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Thema: Landungsbrücken.fluten

  1. #1

    DieHeiligeSandale Gast

    Landungsbrücken.fluten

    Die Sonne geht auf und wirft gnadenloses Licht auf verbrannte Erde. Du stolperst durch den Traumtaumelnebel der Morgendämmerung und dein Kopf sagt "Schmerz!" und dein Bauch sagt "Raus!" und es plätschert und pladdert auf den Boden des Landungsbrückenparkplatzes und du sagst "Scheiße."
    Die S-Bahn fährt nicht, noch einige Stunden nicht. Niemand außer dir ist auf den Straßen. Dein Portemonnaie ist weg, deine Wohnung ist weg und das Mädchen ... Das Mädchen ...
    "Du siehst schön aus. Darf ich dich küssen?" "Ja."
    Und dann schwarz.
    Du rennst am Ufer entlang und brüllst. Du brüllst den ganzen Schmerz dieser verfickten scheiß Woche aus deinen verfickten scheiß Lungen in diese verfickte scheiß Welt und irgend so ein ••••••••• öffnet sein verdammtes Fenster und brüllt zurück.
    "Was willst du denn?", schreist du den ••••••••• an.
    "Ich komm da gleich mal runter!" brüllt der ••••sohn zurück, und während du das Messer in deiner Tasche aufklappst schreist du "Dann komm doch! Dann komm doch!!!" Du ziehst das Messer hervor und zeigst es ihm.
    Er guckt wie ein Kugelfisch und schließt das Fenster dann. "Komm doch endlich du hässliche Kröte! Komm doch! KOMM DOCH DU HUUUREEENSOOOHN!" brüllst du noch eine Weile und wirfst dann das Messer nach seinem Fenster, wo es aber nicht ankommt. Es fällt einfach zurück auf den Boden und bleibt, Spitze voran, gefährlich nah neben dir im gefrorenen Boden stecken.
    "Wärste mal in meinem Kopf gelandet", sagst du zu dem Messer und lässt es zurück.
    Fischbrötchen wäre jetzt nett. Das würde zwar machen, dass die nächste Kotze, und die nächste Kotze kommt bestimmt, noch ekliger schmecken würde als sonst, aber immerhin wäre es auf dem Weg rein ganz lecker. Und voller Elektrolyte. Dein Körper will Elektrolyte haben und pflanzt dir deshalb Bilder von Fischbrötchen in den Kopf. So ein ausgebufftes Schwein.
    Heute ist kein Fischmarkt. Heute ist gar nichts. Nur Stille, gelegentlich durchbrochen von Taxis und anderen Mercedessen.
    Das letzte Bier ist schal wie Sau und du wirfst es in den Fluss. Sollen die Enten sich dran besaufen und dann sterben, zur Hölle fahren, schmoren und als Knusperente wiedergeboren werden.
    "Ich mag dich. Ich wohn gleich um die Ecke." "Du ... Nee ..." "Wie? Ach! So war das doch gar nicht gemeint! Nee, Quatsch. Also, keine Ahnung. Noch ein Bier?" "Nee du, ich muss jetzt auch mal weiter, meine Freunde warten alle draußen." "Ähm, okay. Hör ich mal was von dir? Handynummer?" "Du, ich muss jetzt echt los, sorry. Mach's gut, bis bald mal." "Ähm, ja, okay, bis bald ..."
    Fuck.
    Es ist kalt. Du klingelst bei allen Wohnungen in einem dieser schönen Hafenmehrfamilienhäuser Sturm. Jemand drückt den Summer und du gehst schnell ganz nach oben. Hier stehen Schuhregale. Zwischen die Schuhregale gekauert schläfst du ein.
    Wie wäre es, wenn die schönen, reichen, erfolgreichen Hafenstraßenbewohner morgen ihre Tür aufmachen und dich da finden, zusammengekauert zwischen ihren Schuhen, und dich herein bitten, dich einfach akzeptieren? Nicht als Mensch, Unfug, wo denkst du hin, als Haustier! Wie wäre es, wenn sie dir ein Schälchen mit Milch hinstellen würden und du fortan die Katze einer reichen, erfolgreichen Kreativwohngemeinschaft in der Hafenstraße wärst? Deine Besitzer wären große Tiere in der Werbung und während sie die Viral Marketing Kampagne für die neuen Puma Schuhe planen würden, würdest du Dosenfleisch essen, das sie dir aufgetürmt hätten.
    Katzenfutter riecht immer nach Thunfisch, auch wenn gar keiner drin ist. Oder Thunfisch riecht immer nach Katzenfutter, und in Thunfisch ist ja bekanntlich sowieso alles drin.
    Ein kleines Mädchen starrt dich an. Vielleicht sechs Jahre alt. Sommerkleid.
    "Du kannst hier nicht bleiben."
    "Warum?"
    "Mein Papa haut dich platt. Du musst hier lieber weg gehen."
    "Ist so kalt draußen. Ich bin eine Katze."
    "Nee, bist du nicht."
    Plan gescheitert. Familienkatze ist sowieso nicht so cool wie Katze in einer WG. Kinder stellen am Ende noch ne emotionale Bindung zu dir her, und dann stirbst du wenn sie 12 sind und lässt sie das erste Mal spüren, dass es den Tod gibt, und dass er Löcher ins Leben reißt, der blöde Sack.
    Es müsste jetzt eh spät genug sein, dass die verdammten S-Bahnen wieder fahren, also auf zum Bahnhof.
    "Tschüß, kleines Mädchen."
    "Fick dich."
    Süß. Kinder.
    Kettcar läuft in deinem Ohr, obwohl du Kettcar hasst. Weißt du was? Das ist die Strafe für alle Menschen, die zu lange feiern sind und an dieser Station auf die Bahn warten müssen. Kettcar ist so etwas wie der Katerteufel, ihre Musik die Folter in der eigenen Kopfhölle an der schrecklichsten Bahnstation der Stadt.
    Die Rotzgrünen Hügel auf denen dieser monumentale Hässlichkeitsbau von einer Jugendherberge steht. Hippies spielen schlechte Lieder auf mitgebrachten Scheißgitarren die sie nicht einmal selber stimmen können und hoffen auf Geschlechtsaktsaction in der großen Stadt. Und ekelhaftes Feiervolk feiert abwechselnd den Hafen und Astra. Was dagegen.
    An den Landungsbrücken raus. Dieses Bild verdient Buh-Rufe, du Spast.
    Bleibt wenigstens alle da. Liebe Hippies, Feierwütige Deoträger und Sonnenstudiofitnessgeformte Hautcremespazierenführer dieser Stadt, liebe Buttergesichter und Buttergesichterinnen, liebe Romantiker und Hamburger Umländer, die das hier für das wirklich allergrößte halten: Fahrt da hin, steigt da aus, sammelt euch, und dann können wir die Scheiße fluten und die Stadt wird vielleicht mal wieder schön.
    Du steigst in die S-Bahn, außer einem Mann der nach Tier stinkt und schläft ist niemand hier. Du setzt dich neben ihn und prostest ihm im Stillen zu. Dann schläfst du endlich ein und die Bahn bewegt sich in irgendeine Richtung, nur sicher nicht zu dir nach Hause.

    Geändert von DieHeiligeSandale (26.07.2013 um 00:34 Uhr)

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