für andere dar. Wenn sie wieder spontan aus den immer gleichen Mustern ausbrechen wollte und das Wohl einer Gruppe riskieren würde, im festen Glauben daran, etwas Gutes zu tun. Ivans Zeit war gekommen, wie die Zeit des Wärters damals. Und sie konnte nur von Glück sagen, das ihr intuitives Handeln nicht wieder Menschen das Leben gekostet hat.
Sie müsste vollkommen aus der Leere hinaus. Nicht in einem kurzfristigen Sprung, der sie nur stolpern ließ und dann doch nichts veränderte. Nein. In einem langen Prozess, der sie in das echte Leben zurückbrachte. Und jetzt - da sie in den vergangenen Wochen die Vorzüge einer Gruppe genießen durfte - wollte sie diesen Weg nicht mehr alleine gehen.
„Shelley, hättest du rein zufällig in deinem Koffer irgendetwas gegen Kopfschmerzen? Oder Halsschmerzen? Das Wetter scheint mir etwas zugesetzt zu haben. Aber ich glaube nicht, dass es etwas Schlimmes ist. Es ist nur etwas unangenehm.“
Celina. Die Britin kam wie gerufen. Vielleicht würde sie ja diejenige sein, die sie auf ihrem Weg begleitet. Wenn sie das noch wollte.
"Na-iickh!", begann die gebürtige Texanerin krächzend und hustete dann unwillkürlich. Ein kurzes Schmunzeln folgte. "Nein, tut mir Leid!", warf sie nach einer kurzen Pause mit dem leicht rauchigem, nicht verschwinden wollendem Unterton in der Stimme hinterher. "Ich habe leider so gut wie Nichts mehr."
Sie stand anschließend auf, einerseits um nicht unhöflich zu sein und andererseits, um die Beine wieder durchstrecken zu können. Bewegung war vielleicht das einzige Gut, welches einem in diesen Tagen nicht genommen wurde - auch, wenn es immer schwerer fiel.
Ein, zwei Schritte ging sie von Celina weg und beugte sich dann im Stehen nach unten, um einen kontrollierenden Blick in beide ihrer Taschen zu werfen, nicht sicher, ob ihre Erinnerung ihr wegen des Schlafmangels und der Erkältung nicht einen Streich spielte. Doch Nichts. Nichts von akutem Nutzen jedenfalls. Ein paar dreckige Verbände, das medizinische Werkzeug, das sie aus Komfortgründen aus dem schweren Koffer genommen und in die Beutel verfrachtet hatte, die schmutzige Kleidung von vor Wochen und den kleinen Hefter mit dem Bild, das Aimee gemalt hatte. Wieder ein kurzes Schmunzeln.
Mit knackenden Gelenken und schmerzendem Rücken erhob sie sich und drehte sich wieder zur Europäerin. "Nein, tut mir Leid!", sagte sie, etwas näher tretend und sich nicht mal der Tatsache bewusst, dass sie sich bereits entschuldigt hatte. Vermutlich war ihre eigene Verfassung - das Husten, das Schniefen, der Gang einer alten Frau - Anzeichen genug dafür, dass sie nichts mehr besaß, was half.
Mit einem müden Lächeln blickte sie Celina an, musterte sie und stellte fest, dass es ihr nicht wesentlich besser gehen dürfte, als Shelley selbst. "Wir sollten langsam weiterziehen, oder? Lange wird das hier nicht mehr gehen. Und es ist so trostlos. Brauchen wir nicht irgendein Ziel?", führte sie aus und hörte in Gedanken schon Celina spöttisch über die Vorstellung lachen, dass sie einen gemeinsamen Weg hätten.
*****
Die junge Ärztin sah selbst nicht sonderlich gut aus, das musste Celina zugeben.
Ha, zumindest sind wir nicht die Einzigen, denen es dreckig geht. Dafür, dass es dir so schlecht geht, bist du aber noch ganz schön gesprächig. Anders erreicht man ja bei dir nichts, Prinzessin. Es sieht aber auch nicht gerade danach aus, als würde es gerade helfen.
„Wer weiß, vielleicht müssen wir uns nur noch ein paar Monate überleben bis es wieder Apotheken gibt“, meinte Celina, in dem etwas kläglichen Versuch, aufmunternd zu klingen.
Sie schwieg einen Moment lang verlegen und fügte dann nachdenklich hinzu:
„Aber ein Ziel – das wäre wirklich gut zu haben.“
Ein Ziel, das man vor Augen hatte, dem man entgegenkrabbeln konnte, das einem von beginnenden Erkältungen ablenkte.
Ja, das würde Celina gefallen.
„Weißt du, Shelley“, sagte sie schließlich. „Ich habe mir komischerweise nie Gedanken darüber gemacht, wohin ich möchte.
Und ehrlich gesagt weiß ich es immer noch nicht.
Ich habe irgendwie den Eindruck, dass es völlig egal ist, welche Richtung man einschlägt. Immer findet man nur mehr Zerstörung und mehr Untote.“
Gedankenverloren blickte sie ins Dickicht des Waldes, als könne sich dort jeden Moment ein breiter Pfad in ein besseres Leben offenbaren.
„Und außerdem“, fügte die junge Britin hinzu, „weiß ich ja noch nicht einmal, ob und wo da draußen noch jemand übrig ist, von meinen Angehörigen …“
Ihre Mutter? Ihr Vater?
Derek?
Überall auf der Welt konnten sie mittlerweile sein, tot, lebendig oder dazwischen.
Mit einem Mal wurde Celina bewusst, was sie gerade gesagt hatte und mit einem beschämten Auflachen fuhr sie fort: „Ach, es tut mir Leid. Du machst dir Gedanken über ein Ziel und ich sage nur, dass es keins gibt. Ich bin wirklich nicht sonderlich hilfreich.“ Selbsterkenntnis ist der schnellste Weg zur Besserung, Prinzessin. Ja, Will, und wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen!
*****
Ein kurzes, ehrliches Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht. Es war sicher nicht die feine englische Art, so zu grinsen, wenn Celina gerade erst beschämt zugegeben hatte, dass sie kein wirkliches Ziel zu haben schien, doch Shelley war schließlich auch nicht die Britin unter den beiden.
"Ich habe auch kein Ziel!", sprach sie dann offen und hoffte, dass das eine gewisse Aufmunterung für die Diplomatentochter bedeutete. Gemeinsam kein Ziel zu haben wirkte doch gleich weniger bedrohlich, fand zumindest die ehemalige Kamerafrau. "Also... ich habe oft überlegt. Mal... mal wieder nach Hause, oder so. Aber, dann... ich meine. Das Ziel wäre dann vielleicht, Eltern oder alte Freunde wieder zu finden, aber das erscheint mir komisch. Am Ende findet man eh nur raus, dass..."
Sie ließ eine kurze Pause folgen und sah Celina prüfend an, beließ es dann dabei. Dank der seltenen und wenigen Hygienemöglichkeiten, der gesundheitlich eingeschränkten Verfassung von jedem hier und der allgemein frustrierenden Lage und Situation war niemandem mehr anzumerken, wie es ihm wirklich ging oder wie er auf Dinge reagierte. Sie müsste jedoch nicht riskieren, die Engländerin auf die hohe Wahrscheinlichkeit anzusprechen, dass ihre Angehörigen inzwischen sicher entweder Zombies oder Zombiefutter geworden waren, auch wenn sie ja selbst bereits zu verstehen gegeben hatte, dass sie von diesem Umstand bereits wusste. Dennoch - nicht jeder war so ein emotionaler Eisblock wie Shelley selbst.
Und außerdem hatten es andere ja auch geschafft. Andrea war nach wie vor unterwegs und mache die Welt unsicher - gut, schlechtes Beispiel. Die Zombieapokalypse war nicht hart genug für Andrea.
Ian. Ian war ein gutes Beispiel. Das größte Mädchen unter den Männern. Ein kurzes Grinsen, halb witzelnd, halb sehnsüchtig. Aber selbst er hatte es geschafft.
Und dann war da noch sie. Sie hatte es immerhin auch geschafft und war nie eine große Survival-Künstlerin gewesen. Dennoch hat sie sich im Hole als "Ärztin" einen Namen gemacht, sich erfolgreich einer Gruppe angeschlossen, als Camp Hope nicht mehr sicher war, ist mit einem Speer über Zombiehorden und über - oder besser auf - Felsen gesprungen, hat ein Piratenlager geplündert, ein Schleusentor zur Flucht geöffnet und schließlich zusammen mit nicht mal 15 weiteren Überlebenden das angebliche Heilmittel gefunden, das vielleicht dazu in der Lage ist, einigen - oder vielen - Menschen das Leben zu retten. Natürlich gelang ihr das alles nicht ohne Hilfe. Aber Hilfe hatte man nun mal... auch ihre Eltern und Freunde. Auch Celinas Eltern und Freunde
"Ich glaube, das ist eine gute Idee!", beendete sie schließlich ihre Gedanken laut und blickte Celina dabei richtig stolz an, die natürlich nicht ahnen konnte, worauf sie aus war. "Ich meine... einfach mal ein Ziel. Viel gibt es in dieser Welt nicht mehr und es sterben viele Menschen, klar. Aber wir haben es ja auch geschafft, also sollten wir nach denen suchen, denen es vielleicht genau so geht."
Die Gedanken hatten ihr etwas Mut gemacht, der sie zumindest für den Moment ein wenig aufblühen ließ. Das musste genutzt werden. "Mein Kopf ist dicht und dominiert von einem krankheitsbedingten Dröhnen, Hunger und dem Wunsch nach einem heißen Bad in einer großen, quadratischen Marmorbadewanne, die eigentlich viel zu groß für eine Person alleine ist, deren Wasser mit nach Jasmin duftendem Badeschaum ich aber trotzdem niemals mit jemand anderem teilen würde ...ääh... das heißt, ich bin total vernebelt und weiß natürlich sowieso nicht, wie die Welt aussieht. Aber ich möchte mich auf die Suche nach Menschen begeben, die ich kenne und mich auf der Suche nach diesen Personen, von denen ich mich irgendwann getrennt habe, nicht wieder von Personen trennen, weißt du?"
Wasser hätte ihr ganz gut getan. Auf der einen Seite, um es zu trinken und damit vorrangig ihr Gequatsche zu stoppen und auf der anderen Seite, um es sich schwungvoll ins Gesicht zu klatschen und einen klaren Kopf zu bekommen, ihre Gedanken etwas ordnen zu können und dann noch mal in Ruhe das zusammenzufassen, was sie meinte. Doch es müsste auch ohne Wasser gehen.
Mit leicht zusammengekniffenen Augen - so fiel ihr die Konzentration leichter - atmete sie einige Male durch und begann dann einen neuen Satz, wesentlich langsamer vorgetragen als noch zuvor. "Wir sollten nach den Menschen suchen, die wir vermissen, und das nicht alleine. Ich begleite dich und du begleitest mich." Sie sah einen Moment durch Celina hindurch, schob die Lider für wenige Sekunden entspannt über die Augen und öffnete sie dann wieder, um die junge Frau zu fokussieren.
"Was denkst du?"
*****
Celina war unschlüssig, was sie dazu sagen sollte.
Natürlich wollte sie die Vermissten finden.
Aber das war so schwer, wenn man überhaupt nichts wusste.
Schließlich sagte sie, wenig überzeugend:
„Das ist eine gute Idee.“ Im selben Moment wurde ihr bewusst, wie das in Shelleys Ohren klingen musste und lächelte entschuldigend.
„Nein, ich finde wirklich, dass es eine gute Idee ist.
Keine von uns beiden wäre allein und wir hätten immer etwas, auf das wir zusteuern könnten.
Das wäre großartig, und das meine ich ernst“, fügte sie ernsthaft hinzu.
Dann blickte sie zur Seite und sagte leise:
„Aber das Suchen ist einfach so schwer, wenn man nicht weiß, wo man anfangen soll.
Weißt du, mein Vater war so oft auf Reisen, dass ich nicht einmal den Hauch einer Ahnung habe, wo er sich aufhielt als das alles begann.
Und auch so könnten sich meine Mutter, Derek und auch Blanche irgendwo zwischen Neuseeland und Großbritannien befinden – oder ganz wo anders.“
Blanche? Habt ihr nicht gerade von Menschen geredet? Mir zieht sich der Magen zusammen, wenn ich daran denke, was einem kleinen Welpen alles passiert sein könnte! So klein war sie doch gar nicht mehr. Wahrscheinlich ist sie jetzt ein kalbsgroßer Zombieschlächter. Ich weiß ja nicht …
Ein wenig ärgerlich schüttelte Celina den Kopf, um ihre unerwünschten Gedanken ein wenig beiseite zu schieben.
Dann sah sie Shelley verlegen an.
„Uhm, Blanche ist mein Hund. Um sie sollte ich mich wohl nicht so sehr sorgen …“
*****
Die Britin hatte mit ihren Worten eine nicht enden wollende Gedankenkette in Shelleys Kopf angestoßen. Es mochte wohl an ihrer schlechten Verfassung liegen, dass es ihr einfach nicht gelang, Überlegungen abzuwehren. Jeder ansonsten noch so geringe Hirnaufwand kam ihr gerade wie eine enorme Belastung vor.
Als sie schließlich doch die schier endlose Überlegung ad acta legte, wie wohl Hunde auf den Zombievirus reagierten - sie konnte sich jedenfalls beim besten Willen nicht daran erinnern, jemals einem untoten Tier begegnet zu sein, wenn sie seit dem Outbreak in Australien überhaupt Tieren begegnet war -, wandte sie sich wieder Celina zu, lächelte dabei, auch froh darüber, den Kopf frei zu haben.
"Meine Eltern haben der Heimat immer so einen gigantischen Stellenwert beigemessen!", erinnerte Shelley sich grinsend und formte beim Wort "Heimat" mit den Fingern imaginäre Gänsefüßchen. "Die haben nie verstanden, wie ich überhaupt daran denken konnte, Houston zu verlassen. Und ich kann - oder... besser konnte - mir nicht ansatzweise vorstellen, dass die beiden wegen irgendwas die Heimat verlassen würden." Ein kurzes Lachen folgte. "Aber jetzt ist das irgendwie ein bisschen was anderes. Heimat ist temporär und immer da, wo es am sichersten ist, selbst für die größten Patrioten." Die Texanerin brauchte einen Moment, um zu realisieren, dass sie mit jemandem sprach und nicht in einem gedanklichen Monolog mit sich selbst war.
"Auf der anderen Seite ist Texas vielleicht wirklich der Ort, wo es am allersichersten ist, jedenfalls jetzt. Der Tank mit dem Heil...mittel ging ja nach Corpus Christi und das ist immerhin nur einen Katzensprung von zu Hause entfernt." Katzensprung. Katzen. Wieder Tiere.
Fast symbolisch schüttelte Shelley ihren Kopf leicht und war angenehm überrascht, dass das zu funktionieren schien. "Jedenfalls wäre das der Ort, an dem ich irgendwann gucken würde. Vielleicht ist deine Familie ja auch da, wenn sie irgendwie davon hören, was passiert." Sie nahm sich fest vor, Celina bald zu fragen, wer wohl Derek war. Dann, wenn sie sich wieder aufnahmefähig fühlte.
"Und wenn wir Richtung Westen reisen, schauen wir vorher noch in Großbritannien vorbei." Das hörte sich aus ihrem eigenen Mund so verdammt einfach an, doch selbst mit dem geringen Maß an Fantasie, die ihr kranker, müder Kopf gerade zu Stande brachte, war es nicht schwer, sich auszumalen, dass es ein weiteres Wunder benötigen würde, um überhaupt gesund und lebend in Texas anzukommen.
*****
Celina musste bei dem letzten Vorschlag unweigerlich lächeln.
Es war absolut unwahrscheinlich, dass sie England jemals wiedersehen würde, doch Shelleys Aufmunterungsversuch stimmte sie doch etwas froher.
„Nun, das klingt nach einem Plan. Ich hoffe, dass du einen Pilotenschein hast, falls wir ein Flugzeug finden?“, sagte sie, halb ernst, halb scherzhaft.
Also vermutlich halb Celina, halb Will, aber das würde Shelley wohl nicht auffallen.
Es sei denn, sie konnte ihren Geist lesen, aber das wollte Celina gar nicht in Erwägung ziehen …
Als sie bemerkte, wie ihre Gedanken wieder abschweiften, fuhr sie nachdenklich fort:
„Aber du hast recht. Es ist schon seltsam, welchen anderen Stellenwert das Wort Heimat angenommen hat.“
Sie lachte verlegen.
„Als ich mich mit Derek auf die Reise gemacht habe, hatte ich ab und zu wirklich Heimweh.
Aber seit meiner Zeit in Camp Hope war mein größtes Anliegen, am Leben zu bleiben und vielleicht irgendwann, irgendwo Derek oder meine Familie wiederzutreffen.“
Sie zögerte und fügte etwas schuldbewusst hinzu:
„Und in letzter Zeit eher Ersteres als Letzteres, um ehrlich zu sein.“ Und das ist auch gut so. Wäre echt nicht zum Aushalten gewesen, wenn du die ganze Zeit auch noch um dein Zuhause und deine Liebsten geheult hättest. Und getötet hättest du uns wahrscheinlich auch noch.
Celina schenkte ihrem imaginären Freund keinerlei Beachtung.
Stattdessen schaute sie Shelley direkt in die Augen und sagte:
„Vielleicht sollten wir wirklich nach Corpus Christi reisen.
Von hier aus ist es immerhin nicht so weit nach Amerika …“ Du warst keine Blende in Erdkunde, was?
„… und vielleicht erreichen wir ja bald die Küste und damit ein Schiff.
Vielleicht gibt es auch andere, die das Meer überqueren möchten.
…
Also, eigentlich hasse ich Schiffe, aber das kann ich bestimmt irgendwie überwinden.“
Mit einem Schiff würden sie wohl reisen müssen, das wäre noch das am Wahrscheinlichsten auffindbare Transportmittel.
Also malte sie sich aus, wie es wohl wäre, in Texas anzukommen und fuhr ein bisschen schwärmerisch fort:
„Wer weiß, vielleicht haben wir dann bald wieder heiße Bäder, sichere Wohnorte – und Tabletten gegen Kopfschmerzen.
Und bestimmt wird sich das Wort verbreiten, dass es dort wieder aufwärts geht.
Vielleicht werden unsere Angehörigen dann auch dorthin kommen …“
Glaubst du das im Ernst!? Es ist immerhin eine Möglichkeit. Du bist ziemlich naiv, weißt du das, Prinzessin? Bisher bin ich doch ganz gut damit zurechtgekommen, oder? Sei froh, dass du mich hast, so gibt es immerhin einen Funken gesunden Menschenverstand in deinem Kopf. Und denk mal drüber nach, was es bedeutet, wenn eine Halluzination das zu dir sagt. Danke Will, ich liebe dich auch. Das solltest du auch besser.
Erneut unterbrach Celina ihren inneren Dialog und schaute Shelley erwartungsvoll an.
*****
Shelley nickte breit grinsend. "Wenn sich das Wort nicht von alleine verbreitet, dann helfen wir eben nach." Ihr Inneres wurde stetig wärmer, zumindest gefühlt. Die Motivation war als eine Welle angenehmer Hitze zu spüren, die sich in ihrem Bauch immer mehr ausbreitete. So musste auch Columbus sich gefühlt haben, als er zwar ins Ungewisse aufbrach, aber doch ein Ziel hatte und dabei ihr Heimatland entdeckte. Das müsste sie ihm nachmachen.
Die Zeit der Lethargie und Ziellosigkeit sollte jetzt jedenfalls vorbei sein. Texas. Heißes Bad. Das waren ihre Ziele. Es war womöglich etwas seltsam, dass das heiße Bad klar an oberster Stelle ihrer Prioritäten stand, aber dann auch wieder nicht. Trotz dem, was sie über Corpus Christi wusste - und das war schließlich auch nicht viel - war es doch eine Reise ins Ungewisse. Bei einem heißen Bad wusste man, was man bekommt. Ein heißes Bad eben.
"Es wird sicher toll!", sagte sie dann wieder laut und klang dabei ebenso schwärmerisch wie zuvor schon Celina. "Ich habe auch sch...z-ziemlich viele Fragen an dich. Ich weiß ja gefühlt noch nichts über dich", kündigte sie bereits an, doch wusste, dass die Britin sich nicht ansatzweise vorstellen konnte, was es bedeuten würde, wenn Shelley nach all den nahezu stummen Jahren wieder jemanden zum Austausch hatte. Doch auch die Diplomatentochter schien in all der Zeit ja das Bedürfnis entwickelt zu haben, sich jemandem mitzuteilen.
"Und dann retten wir von Texas aus die Welt!", grinste sie in Vorfreude, bevor sie ihre Gedanken und Ausführungen endlich abschloss.
"Also Corpus Christi!"
*****
„Unbedingt!“, erwiderte Celina, die nun nicht anders konnte, als das Grinsen zu erwidern.
Und seltsamerweise fühlte sie sich gar nicht dumm dabei.
Ja, sie fühlte sich im Augenblick sogar so beschwingt, dass sie nicht widerstehen konnte, Shelley auf die Schulter zu klopfen und mit einem Augenzwinkern zu sagen:
„Und immerhin hat so eine lange Reise auch etwas Gutes:
Wir werden sicher viel Zeit zum Reden haben.“
Toll, und ich werde wohl die ganze Zeit zuhören müssen... Vielleicht lernst du ja dabei, etwas freundlicher zu sein. Solange am Ende wirklich ein heißes Bad bei rumspringt, kann ich es wohl ertragen… Meine Güte, Will, ich hätte niemals gedacht, dass du so erpicht darauf bist, ein nacktes Mädchen anzuschauen! Ha, viel gibt’s bei dir ja nicht zu sehen. Du könntest wirklich ein wenig Unterricht in Nettigkeit gebrauchen!
Celina wollte noch etwas zu Shelley sagen, als ihr Blick an etwas anderem hängen blieb.
Aufgeregt zeigte sie Richtung Horizont, auch wenn das bei einer Frau über zwanzig vermutlich lächerlich aussah, und rief:
„Schau mal!“ Gah, wer hat dieses kitschige Drehbuch geschrieben!?
Dort, hoch über den Wäldern, zwischen dunklen Wolken und hellen Sonnenstrahlen, konnte man ihn ganz deutlich sehen.
Ein schillernder Regenbogen, dessen Ende irgendwo im Horizont verschwand.
Und dort, dessen war Celina sich sicher, wartete Corpus Christi.
Und ein heißes Bad.
Hoffentlich.
(OoC: Ja hier kommt noch was, auch wenns monate jetzt gedauert hat aber zumindest sollte man ja noch erfahren was mit Celina und David passiert. Nach meinem Post wird wohl zeitnah auch noch was von Zitroni kommen ^^, also nochmal was zum lesen für euch ^^)
„Texas also …“, murmelte Celina in sich hinein. Das wiederholst du jetzt zum tausendsten Mal. Langsam hab ich’s auch kapiert, und mein IQ kann nicht höher sein als deiner.
Einige Tage waren bereits vergangen seit einem Gespräch mit Shelley über ein neues Reiseziel, doch Celinas Gedanken kreisten um wenig anderes als um dieses neue Ziel.
Wie war es wohl, an den Ort zu gelangen, von welchem aus die Welt wieder aufgebaut werden würde?
Wie lange würde die Reise dauern?
Wie weit würde der Wiederaufbau fortgeschritten sein, sobald sie dort ankäme?
Wie würde die neue Welt aussehen?
Fragen über Fragen, und obgleich Celina natürlich keine einzige beantworten konnte, war es ihr Genuss und Sorge zugleich, sich Möglichkeiten auszumahlen. Schon dran gedacht, wie du hinkommst? Wie soll ich das jetzt schon so genau wissen? Oh, wie ich das Organisationstalent ihrer Hoheit liebe! Was soll ich denn sagen? Wir müssen eben irgendwie ein Schiff finden, das wetterfest genug ist, um den pazifischen Ozean zu überqueren. Seit wann die Liebe zu Schiffen? Seit notwendig. Ein Flugzeug würde ich natürlich bevorzugen, aber ich bezweifle, dass wir ein funktionstüchtiges, untotenfreies samt Pilot und Treibstoff finden werden. Oder möchtest du schwimmen, Will? Muss nicht sein. Ein Wettsinken mit der Krankenschwester klingt nicht besonders spaßig. Ein bisschen langweilig, nur zu zweit. Wer sagt denn, dass wir in jedem Fall nur zwei sind? Wer sagt denn, „Yay, gefährliche, weite Reise, vielleicht mit Weltrettung oder nicht, nehmt mich mit!!!“ zu eurem brillanten Vorhaben, dass ihr mit niemandem bisher geteilt habt? Nun, es werden bestimmt noch andere mitkommen.
Aber Will hatte dennoch recht.
Unabhängig von der Art der Reise, sie würde gefährlich werden.
Zwischen Standpunkt und Ziel lagen ein Weltmeer, ein Kontinent und eine unbekannte Anzahl an Untoten.
Und niemand konnte garantieren, dass die Rakete sicher angekommen war.
Aber deswegen stand Celinas Entschluss umso fester.
Und wenn ihre Reise bedeuten würde, Menschen zurückzulassen, die ihr ans Herz gewachsen waren, dann musste sie dem ins Auge blicken.
Und zwar besser früher als später.
„David, kann ich dich für einen Moment sprechen?“
Die Gruppe hatte auf einer leicht erhöht liegenden Lichtung ihr Lager aufgeschlagen. Nahende Untote würde man frühzeitig entdecken und immerhin hatte es heute nicht geregnet, weshalb ein schönes, warmes Lagerfeuer alles andere als undenkbar war.
Etwas abseits lag ein großer Stein, von idealer Form und Breite. Darauf ließ Celina sich nieder und bedeutete David, sich ebenfalls zu setzen.
Etwas nervös, den Blick nicht auf ihr Gegenüber, sondern auf das Lager gerichtet, begann sie: „Nun… äh, ich möchte dich gerne etwas fragen, David.“ Dann schaute sie ihn mit ihren hellgrünen Augen an, in denen sich hoffentlich nicht so viel Unsicherheit wiederspiegelte, wie sie fühlte. „Und zwar, uh… was du so… vorhast. In der Zukunft. Also, ob du etwas vorhast. Wo du gerne hingehen und was du gerne tun würdest. Wenn du könntest, natürlich.“ Wozu das Gestammel, Prinzessin? Sag doch einfach, was du von ihm willst. „Seid mein Ritter und kommet mit mir, oh großer Held!“ Das hier ist doch erbärmlich. Was weißt du schon von gutem Umgang? Man sollte nicht mit der Tür ins Haus fallen, Will!
Außerdem konnte sie so einer Enttäuschung vorbeugen. Falls David in China bleiben oder zumindest nicht nach Texas reisen wollte, musste sie ihm immerhin nicht gestehen, wie gerne sie ihn auch weiterhin während der Reise haben würde.
David musste leicht schmunzeln als sie wohl leicht nervös fragte was er denn nun nach dem ganzen vor hatte. Er blickte ihr in die grünen Augen der jungen Dame. Irgendwas war mit ihr, war sie vielleicht nervös? Unsicher? Er konnte es nicht genau erkennen, dafür waren die Lichtverhältnisse in dieser Nacht dann doch zu schlecht als das er sowas hätte erkennen können, auch wenn er wusste das er in sowas eh total schlecht war. Aber im Grunde war die Situation für ihn eigentlich perfekt, beide waren und hier, etwas abseits vom Lager und von den anderen die noch nicht weiter gezogen sind. Nun könnte er ihr zumindest noch einiges sagen, mit ihr nochmal reden bevor sich wohl ihre Wege trennen würden. Er selber würde wieder zurück in die USA gehen, oder zumindest was davon noch übrig war. Aber er wollte mithelfen, mithelfen die Welt wieder aufzubauen. Also stand seine Entscheidung fest.
Als er realisierte das er Celina nun schon einige Momente anschaute ohne was zu sagen zuckte er kurz zusammen. Er war total in Gedanken verfallen, und wohl auch in ihre Augen… nur versuchte er sich das nicht anmerken zu lassen. Was würde sie wohl von ihm denken. Oh hey, da sind überall Zombies um uns herum, aber du hast echt schöne Augen
dachte er sich als er realisierte wie doof er aussehen musste.
„Ähh.. was ich vorhabe… nun… uff… so genau hab ich mir das gar nicht überlegt. Aber ehrlich gesagt ist mir alles andere recht außer China“
Ohhh komm schon David, sei nicht so ein Vollidiot du weißt doch das du wieder in deine Heimat willst
ging es ihm direkt durch den Kopf.
„Also… ehrlich gesagt… ich würde zurück nach Amerika gehen. Vielleicht zurück in die Heimat, oder den Menschen dort helfen wieder alles aufzubauen und gegen die Zombiehorden dort drüben Kämpfen. Auch wenn ich wohl nicht viel zum Kämpfen beitragen kann, da ich nur Erfahrung mit Elektronik und so habe… Aber auf jeden Fall werde ich nicht hier bleiben.“
erklärte er ihr. Er schaute sich kurz um, blickte auf das Lager, danach Blickte er ihr wieder in die Augen. Die Situation war schon irgendwie komisch, er hatte was romantisches, aber auch was gefährliches, denn jederzeit könnte von irgendwoher ein Zombie auftauchen.
„Nun, ähm und was hast du jetzt so vor Celina? Wo wirst du hin gehen?“
Sein Blick blieb auf Ihren Augen und insgeheim hoffte er, dass auch sie das Gleiche Ziel hatte, und wenn es nur der Weg Wäre de sie gemeinsam verbringen würden. Auch wenn er sich mehr wünschte, denn seit der „Todesparadies“ und wohl auch schon davor fand er an dieser junge Dame ein größeres Interesse.
Was für ein genaues Interesse es war, konnte er die ganze Zeit die sie Zusammen dieses Abenteuer und auch diesen Horror erlebten, nicht sagen, aber offensichtlich war da mehr als bloße Freundschaft. Doch wie sollte er ihr das Beibringen, würde sie ihn vor bescheuert erklären? Würde sie am Ende vielleicht sogar deswegen ihr Ziel für die Zukunft ändern? Um ihm aus dem Weg zu gehen? Er war sich ehrlich gesagt total unsicher und hoffte das es nicht nach außen sichtbar war, denn den Blickkontakt wollte er jetzt nicht so grundlos abreißen, dann würde es wohl auffallen. So zumindest dachte er das.
Vielleicht war er auch jetzt schon viel zu auffällig, doch wissen tat er dies nicht.
Celinas Herz hatte einen Sprung gemacht, als David ihr das Ziel seiner Reise eröffnet hatte, und es machte keine Anstalten, sich zu beruhigen.
All die Risiken der langen, gefährlichen Reise waren vergessen. Stattdessen fühlte die junge Frau Erleichterung und Freude darüber, dass sich ihre Wege wohl noch nicht hier trennen würden. So schaute sie ihrem Gegenüber noch für einen langen Augenblick in die Augen, bis sie, ein wenig verlegen doch keineswegs erschrocken, bemerkte dass es nun an ihr war, etwas zu sagen.
Ein ehrliches und ungezwungenes Lächeln breitete sich auf Celinas Lippen aus und sie sagte:
„Nun, dann sieht es ganz so aus, als würden wir noch etwas mehr Zeit miteinander verbringen. Ich möchte nämlich auch den Ozean überqueren. Ich weiß nicht, wie lange alles dauern wird oder was für Mittel nötig sein werden, aber ich hoffe, dass ich Texas erreichen werde. Und dass auch ich meinen Teil dazu beitragen kann, die alte Weltordnung wieder herzustellen.“
In ihrem Enthusiasmus rückte sie etwas näher an David heran und ergriff seine Hand.
„Wer weiß, vielleicht werden wir das sogar zusammen erleben. Weißt du“, ihr Blick wurde nachdenklicher und erst überlegte sie sogar, den Satz abzubrechen. Dann entschied sie sich aber, ihn doch auszusprechen.
„Ich wäre wirklich froh, noch länger zusammen mit dir zu reisen. So wie die Welt im Augenblick aussieht, weiß man nie, ob eine Begegnung nicht die letzte ist. Und wenn sie es wäre, würde man es auch nicht erfahren. Deshalb“, sie holte tief Luft, „möchte ich nicht, dass sich unsere Wege hier trennen.“
Celina verstummte.
Ihre Augen waren noch immer auf Davids gerichtet, ihre Hand lag noch immer sachte auf der seinen.
Aber was sie nun sagen oder tun sollte, das wusste sie nicht.
Sie wollte also auch nach Amerika, genauer gesagt nach Texas dachte er sich und bemerkte ihre Hand und ihre Blicke. Wieder bemerkte er das er sie wieder ohne ein Wort zu sagen fast schon an starrte.
„Ähm… ja, fände ich super.. also wenn wir noch ein wenig mehr Zeit miteinander verbringen würden. Denn wie du ja sagtest, Im Moment weiß man nie ob die Begegnungen die man hat, die letzte ist. Also ja, ich freue mich sehr wenn du es mit mir aushalten kannst“
versuchte er am Ende seiner Worte noch ein wenig Witz rein zu bringen. Er wollte nicht, dass sie bemerkt das er eigentlich total nervös war. Schließlich war David jetzt echt nicht gut in sowas. Und vor allem nicht was Gefühle im romantischen Interesse angeht, und die hatte er auf jeden Fall für diese junge Dame. Er seufzte kurz und sprach dann weiter
„Also, wie wir dahin kommen ist wohl dann noch das einzige Problem was wir wohl haben. Schließlich fliegt da sicher kein Flugzeug rüber oder ein Schiff was da mal eben hin fährt und nicht verseucht ist. Aber“ betonte er dieses Wort „Es wird schon irgendwie klappen und ich bin mir sicher das wir unbeschadet in die USA kommen werden.“
Dann zog er seine Hand unter ihrer weg. Hoffentlich denkt sie jetzt nichts falsches, denn kurz darauf kehrte er die Sache um und legte seine Hand auf ihre und nahm ihre Hand. Auch wenn sie durch die Strapazen sicher nicht so eine weiche zarte Haut hatte wie es für eine Dame wie Celina gehörte, fand er sie im Gegensatz zu seiner Hand überaus zart und weich. Er schaute auf die Hand die er nun festhielt und blickte dann wieder in ihre Augen.
„Nun… weißt du… also…“
Er wusste nicht genau wie er anfangen sollte, aber irgendwann musste es ja raus. Und besser wenn er alle Karten auf den Tisch legt und die junge Frau wusste was er für sie empfindet als wenn er es ihr verheimlicht und sie noch Wochen oder gar Monate Seite an Seite reisen würden ohne dass sie es weiß.
„Also… puh… besser jetzt als nie, denn schließlich würden wir nun wohl eine Lange Zeit gemeinsam über den Planeten ziehen um an unser Ziel zu kommen. Und jetzt hättest du dann zumindest noch die Chance zu reagieren …“
Jetzt musste er endlich mit der Sprache raus rücken, er merkte seine Nervosität schon, denn so gut war er schließlich überhaupt nicht darin und hoffte sich nicht bis auf die Knochen zu blamieren.
„Wir haben ja nun schon einige Tage und Wochen miteinander als Gruppe hier verbracht und vieles erlebt, einiges nicht so schönes anderes war zumindest ein Vorstoß zu einer Regeneration der Welt. Und… ja… ich konnte ehrlich gesagt während wir auf dieser Insel waren vor einigen Wochen, den Blick nicht von dir lassen.“ er stoppte kurz
„Den jetzt nichts falsches, ich bin sicher kein Type der heimlich Frauen beobachtet oder sowas, doch … naja du .. du hast etwas an dir was mich fasziniert. Frag mich nicht was, es ist einfach da, aber naja und zumindest seit dem Tag… habe ich wohl mehr als nur freundschaftliche Gefühle für dich entwickelt. So richtig bewusst wurde mir das jetzt erst in der Zeit seit wir hier in dem Lager relativ ruhig gelebt haben.“
Nu saß er da mit ihrer Hand in seiner, damit rechnend das sie diese jeden Moment weg zieht aufsteht und gehen würde, oder ihm klar macht das sie unter den Umständen wohl doch nicht mit ihm reisen würde. Nun fühlten sich die Augenblicke bis sie reagierte für ihn an wie quälende Minuten. Zumindest sein Blick blieb auf ihren Augen, soviel Mut hatte er, das er seinen Blick nach einem solchen Geständnis seiner Gefühle nicht von ihrem Abwendete.
Einige angespannte Sekunden zogen quälend langsam dahin, in denen Celina versuchte, das Gesagte zu verarbeiten und mit einer Antwort aufzukommen.
Sie war nie sonderlich gut darin gewesen, über ihre Gefühle zu reden.
Besonders über solche.
Und es war schließlich so, dass sie Davids Zuneigung erwiderte.
Oder?
Unwillkürlich musste sie an Derek denken.
Wie lange hatte sie gehofft, dass er eines Tages vor ihrem Haus im Village stehen würde?
Seit der Flucht von Camp Hope waren ihre Gedanken immer seltener in diese Richtung abgeschweift.
Doch ganz aufgegeben hatte sie diese Hoffnung insgeheim nicht.
Oh, wie erbärmlich! Das kann man ja nicht mitansehen! Will …!? Wie undankbar unsere süße, kleine Prinzessin sein kann. Hat Ihre Hoheit wirklich nichts Besseres zu tun, als sich um jemanden zu sorgen, der sie vor Ewigkeiten hat sitzen lassen? Ich weiß, dass du so etwas niemals verstehen könntest! Du kanntest ihn nicht, er hätte mich niemals im Stich gelassen. Ja klar. Deshalb ist er ja jetzt auch hier, mit einer Armee um dich vor den bösen Zombies zu beschützen. Irgendetwas muss ihn aufgehalten haben… Ich weiß nicht, ob ich es süß oder bemitleidenswert finden soll, wie schlecht du loslassen kannst. Will, ich kann drei Jahre mit Derek nicht einfach vergessen! Und warum sagst du mir das, und nicht unserem glorreichen Anführer? Weil… weil ich mich erst sortieren muss. Armer Kerl. Wird abgewiesen, weil die Prinzessin zu viel Zeit braucht. Niemand hat gesagt, dass ich ihn… Na, dann ist die Sache doch klar. Mir ist es im eigentlich egal, was passiert, aber dein ewiges Trübsal blasen über Dinge, die man nicht ändern kann, geht mir gewaltig auf den Geist. Nun, ich glaube, Letzteres beruht auf Gegenseitigkeit.
Dieses kleine innere Gespräch konnte nicht länger als einige Sekunden gedauert haben, aber Celina spürte, dass sie David langsam antworten sollte, bevor die Situation noch unbehaglicher wurde.
„Also, ich …“, begann sie, verstummte dann aber wieder.
Was genau sollte sie ihm sagen?
Sie interessierte sich für ihn, auch in einem mehr als freundschaftlichen Sinne, das war ihr bewusst.
Aber wäre es nicht unehrlich, ihm das zu sagen, wenn sie sich innerlich noch nicht ganz von Derek gelöst hatte?
Erneut dachte Celina zurück an jenen Tag, als beide sich das letzte Mal gesehen hatten:
„Beweg dich nicht von der Stelle, ich hole Hilfe, ich verspreche es dir! Du stirbst hier nicht, Celina!"
Ruhig schloss sie die Augen. Es tut mir Leid.
Und als Celina sie wieder öffnete, schaute sie David so direkt wie möglich ins Gesicht.
Dann lächelte sie sanft.
„Danke, David. Danke, dass du mir das sagst."
Sie schluckte bevor sie weitersprach:
„Denn ich glaube, dass mir gerade bewusst geworden ist, dass ich ähnlich fühle.“
Eine kurze, etwas unbehagliche Stille herrschte, dann lachte Celina etwas nervös.
„Uh… es tut mir Leid, das klang jetzt sehr kitschig, oder?“, brachte sie hervor und war nicht sicher, ob sie sich damit an David oder Will richtete.
Dann wurde ihr Gesicht wieder ernst.
„Aber ich meine es wirklich so“, fügte sie hinzu und wusste diesmal, dass sie mit beiden sprach.
Die Zeit mit Derek würde sie nicht vergessen.
Aber sollte sie ihm eines Tages entgegen aller Wahrscheinlichkeit wieder begegnen, würde er sich mit den Begebenheiten arrangieren müssen.
Nun konnte sie sich erst einmal auf eine neue Reise freuen - eine mit David an ihrer Seite.
Schließlich war es ihr Leben.
So war es wohl das David und Celina noch eine lange Zeit einen gemeinsamen Schatten werfen würden. David freute sich darüber umso mehr, je länger er darüber nachdachte. Wie wird es wohl weitergehen mit den Beiden, man wird sicher nochmal etwas von ihnen hören oder vielleicht auch sehen. Jetzt wurde es erst mal Zeit das sie sich bereit machen sollten irgendwie über den Großen Teich zu kommen. Was da noch alles auf sie warten wird? Nun vielleicht erfahren wir es.
Der Wind war nicht mehr ganz so kalt, wie er es vor wenigen Wochen gewesen war.
Aber genug, um einem das Gefühl zu geben, dass der Winter wieder kam.
Und kräftig genug um Celinas erst kürzlich erneut in den seltenen Genuss von Shampoo gekommenes Haar wieder völlig zu verzotteln. Vielleicht hätte ich lieber nach Schaumfestiger fragen sollen … Vielleicht solltest du dir eine Glatze machen. Spart einiges an Zeit und Aufwand – ah, aber dein Liebster würde es wohl nicht mögen. Ich würde es nicht mögen, Will, und du auch nicht. Stell dir nur vor, wie sich dieser Wind anfühlen würde, wenn keine Haare zwischen ihm und meiner Haut lägen. Du musstest ja unbedingt bei dem Wetter zum Hafen! Wir könnten einfach die verbleibenden Tage warten, bis das Schiff abfährt. Aber nein: Prinzessin muss mal wieder „Danke“ sagen! Ich möchte mich nur verabschieden, das ist alles. Wer weiß, ob oder wann ich sie wiedersehe! Den letzten Monaten nach zu urteilen ziemlich bald. Man könnte den Eindruck bekommen, dass sie dich stalkt …
Raschen Schrittes bewegte sich Celina zwischen den Hütten des Flüchtlingslagers hinfort.
Viel war nicht los auf den Straßen, es war noch zu früh am Morgen.
Später würden hier das Feilschen, das Betrügen, das Fluchen, das Trinken, das Stehlen und sicherlich auch die ein oder andere Schlägerei beginnen, dabei wollte Celina nicht mehr anwesend sein.
Zumal es hier genug Männer gab, die jede Frau ohne Geleit ebenfalls als käufliches Gut betrachteten.
Aber um diese Tageszeit lagen die meisten von ihnen wohl noch auf ihren provisorischen, und wahrscheinlich ziemlich ungezieferverseuchten Matratzen und schliefen ihren Rausch aus.
Nicht auszudenken, wo Celina schlafen würde, wenn Shelley als Ärztin nicht ein eigenes kleines Haus zugeteilt bekommen hätte!
Der Hafen war erreicht.
Zielstrebig lief Celina vorbei an dem großen Schiff, welches in wenigen Wochen nach Amerika ablegen würde, und auf ein im Vergleich winzig wirkendes Boot zu, wo einige Männer und eine Frau mittleren Alters gerade mit dem Einladen von Kisten beschäftigt waren.
Als die junge Britin näher trat, drehte Andrea den Kopf und nickte ihr zu.
Sie reichte die Kiste weiter, ging dann auf sie zu und fragte kritisch, aber offensichtlich amüsiert:
„Solltest du nicht noch im Bett sein, Schätzchen?“
Celina lächelte sanft.
„Ich wollte mich verabschieden.“
„... und zweifelsohne wieder versuchen, mich doch noch umzustimmen.“
„Ein Versuch kostet nichts.“
„Leider, denn sonst wäre ich reich …“
„In Texas wird es bestimmt besser sein.“
„Zwischen hier und Texas liegen ein Weltmeer, ein Kontinent und mehr Arten umzukommen, als du dir vorstellen kannst.
Momentan läuft es ganz gut für mich, da werde ich keine Weltreise unternehmen, weil sie mich vielleicht, eventuell, mit viel Glück ins Paradies führt.“
Celina seufzte resigniert.
„Das ist schade.
Ich hätte mich wirklich gefreut, dich bei uns zu haben.“
„So ist das eben, Schätzchen“, antwortete Andrea ungerührt. „Man muss immer gefasst sein, Abschiede zu nehmen.
Es hört nicht auf.“
Sie wandte sich erneut um und machte einen Schritt Richtung Boot, doch Celina hielt sie an am Ärmel fest.
„Falls es stimmt, falls wir in Texas den Wiederaufbau beginnen werden – wirst du dann auch dorthin kommen?“, fragte die junge Frau ernst.
„Falls ich davon höre, kann ich es mir ja überlegen“, war die etwas spöttische Antwort.
„Aber nur, wenn Moderatorin wieder ein lukrativerer Job wird.“
Ein warmes Lächeln legte sich auf Andreas Lippen.
„Pass auf dich auf, ja Schätzchen?
Und auf Shelley.“
Dann umarmten sich die beiden Frauen kurz. Wie lange wird es diesmal dauern, bis wir uns wiedersehen?
Verlassene Insel im Pazifik, Sommer 2016:
„Wer hatte die Idee, dass das hier ein tolles Versteck ist?“, fragte Lee missmutig.
„Vor Piraten sollten wir hier sicher sein“, antwortete sein älterer Bruder Chris. „Hier ist es so verlassen, dass nicht mal die Zombies hergefunden haben …“
„Haben sie“, bemerkte Andrea knapp. „Obwohl es nicht viele waren.“
Sie stand am Eingang der Höhle.
Den Rücken an die Wand gelehnt, warf sie ab und an der Decke skeptische Blicke zu.
Doch meist, so wie jetzt auch, hatte sie ihre kühlen Augen suchend nach draußen gerichtet. Die anderen beiden müssten bald zurück sein, dann müsste sie nicht mehr alleine mit den beiden Jungspunden sein.
Andrea war in keiner guten Stimmung, diese Insel war kein besonders fröhlicher Ort und sie ärgerte sich noch immer über all die verschütteten Güter, die man gewinnbringend hätte tauschen können.
Jetzt teilweise mehr als jemals zuvor.
„Ihr … habt sie doch alle beseitigt …?“, fragte Chris stockend und obwohl die ältere Schmugglerin ihn nicht anschaute, wusste sie, dass er sich furchtsam umschaute. Er war ein Ängstlicher, ein Feigling, ein Weichei, aber Andrea war dankbar, ihn dabei zu haben.
Ein ängstlicher, junger Arzt war besser als keiner.
„Ach komm“, schnaubte Lee, „sie würden sonst doch nicht wiederkommen.“
„Es waren nur vier“, sagte Andrea gelassen. „Und drei waren eher damit beschäftigt, nach einer Verschütteten zu graben als uns zu beachten.“
Mit dem vierten hatte es sich anders verhalten.
Ihn hatte Andrea gar nicht gesehen, erst als es fast zu spät war, und nur mit Glück hatte sie ihn abwehren können.
Unter den Lebenden war er wohl noch sehr jung gewesen, wahrscheinlich auch recht hübsch.
Aber so war Andrea gezwungen gewesen, seinen dunkelhaarigen Kopf zu durchlöchern, bis er sich nicht mehr geregt hatte.
„Die Kleine, die nach Amerika wollte?“, hörte sie Lee fragen.
Richtig, Andrea hatte es einmal beiläufig erwähnt.
„Ja“, erwiderte sie einsilbig.
Ob sie es Celina besser erzählt hätte?
Damals war es ihr besser erschienen, es nicht zu tun, schließlich war das Mädchen völlig verstört gewesen.
Aber heute, heute war sich Andrea nicht mehr so sicher.
Heute wusste sie, dass ihre eigene Tochter nicht mehr lebte, obwohl sie sich auch nicht sicher war, ob sie es wirklich hatte wissen wollen.
Immerhin hatte Andrea ihre eigene Tochter nicht einmal gekannt, keinerlei Beziehung zu ihr gehabt.
Aber zum Nachdenken hatte es sie gebracht.
Und vielleicht hätte sie es Celina besser gesagt.
Vielleicht wäre sie auch besser mit ihr gereist.
Vielleicht war das Leben auf See, mit den immer zahlreicher werdenden Konkurrenten und den ganzen nicht gerade wohlgesonnenen Piraten, doch nicht so toll.
Vielleicht …
„Vielleicht sollten wir auch einfach nach Texas reisen.“
Sie spürte, wie sich verständnislose Blicke in ihr Profil bohrten.
„Nur ein Scherz.“
Oder vielleicht auch nicht.
Irgendwo in Amerika, zur gleichen Zeit:
Kühles Wasser umspielte ihre Füße und bot eine willkommene Abwechslung zu der drückenden Hitze.
Auf einem Holzsteg sitzend, den Rock bis zu den Knien hochgezogen und mit ins Wasser baumelnden Beinen genoss Celina den Anblick von blauem Himmel über dem klaren See. Wobei sie sich träge fragte, wann wohl endlich wieder ein einzelnes Wölkchen oder eine leichte Brise aufkommen würde.
Die schwüle Luft erschwerte Atmen, Sprechen und Denken. Letzteres war wohl auch der Grund, warum Will ausnahmsweise still war. Nun, vielleicht war sie ihn auch endlich los. Genüsslich biss Celina bei diesem Gedanken in einen Apfel. Ugh, müssen wir immer dieses widerliche Zeug essen!?
Wäre ja auch zu schön gewesen. Celina stieß einen Seufzer aus. Das sagst du doch bei jedem Obst. Wenn es nach dir ginge, würde ich mich ausschließlich von Schokolade ernähren ... Wenn du sie nicht eingetauscht hättest - eh, wieso habe ich gerade ein Déjà-vu? Wir führen diese Art von Gespräch nicht zum ersten Mal, Will. Ach, vergiss es, Prinzessin!
In der Ferne hörte Celina einige aufgeregte Rufe.
Erschrocken sprang sie auf. Untote!? Hört sich eher nach Neulingen an. Und zwar lebendigen.
Beruhigt atmete Celina aus.
Es schien momentan in der Tat keine Gefahr zu bestehen.
Und auf Dauer war gerade das ziemlich beunruhigend. Vielleicht haben sie etwas zum Tauschen. Wir können noch einiges für unsere Weiterreise gebrauchen. Schokolade … Ja, von mir aus auch das.
So schnell es das Klima erlaubte, bewegte sich Celina auf die Siedlung zu, in der sie momentan rasteten.
Es war nicht ungewöhnlich, anderen Reisende über den Weg zu laufen, doch die wenigsten teilten ihr Ziel.
Handel andererseits war oft möglich.
Schon von Weitem erspähte Celina zwei Gestalten, die mit dem „Dorfvorsteher“ sprachen.
Anscheinend ein Mann und eine Frau.
Celina runzelte die Stirn und kniff die Augen zusammen. Es war ein Wunder, dass sie von hier aus und bei dem Licht überhaupt so viel erkennen konnte, doch irgendwie kamen ihr die Beiden bekannt vor.
Eine dritte Gestalt löste sich aus der Ansammlung und raste auf die Britin zu.
Vierbeinig, bellend, weiß.
Ungläubig riss Celina ihre Augen auf, blieb abrupt stehen und hielt gerade noch rechtzeitig ihr Gewicht gegen das der Hündin, die freudig an ihr emporsprang.
„Blanche?“, flüsterte Celina und kraulte dem Tier fahrig den Kopf.
„Dann bedeutet das …“, begann sie, sprach den Satz aber nicht zu Ende.
Sie rannte einfach los.
Auf ihre Eltern zu.