Private Sheng war sichtlich froh, dem Verhöhr von Lexi entkommen zu sein.
Er hatte die Munition gestohlen. Er hatte seine Kameradin damit betrogen und im Grunde auch das eherne Gesetz unter den Soldaten verletzt. Wenn Aileen nur nicht solche Augen hätte. Wenn es nicht dieser Mund gewesen wäre, der schlanke, verheißungsvolle Leib, der so viel Versprechen gleichzeitig gab und brach. Seit er sie gesehen hatte, brachte sie ihn um den Verstand...
Doch Aileen hielt ihn auf Abstand, becircte ihn nur, um ihn dann wieder fallen zu lassen, die widersprüchlichen Gefühle in seiner Brust schmerzten fast, doch dann wiederrum... schenkte sie ihm diese Blicke. So wie jetzt.
Es war hoffnungslos für den jungen Asiaten. Sie war es wert, die Kameraden zu hintergehen. Sie war es wert, von Lexi verprügelt zu werden, sollte die Soldatin Jemals seinen Verrat herausfinden.

Aileen lehnte zusammen mit Abraham am Balkongeländer und blickte nach unten. Dorthin, wo Shoana verschwunden war, fast schien es, als würde der Zettel in ihrer Seitentasche brennen und drängen und... treten, wie ein Kind im Mutterleib trat. Ärgerlich wischte sie genau diesen Gedanken beiseite und schürzte die Lippen, starrte weiterhin nach unten.
Abraham trat an sie heran und flüsterte: "Was auch immer passiert, mir gefällt das nicht."
Aileen sah ihn nur stumm an und nickte unmerklich. Gesunder Menschenverstand allein reichte, zu spüren, dass große Veränderungen in der Luft lagen. Doch die unterbewusste Warnung, das Gefühl der Unruhe schrie noch viel lauter in ihr.
Sie musste es einfach wagen. Sie schenkte Abraham einen verstohlenen Blick und griff unbemerkt seine Hand, drückte diese in kurzen Abständen, ein unsichtbares Zeichen, eine Zeichensprache entworfen für die Unterwelt und sie sagte ihm, sie kurz alleine zu lassen.
Abraham runzelte die Stirn, nickte dann und verschwand.

Aileen atmete tief durch, lauschte auf den Pfadfinderchor und inszenierte sich bewusst. Sie wusste, dass Sheng sie beobachtete und jetzt wollte sie ihm einen Grund geben, weiter an seinem Verrat zu arbeiten und ihr zu helfen.
Verspielt spielte sie mit ihrem Haar und blickte dann wie zufällig nach links, Sheng direkt in die Augen. Dieser erbleichte und errötete zugleich, er fühlte sich ertappt und konnte doch den Blick nicht von ihr abwenden.

"Diese Musik erinnert mich... an Weihnachten." Es war das Erste was ihr einfiel, vielleicht nicht das Klügste und entsprechend verwirrt war Shengs Gesichtsausdruck. Sie seufzte innerlich und fragte sich, wie oft man mit einem Zaunpfahl wohl würde winken müssen. "Weihnachten macht mich sentimental. Weckt in mir... das Bedürfnis..." Sie betonte das letzte Wort besonders. "...mich anzuschmiegen, gehalten zu werden, weißt du."
Sheng nickte nur stumm, die Augen aufgerissen wie ein Häschen vor der Schlange und Aileen kam mit wiegenden Hüften auf ihn zu.
"Ich sehne mich nach Berührung.", hauchte sie und Sheng trat vor und streckte die Hand aus, mechanisch, als wolle er einen Lichtschalter einschalten. Innerlich zum Bersten gespannt und genervt, doch äußerlich jungmädchenhaft kichernd, schlug sie ihm auf die Hand. "Doch nicht hier. Wie wäre es in deinem... Zimmer?"
Shengs Mund stand seit geraumer Zeit offen, entsprechend schwer fiel ihm das Antworten. Aileen kam ihm jedoch zuvor. "Ach Nein, dein Zimmer ist keine gute Wahl. Wir würden Jemanden brauchen, der die Tür bewacht."
Sie hatte ihn fast, sie spürte, wie Sheng fieberhaft nachdachte und sich seine durch Blutarmug "gehandicapten" Gehirnwindungen nur langsam entwirrten. "Aber wie wäre es wenn mein Bruder Abe auf die Tür aufpasst?", sprach die Irin an Shengs Stelle und der Asiate nickte nur stumm.
Wie unter Hypnose, atemlos jedoch vor Vorfreude, ging der Asiate voran und Abe und Aileen beeilten sich, sich direkt hinter ihm einzureihen.Sheng schien so aufgeregt, er vergaß sogar seine komplette Ausrüstung, die nun herrenlos auf der Brücke lag.

Sheng war ein schlechter Lügner. Doch war er in seinem pochenden Herzen fest entschlossen und schritt auf den Wachposten auf der Treppe zu.

Den beiden Iren kam es wie ein Wunder und Alptraum zugleich vor, aber Sheng schaffte es Beide durchzuschmuggeln und außerhalb des Gemeindezentrums zu schaffen.
Er berief sich dabei auf den General, auf Lexi Miller, auf Heather Vantowers und den verschollenen Barack Obama. Aber er schaffte es.
Sheng war ein schlechter Lügner, ein Verräter und ein begabter Liebhaber. Aber Letzteres sollte Aileen niemals erfahren...