Teil III - Weltenbau und Storytelling
Eine epische Geschichte
Obwohl RPGs natürlich in erste Linie Spiele sind, ist es doch die Story die das Genre für die meisten Spieler zu etwas Besonderem macht. Die Spieler wollen unterhalten werden. Und das bedeutet für RPGs dass sie ein Ziel haben und sich auf dem Weg da hin in einer fesselnden Geschichte verlieren.
Es mag für eine Weile unterhaltsam sein, sich an einem exotischen Ort wiederzufinden. Aber wenn es dort nichts für den Spieler zu tun gibt, wird er sehr schnell wieder das Interesse verlieren. In einem Einzelspielerspiel - und das ist was die meisten von euch erstellen werden - ist es wichtig, dass es einen glaubwürdigen Grund für den Spieler und die Spielfigur gibt, aktiv zu werden. Das muss nicht heißen, dass das Schicksal der Welt am seidenen Faden hängt - aber die Geschehnisse die dafür sorgen, dass der Spieler aktiv wird, müssen für die Spielfigur irgendwie von Bedeutung sein. Darüberhinaus ist es wichtig, dass der Spieler sich mit der Spielfigur identifizieren kann. Nur so hat er ein Interesse daran, ihre Probleme zu lösen.
Es gibt einen wichtigen Unterschied zwischen dem Geschichtenerzählen in einem Spiel und in einem sonstigen Medium: Interaktivität.
Die Geschichte eines Rollenspiels muss spannend und faszinierend sein, aber das Heft der Handlung muss beim Spieler liegen. Sobald klar wird, was im Rahmen der Geschichte als nächstes zu tun ist, muss es am Spieler liegen, auch tatsächlich zu handeln. Es ist schließlich ein Spiel und in einem Spiel liegt es am Spieler, ob und was er wann tut oder lässt.
Die Struktur einer mythischen Geschichte
Gehen wir für einen Moment über die Story eines RPGs hinaus und schauen uns klassische Geschichtenschreibung an. Basierend auf den Arbeiten über vergleichende Mythologie von Joseph Campbell, können wir das Muster identifizieren, dass sich in jeglichen Fantasiegeschichten wiederholt. Es zeigt eine Struktur, die seit ewigen Zeiten dazu genutzt wird, die Zuhörer mit der Geschichte zu verbinden. Wenn ihr euch hinsetzt und euch das erste Mal grob die Story eures RPGs überlegt, orientiert euch ruhig an den 12 folgenden Punkten:
1. Die normale Welt
Wir sehen den Spielercharakter in seiner gewohnten Umwelt, umgeben von bekannten Dingen und Gesichtern.
2. Ruf zum Abenteuer
Irgendwann ändert sich etwas im gewohnten Lauf der Dinge: Ein Krieg zieht auf, der König lässt den SC rufen, ein Freund taucht auf und verstirbt unter mysteriösen Umständen etc.. Es ist ein Weckruf, die Aufforderung hinauszuziehen und ein Problem zu lösen.
3. Den Ruf ignorieren
Der potentielle Held zweifelt an seinen Fähigkeiten und daran, ob es weise ist, dass gerade er das Problem lösen soll. Er kann aus allen möglichen Gründen zögern. Sei es aus ehrlichem Selbstzweifel oder aus egoistischen Motiven. In Filmen und Geschichten ist dieser Schritt recht kurz. In Spielen verschwindet er meist vollständig, da der Spieler so schnell wie möglich in die Action geworfen wird.
4. Den Mentor treffen
Ein Lehrer steht dem Spieler mit Rat und vielleicht auch magischen Geschenken zur Seite. Der Mentor kann z.B. ein mächtiger Zauberer, ein Botschafter des Übernatürlichen oder ein Kriegsveteran sein. Einen Mentor gibt es in fast jedem RPG.
5. Die Grenze überschreiten
Der SC traut sich in die große weite Welt hinter seiner Heimat. Das ist der Aufbruch aus Kerzenburg in Baldurs Gate. Das ist der Moment in dem Luke Tatooine verlässt. Der Held erkundet eine ihm unbekannte, große und gefährliche Welt.
6. Verbündete, Gegner, Prüfungen
Auf dem Weg zur Lösung des Problems begegnet der Held vielen Personen die ihm helfen oder schaden wollen. Überall lauern Herausforderungen und stets ist das Leben oder die Sache des Helden in Gefahr.
7. Weg zum großen Finale
Nachdem die Lösung für das Problem ausfindig gemacht wurde, begibt sich der Held auf den Weg zu seiner großen Nemesis.
8. Die letzte Prüfung
Der Held muss sich durch die Festung des Endgegners kämpfen. Sein Leben, sein Verstand und seine Seele stehen auf dem Spiel.
9. Die Belohung
Wenn der Endgegner besiegt ist, erreicht der SC sein Ziel. Entweder wurde eine Bedrohung für sein Land beseitigt oder er hat einen besonderen Gegenstand erhalten.
10. Die Straße nach Hause
Der Held begibt sich auf den Weg zurück nach Hause wo er Freunde und Familie wiedersieht.
11. Wiedergeburt
Nachdem er alle anderen Hindernisse überwunden hat, wartet noch eine letzte Herausforderung auf den Helden. Oft gibt es dabei eine symbolische Wiedergeburt des SCs. Die Hobbits die ins Auenland zurückkehren und es von der Herrschaft Sarumans befreien (Buch lesen!) sind ein Beispiel hierfür.
12. Rückkehr mit dem Elixir
Endlich kehrt der Held in seine normale Welt zurück. Er hat etwas Besonderes oder Magisches bei sich. Entweder im Wortsinn wie z.B. das Heilmittel für eine Krankheit oder im übertragenen Sinne wie größere Weisheit oder die Fähigkeit sich gegen den Schulhofschläger durchsetzen zu können.
Die 12 eben genannten Punkte repräsentieren mehr oder weniger die ideale Geschichtsstruktur. Natürlich sind sie nicht in Stein gemeißelt. Punkt 3 wird oft ausgelassen, da es keinen Sinn macht dem Spieler die Möglichkeit zu geben, das Abenteuer einfach abzubrechen. Die letzten drei Schritte werden oft am Ende in einer Cutscene zusammengefasst. Den Hauptteil des Spiels bildet Punkt 6.
Natürlich müsst ihr euch nicht streng an diese Schritte halten. Dennoch ist es der klassische Aufbau einer Fantasiegeschichte, wie sie im Laufe der Geschichte der Menschheit entwickelt wurde. Herr der Ringe ist ein Beispiel, in dem alle Punkte beachtet werden.
Die Standardstory
RPGs wurden lange Zeit für ihre großartigen Geschichten gelobt. Ihr story-zentrierter Aufbau macht es möglich, spannende, innovative und kreative Geschichten zu erzählen. Leider kommen diese kaum noch vor. Die meisten RPGs nutzen einen 08/15 Storyaufbau und bemühen sich lediglich darum, diese möglichst ansprechend zu präsentieren.
Ihr müsst entscheiden ob das gut oder schlecht ist, aber die meisten RPGs haben folgende Struktur:
1. Der Protagonist
2. Das Mädchen
3. Die Sidekicks
4. Der Verrat
5. Das verborgene Böse
Der Protagonist (für gewöhnlich männlich) hat seit seiner Geburt Eigenschaften, die ihn von der grauen Masse abhebt. Er ist oft eher der stille Typ (wenn nicht gar komplett stumm) und seine Persönlichkeit ist so herausstechend wie die eines Goldfisches. Dahinter steht die Annahme, dass ihr dieser Spielcharakter seid und dass es eure Geschichte ist.
Der Hauptcharakter wird schon bald seine bessere Hälfte kennenlernen. Dieser für gewöhnlich weibliche Charakter ist entweder eine Zauberin, eine Heilerin, eine Beschwörerin oder ein anderer Typ zauberwirkende Heldin. Auch sie hat eine Eigenschaft, die sie aus der breiten Masse heraushebt. Obwohl beide Charakter eindeutig verliebt sind, werden sie ihre Gefühle bis zum Ende des Spiels nicht offenbaren.
Im Laufe der Zeit stoßen weitere Charaktere zur Party die viel zu oft Stereotypen sind. Der schweigsame, starke Kämpfer, das hitzköpfige Mädchen, der Dieb mit einem überraschend gutem Herzen etc.
Irgendwann gibt es einen Verrat. Wirklich. Immer. Meist verrät euch ein Partymitglied, ab und an auch ein NPC.
Der Bösewicht ist meist nicht ganz der, für den man ihn hält. Es gibt immer etwas noch Böseres dahinter. Während die Geschichte sich entspinnt merkt der Spieler, dass der böse König, Zauberer, Prinz, wasimmer nur die Spielfigur eines noch böseren Dämons, Gottes, Königs oder Lovecraftschte-Monstrosität ist. Oftmals zieht sich dieses Muster über mehrere Glieder in der Kette, bis die Helden endlich den Drahtzieher stellen und besiegen. Credits.
Ist diese Struktur gut? Nunja, sie muss etwas für sich haben, schließlich wird sie so oft verwendet. Es ist recht leicht, sie zu implementieren. Allerdings führt sie oft zu Klischees. Das mag für ein Amateur-Spiel durchaus reichen. Aber vergleicht trotzdem mal die Story die euch vorschwebt mit der hier beschriebenen 08/15 Struktur. Falls sich beides zu sehr ähnelt, solltet ihr vielleicht noch einmal nachbessern.
Geschichtenerzählen in einem interaktiven Medium
Der Wert einer Geschichte in eurem Spiel liegt darin, Ereignisse und Quests zu organisieren und zu einem großen Ganzen zusammenzufügen. Das gibt dem Spieler das Gefühl, dass seine Aktionen nicht umsonst sind, sondern einem höheren Ziel folgen. Die Geschichte hilft dem Spieler auch dabei, sich in einer neuen und fremdartigen Welt wiederzufinden. Sie ist Anleitung für den Spieler und dient dazu, dass er die Situation im Spiel versteht.
Eine unbekannte Fantasy-Welt. Der Spieler wird sich hoffentlich mit dem Hauptcharakter identifizieren. Aber natürlich hat er keine Ahnung von all den Dingen, die eine Person in der Spielwelt gewöhnlicherweise weiß. Es muss also viel Wert darauf gelegt werden, dem Spieler alle nötigen Informationen in angemessener Zeit zukommen zu lassen.
Nützliche Mittel dafür sind:
- NPCs
- Zwischensequenzen
- Dialoge zwischen den Hauptcharakteren
- Ingame Texte wie Bücher, Gegenstandsbeschreibungen oder Tutorials
Spieler werden negative Ereignisse mit dem Gameplay in Verbindung bringen. Wenn dem Spieler irgendetwas schlimmes zustößt, zum Beispiel die Tötung eines Gruppenmitglieds, wird er sich unweigerlich fragen, ob er früher im Spiel etwas falsch gemacht und ob das Ereignis hätte abgewendet werden können. Es ist vielleicht weise, dem Spieler ein wenig Einfluss auf die Situation zu geben. So könnte er sich z.B. entscheiden, welches Gruppenmitglied sterben muss. Wenn das nicht in Frage kommt, müssen negative Konsequenzen zumindest ausführlich und nachvollziehbar erklärt werden.
Schlechte Enden sind einfach nur schlecht. Geschichten die schlecht ausgehen, sind selten genug. Und obwohl es in anderen Medien durchaus funktionieren kann, sind sie in einem Spiel völlig fehl am Platz. Der Spieler hat hart gearbeitet und sich durch alle Probleme gekämpft, die ihm das Spiel gestellt hat. Er verdient ein befriedigendes Ende. Ein gutes Beispiel ist Baldurs Gate - Thron des Baal. Ein schlechtes Beispiel ist Mass Effect 3.
Spieler wollen entscheiden, nicht folgen. Der Spieler ist keine Stopfgans den ihr mit eurer Welt und Geschichte füttern müsst. Das Spiel ist kein Sklaventreiber, der den Spieler auf einen bestimmten Weg peitscht. Es ist vielmehr ein Touristenführer, der dem Spieler interessante Personen und Orte zeigt, die dieser dann in eigener Geschwindigkeit erkunden kann. Gebt dem Spieler Dinge die er tun kann und nicht etwa hier und jetzt tun muss.
Das wichtigste an interaktiver Geschichtenerzählung ist, dass der Spieler gezogen und nicht gestoßen wird. Anstatt dass NPCs dem Spieler alles erzählen und ihm so die ganze Arbeit und den ganzen Spaß abnehmen, muss der Spieler dazu angehalten werden, sich Fragen zu stellen, damit er dann nach Antworten suchen kann. Warum hat sie das getan? Woher kommen die Monster? Wer ist der maskierte Fremde? Hat Han Solo zuerst geschossen?
Plotstruktur
Hier eine kurze Übersicht über die drei Art und Weisen, nach denen RPGs üblicherweise strukturiert sind.
Das lineare Spiel
Die Geschichte des Spiel hat einen Hauptstrang und es gibt nur einen Weg diesem Strang zu folgen. Man kann sich ein lineares Spiel als eine Perlenkette vorstellen. Jede Perle hängt am Hauptstrang, ist aber für sich genommen ein eigenes, nicht-lineares Spiel. Der Spieler kann innerhalb jeder Perle nach eigenem Gusto erkunden und handeln, aber um die Story voranzustreiben, muss er auf den Hauptstrang zurück.
Das multilineare Spiel
Das multilineare Spiel hat mehrere Geschichtsstränge; oft mit verschiedenen Enden. Am Übergang zwischen den verschiedenen Perlen muss der Spieler eine Entscheidung treffen, die bestimmt, welchem Weg zur welchen Perle er als nächstes geht. Manchmal kommt er so auf den “idealen” Weg, manchmal nicht. Manchmal muss er auch jede Perle besuchen und nur die Reihenfolge liegt in seiner Hand.
Das offene Spiel
Das offene Spiel findet sich eigentlich nur in MMORPGs. Diese Spiele haben keinen Anfang und kein Ende sondern nur das Hier und Jetzt. Der Spieler ist konstant damit beschäftigt, seine Spielfigur zu verbessern. Das Spiel an sich hat nur weiche Grenzen und der Spieler kann die Welt nach Lust und Laune erkunden.
Zusammenfassung von Teil III
RPGs sind vor allem für die Geschichten berühmt, die sie erzählen. Die Geschichte ist ein integraler Bestandteil des Spiels und ihr solltet viel Zeit und Mühe darin investieren, eine interessante, kreative und spannende Geschichte zu entwickeln. Dabei müsst ihr aber daran denken, dass ihr ein Spiel entwickelt. Wollt ihr ausschließlich eine Geschichte erzählen, gibt es dafür sicherlich bessere Medien.