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Ritter
Shelley fühlte sich machtlos. Was sollte sie nur tun? Die verzweifelte Hoffnung, durch den dichten Nebel - wenn man es denn so nennen konnte - etwas zu erkennen war weitestgehend Hoffnung geblieben, da nützte auch das runde Fernglas-Teil nichts.
Mittlerweile lief sie hilflos auf und unter Deck herum, beruhigte sich jedoch nach und nach mehr. Sie war an diesem Punkt der Reise niemandem eine große Hilfe, hatte sich aber nun damit abgefunden. Manchmal war es einfach wichtig, das zu erkennen und sich im selben Zug einzugestehen, dass das Nichtstun den anderen vielleicht mehr helfen würde als unüberlegtes Hals-über-Kopf-Handeln. Als sie auf der Flucht aus Sidney das letzte Mal etwas Unüberlegtes getan hatte, hat das nur wenig geholfen...
Sie stand kurz vor dem Erfolg. Die Flucht aus Sidney hatte sie geschafft, wenn sie sich zuvor auch selbst in Gefahr gebracht hatte. Die Nachricht von Ian, die Willy Stern verkündete, hatte sie quasi durchdrehen lassen. Bescheuerter Weise war sie in einer Nacht- und Nebelaktion geflüchtet, hatte Andrea und den Rest ihrer Ex-Kollegen zurückgelassen, wäre dabei beinahe drauf gegangen. Doch irgendwie meinte es das Schicksal gut mit ihr und sie war in Sicherheit. Vor sich der Blick auf das Meer, hinter sich der Blick auf die anderen Flüchtlinge, die noch folgen würden. Alle würden sie durchkommen. Jedenfalls war das der Plan. Bis...
Shelley schüttelte den Kopf. Es war albern, sich jetzt mit den Gedanken zu belasten. Sie hatte es ohnehin abgehakt und sich selbst davon überzeugt, dass sie keine Schuld traf. Sie hatte nur das Beste gewollt und konnte nicht ahnen, dass durch ihr Tun mindestens drei Personen sterben würden. Es war ein rettender Gedanken-Anker, darauf zu hoffen, dass alles was sie tat vielleicht mehr Menschen geholfen hatte, als darunter leiden mussten.
So nahm sie die Finger von der Reling - tief in Gedanken hatte sie kaum mitgekriegt, dass ihre Füße sie auf das Vorderdeck getragen haben - und blickte nur sehr kurz nach vorne. Ohne die Aussicht auf nichts als Nebel wäre es vielleicht ein schöner, ja fast romantischer Platz. Doch der dreckige Dunst ließ sich mit der größten Fantasie nicht wegdenken.
Als sie sich umdrehte, um abermals das Deck zu verlassen, blieb sie dann doch stehen. Ivan saß dort und sah sie an. Obwohl... beim zweiten Hinsehen kam es ihr mehr so vor, als würde er durch sie hindurch sehen, einfach ein gnadenlos tiefes Loch in die Luft starren. Dass er ihr seichtes Winken nicht zu registrieren schien, obwohl sie eigentlich doch direkt in seinem Blickfeld stand, schien das zu bestätigen. "Hallo?", kündigte sie ihre Anwesenheit nachträglich an, doch noch immer reagierte er nicht. Langsam war sie fast etwas besorgt, trat schließlich näher.
"Hallo! Geht es Ihnen gut?", fragte sie und fühlte sich ganz gut dabei, einen neuen Kontakt zu schließen, bevor dieser starb oder vom Schicksal unrettbar verurteilt wurde. Es war vielleicht nicht einfacher, Personen sterben zu sehen, die man mochte, doch Optimismus war in diesen Tagen das A und O. Hinterher warf man sich ja doch immer nur vor, wenn man jemanden nicht kannte.
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