Und wieder stand er da, auf einem der oberen Stockwerke - wohl das vierte, wenn er die Auszeichnungen richtig betrachtet hatte - des so genannten Gemeinschaftszentrums und blickte auf die See im Osten. In Mantel und Fellmütze, auch wenn es nicht der Temperature wegen war, stand er da, die Hände hinter dem Rücken ineinander liegend und auf die See blickend. Irgendwo dort draußen lag die Welt, die er bereist hatte. Als Offizier der roten Armee, dann nach dem Zusammenbruch seiner Heimat als Söldner einer Organisation, bis schließlich Gesundheit und Alter seine Laufbahn beendet hatten und ihn zu einem alten Mann im Ruhestand machten. In solchen Momenten musste er lächeln. Nicht, weil es ein für ihn lustiger Gedankengang war, sondern weil er sich nur all zu gerne dem Vodka hingeben würde, aber hier in dieser Anlage an keinen kam. Gesundheitlich sicher von Vorteil wie auch von psychischer Seite her, wo ihm das doch ein Lächeln entlockte. Auch hatte man ihm bislang nicht wirklich etwas ähnliches wie Aufmerksamkeit gewidmet, war er doch ein eher älterer Mann, der für sich blieb.

"Радостно я повернул бы время назад" (Gerne würde ich die Zeit zurück drehen) murmelte Ivan, den Blick weiter auf die See gerichtet. Zum Beispiel der eine Einsatz in Afghanistan, bei dem sein Neffe Igor Dolvich im Kugelhagel ums Leben kam, was schon... Jahre... zurück lag. Dann die Alkoholsucht, der er nur dank seines guten Freundes Helmut Grunter die Stirn bieten konnte, doch selbst er lebte nicht mehr. Auch die Kontakte zu anderen aus der Söldnerorganisation war abgebrochen, seit Ivan im Ruhestand war. Ob sie überhaupt noch am Leben waren oder wie diese wandelnden Kreaturen, die allgemeinhin als Zombies bezeichnet wurden, durch die Gegend schlurften, das wusste er nicht. Und wollte er es überhaupt wissen? Und was brächte es ihm? Er war eigentlich recht froh, dass niemand ihm wirkliche Beachtung schenkte. Ein alter Russe, der für sich blieb und nur auf die See blickte erregte wohl nicht genügend Interesse, um sich mit ihm auseinander zu setzen. Er würde der Dinge warten, die da kommen, so wie zu seiner Zeit als aktiver Söldner auch.

Um die Militärs machte er sich keine all zu großen Gedanken. Militärs hatten vor dem Vorfall schon immer nach der Macht gegriffen und entgegen der Vernunft Entschiedungen getroffen. Wer nützlich war und kooperierte, konnte ein nahezu sorgenfreies Leben haben, wenn er sich nur dem Willen des Militärs unterwarf. Wer sich nicht mit den Militärs arrangieren wollte, dem blühte machtiger Ärger. In seiner Heimat Russland wurde das recht häufig mit Regimekritikern zelebriert, die urplötzlich in Gefängnissen und Straflagern verschwanden. Da hatte es Ivan doch etwas leichter. Er alt alter Mann von knappen sechzig Jahren, der nur einige Brocken deutscher und englischer Sprache sprechen konnte, wurde nicht sonderlich beachtet. Auch war es bei den vielen Menschen nicht gerade einfach, neue Kontakte zu knüpfen, waren sie doch alle irgendwie damit beschäftigt, das Beste aus der Situation zu machen. So hatte es für ihn zumindest den Eindruck. Und wie in jedem Land gab es auch hier Menschen, denen es besser ging als anderen und diese anderen waren, wie ebenfalls in jedem Land, die deutliche Mehrheit. Womit für Ivan klar war, dass egal wer die Herrschaftsgewalt inne hatte, dass das System an sich doch immer das selbe war.

Nur scheinbar nicht auf See, dachte er sich beim Blick durch die Glasfront vor ihm.