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Thema: [Sky] Rollenspielthread #1 (Signatur aus)

  1. #101

    Wälder östlich der Knochenspitze

    Der Ork kniete über dem toten Hasen und begutachtete den Federschaft, der aus dessen Genick ragte. Er rieb sich mit der linken Hand über das Kinn, das sich durch die groben Bartstoppeln mehr wie die Metallraspel eines Schmiedes anfühlte, denn gerade gestern rasierter Haut. Ich muss den Dolch mal wieder schleifen... Seine Aufmerksamkeit wanderte wieder zu der Jagdbeute. Was er so besonders an dem Hasen oder vielmehr dem Geschoss fand war die merkwürdig bunte Befiederung. Er kannte die Einheitsfarben der meisten Jäger. Die imperialen Jäger hatten meist rot, da die Handvoll befugter Jäger aus Einsamkeit kamen. Jäger der Jarl befiederten in den Farben der Wappen des jeweiligen Jarltum. Hier aber war schwarz und ein hochgradig selstames Türkis kombiniert. Kein dem Druide bekannter Vogel besaß ein Federkleid mit so einer Farbe. Vielleicht sind sie auch gefärbt... Er wollte gerade nach dem Hasen greifen um sich den Schafft besser beäugen zu können.
    'Griffel weg! Den habe ich erlegt!' Ertönte hinter ihm eine weibliche Stimme. Djure blickte sich über die Schulter. Hinter ihm stand eine Kaiserliche oder eine Bretonin, so genau konnte er das nicht sagen. Sie hielt einen Bogen gespannt vor sich und zielte auf ihn. Djure war in seiner hockenden Position bereits fast auf Augenhöhe mit der Frau. Er schnaufte hörbar und richtete sich dann auf. Er drehte sich zu ihr um und blickte auf sie herab. Der Frau fehlte locker eine halbe Armeslänge zu ihm. Sie musste den Kopf nach hinten biegen um ihm in die Augen blicken zu können. 'Wäred ihr wohl so freundliche, euren Bogen aus meinem Gesicht zu nehmen?' Fragte der Ork. Seine Stimme war die eines tiefen Basses, eines Basses, wie man ihn manchmal auf Paraden der Legion hören konnte. Seine Statur schien sie relativ wenig zu beeindrucken, sie hatte unbestreitbar schon einige Trolle gesehen. Sie machte auch nicht wirklich Anstalten den Bogen zu senken. 'Ihr dachtet ihr könntet mich beklauen?' Fragte die Frau. Immer wieder das selbe... seit dieses Arschloch in Windhelm der festen Überzeugung war einen unglaublich sinnfreien Krieg vom Zaun zu brechen hat jeder Trottel das Recht für sich gepachtet jeden anderen aus Misstrauen einfach angehen zu können...

    Djure seufzte und neigte dann den Kopf etwas um in den Himmel über sich blicken zu können. 'Seht, ich wollte euch nicht beklauen, ich bin vermutlich ein besserer Jäger als ihr, ich habe mich lediglich über die mir unbekannten Federfarben gewundert.'
    'Natürlich und als nächstes erzählt ihr mir, dass ihr kein Ork seid und eigentlich für die Legion kämpft und ...'
    Weiter kam sie nicht. Der Ork nutzte ihre kurze Unkonzentriertheit aus indem er mit Wucht die freie linke Faust ausstreickte - zur Seite.
    Sie krachte in den Stamm einer Tanne neben ihm. Der Stamm schwankte beeindruckend. Die Augen der Frau folgten dem wankenden Baum hinauf in die Spitze. Einen Herzschlag später wurde sie unter einer dicken Schicht Schnee begraben. Der Ork bekam natürlich auch etwas ab, aber ihm reichte die Schneeladung gerade einmal bis zur Hüfte und zudem war seine Statur viel zu massig als dass der Schnee ihn tatsächlich umreissen hätte können. Von der Frau waren jedoch nur noch zwei hilflos fuchtelnde Hände zu sehen. Eine seiner riesigen Hände fuhr zwischen den Händen durch den Schnee und ertastete ihr Gesicht. Mit einem Wisch legte er den Kopf der Frau zur Hälfte frei. Sofort begann sie zu brüllen und zu keifen. Und beinahe ebenso schnell verstummte sie wieder, als Djure ihr direkt wieder die Hälfte des Schnees, den er gerade erst vor ihrem Gesicht weggeräumt hatte, wieder auf selbiges drückte. Nur noch Augen und Nase waren frei. Mit der rechten Tatze fuhr Djure an der Seite ihres Kopfes durch den Schnee, drückte ihn zur Seite, sodass sie in dieser Richtung etwas Platz hatte, dann spreitzte er den kleinen Finger von der Hand ab, steckte ihn ins Ohr der Frau und drehte ihn einmal ruckartig in jede Richtung. Am Saum ihrer Kaputze, welche über ihrem Kopf ein wenig aus dem flockigen Weiß ragte, putzte er den Finger ab, dann kam er nahe an den Spalt neben ihrem Kopf. 'Wenn ich gleich den Schnee vor eurem Gesicht wieder entferne, tut mir den Gefallen und haltet die Schnauze, ihr werdet die Puste noch brauchen.' Er machte ihren Mund wieder frei und es wäre auch einfach zu schön gewesen, wenn sie getan hätte, was er gesagt hatte. Aber nein, sie brüllte direkt wieder los. Djure kniff entnervt die Augen zusammen. Ein weiterer Schlag gegen den Baum und es regnete einige Tannenzapfen. Er suchte sich einen schönen aus und drückte ihn der aus Leibeskräften kreischenden Frau zwischen die Kiefer. 'Shhh!' Machte er, dann grub er mit einigen Wischern seiner großen Hände das Kaninchen aus. 'Gut festhalten.' Sagte er übertrieben aufmunternd und drückte ihr das halb geforerene Tierchen in eine der hilflos geöffneten Hände. 'Wenn ihr euch dafür entschuldigen wollt, dass ihr diese ganze Sache hier unnötig provoziert habt, ihr findet mich heute und morgen in Kyneshain.' Dann wuchtete er seinen massigen Körper durch den Scheewall. Er drehte sich noch einmal um. 'Ich würde mich beeilen, es dämmert bereits, soll kalt werden nachts hier draußen...'

    Djure ging davon aus, dass die Frau sterben würde. Sie hatte zwar die richtige Kleidung für die Jagd im Schnee gewählt, jedoch sah er nur geringe Chancen für sie, sich allein aus dem Schneeberg zu befreien. Er wusste selbst, wie schwer Schnee sein konnte lag man darunter begraben. Notwehr und so... Sie hatte ihn vermutlich für den üblichen Orkbarbaren gehalten. Naja geschuldet seinem Aussehen liefen diesem Irrtum doch immer wieder erstaunlich viele Fremde auf. Trotzdem, aus ihrer Sicht stammt sie aus einem zivilisierten Volk, hat sich aber aufgeführt wie ein Schläger aus der Gosse.

    Es war bereits tiefschwarze Nacht, die Nordlichter tanzten in strahlendem Grün am Himmel als Djure in Kyneshain ankam. Er blieb noch einen Augenblick vor dem Gebäude stehen und betrachtete das Schauspiel am Himmel. Dann nahm er seine Kopfzier ab und hängte sie sich an einer daumendicken Kordel um die Schultern. Er war so bereits zu groß für die Türen, wenn er den Schädel trug war die Wahrscheinlichkeit groß, dass er am Türsturz hängen blieb und das Ding im schlimmsten Fall zu Schaden kam. Das galt es zu vermeiden, das Ziegengebein hatte einen unmessbaren ideellen Wert. Er zog die Tür auf. Der Schankraum war nicht voll, aber gut besetzt. Als der Riese eintrat und die Tür hinter sich ins Schloß zog und die Kälte aussperrte, wandten sich ihm einige Köpfe zu, beäugten ihn einige Augenblicke und drehten sich dann wieder weg. Djure schaute durch den Raum und fand auch sogleich, was er suchte. An einem Tisch drängte sich eine größere Runde um zwei sich gegenüber sitzenden Männer und feuerte die beiden Gestalten an. Die beiden Sitzenden hatten die Gesichter zu grimmigen Fratzen verzogen, während sie sich im Armdrücken maßen. Sehr gut... ich kann den Geldbeutel bereits klimpern hören... Djure hielt zwar nicht sehr viel von weltlichem Besitz, aber er war nunmal kein Hexenrabe, der von rohem Fleisch, Luft und Hass leben konnte. Manche seiner Vorräte konnte er nunmal nicht in den Wäldern eben so auffüllen wie manch andere. Und Met gabs auch nicht in Flüssen.

    Er gesellte sich zu der Truppe. Ein Arm wurde umgeknickt und donnerte auf die Tischplatte. Jene, die auf den richtigen gesetzt hatten jubelte, einige andere begannen ärgerlich auf ihren Einsatz zu schimpfen, während der Geschlagene den Stuhl räumte. Schon wollte sich ein nächster Herausforderer setzen, ein brauchbar trainierter Nord, der dem Ork wenigstens bis ans Kinn reichte, doch Djure legte dem Nord eine seiner mächtigen Hände auf die Schulter und hielt ihn leicht zurück. Der Nord blickte sich um und wollte schon etwas sagen, machte aber angesichts der Erscheinung Platz. Djure blickte einem sehr drahtigen Rothwardonen in die braunen Augen. Hmm... kommt nicht so oft vor, ich bin gespannt. Männer die direkt hinter Djure standen mussten sich auf die Zehenspitzen stellen um über seinen Schultern sehen zu können. Ein Bosmer am Kopfende des Tisches war noch geschäftig dabei die Wetten anzunehmen. Trotz der physischen Überlegenheit Djures setzten doch noch einige nicht gerade kleine Beträge auf den Rothwardonen. Er musste wohl schon einen recht erfolgreichen Abend bestritten haben bisher. Dann beschied der Bosmer den beiden die Fäuste ineinader zu verschränken. Der Elf wartete noch kurz, dann gab er das Zeichen zum Anfangen. Sofort spannten sich die Muskeln des Rothwardonen an. Djure drückte zunächst lediglich dagegen. Er musste anerkennen, dass der Kerl eine sicherlich mit viel Disziplin trainierte Muskulatur besaß. Die Lefzen im Gesicht des Ork hoben sich, als er langsam begann dagegen zu drücken. Die ganze Sache war an sich schon lächerlich unfair. Djures Unterarm war bereits eine ganze Spur länger als der Des Menschen, der Hebel mit dem der braune Kerl agieren konnte war einfach nicht groß genug um dies hier gewinnen zu können. Aber er hielt trotzdem dagegen. In Djures Rücken krachte die Eingangstür ins Schloss, aber er kümmerte sich nicht weiter darum, obwohl ein Teil der Zuschauer verstummt war und sich umblickte. Der Arm des Menschen aus Hammerfell krachte auf die Tischplatte, doch der Jubel blieb aus. Jetzt fühlte sich Djure doch gewzungen, sich zur Tür umzudrehen um zu sehen, wer dort so spannendes eingetreten war.
    Eine Frau, gehüllt in einen triefenden Umhang einer Farbe, die Djure sehr sehr bekannt vorkam. Die Frau hatte die Kapuze zurückgeschlagen und ihr schweißnasses Gesicht glänzte im Schein der Kaminfeuer. Djure musste anerkennen, dass das von goldenem Haar eingerahmte Gesicht recht hübsch anzusehen war. Eine nur ganz dezent nach oben gebogene Stupsnase, deren flacher Rücken zwischen zwei offenen Augen gebettet in eine runde Stirn mündete. Die an sich fröhlichen Augen - wäre da nicht die tiefe Zornfalte in der Stirn gewesen - wurden durch die im gesichtsmittigen relativ dicken Ansatz nach einer Fingerbreite bereits zu einer sehr dünnen Linie auslaufenden Augenbrauen betont. Die Bäckchen unter den Augen waren gewölbt und jetzt stark gerötet. Die Lippen wirkten im ersten Augenblick gedrungen und von links und rechts her gestaucht. Aber auf den zweiten Blick war es lediglich ein kleiner, Mund mit ästhetisch zum eher runden Gesicht passenden, vollen Lippen in einer Form, die gern lächelte. Wenn der Bogen nicht die Hälfte des Gesichtes verdeckt - oder eben Schnee - sieht sie doch schon sehr hübsch aus...
    'Der da!' Sie zeigte keuchend auf ihn. 'Ist ein Spion der Legion!' Wirklich? Muss das jetzt sein? Die meisten im Raum blickten sie eher stutzig an anstatt wie sie sich vermutlich erhofft hatte mit Waffen auf ihn loszugehen.
    'Schaut ihn euch doch an, wie plump er versucht die Uniform der Sturmmändel mit diesem Ziegenfilz zu kopieren!'
    Das ist jetzt eine persönliche Beleidigung. Djure stand auf, wobei der Stuhl knackte und Knarzte fast so, als wäre er erleichtert endich das Gewicht loszusein. 'Was fällt dir eigentlich ein Weib?!' Er packte seinen Stab mittig, vollzog eine Drehung über die drei Meter Entfernung zu ihr durch den Raum und mit dem Schwung der Drehung schoß ein Ende des Stabes ihr entgegen und traf sie auf Brustbeinhöhe. Pfeifend wich ihr die Luft aus den Lungen und sie klappte zusammen. Sie japste nach Luft. Djure zog sie an ihrem Mantel hoch. Er hatte den Schlag sehr genau bemessen, sie würde keine Schäden davon tragen, aber er würde sie nun davontragen und einmal eingehend mit ihr darüber verhandeln, dass sie ihrer gesundheitlichen Unversehrtheit einen großen Gefallen täte, würde sie ihn nicht noch einmal derart provozieren.
    'Halt!'
    Djure drehte sich zu der Stimme um. Ein Soldat der Sturmmäntel stand hinter ihm. Überraschend entspannt, lediglich eine Hand ruhte auf dem Schwertgriff. Hinter dem Soldat versetzt stand ein Kundschafter, ebenfalls in der typisch blauen Uniform. 'Ja?' Machte Djure.
    'Dürften wir euch einmal durchsuchen? Nur Routine versteht sich.'
    'Nein?'
    'Seht guter Mann, wir wollen keinen Ärger hier - und keine Spione der Legion. Wenn ihr kooperiert würdet ihr damit beweisen, dass ihr nicht zum Imperium gehört.'
    'Welchen Teil von nein habt ihr nicht verstanden?'
    'Herr, wir sind vom rechtmäßigen Großkönig in Windhelm dazu befugt Waffengewalt anzuwenden, wenn es sein muss...'
    'Und ich bin befugt mir mit eurem Haupthaar den Arsch nach dem nächsten Haufen abzuwischen, wenn ihr nicht sofort umdreht und mich in Frieden lasst!'
    Der Nord schien kurz verblüfft, blickte aber dann grimmit in die Augen des Ork: 'Hiermit seid ihr vestegnommen wegen des dringenden Verdachtes...'
    Djure reagierte bevor der Soldat geendet hatte: Die Hand, welche die Frau am Kragen hielt warf diese über einen Dachbalken über dem Ork, wo sie zappelnd hängen blieb, während die andere Hand ausholte und den Stab vorschnellen ließ. Während der Stab durch die Luft schnitt, lockerte Djure seinen Griff, sodass er die Waffe nun an einem Ende Packte, während das andere Ende nun mehr Schwung generierte und krachend an der Schläfe des Soldaten landete. Der Mann kippte sofort bewusstlos um. Der wird die nächste Zeit nicht aufstehen... Kreischend stürmte der Kundschafter mit einem Dolche in der Hand an. Djure schlug die heranfahrende Klinge einfach zur Seite. Sein Knie fuhr nach oben und dem noch nach vorn stolpernden Jüngling in den Unterleib. Was ein Schmerzensschrei hätte sein können gipfelte lediglich in einem aufgerissenen Mund und damit, dass der Mann einen Meter zurück segelte und japsend auf dem Boden liegen blieb.
    'Hol mich endlich runter du Sohn eines Horkers!'
    Djure drehte sich um und grinste dreckig. 'Achso ja wegen den Stoßzähnen in den Mundwinkeln? Ja, der ist gut, den hab ich auch nicht schon mindestens ein oder zweimal vorher gehört...' Dann drehte er sich wieder zum Schankraum um. 'Noch jemand, der meint ich gehöre zur Legion?' Niemand regte sich. 'Sehr gut, ich bekomme hier noch Wettgeld.' Er klopfte auffordernd auf den Tisch, an dem er eben noch saß und den Rothwardonen besiegt hatte. Zitternd schob der Bosmer ihm ein Beutelchen mit Septimen hin. Der Ork schüttelte den Kopf. 'Ich will nicht alle Einsätze, ich will nur meinen Teil von gerade eben.' Er konnte ungefähr abschätzen, wie viel er gewonnen hatte, es würde wieder eine Weile genügen schätzte er. Er blickte zur Wirtin hinüber: 'Einmal eine Runde Honigbräumet für das Loch hier.' Zustimmender Jubel und vereinzeltes Klatschen wallte in dem Raum auf. 'Und einen Schlauch Gewürzwein für mich.' Sagte der Ork, nachdem er den Gewinn von dem Waldelf entgegengenommen hatte und zur Bar gegangen war. Er ignorierte die Frau auf dem Balken, wie sie wild zappelte und keifte. 'Holt ihr sie da noch runter?' Fragte die Wirtin. 'Wieso, wollt ihr sie behalten?'
    'Nein, eben nicht, derart schrille und hysterische Gäste kann ich nicht gebrauchen.'
    'Keine Sorge, ich nehm sie mit.'
    Die Wirtin schob ihm den Schlauch Gewürzwein über die Bar. Djure griff danach, hängte ihn sich um und ging durch den Raum. Mit einem Ruck hatte er die Frau von dem Balken heruntergezogen. Sie war erstaunlich leicht, wie er jetzt feststellte. Er umgriff beide Handgelenke und hielt sie vor sich hoch, sodass ihre Füße nicht den Boden berührten. 'Folgt ihr mir unauffällig oder nicht?' Ihre Antwort war ein schwacher Tritt gegen ihn. 'Ich werte das als nein.' Ein Ruck ging durch den Körper der Frau als er sie über seine Schulter warf. Gezielt legte er die freie Pranke auf ihr Geßäs. Hm... nicht von schlechten Eltern... Er trat nach draußer und stieß die Tür ins Schloß. Er ging ein paar Schritte vom Eingang weg und warf die Frau dann mit einer flüssigen Bewegung in eine Pulverscheewehe an der Wand des Gebäudes. Er ging vor ihr in die Hocke. 'Wollt ihr mir jetzt verraten, was euch dazu bewegt mir derartig den Abend zu vermiesen?' Er sprach normal und ruhig. Sie kniff die niedlichen Augen zusammen und presste die Lippen aufeinander. Djure seufzte. 'Wie heißt ihr?' Sie verschränkte die Arme vor der Brust und drehte bockig den Kopf zur Seite. 'Woher kommst...' Ihm fiel ein Fetzen Papier auf, der keinen Meter über dem Kopf des Menschen an die Holzwand der Herberge getackert war. Der Profilriss des Kopfes kam Djure aber sowas von bekannt vor. Er senkte nochmal den Blick und glich nochmal mit der zur Seite starrende Frau ab. Völlig verblüfft streckte er einen Arm nach oben und riss einen dicken Büschel Stroh aus dem Dach. Ein Schwall Schnee löste sich und fiel nach unten. 'HEY!' schreckte die Frau prustend auf. 'Sitzen bleiben!' Djure drückte sie zurück in ihren frostigen Sessel. Er schnippte dem Stroh entgegen und mit der improvisierten Fackel beleuchtete er den Steckbrief. 'Gesucht, möglichst lebendig: Julienn Moryn. Kaiservolk, etwa...'
    'Stop!' Rief die Frau und wollte erschrocken aufspringen und nach dem Steckbrief grabschen.
    'Sitzen bleiben sagte ich!' Djure drückte sie wieder zurück. Er las weiter: 'Etwa 24 Jahre alt, nackenlanges, krauses goldblondes Haar. Angeklagt des Raubes aus den Schatzkammen Mortal und Weißlauf. Des weiteren verantwortlich für mehrere Überfälle entlang der Hauptstraßen zwischen Weißlauf und Einsamkeit.' Er blickte auf das zierliche Geschüpf vor sich. Das muss entweder unglaublicher Zufall sein oder schlicht eine Verwechslung... 'Abgabe der Gefangenen gegen ein Kopfgeld von 500 Septimen, wenn tot 200 Septime, in der Kaserne von Einsamkeit. Er steckte die Strohfackel mit der Flamme voraus in den Schnee. 'Julienn...?'
    'Ja?' Fragte sie aufblickend, realisierte aber im selben Moment, dass das ihre letzte Chance zum Schwindeln gewesen war. 'Scheiße!' Flüsterte sie. 'Ich... heiße nicht so!' Sagte sie bestimmt. Djure grinste breit. 500 Septime, damit könnte ich mir ein halbes Jahr den Gang zu Tavernen und das Handeln mit Fellen einfach sparen, heute muss mein Glückstag sein. 'Na dann hast du doch sicher nichts gegen einen Ausflug nach Einsamkeit, Julienn. Soll eine beeindruckende Stadt sein hab ich mir sagen lassen...' Der Ork glaubte selbst noch nicht ganz, dass dieses niedliche, nicht unbedingt sehr helle Ding in zwei Schatzkammern von Jarls eingebrochen war. Aber die Ähnlichkeit war groß genug, vielleicht würde er das Kopfgeld trotzdem einstreichen können. Er warf sich die zappelnde Kaiserliche wieder über die Schulter. 'Macht es euch bequem, wir haben einen längeren Weg vor uns.' Er überlegte noch kurz, ob er nicht erst lagern sollte um sie trocken zu bekommen. Achwas, auf dem Steckbrief stand lebend, nicht gesund. Er setzte sich seinen Schädelknochenhelm auf, riss den Steckbrief von der Wand und stopfte ihn sich in den Gürtel, dann stapfte er los der Straße nach Norden folgend.

  2. #102

    Kyneshain -> Weißlauf

    Djure plante eigentlich nach Windhelm zu gehen und von dort aus mit einem Schiff über Dämmerstern nach Einsamkeit. Der Weg von Kyneshain nach Windhelm war kaum mehr als eine Stunde gemütlichen Spazierens - selbst mit seiner zusätzlichen Traglast. Links und rechts der Straße waren in der Dunkelheit die kantigen Umrisse von Felsen zu erkennen. Julienn schien sich fürs erste in ihr Schicksal ergeben zu haben und hing ruhig über seiner Schulter. Der Ork bog um einen letzten Felsen herum und vor ihm eröffnete sich eine sehr breite Kreuzung. Nach Norden ging die Straße in die Brücke nach WIndhelm über, rechts davon konnte er die Stallungen erkennen. Djure hielt sich kurz im Schatten des Felsens. Deutlich mehr Fackeln als üblich tanzten vor der Brücke auf und ab. In ihrem Schein glänzten die einfach zu erkennenden Hörnerhelme der ranghöheren Sturmsoldaten. Seit wann wird die Brücke nach Windhelm derart stark bewacht? Der Druide zählte 5, 6, 7. Deutlich mehr Blauröcke als normal. Der Bürgerkrieg schien sich wohl allmählich doch aufzuschaukeln.

    'Was ist?!' Zischte Julienn. 'Seid ihr festgefroren?'
    'Ruhe!' Fauchte Djure zurück. 'Die Route hat sich spontan geändert...' Er drehte sich ruckartig um und wollte die Straße zurückgehen. Er bemerkte wie die Kaiserliche den Kopf hob und wusste sogleich, was sie vorhatte, aber verhindern konnte er es nicht mehr. Julienn erspähte die Sturmmäntel und begann aus vollen Lungen zu kreischen. Die Soldaten mussten noch gesehen haben, wir er hinter der Kurve verschwand. 'Wer da? Stehen bleiben!' Djure drehte sich um und sah zwei der Fackeln auf sich zukommen. Knebel vergessen... ich bin halt kein Profi. Mit engen Schritten trippelte Djure quer über die Straße. Jeder seiner Fußabdrücke glimmte einmal kurz auf, dann stellte er sich mit ein wenig Abstand hinter die Linie seiner Spur. Julienn kreischte unentwegt weiter. Die Soldaten waren jetzt so nahe, dass er Details in Rüstung und Gesicht erkennen konnte. Sie blieben stehen. 'Wer seid ihr und wer kreischt hier so?'
    'Ich bin ein Wanderer und das kreischende Weibsbild ist meine Gefangene. Beides sollte euch nicht weiter kümmern.'
    'Was uns kümmert erfahren wir von Großkönig Sturmmantel, nicht von euch. Die Kontrollen wurden verdichtet, das schließt auch Wanderer und ihre Gefangenen mitein.'
    Djure verdrehte die Augen. 'Dann kommt und kontrolliert mich.' Einer der Soldaten zog seine Axt und legte sie sich über die Schulter. 'Keine ruckartigen Bewegungen.' Sagte er relativ sicher. Es bestand kein Zweifel, Djure hatte hier die Jungs vor sich, welche im Falle einer Schlacht tatsächlich in der ersten Reihe standen und das Ende der Schlacht miterlebten. Aber es blieben trotzdem noch einfache Soldaten. Der Nord ahnte nicht, auf was er eben zuging. Mit dem nächsten Schritt würde auf eine der Eisfallen treten. Djure bleckte bereits die Zähne. 'Vorsicht, Fallen!' Brüllte die Kaiserliche hinter seinem Rücken. Die eben noch selbstsicheren Augen des Sturmmandels blickten nach unten, aber hier hatte er den Schritt bereits halb vollführt, er trat mit dem Fuß auf. Knarzend und knackend wurde der Fuß bis zur Hüfte in starres Eis gehüllt. Wedelnd suchte der Soldat das Gleichgewicht zu halten, kippte dann aber hilflos wie ein gefällter Baum zur Seite. Der Nord hatte es seiner natürlichen Kälteresistenz zu verdanken, dass er nicht komplett gefrostet wurde. Allerdings hatte Djure nicht zwingend die Absicht gehabt hier Blut zu vergießen. Der zweite Nord riss sich aus seiner Verblüffung. 'Das ist Verrat gegen Himmelsrand.' Brüllte er und zog sein Schwert, blieb allerdings stehen, er hatte wohl ausgemacht, dass er den Ork hier nicht direkt angreifen würde können. 'Nein, das ist Frostmagie du blinder Blaurock. Ich wünsche noch einen ruhigen Wachdienst.' Damit wandte sich Djure um und verschwand in der Dunkelheit abseits der Straße in der Dunkelheit Richtung Westen.

    Ein Ball aus flüssigem Gold schien sich über die Gipfel der Velothiberge im Osten zu schieben und tauchte die Landschaft um Djure herum in Glitzernde und dampfende Flächen. Er war in der Nacht durch die Quelllandschaft um die Knochenspitze herum gelaufen und hatte sie halb durchquert. Im Westen direkt vor sich konnte er in einiger Entfernung über den Nebelschwaden das Schurspitzmassiv sehen. Weiter südlich davon wurde das Jerallgebirge und der Hals der Welt durch dicke weiße Wolken verhüllt. Djure suchte sich einen etwas kleineren Pool aus, der nicht gerade nach Schwefel stank, aber trotzdem warm war und etwas geschützt. Pah, geschützt... Er ließ den Blick herumwandern. Diese teils lebensfeindlich wirkende Ebene war so offen, man könnte ein Kaninchen über Meilen hinweg ausmachen. In der Ferne sah der Ork die Knochenspitze und hörte ganz leise immer wieder das dröhnende Brüllen des Drachen, der dort manchmal kreiste. Drachen... ich frage mich immernoch, was diese Biester so urplötzlich dazu bewegt hat wieder in Nirn aufzutauchen. Julienn war wohl hin und wieder in einen schlafähnlichen Zustand abgedriftet. Er ließ sie neben sich auf den Boden gleiten. Sie öffnete die Augen.
    'Nein, ich sage euch nichts!' Begann sie direkt wieder zu fauchen.
    'Sehr gut.' Djure wollte nichts wissen, er wollte seine Ruhe. Etwas zu überrascht von seiner Antwort setzte sich die Kaiserliche auf und sah den großen grünen Muskelberg neben sich an. Djure drehte den Kopf zur Seite und schaute sie an. Erstaunt stellte er fest, dass der äußere Rand ihrer sonst himmelblauen Iris einen feuerroten Schimmer hatte. Dann wandte er den Blick wieder vor sich und machte sich daran seine Stiefel auszuziehen. 'Wenn ihr Anstalten macht zu fliehen, werde ich euch fesseln müssen...' Grimmig blickte er nochmals zur Seite um seiner Dorhung Nachdruck zu verleihen. Doch dort wo die Kaiserliche eben noch lag war nur noch karger Fels. Djure zog verblüfft die Augenbrauen zusammen. Sein Kopf ruckte nach oben und sah einem wehenden Umhang hinterher, der sich jetzt schneller werdend von ihm fortbewegte. 'Ihr wisst, dass das ein Fehler war...' Grollte er, riss sich die Stiefel von den Füßen, sprang auf und hechtete der Frau nach. Julienn spürte den Boden unter ihren Schuhen zittern, als der Ork näherkam. Er hatte sie recht schnell eingeholt. Sie drehte sich um und und begann wild mit den Armen in der Luft zu fuchteln, hatte dabei einen konzentrierten Ausdruck im Gesicht. Djure kümmerte sich nicht weiter darum. Und sah sich plötzlich einem Atronachen gegenüber. Eine mehr oder weniger feminine humanoide Gestalt, gehüllt in Flammen. Stolpernd kam Djure zum Stehen. Sie beherrscht Beschwörungszauber?! Djure war so perplex, dass er den ersten Feuerzauber der Kreatur mit seinem Gesicht abfing. Sein Glück, die natürliche Resistenz eines Orks gegenüber Magie und die generell eher schwachen Zauber von Flammenatronachen. Trotzdem schluck die Haut in seinem Gesicht an einigen Stellen Blasen. Nichts mit was der Ork später nicht fertigwerden würde, aber zunächst musste er sich um dieses Ding kümmern. Magie flutete seine Arme, er formte die Macht mit seinen Fähigkeiten zu einer gleißen blauen Sphäre zwischen seinen Händen. Der Atronach wollte bereits den nächsten Zauber werfen, verpuffte dann aber vorher in einerExplosion aus Eis.

    Völlig ungläubig schaute die Kaiserliche auf den Punkt, wo eben noch ihrer Beschwörung gestanden hatte. Ihr triumpfaler Ausdruck formte sich zu der Djure bereits bekannten Zornfalte. 'Was habt ihr getan.' Brüllte sie ihn an. Sie bückte sich nach einem handlichen Stein auf dem Boden, hob ihn auf und warf ihn dem Ork entgegen. Und zur Überraschung des Druiden war sie eine erstaunlich gute Schützing, Er neigte sich gerade rechtzeitig noch zur Seite um das Stück Getsein nicht wie den Feuerzauber zuvor mit dem Kopf zu fangen. Die Kaiserliche hatte bereits den nächsten Stein in der Hand und holte aus. Djure war schneller bei ihr und griff nach dem Arm mit dem Stein. Er bekam das Handgelenk zu fassen und stoppte die Aktion mitten in der Bewegung schneller als die Kaiserliche reagieren konnte. Mit einem sehr groben Ruck hatte er ihr das Wurfgeschoss aus der Hand geschüttelt. 'Jetzt pass mal gut auf! Das hier kann eine sehr entspannte Reise werden oder eine einseitig sehr sehr unbequeme Sache.' Julienn knirschte mit den Zähnen und starrte ihn hasserfüllt an. 'Noch so ein Fluchtversuch und ich schleife euch an einem Seil gefesselt hinter mir nach Einsamkeit.' Sie schnaubte nur. Er hielt sie wie sie da hing an dem einen Arm ausgestreckt nach oben, sodass es ihr unmöglich war ihn mit den Füßen zu treten oder sonstirgendetwas zu tun. Zurück am Lagerplatz setzte er sie sehr ruppig ab. Sie sackte zusammen und blieb sitzen.
    Djure hockte sich ihr gegenüber und blickte sie an. 'Ihr seid also in der Lage Atronache zu rufen, euch ohne das geringste Rascheln wegzuschleichen, habt nicht wenig Ausdauer, trefft ein Kaninchen recht mittig zwischen die Ohren und habt es dennoch nötig in die Schatzkammern von Jarls einzubrechen?' Sie blickte ihn nur finster an und verschränkte trotzig die Arme. 'Wieso willst du das wissen? Du gibts mich in einigen Tagen in Einsamkeit ab und das wars dann...'
    'Deine Fähigkeiten sind bis hierher recht beeindruckend. Viel zu schade um in einem Kerker der Legion zu verrotten.'
    Die Falte in ihrer Stirn glättete sich. 'Du lässt mich gehen?'
    'Habe ich das gesagt?'
    'Nein.' Sie kniff wieder wütend die Augen zusammen.
    'Aber der Weg nach Einsamkeit ist lang und auch wenn ich die Ruhe sehr schätze würde ich doch zumindest gerne wissen mit wem oder was ich unterwegs bin für 500 Münzen.'
    'Wer ich bin geht dich gar nichts an.'
    Djure musterte sie. Tatsächlich geht mich das nichts an, das verbietet mir aber nicht es vielleicht doch herauszufinden. Sie war gekleidet in eine graue Tunika, die ihre weiblichen Rundungen leicht betonte, Läuferschuhe und eine dunkelblaue Hose bekleideten die Beine. Über allem trug sie den matt blauen Umhang, der ihm bereits gestern schon aufgefallen war. 'Vor allem seht ihr aus wie eine Kaiserliche aus gutem Hause.'
    Sie schnaubte.
    Ihm fiel ein kleiner, matter Ring an ihrer Hand auf. 'Seid ihr vor eurem Ehemann geflüchtet?'
    'Nein!' Blaffte sie und zog die Hand unter den Stoff ihres Mantels. 'Ich bin die Tochter einer wohlhabenden Familie nahe Bruma in Cyrodiil.'
    'Weiter? Warum seid ihr weggelaufen? Wurde für euch eine Hochzeit durch eure Eltern arangiert?'
    'Nein, der Ring ist... soetwas wie ein Erbstück. Ein unangenehmes Erbstück.'
    'Wieso unagenehm?'
    'Geht euch nichts an.'
    'Darf ich ihn nochmal sehen?'
    'Nein!'
    'Wie seid ihr eine so gute Diebin geworden um in die Sch...'
    'Ich bin keine Diebin, ich bin eine Jägerin!'
    'Ja, das weiss ich bereits, aber jemand, der in Schatzkammern wühlt ist...'
    'Keine Diebin, ich habe nichtmal etwas geklaut dort!'
    'Ihr seid also wirklich eingebrochen?'
    'Ja verdammt. Aber nicht um Gold oder Edelsteine zu klauen.'
    'Was war dann der Grund?'
    'Ich suche etwas.'
    'Das habe ich bereits vermutet, aber was gäbe es für eine junge Frau aus dem herzland in den Schatzkammern Himmelsrands zu finden?'
    'Ein persönliches Artefakt.'
    'Ihr wurdet also von einem Jarl bestohlen.'
    Julienn biss sich auf die Unterlippe und zögerte erst noch mit der Antwort. Aber sie bemerkte, dass es keinen Sinn hatte ihn anzuschweigen, der Ork hatte mehrere Tage um die Antworten aus ihr herauszuquetschen. Sie hatte schon zu viel verraten, er war bereits aufmerksam geworden. 'Nein, nicht direkt bestohlen. Von diesen Ringen gab es einmal zwei. Den, welchen ich besitze, gehörte meiner Mutter. Sie wiederum hatte ihn von ihrer Mutter. Der Ring geht laut unseres Stammbaumes nach mir 5 Generationen zurück bis in die 3. Ära während der Oblivionkrise. Der Ring, den ich suche gehörte meinem Urururururgroßvater. Laut den spärlichen Aufzeichnungen meiner Familie ein mächtiger Magier. Die väterliche Linie beschäftigte sich wohl schon immer intensiv mit Magie, jedoch war der Begründer der Familie ein beinahe unübertroffener Magier - so jedenfalls sagen es die paar Fetzen, die von damals noch an Aufzeichnungen vorhanden sind. Die Fähigkeiten der männlichen Linie nahm allerdings über die letzten drei Generationen rapide ab und jetzt hat die Familie keinen männlichen Nachkommen mehr. Mein Vater war bereits bei der Geburt meiner nicht viel jüngeren Schwester sehr alt. Mittlerweile ist er kaum noch fähig ohne Hilfe zu gehen... Ihr versteht das Problem?'
    'Weil ich weißes Haar habe soll ich keinen mehr hochkriegen oder wie?'
    'Nein... nein...' Ihr Gesicht rötete sich leicht. 'Ich meine ich weiss nicht... Um der neun Götter Namen bitte bleibt sitzen und lasst die Hose zu, ihr müsst mir das nicht beweisen... zumindest jetzt nicht...' Sagte sie und grinste undeutbar schief. Sie wedelte abwehrend mit den Händen.
    'Ich verstehe das Problem nicht, Frauen sind doch genauso in der Lage Magie zu nutzen wie Männer.'
    'Das dachte ich auch, aber die Götter treiben mit den Sterblichen manche komischen Späße und so war die weibliche Blutlinie meiner Familie nie so wirklich magiebegabt. Nur ich scheine ein ganz besonders bizarrer Scherz der Natur zu sein. Ich kann Magie weben, sie erkennen und irgendwie einsetzen. Meistens glücken meine Zauber aber nicht oder gehen schief. Mein Vater hat mich töglich wissen lassen, was für eine Lächerlichkeit ich doch für das Haus wäre. Da ist das erstgeborene Kind ein Mädchen statt eines Jungen und besitzt eine ausbaufähige Talentiertheit zur Magie direkt von Geburt an... und ist nicht in der Lage auch mit intensiver Schulung irgendeinen Zauberspruch halbwegs zu meistern.' Sie schaute betrübt zu Boden. Djure verstand das Problem nicht. Wie können nur derart versteifte Familiengebilde entstehen?! 'Aber ihr habt doch einige andere bemerkenswerte Fähigkeiten?' Bemerkte Djure aufmunternd. Julienn blickte auf und für eine Skeunde huschte ein freudiges Strahlen über ihr Gesicht, das sie für den Moment unglaublich anziehend wirken ließ. Dann trübte sich ihr Blick wieder. 'Ja, ich habe mir vieles angeeignet um zu zeigen, dass ich irgendetwas kann, doch es waren hauptsächlich praktische Dinge. Bogenschießen zum Beispiel. Darin bin ich doch recht gut würde ich behaupten. Und wenn man sich mit solch praktischen Dingen beschäftigt, lernt man auch irgendwann wie andere praktische Dinge funktionieren... Schlößer beispielsweise. Aber das zählte alles nichts. Die Linie der Magiebegabung muss irgendwie konserviert werden und meine Familie ist der Überzeugung, mit mir endet diese Begabung innerhalb der Blutlinie. Meine Schwester ist völlig unbegabt.'
    Djure verstand das Problem noch immer nicht. 'Dann lasst diesen Schwachsinn doch enden...' Er zuckte die Schultern.
    'Ihr versteht das nicht, ich WILL... beweisen, dass ich das kann. Aber ich kann es nicht allein. Der Ring meines Urururururgroßvaters ist verschollen. Er wurde mit ihm bestattet nach seinem Tod. Als die Tradition der Weitergabe mit der zweiten Generation anfing musste die Familie allerdings feststellen, dass das Grab geplündert wurde. Man konnte die Spur noch zu einem Händler in Himmelsrand verfolgen, doch der Ring blieb verschwunden.'
    'Und ihr glaubt, der Ring wird euch helfen?'
    'Naja, nachdem ich aus Cyrodiil fortgelaufen bin habe ich nicht mehr all zu viel zu verlieren...'
    'Auch wahr...'
    'Wie heißt ihr überhaupt?' Fragte sie nach einigen Augenblicken des Schweigens.
    'Djure... Tyrex.'
    'Ein untypischer Name für einen Ork... dafür passt euer Familienname recht gut, in älteren Dialekten bedeutet er soetwas wie Großer Beherrscher oder Grausamer Beherrscher...'
    'Ja, liegt wahrscheinlich daran, dass meine Mutter eine Kaiserliche war und sich ein Hobby daraus gemacht hat, dem kleinen orkähnlichen Kind so viel vom Kaiservolk wie irgend möglich anzuhängen. Du kennst dich mit Sprachen aus?'
    Julienn lächelte verlegen. 'Nein, ich habe viel gelesen und einige Dinge bleiben dann eben im Gedächtnis. Meine Mutter pflegte streng zu sagen,' sie zog die Augenbrauen hoch, schloss die Augenlider und sprach mit erhobenem Zeigefinger und verstellt alter Stimme, 'Julienn, du weisst sehr viel und doch irgendwie insgesamt nichts...' Sie mussten beide grinsen.

    'Da wir schonmal hier sind mache ich jetzt mal das Beste aus der Lage und nehme hier ein Bad in der heißen Quelle.' Er deutet auf das kleine runde Steinbecken neben ihnen in dem dunkelblau dampfendes Wasser schimmerte. 'Äh ja... macht nur.' Djure nahm sich seinen Kopfschmuck ab, hielt aber in der Bewegung inne und schaute Julienn funkelnd in die Augen. 'Wenn ihr nochmal zu fliehen versucht, binde ich euch beide Beine zusammen, dann könnt ihr den restlichen Weg nach Einsamkeit hüpfend bestreiten - und ihr werdet hüpfen.'
    Bockig streckte ihm die Kaiserliche die Zunge raus. Djure machte sich daran, sich auszuziehen. Den Umhang, die Tunika, die Lederhose und die Unterhose aus Leinen.
    'Hallo?!'
    'Ja?' Djure schaute zur Kaiserlichen, welche ihn ihrerseits überrumpelt anstarrte. 'Was ist? Habt ihr noch nie einen Mann nackt gesehen?' Fragte er spöttisch.
    'Doch, schon... aber... noch nie einen... so großen.' Sie grinste schief, während ihr Blick ziellos zwischen ihm und der Landschaft hinter ihm kreiste.
    'Ja irgendwann ist immer das erste Mal...' Gab er spottend zurück. Dann trat er auf spitze Steine achtend vorsichtig in das Becken und lehnte sich mit einem gedehnten Seufzer an eine Steinwand so, dass er Julienn wenigstens noch seitlich im Blickfeld hatte. 'Gesellt euch doch zu mir, die Temperatur ist angenehm.'
    'Hmpf.' Machte die Kaiserliche nur und drehte sich demonstrativ zur Seite.

    Er hatte nur kurz die Augen ob der angenehmen Wärme geschlossen, realisierte aber sogleich seinen Fehler und schrak hoch. Julienn war weg. 'Unglaublich.' Knurrte er und sprang aus dem Becken. In einiger Entfernung sah er den blauen Umhang flatternd davonfliegen. Sie ist wirklich flink... na warte... Djure packte seinen Stab und rannte los, zum Anziehen hatte er keine Zeit. Es dauerte doch eine Minute bis er sie eingeholt hatte trotz ihres Vorspurngs, seine Schritte griffen in den letzten Metern zu ihr nochmal mehr Raum als ohnehin schon. Julienn blickte entsetzt über die Schulter. Der Ork war heran, sein Steib raste in einem weiten Bogen durch die Luft und zog der Frau ein Bein weg, sie strauchelte und flog noch gut zwei Meter bevor sie auf dem Boden aufschlug. 'Ich habe dich gewarnt...' Er packte sie wieder und warf sie sich über die Schulter. 'Genieß die Aussicht.' Sagte er noch und drehte sich wieder zum Lager um. 'Das ist nicht witzig Djure!' Fauchte sie, während sie über seinen Rücken und den Hintern des Orks hinweg auf den Boden schaute. 'Ja doch, eigentlich ist es sehr witzig.' Sagte er zufrieden und tätschelte provokant ihr Gesäß, das nicht ganz auf seiner Schulterhöhe hing.

    Djure hielt seine Drohung und fesselte und knebelte Julienn wie er es angekündigt hatte. Er ersparte ihr aber das Hüpfen und trug sie. Sie nahmen eine bewaldete Route unterhalb der Schurspitze auf der nördlichen Seite des Flusses. Am Mittag des zweiten Tages umrundeten sie einen weiteren Steilhang, der nach Norden zur Schurspitze hinaufgeführt hätte und vor ihnen tauchte Weißlauf aus der nun ihnen zu Füßen liegenden Ebene auf. Majestätisch thronte die Drachenfeste über der Stadt. Djure beschloss den Wegen nördlich der Stadt zu folgen wo die Ebene nicht besiedelt war. Weiter nach Westen nach Einsamkeit. In spätestens 5 Tagen würde er Julienn wieder los sein..
    Geändert von weuze (18.09.2016 um 17:58 Uhr) Grund: Titel

  3. #103

    Cyrodiil, Kaiserstadt

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    Allmählich nahm Revan seine Umgebung wieder bewusst wahr, im Gegensatz zu den kurzen Wachphasen davor, an welche er fast keine Erinnerungen mehr hatte. Vorsichtig öffnete der Dunmer seine Augen, dies brachte ihm jedoch nur die Erkenntnis dass er nichts außer Schwärze sah, abgesehen davon stank es fürchterlich. Plötzlich begann sein Körper zu zittern, dabei atmete er viel zu gierig den bestialischen Gestank ein, was ihm die Tränen in die Augen trieb und einen Hustenanfall provozierte. Er hielt sich, einem ersten Reflex folgend, die Nase zu, in dem vergeblichen Versuch atmen zu können ohne dabei ständig einen Würgereflex unterdrücken zu müssen. Selbst die Kanalisation stinkt selten so abartig.
    Immer noch hustend, suchte Revan mit seinen Händen nach etwas dass ihm halt geben würde. Ein dickes, längliches, vierkantiges Stück Holz schien ihm geeignet und so packte er eine Kante mit beiden Händen zog mit aller Kraft daran. Entgegen seiner Erwartung gab das Holz mit einem Ruck nach und eine Ladung Sand, Staub und Dreck regnete auf seinen Kopf. Er versuchte seinen Kopf wegzudrehen, jedoch vergeblich, da bereits eine nicht unerhebliche Menge des Drecks den Weg in seine Augen, Mund und Nase gefunden hatte. Mit brennenden Augen, hustend, fluchend und spuckend schoss der Dunmer in die Höhe und stieß mit seinem Kopf gegen den Schutt. Der Schmerz raubte ihm sogleich seine Sinne, hallte in seinem Kopf wieder und verursachte eine heftige Übelkeit, welche ihn unweigerlich hätte erbrechen lassen, wäre da nicht sein leerer Magen gewesen. So blieb nur ein scheußlicher Geschmack in seinem Mund, während er gequält stöhnte und die schmerzende Stelle am Kopf mit den Händen bedeckte. Nachdem er mehrere Minuten bewegungslos auf dem Boden gelegen hatte, verschwanden die tanzenden Punkte vor seinen Augen und auch die Kopfschmerzen ebbten ab.

    Weiterhin am ganzen Körper zitternd, drehte er seinen Kopf wieder in Richtung des viereckigen Stück Holzes. Dieses mal war eine Lücke im Schutt sichtbar, dahinter sah er undeutlich die Umrisse von kleinen Hütten und Baracken. Jede Bewegung kostete ihn unendlich viel Kraft, aber er musste hier raus. Ganz langsam, sehr darauf bedacht den kleinen Hohlraum nicht noch mehr zu beschädigen, kroch der Dunmer der Öffnung entgegen. Dazu immer wieder dieser stechende Kopfschmerz, das Zittern und die bleierne Müdigkeit; Gleichzeitig war sein Innerstes unruhig, aufgewühlt und rastlos. Revan hatte diesen Moment stets gefürchtet, auch wenn er es niemals zugeben würde. Die Sucht und damit auch die Realität hatte ihn endgültig eingeholt.
    Der jahrelange Konsum von billigen Rauschmitteln, für Mondzucker und Skooma fehlte ihm stets das Geld, hatte ihn schleichend in die Abhängigkeit getrieben. Die teuren Drogen wurden sowieso weiterverkauft oder benutzt, um seine Informanten gefügig zu machen. Trotzdem war der Dunmer in eine ähnlich schwache Position gerutscht. Die Sucht war wohl schon viel früher erkennbar, zumindest für seinen ehemaligen Mentor, dagegen hatte Revan sich selbst belogen und mit Alkohol alle Zweifel und Bedenken ertränkt. Diese Flucht hatte ihn nun in eine Sackgasse geführt, seine Position geschwächt und ihn verwundbar gemacht. Wie weit diese Schwäche der Konkurrenz bekannt war, konnte der Dunmer nicht abschätzen.
    Es würde auch keine große Rolle mehr spielen, da die Thalmor ihn jetzt töten wollten. Meine Antwort war eindeutig. Das Revan dabei ausgerechnet von Faldil verkauft wurde, überraschte ihn mehr als er sich eingestehen wollte. In ein paar Jahren wollte ich seine Stellung einnehmen, weil der Alte sowieso nicht mehr lange durchgehalten hätte. Revan lachte, hörbar war nur ein trockenes Husten. Nun wird Faldil wohl doch länger durchhalten. Er ist gerissen genug um mit dieser neuen Möglichkeit noch viele Jahrzehnte zu überleben. Und wenn er dafür seinen Kopf in die Scheiße stecken muss, er würde es tun solange er dabei einen Vorteil erhält. Er schüttelte den Kopf. Räudiger Sohn einer Kanalratte.
    Mit den wenigen verbliebenen Kräften kroch der Dunmer das letzte Stück vorwärts, ehe er den Blick nach oben richtete und zu seiner unendlichen Erleichterung die vielen winzigen Lichtpunkte am Firmament entdeckte. Sonst ein Ärgernis, da sie die Nacht erhellten, waren sie jetzt mehr als willkommen. Mit einem schwachen Lächeln legte Revan seinen Kopf auf etwas angenehm warmes und weiches und verharrte für die nächste Zeit in dieser Position, froh dass dieser Schutthaufen nicht sein Grab geworden war.
    Nachdem er die kleine Euphorie bis zum Schluss ausgekostet hatte, wollte Revan den Schutthaufen endgültig verlassen. Er kroch noch ein paar Meter vorwärts, damit er aufstehen konnte. Dabei stieg ihm wieder dieser bestialische Gestank in die Nase. Jetzt aber nichts wie weg. Langsam kam der Dunmer wieder auf die Beine und warf einen letzten Blick zurück in den Schutthaufen....welchen er sogleich bereute. Durch das Licht der Sterne und Monde konnte er einen Körper mit einer großen Wunde am Rumpf erkennen und durch eben diese war eine erhebliche Menge Blut und Gekröse auf den Boden gesickert. Einer bösen Vorahnung folgend, fuhr Revan mit seiner rechten Hand über seinen Hinterkopf, nur um eine feuchte, weiche und irgendwie leicht zähe, warme Masse zu ertasten. Ganz langsam hob er seine Rechte in sein Blickfeld. Wie in Trance betrachtete er die Masse, unfähig auch nur irgendwelche Details zu erkennen, während die Aufmerksamkeit für seine Umgebung sofort in den Hintergrund trat. Nach einer gefühlten Ewigkeit realisierte Revan, was er da an der Hand hatte, auf was er kurz zuvor Momente des Glücks erlebte. Sein Geist wollte weglaufen doch sein Körper versagte nach wenigen Schritten den Dienst und da sein Magen längst nichts mehr hergab, ergriff wieder die Ohnmacht Besitz von ihm.

    In der Ferne war das Kreischen von Möwen zu hören, dazu wehte ein frischer Wind durch die Gassen. Müde öffnete Revan die Augen und sogleich ließ der Wind ihn frösteln. Ein Blick in Richtung Himmel verriet ihm, dass ein neuer Tag bevorstand. Die Sonne sollte bald aufgehen. Zu seiner Überraschung war er noch am Leben, dabei war er fest davon ausgegangen keinen neuen Morgen mehr zu erleben. Ich sollte trotzdem von der Straße verschwinden, man weiß ja nie... Schwerfällig, diverse Trümmer als Stütze nutzend, kam Revan wieder auf die Beine, welche ihn jedoch zuerst kaum tragen wollten. Nach ein paar Minuten erachtete er seinen Stand als sicher genug um langsam einen Fuß vor den anderen zu setzen. Während er Straße folgte, beobachtete der Dunmer seine Umgebung, die genau so gut hätte ein Schlachtfeld sein können. Hinter ihm war die Taverne völlig ausgebrannt und diverse andere Gebäude waren ebenfalls den Flammen zum Opfer gefallen. Sofern einige Häuser und Lagerhallen das Feuer überstanden hatten, waren sie meist aufgrund der daraus folgenden Instabilität eingestürzt.
    Leichen lagen erstaunlich wenige auf den Straßen, das Feuer musste sie alle überrascht haben. Diejenigen, die den Flammen entkommen konnten, waren augenscheinlich alle von Trümmern erschlagen worden. Bei dem Gedanken daran fröstelte es ihm und er hielt einen Moment inne um das Gefühl wieder abzuschütteln. Plötzlich war ein leises Schaben zu hören und kurz darauf ein widerliches Knacken, begleitet von einem dumpfen Aufprall. Völlig perplex schaute Revan zu der Stelle direkt rechts neben ihm. Etwa ein bis zwei Schritte entfernt, war ein größeres Trümmerteil von einem der wenigen Steingebäude im Hafenviertel aufgeschlagen. Der Dunmer bemerkte erst beim zweiten Hinsehen die vor dem Trümmerteil liegende Leiche, allerdings stimmte etwas nicht. Irgendetwas fehlt... Immer noch leicht benommen dauerte es ein paar Sekunden ehe Revan die Entscheidung, hier verweilt zu haben, sehr stark bereute. Bloß weg hier.

    So schnell ihn seine wackligen Beine trugen, eilte der Dunmer dem Ende der Straße entgegen. An der Biegung zu einer angrenzenden Straße hielt er inne. Ich habe keine Ahnung wohin ich gehen soll. Mein bisheriges zu Hause wird streng bewacht sein, ebenso die meisten anderen Verstecke. Das er damit auch seinen gesamten Besitz einschließlich seiner Ausrüstung verloren hatte, war zwar ärgerlich, bereitete ihm momentan aber weitaus weniger Kopfschmerzen als seine Entzugserscheinungen und der ganze Rattenschwanz an Problemen, der durch die Ereignisse der letzten Nacht hinzu gekommen war. Unschlüssig stand Revan an einer Hausecke und schaute abwechselnd in alle Richtungen, als ob er hoffte ein Zeichen zu erspähen, dass ihm den Weg weisen würde. Tatenlos auf der offenen Straße zu stehen war keine gute Idee, zumal die Dunkelheit langsam dem Zwielicht des Morgens wich. Ein Gedanke manifestierte sich in Revans Kopf, der fortan seine Marschrichtung bestimmen sollte. Die alte Lagerhalle. Dieses Gebäude sah aus als stammte es noch aus der 3. Ära und die Konstruktion weigerte sich beharrlich, dem Zahn der Zeit nachzugeben. Zum Glück musste der Dunkelelf nur eine kurze Strecke zurücklegen bis er das Gebäude erreichen würde. Immerhin funktioniert mein Orientierungssinn noch.... Das alte Gebäude schälte sich langsam aus dem Zwielicht und dem Nebel hervor. Meine Rettung! Hier sollte ich untertauchen können. Zumindest wäre Revan lange genug in Sicherheit um den Schock des Verrats zu verdauen und um angemessen auf die neuen Gegebenheiten reagieren zu können.

    Vorsichtig und mit zitternden Händen schob der Dunkelelf die Tür zur Lagerhalle auf. Drinnen war es etwas wärmer und trockener als draußen. Ein Kohlebecken spendete kümmerliches Licht. Langsam ging Revan auf die Quelle zu, nur um plötzlich zu erstarren. Die Tür ist sonst mit einem Balken verriegelt und es sollte auch kein Kohlebecken brennen.....Seine Augen weiteten sich vor Angst und ehe er reagieren konnte, wurde die Tür hinter ihm verriegelt und Schritte waren zu hören, die langsam näher kamen. Jetzt ist es aus.
    „Sieh an, sieh an. Für einen verkümmerten Süchtigen bist du äußerst zäh.“
    Revan's Haare stellten sich auf und ein eiskalter Schauer lief ihm den Rücken runter.
    „Faldil“, entfuhr es ihm, allerdings war es kaum mehr als ein trockenes Krächzen.
    „Revan Azarius“, antwortete der Waldelf lakonisch.
    „Das Feuer in der Taverne hat meiner Meinung nach viel zu viel Aufmerksamkeit erregt, ganz zu schweigen davon, dass der Brand etwas außer Kontrolle geriet. Sei es wie es sei, durch deine Weigerung und Flucht mussten wir unsere Säuberung ein wenig vorverlegen. Jetzt wissen immerhin alle dass die Unterwelt der Kaiserstadt einen neuen Herrscher hat. Allerdings werden viele mit dem Wissen nichts mehr anfangen können, da sie bereits tot sind. Die Wenigen die noch Widerstand leisten, werden ihnen sehr bald folgen.“
    Revan war unfähig einen klaren Gedanken zu fassen oder irgendetwas zu tun, er war vor Angst gelähmt. Sein äußerst geschwächter Körper verweigerte ihm den Dienst.
    „Was ist los? Du bist so schweigsam. Keine Widerworte? Kein Flüche und Verwünschungen? Willst du nicht mal mehr um dein Leben kämpfen?“ Faldil schüttelte verächtlich den Kopf.
    „Du hattest großes Potential. Allerdings hast du ein paar Fehler zu viel gemacht. Nun wirst du dafür bezahlen.“
    Trotz des spärlichen Lichts konnte Revan ein diabolisches Grinsen auf dem Gesicht des Waldelfen erkennen. Dieser zog einen Dolch aus seinem Mantel und ging zum Angriff über. Revan versuchte noch sich zu verteidigen und konnte sogar dem ersten Stich noch ausweichen, allerdings war es zu wenig. Er sah die Klinge auf sich zufliegen, hob seine Hände zum Schutz und fühlte einen brennenden Schmerz, als das Metall seine Hand durchbohrte. Tausende Punkte tanzten vor seinen Augen, das Brennen wurde immer schlimmer und breitete sich in seinem ganzen Körper aus. Gift. Danach verlor der Dunkelelf das Bewusstsein, um ihn herum nur noch eine tiefe, schwarze Leere.

    Plötzlich wurde Revan unsanft aus der Leere gerissen. Nach Luft schnappend riss er die Augen auf und sah sich panisch um. Ein weiterer Schwall eisigen Wassers nahm ihm den Atem und er japste mehrere Male.
    „Das reicht, ich denke jetzt ist er bei vollem Bewusstsein.“
    Panisch sah sich der Dunkelelf um. Ich sollte längst tot sein. Er war an einen breiten Pfeiler aus Holz gefesselt. Wo bin ich? Der Raum wurde von mehreren Lichtkugeln erleuchtet, die über den Köpfen einiger Kapuzenträger schwebten. Ihrer Gesichter wurden durch den Lichteinfall in Schwärze gehüllt. Ansonsten standen noch mehrere Gestalten, Menschen, Mer und Tierrassen im Raum und schauten alle mit nervösen bis ängstlichen Gesichtern in seine Richtung. Eine edel gewandete Gestalt trat vor die Gruppe. Ohne ihr Gesicht zu sehen, wusste Revan sofort wer es war, nachdem die Person zu sprechen begann.
    „Seht nun gut zu. Dieses Schicksal droht allen Unwilligen, Verrätern, Talos-Anbetern und sonstigen Widerständlern, die sich der zukünftigen neuen Ordnung widersetzten.“
    Der Altmer drehte sich um und ging auf Revan zu.
    „Nun, zu Schade, dass es so Enden muss. Ich sage nicht lebe wohl, denn auch wenn du jetzt sterben wirst, der Weg bis zu deinem Tod wir sehr lange und sehr schmerzhaft sein“, flüsterte Eraami.
    Aus Revans Augen sprach die pure Angst, er war zu keiner Erwiderung fähig. Diese ganze Situation überforderte ihn. Mit einem diabolischen Grinsen fügte der Hochelf hinzu: „Und deine Seele wird auch nach deinem Tod keinen Frieden finden, dafür werde ich höchstpersönlich sorgen.“
    War es bis vor wenigen Sekunden noch Angst gewesen, sprach nun das pure Entsetzen aus Revan und sein ganzer Körper versuchte sich gegen die Fesseln und sein drohendes Schicksal aufzubäumen.....allerdings war es umsonst. Er war zu schwach und sein Körper zu fest angebunden. Ich kann schreien, vielleicht hört mich jemand......ja ganz bestimmt wird mich jemand hören und hier rausholen.
    „Hilfe....“
    Was zuerst nur ein leises Krächzen war, wurde mit jedem Mal lauter. Die Angst und Panik war trotzdem deutlich hörbar.
    „Hilfe........Hilfe.........Hilfe.......HILFE!“
    „HIIILLFFEE!!!“
    Mit einem tadelnden Blick betrachtete Eraami den Dunkelelfen.
    „Oh, verzeiht. Ich vergaß euch das hier zu geben.“
    Mit einem Kopfnicken trat eine weitere Gestalt aus den Schatten und schob Revan äußerst grob einen Knebel in den Mund. Seine Schreie waren nur noch ein sehr gedämpftes Murmeln.
    „Fangt an....und nehmt euch die Zeit die ihr benötigt.“
    Mit diesen Worten ging Eraami zurück zu der Gruppe und beobachtete gespannt das folgende Schauspiel, sofern man ihn fragte. Für alle Anderen dürfte es eher ein lebendig gewordener Alptraum gewesen sein.
    Zwei komplett in Schwarz gekleidete Gestalten machten sich an Revan zu schaffen. Der Pfeiler stellte sich als drehbarer Seziertisch heraus und auf den Kutten meinte Revan im trüben Licht Totenbeschwörer-Zeichen zu erkennen. Sein ganzer Körper wollte nur noch weg, alles in seinem Kopf schrie nach Flucht, aber wohin? Wie sollte er sich befreien? Um ihr Objekt ruhig zu stellen verpassten ihm die Kutten eine Flüssigkeit die seinen Körper beruhigte, sein Geist war weiterhin wach und vollkommen klar. Nachdem sie ihre Utensilien ausgebreitet hatten, begannen die schwarzen Gestalten mit ihrer Arbeit.

    Revan hatte mit vielem gerechnet. Mit Schlägen, Verletzungen, Folter. Jedoch rechnete er nicht damit, dass sie ihn bei lebendigem Leib untersuchen und sezieren würden. Die Gestalten gingen sehr behutsam vor. Sie arbeiteten sich akribisch von außen nach innen vor. Dabei waren sie sehr darauf bedacht, den Dunkelelfen solange wie möglich am Leben zu erhalten. Seine Schreie wurden von dem Knebel fast vollständig verschluckt. Revan konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, er konnte noch nicht einmal zu einer göttlichen Macht beten. Alles was er fühlte und an was er dachte waren reine Schmerzen.
    Nach einer unbestimmten Zeit, es konnten Stunden oder Tage gewesen sein, ging die ganze Prozedur ihrem Ende zu. Die Zuschauer waren längst verschwunden, was Revan allerdings nicht wusste. Sein Brustkorb wurde schon vor einer gefühlten Ewigkeit geöffnet und die Gnade der Bewusstlosigkeit wurde ihm jedes Mal verwehrt. Immer wenn er vor Schmerzen ohnmächtig wurde, holten ihn die Nekromanten zurück. Selbst wenn sie jetzt aufhören würden, der Dunmer war gebrochen. Sowohl körperlich, als auch seelisch war er vollkommen zerstört. Völlig apathisch starrte Revan die Decke an, einen Gedanken konnte er schon längst nicht mehr fassen und auch seine Schreie waren verstummt. Der Schmerz war einfach nur noch da und erinnerte ihn höhnisch daran, dass er noch lebte. Nun trat Eraami wieder in sein Sichtfeld und legte ein längliches, schwarzes Ei neben ihn. Kurz darauf fühlte er eine seltsame Energie die seinen Körper umspielte und vollständig durchdrang. Nach einem kurzen Nicken seitens des Altmers setzten die schwarzen Gestalten zum letzten Akt an. Hände drangen in seinen geöffneten Brustkorb hinein und er fühlte neben dem Schlagen einen Druck auf seinem Herzen, wie es von einer Hand fest umschlossen wurde. Dann waren da noch kurz aufflammende Schmerzen und danach fühlte er gar nichts mehr. Das Pochen hatte aufgehört und die Dinge um ihn herum begannen langsam zu verschwimmen. Kurz bevor ihn die Schwärze endgültig umfing sah er ganz verschwommen etwas zuckendes vor sich, das von zwei Händen gehalten wurde. Ist das....mein Herz? Er seufzte und mit dem letzten Atemzug war sein einziger Gedanke: Endlich ist es vorbei...

    Eraami sah wie der Dunmer sein Leben aushauchte und in dem Moment, mit dessen letztem Atemzug, entfaltete der Seelenfallenzauber seine Wirkung und die Seele des Dunmers wurde von dem schwarzen Seelenstein absorbiert. Der Altmer nickte zufrieden.
    „Sehr schön, ein Hindernis weniger. Sagt, war diese Exkursion hilfreich?“
    Die beiden Personen in den schwarzen Kutten nickten.
    „Ja, Herr. Das war der Letzte. Unser Meister hat nun alles was er braucht.“
    „Richtet ihm meine Grüße aus“, antwortete Eraami mit einem lächeln. Er wollte den Raum verlassen, als ihm noch etwas einfiel.
    „Ach ja, Faldil?“
    „Ja, mein Herr?“
    „Du wirst diese beiden Gesellen dort begleiten. Ihr Meister hat wohl in Himmelsrand einige Probleme. Ich will dass du dich darum kümmerst. Gleichzeitig hast du als mein Vertreter vor Ort erweiterte Befugnisse. Den Rest erfährst du oben, folge mir.“
    „Ja, mein Herr.“
    Raschen Schrittes verließen beide den Raum und nachdem die schwarzen Gestalten alles gereinigt und verpackt hatten, gingen sie ebenfalls nach oben. Um die Sauerei würde sich gleich jemand kümmern...
    Geändert von Skyter 21 (02.10.2016 um 17:45 Uhr) Grund: Verlinkung eingefügt.

  4. #104

    Himmelsrand, Fürstentum Reach, Broken Tower Redoubt

    “Wir sind so erledigt...”, stammelte Olaf, wobei er in dem Raum am tiefsten Punkt der Wendeltreppe, in den sie geflüchtet waren, auf- und ablief und nervös an seinem Daumennagel kaute. Hier unten war es viel kälter als draußen, und nur der Schein der angebrachten Fackeln erleuchtete das Gemäuer.
    „Nägelkauen ist schlecht für dich, Olaf,“ sagte Bodeado, während Stephanus eine kurze Zählung machte, und dabei versuchte, das Zittern seiner Hände unter Kontrolle zu bekommen.
    „Ach, halt doch dein Maul! Uns sitzt 'n Drache auf'm Dach, und du laberst immer noch deine scheiß Waschweiberweisheiten vor dich her!“ fuhr der kurz vor der Panik stehende Nord den Ex-Piraten mit schriller Stimme an.
    Neben der gescheiterten Ballistenmannschaft hatte es Meum-Te noch vor ihnen in den Turm geschafft, und Bärenpelz war ihnen verwirrt und mit gezogener Axt entgegengeeilt. Insgesamt waren sie also zu sechst.
    „Wir haben wirklich Glück gehabt,“ dachte Stephanus bei sich selbst. „Hätte dieses Monstrum unsere Seite der Mauer zum Grillen ausgesucht, wären wir jetzt tot.“
    „Ich sag, wir gehen raus und bringen das Vieh einfach um, zack, Axt zwischen die Augen, so schwer kann das doch nicht sein!“, gab Bärenpelz seine Meinung kund, wobei er von der Kiste aufsprang, auf der er gesessen hatte. Er hatte den Terror des Drachen nicht mit eigenen Augen gesehen, und die Illusionsmagie, die die fliegende Echse auf sie gefeuert hatte – wenn es denn Illusionsmagie war – war wohl nicht sehr tief in das Gemäuer eingedrungen.
    Die umstehenden Söldner sahen den massigen Nord an, als sei er Wahnsinnig.
    „Nein,“ sagte Stephanus nach einer verdutzten Pause, „das Ding hat mit einem Schlag rund ein Drittel von uns erledigt, Bärenpelz.“
    „Und ich hab meine Pfeife verloren,“ warf Bodeado traurig ein.
    „Wenn wir uns nicht etwas einfallen lassen, können wir uns gleich selbst anzünden,“ schloss Stephanus seinen Satz ab.
    Der massige Nord seufzte und setzte sich wieder auf die unter seiner Last stöhnende Holzkiste, und schien dabei fast enttäuscht, sich nicht in das Maul der Bestie, und damit in den sicheren Tod, stürzen zu dürfen.
    „Können wir nicht einfach warten, bis das verdammte Mistvieh wieder abhaut? S'war davor doch auch nich' da. Fliegt also manchmal weg,“ schlug Gramul vor. Der Ork hatte sich mit gekreuzten Armen gegen eine Mauer gelehnt, und warf hin und wieder einen Blick nach oben an die Decke. Nach ihrer Flucht ins innere der alten Festung hatten sie kaum noch Geräusche von draußen vernommen.
    Die Söldner grübelten jeder für sich, mit der Ausnahme von Olaf, welcher immer noch halb panisch den Raum durchmaß.
    „Hörst du wohl auf damit, du machst mich noch ganz kirre!“ schrie Bärenpelz den anderen Nord schließlich an. Dieser schreckte auf und schenkte ihm als Antwort einen bösen Blick, blieb jedoch wie angewiesen stehen und lehnte sich, wie Gramul, ebenfalls an die Wand, den Blick nach unten auf seine Stiefel Gerichtet.
    Die Söldner dachten nun weiter nach: Bodeado kaute auf seiner Unterlippe, Gramul gro-Ogdum sah die anderen erwartungsvoll an, Meum-Te rieb sich nachdenklich das Kinn, Olaf nagte weiter an seinem dreckigen Daumennagel, Stephanus fuhr sich durch den Bart, und Bärenpelz kratzte sich am Hintern.
    „Nein,“ sagte der Kaiserliche schließlich, denn ihm war ein grausiger Gedanke gekommen. Er nahm die Hand aus dem Bart und blickte die anderen an. „Wir können nicht warten. Die Kompanie denkt, die Festung ist unter unserer Kontrolle, und nachdem gepackt ist, kommen sie alle durch den Pass. Der Drache fliegt einmal drüber, und bringt alle um, bevor jemand überhaupt weiß, was vorgeht. Und dann ist es aus.“ Das schien nicht jeden zu überzeugen. Er konnte an ihren Gesichtern ablesen, dass einige von ihnen abwägten, wie viel ihnen ihr Sold in dieser Situation eigentlich wert war.
    „Außerdem...“, fügte er hinzu. Bilder der Küche gingen ihm durch den Kopf, und Menschen, die sich verhielten, als seien sie schon längst tot gewesen, nur noch leere Hüllen, Schatten ihrer Selbst. „Außerdem haben die Abgeschworenen auch gewartet. Und wir wissen, was aus ihnen geworden ist.“
    Die anderen nickten langsam, wobei Olaf gut anzusehen war, dass er sich ebenfalls noch an die Küche erinnerte.
    „Rognag ist so ein verdammter Glückspilz,“ murmelte sich Bodeado selbst zu. „Bricht sich ein Bein und darf sich im Lager ausruhen, während wir es mit Gestalten aus alten Legenden zu tun haben...“
    „Wisst ihr, wir sollten einfach aufgeben, und uns Gottes Gnade unterwerfen.“ Dieser Satz kam von Meum-Te, der die anderen nun mit einem sehr verwirrten Gesichtsausdruck betrachtete. Offensichtlich waren dies nicht seine eigenen Worte gewesen, die aus seinem Mund kamen, und der Argonier fluchte in seiner Muttersprache und hob verzweifelt die Hände an den Kopf.
    „Xuth! Hist zu leise im verfluchten Norden!“
    Bodeado, der neben der Echse stand, sah diese misstrauisch an und legte eine Hand auf den Griff seines Schwertes, während sich die anderen Söldner besorgte blickte zuwarfen.
    Abgesehen von der Sache mit den Hist konnte Stephanus die Niedergeschlagenheit des Argoniers nur zu gut verstehen. Es war ein grauenhaftes Gefühl gewesen, so kurz es auch war, nicht mehr der Herr seines eigenen Körpers gewesen zu sein, nicht mehr der Herr seiner eigenen Gedanken. Absolut schutzlos und unfähig, sich zu wehren, dem verfluchten Nebel in seinem Kopf ausgeliefert, der den Kern seines Seins angriff und zerfraß, seine Psyche, seine Erinnerungen, dass, was ihn zum Menschen machte, und ohne das er nichts weiter war, als eine leere Hülle, die vor sich hin vegetierte. Selbst jetzt noch konnte er ein stilles Echo der befehlsgewohnten Stimme hören, wegen der sich seine Nackenhaare aufrichteten. Aber wenn man der Stimme des Drachen zu lange lauschte, wurden die selbstabwertenden Gedanken, die sie einem in den Kopf legte, zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung.
    Stephanus riss sich mit einem Kopfschütteln von seinen Gedanken los und sagte: „Lasst uns erst einmal mit den anderen neu Gruppieren. Hrard sollte noch in der Eingangshalle gewesen sein, als das Vieh aufgetaucht ist. Er hat bestimmt schon eine Idee, wie wir hier lebend rauskommen.“ sagte Stephanus, und hoffte gegen sein besseres Wissen, dass er recht hatte.

    Das Portal zum Westturm stand einen Spalt weit offen, und Soldin Stahlzapfen lugte vorsichtig hinaus. Unweit von der Stelle, die der Drache mit Feuer bespuckt hatte, und wo der Stein fast angefangen hatte, zu schmelzen, lag Brarek Jungeiche, in einer immer größer werdenden Lache seines Blutes, und des Blutes der verstreuten Körper um ihn herum.
    Dem Mann fehlte der untere Teil des rechten Arms, und eins seiner Beine stand in einem sehr ungesund aussehenden Winkel von seinem Körper ab. Mehrere klaffende Wunden in seinem Torso markierten die Stellen, an denen die Zähne des Ungetümes ihn durchstochen hatten, jedoch nicht sehr tief, wie Soldin bemerkte. Auch war er kaum verbrannt.
    Entgegen aller Erwartung schien Brarek noch zu leben. Er stöhnte, zuckte und röchelte, den Kopf mit den blutverschmierten und damit unbrauchbaren Augen starr in den Himmel gerichtet.
    „Nordische Zähigkeit“, dachte Soldin selbstgefällig.
    Vom Drachen war weit und breit keine Spur zu sehen, wenn man von der Spur der Verwüstung mal absah. Und wenn man nicht genau darauf achtete, bemerkte man die Paar Steinchen nicht, die auf der Außenseite über der Tür herabrieselten...
    Soldin schloss die schwere Tür wieder und blickte die Innenseite der Wand hoch, dorthin, wo er den Drachen in Lauerposition vermutete. „Cleveres Mädchen...“
    Das Monster war also in der Lage, Köder auszulegen und Fallen zu stellen. Sie hatten es also eindeutig mit mehr als nur einer animalischen Intelligenz zu tun.
    Selbstzufrieden machte er kehrt und stieg die Wendeltreppe wieder herab, während Brarek draußen sein Leben ausröchelte.
    Er hatte es doch gewusst. Die Drachen waren zurückgekehrt, wie es in den alten Legenden vorausgesagt wurde. Und mit ihnen, das Drachenblut. Und wer sonst könnte das Drachenblut sein, als ein Prachtexemplar von einem Nord wie er selbst? Wie dem auch sei, wenn sie das Vieh erledigen könnten, nun, das würde ihm auf jeden Fall einen Ehrenplatz in Sovngarde garantieren, ganz nah dran am Kamin, den Metfässern und den knapp bekleideten Walküren.

    „Jetzt seit leise und lasst mich nachdenken,“ befahl Hrard.
    „Was gibt‘s da groß nachzudenken? Wir sind gearscht, im Großen und Ganzen, mehr gibt’s darüber nicht zu sagen!“ beschwerte sich Sylaen.
    „Wenn du das so siehst, dann steht dir frei, durch die Eingangstür zu gehen und dich fressen zu lassen.“
    Was folgte, war eine angespannte Pause, während der Hrard Sylaen kalt ansah, sie ihn böse anfunkelte, und die restlichen, nun verstummten Söldner zwischen den beiden hin und her schauten. Schließlich seufzte die Elfe und ließ besiegt die Schultern hängen.
    Stephanus versuchte wieder seine zitternden Hände unter Kontrolle zu bekommen, und erneut vergeblich. Es passierte ihm hin und wieder, während Pausen nach Momenten, in denen er sich vollkommen klar werden konnte, dass sein vorheriges Überleben nur vom Zufall abhing. Ein massiver Bolzen einer Balliste, oder der Felsen eines Katapults, der seine Nebenmänner in der Formation zerfetzte; ein Regen aus Pfeilen, der genau zu seinen Füßen niederregnete oder die Reihen hinter ihm traf; ein mit Magie geformter Eiszapfen, der genau dann seinen anfänglichen Anstoß verlor, nachdem er mehrere von Stephanus' Mitstreitern vor ihm durchlöchert hatte. In diesem Falle war der Auslöser die Wahl des Drachen gewesen, welche Seite der oberen Befestigungsanlage er verbrennen wollte.
    Der Kaiserliche atmete mehrmals tief ein und aus, aber es half nichts. Wieder einmal würden sich seine Hände nur mit der Zeit beruhigen können.
    Er blickte auf und schaute sich in dem Hinterzimmer der Eingangshalle um. Von den neunundzwanzig Söldnern waren ohne ihn nur noch dreizehn geblieben. Fünf Männer Verwundete und Eskorte, der Rest war entweder beim Angriff des Drachen gestorben, oder versteckte sich irgendwo anders in der Festung. Stephanus schätzte, dass sie selbst mit voller Truppenstärke dem Drachen in ihrer Situation wohl nichts entgegenzusetzen hatten. Die Wenigsten hatten Bögen oder Armbrüste – Stephanus ärgerte sich über sich selbst, hatte er doch selbst seinen Bogen bei der Flucht vor dem fliegenden Monster verloren.
    „Was ist mit den Gefangenen? Wir könnten die beiden als Ablenkung benutzen und uns davon machen,“ schlug Harun in der nachdenklichen Stille vor.
    „Nein,“ erwiderte Hrard sofort. „Können kaum noch stehen. Und das Mistvieh ist zu schnell. Sie wären in einem Augenblick erledigt, und dann wären wir an der Reihe.“
    „Wie wäre es stattdessen mit Spurius? Er kann noch laufen, und für was anderes als Drachenköder spielen ist er nicht zu gebrauchen,“ sagte Berend mit einem bösen Grinsen.
    „Ach, halt doch deine dumme Schnauze, du Sohn einer räudigen, rotäugigen Gossenhündin!“ rief Cocius Spurius mit einer Hand auf dem Schwert dem immer noch grinsenden Dunmer entgegen. Das Gesicht des jungen Kaiserlichen war an den Stellen, an denen er von Folms Berends Fäusten getroffen worden war, noch stark angeschwollen, was jedoch nicht seinen wütenden Gesichtsausdruck überdeckte. Eins musste Stephanus dem mutmaßlichen Vergewaltiger lassen: Er ließ sich nicht einfach so unterkriegen. Vielleicht war er auch so seiner Exekution entkommen.
    „Ihr haltet beide die Schnauze,“ fuhr Hrard sie gebieterisch an und hämmerte seine Hände demonstrativ auf den Holztisch vor ihm. „Wir brauchen keine Ablenkungen für den Drachen. Nicht als unseren Hauptplan. Wie ihr sicher wisst, packt die Kompanie gerade ein und bereitet sich darauf vor, hier an der Festung vorbei zu ziehen. Und sie wissen nichts vom Drachen. Es wird ein Blutbad, und unser Sold und unsere Vorräte sind dann dahin, und wir stecken hier fest, um langsam zu verrecken.“
    „Wer sagt denn, dass das verdammte Ding noch da ist?“ fragte Fleisch in die Runde. „Wir haben seit einer halben Stunde nichts mehr von dem Scheißteil gehört.“
    „Oh, es ist noch da!“ dröhnte Soldin Stahlzapfen, der gerade durch die Tür gestapft kam, mit vor stolz herausgestreckter Brust, rußgeschwärztem Gesicht und selbstzufriedener Miene.
    „Vierzehn“ verbesserte Stephanus die interne Zählung seiner Mitstreiter. Es hätte ihn eigentlich nicht überraschen sollen, dass Soldin in typischer Nord-Manier darüber erfreut war, einem übermächtigen Gegner entgegen zu stehen.
    „Wo?“ fragte Hrard sofort.
    „Oben. Es liegt auf der Lauer und wartet auf uns,“ verriet der andere Nord in einem verschwörerischen Tonfall.
    Hrard nickte nur, während sich Stahlzapfen sich zur Runde der verbliebenen Söldner hinzugesellte.
    Es folgte abermals eine grübelnde Stille, in der jeder darüber nachdachte, wie sie alle – aber vor allem er oder sie selbst - der Situation lebend entkommen konnten.
    Schließlich blickte Harun vom Boden auf und wand seinen Kopf mit einem Fingerschnippen ihrem Anführer zu. „Rauchzeichen. Die Rauchsignale, die die Abgeschworenen benutzt haben, können wir die nicht als künstliche Nebelwand benutzen, und uns in ihrem Schutz davon stehlen? Und dabei noch irgendwie die Kompanie warnen?“
    Alle Blicke im Raum wanden sich nun Hrard zu, der sich das Kinn rieb und offensichtlich überlegte. „Nein,“ sagte der Nord schließlich. „Ihr Leute habt mir berichtet, wie es geflogen ist. Die Flügel sind offenbar sehr stark. Es könnte den Rauch einfach wegdrücken. Und die Dorfbewohner konnten die Rauchzeichen nicht sehen, alles stammt aus Berichten von Reisenden.
    Außerdem ist es nicht damit getan, aus der Festung zu entkommen,“ fuhr Hrard fort, „die Leichen, die wir hier gefunden haben, waren alt, und in der Zeit schien das Vieh Karthwasten nicht angegriffen zu haben. Aber wer sagt, dass das sich nicht ändern kann? Wenn es uns in diese Richtung fliehen sieht, geben wir der Bestie vielleicht einen Grund, es doch zu tun. Aber das gibt mir eine Idee...“ Der Anführer der Söldner wand sich plötzlich Stephanus zu. „Levinius! Die Balliste, ist sie noch intakt?“
    „Ja“, antwortete der Kaiserliche verdutzt, etwas überrascht davon, plötzlich Hrards Aufmerksamkeit auf sich ruhen zu haben. „Wieso?“
    „Wir müssen den Drachen verjagen. Ihm wehtun, damit er sich zurückzieht. Eine andere Option sehe ich gerade nicht.“
    Stephanus nickte kurz, und drehte sich zu Bodeado, Gramul gro-Ogdum und Olaf um. „Habt ihr die Balliste noch geladen, bevor wir uns zurückziehen mussten?“
    „Ja,“ sagte Olaf.
    „Nein,“ sagte Bodeado.
    Die beiden sahen sich kurz an, und dann sprach der Rothwardone zum Kaiserlichen: „Es war ein hektischer Moment. Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass wir den ersten Schuss verfehlt haben, und wir mussten vor dem zweiten den Rückzug antreten.“
    „Du meinst wohl DU hast den Schuss verfehlt,“ berichtigte Olaf ihn, was ihm einen kleinen Stoß in die Rippen einbrachte.
    „Hmpf,“ sagte Hrard. „Die Rauchzeichen, Levinius?“
    „Oben in den Türmen,“ antwortete Stephanus.
    „Und der Drache?“ fragte der Anführer nun Soldin, der mit verschränkten Armen in die Runde blickte.
    „Die Bestie hat sich am Westturm festgekrallt, ich glaub mal mit dem Kopf zum obersten Plateau hin, wo es mich fast gegrillt hat.“
    „Hm. Nun gut.“ Hrard kratzte sich erneut am Kinn, wobei er nachdenklich auf den Tisch hinab sah, und dann blickte er auf und sprach weiter: „Männer, es sieht so aus: Wir werden die Aufmerksamkeit dieses Mistviehs weg vom Ostturm halten, wo die Balliste steht. Ein Teil von uns wird's am Westturm ablenken, und mithilfe der Rauchgräser hüllen wir die Brustwehr in Nebel. Genug, um dem anderen Teil die Chance zu geben, unbemerkt an die Balliste zu kommen, zu zielen, und diese fliegende Perversion einer Echse aus dem Himmel zu schießen, oder am Boden zu treffen, oder wo auch immer es sich aufhalten mag. Das Ding zu töten wäre optimal, doch es zu verjagen reicht auch schon.“
    „Farbiger Qualm, und dann durch den Rauch mit einer Balliste auf ein fliegendes, bewegliches Ziel schießen? Hrard, das ist absolut zurückgeblieben!“ beschwerte sich Berend.
    „Wär dir lieber, sie würden im Offenen rumlaufen? Ohne Deckung, völlig sichtbar für dieses Scheißding? Der Rauch wird sich schon verziehen, es reicht, wenn er sie versteckt hält, solang' sie an die Balliste geh'n.“
    Der Dunmer zuckte als Antwort die Achseln, und Hrard wand sich von ihm ab.
    „Nun denn. Spurius?“
    Der junge Kaiserliche drehte sich seinem Anführer zu. „Was?“
    „Du, Sylaen und Mafalda-“
    „Mafalda ist tot.“
    „Du, Sylaen und Bärenpelz spielen Ablenkung am Eingang zum niederen Plateau.“
    „Moment, was? Im Freien?“
    „Ja.“
    „Du bist doch wahnsinnig!“
    Die beiden anderen Erwähnten taten ebenfalls ihr Missfallen kund, doch verstummten wieder, als Hrard als Ruhezeichen seine Hand hob.
    „Das ist doch Selbstmord! Du willst uns einfach nur loswerden!“ rief Cocius wütend. Er machte Anstalten, weiter zu schreien, schloss aber seinen Mund in dem Moment, in dem Berend einen bedrohlichen Schritt auf ihn zu machte.
    „Es wird nicht lange dauern,“ sagte Hrard.
    „Weil wir dann tot sind,“ antwortete Sylaen.
    „Nein. Ihr lenkt nur solange ab, bis die andere Gruppe auf der Westseite die Rauchzeichen angezündet und vom Turm geworfen hat. Danach lenken die ab. Das sind Berend, Meum-Te, Fleisch und Bodeado. Levinius und Olaf gehen an die Balliste. Der Rest ist Reserve und Signalläufer. Alle verstanden?“
    Es gab vereinzeltes Nicken, aber auch vereinzeltes Murren. Nicht jeder war mit dem Plan einverstanden, und auch Stephanus hatte seine Zweifel. War der Rauch überhaupt nötig, nachdem der Drache dank Ablenkung der Ostseite der Festung den Rücken zugedreht hat? Brauchten sie wirklich diese Stufen-geschaltete Ablenkmanöver? Und was würde passieren, wenn der Plan fehlschlug?
    Stephanus wusste, dass weder Hrard, noch er, noch irgendwer sonst unter ihnen viel Erfahrung mit fliegenden Widersachern hatte. Das einzige, was ihm gerade einfiel, waren Magier mit Levitationszaubern, doch die waren in der Regel langsam und für jeden geübten Bogenschützen ein einfaches Ziel.
    „Oh, und Harun?“
    „Hrard?“
    „Sobald die Ablenkung auf dem Turm anfängt, läufst du vom Haupteingang los in richtung Karthwasten und alarmierst die Kompanie.“
    Nun war das Murren lauter, doch es war weniger gegen Hrards Plan gerichtet, sondern eher gegen Harun, der wohl mit einem blauen Auge davonkommen würde, während sie zurückbleiben und gegen die Kreatur aus altnordischen Legenden kämpfen mussten.
    „Glücklicher Bastard,“ dachte Stephanus bei sich selbst.
    „Jetzt wo das erledigt ist... Los. Ihr wisst wohin ihr müsst. Begebt euch in Position und wartet auf das Signal. Noch ist das Rennen gegen die Zeit kein Sprint.“

  5. #105

    Hjallmarsch

    Julienn hatte sich offensichtlich in ihr Schicksal zumindest so weit ergeben, als dass sie keine weiteren Fluchtversuche mehr anstellte. Djure hatte ihr die Hände auf dem Rücken zusammengebunden, die Beine aber wieder befreit, sodass sie selbst laufen konnte. Er hatte den weiteren Weg im Hinterland von Weißlauf so geplant, dass sie keiner größeren Ansammlung von Menschen begegnen sollten. Der Ork war fest entschlossen das Kopfgeld so unkompliziert wie möglich einzustreichen. Dies würde Unauffälligkeit erfordern, so lange bis er vor der Kaserne in Einsamkeit stehen würde.

    Am Mittag hatten sie die Ruinen Labyrinthions auf der rechten Seite in den Bergen hinter sich gelassen und stapften nun durch unwegsames, aber wenigstens größtenteils übersichtliches Gelände.
    'Warum willst du mich wirklich für lächerliche 500 Septime abgeben? Als Gefährte wäre ich dir viel nützlicher.' Begann die Kaiserliche wiedermal das Gespräch. Nachdem der Druide am ersten Tag nach Kyneshain praktisch alles erfahren hatte, was ihn insgesamt interessiert hatte, hatte er meistens geschwiegen, aber irgendwann am dritten Tage hatte die Kaiserliche ihren Hang zum Reden... oder vielmehr Überreden gefunden und versuchte seither den Ork davon zu überzeugen sie gehen zu lassen oder gemeinsam mit ihr durchs Land zu reisen. Djure seufzte. 'Was hätte ich davon, wenn du mich begleitest... wo immer ich auch hingehe?'
    'Ich könnte für dich jagen und...'
    'Mich im Schlaf erdrosseln bei nächster Gelegenheit.'
    'Nein?!'
    Djure wusste nicht viel von Julienn - von den paar Details ihrer Familie und ihrer Vergangenheit und den Gründen ihres Aufenthalts in Himmelsrand einmal abgesehen. Aber eines hatte er mit Sicherheit gelernt: Julienn war einer jener Schlag Menschen, der immer ein bisschen quitschig und nervend durch den Tag ging und außer den beiden - zugegeben hübschen Augen - nicht sehr viel mehr Inhalt im Schädel zu haben schien.
    'Warum nein? Ich habe dich aktuell in meiner Gewalt und es wäre nur nachvollziehbar, wenn du mich dafür umbringen wollen würdest.'
    'Ich bin keine Mörderin!' Fauchte sie.
    Und Julienn schien ein ganz besonderes Temperament zu haben. Eines, das mit einer sehr stumpfen Schneide gesegnet zu sein schien. Sie war aufbrausend, wusste aber ihre Wut nicht zu lenken, sodass ihr Temperament irgendwie von Nutzen sein könnte.
    'Ich bin eine Jägerin!'
    'Ja, das sagtest du bereits. Das ist aber noch keine ausreichende Begründung dafür, dass du mich nicht doch meucheln würdest...'
    Und es setzte das von Djure vorausgesagte Verhalten der Kaiserlichen ein, sie begann mit den Zähnen zu knirschen.

    Für die nächsten zwei Tage vorbei an einer Wegsperre durch Banditen auf der Hauptstraße nach Einsamkeit, knebelte Djure die Kaiserliche um kein Risiko eingehen zu müssen. Ein bisschen fühlte sich der große Ork doch schlecht wenn er die kleine Gestalt so herumschubste. Andererseits musste es ihm ein bisschen egal sein, er wollte sich hier schließlich keine Freundin machen, auch wenn die Kaiserliche zwei Handvoll hübsche Argumente hatte...
    Djure wählte einen Weg durch die Sümpfe vor Einsamkeit um möglichen Patroullien oder anderen Ärgernissen egal welcher Art aus dem Weg zu gehen und am Nachmittag des dritten Tages seit sie die Hjallmarsch betreten hatten, stapften beide die breite gepflasterte Straße zum Torhaus von Einsamkeit hinauf. Djure beäugte mit unsicherem Blick die hohen Mauern der Hauptstadt Himmelsrands. Vielleicht sollte ich Julienn einfach bei den Wachen abgeben... andererseits ist es unwahrscheinlich, dass die Torwachen einfach einen Beutel mit 500 Goldmünzen am Mann tragen um das Kopfgeld jeder Zeit aushändigen zu können...
    Djure mochte große Städte nicht. Weißlauf und Dämmerstern waren Ausnahmen in Himmelsrand, da sie sehr offen gebaut waren, aber die gedrängten Häuser in Einsamkeit waren ihm ein Graus. Nur Markarth und Windhelm waren noch schlimmer. Dicht gefolgt von Rifton und dem Loch, das sich Falkenring schimpfte. Und Mortal erst... Rifton stand wenigstens noch auf einem soliden Steinfundament an einem Ufer, aber Mortal war praktisch der Inbegriff menschlicher Dummheit wie man sie in erster Linie bei den Nord in Himmelsrand finden konnte.

    Die Torwachen im roten Waffenrock von Einsamkeit behielten den Ork und seine Begleiterin wachsam im Auge, als das ungleiche Paar zum Tor heraufkam. Mit einigen Schritten Abstand blib Djure stehen. 'Ich muss zur Kaserne.' Sagte er auch wenn ihm gleich klar war, dass man ihn in diesen Zeiten - offensichtlich kein Bürger, Händler oder Würdenträger - nicht so einfach passieren lassen würde.
    'Was wollt ihr dort?'
    Djure versetzte Julienn einen leichten Schubs, welcher sie einen Shcritt nach vorn stolpern ließ. Gleichzeitig hielt er ihre Kapitze fest, sodass jetzt ihr Gesicht deutlich zu sehen war. Djure gab ein bestimmtes 'Hm!' von sich und deutete mit dem Kinn auf einen Steckbrief einer weiblichen Gestalt, deren Züge deutliche Ähnlichkeit mit Julienn hatten, hinter dem Wächter an der Mauer. Der Soldat wandte sich kurz um, glich die beiden Gesichter gegeneinander ab und staunte nicht schlecht. 'Ihr dürft passieren, der Richtblock wartet bereits Monate auf diese Frau.'
    Djure stutzte einen Moment. 'Sie ist eine Diebin, keine Schwerverbrecherin.'
    'Das ist richtig, aber jemand mit der Fähigkeit in Schatzkammern von Jarle einzubrechen sollte keine Möglichkeiten haben sein Wissen irgendwie weiterzugeben. Und in der aktuellen Lage sind die Wärter des Kerkers mehr damit beschäftigt Informationen aus gefangenen Sturmmänteln herauszufoltern, als sich auch noch um eine professionelle Diebin zu kümmern. Julienn Moryn geht zum Block.'
    'Aber...'
    'Aber? Wenn ihr sie jetzt nicht auf direktem Weg zur Kaserne bringt, sehen wir uns gezwungen sie euch gewaltsam abzunehmen. Das Kopfgeld bleibt danach selbstverständlich ebenfalls in den Truhen der Legion.'
    Djure zögerte noch einen Moment, zerrte Julienn aber dann doch weiter.

    'Bist du nun zufrieden?' Fragte Julienn mit gebrochener Stimme.
    'Wag es jetzt bloß nicht auch noch Mitleid erregen zu wollen, du hast dir diese Sache selber eingebrockt.'
    'Ich habe nichteinmal wirklich etwas verbroch, ich habe...'
    'Wenn du jetzt nicht augenblicklich die Backen hältst, brech ich dir den Kiefer!'
    Djure war offensichtlich gereizt. Von der sonst so entspannten Art des Orks war überhaupt nichts mehr übrig. Er blickte sich alle paar Meter ruckartig um. Julienn holte immer wieder Luft als wolle sie etwas sagen, ließ es aber doch bleiben.
    Auf einem großen Platz angekommen blickte Djure sich suchend um. Links von ihm führte eine breite Rampe in Serpentinen zu einer Terrasse hinauf von wo aus die Geräusche eines Schmieds zu hören waren. Rechts verließ eine Straße zwischen noch enger stehenden Häusern zum blauen Palast hinunter. 'Hast du dich verlaufen?' Fragte Julienn plötzlich. Und so ruckartig und schnell die Faust des Orks angeflogen kam hätte auch ein Khajiit nicht mehr rechtzeitig ausweichen können. Nasen- und Wangenbein knackten unter der Wucht der knochigen Branke des Druiden. Julienn flog mindestens zwei Meter zurück und landete unsanft auf dem gepflasterten Boden. Völlig ungläubig und vermutlich arg von Sternchen im Sichtfeld geblendet, fasste sich die Kaiserliche mit zitternder Hand ins Gesicht. Blut quoll in einem Sturzbach aus der Nase und sofort begann sich die Haut unterhalb des rechten Auges dunkel zu verfärben und anzuschwellen. Sie rang um Atem und der Schmerz schien offensichtlich noch nicht im Kopf angekommen zu sein. Djure wollte weiteres Aufsehen nicht mehr in Kauf nehmen und klemmte sich die immernoch komplett fassungslose Kaiserliche unter den Arm. er zog ihr die Kaputze über den Kopf für den Fall dass sie gleich zu brüllen beginnen würde. Mit großen Schritten eilte er die Rampe zur Schmiede hinauf ohne wirklic zu wissen ob das der richtige Weg war. Doch oben angekommen sah er durch einen Torbogen groß die Banner von Einsamkeit an der Fassade eines Gebäudes herunterhängen. Die große Bogentür in der Front stand offen und es schien keinen der Rekruten auf dem Übungsplatz abseitz zu wundern, dass ein Ork mit einem strampelnden Bündel in der Kaserne verschwand. Kommt wohl öfter vor, dass hier jemand Kopfgelder einstreicht für irgendjemanden.

    Drinen angekommen wurde er in der Vorhalle von einer Wache ruppig gestoppt. 'Was wollt ihr und wichtiger, was habt ihr da?'
    'Die Diebin von eurem Steckbrief.' Sagte Djure knapp und zog der Kaiserlichen den Stoff vom Kopf und riss unsanft ihren Kopf hoch, damit der Wachmann das gesicht sehen konnte. Aber noch bevor der Soldat antworten konnte, wusste Djure, dass er jetzt vermutlich ein riesen Problem hatte. Die Wache zog einen Steckbrief mit dem Gesicht von Julienn aus seinem Gürtel und versuchte es mit dem zertrümmerten Antlitz zu vergleichen. 'Hmm... es bestehen gewisse Ähnlichkeiten...'
    'Gewisse? Das ist Julienn Moryn... ja ich gebe zu, sie wollte eben nochmal versuchen zu entwischen, da blieb mir diese blutige Maßnahme kaum erspart.'
    Die Wache schüttelte nachdenklich den Kopf. 'Man wird das prüfen müssen, ich bin nicht in der Position einfach zu entscheiden, ob es sich bei der Frau um die gesuchte Person auf dem Steckbrief handelt. Julienn schien nur noch halb bei Bewusstsein, was Djure zunächst begrüßte. 'Ihr bekommt die Hälfte des Kopfgeldes jetzt und die andere Hälfte des Goldes, wenn nachgewiesen ist, dass es sich hierbei um Julienn Moryn handelt.'
    'Wann wäre das?'
    'Kommt in ein paar Tagen nochmal...'
    Nochmal in diese Stadt... Djure wartete auffordernt.
    'Einen Augenblick...' Der Wachsoldat verschwand hinter einer Tür und kehrte nach wenigen Minuten zurück mit einem zweiten Soldat im Schlepptau. Der zweite nahm Djure Julienn ab und wollte sie gerade hinausführen, da rempelte sie nochmal gegen den Ork ohne einen Laut von sich zu geben. Ein Knurren und ein grober Stoß beförderten Julienn unter den fragenden und unsicheren Blicken der beiden Soldaten zur Tür hinaus, durch die die beiden eben gekommen waren.
    'Euer Gold...'
    Der Ork nahm den kleinen Beutel an sich und war ohne größere Umschweife aus der Stadt verschwunden.

    Zwei hellblaue Augen blitzten unter einem Schädelknochen hervor und folgten einem Ziel kaum hundert Meter entfernt. Das Reh schien den nahezu unsichtbaren Jäger noch nicht gewittert zu haben. Solange der Mantel aus Schafsfellen unbewegt blieb und Djure penibel darauf achtete, dass er seinen Kopf nicht zu sehr bewegte, konnte er sicher darauf zählen, dass kein Tier in dieser Welt ihn so zwischen Schneewehen entdecken konnte. Der Ork wartete nur noch darauf, bis das Reh einige Schritte weiter ging. Er würde es dann von dem Wildwechsel in den tieferen Schnee auf der anderen Seite treiben wo er eine Eisfalle versteckt hatte. Noch zwei Meter mehr... Er beobachtete den Wildwechsel bereits seit zwei Tagen und seit gestern Nacht lag er nun hier und wartete darauf, dass wieder ein unforsichtiges Tier kam. Plötzlich schrak das Reh auf, es machte einen erschrockenen Satz und blickte in eine Richtung hinter sich. Djure war verwirrd, hier draußen zwischen Dämmerstern und Morthal dürfte es keine Jäger geben, die sich die Mühe machten in derart unwegsamem Gelände zu jagen - außer ihm. Er versuchte der Blickrichtung des Rehs zu folgen, kam aber nicht sehr weit. Schon hörte er das Kreischen einer kaiserlichen Stimme, die ihm unbehaglich bekannt vorkam. Das kann jetzt nicht der Götter verschissener Ernst sein?!
    Und ob er das war. Das Reh war schneller verschwunden, als Djure reagieren konnte und nur einen Augenblick später hechtete eine Kaiserliche in einer zerlumpten grauen Tunika und zerfetzten Beinkleidern durch den Tiefschnee, der ihr beinahe bis zur Hüfte reichte. Keine 10 Schritte hinter ihr waren zwei Getsalten zu erkennen, die sie nur aufgrund ihrer Rüstung noch nicht eingeholt hatten. Unverkennbar war die blonde Mähne von Julienn. Djure atmete entnervt aus. Aber sogleich sprang er auf, da alle drei ziemlich direkt auf seine Eisfalle zurannten.
    Warum seine Wahl nun auf Julienn fiel würde er sich auch später nicht erklären können. Er hatte die Distanz schier unglaublich schnell üerwunden und stieß Julienn zur Seite und landete auf ihr im Schnee. Die beiden Verfolger hatten sich so auf ihre Gejagte konzentriert, dass sie den Ork gar nicht hatten kommen sehen. Der Vordere von beiden trat direkt in die Eisfalle und war augenblicklich tot, an Ort und Stelle von einer massiven Eisschicht überzogen zu einer grotesken Statue erstarrt. Der zweite schrammte an seinem gefrosteten Gefährten vorbei und kam strauchelnd zum Stehen. Djure richtete sich auf.
    'Ihr habt euch soeben in Angelegenheiten des Kaiserreichs eingemischt und zusätzlich einen Legionär getötet. Ihr seid hiermit verhaftet.'
    'Ich bin hier am Jagen und wollte lediglich verhindern, dass jemand in meine Falle läuft...'
    'Wer zum Teufel jagt mit Eisfallen... ich habe schon spannendere Ausreden gehört.'
    'Und ich schon motiviertere Legionäre...'
    Ohne weitere Worte zog der Soldat sein Schwert und trat auf Djure zu. 'Ergebt euch und ihr bekommt einen fairen Pro...'
    Krachend und knackeng stanzte das eine Ende des Kampfstabes ein kreisrundes Loch in das Gesicht des Soldaten. Brüllend ging dieser in die Knie, doch ein zweiter Schlag an die behelmte Schläfe befördeten den Mann in eine tiefe Ohnmacht und vermutlich auch in den anschließenden Tod. Djure war nicht stolz darauf Legionäre einfach so umzubringen, aber hier stand seine körperliche Unversehrtheit auf dem Spiel und offensichtlich waren die beiden Männer so angespannt gewesen wie er auch.
    Und nun zu dir...
    Er zog die Kaiserliche grob aus dem Schnee. Die Schwellungen im Gesicht waren in den letzten 5 Tagen deutlich zurückgegangen, doch die Flecken der Blutergüsse würde man noch Wochen lang sehen können. 'Was machst du eigentlich?' Er wusste nicht, wie viel simpler er die Frage noch hätte stellen können und hoffte auf eine plausible Antwort, denn eigentlich war es unmöglich, dass sie hier war.
    'Ich bin aus dem Gefängnis ausgebrochen...'
    'Neinneinnein... was MACHST du eigentlich?'
    'Wie ich schon sagte, ich bin aus dem Gefängnis ausgebrochen... ich lebe gerne und...'
    Djure setzte sie unsanft wieder ab. 'Wie bei den Neun bist du da ausgebrochen?'
    'Ich habe mit einem angespitzten Knochen und einem lisen Metallstift die Zellentür aufgebrochen und...'
    'Bitte?!'
    'Ich bin ausgebrochen...'
    'Aus dem kaiserlichen Kerker in Einsamkeit?'
    'Ja, denn da hast du mich schließlich zum Sterben abgegeben oder nicht?'
    Unangenehm daran erinnert schwieg Djure.
    'Und noch was, du kannst auch nicht mehr zurück, ich bin nicht nur aus der Kaserne ausgebrochen, sondern in den blauen Palast eingebrochen und habe eine Handvoll erlesener Schmuckstücke mitgenommen... natürlich nicht ohne eine Nachricht da zu lassen, die jetzt blöderweise auch deinen Namen enthält... ich Tollpatsch...'
    'BITTE WAS?'
    'Bist du überrascht darüber, nachdem was ich mit dir aushalten musste?'
    Nein, eigentlich nicht... ich bin überrascht, dass du dort so rausgekommen bist.
    'Da du nun nicht mehr so viele Optionen hast und mich nicht mehr für Kopfgeld zurück nach Einsamkeit bringen kannst, hast du doch Zeit mir zu helfen? So als Entschädigung für das Feilchen?'
    Djure ließ sich in den Schnee plumpsen und begann einfach nur herzhaft zu lachen. Jetzt war Julienn es, die fragend dreinblickte. 'Also weisst du, wer aus dem kaiserlichen Gefängnis ausbricht und mir quasi den Zutritt zu Städten nimmt, weil dort überall Steckbriefe von mir hängen... in den großen jedenfalls, den muss ich ja schon beinahe als Freund bezeichnen...'
    Julienn verstand die Welt nicht mehr und das spiegelte sich offensichtlich in ihrem Gesichtsausdruck wieder.
    'Ich hasse Städte.' Sagte Djure ernst.

  6. #106

    Solitude, Skyrim

    „Met“, dachte sich Ferrendes und nahm noch einen Schluck des süßen Gebräus. „Gutes Beispiel für Nordkultur.“ Auf die Idee, aus Honig Alkohol herzustellen, kam man auch nur, wenn man mehrere Monate im Jahr eingeschneit auf seinem Hof verbringen musste. Und natürlich stritten sich die Nords über Met. Es gab regelmäßige Wettkämpfe, in denen die Hünen und Hüninnen- Ferrendes runzelte die Stirn. Gab es das Wort Hüninnen überhaupt?
    Wie dem auch sei, die Nords verteidigten beim Baumstammwerfen, Tauziehen und beim Ringen die Ehre ihres Lieblingsgesöffs. Und er hatte Leute sagen hören, dass man so manches Lokal nicht mehr lebend verlies, wenn man beim Barmann nach der falschen Sorte verlangte.
    Er stellte den Humpen ab und seufzte entspannt. Nach tagelanger Reise durch die Berge taten ihm nicht nur die Füße weh, denn der Trip hatte seinen ganzen Körper stärker belastet, als er es gewohnt war. Doch jetzt konnte er sich zurücklehnen und seine müden Knochen bei kühlem Met, der angenehmen Wärme eines geschlossenen Raumes und der gemütlichen Atmosphäre einer gut besuchten Taverne ausruhen. Und er hatte davor endlich Zeit gefunden, sich zu rasieren.
    Zum Schuster konnte er später noch gehen. Hier in Solitude spielte es keine Rolle, dass nur noch guter Wille und Gewohnheit seine Stiefel davor bewahrten, einfach auseinander zu fallen. Blieb nur noch, seine weitere Reise zu planen, denn seiner Suche fehlte noch eine Schlüsselkomponente: Das Ziel.
    Der Bretone winkte den Barmann zu sich und bestellte einen weiteren Humpen Met. Er machte beim Bezahlen eine mentale Notiz davon, dass er fast pleite war, und hob dann die Stimme, um die Musik des Barden im Hintergrund zu übertönen.
    „Bin neu in Skyrim. Gibt’s hier sowas wie eine Magiergilde?“
    Der Gastwirt musterte Ferrendes für einen Moment und sagte dann: „Magier auf der Suche nach Arbeit, eh? Ja. Es gibt die Akademie in Winterhold, sonst fällt mir gerade nichts ein. Die Jarls suchen manchmal Hofmagier, aber…“ Er deutete auf die abgenutzte Robe, die der Bretone trug, und Ferrendes strengte sich an, sich nicht davon beleidigen zu fühlen. „Normalerweise sind dass besser gekleidete Zauberer, und enge Vertraute. Ne, Winterhold ist Eure beste Chance. Oh, und passt auf, wen ihr hier in Skyrim nach Magie fragt. Nicht jeder ist so offen wie wir hier in Solitude.“
    Ferren nickte. „Und… was praktizieren die Arkanisten dort?“, fragte er vorsichtig. Er hatte bisher nur einmal den Fehler begannen, offen nach Nekromantie zu fragen. Zu seinem Glück lernte er aus Fehlern genauso schnell, wie er laufen konnte.
    Der Barmann zuckte mit den Schultern und schnaufte beim Wort „Arkanisten“ amüsiert. „Das weiß keiner so genau. Die „Arkanisten“ dort sind nicht die Sorte, die was immer sie auch machen mit der Außenwelt teilen, und es ist auch nicht so, als ob die Leute mit ihnen sprechen wollen würden. Angeblich haben die von der Akademie nämlich so gut wie die gesamte Stadt Winterhold im Meer versengt.“
    „Wirklich?“
    „Yep, konnte aber nie nachgewiesen werden. Aber wie denn auch? Ist ja nicht so, als ob ein kaiserlicher Inspektor vom Amt für totale Stadtverwüstung dort hingereist ist, um nach dem Rechten zu sehen.“
    „Sie sind also recht zurückgezogen?“
    „Könnte man so sagen, ja.“
    „Perfekt“, dachte sich Ferren. Wenn die Magier von Winterhold zurückgezogen lebten, dann hatten sie bestimmt Gründe dafür. Gründe wie das offene Praktizieren von Nekromantie, vielleicht? Hoffentlich waren sie aber nicht so widerlich unheimlich wie die verdammten Flüsterer. Anscheinend war es sowieso der einzige Ort in Skyrim, zu dem er gehen konnte. „Danke für die Information“, sagte der Bretone und wand sich wieder seinem Met zu.
    Der Wirt nickte zurück, bevor er sich aufmachte, um sich um einen wartenden Gast zu kümmern.

    Ferrendes genoss den gemütlichen Platz an der Theke, und die Stunden zogen vorbei, in denen er in Gedanken vertieft mit einem Ohr der Musik der Barden lauschte. Gäste kamen und gingen, und der Tag fing an, sich seinem Ende zu zuneigen. Schließlich schreckte er auf, als er merkte, dass jemand ihn angesprochen hatte.
    „Was? Wie bitte?“
    „Ob ihr zufällig ein Magier seid“, fragte die Frau, die sich neben ihn gesetzt hatte, ohne, dass er es gemerkt hatte. Wie lange sie schon da saß konnte er nicht sagen.
    „Könnte man sagen. Hat‘s die Robe verraten?“, sagte er und musterte sein Gegenüber.
    Rabenschwarze, etwa kinnlange Haare, blasser Teint, Gesicht attraktiv, dunkle Augen, spitze Ohren, elfisch (Alter also nicht auf dem ersten Blick erfassbar), Lederharnisch. Mehr konnte der Bretone im warmen Zwielicht des Schankraums und der gemütlichen Metwolke in seinem Kopf nicht erkennen. Und doch war es genug: Der Alkohol überredete sein Hirn, eine kurze Pause zu machen, und andere Teile seines Körpers übernahmen das Denken.
    „Und Ihr seid?“ fragte er etwas benommen.
    „Ariel Oakhollow.“ Sie reichte ihm die Hand und er schüttelte sie, während er sich wunderte, warum ihr Name ihn so sehr an Fisch erinnerte.
    „Ferrendes Maraude. Warum wolltet-„
    „Wie gut kennt Ihr Euch mit Magie aus, Ferrendes? Welche Disziplinen?“
    Kurz von der Frage überrumpelt redeten ihm animalische Teile seines Geistes ein, dass er sie beeindrucken musste. Mit einem Fingerschnippen ließ er kleine Lichter und Blitze um seine Hand tanzen. Es war ein einfacher Illusionszauber, aber er hatte auf seinen Reisen genügend Tavernengäste damit zum Staunen gebracht.
    „Oh, ich kann ein bisschen von jeder, dies und das“, sagte er wahrheitsgemäß, jedoch mit einer Stimmlage, die auf falsche Bescheidenheit hindeutete.
    „Perfekt!“ Sie lächelte ihn erleichtert an, und sein Herz machte einen Satz. Er wollte, dass das Lächeln blieb.
    „Und… Ihr kennt Euch nicht zufällig mit altnordischer Kultur aus, oder?“
    Er musste sie beeindrucken, damit das Lächeln blieb.
    „Könnte man sagen. Ich will nicht angeben, aber ich bin sowas wie ein begabter Amateur“, log er angeberisch.
    „Wunderbar, fantastisch! Ich war schon davor, die Suche aufzugeben. Magier und Experte für Altnords.“
    „Ja, das bin ich“, sagte er grinsend. „Hey, wie währe es, wenn-“
    „Seid Ihr zufällig auf der Suche nach Arbeit? Ich gehör zu ner Gruppe von Abenteurern, und wir suchen noch jemanden wie Euch.“
    „Wirklich?“ fragte er etwas verdutzt. Das Gespräch nahm nicht die Richtung, die er erwartet hatte.
    „Yep. Ne Ruinenausgrabung südlich von Dawnstar. Die Bezahlung ist gut, und Verpflegung und alles regelt der alte Solleiv, das ist der Expeditionsleiter, und wir brauchten noch einen Experten für Magie und einen für nordische Kultur. Zum Glück seid Ihr ja beides!“
    Ferrendes brauchte in seinem Zustand einen Moment, um die spontane Entladung an Information zu verarbeiten.
    „Bin ich?“
    „Habt Ihr doch selbst gesagt! Wie dem auch sei, wenn Ihr Lust habt, auf Abenteuerreise zu gehen und gut zu verdienen, und Euch vielleicht ne neue Robe leisten zu können, dann trefft mich morgen, so kurz vor Mittag, etwas nach elf vielleicht, an den Ställen unten bei der Farm mit der Windmühle. N‘abend noch!“
    „Aber-“
    Aber die Elfin war bereits aufgesprungen und in der Menge aus Gästen verschwunden. Ferrendes senkte den Arm wieder, den er nach ihr ausgestreckt hatte, als sie sich plötzlich davon gemacht hatte.
    „Ha!“ sagte der Barmann, als sich der verdrossene Bretone wieder zur Theke umgedreht hatte. „Frauen, was?“
    „Was? Wie bitte?“
    „Seit froh, dass die kein schwarzes Leder getragen hat. Und dass man sie erst doppelt sieht, wenn man zu tief ins Glas schaut.“
    „Wovon redet Ihr?“ fragte Ferrendes, dessen vom Alkohol vernebelte Welt immer weniger Sinn ergab.
    „Lange Geschichte…“

    Das Sonnenlicht kitzelte mit seiner Wärme Ferrendes‘ Zehen. Seine Füße waren neben seinem Kopf das Einzige, was vom Bretonen aus seinem wunderbar kuscheligen Deckenkokon hervor lugte. Er hatte das Schlafen in einer Stadt vermisst: Keine Sorge um nächtliche Banditenangriffe, keine Wegelagerer, keine garstigen Monster, die durch die Wälder zogen, auf der Suche, nach was Passendem, um einen nächtlichen Heißhunger zu stillen. Und sogar die städtischen Bettwanzen waren zivilisierter. In den Gasthäusern auf dem Lande wuchsen die Dinger manchmal groß genug, um selbst Zimmer zu beziehen und Steuern an den Kaiser zu zahlen. Ferrendes war egal, was die anderen Gäste der Herberge dazu gesagt hatten. Er wusste, was er gesehen hatte.
    Die Klänge der Zivilisation drangen durch das Fenster in seinem Raum, und er streckte sich, ein zufriedenes Lächeln im Gesicht. Vielleicht sollte er irgendwann Wurzeln schlagen und jeden Tag in einem gemütlichen Bett aufwachen, und bis in den Tag hinein schlafen.
    Draußen klangen die Glocken der Stadt, und verkündeten die elfte Stunde.
    Sogar die Tageszeit wurde einem in der Stadt auf einem Silbertablett geliefert. Keine Sanduhren, kein lästiges und ungenaues Ablesen des Sonnenstands.
    Die Erinnerung an den letzten Abend drang in sein Gedächtnis.
    Er schlug die Augen auf und sprang aus dem Bett.

    Einige Minuten später schreckte Kolfinna, Buchhändlering, auf, als ein zerzauster Mann in abgetragener Robe plötzlich die Tür zu ihrem Laden aufstieß und sich halb laufend zum Tresen begab.
    „Gu-guten Tag, Herr! Wie kann-„
    Der Mann ließ einen Beutel mit Münzen auf die Theke fallen.
    „Ich brauche alle Eure Bücher zu antiker Nordkultur und zu den Ländereien um Dawnstar!“

    Er tat es natürlich nur für sich, dachte Ferrendes sich, als er mit klimperndem Rucksack die Straße aus Solitude nach Südwesten entlanglief, um noch mit dem Wagen aufzuholen. Der Stallbursche hatte ihm genug erzählt, um die richtigen Reisenden zu erkennen.
    Diese Abenteurer reisten in die richtige Richtung, näher an Winterhold heran. Die Straßen waren im wilden Skyrim nicht sicher, vor allem nicht mit diesem neuen Bürgerkrieg, den die Nords hatten. Und er würde Abenteurer als persönliche Leibwächter haben, selbst wenn sie es nicht wussten! Abenteurer waren so gut wie unzerstörbar, vollbrachten im Alleingang das, was eine ganze Armee aus Legionären nicht zustande brachte. Und zwar andauernd!
    Und er würde sogar bezahlt werden. Er hatte das Geld nötig, jetzt wo er sein letztes für Bücher ausgegeben hatte. Würde Reichtum in Haufen aus Goldmünzen dargestellt werden, wäre seiner jetzt eine Grube. Ferrendes hatte der überrumpelten Händlerin neben seinen Septimen noch einen Haufen Zutaten für Hausmittel im Tausch für die Folianten andrehen können. Sie wollte ihn wohl nur noch aus ihrem Laden raus haben, aber das war ihm nur recht.
    Denn das Stadtleben brauchte er nicht. Das machte einen nur weich, und stumpfte den Geist ab, nicht so, wie die wilde Schönheit der… schönen Wildnis. Auf der Straße gab es keine Taschendiebe. Wegelagerer hatten den Anstand, mit Klingen und Pfeilen deutlich zu machen, was sie von einem wollten. Und keiner kritisierte seinen Kleidungsstil.
    Er tat es also natürlich nur für sich, dachte Ferrendes sich, als er den langsam fahrenden Wagen in der Ferne erblickte. Diese Ariel hatte nichts damit zu tun. Er war nicht die Sorte von Mann, die für ein hübsches Gesicht alles stehen und liegen lies. Garantiert.
    Geändert von Kampfkatze2 (29.03.2017 um 00:22 Uhr)

  7. #107

    Himmelsrand, Einsamkeit

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    »Willkommen im Hafen von Einsamkeit«, brummte ein abgewetzter Nord in wetternassem Wollumhang und ließ von einem dicken Tau ab, dessen Sitz um einen Pfosten des Stegs er wohl gerade prüfte. »‘n Anlegeplatz gibt’s für fünf’n’dreißig Septime ‘n Tag«, verkündete er gleich darauf, rieb die in dicken Handschuhen steckenden Hände an- und verschränkte anschließend die Finger vor dem Mund ineinander. Lange seufzend stieß er einen schwall Wasserdampf aus, der sich in seinem strohigen Bart als Reif niederschlug und zu den graupeligen Kristallen aus der grauen Luft gesellten, die sich dort verfangen hatten. »Un‘er is‘ für nich‘ Geschäftstreib‘nde auf ‘ne Woche Anlegedauer b‘fristet«, setzte er nach, senkte die Hände und zog derart laut Rotz in der Nase hoch, dass es Amelia eiskalt den Rücken hinablief. Schaudernd wandte sie ihren ob der direkten, unfreundlichen Art ohnehin schon entgeisterten Blick von seinem zerklüfteten Gesicht ab, ließ ihn stattdessen die Uferböschung hinauf zur Straße gleiten. Zunächst dieser nach Süden folgend fand sie irgendwo im zwielichtigen Dunst der Mittagszeit die Konturen eines Wachturms und huschte im Anschluss über die Klippen nach Norden zur Stadtmauer, die hoch über den schroffen Felsen thronte.
    »Sagen wir vierzig Septime – und vergessen die Frist«, erwiderte Natalios und die Bretonin vernahm das leise Klimpern von Münzen, als ihr Onkel nach dem Geldsäckel an seinem Gürtel griff.
    Kurz pausierte der Nord. »Aye, mei‘ Herr.« Gierige Leichtigkeit schwang in der Stimme des Hafenmeisters mit und sie glaubte, das Funkeln in seinen Augen beim Geräusch des Geldes in ihrem Nacken brennen zu spüren. Sachte den Kopf schüttelnd entfernte sie sich etwas von der Gruppe, während diese die restlichen Formalitäten klärte. Vorsichtig setzte sie einen kleinen Schritt vor den anderen auf den von Nässe schimmernden, schmierigen Planken der Stege. Unbekümmert trottete Rasvan neben ihr her. Weder der schneidende Wind, noch die Flocken oder die Nässe auf dem Holz schienen dem weißen Halbwolf etwas auszumachen. Beneidenswert, wie Amelia fand. Mit den Händen unter den Stoff des Umhangs vor Brust und Bauch ineinander verschränkt, wartete sie auf den Rest der Gruppe, wanderte mit den Augen aber über die Taue und Takelage der anderen angelegten Schiffe. Vereinzelt machte sie Männer der zugehörigen Mannschaften in den Seilen oder auf den Decks aus. Niemand beachtete ihre kleine, zierliche Gestalt, wie sie wohl reichlich verloren wirkend unnütz in der Gegend stand.
    »Wäre das auch geschafft«, seufzte ihr Onkel, legte ihr im Vorbeigehe eine Hand in den Rücken und mit sanftem Druck verleitete er sie dazu, neben ihm zu gehen. Schwere, dumpf polternde Schritte, die selbst die dicken Planken der Stege zum Knarzen brachten, gingen von ihren gepanzerten Begleitern aus, als diese hinter ihnen folgten. Erst jetzt fiel ihr auf, dass ihre Wachen die Umhänge vor den Harnischen zusammengezogen hatten. Zweifelsohne um die Wappen zu verbergen.
    »Ich will es ihm nicht verübeln«, gestand sie und hob die Hände vor den Mund. Vergeblich hauchte sie gegen diese, die Wärme ihres Atems verklang noch ehe er sie erreichte. Natalios Schmunzeln hörte sie nur leise neben sich.
    »Dass er Geldnöte hat, nehme ich ihm auch nicht übel«, erwiderte ihr Onkel als sie gemeinsam die Treppen zum Ufer hinaufstiegen und anschließend auf den steilen, verschneiten Weg zur Stadt einbogen. Der Wind hier, zwar dicht an den Klippen, aber doch deutlich über dem Wasser und aus Richtung der Bucht ungeschützt, schnitt deutlich schärfer und verbiss sich schmerzhaft in ihre freien Hautstellen im Gesicht und an den Ohren. »Aber es ist kein Freischein für Unfreundlichkeit.«
    »Wohl wahr«, nickte sie und folgte einer Stadtwache mit den Augen, als sie von oberhalb die Straße hinabstieg. Ein rotbrauner, abgetragener Überwurf lag über der gefütterten Rüstung, verdeckte das gesteppte Wams. Ein Rundschild, ebenfalls rotbraun gestrichen und mit einem gezeichneten Wolfskopf darauf pendelte mit dem linken Arm an der Seite des Gerüsteten. Zwar beäugte der Mann die Bretonen misstrauisch, aber offenbar stand ihm in diesem Wetter nicht der Sinn danach, sich mit Fremden draußen zu befassen. Zumindest deutete Amelia seinen unverhohlenen Blick in Verbindung mit der an ihnen vorbeiführenden Laufbahn so.
    »Sybille erwartet uns, Herr?«, wandte sich Lida an Natalios, als der Stadtsoldat gerade so in Hörweite sein mochte.
    »Sie weiß, dass wir auf dem Weg zu ihr sind«, erwiderte der Angesprochene und schien wohl gar nicht bemerkt zu haben, was die Magierin eigentlich bezweckte. Amelia schenkte dem entgegenkommenden Wächter ein mildes Lächeln, nickte ihm zu und ließ ihn die für ihn deutlich unbequeme Situation damit entschärfen, dass er seinen starrenden Blick abwandte. Hatte die Wache bis dahin noch etwas unentschlossen gewirkt, so blieb nun wenig Zweifel, dass sie sie nicht behelligen würde. Ein Paradebeispiel für die Macht, die Namen allein entfalten konnten, und wie sie in ihrer Heimat schon so manches mehr gesehen hatte.
    »Wir werden im Palast unterkommen, Nat?«, wandte sich die Adelige an ihren Ohm.
    »So hatte es Sybille in ihrem Brief geschrieben, ja.«
    »Gut. Der Weg zur Stadt deucht mir nämlich reichlich lang zu sein.«
    Natalios lachte auf. »Das ist er, ja. Aber es ist nicht mehr allzu weit.« Er hob die Linke und deutete auf eine Ansammlung von Häusern am Straßenrand. Einem hoch aufragenden, dunklen Wachturm gegenüber duckten sie sich furchtsam von einzelnen, kahlen Bäumen umringt in eine Senke im Abhang. Kinder spielten im Schnee und im Hintergrund, umringt von den Gebäuden und einem vom Pferdeatem dampfenden Stall, hievte ein älterer Nord Heu quer über den Platz. Der Wind trug eine sich in der Kälte schnell verflüchtigende Note von Dung mit sich, die Amelia die Hand vor die Nase heben ließ. »Der Weg von den Ställen zum Stadttor ist kürzer als der zum Hafen«, erklärte der zweite Adelige.
    Erleichtert seufzte sie und beobachtete die vier Jungen und das Mädchen, wie sie sich gegenseitig durch das tiefe, pulvrige Weiß hetzten und gegenseitig mit diesem bewarfen. Ihre hellen Stimmen und die gegenseitigen Rufe, sie wären doch alle langsamer als wer auch immer gerade rief, schwangen auf den Windböen zu den Bretonen hinüber. Schmunzelnd verlangsamte Amelia ihre Schritte, ließ sich vom Rest ihrer Gruppe überholen und blieb letztlich einen Moment stehen, um dem kindlichen Treiben zwischen blätterlosen, störrischen Sträuchern und überfrorenen Baumstämmen zuzuschauen. Dass die Echos ihres wilden Chors gespenstisch und leicht verzerrt von den Klippen hinter Amelia auf den Böen ritten, blendete die Adelige weitestgehend aus und schob die Schuld an dem leichten Anflug von Gänsehaut auf ihren Armen der Kälte zu, die ihre gierig grabschenden Finger unter die schichten ihrer Kleidung schoben.
    Die fünf Knirpse bemerkten sie indes gar nicht und setzten ihre Schlacht im Schnee fort. »Du bist«, rief einer der Jungen, als er einen anderen erwischte und stiebend zu Fall brachte. Vom Anblick des Gestürzten vereinnahmt, als er sich weißgepudert abklopfte und schnaufte, verlor die Bretonin die Übrigen aus den Augen und suchte sie anschließend ebenso wie der neue Fänger vergeblich im Gestrüpp und zwischen den großen, dunkelgrauen Felsen am Wegesrand. Das tat sie, bis der zuvor Gefällte plötzlich lospreschte und auf ein Gebüsch zu rannte. »Seh Dich!«, rief er glucksend und hüpfte munter durch den Schnee, als hätte es seinen Sturz nie gegeben.
    Noch im selben Augenblick sprang das Mädchen in einer Woge aus Flocken aus dem zugeschneiten Strauch und rannte quer über die Straße. Abwechselnd kichernd und aufgeregt kreischend schaute sie über die Schulter zurück zu ihrem Verfolger, hielt blindlings auf Amelia zu. Obwohl diese das bemerkte, faszinierte sie das unbekümmerte Spiel zu sehr und überlagerte sich mit so mancher Erinnerung aus ihren eigenen wilden Jahren, als dass sie reagieren konnte. Als das Mädchen letztlich doch wieder nach vorn schaute, war es bereits zu spät. Aus vollem Lauf stieß es mit der Bretonin zusammen und riss sie nieder.
    Der kurze Schmerz in den Beinen und dem Bauch wich schon nach wenigen Herzschlägen der brennenden Kälte des über sie hereinbrechenden Schnees. Schnaufend, bald mit rasselnden Atemzügen kämpfte sich Amelia in eine sitzende Position hoch, stützt die Hand auf den raugefrorenen Boden und stand auf. Erst danach vernahm sie das leise Schluchzen des kleinen Mädels neben sich. Die Mundwinkel zum Kinn gezogen hockte es auf dem Boden, eine kleine Schramme zeichnete die Wange ihres aufgeplusterten, sommersprossigen Gesichts und dicke Tränen rannen ihr aus den Augenwinkeln.
    Keiner der vier Burschen schien es zu wagen, sich der leicht als solche zu erkennenden Adeligen und ihrem Pechvogel zu nähern. Eine zweifelsfrei typische Reaktion. Kurzerhand hockte sich Amelia vor das Mädchen, klopfte sich nicht einmal ab und richtete stattdessen die schneeverkleisterte Fellkleidung des Sprösslings. »Verzeiht«, raunte die Kleine und schlang die Arme um die Knie. »‘s war kei-«
    »Nichts passiert«, unterbrach die Bretonin sie und gewann ihr Lächeln wieder, obgleich der unter ihre Kleidung geratene Schnee und die über ihre Haut rinnenden eisigen Tropfen dieses zu verzerren versuchten. Mit großen Augen starrte sie das Kind nun an. Eine freundliche und nachsichtige Blaublütige schien sie wohl dann doch nicht allzu oft zu sehen. Kurz legte eben diese ihre schlanken Finger an die Wange des Mädchens wo sich der Schmiss hellrot auf der blassen Haut abzeichnete. Nichts weiter Schlimmes, die Kälte würde es zunächst ohnehin betäuben. Vorsichtig nahm sie ihre Finger von dem Kind und formte anschließend mit beiden Händen eine lose Kugel. Lider geschlossen, konzentrierte sie sich einen Moment und sammelte etwas Mana in den Fingern, wie sie es sonst auch bei den Übungen mit ihrem Onkel tat. Gleich darauf ließ sie es in die Luft herausfließen und formte es zwischen ihren Händen.
    Erst dann öffnete Amelia die Augen und beobachtete zufrieden den vom schwachen leuchten zwischen den Fingern der Bretonin gefangenen Ausdruck auf dem von zahllosen Pünktchen gezeichneten, kindlichen Gesicht. Wenig später endete das Spektakel und sie öffnete die Hände. Zum Vorschein kam eine gletscherblaue Blütenknospe aus Eis, die sie vorsichtig mit der Linken aufhob während sie ihr mit der Rechten noch einen schlanken Stiel verlieh und sie anschließend dem Mädchen reichte. Mit offenstehendem Mund nahm sie das zerbrechliche Pflänzchen entgegen, doch kaum hatte Amelia ihre Schöpfung aus den Fingern gegeben, begann erst der eigentliche Trick.
    Nochmals sammelte sie etwas magische Energie und sandte sie dem Blümchen zu. Leise knirschend lösten sich die Blütenblätter voneinander und quollen auf, bis die Eisblume in voller frostig-schöner Entfaltung stand. »Sei in Zukunft etwas vorsichtiger«, lächelte Amelia das Kind an und erhob sich. Obgleich die Menge an Magie kleiner war, als was sie sonst bei Übungen mit Natalios in Eispfeile oder ähnliches verwandelte, die Finesse und Detailstufe der Übung verlangte nach deutlich größerem Fokus. So atmete sie erst noch einmal tief durch und suchte ihr Gleichgewicht im Angesicht schmerzlich in den Schläfen stechenden Schwindels, bevor sich Amelia daran machte, zur stehengebliebenen Gruppe um ihren Ohm aufzuschließen.
    Ebenso wie diese, hatte auch Rasvan das Geschehen beobachtet und kam nun schwanzwedelnd auf sein Frauchen zu. Offenbar schien er die Situation als ungefährlich, aber kein Spiel eingestuft zu haben. »Alles gut«, flüsterte sie ihm zu als er ihr um die Beine strich und sie ihm durchs Fell fuhr. Kurz darauf schwappten auch wieder fröhliche Kinderrufe von hinten über sie hinweg und zauberten ihr ein breiteres Lächeln auf die kalten, vom Schnee benetzten Lippen, trieben Wärme in ihr Herz, das der Eisblume gleich auf magische Weise aufzublühen begann und wenigstens temporär die eisigen Schauer ihres Leibes verdrängte.
    »Vorsicht, Herrin, sonst lernen Euch die Menschen dieses Landes noch lieben.« Ein bäriges Lächeln umspielte Koljas rauen Lippen im dichten Bart, bevor er sich abwandte und die Führung auf ihrem Weg zur Stadt übernahm. Das Schaben und Rasseln seiner Rüstung, welches jeden Schritt begleitete, dämpfte der schwere Umhang, ebenso wie bei ihren anderen gerüsteten Begleitern. Beinahe klang es wie das Knirschen des Schnees unter ihren schweren Schritten.
    »Wäre das so schlimm?«, fragte sie und versuchte vergeblich, die letzten Reste des Schnees aus den Falten ihrer Gewänder zu klopfen.
    »Die Liebe der Nord mag innig sein, aber sie ist ebenso wild wie ihr Land. Eine fragile Eisblume mag zwischen ihren groben Händen schnell zerbrechen«, erwiderte der Hauptmann unterdessen Amelia ihre Mühen einstellte und resigniert die Arme unter ihren schweren, roten Umhang zurückzog.
    »Solch Weisheit. Ich werde sie berücksichtigen.« Kurzes, heiteres Schnaufen folgte ihren Worten. Tänzelnd schwang der kurze, das obere Kopfhaar zusammenhaltende Pferdeschwanz hin und her, als seine Schultern in stillem Lachen bebten. Kolja wusste, dass er ihren leichten Spott nicht ernst nehmen brauchte, dafür kannte er sie bereits zu lang.
    Erschrocken zuckte sie plötzlich zusammen und sah über die Schulter. Irgendetwas machte sich an ihrer Kapuze zu schaffen. Mit geschlossenen Lidern seufzte sie und schüttelte kurz das Haupt, bevor sie die Augen erneut öffnete und ihren Onkel anlächelte. Natalios drückte den fellgefütterten, weiten Überwurf von unten nach oben durch und klopfte den darin gefangenen Schnee heraus. Ein verschmitztes Lächeln zupfte an einem seiner Mundwinkel unter dem blonden, leicht rötlich eingefärbten Schnauzer und schenkte ihr ein Zwinkern. Irritiert und verwirrt von der Geste wandte sie sich letztlich nach vorn, um nicht noch einmal der Länge nach im weißen Pulver zu ihren Füßen zu landen und folgte dem schwer gerüsteten Hauptmann weiter die steile Straße hinauf. Die Zwillinge Bedrich und Franos sowie Lida folgten hinter ihr und Natalios.
    »Ein wenig Wohlwollen von den Menschen hier kann uns sicher nicht schaden«, erklärte ihr Ohm schließlich. »Aber vielleicht sollten wir es langsam angehen lassen.«
    »Gewiss, Nat«, räumte Amelia ein und lächelte, indessen sie ihren verrutschten, bis zum Gürtel reichenden Zopf erneut um ihren Hals und Schal wickelte.
    »Auf direktem Wege zum Blauen Palast, Herr?«, wechselte der dunkelhaarige Kolja daraufhin das Thema.
    »Es wird später Zeit bleiben, die Stadt zu besichtigen. Jetzt ist erst einmal wichtig, dass wir einen Platz im Palast bekommen und uns einrichten können.«
    »Gut.«
    Damit erreichten sie auch schon die deutlich breitere und ebenmäßigere Straße, die oberhalb des Gehöftes mit den Ställen und spielenden Kindern, direkt unterhalb bedrohlich wirkender, weit aufragender und schroffer Felswände zur Stadt führte. Zu ihrer Linken verlor sich der Weg irgendwann zwischen Bäumen, Felsen und dem leichten, grauen Geriesel in der Luft, wirkte mehr gespenstisch als alles andere. Zu ihrer Rechten schob sich die Straße am Wachturm vorbei, eingepfercht zwischen scharfen Klippen zu beiden Seiten und hielt direkt auf ein geöffnetes Torhaus zu, hinter dem der festgetrampelte, braun verfärbte Schnee der stärker begangenen Straße einfach weiter geradeaus und leicht bergauf führte. Wie weit, das vermochte Amelia nicht zu erkennen.
    »Lügner«, murmelte sie und stieß ein leises Schnaufen aus.
    Ihr Onkel schien die Anspielung zu bemerken und lachte verhalten. »Zugegeben, der Weg zur Stadt ist von den Ställen womöglich doch nicht kürzer als bis zum Hafen. Die Karten sind recht ungenau und ich war nur einmal hier, vor etlichen Jahren.«
    »Hm. Schon gut.« Sie atmete durch und verdrängte den Ärger ob des langen Marsches. Ihre erste Reise soweit fern der Heimat und in einem fremden Land sollte Grund für Aufregung bieten und nicht an langen Fußwegen leiden. Zumal sie auf diesem Wege etwas vom Land sah und es zukünftig wohl noch so manche längere Wanderung geben mochte.
    Der Weg bis zum eigentlichen Stadttor, das hinter dem ersten und am Ende einer langen Mauer zu ihrer Rechten auftauchte, verstrich letztlich schneller, als Amelia es befürchtet hatte und die Tatsache, dass die Straße deutlich flacher als der Weg zum Hafen verlief, löste ihren unsinnigen Ärger letztlich ganz auf wie die Sonne Morgennebel.
    Ein unüberwindbares Bollwerk, so ragte das riesige, granitgraue Torhaus aus groben Steinquadern vor ihnen auf, gesäumt von Türmen, die jene des vorgelagerten Portals und jenen an den Stallungen nochmals überragten und Schwindel über die Bretonin brachten. Ihren Kopf leicht in den Nacken gelegt, folgte sie den Bauwerken nur kurz mit den Augen, bevor sie sich wieder auf die Wachen am geöffneten Durchgang konzentrierte. Mit ihren roten Überwürfen, den runden Schilden und die Gesichter verdeckenden Helmen boten sie einen einschüchternden Kontrast zu Kolja und den anderen bretonischen Gerüsteten.
    »Wer seid Ihr und was wollt Ihr in Einsamkeit?«, begehrte prompt einer der Männer blechern unter seinem Kopfschutz hervor zu wissen und rückte demonstrativ das runde, von einem Eisenring umfasste Holz in seiner linken Hand zurecht. »Ärger hoffentlich nicht.« Auch wenn Amelia die Augen der Männer durch die Sehschlitze kaum zu erkennen vermochte, dem grauen Zwielicht des trüben Wetters sei Dank, so glaubte sie dennoch den skeptischen Blick auf sich und ihren Begleitern ruhen zu spüren, trieb ihr eine dünne, glühende Lanze durch die plötzlich unruhige Brust.
    »Gewiss keinen Ärger«, erwiderte Natalios und verlor einen großen Teil der Wärme in seiner Stimme. Für die Wachen bliebe der plötzliche Wandel unbemerkt, aber der jungen Adeligen jagte es dennoch einen Schauder über den Nacken. »Wir sind auf dem Weg zum Blauen Palast und werden erwartet. Mehr müsst Ihr nicht wissen.«
    »Ist dem so?« Die Worte des Torwächters klangen in Amelias Ohren ätzend, aber das mochte nur ihr so gehen. Als unfreundlich dürften sie aber wohl alle empfinden. »Und woher soll ich das Vertrauen nehmen, Euch dies zu glauben?« Rasvan, der sich in seiner Neugier für das unbekannte Land bislang ruhig verhalten hatte, schien mit den Wolfssinnen seiner Mutter inzwischen allerdings auch bemerkt zu haben, dass eine gewisse Spannung, einem fernen, zunächst noch dunkel am Horizont drohenden Gewitter gleichkommend, in der Luft lag. Seine Ohren standen hoch, der Blick starr auf die unter roten Überwürfen mit bronzenen Broschen des Wolfswappens der Stadt steckenden Wächter gerichtet und dickt an Amelias Hüfte geschmiegt. Unwillkürlich griff sie mit der Linken in das Fell zwischen seinen Ohren, um ihn zu beruhigen. Es würde gewiss nichts passieren, davon ging sie aus, obgleich sich dennoch eine leicht zitternde Unruhe in ihre Eingeweide schlich.
    »Wie oft kommt es vor, dass bretonischer Adel nach Einsamkeit reist?«, hielt ihr Ohm ungerührt dagegen, offenkundig unwillig ihre genauen Beweggründe preiszugeben. »Wir werden von der Hofmagierin des Jarls erwartet. Lasst uns warten und sprecht mit ihr, bevor Ihr uns einlasst. Ich bin sicher, sie wird Euch für Euren Eifer belohnen.«
    Seiner Nichte entlockte diese Bemerkung, die nicht frei von einer feinen, kaum zu bemerkenden Note spitzer Ironie daherkam, ein kurzes Japsen in Heiterkeit. Den Wachen hingegen schien dies gar nicht zugefallen, strafften sie doch merklich die Schultern, wuchsen dabei noch einige Fingerbreiten über die ohnehin schon kleineren Bretonen hinaus und machten unmissverständlich klar, welchem Volk sie entstammten – wenn denn nach ihren rauen, ungehobelt klingenden Worten überhaupt noch Zweifel geblieben waren. Dennoch schwiegen sie.
    Es dauerte einen weiteren Moment, dann nickte der rechte, etwas größere der Beiden seinem Kameraden zu und trat zur Seite. »Willkommen in Einsamkeit, mein Herr«, brummte er noch, als die sechs Neuankömmlinge an ihm vorbeischritten. »Genießt Euren Aufenthalt am Hof.«
    Niemand ging weiter auf die Bemerkung ein, stattdessen verdrängte die quellwassergleich aufkeimende Aufregung in Amelias Brust die meisten Gedanken an das Geschehen und ließ ihren Blick in Neugier durch die Straßen- und Häuserfluchten der Stadt schweifen, als sie durch die dicken Wälle hindurchschritten und die Hauptstadt von Himmelsrand endlich betraten. Überwältigend brandete die Geräuschkulisse aus hunderten und aberhunderten Kehlen auf sie ein, drückte schwer auf die Ohren nieder und reicherte sich mit dem Duft zahlloser Leiber an, der trotz der betäubenden Kälte nicht verschwinden wollte. Nach all der Zeit auf See und umgeben von salziger Gischt befand Amelia den Odem von Schweiß, altem Leder und den üblichen Düften großer Märkte für eine zumindest vorrübergehend willkommene Abwechslung.
    »So viel zum Thema Wohlwollen sammeln«, spöttelte sie letztlich aber doch noch, ohne die Augen von den dunkleren Gassen zwischen den hohen, engstehenden Gebäuden aus ebenso dunklem Stein wie die Wälle und Fachwerk zu lösen. Hohe Giebel türmten sich überall auf, die Schindeln ihrer Dächer bereits verdeckt von festgefrorenem Schnee des längst angebrochenen, hier im Norden winterlich daherkommenden Herbstes verdeckt.
    »Die Wachen werden darüber hinwegkommen, sobald sie von Sybille entsprechende Weisungen erhalten. Sie müssen nicht wissen, weswegen genau wir hier sind«, erwiderte Natalios.
    »Ich weiß, Nat. Ich weiß.« Sie dämpften ihre Stimmen, als sie im Getümmel der Menschen eintauchten, die jetzt zur Nachmittagszeit unverändert emsig ihren Wegen nachgingen. Den Gerüsteten in ihren schweren, blauen Mänteln, dem blonden Bretonen mit auffällig gut gepflegtem Schnauzer und Ziegenbart und der jungen Frau unter ihrer rubinroten Wolle schenkten sie jedoch kaum Beachtung. Stattdessen mussten Kolja, Bedrich und Franos – bullig, wie sie waren – einen Weg durch die Mengen Bahnen, während Lida und Rasvan dicht bei den beiden Adeligen blieben. »Sie erschienen mir ohnehin recht knausrig mit Wohlwollen, ja Etiketten allgemein, umzugehen«, fügte Amelia nach einem Moment hinzu und versuchte sich erste Wegmarken zu suchen, an denen sie sich orientieren konnte – sie mochte es nicht, blind auf die Ortskenntnis anderer angewiesen zu sein.
    Beherztes Lachen quittierte ihren Kommentar und entstammte mehr als nur einer Kehle. »Du hast einen wahrhaft eigenen Weg mit Worten, Lia«, räusperte sich Natalios schließlich, indessen sie an einem Laden vorbeikamen, der Amelias Interesse weckte. Glänzende Gewänder stand auf dem im seichten Wind zwischen den Mauerwerken schwingenden Schild, das vom Vordach hing. Hier würde sie sicherlich mehr als einmal untertauchen. »Wie sonst niemand«, fuhr ihr Ohm fort, »vermagst Du es freundlich zu klingen und gleichzeitig beleidigend zu sein.« Kurz pausierte er und fing sich letztlich gänzlich zurück in ruhiger Ernsthaftigkeit auf. »Himmelsrand ist derzeit ein gefährliches Pflaster. Misstrauen und Vorsicht an den Toren sind dieser Tage besser als Nachsicht auf den Straßen dahinter.«
    Amelia rang es einen Moment des Schweigens ab, währenddessen sie noch eine Taverne und eine Handvoll weiterer Geschäfte bemerkte. Offenkundig mussten sie sich hier im Händlerviertel der Stadt befinden. Leinen mit bunten Wimpeln spannten sich zwischen Dachfirsten, Giebelbalken und Vordächern von einer Seite der Hauptstraße zur anderen und setzten sich einem farbenfrohen Spinnennetz gleich auch in den Seitengassen fort. Die Menschen mussten wohl gerade erst ein Fest gefeiert haben – Vielleicht den Abschluss der Ernte oder etwas in der Art.
    Gleich darauf schalte sie sich selbst ob ihrer initialen Verwunderung, immerhin ergab es Sinn, sich als Händler nahe an den Toren niederzulassen. Irgendwo voraus verbreiterte sich das Areal nochmals, bevor es sich im Hintergrund an hohe Mauern schmiegte und eine steil den Berg hinaufgewundene Straße zu einer Art Festung führte. »Ist es um dieses Land wirklich so schlecht bestellt, Nat?« Mitleid und ein seltsames Gefühl von Schwere, von dem sie nicht recht wusste, woher es kam, hängten sich bleiern an die Zunge der Bretonin.
    »Nun, ich kenne mich selbst gewiss nicht besonders gut aus und Hochfels ist dieser Tage sicherlich kein viel friedlicheres Pflaster … Aber ja. Der Bürgerkrieg hier im Norden hinterlässt tiefe Wunden.« Mehr als ein knappes Nicken gab sie nicht zur Bestätigung ab und suchte unwillkürlich das Haupt ihres weißen Halbwolfs, der wachsam neben ihr trottete und jeden zu nahe kommenden Streuner aus der Meute um sie herum mit einem drohenden Knurren davon abhielt, seiner Herrin zu nahe zu kommen. »Es wäre sinnvoll, am Hofe mit Meinungen zu diesem Thema großzügig hinter dem Berg zu halten, Amelia.«
    Dass sich der übliche, erhabene und weise Tonfall des Lehrmeisters Natalios, ihrem Mentor seit Kindertagen, in seine Worte schlich, entging ihr nicht. »Weshalb?«, fragte sie dennoch. »Weshalb genau, meine ich.«
    »Zunächst, weil Du noch weit weniger über die Geschehnisse in diesem Land weißt, als ich.« Eine Note von Tadel und noch mehr der Schulmeisterlichkeit schwangen in seiner Antwort mit. »Und zum anderen, weil es am Hofe hier mehr noch als in anderen Landesteilen ein sensibles Thema sein wird, von dem wir besser die Finger lassen, wenn wir nicht darauf angesprochen werden.«
    »Jarl Elisif – So lautete ihr Name doch, nicht? – ist direkt betroffen«, stellte sie mehr fest, als dass sie fragte und sich mental direkt selbst nochmals Bestätigung auf ihre Unsicherheit gab. All die neuen Eindrücke und der unverhofft imposante Anblick eines weiteren, gigantischen Torbogens, der von der hoch liegenden Festung zu ihrer Linken über die Stadt zu den östlichen Wehrmauern führte wie der natürliche Felsbogen sich über die Bucht spannte, zerstreuten ihre Gedanken und Erinnerungen an all die Dinge, die ihr Natalios im Vorfeld erzählt hatte, in alle Winde.
    »Ulfric Sturmmantel hat ihren Gatten, den eigentlichen Großkönig Himmelsrands, getötet, ja.«
    Amelia schluckte schwer und ließ das Thema letztlich fallen, wandte den Blick stattdessen hinauf, als sie unter den riesigen Bogen aus gemauertem Stein hindurchschritten und offenkundig noblere Stadtteile erreichten. Weit weniger geschäftig, von größeren Häusern und ausladenden Straßen mit Büschen und Sträuchern gezeichnet, die im Sommer zweifelsfrei wohl beschnitten und blühend für farbenprächtige Abwechslung sorgten, unterschied sich das Bild doch deutlich von den engen Gassen und dichten Gebäuden abseits der Hauptstraße.
    »Meinst Du, es gibt am Hofe einen Historiker, der Zeit erübrigen kann?«, hakte sie nach, als sie gerade die abschüssige Straße zwischen so manche Villa hinabschritten und vermochte zum ersten Mal einen Blick auf das Ziel ihrer Wanderung zu erhaschen. In diesem Augenblick überkam sie auch die Erkenntnis, warum genau das große Bauwerk Blauer Palast genannt wurde. Prunkvoll mochte es ob des tristen Steins des Mauerwerks nicht genannt werden, aber imposant nichtsdestotrotz. Die ganze Breite des monumentalen Klippenbogens ausfüllend, erhob sich die Fürstenresidenz mit spitzen, tiefblauen Dächern, Türmen und sogar einem großen Dom in den Himmel.
    Natalios belustigtes Schmunzeln ging in ihrem abwesenden Mustern, halb staunend, halb enttäuscht, unter. »Da ist sie wieder, die Neugier meiner Schülerin.« Amelia hörte es kaum, blieb zu vereinnahmt vom Anblick und ihren Gedanken. Obgleich der Sitz der mächtigsten Frau Himmelsrands und ihrer Vorgänger, empfand die Bretonin den Palast keinesfalls als außerordentlichen groß oder schön. So manche Villa entlang der Straße, die sie hinabschritten und auf der sie nun doch mehr als nur vereinzelte Blicke der sporadischer verstreuten Anwohner erhielten, besaß mehr architektonische Finesse als das Äußere des Palastes. Selbst Nevenaste, die Burg ihrer Familie – eine Burg – besaß mehr Feingefühl als dieser Klotz.
    »Sybille ist nicht nur Hofmagierin, sondern auch Historikerin«, fügte ihr Ohm einen Moment später hinzu und riss Amelias Aufmerksamkeit schließlich doch noch an sich. Hoffnungsvoller und die erste Enttäuschung mit ihrem neuen Heim für die nächsten Tage und vermutlich Wochen rasch beiseiteschiebend, wandte sie sich ihm zu. »Allerdings«, fuhr er gedehnt fort, »ist sie eine beschäftigte Frau und nicht unbedingt … einfach. Ich bezweifle aber nicht, dass sie so manches lehrreiches Buch für Dich erübrigen können wird.«
    »Es soll mir genügen«, nickte die junge Adelige und setzte ein zufriedeneres Schmunzeln auf. »Wir sind ja ohnehin nicht für Geschichte hier.«
    »Nein, in der Tat. Dennoch soll auch dafür Zeit bleiben, wenn Du Dich dafür interessierst, keine Sorge. Geschichte – egal welche oder wessen – ist wichtig.«
    »Ich interessiere mich für viel zu viele Dinge, Nat, das weißt Du,« feixte sie und wandte sich mit etwas mehr Wohlwollen in ihrem Blick erneut dem Blauen Palast zu, die neugierigen Blicke der Anwohner und Adeligen dieser palastnahen Stadtteile soweit möglich ignorierend. Eigentlich hätte sie es wohl gewöhnt sein müssen, immerhin wollten auch in ihrer Heimat die Menschen auf den Straßen einen Blick auf sie erhaschen, wenn sie sich unter das Volk mischte – soweit dies mit einer Entourage aus schwer gerüsteten Leibwächtern denn gelang. Allerdings gelang ihr dies in dieser fremden, unwirtlichen Umgebung dann doch nicht vollkommen.
    »Das ist mir nur allzu gut bewusst. Aber genau deswegen hängst Du ja schon vierzehn Jahren an meiner Backe und quälst mich mit Fragen.« Den grimmigen Seitenblick aus übertrieben zu ärgerlichen Schlitzen zusammengekniffenen Augen heraus, den seine Nichte ihm zuwarf, ignorierte Natalios geflissentlich mit starr auf den immer näher rückenden Palast und seine Wächter ausgerichtetem Gesicht und gehobenem Kinn. Oder er nahm ihn gar nicht erst wahr. Manchmal wusste die Bretonin den Unterschied nicht wirklich zu erkennen.
    Aber letztlich wandte sich Amelia ebenfalls nach vorn und spürte unvermittelt neuerliche, heiße Aufregung in ihr Herz fahren, wie sie dieses höher schlagen ließ und mit blitzartigen Stichen quälte. Ein verspieltes, träumerisches Schmunzeln stahl sich auf ihre schmalen, von der Kälte trocken gewordenen Lippen. Besuche an den Höfen großer Fürsten oder gar Könige zählte sie nur wenige in ihrem bisherigen Leben. So verdrängte dieser hier mit rauschendem Blut in ihren Adern vorübergehend jeden Bedarf zu Reden und vertrieb ihre klaren Gedanken weit außerhalb ihrer Reichweite.
    »Dann wollen wir mal. Hoffentlich ist Sybille nicht zu beschäftigt und wir stehen nicht zu lange unangenehm im Rampenlicht«, seufzte Natalios gerade in dem Moment, als sie auf das hohe, wuchtige Torhaus des Palastes zuhielten. Aus irgendeinem Grund erschien es Amelia fehl am Platze, zu wuchtig und unpassend, schob es sich über die Mauern der umliegenden Palastteile hinaus. Selbst der Stein schimmerte heller, als wäre es nachträglich eingepasst worden.
    »Herr Natalios Gael Belton Val Nurinia und seine Nichte Amelia Melina Yoni Val Nevenas aus dem Geschlecht der Nevenas, Herren über Neven und Burg Nevenaste in Hochfels auf dem Weg zu Sybille Stentor, Hofmagierin. Sie werden erwartet«, stellte unaufgefordert Kolja seine adeligen Schützlinge vor, als sie die vier Wächter am Tor erreichten. Obwohl ihre Rüstungen nicht wesentlich anders aussahen, als jene der Soldaten am Stadttor, so wirkten sie mit stählernen Blättchen verstärkt und schweren Schulterkappen aus glänzendem Metall schwerer gepanzert. Offenkundig mussten sie zum engeren Kreis der fürstlichen Wachen gehören. Ihre Helme baumelten an ihren Gürteln, den von ihren Schulden versteckten Schwertern gegenüber.
    »Aye. Eure Namen sind bekannt«, erwiderte der kleinere, schlankere Wächter mit pockennarbigem, wettergegerbtem Gesicht. »Tretet ein, mein Herr«, nickte er anschließend Natalios zu und trat zur Seite. »Hrundal wird Euch in den Palast begleiten.« Daraufhin setzten sie sich erneut in Bewegung und folgten einem blonden Nord von kraftstrotzender Statur, die selbst Kolja im Vergleich wie ein Zündholz aussehen ließ. »Herrin«, nickte ihr der sicherlich in seinen hohen Dreißigern, vielleicht sogar frühen Vierzigern befindliche, kleine Wächter noch zu, als sie an ihm vorüberging. Wenigstens kannten die Palastwachen die nötigen Etiketten und sie nickte sie ihm zwar nicht zu, aber gewährte ihm ein so hauchfeines Zupfen an den Mundwinkeln, dass er es zumindest als freundliche Erwiderung erahnen konnte.
    Dann erreichten sie auch schon die andere Seite des Torhauses und schickten sich an, den verschneiten, friedlich schlafenden und doch irgendwie verwildert erscheinenden Hof zu durchqueren. Nadelfeine Stiche neuerlicher Enttäuschung mischten sich unter die heiß pochende Aufregung, während Amelia deutlich steifer auf dem Weg zum kuppelversehenen Haupthaus den Blick über die schmucklosen Fassaden der Seitenschiffe gleiten ließ. Einen gewissen Charme besaß dieses Anwesen, das spürte sie tief im Bauch, aber was für einen, wusste sie noch nicht genau zu bestimmen. Neugier würde es aber zumindest für den Anfang noch spannend machen.



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    Geändert von Bahaar(iger_ZA) (13.08.2017 um 13:54 Uhr)

  8. #108

    Himmelsrand, Einsamkeit, Blauer Palast

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    Der Weg zum Haupthaus des Palastes blieb ein kurzer, verstrich noch schneller ob Amelias Kopf in den Wolken und Augen auf den Fassaden, bevor dieser der säulengetragene Vorbau des Haupttraktes abschnitt. Nur für einige Herzschläge kam es ihr so vor, als bliese der Wind stärker in die Kolonnade. Dann jedoch schob ihr Wegführer, Hrundal, wie ihn sein Kamerad nannte, die schweren Portalflügel aus massivem bronzeverzierten Holz auf und gebot ihnen, einzutreten. Wärmere, aber keinesfalls sonderlich warme Luft schlug ihr unvermittelt entgegen, derweil sie und ihr Ohm sich ins Innere begaben und letztlich kurz stehenblieben, um auf den Rest zu warten.
    Zugegeben, der Anblick der weitläufigen Halle mit Kolonnaden und Emporen zu allen Seiten, gearbeitet aus deutlich kunstvoller behauenem Stein in hellem und dunklem Grau, mancherorten sogar düsterem Anthrazit, verschlug der Bretonin schließlich doch einen Moment den Atem. Trübes Licht funkelte durch die Bogenfenster an der Basis der Domkuppel und zerstreute sich im schummrig von Leuchtern erhellten Empfangsbereich. So manche geschäftige Bedienstete des Hauses und weitere Wachen in den deutlich schwereren Rüstungen, wie sie auch ihr Wegführer trug, die mit den Rücken zu einigen der eckigen Säulen standen, bevölkerten diesen Teil des Palastes. Während die Gerüsteten ihre Posen nicht merklich veränderten, glichen die Diener dieses offenkundige Desinteresse aus und warfen so manchen neugierigen Blick zu den eintretenden Bretonen hinüber, ehe sie hastig zu den Seiten des Saals zwischen Pflanzkübeln mit blässlichem Grün und den Pfeilern verschwanden.
    »Es ist üblich, dass Besucher des Hauses den Jarl persönlich über ihre Anwesenheit in ihren Hallen unterrichten, auch wenn sie Gäste anderer Bewohner des Palastes sind«, meldete sich unvermittelt Hrundal zu Wort, seine Stimme rauchig und spröde, einer rostigen, blätternden Eisenstange nicht unähnlich. Erstmals nahm Amelia ihn richtig wahr und betrachtete seine markanten, kantigen Züge, die sich nicht vollends unter seinem dichten, brustbeinlangen Vollbart zu verstecken vermochten. Stahlblaue Augen leuchteten unter seiner starken Stirn und buschigen Brauen hervor. Ein Nord, wie er im Buche stand – Wildes Schimmern in den Augen, kraftvoll. Aufregend.
    »Wenn es die Gepflogenheiten des Hauses sind, so werden wir uns ihnen selbstverständlich beugen«, willigte Natalios schließlich ein, als sie alle das trockene Innere des Palastes betreten hatten. Neuerliches Herzklopfen erfasste Lia in der Gewissheit, einer echten Königin gegenüberzutreten. Nach all den kleinen und größeren Fürsten, Herzogen und Burgherren in Hochfels, die ihre Familie kannte, so besaß diese Begegnung eindeutig Besonderheit. Dennoch verspürte sie dieselbe, leichte Unzufriedenheit mit dieser Art des Empfangs, wie sie auch ihr Ohm zu empfinden schien, immerhin wollten sie sich nicht allzu groß bekannt machen. Mehr noch als das einfache Volk tratschte der Adel unter sich – und kam dabei noch weit mehr herum, als ersteres. Von allen Gerüchteverbreitern mochten Blaublütige die Schlimmsten sein – und damit kannte sich Amelia nicht nur bestens aus, sondern musste zu ihrer Schande gestehen, oft genug dazuzugehören. Adelsdamen unter sich. Nichts zeterte mehr.
    Unterdessen die junge Bretonin ihren Gedanken nachhing, verpasste sie beinahe den kunstvollen Aufgang am gegenüberliegenden Ende der Halle, ignorierte ihn fast völlig, obwohl sie eine der geschwungenen Treppen nach oben stiegen. Schwere Schritte voraus und folgend, blieben ihr Onkel und sie doch weiterhin von ihren Wächtern eingefasst.
    So imposant der Empfangssaal hinter ihnen sein mochte, so schlicht bot sich der eigentliche Thronraum an, mehr eine zu dunkel geratene Nische mit Bannern und einigen Holzbänken. Wenig Licht drang durch die zu klein geratenen Fenster an der rechten Seite und nicht einmal ein großer Teppich, so wie in der Eingangshalle, sorgte für etwas mehr Gemütlichkeit. Amelia fröstelte es unvermittelt.
    Darüber hinaus fielen die Bretonen im Vergleich mit den anderen Anwesenden hier nicht nur durch ihre feinere, filigranere Erscheinung und kleinere Größe auf. Wenn sich Amelia die Kleidung der Nordadeligen betrachtete, so mochten diese bisweilen in Hochfels als gewöhnlich durchgehen, wenn sie einmal von den schweren, gut gearbeiteten Fellen absah, die den meisten um die Schultern lagen. Schwere Stoffe, oftmals Samt, überbordet mit schwerem Goldschmuck, gröberen Untergewändern und farblichen Kombinationen, bei denen Amelia die Augen bluten wollten. Ihre Hoffnungen, in diesem Kleiderladen nahe des Haupttores der Stadt den einen oder anderen Septim wohl investieren zu können, welkten nur einen Lidschlag später.
    Dennoch blieb ihr nur ein flüchtiger Moment, die Umgebung aufzunehmen, bevor Hrundal ihre Gruppe näher zu einem Podest lotste, auf welchem sich ein deutlich kunstfertiger geschnitzter, hoher Lehnstuhl befand. Eine schmale, älter erscheinende Nordfrau saß auf dem Thron, trug das rot schimmernde, lange Haar mit einem goldenen Stirnband nach hinten gelegt und entblößte damit ihr spitzes Gesicht. Graue Augen, die auf Lia einen traurigen Eindruck machten, musterten die Neuankömmlinge, welche das Gerede zwischen den Anwesenden zum Verstummen gebracht hatten.
    Langsamen Schrittes näherten sich letztlich lediglich die beiden bretonischen Adeligen dem Thron. Ihre Wachen und Hrundal hielten sich indes im Hintergrund und nahe der Brüstung oberhalb der gewundenen Treppen ins Erdgeschoss. »Gäste aus Hochfels sind in diesen Hallen selten«, eröffnete Elisif. Was genau Amelia erwartet hatte, wusste sie nicht, aber keinesfalls eine solch tonlose Stimme, auch wenn sie wohl unfraglich zum blassen Jarl passte. Natalios und seine Nichte blieben stehen, als die Regentin sich erhob. Derweil sich ihr Ohm tief verbeugte, senkte Amelia das Kinn und den Blick, um einen makellosen Knicks zu vollführen, auf den ihre Mutter zweifellos stolz gewesen wäre, lange genug wie es gedauert hatte, ihrer Tochter diesen beizubringen.
    »Sybille unterrichtete mich, dass sie Gäste aus dem Westen erwartete«, fuhr der Jarl fort und trat auf die mittlere Stufe des Podestes hinab. »Ich gehe recht in der Annahme, dass Ihr diese seid?«
    Auf diese Weise angesprochen, richtete sich Nat auf und Amelia folgte seinem Beispiel. »Sehr wohl, Jarl. Natalios Val Nurinia.« Während er sprach und eine neuerliche Verbeugung andeute, meinte die junge Bretonin an seiner Seite das leichte Zucken seiner Kiefermuskeln zu erkennen. »Und Amelia Val Nevenas, meine Nichte«, stellte er im Anschluss Amelia vor, die ebenfalls einen erneuten Knicks andeutete.
    »Sybille deutete an, Ihr wärt für persönliche Angelegenheiten hier?« Elisif blieb auf der mittleren Stufe stehen und ignorierte die neugierigen Blicke der umstehenden Adeligen und Palastbewohner ebenso wie ihre neuen Gäste.
    »Recht so. Als Hexenmeister der Magiergilde in Urvanus bin ich für magische Studien nach Himmelsrand gekommen. Amelia ist dabei nicht nur meine Nichte, sondern auch Schülerin«, erklärte Natalios und musste dabei nicht lügen, auch wenn es nicht der ganzen Wahrheit entsprach.
    »Nun, dann seid Ihr bei Sybille in den richtigen Händen.« Größere Zufriedenheit mit der Antwort des Bretonen zeichnete sich auf Elisifs scharfen Gesichtszügen und um die blassen Mundwinkel ab. »Unglücklicherweise«, fuhr sie gedehnt fort, »ist Sybille gerade noch verhindert und treibt wohl irgendwo im Palast ihr Unwesen.« Sie hob den Blick an ihren Gästen vorbei. »Du, Wächter, Dein Name?«
    »Hrundal, Jarl.« Ergebenheit weichte die rauche Stimme des Nord auf und Amelia meinte seine Verbeugung am knirschen des Wamses und der stählernen Panzerplatten zu hören.
    »Suche Sybille und sage ihr, dass ihre Gäste eingetroffen sind.«
    »Gewiss, Jarl. Sofort, Jarl.«
    Gerade wollte er sich bereits mit schweren, rasselnden Schritten entfernen, da hielt ihn die Regentin nochmals auf. »Fange im Verließ an.« Darauf folgten schnell frequente Schritte, die irgendwo in der Weite der Empfangshalle verklungen und letztlich ganz verschwanden. »Erikur«, wandte sich Elisif im Anschluss von den Bretonen ab und kehrte zu ihrem Thron zurück, »sei so gut und zeige unseren Besuchern den Gästetrakt. Die Zimmer sind hergerichtet.« Damit setzte sich der Jarl und betrachtete erneut Amelia und ihren Ohm. »Bei Speis und Trank zum heutigen Abend wäre ich sehr an Eurer Verbindung zu Sybille und Euren magischen Studien interessiert, Natalios.«
    »Gewiss, Jarl. Mit Vergnügen«, entgegnete der Angesprochene und deutete eine erneute Verbeugung an.
    »Folgt mir«, sprach unvermittelt ein kräftiger, aber keinesfalls muskulöser Nord von der Seite. Sein schwerer Mantel in goldbesticktem Himmelblau wollte so gar nicht mit dem giftigen Grün seines Untergewands harmonieren und biss sich obendrein mit den ins Rosa abgleitenden Quarzkristallen, die im klobigen Goldschmuck um seinen Hals eingefasst auf seiner Brust lagen. Nicht, dass die Kristalle zur Farbe des Metalls gepasst hätten. Lia erschauderte.
    Mühsam konzentrierte sie sich auf sein langes Gesicht mit der riesigen Knollnase. Engstirnig geschnitten, fasste kinnlanges, blondes Haar, das in Zöpfen über den Schläfen lag, das Antlitz ein und vertuschte somit die wahrhaft hohe Stirn zumindest teilweise. »Erikur, Thane von Jarl Elisif«, stellte er sich nochmals selbst vor, derweil er ihnen gebot, den Nordflügel des Palastes mit ihm anzusteuern. »Erfreut Eure Bekanntschaft zu machen.«
    »Gleichsam.« Natalios schüttelte im Gehen seine Hand. Gleichzeitig kam hinter ihnen wieder das schwere, wenn auch gedämpfte Scheppern ihrer eigenen Wächter auf, und kündete von ihrem schweigsamen Folgen.
    »Thane?«, hakte Lia in diesem Moment ein. Der Begriff klang fremdartig und unbekannt, entsprechend interessiert sah sie den Nord von der Seite an, indessen er mit ihnen über die Empore des Eingangssaals in den Nordflügel verschwand.
    »Ein ritueller Titel für jene, die in der Gunst des Jarls und der Menschen seines Fürstentums stehen. Besondere Leistungen und dergleichen.«
    »Also eine Art Ritter?«
    Erikur schien kurz zu überlegen, dann jedoch nickte er in Laufrichtung. »Ja, vermutlich. Obwohl es wirklich mehr eine Volkssache ist. Ein Thane muss sich im Dienste des Volkes ebenso verdient machen wie im Dienste seines oder ihres Jarls, bevor er den Titel verliehen bekommt. Für Ritter gilt dies wohl nicht in der gleichen Weise«, erwiderte er dann, folgte einem kurzen, mit schmalem Teppichband ausgelegten Flur bis sich dieser Teile. »Links liegen die Gemächer des Jarls. Der Gästetrakt befindet sich im zweiten Stockwerk, wenn Ihr mir also weiter folgen würdet?«
    Nachdenklich ob Erikurs Antwort schenkte sie seinen Ausführungen zum Lageplan des Palastes nur bedingt Aufmerksamkeit, aber sah wenigstens den langen, von zahllosen Leuchtern erhellten Korridor hinab, bevor sie den schweren Schritten des Nords die schmalen Stufen hinauf folgte.
    »Befinden sich viele Gäste im Palast?«, wechselte Amelia letztlich das Thema. Dass ihr die Gesellschaft des Jarls im Thronsaal ziemlich klein erschien, sprach sie nicht laut aus. Es wäre unangebracht gewesen und vermutlich fiel der Grund für die geringe Größe in eine ähnliche Kategorie der Erklärung wie das ruppige Verhalten der Wachen am Stadttor.
    Ihre Vermutung sollte sich bestätigen. »Ich bin sicher, dass Ihr von der gegenwärtigen Lage in Himmelsrand gehört habt. Besucher am Hof sind selten geworden. Darüber hinaus verbringen die Thane ihre Tage zwar durchaus im Palast, leben jedoch nicht hier. Der Gästeflügel ist deshalb völlig frei.« Just in diesem Moment erreichten sie das obere Ende der Stiege und traten auf einen weiteren Flur hinaus, der jenem ein Stockwerk tiefer zum Verwechseln ähnelte. Graues Mauerwerk, vereinzelte rote Banner und Wandteppiche, schummriger Kerzenschein. Einigermaßen wohnlich, aber keinesfalls warm.
    »Hier, dies ist das größte Schlafgemach und der Dame sicherlich besonders gefällig«, fuhr Erikur schließlich fort und lief eiliger zu einer nahen Tür hinüber, um sie für Amelia zu öffnen. Mit einem dankenden Nicken und schmalen Lächeln trat sie unter dem beinahe aufdringlichen Blick des Thane durch die schwere Pforte in ein hergerichtetes Gemach, das zwar kleiner als jenes in der Burg ihrer Familie war, aber zumindest in seiner Einrichtung keine Abstriche bot. Ein großes, von Schleiern verhangenes Doppelbett, mehr als genug Schränke und Kommoden, um all ihre mitgeführten Kleider und Sachen zu verstauen und sogar eine Feuerstelle ebenso wie ein Raumteiler, hinter welchem sie nach kurzem Umherlaufen einen Badezuber entdeckte. Die Fenster wiesen zwar nach Norden, weswegen nie die Sonne hineinscheinen würde, aber die Aussicht, die sich der jungen Adeligen bot, mochte diesen Umstand wohl mehr als ausgleichen.
    So glitten ihre Augen einige lange Momente über den Mund der Bucht und die nördlichen Küstenlinien nach Westen und Osten hin bis sie sich ebenso im tristen Grau verloren wie das Schwarz des Geistermeers. Erst danach beachtete Amelia erneut den Raum und nahm die weichen Felle auf dem Dielenboden wohlwollend zur Kenntnis. Ebenso wie Rasvan, der sich prompt auf einem Bärenpelz zum Fußende des geräumigen Doppelbetts niederließ.
    »Diese Tür dort«, deutete der Thane auf eine schmale, unauffällige Pforte am Westende des Raumes, »führt in eine Zwischenkammer. Ideal für Eure Magd, wenn Ihr eine mit Euch brachtet. Sie öffnet sich auch in den angrenzenden Raum, welchen ich Euch anraten möchte, Natalios.«
    »Wird Raum für unsere Wachen hier oben sein?«, hakte ihr Onkel daraufhin nach. Ihr Hausführer hielt kurz an der Türschwelle inne, sah aus, als ob er gerade schon weitergehen wollte, dann wog er das Haupt unschlüssig von einer zur anderen Seite. »Das solltet Ihr mit Sybille besser direkt besprechen. Da Ihr ihre Gäste seid, wird sie sich um solcherlei Fragen kümmern und ich weiß nichts darüber, ob bereits Absprachen geführt worden sind.«
    »Dann werden wir uns gedulden«, bestätigte Nat und folgte Erikur zurück auf den Korridor, wo sie aus Amelias Sichtfeld verschwanden. Diese blieb in ihrem Gemacht und kniete sich neben den Mischling aus Eiswolf und Schäferhund, der sich wonnig und ruhig atmend auf dem Fell ausbreitete und die langen, kräftigen Beine von sich streckte. Festen Boden unter den Füßen zu haben, musste unzweifelhaft auch er genießen.
    »Du scheinst Dich ja richtig wohl zu fühlen«, flüsterte sie dem Halbwolf zu und zerzauste ihm mit ruppigen, aber liebevollen Bewegungen der Hände das Haar am massigen Hals. Anstatt wirklich darauf einzugehen gähnte das Tier bloß und glotzte sie lediglich aus seinen großen, goldbraun leuchtenden Augen heraus an. Unbekümmert streichelte sie ihn zwischen den Ohren, bis er den langen Lappen aus dem Maul hängen ließ und das wuchtige Haupt niedersank. »Ja ja, Faulpelz. Steh auf«, wies Amelia den Vierbeiner an und beobachtete zufrieden, wie er die schläfrig immer wieder zufallenden Lider hochriss und sich anschickte, aufzustehen. »Gut so.« Wehleidig wimmernd wandte sich ihr der Hund zu. Doch anstatt sich weiter kraulen zu lassen und sich gleichzeitig darüber zu beschweren, nicht liegen bleiben zu dürfen, drückte er sich mit den Vorderpfoten ab und legte die schweren Tatzen auf Amelias Schultern.
    Überrumpelt entwand sich ein helles Quieken ihrer Kehle, bevor sie nach hinten stürzte und sich einige noch immer vom geschmolzenen Schnee nasse Stofffalten gegen ihren Leib drückten. »Nicht so ungestüm«, lachte sie und schob sich mit verrutschten Gewändern und dem abgewickelten Zopf zwischen ihren Gliedern unter dem hochbeinigen Halbwolf heraus.
    Schwere, eilig klingende Schritte näherten sich auf dem Flur und hielten vor ihrer Tür inne. »Alles in-«, hob Lida an und die Adelige warf einen schnellen Blick zu ihr hinüber, wie sie an der Tür unvermittelt innehielt und ihre vom schnellen Lauf verwehte, brustlange Goldmähne richtete. »Oh.«
    »Schon gut, Lida. Der Herr wünschte deutlich zu machen, dass ihm nicht an Spielen gelegen ist«, erklärte die Bretonin und begann damit, aufzustehen. Bevor Erikur und ihr Onkel zurückkehren konnten, richtete sie ihre Gewänder und den Überwurf neu und löste den verhedderten Schal. Schwer wog der Zopf über ihrer Schulter, richtete sie das silberne Netz an ihrem schlanken Hals gerade in dem Moment, als der Nord und ihr Verwandter zurückkehrten.
    »Ich bin sicher, dass Ihr Euren Aufenthalt im Blauen Palast genießen werdet«, verkündete der Thane gerade und hielt hinter Lida auf dem Korridor inne, warf einen Blick in Richtung der jungen Bretonin, die ihren mit winzigen Saphiren bestückten Halsschmuck gerade fertig justiert hatte und sich anschickte, die ungeschützte, helle Haut und das Metall vor der kühlen Luft in den noch ungeheizten Zimmern mit dem seidenen Schal zu schützen. »Und ich bin sicher, dass wir Eure Gegenwart ebenso genussvoll aufnehmen werden.« Kurz hielt er seine felsengrauen Augen auf sie gerichtet und rang ihr ein etwas widerwilliges, dankendes Nicken bei leichter, unwillkürlicher Röte in den Wangen ob des gezwungenen Kompliments ab. Auf der einen Seite schmeichelte es ihr, ohne Frage, andererseits blieb Erikur nicht ihre erste Wahl unter jenen, von denen sie solch schöne Worte hören würde.
    »Wärt Ihr so frei, diesen beiden Herren hier Geleit zu organisieren, damit sie einige unserer Sachen bereits von unserem Schiff holen können?« Erst im Näherkommen erkannte Amelia, dass Natalios auf Bedrich und Franos zeigte. Die kräftigen Zwillinge mit den fast schwarzen, fingerlangen Haaren und gleichfarbigen Murmeln von Augen ließen in Synchronie die Kiefermuskeln unter den buschigen Backenbärten spielen.
    »Natürlich. Wenn Ihr wünscht, steht Euch derweil dieser Flügel und der Rest des nördlichen Palastes zur Verfügung. So Ihr wünscht, stellt Euch die Küche sicherlich etwas für die nachmittägliche Stärkung zusammen.« Noch wartete der Thane auf eine Reaktion der Bretonen, aber schien sich allmählich auf den Weg machen zu wollen.
    »Meinen Dank. Wir werden uns sicherlich zurechtfinden«, erwiderte Natalios und nickte Erikur dabei anerkennend zu. Der erwiderte die Geste und wollte sich bereits zum Gehen wenden. Aber Amelia hielt ihn noch einmal auf.
    »Ihr sagtet, der Nordflügel?«
    »Ah, richtig. Eine gut gemeinte Warnung«, antwortete Erikur und setzte ein wenig erfreutes Lächeln auf. »Der Pelagius-Flügel ist schon seit Längerem für alle Besucher und Bewohner des Palastes gleichermaßen geschlossen. Ausnahmslos.«
    »Ich denke, dass wir unseren Weg dorthin so ganz ohne Hilfe ohnehin nicht finden würden«, willigte ihr Ohm ein und warf nur einen kurzen Seitenblick auf Amelia, die unbemerkt von ihrem Hausführer mit den Schultern zuckte.
    »Abermals: Eine Freude«, verneigte sich Erikur und verschwand anschließend in Begleitung der zwar kleineren, aber kraftvolleren Zwillinge. Lia und ihr Ohm sahen ihnen nach, bis sie die Stufen der Treppe hinab verschwanden.
    »Also warten wir?«, hakte die junge Bretonin nach.
    »Kolja«, wandte sich Natalios ohne auf ihre Frage einzugehen an den Hauptmann, der einige Schritte in Richtung des Zimmers ihres Verwandten auf dem Korridor die Stellung hielt.
    »Herr?« Der muskelstarke Kämpfer strich sich eine lockere Strähne aus der Stirn und richtete im Anschluss seinen Mantel wieder so aus, dass er das Wappen auf seiner Brust verdeckte.
    »Offenkundig ist es nicht die beste Idee gewesen, sich am Hof einzuquartieren, wenn es darum geht, unsere Anwesenheit möglichst verdeckt zu halten. Aber…« Er warf einen Blick auf seine Nichte. »… in diesen Zeiten ist das Bewusstsein des Jarls über unsere Anwesenheit sicherlich nützlicher und in jedem Falle sittlich wie schicklich. Deswegen erwarte ich, dass unsere Späher aufbrechen, sobald wir mit Sybille gesprochen haben.«
    »Wie Ihr es wünscht.« Koljas tiefe Stimme klang in den engen Verhältnissen des Flurs wie eine Lawine an fernen Berghängen und jagte Amelia Gänsehaut auf die Arme.
    »Sollten wir Jarl Elisif über unsere anderen Aufgaben hier unterrichten?«, wandte sie junge Adelige ein und warf ihrem Onkel einen fragenden Blick mit hochgezogenen Augenbrauen zu.
    »Unbedingt. Aber nicht im Beisein des gesamten Hofstaates.«
    Daraufhin nickte sie lediglich. Ihnen fehlten so manche Güter für längere Reisen hier, die für über zwanzig Mann zu beschaffen sicherlich nicht einfach werden würde ohne die Unterstützung des Hofes. Pferde, um nur eines zu benennen.
    »Ein Spaziergang in den Hof, derweil wir warten?«, schlug sie im Anschluss vor und griff erneut in das dichte Fell zwischen Rasvans Ohren. Nat nickte lediglich und folgte ihr die Treppen hinab. Sie nahmen nicht den Weg durch die Thronnische, sondern folgten der Stiege einfach bis hinab ins Erdgeschoss, um von dort direkt in den Eingangssaal und hinaus ins Freie zu gehen. Niemand hielt sie auf oder behelligte sie in irgendeiner Weise und so traten sie letztlich hinaus in die frostige Luft des fortgeschrittenen Nachmittags. Längst senkte sich die Sonne den Berggipfeln im Westen entgegen und es fehlte nicht mehr viel, bevor sich der frühe Abend über die Stadt legte – wenn es denn an einem trüben Tag wie diesem einen Unterschied machte.
    »Lauf!«, befahl sie unvermittelt und warf die linke Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger vor. Bellend und freudig knurrend sprintete Rasvan aus dem Stand los und querte unter den irritiert zu ihnen gewandten Blicke der Wachen am Torhaus des Palastes in Windeseile den Hof, bis er in einer der Ecken Stellung bezog. Bellend tänzelte er auf der Stelle und provozierte ein gefälliges Schmunzeln seines Herrchens. Die Rechte auf Hüfthöhe neben sich haltend, als schwenkte sie einen großen Weinkelch, sammelte Amelia Mana in ihren Fingern, entzog mit diesem der umliegenden Luft noch mehr Wärme, dass sich um ihre Hand ein dichter, glitzernder Nebel bildete und verlieh der Energie in einer bläulich bis leicht violett schimmernden Wolke Kraft ihrer Gedanken die Form eines Balls. Simpel, wie der weiße, perfekt gepresste Schnee war, kostete es sie auch bei weitem nicht die Konzentration, die ihr die Blume abverlangt hatte, zumal sie ihn nicht zu Eis verdichten musste. Ohne Vorankündigung gab sie dem schwebenden Ball mit weiterer Magie einen kräftigen Schubs und das Geschoss flog pfeilschnell davon, entzog sich gänzlich dem Fokus ihrer Augen.
    Blitzartig sprang der große Halbwolf aus dem Stand in die Höhe, katapultierte sich mit den mächtigen Hinterläufen vom Boden weg und schnappte den Schneeball aus der Luft, bevor er die Wand hinter ihm treffen konnte. »Guter Junge«, schmunzelte sie, mehr zu sich selbst, als zu den zwei Männern und der Frau, die neben ihr standen.
    »Er hat seinen Biss gewiss nicht verloren, Herrin«, lobte Kolja dennoch und trat an den Rand des Weges, der durch den Hof führte. Arme vor der Brust verschränkt, halb unter seinem Mantel verborgen, blieb er stehen und betrachtete das hechelnd umhertänzelnde Tier, welches ob seines beinahe komplett weißen, nur stellenweise gräulichen Pelzes mit dem flockenbedeckten Boden verschmolz. »Sendet ihm noch einen, oder gleich zwei, dann wird Euch in Zukunft niemand hier behelligen, solange er an Eurer Seite steht«, fuhr er fort und deutete vor deren Blicken verborgen in die Richtung der verunsichert dreinblickenden Torwächter. »Verehrer wie Erikur eingeschlossen.« Ob eine Spitze von Ironie in seinem letzten Satz lag, wusste Amelia nicht recht zu bestimmen, aber sie entschloss sich, es so zu verstehen.
    Offenkundig ahnten die Wachen, welches nicht-hündische Blut durch die Adern des Mischlings floss, und wussten um die tierische Urgewalt, die dieses zu entfalten vermochte. Sie trainiert und abgerichtet am Werk zu sehen mochte wohl durchaus Respekt – oder gar Furcht – abverlangen und schnell die Runde machen.
    »Was meinst Du, Nat? Wohlwollen oder Furchtsamkeit?«
    »Ein bisschen von Beidem, vielleicht?«, erwiderte er.
    Sie stieß ein heiteres Schnauben aus und formte neuerliche Magie, diesmal in beiden Händen, und spürte wie die Anstrengung und Konzentration an ihren körperlichen Kräften zu zehren begannen, sich ihr Leib von innen erwärmte, als ertüchtigte sie sich gerade – und das obwohl kalte Nebelbänke ihre feinen, behandschuhten Finger umschwirrten. Kein unangenehmes oder auslaugendes Gefühl, aber eines, das sich dazu aufschwingen konnte, wenn sie nur lange genug fortführte, was sie gerade tat – auch wenn es bei dieser leichten Übung sehr lange dauern mochte.
    Von der schwindenden Kälte in ihren Gliedern beflügelt, schmunzelte sie und sandte die Schneebälle zeitlich und in ihrer Flugbahn leicht versetzt in Rasvans Richtung. Den ersten schnappte er im Sprung aus der Luft, bevor er sich noch im Flug in seinem flexiblen Rückgrat wandte und mit den Hinterläufen von der nahen Wand abdrückte, um sich dem zweiten Geschoss entgegen zu katapultieren.
    »Herzlichen Glückwunsch, Herrin, die Nord dieser Stadt werden Euch als Jungfer heimkehren lassen, ohne dass Ihr sie abweisen müsst«, scherzte Kolja diesmal offener.
    »Das ist genug«, erwiderte sie ehrlich empört. Sie nahm es ihm nicht übel. Aber gewisse Grenzen der Etikette mussten bestehen bleiben und auch wenn Kolja sie von Kindesbeinen an als Soldaten und Leibwächter im Dienste ihrer Familie kannte, der sich in diversen Konflikten und Gefahrensituationen verdient gemacht hatte, so musste er diese ebenso wie alle anderen einhalten. Deutlich straffer und ergebener nickte er am Rande ihres Sichtfeldes.
    »Unrecht hat er nicht.« Auch wenn sie Natalios nicht sah, hörte sie sein Schmunzeln.
    Bevor sie auch ihm einen empörten Kommentar angedeihen lassen konnte, sprintete Rasvan plötzlich zu ihnen zurück. Allerdings ohne seine Pfoten freudig tänzelnd über den Schnee zu heben, sondern weitaus kraftvoller und bestimmter, als befände er sich auf der Jagd, pflügte er hindurch. Im Näherkommen erkannte Amelia auch die angelegten Ohren. Ihr Gesicht verlor binnen eines Herzschlages jede Entrüstung, jede Freude und spannte sich zu einer steinernen Maske an. Dann gelangte der Halbwolf auch schon neben ihr an und sie hörte das tiefe Knurren, welches seinen Leib unter ihrer schnell auf seinen Rücken gelegten Hand zum Vibrieren brachte.
    »Was is-« Dann bemerkte sie, wie sich die Männer und Lida bereits umwandten, weil der Hund starr und mit gefletschten Zähnen an der Seite seines Herrchens in die Schatten unter dem säulengetragenen Vorbau des Haupthauses starrte. Geifer troff ihm von den Fangzähnen. Schließlich straffte sich auch die junge Adelige und machte auf der Stelle kehrt.
    Eine dünne, kleine Gestalt stand dort im Halbdunkel, wo selbst an sonnigen Tagen kein Licht hingereicht hätte, hüllte sich in die schlichten, blauen Gewänder eines Magiers und versteckte sein Gesicht zu großen Teilen unter einer Kapuze. »Sch, ganz ruhig, Rasvan«, flüsterte Lia ihrem Gefährten zu und strich zwischen seinen Ohren entlang. Gleichsam spürte sie jedoch auch, wie die Anspannung ihres Vierbeiners beim Anblick der stillen und geräuschlos hinter sie getretenen Person auf sie selbst übersprang.
    »Er ist nicht der einzige, der auf diese Weise reagiert«, schnitt die Stimme einer Frau unter der Kapuze hervor und ein schiefes, wenig freundliches Lächeln umspielte die schmalen, femininen Lippen, die zu sehen blieben und unter einer schlanken Nase saßen.
    »Und Ihr seid?«, fragte Amelia vorschnell zurück, biss sich aber gleich im Anschluss verärgert auf die Zunge, um weitere Kommentare zurückzuhalten.
    In diesem Moment schob sich Natalios an seiner Nichte vorbei und trat zwischen den unverändert knurrenden Hund, den wohl lediglich Amelias Hand und deren beruhigende Streichbewegungen davon abhielten, auf die schmale Frau loszugehen. »Sybille, wie ich sehe, scheinst Du Deine Angewohnheit, Normalsterbliche zu Tode zu erschrecken, nicht abgelegt zu haben.«

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