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Ritter
Shelley brauchte eine Weile, um sich der Tatsache bewusst zu werden, dass der - offensichtlich aus Frankreich stammende - Mann zu ihr sprach, wurde durch seine Frage aber nicht mal wirklich aus ihren Gedanken gerissen. Vermutlich lag dies an seiner Erscheinung; gepflegt, nicht uncharmant, ein Villager eben. Doch das jemand aus besseren Kreisen sich an sie wendet und dabei sogar ehrlich besorgt klingt, war ihr neu. Für gewöhnlich erschlossen sich doch sehr schnell egoistische und zwielichtige Muster im Verhalten der Menschen hier.
"O-Okay? Ja, alles okay. Warum... fragen Sie?"
"Ich habe gesehen, wie eine kleine Gruppe von Leuten einen Mann in Ihr Zelt trugen... einen Mann im Kittel!", erklärte der Franzose ihr. Sein leichter Akzent fiel auf, doch er war in keinster Weise störend.
"Ach...soo." Unter den vielen Gedanken, die sie sich bezüglich der dritten Kittelleiche innerhalb von zwei Tagen gemacht hatte, war nicht einmal der gewesen, welche Außenwirkung es haben könnte, dass ihre Hütte offenbar als Zwischenlager für tote Ärzte oder Wissenschaftler galt. "Die selbe... Gruppe hat seit gestern schon zwei weitere solche Leichen zu mir gebracht. Ich bin noch nicht lange hier, aber in den zwei Monaten bin ich wohl zu so einer Art... Ersatzkrankenschwester geworden. Wirkliche ärztliche Versorgung gibt es hier ja nicht und ich dachte, sowas könnte..." - Shelley stoppte für einen Moment. Schon eine gefühlte Ewigkeit hatte sie kein normales Gespräch mehr geführt, das nicht darauf abzielte, in irgendeiner Form Handel zu betreiben. Und jetzt war sie drauf und dran, ihren ersten Gesprächspartner seit eben dieser Ewigkeit müde zu quatschen.
"Jedenfalls wird das wohl der Grund sein, warum die Leichen zu mir gebracht werden!" Der Mann wirkte vertrauenswürdig auf sie, doch ihm jede Einzelheit ihrer zahlreichen Gedanken und Theorien zu offenbaren, warum die Gang nun wirklich die Leichen zu ihr - oder irgendwem - brachten, erschien ihr doch reichlich überflüssig.
Der Franzose nickte und warf einen längeren, doch unaufdringlichen Blick auf ihre Stofftaschen, von denen eine enorm ausgebeult war, während die andere kaum etwas in sich trug. Shelley folgte seinem Blick und klärte ihn sofort über den Inhalt auf, indem sie die Griffbänder der Äußeren, Schmaleren bei Seite zog. "Zeug zum Verarzten. Medizinisches Garn, Wundverbände und so. In der anderen Tasche ist nur schmutzige Wäsche. Ich hoffe, im Gemeinschaftszentrum jemanden zu finden, der verletzt ist und medizinische Versorgung braucht und mich im Gegenzug vielleicht die Kleidung waschen lässt und... etwas zu Essen hat."
Wieder ließ sie eine kleine Pause folgen, während der sie etwas schuldbewusst zu Boden sah. ""Ich hoffe natürlich nicht, dass jemand ernsthaft verletzt ist. Aber wenn..." - "Schon klar!", beruhigte der charmante Franzose sie zusammen mit einem verstehenden Nicken. Sie lächelte etwas verschmitzt. "Ich denke, wir sind ungefähr im selben Alter, also... ich bin Shelley!" "Gabriel! Es freut mich, Shelley!" Er reichte ihr die Hand zu einem sanften Händedruck, den sie dankend erwiderte. Und die Art, wie er ihren Namen betonte, war mindestens ein weiteres Lächeln wert.
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