In eine kleine Kabine der Heather hatte Celina sich verkrochen, seit das Wetter sich verschlechtert hatte.
Die ersten Tage der Reise waren noch recht angenehm gewesen. Gesellschaftsspiele und Wein hatten guten Zeitvertreib geboten. Und je weiter sich die Insel entfernt hatte, desto größer war Celinas Hoffnung auf ein Entkommen des Schreckens geworden.
Doch die Wolken hatten sich verdunkelt.
Für Spiele war die Anspannung zu groß.
Der Wein war versiegt.
Und in Celina wuchsen nagender Zweifel und die Gewissheit, dass längst nicht alles überstanden war.
Irgendwann war auch Wills Stimme, mal spöttisch, mal antreibend, (gut, spöttisch eigentlich immer) zu viel für sie gewesen.

Und so lag die junge Britin nun zusammengerollt auf ihrem Bett, das blonde Haar wirr auf dem Kissen verteilt, die Augen geschlossen.
Anfangs hatte sie noch versucht, die Erinnerungen an jene Reise auf dem Luxusschiff zu verdrängen.
Doch schnell bemerkte sie die Vergeblichkeit dieses Unterfangens.
Immer wieder flossen die alten Bilder aus den hintersten Winkeln ihres Hirns schmerzlich zurück in ihr Bewusstsein.



Auf einem Luxuskreuzer, Juli 2012:
Der Ball prallte genau an ihrem Kopf ab, landete auf dem Boden und rollte davon, noch ehe Celina die Situation begreifen und sich empört umdrehen konnte.

"’Tschuldigung!", hörte sie eine Kinderstimme und sah sogleich zwei Kinder an sich vorbeirennen. Ein Junge und ein Mädchen etwas gleichen Alters, womöglich Geschwister. Und mehr auf den Ball konzentriert als auf die junge Frau, die sich mehr vor Schreck als vor Schmerz den Kopf rieb. Kinder konnten so eine Plage sein!
Gerechterweise erreichten die beiden den Ball auch nicht, bevor ein junger Mann ihn vor ihren Nasen hochhob.
"Hey, das ist unser Ball!"
"Gib’ ihn zurück!"

"Na gut. Aber erst, wenn ihr euch bei dem Mädchen da hinten entschuldigt. Ihr habt ihr nämlich weh getan mit dem Ball gegen ihren Kopf!"
Nach kurzen, geschwisterlichen Streitereien darüber, wer den Ball geworfen hatte, brachten die Kinder tatsächlich eine betretene Entschuldigung hervor, die Celina würdevoll annahm.
"Passt das nächste Mal bitte besser darauf auf, ob Menschen in der Nähe stehen. Versteht ihr das?"
Die Kinder nickten und wollten sich schon von dannen machen, als ein schelmisches Blitzen in die blauen Augen des jungen Mannes trat.
"Habt ihr zwei schon mal Basketball gespielt? Soll ich euch da hinten am Korb zeigen, wie man am besten wirft?"
Mit einem belustigten Lächeln winkte Celina den dreien hinterher. Derek hatte immer ein Händchen für Kinder.
Ein Schrei aus der anderen Richtung erweckte ihre Aufmerksamkeit. Eine sich wie wahnsinnig gebärdende Frau wurde gerade von einigen Sanitätskräften davon gebracht.
Heute schon die Dritte.
Wenn das so weiter ging, würde Celina ein ernstes Wörtchen über Sicherheit mit dem Kapitän höchstpersönlich sprechen.
Nicht, dass sich hier die Tollwut ausbreitete!

24 Stunden später:
"... bitten wir Sie des Weiteren darum, die Ruhe zu bewahren. Unsere Sicherheitskräfte werden die Notausgänge räumen und Rettungsboote bereitstellen. Bis dahin verweilen Sie bitte an ihren Plätzen und warten auf weitere Anweisungen. Vielen Dank für Ihr Verständnis."
Der Warteraum bot kaum genug Platz für all die Flüchtlinge. Noch deprimierender war allerdings die Tatsache, dass sich hier womöglich die einzigen Überlebenden des Schiffes aufhielten. Denn dort draußen würde man wohl kaum vor den hungrigen Mündern der Infizierten entkommen.
Und dann waren da noch die Radiosender, die Ähnliche Verhältnisse weltweit beschrieben...
"Hoffentlich geht es Blanche gut."
"Mach dir keine Sorgen, Cely. Sie hat Biss. Kann sich wehren."
"Sie ist nur ein Welpe! W-wie soll sie es denn schaffen!? U-und Mum? Und Dad?"
Verzweiflungstränen rollten über ihre Wangen. Derek sagte nichts, nahm sie einfach in den Arm. Aber Celina konnte sehen, dass auch er mit seiner Fassung rang.

Wenige Tage später, auf einer verlassenen Insel:
"Ich hole Hilfe! Ich versprech’s, Cely!"




Bebend schlang Celina die weiche Decke enger um den Körper. Es war kein großer Trost, aber immerhin war ihr auf diese Weise wärmer.
Das vertraute Geräusch der Maschinen war längst verklungen, doch sie ahnte, dass dies nicht das langersehnte, sichere Land bedeutete.
So, die Prinzessin will hier also den ganzen Tag liegen und sich selbst bemitleiden?
...
Und mich anschweigen, was?
...
Weißt du, zumindest ein bisschen weniger Apathie hat noch nie geschadet. Wir könnten zumindest etwas zu Essen suchen. Oder ist das schlecht für deine Figur?

...
Schön, ignorier mich! Ist doch egal, was passiert und ob wir beide hier abkratzen und ob wir abkratzen ohne zu wissen was passiert!
... halt den Mund, Will.


Irgendwann betrat Celina dann doch das Deck und stellte sich mit mäßiger Begeisterung dem Szenario.
Oh nein, nicht NOCH so ein VERDAMMTES Schiff! Ziehe ich sie etwa an!?
Nun, Prinzessin Schiffsmagnet, bei schwindenden Vorräten und mangelnder Ausstattung könnte das hier noch interessant werden.

Doch die junge Frau war mit den Gedanken woanders, als sie die Verletzten erblickte.
Die Blauhaarige, das Mädchen, Gabe...
Was ist passiert!?
Siehste, ich sag doch, man sollte besser drauf achten, was vor sich geht.

Noch immer zerzaust und mit einem wirren Blick in den momentan untypisch trüben grünen Augen, eilte Celina auf den Anführer zu.
"Mr. Stevens, ich fürchte, d-dass ich nicht ganz auf dem Laufenden bin. Was ist passiert, w-wie sind diese Verletzungen zustande gekommen? K-kann ich irgendwie helfen?"
Flehentlich schaute Celina den Amerikaner an. Sie wusste beim besten Willen nicht, was zu tun war.
Und sie merkte selbst, dass sie nur einen Schritt von der Hysterie entfernt war.