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Ritter
Fuck.
Shelley hatte nichts getan. Nichts! Während des gesamten Aufenthalts im Gemeinschaftszentrum hatte sie nur nachgedacht und sich gefühlt keinen Zentimeter bewegt. Natürlich war sie mal nach hier und da gegangen, hatte manchmal sogar angesetzt, um irgendwem zu helfen, doch kam dieser Vorsatz immer viel zu spät.
Nachdem sie sich so umgesehen hatte - immer und immer wieder - war ihr klar, dass sie wohl die einzige Person vor Ort gewesen ist, die sich nie... nie auch nur ein bisschen eingebracht hatte. Anführerwahl? Nichts. Das Show 'n Tell von Lexi? Ein abwesend wirkendes, debiles Grinsen, bei dem sie fast froh war, dass niemand sie sah - hoffentlich. Und sonst? So viele Leute um sie herum taten so viele wichtige Sachen, an denen sie schlicht und einfach nicht beteiligt war. Sie hatte noch nicht mal den Entschluss gefasst, den verletzten Mann zu retten, bevor dieser starb. Sie hatte nicht mal versucht, Gabriel davon abzubringen, sein Leben für sie alle zu riskieren.
Es war nicht wirklich, als wäre sie dabei gewesen. Es war wie einer dieser Abende mit Freunden. Einer der Abende an dem man sich gegenseitig gefragt hatte: "Und? Was würdest du tun, wenn das und das passierte?" Ihre Antworten waren immer überlegt und klangen sicher. Bei der Flucht aus Sidney hatte sie doch auch bewiesen, dass sie es kann. Aber hier? Einfach dumm in der Gegend stehen und über das Nachdenken den Tatendrang verlieren. Das hätte ihre Antwort sein müssen.
Sie war die unbeteiligte Person gewesen. Teilweise fühlte es sich an, als wäre sie gar nicht da, als würde sie vor einem Monitor sitzen und sich eine dieser Youtube-Compilation-Videos ansehen. Alle hasteten wild umher und taten irgendwas, von dem sie nicht verstand, warum es getan wurde. Doch anstatt von bescheuerten Aktionen, bei denen sich Leute in irgendeiner Art und Weise verletzten, die lustig sein sollte oder anderen Aktionen, bei denen Leute Sachen taten, die akut beeindruckend waren, taten die Leute hier etwas vermutlich nicht weniger Beeindruckendes, retteten damit aber sogar Leben. Auch ihres.
Kein Video. Kein Benny Hill - Theme im Hintergrund. Stattdessen das Grunzen, Schlurfen und Kratzen von Zombies und das Schreien von überforderten, kurz vor dem Tod stehenden Menschen auf den unteren Ebenen. Etwas, das man durchaus gegen Benny Hill eingetauscht hätte.
Sie hatte zu viel nachgedacht und zu wenig getan. Und jetzt dachte sie wieder nur nach.
Mach etwas, du dummes kleines Mädchen!
Sie dachte an dieses eine, absolut bescheuerte Buch, welches ihr eine Kollegin beim Fernsehen kurz vor der Zombie-Sache geliehen hatte, mit der Anweisung, es unbedingt lesen zu müssen. Sie hatte es nie zu Ende gelesen. Es war fürchterlich. Irgendeiner dieser pseudopsychologischen Ratgeber zum Glücklichsein... und -werden. Es war Müll... doch der Titel passte nun.
Stop Thinking, Start Living.
Sie sah sich um. Ihre beiden Taschen hielt sie noch immer fest in der Hand. An den Fingern hatten sich vom übermäßig angespannten Drücken die obligatorischen weißen Stellen gebildet.
Wo war sie hier? Nach der Flucht aus dem Gemeinschaftszentrum war sie nicht sonderlich fit, doch wenigstens sorgten die langsam heraustretenden Sonnenstrahlen dafür, dass es ihr verhältnismäßig gut ging. Und die anbrechende Helligkeit hatte einen weiteren Pluspunkt: Diese seltsamen Masken, die überall im – vorerst sicher scheinenden – Dorf hingen, wären im Dunkeln sicher nicht die angenehmste Umgebung gewesen – nicht für sie.
Zu viel Zeit wollte sie jedoch auch nicht für das Umsehen verschwenden, das könnte sie später noch. Ein, zwei Blicke in die Runde genügten für das Erste, sonst würde sie sich ja doch wieder nur in einer scheinbar unendlichen Gedankenspiralen verlieren. Und nächstes Mal hatten diejenigen, die tatsächlich etwas taten, vielleicht weniger Glück.
Shelley hielt also Ausschau nach Gabriel, sah ihn schließlich und trat – die Taschen nicht loslassend – zu ihm, setzte erst dann die Beutel auf den Boden ab und besah sich den Franzosen, lächelte ihm aus der Nähe zu, wenn im selben Moment auch Besorgnis auf ihrer Miene stand. Sie nahm seinen Arm, schaute auf die Haut an seinen Händen und in sein Gesicht, nach möglicherweise entstandenen gefährlichen Kratzern und anderen Wunden Ausschau haltend.
“Bist du verletzt?“
Geändert von MeTa (20.08.2013 um 23:20 Uhr)
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