Jul hiefte sich an Bord und warf die kugelsichere Weste sowie das Regencape, in welches sie die Landkarte eingewickelt hatte, vor sich auf den Boden. Sie würde später überlegen, wem sie die Sachen am besten gab, erst Mal musste sie trocken (und idealerweise auch sauber) werden. Sie wollte sich gerade auf den Weg in eine der Kabinen machen, da sah sie Shelley und Celina, die gerade die Treppe hinauf kamen und sich unterhielten. Jul konnte leider nicht verstehen, um was es bei ihrem Gespräch ging, aber sie bemerkte, dass sie beide einmal zu ihr hinüber sahen, sie aber nicht ansprachen und offensichtlich auch nicht weiter beachteten.

Jul senkte den Kopf. ‚Natürlich sprechen sie mich nicht an. Warum sollten sie auch?‘ Jul hatte nie viele Freunde gehabt, und Freundinnen noch weniger. Eine einzige sogenannte „beste Freundin“ hatte sie in ihrem Leben gehabt. Und das war im Kindergarten und den ersten zwei Jahren der Grundschule. Danach war Melanie weggezogen. Sie hatte zwar immer Kontakt mit ihren Klassenkameradinnen und Kameraden gehabt, und auch später mit den anderen aus ihrem Leichtathletikverein oder aus dem Studium, aber über eine lose Bekanntschaft ging es dann doch sehr selten hinaus. Jul war kurz davor, zum zweiten Mal an diesem Tage eine Träne zu vergießen, doch riss sie sich zusammen. ‚Nicht hier, wo dich jemand sehen könnte…‘

Sie schlich hinter den beiden vorbei und begab sich in die Kabine, die sie in den letzten Tagen zum schlafen, umziehen und gelegentlichem frisch machen verwendet hatte. Da sich ihr Frischwasservorrat bedrohlich verringerte, verzichtete Jul auf eine ausgiebige Dusche. Stattdessen wusch sie sich nur mit einem Waschlappen den gröbsten Dreck von ihrem Körper. Nur den Gestank bekam sie nicht so richtig weg. Sie betrachtete sich im Spiegel. Ihr Gesicht wirkte mager und abgeklärt, die Traurigkeit war ihr zum Glück nicht anzusehen. Sie fuhr sich einmal mit den Fingern durch die Haare (ein eher kläglicher Versuch sie zu kämmen, aber der alte Vantowers hatte leider weder Bürste noch Kamm in seiner Kabine aufbewahrt) und zog sich dann ein neues Top über. Zwar auch nicht mehr das frischeste, aber immer noch sauberer als das, mit dem sie zuvor durch das brackige Kanalwasser geschwommen war. So konnte sie wenigstens dem Rest der Gruppe gegenüber treten, ohne dass man gleich davon laufen würde.

Als sie das Deck wieder betrat, waren Celina und Shelley immer noch da. Und Shelley fiel grad Celina um den Hals. Jul schluckte den Kloß, der gerade in ihrem Hals aufsteigen wollte, eilig herunter. „Hey, nehmt euch ein Zimmer, wenn ihr euch so gern habt!“ rief sie den beiden entgegen, in der Hoffnung, dass diese den Scherz verstanden, auch wenn ihre Stimme dies nicht gerade vermuten ließ.