Autsch.
So ließen sich die Gefühle und Hauptgedanken des mexikanischen Mädchens am besten beschreiben. Noch nie hatte ihr ihr Kopf so wehgetan wie jetzt. Wenn sie jetzt auch eine Untote war – was sie durchaus für möglich hielt, da war ja dieser Matrosenheini gewesen…- jedenfalls, wenn sie jetzt auch eine war, dann konnte sie eindeutig verstehen, wieso sie alle so schlecht drauf waren. Wenn sich der Schädel anfühlt, als würde drinnen ein Presslufthammer non-stop herumwerkeln, kann man ja nicht anders als vollkommen abzudrehen.
Und so ein bisschen Hunger hatte sie auch. Eher nach Knäckebrot als nach Menschen, aber das kann ja auch am Sturz liegen, dass sie eine noch etwas (geschmacks)verwirrte Zombiene ist.
Irgendwie war es, also ob eine große, trübe Käseglocke über sie gestülpt wurde, die das Kind von der Umgebung abschirmte. Alles war unglaublich verschwommen, um sie herum bewegten sich große, wabernde Klumpen hin und her, könnten die Großen sein, oder Zombiekollegen, oder riesige Marshmallows, keine Ahnung. Auf jeden Fall gaben sie manchmal Geräusche von sich, die dumpf an ihr Ohr drangen. Schon etwas gruselig das Ganze.
Wo war sie eigentlich? Etwas fahrig und verloren grabschte sie hinter sich nach Álvaro, der sich Gott sei Dank noch auf ihrem Rücken befand. Nach ersten Erfühlen hatte er auch keine weiteren Körperteile verloren und sein weiches Fell ließ die Kleine gleich etwas ruhiger in dieser bizarren Situation werden. Es wäre vielleicht sogar ganz interessant, wenn da nicht dies Kopfschmerzen wären.
Während sie so umherging (oder eher torkelte), kam aus der Geräuschsuppe etwas bei ihr an, dass sich wie „Léo, Léo“ anhörte. Das war ihr Name- oder war, ob Untote Namen haben, wusste sie jetzt nicht sooo genau. Jedenfalls kam das von einer Art siamesischer Klumpen, der sich kurz darauf wegbewegte. Irgendwas musste er, sie, es ja von ihr gewollt haben, also folgte sie, so gut es ging. Wahrscheinlich war sie auf einem Boot. Ob es nun der Delfin oder das war, mit dem sie schon die ganze Zeit geschippert waren, konnte sie nicht wirklich sagen, aber auf jeden Fall, dass sie sich bis eben auf dem Boot befunden hatte und nun hineinging, weil es …unwindiger wurde. Als der siamesische Klumpen anhielt, gab die eine Hälfte etwas von sich, was Léo vage als „Setzen“ deutete, einen Moment nach der Bedeutung dieses Wortes im Kopf kramte und währenddessen mit ansah, wie die andere Hälfte sich löste und auf etwas… setzte. Achso, genau. Dann machte sie das am besten auch mal.
Die erste Hälfte kam ganz nah zu ihr heran, die Konturen wurde etwas klarer und das Kind erkannte sie als Mensch- eine von der Schiffsgruppe- vielleicht.
Dann gab die klumpige Menschenfrau wieder was von sich, dass nicht freundlich klang. Doch interessanter als herauszufinden, was sie genau sagte, fand das Mädchen eigentlich, dass ihr Gegenüber beim Reden total rosa wurde. Wie machte sie das nur?
Es wurde nass an ihrer einen Seite, dann blendete etwas ihre Augen, dann wurde die Frau-Klumpine wieder enorm rosa. Angestrengt gaffte sie sie an, bis sich der Geräuschbatzen zu etwas wie: "Ins Bett, Leo! Ruhe, Sonnenbrille, nicht anstrengen! Und jetzt raus hier, okay?"
Und damit wurde die Redselige und Farbenändernde wieder weiß mit braun am oberen Ende. Die hintere Hälfte des Gesagten verstand sie automatisch, nickte und erhob sich.
“Muchas Gracias…Disculpe… Adios.“
Bedanken, entschuldigen und verabschieden. Zwar wusste sie nicht warum, aber irgendetwas in ihr wusste, dass das eine allumfassende Aussage war, um auf wirklich alles zu reagieren. Denn was hier gerade passiert war, vermochte sie beim besten Willen nicht zu verstehen.
Langsam ging sie auf das dunkle Rechteck zu und hindurch, als es sich nicht als Hindernis herausstellte.
An der Wand entlang taumelte sie zurück nach oben- hoffentlich- und machte sich dabei so gut es ging Gedanken um den ersten Teil der rosaroten Botschaft, die sie mitbekommen hatte.
Ins Bett. Keine Ahnung, irgendwas schönes, weiches.
Léo. Ihr Name, kein Problem.
Ruhe. Auch ein Rätsel.
Sonnenbrille. Máma. Gucci. Geschenk an Clover. Keine mehr da. Mist.
Nicht anstrengen! Schien die wichtigste Sache gewesen zu sein, aber…
Das Mädchen würde wohl mal einen der anderen Klumpen anreden müssen und schauen, ob da weitergeholfen werden kann. Das war alles absolut nicht normal und in Ordnung, und Léo fühlte sich merkwürdigerweise enorm klein dadurch.
Als Erstes musste sie sich um das kümmern, was sie definitiv verstanden hatte: Sonnenbrille.
Ob sie sich eine holen sollte? Einen wirklichen Sinn dahinter sah sie nicht, aber den sah sie gerade bei fast garnichts, also einfach machen.
Inzwischen war Léo auch wieder auf dem Deck, auf ihren Körper und seine Fähigkeiten waren also noch Verlass.
Einige Menschenklumpen befanden sich hier, und weil sie nicht wusste, wer davon jetzt eine Sonnebrille hatte, rief sie einfach:
¿Gafas ahumadas?
Halt. Das klang zwar nicht falsch für sie, aber auch nicht nach Sonnenbrille. Zumindest nicht direkt.
Nochmal.
Ssse-…ssa…ss- ¿Ga-fas…ahuma-das?
Das Wort war schon richtig, aber etwas sagte ihr, dass die Klumpen nicht wissen würden, dass sie damit eine Sonnenbrille meinen würde. Was sie aus irgendeinem Grund so nicht sagen konnte.
Dann anders.
Was war eine Sonnenbrille nochmal?

Genau, so ein…Ding. Hier. Augen und so.
Also bildete das Kind mit den Händen zwei Kreise, die sie sich vor die Augen hielt, rief wieder: ¿Gafas ahumadas? und wiederholte dies nun einige Male, während sie zwischendurch immer wieder ein paar Schritte ging.