Es war kalt, es war windig, es war feucht und das gefiel Prudence garnicht! Ständig waren ihre Lippen trocken, rissen auf und es erinnerte sie...!
Herman... daran wollte sie sich eigentlich nie wieder erinnern. An diese vermaledeiten „Ausflüge“.

„Prudence! Jack! Wo bleibt ihr?! Marsch, Marsch ihr Jammerlappen, keine Müdigkeit vortäuschen!“

„Wir kommen doch schon, Dad!“
„Das will ich sehen!“

Pah! Jeden zweiten Sonntag ging es in den Wald. Jeden zweiten Sonntag mussten sie Wandern, Zelten, Jagen und sich schinden lassen.
Diese ganze Strapaze hier... sie schürfte tief in den Erinnerungen der rüstigen Frau und wühlte Dinge auf, brachte sie wieder an die Oberfläche ihres Bewusstseins...
Welch Zumutung!

*

Die feinen Eiskristalle die sich in den mittlerweile, für seinen Geschmack, viel zu langen Barthaaren festsetzten störten ihn nach dem dritten Tag schon kaum noch. Doch er musste immer wieder über sein Gesicht wischen, nichts war schlimmer als festfrierende Haare im Gesicht, die dafür sorgten, dass seine Lippen blau anliefen oder ihm vielleicht sogar Frostbeulen bescherten.

*

Sie krochen eine gefühlte Ewigkeit durch den Gebäudekomplex, vielleicht kam das aber auch nur Prudence so vor, die sich mit so schmerzlichen Erinnerungen beschäftigte.
Etwas nagte an ihr, etwas Beunruhigendes.
Gedankenverloren blickte sie umher, orientierte sich von ihren Bewegungen her nur an der Gruppe, doch sie schien auch kurz abzudriften und wurde nur durch die Hand des... Franzosen... wieder zurück in die Wirklichkeit geholt.
Sie wusste nicht genau warum, aber es war die Hand dieses jungen Mannes, welche ihr wieder ins Gedächtnis rief, woran sie so lange nagte.
Ein paar Wochen bevor das Unglück Camp Hope traf...
Sie erinnerte sich wieder, als wäre es erst vor wenigen Minuten passiert. Vantowers klopfte persönlich an ihre Tür und überbrachte sowohl ihr, als auch ihrem Sohn eine wichtige Nachricht. Ein Verlegungsbefehl, aufs Festland. Viel wusste Prudence nicht, der Befehl, die Akte die sie bekamen, alles höchste Geheimhaltungsstufe. Der Satz aus diesem Bericht „Die McAldrins sind wichtig.“, er klingelte ihr in den Ohren.
Die alte Frau dachte an die vielen Zombies die sich im gesamten Komplex herumtrieben, dachte an das Schicksal ihres Sohnes und musste sich die bittere Realität wohl so langsam eingestehen.
Ihr Sohn...

*

Dieser Raum war furchteinflößend. Dieses ganze Gebäude erfüllte den Franzosen mit enormen Unbehagen. Das ständige Gefühl der Gefahr ließ ihn nicht los und machte es ihm schwer ruhig zu bleiben.
Dieser... Mann... im Tank. Er wusste nicht was er davon halten sollte, aber es erinnerte ihn an diverse Horrorfilme und nicht an die Rettung der Menschheit. Den kleinen Jungen, Niki, schien das aber nicht so wirklich zu jucken, er zog sofort los und fing an die Aktenschränke zu durchwühlen, immerhin... auch eine Art sich zu beschäftigen. Beschäftigte Hände sind glückliche Hände, so sagte einmal sein Ausbilder.
Seine Augen wanderten nervös durch den Raum und fanden irgendwann die zusammengekauerte Gestalt von... Prudence?
Er hatte viel erwartet von der alten Frau, dass sie die Akten ordnet, dass sie das Glas des Tanks streifenfrei reinigt, dass sie den Leuten über die Schulter guckt und darauf achtet, dass niemand etwas klaut oder falsch macht.
Stattdessen saß sie in einer der Ecken, stumm, bewegungslos und erst als Gabe einen Schritt näher kam sah er die alte Frau... weinen.
Stumm und bewegungslos weinen. Es war vollkommen widersprüchlich, was er dort sah und doch... passierte es.
„Miss... McAldrin?“ der dicke, französische Akzent bewegte sich nur schwer über seine Lippen, es war, als wehrten sich die Worte aus ihm zu fließen. Doch auf eine Antwort hätte er wohl auch lange warten können. Gabriel ging einen Schritt auf die rüstige Frau zu und kniete sich zu ihr.
„Miss McAldrin... geht es ihnen gut?“
„Ich bin allein...“
Gabe verstand nicht was sie meinte. Allein? Hier waren doch jede...
„...niemand ist mehr da. Mein Mann. Mein Sohn. Meine Enkel... niemand mehr...“

Er brauchte nicht lange um zu verstehen, was sich gerade in der Gedankenwelt der alten Frau abspielen musste.
„Aber Miss McAldrin... wissen sie denn, ob sie... sie... tot sind?“
Der Blick, der ihn traf war geprägt von Wut, Trauer und tiefster Verachtung. Aber was hätte er auch erwarten sollen?
„Natürlich sind sie tot!“ Zischend drangen die Worte ihm entgegen. „Meine Enkelin liegt irgendwo in Sydney, als Verräterin gestorben. Mein Sohn läuft vermutlich in diesen Mauern umher...und wenn ich nicht die Waffe damals gehalten hätte, dann hätte jemand anderes diesen ekelhaften Kerl abgeknallt!“
...wow... die Tränen rannen in beachtlichem Tempo aus den Augenwinkeln von Prudence und... es war eigenartig, aber Gabe glaubte, dass er etwas ähnliches wie... Mitgefühl empfand.
Was war im Leben dieser Frau alles passiert? Er war zutiefst verwirrt und... setzte sich neben sie.
„Das... tut mir Leid.“