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Ehrengarde
31.Juli 2013, 16:35
The Hole, "Sin Heaven"
Das "Sin Heaven" war einer der wenigen Orte auf der Insel, an dem man sich tagsüber ungesehener bewegen konnte, als nachts.
Zudem hatte Shoana, die Besitzerin des Bordells, nachts eher wenig Zeit. Deshalb war es später Nachmittag, als Aileen zum vereinbarten Treffen durch die Hintertür eingelassen und durch die überhitzten Gänge zum Zimmer der Gastgeberin geführt wurde.
Der Türsteher wies wortlos auf den schweren Samtvorhang, den Shoana wer weiß woher aufgetrieben hatte. Sie war eine der einflussreichsten Personen im Hole, quasi die Königin der "Unterwelt" und der Großteil des Handels lief über sie. Da Aileen wusste, dass man es sich mit Shoana besser nicht verscherzte, führte sie - dank etwas diplomatischem Geschick und einer Menge seltener Waren - eine rege Handelspartnerschaft mit der Puffmutter. Solange sie nützlich waren und dem Heaven nicht nennenswert die Geschäfte versauten, genossen Aileen und Abraham sogar einen gewissen Schutz. Und um dieses Wohlwollen und diesen Schutz zu sichern, ging eine gute Hälfte der erbeuteten Munition zu einem Freundschaftspreis an das Heaven.
Wie immer fühlte die Irin sich nicht besonders wohl, als sie den schweren Vorhang beiseite schob und Shoanas Räumlichkeiten betrat. Es war ein fensterloser, Räucherstäbchengeschwängerter Raum, der in seiner tropischen Hitze jedem außer Shoana selbst heftige Schweißausbrüche bescherte. Ansonsten spottete das Besucherzimmer geradezu jeder andern Ecke des Holes, einschließlich des restlichen "Sin Heavens", denn es war für Apokalypseverhältnisse äußerst eindrucksvoll eingerichtet, mit teuren Stoffen und seltenen Gegenständen, von denen einige fremdartige Statuetten aus Holz oder Elfenbein waren. Vielleicht afrikanischer Herkunft. Es herrschte nur dämmriges Licht, dass von den Kerzen stammte, die überall im Raum verteilt waren.
Aileen wich ein paar auf den Boden stehenden aus, als sie auf den Mahagonitisch zusteuerte, an dem all die Geschäfte des Sin Heavens abliefen, die lieber unentdeckt bleiben sollte. Hinter diesem Tisch, auf einem schweren blutroten Sessel, fast außerhalb des Lichtradius saß Shoanas dunkle, eindrucksvolle Gestalt und lächelte Aileen hintergründig zu. Die Hitze schien sie in keinster Weise zu beeinflussen.
Aileen grüßte respektvoll und ließ sich auf der anderen Seite des Tisches nieder.
"Und? Hast du die zweite Hälfte der Ware mitgebracht?" Shoanas Stimme war genauso dunkel und eindrucksvoll wie sie selbst. Es war eine dieser Stimmen, der man instinktiv lauschen musste.
"Wie besprochen.", bestätigte Aileen und fischte die Munition aus verschiedenen kleinen Verstecken ihrer Kleidung. Sie mochte Shoana nicht besonders. Nicht, weil diese unfreundlich oder gar grausam gewesen wäre, sondern aus dem simplen Grund, dass ihre pure Anwesenheit sie einschüchterte und verunsicherte. Und das war ein Effekt, den nur sehr wenigen Menschen auf die Irin ausübten.
Die Puffmutter wartete geduldig, bis ihr Gast sich wieder gesetzt hatte und beugte sich dann über den Tisch um die Ware zu sortieren, prüfen und zu zählen. Ein paar Minuten lang herrschte fast vollständige Stille, die Aileen nervös machte.
Schließlich zog Shoana zwei Säckchen hervor - eines gefüllt, eines leer, öffnete das leere, legte Stück für Stück die Munition hinein und ließ es dann in einer der Tischschubladen verschwinden.
"Sehr gut." sagte sie. "Hier die Bezahlung. Wie besprochen." Mit diesen Worten schob sie das zweite Säckchen vor Aileen.
Diese war weniger beherrscht als ihre Gastgeberin. Sie öffnete es, kaum dass es Shoanas Hand verlassen hatte, um den Inhalt zu prüften. Es gab absolut nichts zu beanstanden.
"Gut. ", sagte Aileen, "Danke für das Geschäft. Es war mir wie immer ein Vergnügen. Das war es dann bereits?"
"Aber ja." Ihr Gegenüber neigte amüsiert den Kopf zur Seite, " Wir können ein wenig über das Wetter reden, wenn du magst. Ist es das, was du vermisst?"
Aileen lächelte schief. "Nicht wirklich. Das ist nur das erste Mal, dass du mir kein Arbeitsangebot gemacht hast. Entweder werde ich alt, oder ich muss heute wirklich schrecklich aussehen."
Shoana grinste breit und ließ dabei eine Reihe makelloser Zähne blitzen, die sich eindrucksvoll weiß von ihrer schwarzen Haut abhoben.
"Es ist keines von beidem, Süße. Ich stelle grundsätzlich keine schwangeren Frauen ein."
Aileen wurde blass.
"W..wie...? Was sagst du da?" Und wieder hatte Shoana es geschafft, sie aus der Fassung zu bringen.
"Du wusstest es noch nicht? Komm, gibt zu, dass du es wenigstens geahnt hast.", selbst im Dämmerlicht konnte man das belustigte Funkeln in ihren tiefdunklen Augen sehen.
Der Irin blieb jedes Wort im Halse stecken.
"Normalerweise", fuhr Shoana fort, "würde ich dir beim Ablick deines entsetzten Gesichtes - und vor allem unter den Umständen hier im Hole - ein Abtreibungsmittel anbieten. Aber diesmal nicht." Sie lehnte sich in die Schatten zurück, so dass das helle Schimmern ihrer Zähne das einzige war, das man von ihrem Gesicht erahnen konnte. "Ich töte keine Schwestern. Das eine Kind, dass da in dir heranwächst, Aileen, scheint eine interessante Aura zu entwickeln. Ich halte sie für begabt. Wenn du sie nicht willst... trage sie aus und gib sie mir. Ich werde gut bezahlen. Für das andere habe ich keine Verwendung."
"Ich... was... ZWEI?", stammelte die junge Irin, dann klärte die aufflammende Wut ihre Gedanken. "Was BILDEST du dir ein!?", donnerte sie und stand ruckartig von ihrem Sessel auf, "Weder werde ich eines meiner Kinder töten, noch an irgendwen verkaufen, schon gar nicht an einen Puff!"
Wenn sie die Puffmutter verärgert hatte, so ließ diese sich nichts anmerken. Zwar blieb das Schimmern der Zähne aus, doch als Shaona sprach, war ihre Stimme so wohlklingend, sanft und beherrscht wie immer.
"Du siehst also, dass es wahr ist. Ziemlich wenig Überzeugungsarbeit dafür, dass du dich so lange davor gesperrt hast, nicht?"
"Das Gespräch ist beendet!", wutentbrannt drehte Aileen sich um und stürmte aus dem Raum, nicht, ohne davor den Beutel an sich zu nehmen.
"Du wirst sicher eine wundervolle Mutter." drang es an Aileens Ohr, bevor krachend die Tür ins Schloss fiel.
Hätte die junge Frau sich noch einmal ungedreht, hätte sie Shoanas Grinsen gesehen, hell im Dunkeln schwebend wie die Zähne der Grinsekatze.
Geändert von Ty Ni (11.08.2013 um 16:42 Uhr)
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