Sommer 2021 - Hadley's Hope - Lage: Festland, Wüste, nordwestlich von Sydney - außerhalb der neu eingerichteten militärischen Sperrzone - Population: 121
"Manchmal kommt mir das alles vor wie ein langer Traum aus dem es kein Erwachen gibt."
Sie knallte zwei Metallstücke, die sie per Vorschlaghammer in Münzform gebracht hatte bevor sie in die Stadt eingeritten waren und knallte sie auf den Bartresen, direkt neben ihre Beretta-Pistole. "Bar". Naja, wenn man viel Fantasie mitbrachte war es so ähnlich wie eine Bar. Ein nach vorne hin offener Wellblechverschlag mit zwei Holztischen verschiedener Dekors, an jedem drei bzw. fünf Campingstühle, eine auf Hüfthöhe des Barkeepers angebrachte Holzplatte, die sich von Wellblechwand zu Wellblechwand erstreckte, hinter dieser wiederum ein halbvergammeltes schwarz-graues Ikea-Regal, in dem ein paar Spirituosen und staubige Gläser gelagert waren. Preise gab es nicht, zumindest nicht so richtig. Es wurde mehr nach Gefühl und Güte des pisswarmen Krawallwassers bezahlt als nach dessen tatsächlichen Preis. Lexis Gefühl sagte ihr, dass durch ihr MItwirken nicht nur hunderte Menschen umkamen, sondern auch noch nichts erreicht worden war. Kein Heilmittel, keine Hilfe, nada. Aber zur Abwechslung mal ein 4km²-Bereich auf dem Festland, der nicht mit Zombies überschwemmt war. Das war allerdings weniger den Eierköpfen in Übersee verschuldet als der Tatsache, dass Lexi mit ihren neuen Freunden (und wahrscheinlich noch mehr Leute wie sie) effektiv jeden Untoten umnieteten der ihnen über den Weg kam. "Buccaneers" wurden sie am Festland genannt, nichts weiter als ein fancy Ausdruck für "Piraten".
Sie wusste, dass jemand hinter ihnen her war. Vielleicht Regierungsfutzis (falls es überhaupt noch solche gab)? Alte Bekannte? Sheng?
Sie zog mit nachdenklichem Gesichtsausdruck das Barret vom Kopf. Ihre bis unter die Brüste reichenden, strohigen blonden Haare schälten sich frömlich auseinander als sie sich mit der rechten Hand dadurch ging. Ihr Gesicht zeigte Narben aus Straßenschlachten und Kämpfen mit Untoten. Ein weißer Strich prangte neben ihrem linken Auge, da wo sie ein Armbrustbolzen streifte bei einem ihrer Raubzüge. Die Lederjacke knatschte traurig bei jeder ihrer Bewegungen, vor allem als sie mit der rechten Hand in die Innentasche langte und eine Schachtel Zigaretten herausnahm. Noch drei in der Packung. Eine pro Tag. Zumindest solange, bis sie wieder an welche herankommen konnte. Das konnte Stunden dauern. Oder Tage. Oder Wochen.
Sie wandte sich von der Theke ab, nachdem sie sich mit der linken Hand - die Fingerbewegungen langsam und fast schon überkoordiniert - das Glas trübem Schnaps geschnappt hatte und mit der rechten Hand in den Untiefen ihrer Jackentaschen nach ihrem Feuerzeug. Sie schritt langsam - auf dem linken Bein humpelnd - zum Tisch an dem ihre drei Kollegen saßen. Im Kofferradio lief völlig übersteuert knarzend zwischen dem Gebrüll eines durchgeknallten Radio DJs Blues-Musik - alles in allem ein relativ beschissenes Ambiente unter beschissen heißer Sonne an einem beschissenen Tag in einer beschissenen Kolonie die umringt war von beschissenen metallenen Wänden. Ein weiterer typischer Donnerstag im postapokalyptischen Kängaruland.
"Und ich sage dir:...", begann Zeke McDowell, genannt "Preacherboy". Lexi war mitten in eine Diskussion gestolpert zwischen den dreien. Das Thema war ihr nicht bekannt. Und im Moment interessierte sie eh nur, wo ihr gottverdammtes Zippo geblieben war.
"... die Regierung wollte es so. Die haben nur auf einen Moment wie diesen gewartet, ich schwör's dir!", die helle, fast schrille Stimme des dürren Glatzkopfs mit dem Vollbart schien die Aufmerksamkeit der auf dem nahegelegenen Fußweg vorbeikommenden Leute auf sie zu ziehen, so wie sie dasaßen, grinsend, siegessicher, rauchend und saufend wie ein paar Matrosen auf Landgang. Als Buccaneer war das Leben auf dem Festland tatsächlich manchmal ganz passabel. "Ich hab von 'nem Militärprojekt gehört - von wegen: die haben 'nen Flugzeugträger als schwimmende Festung, mit dem sie das Festland zurückerobern wollen. Die killen die Zombies, die bomben unsere Siedlungen weg, dann kommen sie und killen uns alle - es macht alles Sinn im Kontext, yeah."
"Das wäre unsagbar dämlich.", sagte die gegenübersitzende Sophie Vasquez. Den mit Wasser gefüllten Plastikbecher mit "Springbreak '12"-Aufdruck vor sich schwenkend, schaute die Halbschwarze mit der Kurzhaarfrisur herüber zu Zeke und grinste hämisch. "Bruder, niemand wäre dumm genug die lebende Bevölkerung einfach wegzubomben. Mal ganz davon abgesehen dass die hier nichtmal so'n verkackten Volvo zum Laufen kriegen - wie wollen die dann 'nen fuckin' Flugzeugträger antreiben, huh? Wir haben hier weniger Sprit als wir Alkohol haben - und das is' schon tragisch genug."
Die rechts neben Zeke sitzende Sandy, ein 14-jähriges asiatisches Mädchen das sie irgendwo im Outback aufgelesen hatten (und das Lexi irgendwie an Niki erinnerte - was er wohl mittlerweile machte?), nickte nur stumm und grinste Sophie an. "Selbst sie gibt mir Recht, Bruder. Du laberst Bullshit und du weißt es."
"Nichts davon ist Bullshit, Sophie! Schau' dich um - die wollen, dass wir so leben!"
"Ich glaube, die wollen einfach - genau wie wir - dass du die Fresse hälst und dein Bier trinkst.", warf Lexi genervt ein, als sie endlich ihr Zipoo in der linken Jackentasche gefunden hatte. Beim dritten Versuch zeigte sich endlich eine Flamme, mit der sie genüsslich die Zigarette ansteckte. Rauch waberte aus ihrem Mund. Sie grinste, fühlte sich ein bisschen high vom Nikotin, schaute etwas dösig um sich, sah den recht regen Publikumsverkehr auf dem Dorfplatz, in dessen Mitte der Wellblechverschlag (a.k.a. die beschissene Ausrede für eine Bar) stand, sah hier und da Rauch aufsteigen aus den Waffenschmieden und Dudes mit Äxten, die aufpassten dass niemand durchdrehte. Arme Teufel. Lexi hegte und pflegte die zwei verbliebenen Schusswaffen von vor drei Jahren, ebenso wie die Magazine und Kugeln dafür. Für den Fall der Fälle, natürlich. Armeeeinrichtungen - die einzigen Orte an denen man mit Sicherheit an Munition herankommen konnte - waren immer noch viel zu gefährlich um einfach reinzulatschen und den dort befindlichen Scheiß zu klauen. Seien es Untote oder arg schießwütige Army-Comaneros - nichts machte ihr mehr Sorgen als an den Punkt zu kommen, an welchem sie entweder auf ihre Babies verzichten und auf Pfeil und Bogen umsteigen müsste wie so'n verkackter Höhlenmensch, oder an dem sie wegen desselben Umstandes dazu gezwungen war in eine Kaserne zu rennen, haufenweise Zombies/Soldaten/Soldatenzombies über den Haufen zu schießen. Deshalb suchte sie immer Leute, die für sie die "Arbeit" erledigen, sie strich einen Teil der Belohnung ein und gut war. Die "Arbeit" bestand im Normalfall daraus, für jemand bestimmten etwas Bestimmtes oder jemanden Bestimmtes zu holen/umzubringen. Die Belohnung war von zwei Litern Benzin über Sex bis hin zu Revolverkugeln alles mögliche was man verwenden konnte. Selbst Lexi machte mittlerweile was den zweiten Punkt anging keine Unterschiede mehr zwischen Mann und Frau - es war für sie weniger Belohnung als fünf Minuten lang (oder länger) mal kurz zu vergessen, was um sie herum geschah. Sie war damit offiziell zum Bösewicht geworden. Wenn sie ihren jetzigen Begleitern erzählen würde, wieviele von ihrer Sorte sie bereits verheizt hatte nur um über die Rudnen zu kommen - um Gottes Willen. Dieser Moment der Realisierung wäre biblisch. Und sie wäre sowas von-
Die Frau mit der kreideweißen Haut im dunkelgrauen Nadelstreifenanzug vor ihnen war irgendwie aus dem Nichts gekommen, doch stand jetzt am anderen Ende des Tisches und schaute in etwas, das aussah wie ein schmaler Aktenordner. Sie blickte kurz auf und fuhr sich mit den Fingern durch ihre dunkelbraunen, kinnlangen Haare, bevor sie mit ebenjenen Fingern die Sonnenbrille auf ihrer Nase etwas nach oben schob. Dann zupfte sie den zum Blazer passenden, bis an die Knie gehenden Rock zurecht, strich einmal über den Kragen des hellgrauen Hemds um die schwarze Krawatte halbwegs gerade erscheinen zu lassen und zeigte mit ihren leicht gelblichen, aber für diese Umwelt doch fast schon klinisch sauberen Zähnen ein breites Lächeln.
"Wir kennen uns nicht.", sagte sie mit deutlichem englischen Akzent.
"Kein Scheiß...", sprach Lexi und schaute verdutzt drein, ebenso wie ihre Begleiter, die direkt nervös wurden. Und sie wurden beinahe panisch, als sich die Fremde einen Stuhl schnappte, diesen zu sich heranzog und sich ans Kopfende setzte, immer noch lächelnd.
"Hi erst einmal.", sagte die Frau im Anzug und reichte Lexi über den Tisch hinweg die Hand, wozu sie vom Stuhl wieder aufstehen musste, auf den sie sich gerade gesetzt hatte. Als Lexi die Geste nicht erwiderte und sie stattdessen einen Moment lang verärgert anstarrte, setzte sich die Frau wieder, räusperte sich und setzte eine ernste Miene auf. "Oho, ich merke schon: Serious Business und so. Mit euch Leuten ist es auch nie 'ne Freude zu reden. Tja." Kurz pausierte sie und schaute sich um. "Tja, ja." Nun drehte sie den Kopf in die andere Richtung, so als ob sie nach etwas oder jemanden Ausschau hielt. "Tja."
"Was meint sie mit 'euch Leuten'?", fragte Zeke halblaut. Sandy schüttelte hierzu nur mit ernstem Gesichtsausdruck den Kopf. Sophie schaute stumm in ihr Wasserglas.
"Und mit wem haben wir Leute das Vergnügen?"
"Ihr Leute habt die einmalige Gelegenheit mit einer inoffiziellen Repräsentantin der Regierung zu reden - ist das nicht fantastisch?", sie ratterte den Text grinsend runter als wäre sie ein Telemarketer. "Der Name dieser dramatis persona...", dramatisch presste sie die behandschuhte rechte Hand zwischen ihre Brüste, "... ist Federal Agent Jaqueline Sartana. Aber weil ihr so coole boys 'n' girls seid, könnt ihr mich auch gerne Jacky nennen. Oder Sartana. Na, wie klingt das?" Jetzt dämmerte es Lexi: Jaqueline redete wie ihre Mum, als sie versuchte mit Lexis damals 12-jährigen Freunden Kontakt aufzunehmen. Jacky redete wie eine 90er-Mum, aber war maximal MItte Zwanzig, ihrem Aussehen nach zu urteilen. Was verdammt nochmal war los mit der Alten? Sophie zuckte ihrerseits kurz zusammen, als die modisch gekleidete Fremde ihren Namen nannte - so als wüsste sie, wer es war der da saß. Nervös stupste sie unterm Tisch Lexi mit dem Finger gegen das Knie und schaute sie eindringlich an, während Jacky geistesabwesend ihren Text herunterratterte:
"Bevor wir en détail gehen, was der Anlass unseres Besuchs ist, kann ich euch ja mal kurz erzählen was meine Aufgabe ist, ja? Also:... Sie fummelte ein Blatt Papier aus der Mappe und las davon ab, weiterhin freundlich lächelnd. "Wir - das ist die Institution für ein vereinigtes Commonwealth - sind interessiert daran, nach den Ereignissen der letzten Jahre ein neues Programm durchzuführen, das auf Zusammenarbeit der Kommunen basiert. Und auf die Mithilfe von Leuten wie Ihnen." Sie blickte vom Zettel in die Runde und fügte "Das wären dann Sie vier, natürlich." hinzu, bevor sie fortfuhr. Lexi driftete indes gedanklich ab - Sophies Gesichtsausdruck, der schiere Panik erkennen ließ warf Lexi aus der Bahn. Vasquez war ein wahrer Hartarsch, nichts konnte sie abschrecken - aber eine Dame im Anzug, die redete wie eine 90er-Mum und lächelte wie eine 50er-Mum? Was konnte schon so schlimm an ihr sein. Zeke hörte derweil zu, ab und an mit dem Kopf nickend, bevor er wortlos aufstand und gehen wollte.
"Moment.", sagte Jacky mit deutlich angepisstem Tonfall, legte langsam den Zettel mit der Schrift nach unten vor sich und strich ihn mit den Händen glatt (was völlig überflüssig war, so zerknittert wie er aussah). "Ich war noch nicht fertig." Das Lächeln war verflogen, jetzt war ihr Gesichtsausdruck streng, ihre Stimme allerdings war immer noch auf merkwürdige Art und Weise fast fröhlich. Doch eher fröhlich im Sinne von "Kettensägen schwingender Clown"-fröhlich. Sie jagte Lexi nun Angst ein. Und Sophie wuselte unruhig auf ihrem Stuhl herum.
"Ich... ich wollte nur kurz pinkeln geh-", begann Zeke, doch die Sonnenbrillen tragende Anzugträgerin erhob die linke Hand, den Zeigefinger ausgestreckt wie eine Mathelehrerin.
"I-ich...", fing sie an und schluchzte theatralisch, "Ich habe mir den ganzen weiten Weg von der Nordostküste hierher gemacht, nur um euch ein wirklich, wirklich gutes Angebot zu machen - und ihr-ich meine, ich seid Profis, oder? Ihr seht aus wie Profis, oder? Und ich seh' aus wie ein Profi, ich habe mir extra diesen Anzug geklau-organisiert, um richtig Eindruck zu schinden und meinen Arbeitgeber - das glorious Commonwealth - stolz zu machen, seiner Majestät der Königin zu dienen, und vor allem um endlich mehr heruaszufinden über die glorreichen Buccaneers über die man sich hier im Umkreis so viel erzählt. Furchtlose Söldner, die es mit alles und jedem aufnehmen und eine von ihnen angeblich sogar ein Überlebender von Wallis et Fortuna!" Sie pausierte, stand nun mittlerweile um der dargebotenen Rede die nötige Portion Pathos zu geben, "... oder besser gesagt: eine Überlebende." Sie starrte Lexi an und nahm die Sonnenbrille ab. Ihre Augen waren an den Lidern stark gerötet, die Pupillen hellrot. Sie kniff kurz die Augen zusammen und musterte Lexi von oben bis unten. "Lexi Miller, ja? Ich bin hier um lose Enden zu kappen."
"Lose Enden?", fragte Lexi mit einem kecken Grinsen. Die rechte Hand wanderte langsam zum Oberschenkelholster, die Finger umklammerten Griff und Abzug der Schrotflinte.
"Aber ich bin auch hier, um Sie zu rekrutieren."
"Wofür?"
"Das's Bullshit, Lex. Die Bitch ist 'ne Bitch, und 'ne durchgeknallte Bitch noch dazu."
"Nichts besonderes, das selbe was Sie jetzt machen, nur dass ein Teil der Gewinne in mei-ich meine, die königliche Kasse fließt. Wir reden hier von maximal zwanzig Prozent - was sind schon zwanzig Prozent?"
"Manchmal das größte Stück vom Kuchen." Der Griff um die Schrotflinte festigte sich noch mehr, jetzt wo die Anzugträgerin ihre Hände hinterm Rücken verschränkt hatte und dort an irgendetwas mit ihren Fingern nestelte.
"Wen interessiert das größte Stück vom Kuchen, wenn es auch bedeutet dass Sie wieder in wohnlichen Gebieten leben können? Wenn Sie wieder sauberes Wasser haben? Wenn Sie wieder Kippen rauchen können so oft Sie wollen? Es ist wie ein Stück Kot gegen ein Stück Gold einzutauschen, oder eine M1914 gegen eine Gatling Gun."
"Ich mag die 1914."
"Ich präferiere die Gatling Gun."
"Ist das 'ne Gatling Gun mit der du hinter deinem Rücken rumspielst?"
Jacky seufzte laut. "Leider nein." Dann setzte sie die Sonnenbrille wieder auf. "Es ist für den Fall, dass meine Verhandlungspartner hartnäckig sind und Schrägtrich oder ich meinen Text vergesse."
Ein breites Lächeln folgte.
In dem Moment traf eine sanfte Brise den Dorfplatz, hob das Blatt Papier welches sie so sorgfältig vor sich gelegt hatte in die Luft und wendete es entsprechend - es war von beiden Seiten leer. Doch das machte keinen Unterschied, jetzt wo die Anzugträgerin die entsicherte Rauchgranate hinter ihrem Rücken fallen ließ und im roten Nebel verschwand. So schnell konnte Lexi die Schrotflinte nicht ziehen wie Jacky verschwunden zu sein schien. Sie hustete stark, hörte auch Zeke und die beiden Mädels laut nach Luft schnappen. Dann hörte sie es mehrere Male knallen, Glas zerbarst über ihr, Holz gab neben ihr nach und zerplatzte in einer Art Dunstwolke aus Sägespähnen, Fremde schrien sich die Lunge aus dem Hals und verstummten abrupt im nächsten Augenblick - jetzt hörte sie Sandy und Zeke schreien. Und dann nur noch Zeke. Und dann nur noch sich selbst, wie sie laut atmend unterm Tisch hockte, den Lederjackenärmel auf Mund und Nase gepresst und die Augen zusammengekniffen. Sie starrte in die rote Nebelbank, hustete stark, schob sich ein paar Glassplitter vom Gesicht und schaute nach rechts. Dort lag Sophie, mit weit aufgerissenen Augen, schaute fast schon so drein als würde sie Lexi für all das die Schuld geben.
"Schau' mich nicht so an...", knurrte die Blondine und robbte vorsichtig aus ihrer Deckung heraus, bis sie endlich das Ende der Nebelwolke erreicht hatte. Leute riefen Namen, rannten panisch über den Dorfplatz, flohen vor irgendetwas. Oder irgendjemanden. Lexi hielt die Schrotflinte im Anschlag, schaute sich paranoid um während sie sich humpelnd den Weg zu den Pferden bahnte, auf denen sie in die Stadt geritten waren. Doch aus irgendeinem Grund schaute sie nicht hinter sich, als sie ihr braun-weiß geschecktes Pferd ableinen wollte - denn dort schritt Jacky auf sie zu, Lexis halb abgebrannte Zigarette in der einen und Lexis Beretta 92FS in der anderen Hand - die, die sie vor lauter Schusseligkeit und Alkohol auf dem Tresen hatte liegen lassen.
"Hey, Miss Miller - ich wollte Ihnen nur schnell etwas zurückgeben!", rief sie und feuerte zwei Kugeln ab, die Lexi in die linke Pobacke und das linke Knie trafen. Laut schreiend fiel sie zu Boden und ließ vor Schreck die Schrotflinte fallen, nach der sie ohne zu zögern griff. Es war ihr möglich, einen Schuss abzufeuern, doch der Schuss streifte Jacky am Oberarm und ruinierte etwas ihren Anzug, anstatt sie ernsthaft zu verletzen. Lexi war älter geworden, eindeutig. Lexi war auch eingerostet, soviel war klar. Und Lexi war vor allem müde. Dementsprechend hatte es bisher nur Sinn gemacht, andere ihren Scheiß erledigen zu lassen. Doch jetzt, mit zwei verkrüppelten Beinen und einem lahmen Abzugsfinger - sie war geliefert.
Noch ein Schuss flog an der Anzugträgerin mit dem Hausfrauen-Lächeln vorbei bevor diese einen weiteren Schuss abgab, der Lexi an der rechten Hand traf. Das Projektil zerfleischte förmlich ihren Ring- und kleinen Finger, letzterer landete im abgetrennten Zustand im Sand neben ihr. Ein gellender Schmerzensschrei folgte, dann landete Lexi mit dem Gesicht zuerst im Staub. Jacky stand vor ihr und schaute auf sie herab, bevor sie stumm mit dem rechten Fuß auf Lexis Kopf stieg. Die Sohle des schwarzen Turnschuhs bohrten sich förmlich in ihren Hinterkopf, während sie panisch mit den Armen gestikulierend nach Luft schnappte und sich Nase und Hals mit Sand füllten.
"Ich soll Ihnen was ausrichten von meinem Auftraggeber, für den Fall dass sie das Angebot ausschlagen und anfangen dämliche Fragen zu stellen: Fort Palmbay, 422 Tote, du hättest darunter sein sollen.", sprach's mit einem gleichzeitig monotonen und irgendwie fast fröhlichen Ton in der Stimme, während Lexis dumpfe Schreie im wahrsten Sinne des Wortes unter ihr versandeten. "Sie hätten ihr einfach nur den Gefallen tun sollen, wissen Sie? Okay, ich hätte von vornherein sagen sollen, dass sie mich schickt - aber hey, irgendwie musste ich ja Eindruck schinden, nicht wahr? Tja ja. Tja. Aber was soll man machen, wenn die Ganovenehre von heute es einem verbietet, Authoritäten gegenü-also, selbst falschen Authoritäten gegenüber Respekt zu zeigen, also im Ernst: das ist inakzeptabel. Das ist echt superduperrespektlos gewesen von euch. Ihr hättet einfach ein paar Fragen stellen können wie 'Wo soll ich unterschreiben?' - ich meine, klar, zwanzig Prozent klingt nach viel, aber ist im Kontext gar nicht so- Hallo?"
Lexi Miller rührte sich nicht mehr.
Zwei behandschuhte Finger an der Halsschlagader verrieten Jacky, dass sie eiondeutig und ohne Zweifel tot war.
"Dahingeschieden. Von uns gegangen. In die ewigen Jagdgründe hinabgestiegen.", sagte sie laut und schnallte den Oberschenkelholster von Lexis Bein während sie weitersprach. "Das macht dann nur noch... äääähh..." Sie zählte im Kopf zusammen, während sie die Schrotflinte und das halbe Dutzend Patronen dafür einsammelte. "Ach keine Ahnung, all dieses Nachforschen und Nachprüfen und Nach-äh-stalken ist so anstrengend auf Dauer. So, so, so sehr anstrengend." Entnervt seufzte sie aus. "Du hättest mir echt einen Gefallen getan wenn du einfach 'Ja.' gesagt hättest. Wenn du 'Ja.' zur Königin und zum Vaterland und all dem Jazz ges-Ooooohhh, welch' auswegslose Situation du mir da eingebrockt hast, Lexi Miller. Auswegslos und ganz, ganz traurig, Lexi. Hörst du mir überhaupt zu?" Sie war im Begriff zu gehen, als sie noch einmal hinabschaute. Etwas stimmte nicht. Sie kniete auf den Boden, drehte den Leichnam der Blondine und betrachtete sie kurz mit ihrem von Sand bedeckten, leblosen Gesicht - bis sich plötzlich ihre Augen öffneten und sie mit beiden Hände den Hals der schlanken Albinobraut umschlung. Sie fiel nach hinten hin über, Lexi hockte nun auf ihr und schlug mit der rechten blutigen Hand mehrmals in Jackys Gesicht, bis diese eine handvoll Sand griff und Lexi ins rechte Auge rieb. Sie ließ ab und fiel nun ihrerseits nach hinten, während Jacky von ihr wegrobbte und laut nach Luft schnappte. Neben ihr lag Lexis Schrotflinte die sie mitsamt des Hoslters und der Patronen hatte fallen lassen, hinter Lexi die fast leergeschossene Beretta. Die beiden Frauen starrten sich kurz gegenseitig an, nachdem sie sich Sand aus den Augen und Luft zurück in die Lunge geholt hatten. Schwer atmend. Ernst schauend.
So schnell sie konnte wandte sich die schwer verwundete Lexi um und schnappte sich die Beretta, während sich Jacky zur Seite hin abrollte und die Schrotflinte ergriff.
Beide krümmten zeitgleich den Abzug.
Klack. Klack.
Sand in den Wummen sorgte für Ladehemmungen. Überrashct starrten beide auf ihre jeweilige Schusswaffe. Jacky lud die nächste Patrone und gab einen Schuss ab auf die zur Seite hin wegkrabbelnde Lexi, doch verfehlte um ein paar Meter. Lexi verkroch sich hinter dem Trinkbecken der Pferde und zog den Schlitten der Beretta nach hinten. Er rastete ein und gab den Blick auf die Kugelauswurfkammer frei. Die letzte Patrone war völlig bedeckt mit Sand, klemmte zwischen Schlagbolzen und Rohr fest. So schnell wie möglich fingerte Lexi die Kugel aus der Kammer, pustete drauf, schrubbte sie pber ihre Klamotte, pustete das Rohr durch, ließ zwei Male den Schlitten zurück und nach vorne schnellen - all das während Jacky aus ihrer Deckung - ein noch frischer Pferdekadaver direkt zwischen Pferdetränke und dem nahegelegenen Ein- und Ausgang der Stadt - heraus zwei weitere Schüsse abgab. Selbst wenn die Wumme jetzt fast schon wackelig klang und ihr die Munition ausging, sie konnte nicht irskieren dass Lexi zuerst schießen konnte. Sie war der Gunsmith von Wallis et Fortuna, einer der Schlächter von Fort Palmbay - die •••••••• hatte Eier aus Titan, wenn die Legenden stimmten. Doch bis jetzt war Lexi nichts weiter als eine 40-jährige Schabracke deren Körper nicht mehr bei all ihren Abentuern mitmachen konnte. Jacky hingegen war patriotisch erzogen worden - patriotisch, militärisch (zumindest halbwegs) und immer mit dem Gedanken, dass nur das Commonwealth die Wende bringen könnte in diesem Krieg. Nicht Räuber und Banditen wie die Miller oder all die anderen furchtbaren Individuen, die unschuldige Leute umbrachten für ihr eigenes Wohl. Piraten hatte man diese Leute genannt - nein, lediglich einfache Leute von einfachem Schlage waren das gewesen. Wie Bauern, nur mit weniger Getreide und mehr Prostituierten. Aber selbst die Prostituierten hatten mehr Ehre in sich als diese Miller!
"Mir macht das ja schon Spaß, Miss Miller.", rief sie herüber und lud lautstark die Schrotflinte durch nach dem zweiten Schuss in die Tränke. "Aber so langsam müssen wir das Ganze zu einem halbwegs zufriedenstellenden Ende bringen. Wissen Sie, wie schwer es ist in der heutigen Zeit an Informationen heranzukommen? Wirklich, wirklich, wirklich sehr sehr schwer. Und all diese Arbeit und all dieses Geschieße und Geschrei und all das wofür? Dafür, dass ich hinter einem toten Pferd liege und darauf warte, dass sie Ihren letzten Schuss abgeben. Man nennt mich nicht Jacky 'The Noble' Sartana weil ich von königlicher Abstammung bin..."
"... sondern weil du ein bekackter Snob bist?", wurde sie harsch von Lexi unterbrochen, was sie mit einem weiteren Schrotflintenschuss in die Tränke beantwortete. Aus den zahlreichen Löchern floss trübes Wasser in den Sand, verwandelte die Wüste um den Bottich herum in ein Schlammbad das in der Hitze der Sonne wiederum zu einer tonartigen Masse trocknete.
"Exakt - ich bin zu gut für diese Art von Arbeit."
"Bist du also nicht gerne der Bösewicht?"
"Inkorrekt - ich denke, ein jeder muss ab und an die dunkle Seite seiner Selbst herauslassen um zu imponieren. Es ist primitiv, ja, aber wirkungsvoll, wenn man jemandem vor den Augen seiner Leute eine Machete in den Kopf rammt als wäre dieser eine Kokosnuss. Plus, es macht Spaß, solange man dafür bezahlt wird."
"Aha. Ich glaube, ich könnte dich sogar gut leiden mit einer derartigen Einstellung. Abgesehen vielleicht vom Part mit der Kokosnuss..."
"Oh, im Ernst? Danke. Das ehrt mich! Das mit der Machete, also der Spruch, auf den bin ich ganz alleine gekommen."
"Also haust du nicht Leute Messer in die Köpfe?"
"Oh doch, da war das eine Mal wo ich einem tatsächlich eine Machete in den Kopf gehauen habe - aber er war schon ein Zombie, also zählt das nciht wirklich, denk' ich. Und da war das eine Mal, wo ich einer Frau mit die Brüste amputiert habe weil sie nicht ganz ehrlich mit mir war was, äh, ihre finanzielle Situation anging. Ich mag es nicht, übers Ohr gehauen zu werden."
"Und ich mag es nicht ,wenn man auf mich schießt."
"Das Adrenalin, der Schub, diese Spanung - ich liebe die Augenblicke der Gefahr, vor allem bei SChusswaffen. Es kommt in letzter Zeit so selten vor, dass ich in eine glorreiche Schießerei verwickelt werde. Alles ist so barbarisch geworden mit ihren Äxten und Messern und, es stimmt, es hat irgendwo seinen Reiz. Aber ncihts geht über gehärtetes, stark erhitztes Blei, was mit Überschallgeschwindigkeit durch eine Röhre katapultiert wird und Leute blitzschnell kampfunfähig macht. Plus, es macht um einiges weniger Sauerei als, äh, naja siehe Kokosnuss-Metapher."
"Ich bin auch eher der Fan von Schusswaffen - aber nicht weil es schnell geht, sondern weil ich den Geruch von verbranntem SChwarzpulver liebe. Und ich liebe es Waffen auseinanderzubauen und zu modifizieren. Das.... es hat was von Vollkommenheit für mich, weißt du, etwas Meditatives."
Ein paar Sekunden lang herrschte Funkstille zwischen den beiden Frauen.
"Bereit?"
Der Schlitten der Beretta schnellte nach vorne, die Waffe war geladen. Entsichern. Schonmal in Bereit-Stellung vor die Brust halten...
"Ich wurde bereit geboren."
Zwei Schüsse fielen in dem Moment, als die beiden Frauen aus ihren Deckungen hervorkamen. Die Schrotflintenschrapnelle trafen Lexi in den Bauch, durchsiebten ihre Lunge und ihren Darm, während Jacky mit einem Bauchschuss nach hinten hin zu Boden fiel und liegen blieb. Ein paar Sekunden lang blieb Lexi stehen, blickte auf den leblos da liegenden Körper der jungen Frau im Anzug, bevor sie ihre Augenlider schloss und nach vorne hin in den Sand fiel.
Ein echt cooler Tod eben.
Soviel Geschnatter und Gerede und all die lauten Geräusche von ihrem Atmen und-
Mit Schnappatmung erwachte Jacky und sah in die Runde. Da waren zehn Leute, allesamt in rudimentärer Alltagskleidung - meist braun- oder beigefarbene Stoffroben, hier und da trugen welche Sonnenbrillen gegen die Sonneneinstrahlung - und wuselten um sie herum. Hatten sich Schrotflinte und Beretta geklaut, verarbeiteten deren Einzelteile wohl gerade in einer primitiven Schleifmaschine oder ähnlichem. Jacky hingegen stand auf, fummelte im Aufstehen vor sich im Sand und fand tatsächlich ihre Sonnenbrille, ohne die sie quasi blind war in der Wüste. Sie setzte sie im Aufstehen auf und schaute hinüber zu fünf Typen, die Lexis Leich vom Boden aufhoben und im Begriff waren, die wegzutransportieren.
"Haltet ein! Lasst die gute Frau Doktor mal kurz gucken ob es der toten Patientin wirklich gut geht.", rief die Kopfgeldjägerin und stapfte zu ihnen. Diesmal tastete sie mit der nicht behandschuhten Hand nach einem Puls am Hals. Doch da war nichts. Lexis Augen starrten nach oben hins Leere, um ihrem Mund herum war verkrustetes Blut zu erkennen - diese Frau war offiziell nicht mehr am Leben.
"Okay, tot, sehr gut. Und ab dafür.", sagte sie und winkte in die grobe Richtung des Dorfplatzes, wo man fünf oder sechs weitere Leichen vom Boden aufsammelte. Die Tatsache, dass niemand nach ihr suchte in dieser Stadt oder nicht nach ihr suchen wollte, gab ihr irgendwie zu denken. Auf der anderen Seite war es wahrscheinlich der Anzug, vor dem sie alle Schiss hatten. Anzüge bedeuteten Ärger. Anzüge bedeuteten Authorität. Anzüge bedeuteten "Diese Person trägt einen Anzug und darf entsprechend nicht herablassend behandelt werden.". Sie stapfte zurück zum Üferdekadaver und hob die papierne Akte auf, die sie im Feuergefecht hatte fallen lassen. Oben auf im Papierhaufen lag eine Liste mit Informationen zu Lexi Miller. Körpergröpße, Haarfarbe, religiöse Ausrichtung, Rang beim MIlitär und ihre Rolle beim Massaker von Palmbay. Und nun konnte sie mit ihrem Daumennagel ein Kreuz auf Lexis Foto machen, um die Mission als Erfolg zu kennzeichnen.
Sie würde zurückkehren müssen, um noch mehr Informationen zu sammeln.
Es gab viel zu tun. Viel zu viel. Aber dafür war sie da. Sie machte die Arbeit die sonst keiner machen wollte.
Sie trug einen Anzug. Und sie war die einzige Normale im Outback.
Ihr Name war Jacky "The Noble" Sartana. Und sie war Britin.
Das Blöde war nur, dass sie ihren Auftrag nicht zufriedenstellend erfüllt hatte.
Ein Röcheln, ein lautes Aufatmen, ein verschwommenes Gesicht vor ihren Augen, Druck auf Brust und Bauch, und das erste Wort seit ein paar Minuten totaler Schwärze:
"Fuck...!"
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Geändert von T.U.F.K.A.S. (07.03.2014 um 08:43 Uhr)