SHINGEKI NO KYOJIN 25/25
Ich bin gerade auch mit dem Anime fertig geworden, muss aber leider sagen, dass ich nach dem meiner Meinung nach hervorragenden Anfang recht enttäuscht von der Serie bin, da mir der Verlauf nicht so recht gefallen wollte. Aber ich gehe mal besser auf alle Punkte einzeln ein.
GRAFIK
Shingeki no Kyojin sieht hervorragend aus. Der Opening ist vermutlich eines der aufwändigsten aller Zeit und es stecken hohe Production Values im gesamten Anime. Die Charakterdesigns heben sich z.B. durch die dicken Konturen nett vom Standard ab und die Hintergründe sehen am Anfang phantastisch aus (ihre Qualität lässt aber später ein bisschen nach). Das europäische Setting wurde in wenigen Animes bisher so ansprechend präsentiert. Auch wird in Shingeki no Kyojin teilweise die beste CG-Animation benutzt, die ich in Animes bisher gesehen habe, was für furiose Action-Szenen sorgt, die mit Handzeichnung in der Quantität nicht möglich gewesen wären. Allerdings ist die CGI-Qualität nicht konstant so hoch – der Zeitdruck der Animateure hat dafür gesorgt, das manche Hintergründe später etwas verwaschen und wenig detailreich aussehen, und z.B. der Baum, der in einer Folge im Wald umgekippt ist, sah ziemlich billig aus. Im Großen und Ganzen ist das CGI-Niveau aber ziemlich hoch.
MUSIK
Wie auch die Grafik stecken in der Musik hohe Production Values. Es gibt zahlreiche Stücke mit epischen Chören und viele bombastische Orchester-Aufnahmen. Aber auch (und vielleicht besonders) einige der ruhigen Stücke sind gelungen. Bisweilen weiß aber ein experimentelles Element nicht ganz zu überzeugen, und die Insert Songs sorgen oft für eine andere Stimmung als die, die ich mir gewünscht hätte.
Die beiden Openings von Revo fand ich verdammt gut, und das erste Ending hat mir auch sehr gut gefallen.
STORY / CHARAKTERE / SETTING / ATMOSPHÄRE
Die Prämisse von Shingeki no Kyojin ist in der Form, in der sie anfangs umgesetzt wird, extrem spannend. Es wird eine sehr bedrückende Atmosphäre aufgebaut, und die kritische Lage, in der sich die Menschheit befindet, wird sehr schnell nur allzu deutlich. Dies spiegelt sich natürlich auch in den Gefühlen der Menschen wieder, und der tragische Anfang ist ein fesselnder Auftakt zu einer Geschichte, die sich hauptsächlich durch das Setting definiert.
Nach einem Viertel nimmt die Qualität leider stark ab. Das Pacing fällt massiv ab (was zum Teil den Produktionsproblemen zuzuschreiben ist), am Anfang der Folge gibt's teils dreiminütige Recaps und die Action-Szenen werde dadurch massiv in die Länge gezogen, dass die Charaktere ewige (innere) Monologe führen. Und die Charaktere sind ein weiteres Problem, denn keiner schafft es, wirklich interessant zu sein. Die meisten Charaktere werden hauptsächlich durch die Dramatik der Handlung charakterisiert. Alles was sie tun, denken und sagen ist durch extreme Emotionen wie Trauer, Wut, Verzweiflung oder Hoffnung definiert. Es gibt kaum Interaktion zwischen den Charakteren auf „normaler“ Ebene (Mikasa und Eren führen beispielsweise nach dem Anfang keinen vernünftigen Dialog mehr). Stattdessen sieht man nur, wie sich die Charaktere in den Extremsituationen selbst bemitleiden, die Schuld zuschreiben oder Rachegedanken hegen. Darunter leiden auch die Action-Szenen, denn deren Pacing und Glaubwürdigkeit geht verloren, wenn die Charaktere dann, wenn sie handeln sollten, erst einmal ein paar Minuten reden oder denken oder ihren Gefühlen freien Lauf lassen.
Einige der Wendungen sind ganz nett, andere relativ vorhersehbar. Die dichte Anfangsatmosphäre wird in der Form nicht wieder aufgebaut, und das Ausmaß von Zerstörung und Gewalt, das im Anime an der Tagesordnung steht, sorgt dafür, das die wirklich heftigen Szenen keinen besonderen Effekt mehr haben. (Statt einem Charaktere einmal ins Gesicht zu schlagen muss er gleich halb tot geprügelt werden – mit viel Blut. Solche Sachen halt.)
Ich bin mir sicher, Shingeki no Kyojin hätte mich im Verlauf viel mehr angesprochen, wenn es erwachsener und realistischer gewesen wäre – sowohl in der Darstellung als auch bei den Dialogen. Die Charaktere dürfen ruhig emotional sein, aber man sollte es nicht übertreibe. (Stichwort: Weniger ist mehr.)
Es gab auch danach durchaus noch spannende Szenen (die 57. Mission außerhalb der Mauer fand ich z.B. wieder ziemlich gelungen), aber seine größte Priorität hat der Anime darauf gelegt, episch zu sein. Das hat gut funktioniert, aber leider mussten darunter andere Aspekte stark leiden. Wäre ein etwas reiferes Kriegsdrama aus dem Anime geworden, hätte mich das in Kombination mit dem tollen Setting sicherlich gefesselt. Aber das geht nicht, wenn die Hälfte der Zeit auf rasante Action-Szenen oder epische Zerstörungsmärsche verwendet wird.
Es war zwar immer noch „gut“, aber weit weg von dem, was ich mir nach dem Anfang erhofft hatte.
SUBS:
Ich werde aber jetzt nicht mehr zu gg greifen. Prinzipiell finde ich die Übersetzungen von vale ziemlich gut – vor Allem sprachlich. Was mich aber massiv stört, ist der Slang, der teilweise von der Stimmung absolut nicht dem entspricht, was wirklich gesagt wird, und – viel schlimmer – oft in dem Setting völlig deplatziert ist und somit anti-immersiv wirkt. Um konkreter zu werden: Sachen wie "I'll beat the shit out of you", "for fuck's sake", "fucking" und "motherfucker" haben in einem mittelalterlichen Setting wie bei Shingeki no Kyojin nichts zu suchen! Das müsste man gerade dann merken, wenn sich der Anime in Kontrast zu den meisten anderen Shounen-Serien bemüht, auf cool klingende englische Begriffe zu verzichten.
Das ist nicht das erste Mal, dass ich diese Erfahrung mit gg gemacht habe. Mit Aku no Hana und Garantia hatte ich das gleiche Problem (vale übersetzt zwar auch für andere Gruppen, aber da ist mir das nicht so stark aufgefallen – vielleicht haben die Editoren da eine andere Vorgehensweise).
FAZIT
Das Potential durch die tollen Prämisse und die anfänglich sehr dichten Atmosphäre kann Shingeki no Kyojin leider nicht ausschöpfen. Stattdessen geht der Anime in eine Richtung, die mir nicht ganz zusagt: Charaktere wirken wenig überzeugend und die Geschichte kommt nur langsam voran, wird aber mit vielen, langgezogenen Action-Szenen angereichert.
Zwar immer noch ein guter Anime, aber einer, der unter vielen deutlichen Schwächen leidet.