Shelley fühlte sich machtlos. Was sollte sie nur tun? Die verzweifelte Hoffnung, durch den dichten Nebel - wenn man es denn so nennen konnte - etwas zu erkennen war weitestgehend Hoffnung geblieben, da nützte auch das runde Fernglas-Teil nichts.
Mittlerweile lief sie hilflos auf und unter Deck herum, beruhigte sich jedoch nach und nach mehr. Sie war an diesem Punkt der Reise niemandem eine große Hilfe, hatte sich aber nun damit abgefunden. Manchmal war es einfach wichtig, das zu erkennen und sich im selben Zug einzugestehen, dass das Nichtstun den anderen vielleicht mehr helfen würde als unüberlegtes Hals-über-Kopf-Handeln. Als sie auf der Flucht aus Sidney das letzte Mal etwas Unüberlegtes getan hatte, hat das nur wenig geholfen...
Sie stand kurz vor dem Erfolg. Die Flucht aus Sidney hatte sie geschafft, wenn sie sich zuvor auch selbst in Gefahr gebracht hatte. Die Nachricht von Ian, die Willy Stern verkündete, hatte sie quasi durchdrehen lassen. Bescheuerter Weise war sie in einer Nacht- und Nebelaktion geflüchtet, hatte Andrea und den Rest ihrer Ex-Kollegen zurückgelassen, wäre dabei beinahe drauf gegangen. Doch irgendwie meinte es das Schicksal gut mit ihr und sie war in Sicherheit. Vor sich der Blick auf das Meer, hinter sich der Blick auf die anderen Flüchtlinge, die noch folgen würden. Alle würden sie durchkommen. Jedenfalls war das der Plan. Bis...
Shelley schüttelte den Kopf. Es war albern, sich jetzt mit den Gedanken zu belasten. Sie hatte es ohnehin abgehakt und sich selbst davon überzeugt, dass sie keine Schuld traf. Sie hatte nur das Beste gewollt und konnte nicht ahnen, dass durch ihr Tun mindestens drei Personen sterben würden. Es war ein rettender Gedanken-Anker, darauf zu hoffen, dass alles was sie tat vielleicht mehr Menschen geholfen hatte, als darunter leiden mussten.
So nahm sie die Finger von der Reling - tief in Gedanken hatte sie kaum mitgekriegt, dass ihre Füße sie auf das Vorderdeck getragen haben - und blickte nur sehr kurz nach vorne. Ohne die Aussicht auf nichts als Nebel wäre es vielleicht ein schöner, ja fast romantischer Platz. Doch der dreckige Dunst ließ sich mit der größten Fantasie nicht wegdenken.
Als sie sich umdrehte, um abermals das Deck zu verlassen, blieb sie dann doch stehen. Ivan saß dort und sah sie an. Obwohl... beim zweiten Hinsehen kam es ihr mehr so vor, als würde er durch sie hindurch sehen, einfach ein gnadenlos tiefes Loch in die Luft starren. Dass er ihr seichtes Winken nicht zu registrieren schien, obwohl sie eigentlich doch direkt in seinem Blickfeld stand, schien das zu bestätigen. "Hallo?", kündigte sie ihre Anwesenheit nachträglich an, doch noch immer reagierte er nicht. Langsam war sie fast etwas besorgt, trat schließlich näher.
"Hallo! Geht es Ihnen gut?", fragte sie und fühlte sich ganz gut dabei, einen neuen Kontakt zu schließen, bevor dieser starb oder vom Schicksal unrettbar verurteilt wurde. Es war vielleicht nicht einfacher, Personen sterben zu sehen, die man mochte, doch Optimismus war in diesen Tagen das A und O. Hinterher warf man sich ja doch immer nur vor, wenn man jemanden nicht kannte.
Besser vorbereitet, begab Matt sich wieder nach draußen. Alle anderen schienen noch immer stark beschäftigt zu sein. Deshalb nahm er sich die Zeit, die Umgebung näher zu betrachten. Dabei fielen ihm ein paar Kisten auf, die immer Wasser umhertrieben. Es wäre vielleicht eine gute Idee, einmal nachzusehen, was dort drin war. (Aufgabe Gamma)
"Hallo! Geht es Ihnen gut?" war es, was ihn aus seinen Gedanken holte. Wie konnte es sein, dass er vor sich diese junge Frau nicht wahr genommen hatte bis eben? Er nickte und hielt sich die Hand. "Es... Kriegsverletzung." meinte er, "Sie sich melde. Ich Ivan Dolvich" stellte er sich vor und hielt sich die Hand, an der er verwundet worden war. Durch die Handschuhe war nichts davon zu sehen, was ihm doch sehr gelegen kam, doch... was sollte er der jungen Frau nun sagen, wo er selbst nicht einmal wusste, was kommen würde oder was er tun sollte? Und dann noch der pochende Schmerz an der Stelle, an der ein Teil seines Mittelfingers fehlte. Und wer weiß, wie lange er diese Ausrede noch verwenden konnte, geschweige denn wie lange er noch bei Verstand blieb? Oder würde er irgendwann seelenlos sich über die Gruppe her machen?
Die Ruhe sollte er bewahren und das konnte er recht gut, was nicht zuletzt daran lag, dass er ohnehin keine wirkliche Gesichtsmimik zeigte. "Sie sich nich mache Sorge." setzte er nach und... lächelte, trotz des pochenden Schmerzes.
Der alte Soldat wirkte zumindest ruhig, vielleicht war es aber auch schon Lethargie.
"Ich bin Shelley. Shelley Weinberg", antwortete sie als der Russe sich vorstellte und sah auf die Hand. Irgendwas war hier nicht in Ordnung. Natürlich hatte der Mann verdient, tief in Gedanken zu sein, in diesen Tagen. Das war bei ihr selbst ja nicht anders. Doch irgendwas sagte ihr, dass er viel zu ruhig war. Vielleicht war es Intuition, vielleicht Menschenkenntnis, vielleicht ein Schuss ins Blaue, mit dem sie total daneben liegen würde. Doch irgendetwas stank hier.
"Ich habe medizinische Erfahrung!", sagte sie langsam und besah sich dabei wieder die Hand, die er sich hielt. Sie hatte nur eine ganz allgemeine Frage gestellt und er bezog diese gleich auf die angebliche Kriegsverletzung, als wäre das der Mittelpunkt seines Befindens, als müsste er eine Ausrede haben. "Ich kann sie mir ja mal ansehen, die Verletzung!", fügte sie lächelnd hinzu und ahnte bereits, auf was das hier hinauslaufen würde. Vielleicht legte sie es einfach drauf an.
"Ich meine... so alte Kriegsverletzungen können auch später noch schmerzhaft werden, merken Sie ja. Und zusätzliche Schmerzen müssen nicht sein, wir werden ja eh schon genug ausgesetzt hier. Ich habe zwar nicht so wirklich viel Nützliches dabei, aber immerhin sind wir quasi in Zhanjiang, da gibt es bestimmt andere medizinische Möglichkeiten. Mehr Verbände, Salben, Heilmittel."
Shelley sah ihn fast etwas fragend an. Hatte er ihre Andeutungen verstanden? Die Sprachbarriere war ja immerhin da. Und vielleicht lag sie eben auch total falsch und es gab einfach nichts zu verstehen. "Wie gesagt, ich würd' mir das gerne ansehen. Wir können dafür auch unter Deck gehen, damit niemand etwas davon mitbekommt, wenn Ihnen das lieber ist. Stellen Sie sich einfach vor, dass ich ihre Ärztin bin und meiner Schweigepflicht nachkommen werde, sofern Sie das verlangen."
Auch Nathan war von seinem "Ausflug" zurück gekehrt. Es gab also noch Überlebende in dieser Stadt. Und die Tatsache, dass sie es so lange geschafft hatten in diesem Dreck hier zu überleben, sprach dafür, dass es innerhalb der Wohnblöcke vielleicht doch nicht so schlimm war.
*grummel*
Juls Magen knurrte verdächtig laut. Es war eine Weile her, dass sie sich zuletzt richtig satt gegessen hatte. In den letzten Tagen auf dem Meer waren ihre Vorräte immer weniger geworden. Und Fische hatten sie auch keine mehr gefangen. Und so dreckig wie dieser Kanal war, konnte sie wohl auch nicht damit rechnen, dass sie so bald wieder frischen Fisch aufgetischt bekommen würden. Sie erblickte Ivan, der auf einem der Liegestühle saß. So wie er aussah, war er ebenfalls an Land gegangen. Aber anscheinend hatte er dort nicht so viel Glück gehabt wie vor einigen Tagen beim Angeln. Hätte er doch sonst sicherlich etwas gesagt, wenn er Vorräte gefunden hätte. Es grummelte erneut in ihrer Magengegend. Wie es aussah, blieb ihr keine andere Wahl, als selbst dafür zu sorgen. Sie räusperte sich...
"Hey, Leute!" rief sie quer über das Deck der Heather, in der Hoffnung dass sie genügend hören konnten. "Wenn wir es schaffen diese Schleuse hier zu überwinden ist es ja nicht mehr allzu weit bis zum Reservat, wo wir hoffentlich sicher sind und Rettung finden. Allerdings brauchen wir bis dahin noch ein bisschen und unsere Vorräte gehen zur Neige. Und wenn ich ehrlich bin, ich hab nen Mordshunger! Also würde ich vorschlagen, dass wir uns noch mal in die Stadt begeben und gezielt nach was zu essen suchen sollten. Ich erkläre mich freiwillig dazu bereit. Wenn mich jemand begleiten möchte, kann er oder sie das aber gerne tun." (Aufgabe Beta, Kampf)
Ja, ja, Schweigepflicht. Das hatte er schon einmal gehört und was hatte es ihm eingebracht? Er flog aus der Armee, weil er sich dem Arzt mit seinem Alkoholproblem anvertraute. Doch war es bei ihr anders? Sie schien nicht in die Schublade intriganter Lügner passen zu wollen, nahm er an. Er hätte nicht erklären können warum er da einknickte, doch er stimmte zu, mit ihr unter Deck zu gehen und in einem nur von einer Tür aus zugänglichen Raum schließlich bat er sie, die Tür zu schließen.
"Ich hoffen Sie nehme bei Wort" begann er, als er den Handschuh seiner linken Hand löste und auch das Tuch von der noch blutenden Wunde entfernte. Viele Worte musste er da nicht verlieren wo es doch mehr als offensichtlich war, dass ein Teil des Mittelfingers durch einen Biss nicht mehr vorhanden war. "Ich niemande nicht traue... wenn sie wisse was habe ich..." begann Ivan, "... dann sie werde beende." fuhr er fort. "Es aber nix gebe Heilung..."
Ivan legte seine Hand auf die Tischplatte und zog sein Messer heraus. "Wenn ich schneide ab...?"
Sie machte für einen Moment große Augen und sah Ivan dann eindringlich an, schüttelte den Kopf. "Nee...nee. Das mit dem Amputieren funktioniert nicht. So schnell kann man das nicht aufhalten, wie sich das... Gift ausbreitet."
Nur leicht angewidert - man hatte sich ja inzwischen doch an so etwas gewöhnt - blickte sie auf die Wunde an der Hand, den nahezu komplett fehlenden Finger. "Ich habe Alkohol zum Desinfizieren der Wunde. Der Virus ist zwar drin, aber es muss sich ja nicht zusätzlich entzünden!" Shelley hatte natürlich ihre Medizintasche mitgenommen und durchsuchte sie nun nach der alten Flasche mit dem kleinen Rest transparenter Flüssigkeit und einem frischen Verband. "Der Stoff um die Wunde sollte dann auch nicht so dreckig sein." Beides legte sie schließlich auf den kleinen Beitisch neben dem Bett auf dem der Verletzte saß.
"Also...", fing sie ablenkend an, während sie mit dem schmerzhaften Desinfizieren der Wunde begann, selbst kaum hinsah, sondern den Blick in das Gesicht des Russen suchte. "Wenn das alles verbunden ist, bleiben Sie am besten hier. Auf Deck wird früher oder später jemand darauf aufmerksam... und ich weiß nicht, wie derjenige reagieren würde." Erst jetzt besah sie sich wieder die Wunde, kurz zufrieden nickend, da sie so sauber war, wie sie nur werden konnte. Dann begann sie, die Wunde - an zugegeben ungünstiger Stelle - irgendwie einzuwickeln.
"Wenn es nach mir geht, ruhen Sie sich aus. Hinlegen, den Arm am besten hoch. Keine Anstrengungen oder irgendwas, das den Blutdruck hochtreibt. Am Besten wäre es, wenn Sie Schlaf- oder Beruhigungsmittel nehmen, das gibt Ihnen Zeit. Und die Zeit brauchen Sie, denn es gibt ein Heilmittel... und je länger Sie aushalten, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir es rechtzeitig finden und Ihnen verabreichen können." Ein weiterer Blick auf die Wunde verriet ihr, dass nun auch der Verband vernünftig daran lag, sie verdeckte, ohne ihr dabei aber die Luft zum Atmen zu nehmen.
"Ich würde sagen, dass ich alle zwei Stunden vorbeikomme und nach Ihnen sehe. Ich kann Ihnen Essen bringen und Wasser. Davon brauchen Sie auch eine Menge. Wir haben nur einen Zimmerschlüssel. Ich würde sagen, der bleibt bei mir. Natürlich nur, wenn Sie das wollen - Sie sind ja kein Gefangener. Aber Sie jedes Mal aufstehen und die Tür öffnen zu lassen, ist kontraproduktiv."
Ein letztes Mal musterte sie die Wunde, bevor sie Ivan dann erneut in die Augen blickte, aufmunternd lächelte. "Also, was sagen Sie? Alles okay so? Irgendwelche Wünsche?"
Der pochende Schmerz war zwar immer noch da - was hätte ihn auch aufheben sollen - doch so wie sie ganz selbstverständlich die Wunde gesäubert hatte... und die Aussagen, die sie traf... die hatten Hand und Fuß. Auch wenn er in einem Dilemma steckte - konnte er ihr trauen? - so hatte er sie doch mit dem Schlüssel gehen lassen. Alle zwei Stunden wollte sie komen und nach ihm sehen, doch war das nicht auch in gewisser Weise verdächtig für die anderen? Würde sie überhaupt ihr Wort halten? Besonders hervor getan hatte sie sich nicht, soweit er sich erinnerte... Shelley irgendwas... Weinberg... genau, Shelley Weinberg...
Da lag er nun auf dem Bett, die rechte Hand hinter dem Kopf, die linke neben sich auf dem Bett. Und da kam ihm eine kleine Passage wieder in den Sinn, die sie gesagt hatte. Ein Heilmittel gab es wohl, wie sie sagte. Auch hatte sie ihm gesagt, dass sich wohl mit Beruhigungs- und Schlafmitteln wohl die Wirkung dieses Bisses verzögern lassen würden, da eine weitere Amputation des Mittelfingers - oder der ganzen Hand - nichts mehr bewirken würde. War es Zufall, dass er dieses Schlafmedikament gefunden hatte? Er hielt die Schachtel in der Hand und besah sie ein wenig genauer, doch war er schnell beim Öffnen, da er mit den Aufdrucken nichts Anfangen konnte. Innliegend fand er neben einem Beipackzettel in offensichtlich chinesischen Schriftzeichen auch zwei Blister mit jeweils zehn Tabletten, in Plastik und Folie eingeschweißt. Sie waren nicht all zu groß und problemlos zu schlucken und wenn sie recht hatte... und er... drei Stück am Tag nehmen würde, könnte er wohl umgerechnet knapp eine Woche damit aus kommen. Nur wie weit kamen sie in einer Woche? Oder könnte er mit zwei Tabletten planen und aus einer Woche zehn Tage machen? Schon seltsam, dass von diesem Päckchen Tabletten seine Lebenserwartung bestimmt werden würde. Er drückte sich die erste Tablette aus einem der Blister und schluckte sie, schob den Blister in die Schachtel zurück und ließ selbige in einer seiner Hosentaschen verschwinden. Wohl fühlte er sich nicht dabei, absolut nicht.
Und da er diese Shelley gebeten hatte, das Zimmer zu verschließen war wohl soweit alles in Ordnung. Und falls er eine Veränderung bei sich bemerken sollte... tja... er hatte noch sein Messer. Helm und Hammer hatte er auf den Tisch gelegt. Vielleicht würden diese Dinge jemand anders eher helfen können, wenn er nicht mehr sein sollte. Es war beinahe schon Ironie, dass er selbst zu dem werden würde, was er all die Jahre bekämpft hatte: Eine Bedrohung gegen Unschuldige. Und damit schlief Ivan ein...
Matt ließ sich in die dreckigen Fluten des brackigen Wassers hinab und bewegte sich vorsichtig schwimmend in Richtung der Kisten. Charisma -2 für 2 Stationen.
Der Kanal war mittlerweile eisig kalt geworden und im Grunde genau so ungemütlich wie es die anderen Schwimmer vor ihm schon geschildert hatten.
Zu seiner großen Enttäuschung musste er auch feststellen dass die meisten der Kisten nur dreckige Bretter waren, doch es gab eine Kiste, eine einzige Kiste, die noch geschlossen war und sowohl einen chinesischen wie auch englischsprachigen Aufdruck aufwies. Und dieser alleine klang schon sehr vielversprechend: 'Shangsen Foot LTD'.
Jetzt musste er die Kiste nur noch heil in Richtung des Bootes bringen und dabei verhindern, dass die schmutzigen Wassermassen überschwappten und vielleicht den Inhalt durch den mehr als lose sitzenden Deckel erreichten. Probe auf Geschick - bestanden!
Mühselig doch von Erfolg gekrönt war sein schmutziger Ausflug, denn schließlich zogen sie mit vereinten Kräften die Kiste auf das Boot und öffneten sie. Und der Inhalt ließ sie innerlich jubeln!
Unzählige Waren die man als "typisch amerikanisch" bezeichnen könnte, waren dort in Luftpolsterfolie eingeschlagen und wohl damals verschickt worden.
Die Bürgerbrötchen waren natürlich schon lange nur noch ein eklig zu nennender Matsch - doch alles was sauber verschlossen und verschweißt war, ließ sich sicherlich noch vorzüglich verspeisen.
Dad wäre stolz auf mich, dachte Celina, während sie ein letztes Mal durch die Seiten des Grammatikbuches blätterte. Als Diplomat hatte Aaron Blair ihr von Kindesbeinen an die Wichtigkeit eingetrichtert, im Voraus etwas über das Land zu lernen, in welches man reiste. Nun war Celina mit den anderen Flüchtlingen zwar schon angekommen, aber zu spät war es nicht, sich mit den Schriftzeichen auseinanderzusetzen. Und ein wenig, so glaubte Celina, hatte sich in der Tat in ihrem Gedächtnis verankert. Ja, welcher Vater wäre nicht stolz zu hören, dass die Tochter sich mutig auf Grammatiklektüren stürzt, während das restliche, nutzlose Pack einfach nur nach Proviant oder Fluchtmöglichkeiten in einer Zombieverseuchten Stadt sucht. Man muss eben seine Fähigkeiten abwägen, Will. Wer weiß, vielleicht werden wir das Heilmittel finden und nur erkennen, weil ich meine Chinesischkenntisse verbessert habe? Celina Blair, Heldin des Tages... Wie auch immer, ich sollte tatsächlich nachsehen, wie die Lage draußen ausschaut.
Als Celina, an den Umständen gemessen, noch immer gut gelaunt den Gemeinschaftsraum verließ, sprang ihr die Ärztin, Miss Weinberg, ins Auge, welche gerade aus einer anderen Kabine trat. Das allein wäre Celina nicht seltsam vorgekommen, doch als sie an der jungen Frau vorbeischritt, glaubte sie eine gewisse Besorgnis in ihren Augen auszumachen.
Die Diplomatentochter zögerte ein wenig. An sich interessierte sie nicht, was in Miss Weinbergs Kopf vor sich ging, schließlich sollte man sich um seinen eigenen Kram kümmern, der meistens schon genug sorgen bereitete.
Andererseits handelte es sich vielleicht um etwas für die Gruppe relevantes. Und in dem Fall sollte man auf dem Laufenden sein.
Mit einem freundlichen Nicken trat Celina auf die Ärztin zu. "Guten Tag, Miss Weinberg. Ich habe einige Nachforschungen zu diesem Gebiet angestellt und wie es scheint, sind wir wirklich auf dem richtigen Weg zur Militärbasis, wo sich das Heilmittel angeblich befinden soll." Sie machte eine kurze Pause um das Gesagte wirken zu lassen, bevor sie fortfuhr: "Aber sagen Sie, wissen sie, wie die Situation draußen momentan aussieht? Hat sich etwas ergeben?"
Celina schaute ihr Gegenüber mit einem ernsthaften, besorgten Blick an, während sie auf eine Erwiderung wartete.
Obwohl sich Jul sicher war, dass sie einige gehört haben mussten, nahm niemand groß Notiz von ihr. 'Na klasse, dann muss ich wohl alleine losziehen.' Sie begab sich an die Reling und kletterte über's Geländer. Bevor sie runter sprang, dreht sie sich noch einmal um. "Will wirklich niemand mitkommen?" Keine Reaktion. Also sprang sie in den Kanal.
Das Wasser war kalt, dreckig und stank zum Himmel. Hier durch zu schwimmen, war noch schlimmer, als sie es sich vorgestellt hatte. Der Gestank, mit dem die anderen zurück gekommen waren, war nichts gegen das hier. Zum Glück jedoch war sie eine geübte Schwimmerin und so brauchte sie nur wenige Schwimmzüge bis sie das Westufer erreicht hatte. Sie zog sich an der Böschung hoch und blickte sich vorsichtig um.
Es war merkwürdig, wieder in einer Stadt zu sein. Camp Hope war schließlich nicht mehr als ein Dorf gewesen. Nur Holz- und Wellblechhütten. Ein improvisiertes Lager. Doch das hier war eine echte Stadt, echte Infrastruktur, von vor der Katastrophe. Hier haben Menschen gewohnt. Und einige taten es wohl immer noch, obwohl das vergangene Jahr hier schon deutlich seine Spuren hinterlassen hatte. Überall waren Rückstände der Kämpfe zu sehen, die hier stattgefunden haben mussten: Blutspritzer an den Wänden, Flecken auf den Straßen, in einem Hauseingang konnte sie einen leblosen Körper ausmachen. Und der Gestank des Kanals setzte sich von Straße zu Straße fort, wenn auch in unterschiedlichen Nuancen.
'Ob es zu Hause wohl auch so aussieht?' Sie dachte an ihre Eltern und Freunde, die sie zurückgelassen hatte. 'Hoffentlich ergeht es ihnen nicht so wie dieses Menschen hier. Hoffentlich hat die Bundesregierung einen besseren Weg gefunden mit der Katastrophe umzugehen.' Und sie dachte daran, was Fritz ihr von Berlin erzählt hatte, wie stark es die Hauptstadt erwischt hatte. Und sie hoffte inständig, dass - sollten sie es nicht überlebt haben - sie zumindest nicht leiden mussten und sie nicht irgendwo vor sich hin gammelten. 'Wenn wir das hier überstehen sollten, und es tatsächlich ein Heilmittel gibt, dann komme ich nach Hause. Mama, Papa, ich hoffe ihr könnt mir verzeihen. Und du auch, Thomas...' Es war das erste Mal seit langem, dass Juliane an ihren ehemaligen Freund dachte. In einem leeren Hauseingang legte sie eine kurze Pause ein und setzte sich auf die Treppenstufe. Thomas. Man könnte ihn als ihre große Liebe bezeichnen. Wenn man mit gerade einmal 29 schon davon reden konnte. Dennoch vermisste sie ihn. Im Grunde hatte sie ihn die ganze Zeit vermisst, es sich jedoch nicht eingestanden. "Es war richtig gewesen ihn zu verlassen" hatte sie sich immer wieder gesagt. Doch nun, wo sie so ganz alleine in der Fremde war, um sie herum nur das Chaos, da wünschte sie sich nichts mehr als ihn bei sich zu haben. Er hätte sie nie alleine losziehen lassen. Er hätte alles getan, um sie zu beschützen.
Sie wischte sich die Tränen weg und wollte gerade wieder aufstehen, da blickte sie in den Lauf eines Gewehrs. Sie war so sehr in ihre Gedanken vertieft gewesen, dass sie den Mann gar nicht bemerkt hatte, der aus der neben ihr gelegenen Wohnungstür getreten war. Er rief ihr etwas zu, doch Jul verstand kein Chinesisch, also versuchte sie es mit einem Lächeln und einem leisen "Hi", welches jedoch nicht die gewünschte Wirkung erzielte. Ganz im Gegenteil, der Mann setzte dazu an, sein Gewehr zu entsichern. "Scheiße, nein!" entfuhr es ihr, sprang auf und stürzte sich auf den Mann. Probe auf Kampf - gelungen! Gerade noch rechtzeitig konnte sie das Gewehr in die Höhe reißen, so dass der Schuss in die Luft ging und der Mann für einen Moment zurück taumelte. Mit einem ausladenden Schwung ihres Baseballschlägers sorgte sie schließlich dafür, dass dieser zu Boden ging. "Du wirst jetzt wohl erst Mal für ne Weile Sterne sehen."
Sie besah sich den Mann. Er war nicht mehr der jüngste, zum Glück, denn sonst hätte sie es vermutlich nicht geschafft schneller als er zu sein. Dennoch hatte er es offensichtlich irgendwie geschafft hier zu überleben. Sie überlegte kurz, ihm sein Gewehr abzunehmen, allerdings würde sie ihm vermutlich dann auch seine letzten Überlebenschancen nehmen. Außerdem hatte Jul bereits ein Gewehr. Ein zweites würde sie nicht tragen können. Sie wollte gerade zurück zur Straße, da fiel ihr Blick auf die offene Wohnungstür. Wollte sie nicht nach Nahrung suchen? Er hatte bestimmt welche. Sie blickte herunter auf ihn. Nein, er bewegte sich nach wie vor nicht. Also konnte sie es kurz wagen.
Jul schlich in die Wohnung. Leise und vorsichtig, schließlich wusste sie nicht, ob sich hier noch mehr Personen befanden. Aber die Wohnung war leer. Sie ging in die Küche und öffnete die Schränke, bzw. die zwei, die noch heil waren. Selbst in dieser Wohnung sah es aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Ein genaues Ebenbild dessen, was sich schon auf den Straßen abzeichnete. Sie hoffte einige Konserven zu finden, doch leider war alles leer. Ihr Blick fiel auf den Kühlschrank. Sie überlegte kurz. Könnte es sein, das...? Sie machte dir Tür auf, schlug sie jedoch kurz darauf wieder zu. "Bah, ist das ekelig!" Obwohl sie im vergangenen Jahr schon einiges gesehen - und gerochen! - hatte, übertraf das alles. Die Bewohner dieser Wohnung hatten offenbar, nachdem hier der Strom ausgefallen war, die Lebensmittel im Kühlschrank vergessen. Und somit war hier alles vergammelt und verschimmelt. 'Hmpf... anscheinend werde ich hier nicht fündig.' Also durchsuchte sie den Rest der Wohnung. Und obwohl sie nichts essbares finden konnte, entdeckte sie dennoch ein paar Dinge, die sich vielleicht noch als hilfreich erweisen könnten:
An der Garderobe hing ein Regencape gegen Wind und Unwetter sowie eine kugelischere Weste (Kampf +1 zur freien Verteilung). Davor standen ein Paar perfekte Wanderschuhe (Agilität +2, zur freien Verteilung). Die Schuhe waren noch erstaunlich gut erhalten. Und allem Anschein nach in Juls Größe. Sie sah an sich herunter. Ihre alten Sneakers waren schon ziemlich durchgelaufen und die Sohle löste sich bereits. Also beschloss sie die neuen Treter einfach direkt anzuziehen (Jul behält die Wanderschuhe, Agilität +2 für Jul). Schließlich durchwühlte sie noch eine Schublade der Kommode im Flur und fand eine Karte der Umgebung (+2 Erleichterung auf einen Wurf der Stationsaufgabe, bzw. der Mindestpunkteanzahl, zur freien Verteilung) sowie eine kleine schmale Kette, oder vielmehr ein Armband mit einem Anhänger. Jul wusste nicht, wozu dies nützlich sein könnte, aber aus irgendeinem Reflex heraus steckte sie es ein (chinesischer Glücksbringer der seinem Träger einmalig die Sonderrolle des Supporters erlaubt).
Jul konnte Geräusche aus dem Hausflur vernehmen. 'Oh oh, der Alte kommt zu sich, nur schnell weg' Bepackt mit ihren Funden rannte sie aus dem Haus und zurück auf die Straße. Sie überlegte, ob sie es noch einem der anderen Häuser versuchen sollte, aber der Blick durch einige Fenster verriet ihr, dass es dort nicht anders aussah als dort wo sie gerade gewesen war. Also rannte sie zurück zum Kanal und schwamm zurück zur Heather, vorsichtig ihre Beute mit einer Hand in die Höhe haltend um sie vor Nässe und Schmutz zu schützen.
Tür abgeschlossen und Schlüssel eingesteckt. Jetzt sollte Ivan zumindest für die nächsten zwei Stunden sicher sein, wenn niemand...
"Guten Tag, Miss Weinberg. Ich habe einige Nachforschungen zu diesem Gebiet angestellt und wie es scheint, sind wir wirklich auf dem richtigen Weg zur Militärbasis, wo sich das Heilmittel angeblich befinden soll."
Eigentlich hatte sie nur wenig Lust, sich gerade jetzt zu unterhalten. Miss Blair war sicher eine der freundlichsten und vertrauenswürdigsten Personen hier, doch vom gebissenen Russen würde sie auch nichts erfahren dürfen. Vermutlich würde sie das nicht für sich behalten - und läge damit nicht mal unbedingt falsch.
"Aber sagen Sie, wissen sie, wie die Situation draußen momentan aussieht? Hat sich etwas ergeben?"
Shelley schüttelte nur vorsichtig den Kopf, hob dabei leicht die Achseln an. "Ehrlich gesagt - ich weiß es nicht. Es wurden noch ein paar Sachen gefunden, die wir irgendwann vielleicht brauchen... und der Nahrungsvorrat füllt sich auch auf. Aber ob wir so wirklich vorankommen, weiß ich nicht. Alles, was ich mitkriege, ist, dass die Hälfte der Crew fürchterlich stinkt." Sie grinste kurz, um ihr eigenes und auch das besorgt wirkende Gemüt von Celina aufzuhellen. Ahnte sie etwas?
"Ich fühle mich momentan total nutzlos, weil ich überhaupt nicht weiß, wie ich der Gruppe helfen kann. Im Piratenlager habe ich so ein rundes Fernglas....äh...ding gefunden, aber durch den Dampf überall sieht man auch nicht wirklich was. Teilweise kommt es mir so vor, als würde jeder hier etwas zum Vorankommen beitragen, außer mir." So war es wohl auch. Und während andere genau das taten, kümmerte sie sich darum, Gefahren vor allen geheim zu halten. "Aber naja... ich will ja jetzt nicht ins Selbstmitleid abdriften. Vielleicht gucken wir einfach mal gemeinsam, was die anderen treiben?", fügte sie lächelnd hinzu. Es war sicher nichts Schlechtes, die Britin von Ivan wegzulocken. Und es schien ja auch wirklich sinnvoll, an Deck auf den neuesten Stand gebracht zu werden.
"Ehrlich gesagt - ich weiß es nicht. Es wurden noch ein paar Sachen gefunden, die wir irgendwann vielleicht brauchen... und der Nahrungsvorrat füllt sich auch auf. Aber ob wir so wirklich vorankommen, weiß ich nicht. Alles, was ich mitkriege, ist, dass die Hälfte der Crew fürchterlich stinkt." Celina konnte sich des Eindruckes nicht erwehren, dass das auf diesen Satz folgende Grinsen ein wenig gekünstelt war.
Ganz sicher war sie allerdings nicht und so schenkte sie der jungen Ärztin lediglich ein höfliches Lächeln und wartete darauf, dass sie fortfuhr.
"Ich fühle mich momentan total nutzlos, weil ich überhaupt nicht weiß, wie ich der Gruppe helfen kann. Im Piratenlager habe ich so ein rundes Fernglas....äh...ding gefunden, aber durch den Dampf überall sieht man auch nicht wirklich was. Teilweise kommt es mir so vor, als würde jeder hier etwas zum Vorankommen beitragen, außer mir."
Na? Zufrieden, dass noch jemand außer dir nur nutzlos in irgendeiner Ecke sitzt, Prinzessin?
Wills spöttischer Stimme schenkte Celina keine Beachtung.
Ja, das Gefühl der Nutzlosigkeit...
In einer Welt wie dieser, wo das Überleben weniger davon abhing, sich mit lebendigen Menschen gutzustellen, als vielmehr davon, sich gegen Tote entweder gewaltsam zu verteidigen oder schnell vor ihnen fortzurennen - in so einer Welt konnte man als Person ohne militärische Ausbildung oder Sportlerkarriere tatsächlich verzweifeln.
Aber war das wirklich alles, was Miss Weinberg Sorgen bereitete?
Wir sollten sie ein wenig im Auge behalten. Es gefällt mir nicht, wenn Ärzte besorgte Gesichter ziehen und man den Grund nicht ausmachen kann.
Du sprichst aus Erfahrung?
Mum hat das immer gesagt. Und sie muss es wissen, schließlich war... ist sie auch Ärztin. Zwar eine Zahnärztin, aber als solche kennt man sich ja auch aus.
Wenn du das so als weder Zahn- noch Irgendwasärztin erzählst...
"Aber naja... ich will ja jetzt nicht ins Selbstmitleid abdriften. Vielleicht gucken wir einfach mal gemeinsam, was die anderen treiben?"
Celina erwiderte das Lächeln. "Eine hervorragende Idee, Miss Weinberg. Im Übrigen müssen sie sich nicht sorgen - allein durch ihre ärztliche Ausbildung sind Sie unentbehrlich für unsere Gruppe. Da ist es nicht schlimm, dass Ihnen momentan anderweitig die Hände gebunden sind. Das wird jeder hier verstehen." Außer vielleicht der Kampfoma.
Außnahmen bestätigen die Regel.
Als die beiden jungen Frauen das Deck der Heather betraten, bat sich ihnen der Anblick dieser Deutschen, die sich gerade mit einigen erbeuteten Gegenständen an Bord gezogen hatte.
Etwas enttäuscht runzelte Celina die Stirn. Es sah nicht aus, als wäre etwas Essbares dabei.
"Es ist zu schade, dass Verhandlungen mit den anderen Überlebenden in der Stadt wohl von wenig Erfolg gekrönt sein werden. Dieser Mangel an Lebensmitteln ist wirklich ein Problem. Und das Obst, dass Andrea mir..." Erschrocken, dass ihr das rausgerutscht war, tat Celina, als müsse sie husten und fuhr dann entschuldigend lächelnd fort: "Das Obst aus der Piratensiedlung und die anderen Vorräte von dort werden bestimmt keinen Tag mehr ausreichen."
Prüfend schaute sie Miss Weinberg ins Gesicht. Hoffentlich würde sie Celinas Versprecher nicht hinterfragen, denn wenn ihr eines unangenehm war, dann war es dass sie einer mit einer Gruppe verkehrt hatte und ihnen sogar ihr Leben verdankte.