-
Legende
So brachen also Nathan, die Oma und Shelley gemeinsam auf. Nathan ruckte seine Offiziersuniform noch einmal zurecht und so begaben sie sich langsam aus der Höhle und in den Dschungel.
"Bedenken sie, alle beiden, ich lasse sie nicht aus den Augen. Auch wenn diese Menschen Abtrünnige, Räuber und Banditen sein mögen, so sind es doch Menschen! Menschen wie sie und ich. Vielleicht weniger als ich, sie kennen ja keine Moral, aber ganz sicher ebenso wie sie!" Die Oma schien vor allem wütend auf die arme Shelley.
"Nur weil wir in einer Notlage sind, lassen wir uns nicht auf die gleiche Ebene wie diese Piraten hinab, haben sie das verstanden? Alle beide?!"
„Wir werden uns natürlich zivil verhalten, niemand sagt, dass wir so sind wie Banditen und Piraten, aber wir müssen eben an unser eigenes Wohl denken. Aber natürlich werden niemandem etwas zu leide kommen lassen.“, sagte Nathan selbstbewusst, die Uniform tat bereits ihre Wirkung, und versuchte die Situation etwas zu entspannen.
So begann also so langsam ihr Marsch. Immer dichter und dichter wurde die Wildnis. Der Lärm der Natur nahm zu, und unwissentlich, auch der Abstand zwischen den drei. Immer weiter liefen sie auseinander, und auch die Rufe der Oma hörte Nathan gar nicht mehr. Als er dann plötzlich merkte, dass er allein war, war es zu spät.
„HALLO!! MRS. ALDRIN! SHELLEY!! HÖRT IHR MICH?!“
Doch keine Antwort. Noch einige Male wiederholte er seine Rufe, bis ihm die Puste ausging.
Nachdem er sich wieder etwas beruhigt hatte und gut durchatmen konnte, sondierte Nathan seine Lage. Sein Puls war noch immer erhöht, als er erkannte, dass vor ihm der dichte Dschungel sich langsam lichtete. Er hoffte, dass auch die anderen den Urwald sicher überquert hatten, war es wirklich die beste Idee gewesen sich aufzuteilen?
Die Siedlung stand nun vor ihm, das heißt, hinter der Mauer die alle Eindringlinge, vermutlich wilde Tiere, zurückhalten sollte.
„Rüber klettern kommt mal nicht in Frage … “, murmelte Nathan zu sich selbst und suchte die Mauer genauestens ab. Langsam erkannte er auch einen Weg. Teils waren die Gebüsche aus dem Dschungel sogar bis an die Wand gewachsen, doch Nathan erkannte, es waren überall kleinere und größere Spalten, durch die er hindurch konnte. Doch ob er da durchpassen würde? Nathan sah sich noch einmal um.
Doch dann fiel sein Auge auf ein besonders dichtes Gebüsch direkt an der Wand. Er konnte sehen wie es sich langsam auf und ab bewegte, und dann wieder stehen blieb, genau wie der unstete Wind, der langsam von Richtung Meer kam. Ein Luftzug! Und der Wind kam genau von der andern Seite der Mauer. Konnte es sein?
Nathan tastete sich langsam durch die Sträucher, und tatsächlich, ein sehr großes Loch in der Mauer, locker groß genug, dass er daran vorbei kam. Scheinbar kümmerte sich wohl keiner dieser „Piraten“ um die Absicherung ihrer Siedlung. Gut, sie rechnen wohl nicht ständig mit Überlebenden, und um die Toten mussten sie sich anscheinend auch keine Gedanken machen.
Er konnte, als er endlich das letzte Gebüsch hinter sich ließ, erkennen wie groß die Siedlung wirklich war, es war von der Fläche her wie ein Dorf, zehn bis zwanzig Hütten, schätze Nathan zu sehen, dahinter etwas das aussah wie eine große Befestigung direkt vor dem Meer, diente wohl als Hafen Kai oder Pier für Boote und Schiffe. Je näher er kam, desto klarer wurde es, dass die ganzen Hütten baulich sehr einfach waren, teils sich sogar gefährlich neigten. Doch wie alt die Anlage war konnte er nicht schätzen, vermutlich älter als irgendeines der Gebäude für sich.
Auch den Gestank konnte Nathan nur mit Mühen aushalten. Toiletten und einen Kanal gab es auf so einer Insel natürlich nicht, doch wo die Menschen hier ihre Notdurft verrichten brauchte Nathan nicht zu raten, musste er doch einige Male aufpassen, dass er nicht auf eines dieser Häufen trat.
„Fuck, wie die Schweine leben die hier..“
Selbst im Mole war es nie so schlimm gewesen, ein Slum war es vielleicht, aber für die grundsätzlichsten sanitären Standards hatten die Militärs doch gesorgt, nicht wahr? Nathan würde Lügen wenn er behaupten würde, er wäre lange genug dort gewesen um es mit Sicherheit zu wissen, doch wirklich Neugierig darauf war er auch nie gewesen, nicht, dass es ihm jemand Übel nehmen würde.
Überall waren schwer bewaffnete, teils schwer betrunkene Männer. Was sie sprachen konnte Nathan nicht ausmachen, Englisch war es jedenfalls nicht. Nathan versuchte ruhig zu bleiben und achtete darauf niemanden anzustarren. Er musste ruhig wirken, ein gutes Pokerface aufrecht erhalten. Doch scheinbar kümmerten die Banditen hier nicht um ihn. Gut, wenn niemand auf ihn achtete, würde auch niemand darauf achten, ob er was einsteckte.
Also konzentrierte sich Nathan mehr und mehr drauf, etwas zu finden. Eine verlassene Hütte, vielleicht, oder ein Lager, wo sie zum Beispiel Nahrung aufbewahrten. Bei Gedanken, etwas von hier essen zu müssen wurde ihm schlecht, aber er wusste auch, dass Hunger im Endeffekt die Beste Würze war. Noch war es ja nicht so weit.
Doch Fehlanzeige, alles was Nathan fand war entweder bewacht, oder zumindest bewohnt. Und er war nicht so lebensmüde von diesem Piraten etwas zu stehlen, wenn sie ihn dabei leicht beobachten konnten. So sehr traute er seiner Verkleidung in Seemannsuniform auch wieder nicht. Vermutlich, dachten die sich, dass er sie irgendeiner Leiche entrissen hatte. Jetzt wo er darüber nachdachte, er hätte die Oma wirklich fragen sollen, woher sie die Uniform hatte. War das etwa die von Vantowers?! Aber nein, er war ja kein Marine, hoffte Nathan einfach mal und beim Gedanken, dass der alte Greis schon mal in diesen Kleidern stecken konnte wurde ihm etwas schlecht.
Als er so in Gedanken versunken war, knallte er plötzlich gegen etwas. Er sah auf. Vor ihm stand ein mindestens zwei Meter großer, muskelbepackter Riese mit ungepflegten 14 Tage Bart und einer auffälligen AK-47 (Kampf +2), deren Lauf angerostet war, auf dem Rücken. Auch eine verdammt protzige Goldkette, die aussah als sei aus einem schlechten Gangster-Film gefallen,(Charisma +1) schmückte seine Brust, die ein halb-zerrissenes Unterhemd kaum verdeckte.
„Что за черт?! Кто вы?“, brüllte er ihn mit einer tiefen Stimme an. Plötzlich richtete sich die ganze Aufmerksamkeit in der näheren Umgebung auf Nathan. Alle blickten ihn an.
„Fuck, sag was Nathan, sag was…“, mahnte er sich, doch es wollte ihm einfach nichts einfallen. Er hob seinen Kopf langsam zu dem Hünen hinauf und blickte ihm mit gesenkten Augenbrauen entgegen. Dieser wiedrum ballte seine Hand langsam zu einer Faust, seine Verärgerung war ganz offensichtlich.
„Sorry, Pal. Ein Whisky als Entschädigung?“ und wies mit seiner Hand hinter den Mann.
Dieser renkte seinen Kopf ungeschickt nach hinten und sah es erst jetzt. Hinter ihm war eine Bar. Oder was in dieser Siedlung als Bar durchging. Es war vermutlich die verfallenste Spelunke, die Nathan jemals gesehen hatte, selbst im Vergleich mit den umstehenden Hütten war diese Wellblechhütte in wirklich schlechtem Zustand. Er konnte von außen einen uralten Holztisch erkennen, komplett mit halb zerfallenen Holzstühlen.
Er hatte wohl nicht viel verstanden, was Nathan ihm gesagt hatte. Aber ein Angebot auf Whisky schlug er wohl nicht aus.
Er packte ihn am Arm und schleppte ihn zum Tresen. Dort stand auch ein Barkeeper, eine asiatisch wirkende Frau. Da Nathan davon ausging, dass sie wohl Chinesisch oder sonst was war, sprach er in langsamen Ton.
„Wir wollen Whisky. Zwei, biiittee“, sagte er in gleichmäßiger, langsamer Aussprache.
„Also das ihr Amis nicht die hellsten seid, hab ich schon gehört, aber du bist wohl ´ne besonders helle Birne. Hier, Mr. Shakespeare.“, knallte sie ihm in perfekt gesprochenen britisch englisch entgegen. Au weia! Hier hatte er schon mal keine Freunde gewonnen. Egal, er hatte schon mal was er wollte.
Kaum hatte Nathan dem Russen die Flasche in die Hand gedrückt, schon hatte er sie praktisch auf Ex fertig getrunken. Er schwankte auch sehr gefährlich, vermutlich schon vorher angetrunken.
„Hey, Einstein, wenn dein Kumpel hier den Boden küsst, kannst du ihn heimschleppen.“, kommentierte die Barkeeperin kurz.
„Den Boden … “, murmelte Nathan vor sich hin, und hatte eine Idee.
Er reichte dem Mann auch seine Flasche, und wie erwartet begann er sofort diese zu leeren. Diesmal etwas ruhiger, aber dennoch beständig.
„Грозный вещи, но делает вас теплые, я знаю?“,sprach der sichtlich angeheiterte Mann zu ihm nach einiger Zeit und haute ihm gegen die Schulter.
Nathan versuchte sich den Schmerz nicht anmerken zu lassen, und tat so als ob er mit ihm trank, obwohl jedes Mal nur an derselben leeren Flasche nuckelte. Doch der Russe war schon längst zu betrunken, um das zu registrieren. So betrunken sogar, dass er nicht mal bemerkte, dass Nathan mit seinem Geld das Whiskey bezahlte. Die Frau vor der Theke, die sehr schnell verstand was hier ablief, betrachtet das Schauspiel kommentarlos, es war wohl nicht oft so, dass hier jemand Flasche nach Flasche bestellte.
Nach der sechsten Flasche war es dann endlich so weit. Der Russe knickte auf den Tresen und blieb liegen, die halbleere Flasche landete unwirsch auf dem Boden.
Nathan wusste, dass seine Gelegenheit gekommen war. Er legte sich den Arm des Mannes über die Schulter, und schleppte ihn mit Müh und Not, die Betonung lag auf Not, mehrmals ließ er ihn fallen, aus der Kneipe und ins Freie. Er suchte nach der erstbesten Gasse, die vor fremdem Blicken geschützte war und wo er ihn abstellen konnte.
„Jesus, mein Rücken bringt mich um…“, jammerte der ehemalige Manager, als er den kiloschweren Hünen endlich gegen eine Wand anlehnte und zu Boden ließ.
Dann machte er sich sofort daran seine Goldkette loszubekommen. Langsam hob er sie über seinen Kopf, und hatte sie schon fast, als der Russe plötzlich die Augen aufschlug. Betrunken oder nicht, er verstand was hier passierte.
Грязные вор!, schrie er und stürzte sich auf Nathan, doch dieser ließ die Goldkette zu Boden fallen, konnte seinem Griff gerade noch entkommen, rannte um sein Leben und wagte es nicht mehr zurück zu blicken. Dann, keine 5 Meter weit war gekommen, Aaaaaaaaaaaah!! *WUMMMM!* der Russe lag am Boden. Nathan drehte sich um und er konnte nicht glauben was er sah. Sein Hals war unnatürlich verdreht. Seine Augen mit Entsetzen geöffnet. Er war gefallen und mit dem Kopf auf Metalschrott, der fast überall herumlag, gefallen. Eine Blutlache bildete sich unter seinem Kopf, teile von Hirn konnte man sehen. Er war tot.
Nathan war entsetzt. Die halbe Siedlung musste mitbekommen haben, was gerade passiert war. Alle Anwesenden starrten die Leiche an und dann ihn. Es war ungewöhnlich still. Das sonst allgegenwärtige Reden, Murmeln, Schreien wich einem jähen Schweig. Die Spannung war praktisch spürbar. Dann …. Lachen. Zuerst nur einer, dann mehr und mehr, und schließlich alle. Nach einer Weile war danach alles beim alten. Keiner kümmerte sich darum, dass gerade einer der ihren gestorben war, als er versuchte einem Dieb zu fangen. Gehörte sowas hier zur Tagesordnung?
Nathan starrte die Leiche an. Er hatte ihn umgebracht. Es war seine Schuld, seine Schuld, dass dieser Mann ein jähes Ableben gefunden hatte. Er kniete vor seiner Leiche hin. War er besser als diese Räuber? Sie mussten stehlen um zu überleben, aber wenn es nichts gab, dass sie von solchen Banditen unterscheidet, war es überhaupt wert zu überleben? Niemanden hier interessierte es, dass gerade ein Mensch gestorben war, ein Witz war es für sie. Nicht mehr. Etwas zum Lachen. Nathan musste hier weg. Doch .. sein Blick rastete auf der Waffe und der Kette. Sie konnten sie gut brauchen, aber es war falsch. Falsch jemanden dafür umzubringen.
Aber wenn er jetzt ging, war alles umsonst. Sinnlos. Ein Witz. Und das wollte er nicht zulassen.
Nathan vergaß seinen Stolz, und griff nach der Waffe. Die Goldkette, die hinter dem Russen lag, nahm er auch auf.
Langsam machte er sich auf den Rückweg auf, im Gedanken, dass er sich in den letzten fünf Tagen noch nie so schlecht und schmutzig gefühlt hatte, wie gerade eben. Und es lag nicht am Gestank nach Exkrementen, der die Luft schwängerte. Es lag … an ihm.
Geändert von Mivey (18.09.2013 um 00:52 Uhr)
Berechtigungen
- Neue Themen erstellen: Nein
- Themen beantworten: Nein
- Anhänge hochladen: Nein
- Beiträge bearbeiten: Nein
-
Foren-Regeln