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Thema: [Sky] Rollenspielthread #1 (Signatur aus)

  1. #1

    [Sky] Rollenspielthread #1 (Signatur aus)


    Dieser Thread ist für unsere Geschichten gedacht. Beachtet dabei bitte folgende fünf Regeln:

    1. Dieser Rollenspielthread ist nur für die Skyrim-Version des RPGs gedacht
    2. Signatur ausschalten
    3. Ort in die Betreffzeile des Posts schreiben (wenn ich also in Windhelm bin, schreibe ich in den Betreff: "Himmelsrand, Windhelm")
    4. Geschrieben wird in der Vergangenheitsform
    5. Kein Power-Gaming!

    Frohes Posten.

  2. #2

    Solstheim, Rabenfels

    << Zurück zur Charaktervorstellung



    Wie eine dicke Schicht Mehl unter ihren Stiefelsohlen, so fühlte sich die Asche auf dem Boden beim Laufen an. Mit jedem Schritt rutschte Vesana ein wenig und wirbelte kleine Wölkchen auf. Wirklichen Halt fand sie keinen auf dem Grund, der trotz seiner optischen Wirkung so gar nichts mit einer geschlossenen Schneedecke gemein hatte. Eher noch mit den Sanddünen an einem Strand. Es war ungewohnt und unangenehm, sorgte die mangelnde Trittfestigkeit doch auch für Unsicherheit. Lyrgleid kam mit ihrem Wagen auch nur unter Anstrengung voran und musste sich weit nach vorn beugen, um überhaupt genug Druck auf den Boden bringen zu können. Glücklicherweise schien der Weg zur Mine nicht sehr weit zu sein, Rabenfels war nur ein kleines Städtchen, fast schon ein Dorf. Nur über den Marktplatz und noch einen quälenden Hügel hinauf, und sie standen vor dem Eingang in der Felswand aus Basalt.
    „Habt Dank“, wandte sich die Kaiserliche an den kräftigen Nord an ihrer Seite. Er schwitzte am ganzen Leib, feuchte Flecken am Hals und unter den Achseln zeichneten seine einfache Kleidung. Die Atmung ging schwer und die Haut im Gesicht glitzerte, zahllose Tropfen rannen über seine Schläfen.
    „Gern“, entgegnete er schließlich seinen Atem zurückgewinnend. „Darf ich Euch noch einen Rat geben, bevor ich zum Schiff zurückkehre?“
    „Sicher.“
    „Gebt gut Acht auf Eure Wasservorräte. Nehmt mehr mit, als Ihr glaubt zu brauchen, bis ihr die verschneiten Gebiete des Nordens erreicht.“
    „Das hatte ich ohnehin vor, aber habt Dank.“
    „Gut, denn das Wasser im Süden ist von der Asche des Roten Berges vergiftet. Wenn es Euch nicht gerade in den Wahnsinn treibt oder zum Krüppel macht, so tötet es Euch.“ Vesana nickte nur zur Bestätigung, dass sie verstand, was sie eigentlich schon wusste. Gjalund hatte es ihr bereits unterwegs erzählt. „Oh, und hütet Euch vor den umherstreifenden Nord in der Wildnis, solltet Ihr welche von Ihnen sehen – diese Plünderer hatten teilweise schon zu viel des Wassers und sind im Wahnsinn noch gefährlicher.“
    „Habt Dank, ich passe auf“, beruhigte sie ihn. Als sich Lyrgleid zum Gehen abwandte, ließ die Kaiserliche einen leisen Seufzer heraus und schüttelte mit dem Kopf. Wie rührend die Sorge doch eigentlich sein mochte, sie empfand sie schlicht als unnötig, ja nervend. Zumindest ab einem bestimmten Maß. Es hatte ohne Zweifel auch seine Nachteile, nicht nach dem auszusehen, das man war. Dazu kamen die ewigen Stiche im Vorderkopf. Die ätzende Luft ließ sie wieder häufiger durch ihr Haupt zucken und verstärkte das Hämmern in den Schläfen. Die Augen geschlossen stand sie einen Moment lang da und rieb sich die Schädelseiten. Erst danach – einen kurzen Blick zur rot verdunkelten Sonne werfend, es musste wohl um die Mittagszeit oder frühen Nachmittag sein – wandte sie sich dem Eingang der Mine zu und trat ein.
    Die feuchte, kühle Luft im Innern bot direkt eine willkommene Abwechslung. Die Dunkelheit störte sie nicht, den Geruch von nassem Holz, Moos und Pilzen fand sie verkraftbar und allemal besser, als die beißende Asche und den Rauch draußen. Nach einem kurzen, steil abfallenden Tunnel und vorbei an einem uralten Emblem der ostkaiserlichen Handelsgesellschaft sah sie sich bald in einer größeren, mit Brettern ausgelegten Kaverne und blieb stehen. Einige Tische und Regale, ein aufgeschnittenes, halbes Haus am anderen Ende und Fackeln zur Beleuchtung schmiegten sich an die Steinwände an. Genug Freiraum für Kisten und möglicherweise auch ihren Karren ergab sich hier allemal. Im oberen Stockwerk in dem kümmerlichen Bretterverschlag Vesana gegenüber saß ein Mann an einem Schreibtisch. Er hatte sie nicht bemerkt. Hinter einigen Seiltrommeln darunter trat eine Dunmerin hervor.
    „Kann ich Euch helfen?“, wollte sie wissen.
    „Ich würde gerne mit dem Besitzer dieser Mine sprechen. Mir wurde gesagt, er könne mir vielleicht helfen“, entgegnete Vesana.
    „Und wie kann ein alter Schürfer einer jungen Dame wie Euch behilflich sein?“, hallte die rauchige, von vielen Lebensjahren gezeichnete Stimme des Minenleiters herüber. Der Kaiserliche stand jetzt am oberen Ende der Treppe in das obere Geschoss und kam kurz darauf langsam die knarzenden Stufen hinab.
    „Ich habe einen kleinen Karren draußen am Eingang der Mine mit einigen Habseligkeiten stehen, den ich für die Dauer meiner Reise in den Norden von Solstheim gern in Rabenfels unterstellen möchte“, erklärte Vesana. „Natürlich auch für Gold.“
    „Ah, ich verstehe, hmm.“ Der Alte war inzwischen heran, während die Dunmerin sich wieder in den Hintergrund zurückzog und die Beiden sich selbst überließ. „Wer hat Euch geraten, zu mir zu kommen?“
    „Gjalund Salz-Weiser. Wir sind heute im Hafen eingelaufen.“
    „Ach ja, Gjalund. Der Bootstreiber. Aufrichtiger, guter Mann“, dachte er laut nach. „Nun, ganz Unrecht hat er ja nicht. Crescius Caerellius, das bin ich.“ Crescius reichte Vesana die Hand.
    „Nevara Cassidian.“ Sie schlug ein.
    „Was wollt Ihr denn auf Solstheim und wie lange werdet Ihr bleiben?“ Er wies sie mit einer Geste dazu an, ihm zu folgen und die beiden Kaiserlichen setzten sich an einen Tisch.
    „Ich will weiter in den Norden. Mir wurde gesagt die Wälder hier wären ausgezeichnet, um sich als Jäger zu schärfen.“
    „Jäger, sagt Ihr?“ Crescius schaute sie ungläubig an. Seine ohnehin schon faltige Stirn runzelte sich noch weiter, als er die Augenbrauen hochzog. Vesana ignorierte es.
    „Ich denke, dass ich wohl zwei, eher drei Wochen auf der Insel sein werde. Gjalund setzt ohnehin nur alle paar Tage nach Windhelm über.“
    „Was wollt Ihr denn hier jagen, dass Ihr dazu extra die Mühen auf Euch nehmt und zum entlegenen Solstheim kommt?“, wollte der Alte nach kurzer Pause wissen.
    „Es heißt, es leben im Norden einige Kreaturen, die es sonst nirgends gibt.“
    „An welche dachtet Ihr?“
    „Wisst Ihr etwas über Werbären?“
    „Werbären? Ich kenne nur Geschichten, nichts Sicheres. Humbuck, wenn Ihr mich fragt. Da müsst Ihr wohl mit den Skaal in ihrem Dorf im Nordosten der Insel sprechen, wenn Ihr mehr wissen wollt. Außenseitern gegenüber sind sie aber sehr argwöhnisch. Ich weiß nicht, ob sie Euch helfen werden. Es gefällt Ihnen nicht, wenn Fremde einfach in ihrem Gebiet herumschleichen.“
    „Das werde ich dann wohl herausfinden müssen.“ Vesana wusste schon, worauf seine eher negativ beladenen Beschreibungen hinausliefen. Sie trieb das Gespräch deshalb aktiver in die von ihr gewünschte Richtung. „Was würde es mich kosten, meinen Wagen bei Euch unterzustellen?“
    „Hm“, Cresius überlegte kurz. „Wie Ihr seht, ist hier viel Platz und wenig los. Sagen wir zehn Septime am Tag, fünfzig jetzt, der Rest, wenn Ihr wiederkehrt.“
    „Abgemacht.“ Vesa nahm ihr Münzsäckel vom Gürtel.
    „Doch Kind, gestattet einem alten Mann und Bewohner Solstheims einem jungen, hübschen Ding wie Euch einen Rat zu geben: Lasst das mit Eurer Reise in den Norden. Diese Insel hat schon manch erfahrenem Abenteurer schreckliche Dinge angetan.“
    „Hier“, sie reichte ihm das Gold. „Ich lege Euch eine Liste mit Dingen, die ich auf dem Wagen lasse, hier auf den Tisch, sobald ich meine Reisesachen gepackt habe und aufbreche. Habt vielen Dank.“
    „Wer wäre ich, wenn ich Euch nicht die Sorge um Eure Dinge abnehmen würde, während Ihr durch die Lande streift?“ Sein schmales, gezeichnetes Gesicht hellte sich ein wenig auf, aber die Falten um den Mund und die trüben Augen verrieten, dass er mit ihrer Entscheidung nicht gerade glücklich war. „Immerhin braucht Ihr in den Wäldern hier einen wachen Verstand und scharfen Geist!“ Crescius nahm das Geld vom Tisch, ohne weiter nachzuzählen, und stand auf. Vesa tat es ihm gleich und die Kaiserlichen reichten sich die Hände. „Seid auf der Hut. Der Süden mag ungemütlich sein, doch der Norden ist gnadenlos.“
    Vesana holte ihren Karren in die Mine und stellte ihn in einer Nische an der Seite der Kaverne ab. Bislang lief es gut. Wenn sie denn einmal von den vielen Sorgen, die an sie herangetragen wurden, absah. Sie wickelte die Plane, die ihre Sachen auf der kleinen Ladefläche bedeckte, auf und sortierte die durch den Sturm und holprigen Fahrten durcheinander geworfenen Habseligkeiten neu. Im Schutze der Nische zog sie sich noch einmal um, streifte sich ihre robuste, gefütterte Hose über die schlanken Beine, warf sich eine schlichte Tunika über, die ihr bis knapp oberhalb der Knie reichte und die Arme bis zu den Handgelenken bedeckte und schnürte die hohen Wildlederstiefel mit Fellfutter neu. Je einen stählernen Dolch schob sie in die ins Schuhwerk eingearbeiteten Scheiden auf Höhe des Schienbeins. Es folgte eine dicke, lange Jacke und der mit Eorlund Grau-Mähnes Hilfe angefertigte Harnisch aus gehärteten, stahlbeschlagenen Lederstreifen, die sich überlappend vorn nur den Brustkorb und auf dem Rücken die Wirbelsäule bis zum Steiß bedeckten. Mit Lederriemen zurrte sie ihn fest, bis er richtig saß und sie die ähnlich gearbeiteten Schulterstücke und Unterarmschützer anlegen konnte. Zum Schluss machte sie noch eine Kapuze am Harnisch fest und zog die fingerlosen Lederhandschuhe mit umklappbaren Fingerstücken über die Hände. Das einhändige Stahlschwert aus der Himmelsschmiede band sie auf dem Rücken fest, einen weiteren Stahldolch befestigte sie am Ledergürtel.
    Dann kam die schwierigste Entscheidung. Sollte Vesana den Jagdbogen oder doch lieber die Armbrust nehmen? Schnelle Schussfrequenz oder doch lieber Durchschlagskraft? Ihre Finger griffen instinktiv zuerst zum Bogen. Schnelligkeit war ihre Stärke. Andererseits, sie zuckte zurück, mochte die Haut eines Werbären wohl ausgesprochen robust und dick sein. Ein natürlicher Panzer, ganz zu schweigen vom dichten Fell. Nach kurzem Überlegen entschied sie sich dann doch für die Armbrust. Lieber zwei gut gesetzte Schüsse, als ein halbes Dutzend Nadelstiche. Den Köcher mit den Stahlbolzen machte sie ebenfalls am Gürtel fest.
    Schon jetzt schwitzend wie ein Tier packte die Kaiserliche nun noch ihren Tornister. Ein paar kleine Tränke, ihr Geld, ein handlicher Schleifstein, noch zwei weitere Jagdmesser, Verbandszeug, Salben, eine Landkarte von Solstheim, zahlreiche Beutel für Wasser und Proviant, die sie erst noch in der Taverne füllen musste, und noch ein paar zusätzliche Bolzen. Abgerundet wurde das Ganze mit einer nässeabweisenden Schlafunterlage aus Leder und Fell, sowie einer Decke, die sie zusammenrollte und oben auf dem Felleisen festzurrte. Die Armbrust ließ sie frisch gespannt an der Seite ihres Gepäcks baumeln. Ihr Speer mit der langen Stahlspitze würde ihr als Gehhilfe auf der Wanderung dienen.
    Mit der Linken prüfte sie noch den Sitz der zwei schmalen Zöpfe, die links und rechts an den Seiten vom Vorderkopf zum hoch angesetzten Pferdeschwanz führten, und strich sich letztlich die Strähnen, die das Gesicht auf beiden Seiten lose hängend einrahmten, hinter die Ohren. Für Crescius schrieb sie auf, was sie alles auf der Ladefläche zurückließ, bedeckte diese wieder mit der Plane und legte das Pergament mit der Auflistung auf den Tisch, wie vereinbart.
    So beladen und für den Anfang unter der Last keuchend, verließ sie die Mine. Gjalunds Tuch wickelte sich die Jägerin um Mund und Nase, so dass wenigstens die dicken Ascheflocken kein Problem mehr darstellten. Die permanente Rauchnote blieb aber dennoch und reizte die Atemwege. Höchste Zeit, dieses Mistwetter hinter sich zu lassen. Trotz des zusätzlichen Gewichts auf den Schultern lief es sich entgegen ihrer Erwartung noch unangenehmer auf der mehligen Asche. Mit langsamen, quälenden Schritten stapfte sie den Hügel zum Marktplatz hinab und fragte den ersten Händler, den sie sah, nach der örtlichen Taverne, um ihre Vorräte aufzustocken. Er verwies sie auf den Spuckenden Netch unweit seines Standes. Am Tresen im Untergeschoss wurde sie mit einem „Darf es ein Zimmer sein?“ begrüßt.
    „Nein, ich möchte nur Vorräte kaufen.“ Vesana setzte den Tornister ab und legte ihre Beutel auf die Theke. „Die fünf Trinkbeutel voll mit Wasser und an Nahrung, was haltbar und gerade verfügbar ist.“
    „Längere Reise, eh?“, fragte der Dunmer, während er ihre Bestellung zusammentrug.
    „Das wird sich zeigen.“
    „Zusammen dreiunddreißig Septime.“ Vesana reichte ihm das Geld und begann ihren Proviant zu verstauen. Einen der Wasserbehälter hängte sie sich zu einigen weiteren Taschen, den Bolzen und dem Dolch an den Gürtel. „Wo soll’s hingehen?“, fragte der Wirt, während er der Kaiserlichen beim Packen zuschaute und ihr ihre Lebensmittel eins nach dem anderen reichte.
    „Nach Norden.“
    „Ins ewige Eis? Was wollt Ihr denn dort?“ Er klang überrascht, ungläubig.
    „Ihr wisst nicht zufällig etwas, über Sichtungen von Werbären?“
    „Werbären? Nie gehört. Wenn es sie überhaupt gibt, dann wissen die Skaal etwas über sie. Fragt dort nach, wenn Ihr ohnehin nach Norden geht.“
    „Crescius riet mir dasselbe.“ Sie schulterte das Felleisen und wandte sich zum Gehen. „Auf Wiedersehen.“
    „Haltet Euch von Tel Mithryn fern und biegt vorher schon nach Norden ab. Man weiß nie, was einem in der Gegenwart von diesen verrückten Telvanni passieren mag“, warf ihr der Dunkelelf hinterher.
    Es wurde Zeit, dass Vesana das Dorf hinter sich ließ. So nett die Leute sein mochten, sie brauchte Ruhe und Zeit abseits von den kuriosesten Ratschlägen. Sie durchschritt die hohe Mauer aus Basaltblöcken, stapfte mit schweren, mühsamen Schritten den provisorisch gegrabenen und befestigten Tunnel durch die hoch aufgetürmte Asche entlang und ließ Rabenfalls damit endgültig hinter sich. Nicht ohne Erleichterung, wie sie schnell feststellte. Abstand war gut. Von Rabenfels, von Himmelsrand. Mit den Gedanken auf ein neues Ziel gerichtet, fielen ihr die Schritte zusehends leichter. Wenn sie auch bald noch die wärmeren südlichen Gebiete hinter sich ließ, unter ihrer dicken Kleidung also nicht mehr allzu sehr kochen musste, und nicht ständig in knöcheltiefem Aschemehl versank, würde es vielleicht sogar auch wieder Spaß machen.



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    Geändert von KingPaddy (18.01.2014 um 14:10 Uhr)

  3. #3

    Solstheim, südwestliche Küste

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    Wenn sie bis zur Abenddämmerung, die im südlichen Teil der Insel wohl recht früh eintreten würde, noch fünf bis zehn Meilen zurücklegen konnte, wäre Vesana schon zufrieden damit. Da sie auf dem Grund allerdings nur langsam vorankam, hegte sie so ihre Zweifel daran, es auch tatsächlich noch so weit zu bringen, bevor die ohnehin schon dunkle Sonne schließlich hinter dem Horizont verschwand. Ungeachtet dessen lief sie ihre Geschwindigkeit, wie sie es als angenehm empfand. Das musste reichen, immerhin lag noch eine straffe Wanderung in den Norden vor ihr und sie wollte sich am ersten Tag nicht gleich überanstrengen. Während des Marschs hielt sich die Kaiserliche nahe an den Basaltklippen, die parallel zum flachen Küstenstreifen verliefen. Zwar ragten sie nicht unbedingt hoch in den Himmel, aber waren dafür so glatt und dicht geschlossen, dass es zunächst keine Möglichkeit zu geben schien, sie durch eine Kletterpartie zu überwinden. Notgedrungen musste Vesana also den Umweg weiter nach Süden in Kauf nehmen und darauf hoffen, irgendwann doch noch eine Lücke zu finden, bevor die Landmasse letztlich auch so einen Bogen beschrieb und weiter nach Osten führte. Sie würde es wohl früher oder später herausfinden.
    Ihr Weg führte die Jägerin vorbei an schroffen Felsformationen und erloschenen Lavabrocken, die teils mit Asche bedeckt waren. Hin und wieder durchbrach aschfahles Gras die geschlossene graue Decke. Auch die Überreste alter Farmhäuser, die von Auswürfen aus dem Roten Berg oder Abbrüchen von den Basaltklippen zerstört worden waren oder einfach unter der Last der Asche nachgegeben hatten, zierten ihren Weg. Es bot sich ein bizarres, fast schon surreales Bild der Landschaft, die schlichtweg tot wirkte. Die zunächst interessante, da fremdartige, Umgebung verlor schon nach den ersten ein, zwei Meilen jeden Rest an ohnehin spärlichem Abwechslungsreichtum und Vesana beschränkte sich einfach darauf, stur geradeaus zu laufen und die Augen oft genug über die Klippen zu ihrer Linken schweifen zu lassen.
    Die Gedanken beschränkte sie vor allem auf die nächsten Tage. Die Frage der Übernachtungsmöglichkeiten unterwegs hing noch in der Luft, würde sich wohl aber hoffentlich zu gegebener Zeit mehr oder minder von selbst beantworten. Nachts in den südlichen Gebieten umherzustreifen oder gar unter freiem Himmel zu übernachten hielt sie für unangebracht und schlichtweg gefährlich. Üble Kreaturen – Aschenbrut wurden sie wohl genannt, wenn sie sich recht entsann – streiften dann umher. Nach den Geschichten über sie wollte Vesana lieber keine Begegnung mit ihnen riskieren. Sie drehte sich alsbald gedanklich im Kreis, aber vermied immerhin effektiv großartig über andere Dinge nachzugrübeln.
    Im Verlauf des Nachmittags kam Vesa an einem weiteren Haus vorbei. Der weiten Umzäunung einiger rechteckiger Areale in der unmittelbaren Umgebung nach zu urteilen wohl wieder ein Farmhaus. Im Gegensatz zu den bisherigen schien dieses aber noch zu schwelen. Rauch stieg auf und es knacke hin und wieder leise, als ob Holz verbrannte. Da sich im Hintergrund auch noch ein Bruch in der Basaltwand abzuzeichnen schien, beschloss sie eine kurze Rast einzulegen und sich noch ein bisschen umzuschauen – möglicherweise ließ sich noch das eine oder andere an Nützlichem bergen, bevor es endgültig verglühte.
    Die Jägerin lehnte ihren Tornister gegen einen Zaunpfahl der Veranda und schob die knarrende Tür ins Innere auf. Es roch nach Rauch und Schwefel, Qualm schlug ihr entgegen. Die Augen begannen sofort zu brennen und zu tränen, sie musste husten und drehte sich kurz weg, bis der Anfall nachgelassen hatte. Nach dem ersten Schrecken wandte sie sich wieder dem Innenraum zu. Es glühte zwischen den Resten des strohbedeckten, eingestürzten Dachstuhls. Der tiefrote Schimmer durchdrang unheilvoll den Qualm. Bei näherem Hinsehen erkannte Vesana, dass er zu einem deformierten, geschmolzenen Steinhaufen gehörte. Wie erstarrte Lava bedeckte er Trümmer und Gegenstände des Hauses. Nur das Glühen wollte nicht so recht dazu passen, denn wenngleich der glimmende Fels große Wärme abstrahlte, für gewöhnlich war Lava flüssig.
    Interessiert näherte sich Vesa weiter. Das Material war in der Tat völlig fest, das Knacken ging von ihm, und nicht vom Holz des Hauses, aus. Ebenso der Rauch und Schwefelgeruch. Vorsichtig hob sie ein daumengroßes Fragment auf. Die eine Spitze glomm rot, der Rest hielt sich in dunklem Grau bis Schwarz, wie Basalt. Etwas mehr als handwarm lag ihr das Stück schwer in der hohlen Hand. Nach kurzem Spielen mit dem Splitter warf sie ihn achtlos zurück zum Rest, während sie sich bereits zum Gehen wandte. Nur aus dem Augenwinkel sah sie den starken Funkenschlag, den das Fragment verursachte, als es aufkam. Jetzt wieder mit voller Aufmerksamkeit bei dem Gestein, nahm sie sich zwei ähnlich große Splitter und schlug sie gegeneinander. Jedes Mal stoben Funken, als sie sich mit einem Geräusch von Hammer und Schmiedeeisen trafen. Von der Nützlichkeit als Feueranzünder schnell überzeugt, steckte Vesana die Stücke in zwei separate Beutel an ihrem Gürtel.
    Zurück am Zaunpfahl mit ihrem Gepäck schulterte sie dieses. Während sie sich dem Bruch in der senkrechten Basaltwand näherte, nahm sie noch etwas Wasser aus ihrem Trinkbeutel und machte sich im Anschluss an den Aufstieg. Möglichst sicher tretend und greifend kam die Jägerin zwar nur langsam voran, aber immerhin schien es an dieser Stelle tatsächlich bis ganz hinauf zu gehen. Über große und kleine Bruchstücke der markant geformten, schwarzen Felssäulen kletternd und sich durch schmale Spalten zwängend, stand sie letztlich trotz aller Fehltritte und Engpässe oben auf den Klippen einige hundert Schritte von der eigentlichen Abbruchkante entfernt. Umgeben von verkohlten Baumstammresten, die sie bei Weitem überragten, und den abgebrochenen Resten, die sich über den Boden zwischen den Stümpfen verteilten, kam sich Vesana wie auf einem Friedhof vor. Leben gab es hier, wenn überhaupt, auf den ersten Blick in keiner erkennbaren Weise. Nur ein Aschehüpfer sprang aus einem hohlen Stamm am Boden hervor und hüpfte anschließend davon, als sie ihm und seiner Behausung zu nahe kam. Sonst herrschte Stille, selbst ihre Schritte hörte sie kaum auf dem weichen Boden und wenn sie nicht schwer geatmet, geschwitzt und das leise Knirschen und Klappern ihres Gepäcks vernommen hätte, es wäre nicht mehr als ein Traum für sie gewesen. Ein schlechter noch dazu.
    Vesa richtete sich neu nach der Sonne aus und lief nun auf möglichst direkter Linie nach Nordosten, wo das Skaal-Dorf lag. Mit ihrer jetzigen Geschwindigkeit, sofern sie sie auch im steileren Terrain halten konnte, würde die Kaiserliche wohl etwa fünf, oder sechs Tage bis zu dem Nord-Stamm brauchen. Eine akzeptable Reisedauer. Mittlerweile musste sie wohl auch die Fünf-Meilen-Marke überschritten haben, sicher war sie sich allerdings nicht dabei. Aber es bestand auch noch genug Zeit, um ein Stück weiterzugehen.
    Pünktlich zum späten Nachmittag und frühen Abend machte sie unweit vor sich eine weitere, verlassene Hütte aus. Die Frage nach ihrer ersten Bleibe hatte sich damit an dieser Stelle erledigt. Eigentlich lief es fast schon zu reibungslos ab, so wenige Komplikationen gab es bis zu diesem Moment. Andererseits war sich Vesa sicher, ihren Herrn auf ihrer Seite zu haben. Sie nahm es deshalb als gutes Zeichen.
    Als Folge ihrer Zuversicht und der ewigen Stille der Umgebung wurde sie nachlässiger und bemerkte erst zu spät, dass sie keinesfalls allein hier war. Aus dem Eingang der Hütte kam ein hochgewachsener, kräftiger Mann. Zunächst registrierte er Vesa nicht. Er zog sich gemütlich die Hose ein Stück nach unten und erleichterte sich erst einmal von der Veranda seiner heruntergekommenen Bleibe. Erst als es schon plätscherte blickte er auf – genau in dem Moment, in dem sich die Jägerin hinter einen Baumstamm hechtete.
    „Ehjo, Boss, ich glaub‘ hier draußen is‘ jemand!“, rief der Nord. Seine tiefe Stimme klang verzerrt.
    „Erzähl‘ kein‘ Qutasch, hier kommt keine Sau vorbei! War bestimmt wieder nur ein Aschehüpfer!“, hallte eine andere Stimme gedämpft aus dem Haus heraus.
    „Ne‘, ich schwör’s! Es war ‘was Großes!“
    Stühle wurden verschoben und schwere Schritten trampelten über Holzplanken. „Wo?“
    „Da hinten hinter dem dicken Baumstamm und dem abgebrochenen Stück.“
    „Wenn Du wieder nur Halluzinationen hast, schneid‘ ich Dir eigenhändig die Eier ab!“ Vesana versuchte, sich einen Überblick zu verschaffen, mit wie vielen sie es nun tatsächlich zu tun hatte. Mindestens zwei, aber sie vermutete anhand der Trittgeräusche zuvor eher, dass es drei waren. Vermutlich Plünderer, noch dazu welche, die hier schon zu lange lebten und nicht am vergifteten Wasser gestorben waren. Hektisch suchten ihre Augen nach einem Ausweg, nach Deckung, in der sie sich möglichst unbemerkt von den Nord entfernen konnte. Sie fand nichts, die verkohlten Baumreste standen und lagen zu weit auseinander und boten zu wenig Schutz. Schweiß rann ihr nun noch schneller aus den Poren die Schläfen hinab in Gjalunds Tuch, das Blut rauschte in ihren Ohren und die Brust schmerzte, so raste ihr Herz. Sie wischte sich einige salzige Perlen aus den Augenbrauen und atmete tief durch. Die zuvor niedergerungenen Stiche durch den Vorderkopf verstärkten sich wieder etwas und es fiel der Kaiserlichen schwer sich zu konzentrieren. Unruhig glitt ihr Blick weiter über die Umgebung.
    Vesa schaute über die Schulter an dem Stamm vorbei, gegen den sie lehnte. Ein Nord in schwerer, stählern glänzender Rüstung kam direkt auf sie zu. Zwei weitere deckten seine Flanken in einigem Abstand. Sie durchforsteten das Gebiet vor der Hütte Schutzmöglichkeit für Schutzmöglichkeit. „Piep, piep, kleines Mäuschen! Spielen wir heute Verstecken?“ Tönte der scheinbare Anführer von ihnen, der sich durch seine bärenkopfartig geformten Schulterpanzer und den dicken Harnisch von seinen zwei leicht geschützten Kumpanen abhob. „Piep, piep.“ Sie zog sich wieder in die Deckung zurück.
    „Komm‘ schon, kleines Mäuschen!“, forderte der letzte der Nord, der zuvor noch nicht gesprochen hatte. „Sei kein Spielverderber.“ Diese Männer schienen in der Tat schon viel zu lange hier zu leben. Vesana überlegte fieberhaft, Gedanken überschlugen sich. Wegrennen? Sinnlos. Mit Gepäck nicht, und ohne wäre es genauso ihr Todesurteil hier draußen in der öden Wildnis. Kämpfen? Eine gegen drei? Das würde sie nicht überleben. Nicht, wenn die Drei gemeinsam mit ihr kämpften. Den Anführer erschießen und die anderen beiden im Nahkampf erledigen? Das mochte vielleicht funktionieren. Doch dann war es schon zu spät.
    „Da bist Du, Mäuschen!“ In der Stimme des Anführers schwang eine nicht zu überhörenden Note an Spott mit. „Hab‘ – Ich – Dich!“ Genau in dem Moment streifte sich die Jägerin die Riemen des Felleisens von den Schultern, ließ den Speer los und sprang auf die Füße. In einer Bewegung drehte sie sich gleichzeitig um die eigene Achse und zog ihr Schwert, das sie am ausgestreckten Arm in Richtung des Plünderers hielt, um ihn auf Abstand zu halten. Allerdings musste sie direkt danach feststellen, dass er an einem Stamm einige Schritte entfernt stand und einen Aschehüpfer mit ihr verwechselt hatte, als dieser am Stamm sitzend gewackelt hatte. Der große, bärtige Nord ließ ihn fallen und griente sie an. „Hab‘ – Ich – Dich!“, wiederholte er. Vesana gefror das Blut in den Adern und sie merkte, wie sich ihre Pupillen vor Schreck und Wut über sich selbst weiteten. Wie ein Kind, das beim Stehlen eines Apfels erwischt worden war, so fühlte sie sich. Die zwei anderen Räuber blieben stehen und gaben ein einstimmiges „Piep, piep, kleines Mäuschen!“ von sich. Mit hintereinander in größerem Abstand gesetzten Füßen und dem erhobenen Schwert blieb die Jägerin wie angewurzelt stehen. Ihre Augen behielten die drei Männer genau im Blick, während ihr ein mögliches Kampfszenario nach dem anderen durch den Kopf schoss. Und was bei allen Göttern war nur los mit ihr, dass sie überhaupt in so eine Situation geraten konnte? Wie war es möglich, dass sie als geschulte Jägerin in so eine simple Falle getappt war?
    Mit einem leisen, scharfen Schleifgeräusch zog der Anführer sein Schwert aus der Scheide. Eine gebogene Klinge mit schwerer, breiter Spitze. „Überlasst mir den Spaß“, forderte er von seinen zwei Kumpanen, die sich kurz darauf auf einen umgestürzten Baumstamm setzten und gespannt zuschauten. „Sieh‘ mal einer an, was uns der Wind zugetrieben hat: Ein kleines Kätzchen.“ Die anderen zwei begannen aufgeregt zu gackern und zu kichern. „Kätzchen“, äfften sie ihn nach.
    Inzwischen würde sie den Anführer nach zwei großen Ausfallschritten erreichen können, so nah war er bereits heran. Er fischte sich eine dicke Strähne, seines langen, fettigen Haares aus dem Gesicht und warf sie nach hinten über die Schulter. Ob es braun war, oder es der Dreck so färbte, ließ sich nicht unterscheiden. Der wilde Bart umrahmte die spröden, wulstigen Lippen und den dunklen Augen haftete etwas Wahnsinniges an. „Erst werde ich Dich abstechen“, begann er zu beschreiben als sie dazu übergingen sich gegenseitig zu umkreisen. „Dann werde ich Dich benutzen“, setzte er fort und leckte sich die Lippen. Das leicht gekrümmte Schwert hob er nun ebenfalls vor die Brust auf sie zeigend. „Und dann werd‘ ich Dich als Trophäe bei uns aufhängen.“ Mit diesen Worten und einem folgenden, wilden Kampfschrei ging er auf sie los.
    Gerade rechtzeitig duckte sich die Jägerin zur Seite weg, rollte durch die Asche ab und kam wieder auf die Füße, das Schwert nun hoch hinter den Kopf erhoben, als wolle sie es wie einen Stein werfen und in der linken den Dolch vom Gürtel am Arm entlang geführt, abwehrend vor sich gehoben. „Flinkes Kätzchen“, amüsierten sich die zwei anderen Plünderer.
    „Schnauze!“, brüllte ihr Anführer und sie verstummten. Kaum hatte er das gesagt, schlug er schon wieder nach ihr. Vesa lenkte den Hieb mit dem Schwert an sich vorbei, während sie einen Schritt zu Seite setzte. Gleich darauf nahm sie die Pose von zuvor ein. Jede Faser ihres Körpers ächzte vor Anspannung, die Atmung schnitt in der Luftröhre und das Herz krampfte. Nach außen behielt sie Ruhe, doch nach innen tobte sie. Sie war auf diesen Kampf nicht vorbereitet gewesen. Nichts hatte darauf hingedeutet, dass er kommen würde. Sie war zu leichtsinnig gewesen, fühlte sich zu schnell sicher. Das durfte ihr nicht noch einmal passieren – nicht in dieser lebensfeindlichen Umgebung. Sofern sie denn lebend aus der Sache herauskam.
    Es folgte eine ganze Reihe von erstaunlich schnellen Hieben hintereinander, die jeder einzelne dennoch von außerordentlicher Kraft gekennzeichnet waren. Vesana lenkte sie ab, oder blockte direkt, wobei letzteres stärker an ihren Kräften zehrte und den Arm schmerzen ließ. Kurz andauernde Taubheits- und Lähmungserscheinungen traten dann auf und sie brauchte einen Moment, bis sie ihren Arm wieder richtig heben konnte. Unter dem letzten Schlag duckte sich die Kaiserliche abermals weg, rollte ab und hieb nach dem linken Bein des Nords mit ihrem Dolch. Die Spitze kratzte über das schützende Metall und schnitt daran vorbei nur durch das Hosenbein.
    Wieder standen sich die Kontrahenten gegenüber und schauten einander an. Der Plünderer spie vor ihr auf den Boden aus. „Flinkes Kätzchen, in der Tat“, wiederholte er die Worte seiner Kumpane. „Nützt Dir nur nichts!“ Erneut holte er nach ihr aus, klirrend prallten die Klingen aufeinander. Sie verkeilten sich an den Parierstangen. Während Vesa blind mit dem Dolch nach seiner Brust stach und hoffte, eine Lücke in der Panzerung zu treffen, holte der Nord mit dem Kopf aus und schlug ihn über die gekreuzten Schwerter hinweg gegen den ihren. Die Kämpfer taumelten auseinander. Der Jägerin tropfte augenblicklich Blut aus der linken Augenbraue auf die Wange, den PLünderer überkam ein böses Grinsen.
    Jetzt erst, schien sie ihre Kampfkraft zurückzugewinnen. Adrenalin pumpte ihr durch die Adern, gab ihr Kraft, vertrieb den Anflug von Benommenheit als Folge des Schlages gegen ihr Haupt und schärfte die Reflexe. Nur durch diesen direkten Treffer überwand sie in diesem Moment die Schockstarre und gewann ihre Kampfeskraft zurück. Aus dem Fluchtreflex wurde ein Kampfreflex. Das Rauschen in den Ohren drängte sie in den Hintergrund zurück und die Taubheit in ihrem Arm kämpfte sie nieder. Die körperliche Berührung vertrieb die Lähmung ihrer Sinne. Wach und bereit fixierten ihre Augen das Ziel. Sein schweres Atmen, der Schweiß auf seiner Stirn, das Nachgreifen der Schwerthand um den Griff der Waffe, das Zucken der Muskeln in der linken Wange und im Augenwinkel und das Mahlen seiner Kiefer – einfach alles an ihm schien Vesana nun in großer Detailtiefe wahrzunehmen. Sie konnte seine Anspannen und seinen Ärger fast schon riechen. Die neuen, intensiven Eindrücke aufsaugend, gewann sie dadurch neue Zuversicht. Diesmal ließ sie sich jedoch nicht davon in ein übermäßiges Sicherheitsgefühl wiegen, noch blieb das Ergebnis der Konfrontation offen.
    Mit einem wölfischen, spitzen Lächeln auf den schmalen Lippen hob die Kaiserliche ihr Schwert und hielt den Dolch locker vor sich. Die Blutung über dem linken Auge kümmerte sie nicht, es würde schnell verheilen. Als der Nord auf sie zukam, setzte sie mit einer schnellen Sprungrolle direkt neben ihm auf, rollte sich ab und drehte sich noch im Aufstehen um die eigene Achse. Ihren Hieb zog sie ihm von hinten durch beide Kniekehlen, woraufhin der Räuber schreiend und kreischend in einer großen Aschewolke zu Boden stürzte. Seine Waffe entglitt ihm. Ihre eigene nun schräg nach unten hinter sich haltend, beobachtete die Kaiserliche wie sich der Nord am Boden wälzte und in Asche hüllte. Die Wunden in den Knien bluteten stark, färbten die grauen Flocken tief schwarz und ließen sie an den Wundrändern zu dicken Wülsten verklumpen. Der Plünderer versuchte wegzukriechen, konnte sich aber nur ziehen, weil ihr Schlag Sehnen durchtrennt hatte und tief in die Gelenke eingedrungen war. Die Arme fanden auf dem lockeren Untergrund keinen Halt. Zufrieden konnte nun Vesa grinsen.
    Mit diesem Gesichtsausdruck wandte sie sich den geschockten Kameraden des am Boden liegenden Nords zu. „Der Nächste?“, fragte sie und entblößte die hellen, sauberen Zähne. Die Zunge bleckte kurz über die Eckzähne. Die zwei Männer schauten einander an, sprangen anschließend auf und rannten so schnell sie ihre Füße trugen vor der Kaiserlichen davon. Kurz überlegte Vesana, ob sie jedem von ihnen einen Bolzen in den Rücken jagen sollte, doch entschied sie sich schließlich dagegen. Diese Irren würden nicht noch einmal wiederkommen.
    Das Schwert, von dessen Spitze inzwischen die letzten Blutstropfen abgeperlt waren, schob sie zurück in die Scheide auf dem Rücken, den Dolch verstaute sie am Gürtel. Vom Gepäck nahm sie trotz ihrer Entscheidung zuvor die Armbrust und legte einen Bolzen auf, ohne die Waffe jedoch zu spannen. Sie folgte dem einige Schritte weit gekrochenen Anführer der Gruppe. Eine dunkle Spur zog sich hinter ihm her. Das Schreien und Stöhnen war zu einem Wimmern verstummt. Neben ihm angekommen, trat ihm Vesa gegen die Schulter und drehte ihn so auf den Rücken. Haare, Bart und Gesicht hüllten sich in Grau, seine Rüstung ebenso. Völlig verstaubt hustete er. Nach Abklingen des Anfalls richteten sich seine angsterfüllten, panischen und doch hassenden Augen auf sie. Sie glommen rot von der Überreizung durch die Asche. Ihre Armbrust zeigte auf ihn.
    „Ich werde es Euch nicht gönnen, schnell zu sterben“, begann sie langsam zu sprechen. Sie spannte die Armbrust. „Doch habe ich nicht den ganzen Tag Zeit darauf zu warten, dass Ihr verblutet.“ Mit einem Klicken löste sie den Mechanismus aus. Für den Bruchteil der Dauer eines Lidschlags surrte das Geschoss durch die Luft, dann durchschlug es schräg an der Wirbelsäule vorbei oberhalb des Brustbeines Luft- und Speiseröhre. Sofort quoll dem Mann dunkles Blut aus Mund und Nase. Die linke Hand des Nords, die gerade nach dem Dolch an seinem Gürtel greifen wollte, und die rechte langten nach dem Holzschaft in seinem Hals. Die Augen lösen sich von der Jägerin und wanderten zum Himmel. Zuckungen durchfuhren den massigen Leib, während er gurgelnd unaufhörlich Blut spuckte.
    Vesana überlies den sterbenden Räuber sich selbst, brachte die Armbrust zurück zum Tornister und begann damit, sich die Asche vom Leib zu klopfen, so gut es ging. Das geronnene Blut in ihrer linken Gesichtshälfte kratzte sie weg, neues quoll nicht mehr aus der kleinen Wunde hervor. Schließlich schulterte sie ihr Gepäck und ging noch einmal auf den Sterbenden zu.
    Das Gurgeln und Glucksen ließ sich kaum noch wahrnehmen, die Zuckungen des Körpers klangen ab. Der Brustkorb hob und senkte sich nur noch minimal. Es würde nicht mehr lange dauern und der Nord hätte sein Leben vollends ausgehaucht. Zu kraftlos, sich noch in irgendeiner Weise zu wehren, sah sich Vesana nun auch in der Lage, ihn kurz zu durchsuchen. Mehr als ein kaum gefülltes Münzsäckel und den Dolch am Gürtel trug er nicht am Leib. Die Waffe ließ sie, wo sie war, steckte sich das Gold ein, holte von einem leisen Schmatzen begleitet ihren Bolzen zurück, nahm ihm nur noch die Halterung für sein Schwert ab und überlies den Mann sich selbst. Zuletzt fischte sie noch sein höchst interessantes Schwert aus der Asche und begab sich im Anschluss in der hereinbrechenden Nacht zur Hütte.
    Das Dach lag halb eingefallen im hinteren Teil auf dem Boden, aber wenigstens konnte sie sich im vorderen Teil an einem Tisch und einigen Bettenlagern aus Stroh niederlassen. Die Tür ließ sich von innen mit einem Balken verriegeln, was die Jägerin dann auch direkt tat. Den Tornister lehnte sie gegen einen der Stühle und setzte sich mit einem erleichtert-erschöpften Seufzen auf einen anderen. Die Überraschung des ersten Tages forderte nun ihren Tribut, aber immerhin war sie ohne Schäden davongekommen. Glück gehabt. Kurz legte sie den Kopf in den Nacken, schloss die Augen und atmete tief durch. Dann widmete sie sich den Schlusshandlungen des ersten Tages.
    Vesa reinigte die geschwungene, mit Gravuren verzierte Klinge des Nords und drehte sie in den Händen. Die Schneide setzte schmal am leicht gekrümmten, lederummantelten Heft an, verlief am Rücken relativ gerade und ging auf der Seite der Schneide mit einem Widerhaken in die breite, zum Waffenrücken hin gekrümmte Spitze über. Der relativ schwere Vorderteil verlieh der Waffe in gewisser Weise Eigenschaften einer Axt, nahm der Klinge aber keinesfalls ihre Dynamik als Schwert.
    Die Kaiserliche stand auf und vollführte einige Schläge ins Leere. Surrend schnitt die Klinge durch die Luft. Ja, diese Waffe gefiel ihr. Es würde zwar noch etwas Übung brauchen, bis sie mit ihr richtig umgehen konnte, doch sie zeigte sich zuversichtlich, dass es nicht allzu lange dauern würde. Zum Schluss drehte sie das Schwert noch so, dass es andersherum an ihrem Arm entlangführte und sich beinahe um sie herum bog. Dann mit einer schnellen Drehung schnappte sie die eher offen gehaltene Scheide vom Tisch und drehte die Klinge wieder so, dass sie von Vesana weg wies. Ein kurzer Handgriff und sie steckte in ihrer Halterung.
    Zufrieden ließ sich die Jägerin zur Ruhe sinken, putzte und stärkte sich noch, und legte sich alsbald auf eine der Nachtstätten, ohne sich noch groß einiger Kleidung zu entledigen. Die nächsten Tage würden nicht weniger anstrengend werden, als der nun allmählich vergehende. Sie brauchte Ruhe und Kraft, um ihren straffen Zeitplan einhalten zu können. Die schlanken Finger der linken Hand schlossen sich um das filigrane Hirschkopfamulet aus Silber um ihren Hals, das sie unter ihrer Jacke versteckt trug. Auf der Seite liegend und zusammengerollt wie ein Kind im Mutterleib zog sie sich noch die Decke bis über die Schulter und schlief bald darauf ein.



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    Geändert von Bahaar (03.05.2013 um 18:01 Uhr)

  4. #4

    Solstheim, südwestliches Inland

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    Am nächsten Tag machte Vesana im sprichwörtlichen Sinne Meter. Sie kam gut voran. Nachdem sie noch einigen Proviant der Plünderer eingepackt und sich ihr Gold in den eigenen Geldbeutel gesteckt hatte, war sie am frühen Morgen aufgebrochen und legte Meile um Meile zurück. Inzwischen durchbrauch auch öfter einmal Leben die graue Aschedecke. Fichten und Tannen ragten zwischen verkohlten und abgebrochenen Artgenossen in den Himmel, hüllten sich aber dennoch in ein farbloses Trauergewand. Tiere sah die Jägerin mit Ausnahme der immer wieder aus ihren Verstecken davonspringenden Aschehüpfern keine. Zeichen von ehemaliger Besiedlung schienen in diesen Gebieten, wenn sie jemals existiert hatten, völlig verschwunden zu sein.
    Sie begnügte sich damit, ein wachsames Auge auf ihre Umgebung zu haben, damit etwas wie am Abend zuvor nicht noch einmal passierte. Mittlerweile glaubte sie aber auch geistig vollends auf der Insel angekommen zu sein, so dass sie sich in jedem Fall auf alles kommende vorbereitet fühlte. Ihre starken Zweifel über den Erfolg ihrer Expedition, die sie zu Beginn in Himmelsrand und auf der Überfahrt nach Rabenfels noch geplagt hatten, verschwanden allmählich. Zwar drifteten ihre Gedanken nach wie vor phasenweise unkontrolliert zu allen, die sie zurücklassen musste, aber der Abstand ließ es sie leichter ertragen. Auch das ihr entgegengebrachte Verständnis für die Notwendigkeit ihres Ausflugs seitens ihrer Freunde im Zirkel der Gefährten half. Und obwohl es sie nicht vergessen machte, so nahm es ihr doch eine Last von den Schultern, die viel schwerer wog, als das Gepäck. Das Versprechen der Wiederkehr würde sie ohnehin halten.
    Sich straffend und die Gedanken mit einem Schütteln des Kopfes verwerfend, richtete sie den Blick wieder gerade aus. Dabei entdeckte sie etwas, das ihr Interesse weckte. Die Kaiserliche änderte ihre Laufrichtung und stapfte auf einen umgestürzten Baum zu. Über ihm lagen die in Leder gehüllten Beine eines Mannes, der Oberkörper fand sich rücklings direkt dahinter. Übel zugerichtet von Kopf bis Fuß erkannte ihn Vesa schnell als einen der beiden verbliebenen Plünderer vom vergangenen Abend. Der zweite lehnte unweit entfernt ähnlich malträtiert an einem Baum. Tiefe, unregelmäßig ausgefranste und an den Rändern verkohlte Schnittwunden zierten ihre Leiber. Die zahlreichen Bissspuren und herausgerissenen Fleischbrocken zeugten von ihren Schändern nach dem Tod, dessen süßsaurer Duft allgegenwärtig zu sein schien. Ein selbstgefälliges, zufriedenes Schmunzeln umspielte ihre Lippen, während sie gleichzeitig die Nase rümpfte – glücklicherweise war ihr Geruchssinn vom beißenden Rauch in der Luft bereits abgestumpft, so dass es sich leichter ertragen ließ. Sie wusste doch, dass die beiden nicht zurückkommen und nur noch für kurze Zeit in der Wildnis überleben würden. Gleichzeitig fühlte sich Vesana aber auch darin bestärkt zu keinem Zeitpunkt unter freiem Himmel übernachten zu wollen.
    Sie hockte sich neben den am Baum lehnenden Nord. Seine linke Gesichtshälfte war aufgerissen und an der Braue bis auf den Schädel abgenagt. „Geschieht euch beiden schon ganz recht“, flüsterte sie. „Kein anderes Ende wäre euch würdig gewesen.“ Mit den freien Fingerkuppen strich sie einige der tiefen, breiten Schnitte an seinem Oberkörper entlang. Sie kannte keine Waffen, die derartiges Werk vollbrachten und tierische Krallenspuren sahen in der Regel anders aus, andererseits kannte sie sich auch nicht in der Aschewüste aus und hatte seit ihrer Ankunft auf der Insel schon so manche Kuriosität entdeckt. Einige Krümel des verkohlten Fleisches zwischen den Fingern zerreibend, kam sie aus der Hocke hoch. Fakt war jedenfalls, dass sie den Tätern nur ungern begegnen wollte.
    Als sich die Jägerin abwandte, trat sie dem elendig gestorbenen Nord mit der Stiefelspitze gegen die Schulter und ließ ihn Gesicht voran in die Asche fallen. „Mögen eure Götter euch beide auf ewig verdammen.“ Mit diesen Worten setzte sie ihre Reise fort. Die Plünderer verdienten weder die Gnade der Götter, noch die ihre. Sollten sie verrotten und dem nächsten Aasfresser als Futter dienen.
    Sie nutzte die Zeit unterwegs hin und wieder für einige Schwungübungen mit dem neuerworbenen Schwert. Nichts weiter anstrengendes, aber sie wollte ein besseres Gefühl für die Klinge bekommen. Noch immer fand sie dessen Eigenschaften interessant. Die schwere Spitze ermöglichte es, mit weniger eigener Kraft heftige Schläge auszuteilen. Gleichzeitig kostete es ungleich mehr Energie, die Waffe erst einmal hoch über den Kopf zu bekommen, so wie sie es bislang gewohnt war, weil der vordere Teil stärker nach unten zog und die Balance der Klinge vom Heft weiter nach vorn verschob. Dennoch wog das Schwert insgesamt in etwa genauso viel, wie ihr bisheriges. Ihr gefiel es. Durch das Übergewicht zur Spitze hin musste sie längere Schwünge führen. Wenn sie schnelle Schläge hintereinander folgen lassen wollte, musste sie gleichzeitig selbst dynamischer sein und stärker mit der Waffe gehen. Da sie das jedoch bereits tat, würde sie diesbezüglich keinerlei Schwierigkeiten haben. Das einzige, an das sie sich wohl erst noch gewöhnen musste, war die Tatsache, dass sie für minimalen Kraftaufwand ihre Schläge mit dieser Waffe möglichst von unten, oder zumindest immer auf Körperhöhe, beginnen musste und nicht mehr von oben über dem Kopf, wie bisher.
    Nachdem sie den Gleichgewichtspunkt des gekrümmten Schwertes mit dem Widerhaken etwas über eine Handlänge vor der Parierstange an der Klinge gefunden hatte, verstaute sie diese schließlich wieder an der Seite ihres Felleisens. Bald darauf brauchte sie auch wieder beide Hände. Ein steiler Abhang, überzogen von Baumstämmen, Geröll und – wenig überraschend – Asche. Ein schmaler Pfad wand sich diese Bergflanke entlang hinauf zu einer höher gelegenen Ebene, wie es schien. Mit den Händen zusätzlichen Halt suchend, arbeitete sich Vesana schrittweise hinauf. Einige schief stehende Fichten bogen sich über die Kante am oberen Ende. Eine Windböe rüttelte an ihren Ästen und Zweigen, die darauf liegende Asche löste sich und trieb der Kaiserlichen entgegen, als sie sich gerade auf halber Höhe befand. Im letzten Moment wandte sie den Kopf ab und hielt sich die Hand vor die Augen.
    „Verfluchte Asche!“ Entnervt stöhnte sie, als der Strom der grauen Flocken nachließ und sie wieder vorankam. „Zum Kotzen.“ Oben auf einer nur seicht ansteigenden Ebene angekommen, fand sie sich nun im ersten richtigen Wald wieder. Die Zahl der lebenden Pflanzen überstieg die der toten. Ein erfrischender Anblick, der verriet, dass die Jägerin ihrem Ziel näher kam. Zwar würde es trotz aller Fortschritte am heutigen Tag noch drei bis vier weitere brauchen, aber wenigstens ließ sie bald die Wüste hinter sich. Ein Gedanke, der ihr Kraft gab.
    Dennoch würde Vesana ihre Wanderung in Kürze beenden müssen. Die Sonne hatte ihren Zenit längst überschritten und neigte sich dem Horizont zu. Wollte sie noch ausreichend Zeit haben, um eine Bleibe für die Nacht zu finden oder herzurichten, musste sie bald mit der Suche beginnen. In einem besonders felsigen Gebiet tat die Jägerin dann auch eben das. Ihren Tornister an einen markanten Stein lehnend, nutzte sie die gewonnene Leichtfüßigkeit und kletterte über einen umgestürzten Baum auf einen besonders hohen Felsbrocken. Von dort aus verschaffte sie sich einen kurzen Überblick. Mit geübten Augen suchte sie nach Vorsprüngen oder Hohlräumen unter Steinen oder gefallenen Bäumen. Auf eine weitere Hütte zu hoffen, das hatte ihr der letzte Abend ausgetrieben.
    Eine vielversprechende Kombination aus totem Holz und einigen Brocken entdeckte sie unweit von sich entfernt. Mit schnellen, präzise gesetzten Schritten kehrte Vesa zu ihrem Gepäck zurück und begab sich zu der erspähten Stelle. Zwischen den Stämmen und Felsen formte sich eine kleine Kammer, die nur bei näherem Hinsehen wirklich zu bemerken war. Ideal, wie sie fand. Bis zur beginnenden Dunkelheit verbrachte sie ihre Zeit damit das Lager herzurichten. Asche musste herausgeschaufelt werden, die größten Lücken zwischen den Stämmen dichtete Vesana noch mit einigen Zweigen anderer Bäume ab und bedeckte sie mit dem aus dem Innenraum gewonnenen grauen Mehl. Zum Schluss rollte sie ihre Schlafunterlege aus, kroch hinein und versperrte mit dem Tornister den Eingang. Es gab gerade genug Platz, dass sich die Jägerin drehen und etwas hochbeugen konnte.
    Die vorherige Nacht war bereits recht kühl gewesen, nun noch weiter oben und wesentlich schlechter geschützt, würde es wohl recht kalt werden. Sie stellte sich darauf ein und deckte sich zu. Mit dem Verschwinden des letzten Lichts stieg dann auch ein wenig Nervosität in ihr auf. Es sollte sich bald zeigen, ob ihre Wahl der Unterkunft gut und ihre Anpassungen an dieser ausreichend waren.
    Als die ersten tierischen Geräusche und furchtgebietendes Schnaufen von draußen erklangen, legte die Jägerin eine Hand um den Griff ihres Dolches. Gleichzeitig zog sie die Decke gegen die hereinziehende Kälte weiter hoch, bedeckte teilweise den Kopf und das Gesicht. Letzteres rieb sie tiefer in das weiche Fell ihrer Unterlage und schützte es zusätzlich mit der freien Hand. Durch die angezogenen Beine machte sie sich möglichst klein. So zusammengerollt schloss die Kaiserliche schließlich die Augen und versuchte über die Geräusche von außerhalb hinweg trotzdem etwas Schlaf zu finden. Unruhig, angespannt und die Sinne auf Alarmbereitschaft geschaltet, wollte es ihr jedoch nicht gleich gelingen.
    Dennoch machte sie sich bald keine größeren Sorgen mehr. Die Geräusche von zuvor verstummten allmählich oder drangen jetzt von weiter entfernt zu ihr. Mittlerweile schien es auch relativ eindeutig zu sein, dass es sich bei den Verursachern um keine ihr bekannten Tiere handelte. Eher glaubte sie, es mit Aschenbrut zu tun zu haben, wenngleich es sich dabei mehr nur um ein Bauchgefühl handelte. Letztlich trieb die Müdigkeit Vesana in die Arme des traumlosen, kaum erfrischenden Schlafes.



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    Geändert von Bahaar (10.05.2013 um 20:00 Uhr)

  5. #5

    Solstheim, südwestliches Inland, Inselmitte

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    Vesana wanderte schon seit den frühen Morgenstunden. Über Nacht hatte der Wind gedreht und trug eiskalte, klare Luft aus dem hohen Norden herab, die es schwieriger machten, Schlaf zu finden. Die dicke Kapuze über den Kopf geworfen, hatte sie auch die Jacke weiter zugezogen und schaute gerade noch so mit Nasenrücken und Augen unter dem Leder, Stoff und Fell hervor. Die Kälte ließ sie in der Nacht nicht mehr schlafen und so war die Entscheidung zum Aufbruch nicht allzu schwer gefallen. Abgesehen davon konnte sie ohnehin nicht gut schlafen, Traumlosigkeit und Unruhe plagten sie – nicht, dass das etwas Neues war, aber es blieb wie immer wenig erholend.
    Andererseits kam es der Jägerin gar nicht ungelegen, früher ihre Wanderung fortzusetzen. So konnte sie insgesamt eine größere Strecke zurücklegen und vielleicht sogar einen kleinen Vorsprung gegenüber ihrem Zeitplan herauslaufen. Es würde sich zeigen. Bislang schien jedoch das Wetter nur bedingt ihrem Willen zu folgen. Starke Böen bliesen von den Hängen der Berge in die zentral gelegenen Wälder und trugen Schnee und Asche gleichermaßen mit sich. Vesa musste sich gegen diesen immer wieder auffrischenden Wind lehnen und kam nur mühsam voran.
    Abgesehen davon verlief ihre Wanderung jedoch ereignislos. Die Wälder wurden dichter, die Aschedecke dünner, das Laufen zumindest von unten her angenehmer. Größere Tiere sah sie noch immer keine und auch die Zahl der Aschehüpfer schien sich zu reduzieren. Dafür durchbrachen nun immer öfter Gras und Büche ihr graues Leichentuch. Gleichzeitig sank die Temperatur weiter. Die Fingerstücke, die ihre Handschuhe zu Fäustlingen werden ließen, hatte die Kaiserliche längst umgeklappt.
    Bis zum Nachmittag besserte sich das Wetter kaum. Dennoch kam Vesana besser voran, als sie zu Beginn ihres Marsches vermutet hatte. Immerhin befand sie sich zu diesem Zeitpunkt bereits an der Schneegrenze in der Inselmitte. Das Grau wandelte sich zusehends zum Weiß, das Mehl wich knirschendem, festem Schnee. Bis über die Knöchel lagen die Flocken. Ein erfrischender Anblick und eine Erleichterung noch dazu. Ohne das lästige Rutschen ging es trotz Wind zügiger voran. Gegen Abend sah sie dann auch den ersten Hirsch, ein Zeichen von Leben, auf das sie zuvor noch vergebens gehofft hatte. Allerdings trübte die Suche nach einer möglichen Bleibe die kurze Freude über den Anblick des Tieres. Sie fand nämlich keine.
    Der an Intensität gewinnende Schneesturm verbesserte die Stimmung nicht gerade. Nach einer vergebens geführten Suche entschied sich Vesana dazu, die Wanderung fortzusetzen. Es konnte entweder ihr Todesurteil sein, oder aber sie davor bewahren. Den Pass, über den sie gehen musste, hatte sie zuvor noch ausgemacht, als es hell war, jetzt hielt sie einfach nur noch in diese Richtung. Bei derartigem Wetter konnte es klüger sein, in Bewegung zu bleiben. Dieser Schneesturm mochte wer wusste schon wie lange anhalten, grub sie sich eine Mulde oder Höhle, könnte es sie tagelang einschneien und wenn sie nicht erfror, verhungerte oder verdurstete sie während sie wartete. Das Risiko war zu groß.
    Von oben glaubte die Kaiserliche einige Mannshöhen unter sich Ruinen und die Reste einer alten Festung zu erkennen, die sich an die Felswand schmiegte, oder gar in ihr verschwand. Da sie sich aber gerade auf einem Pfad in einer schmalen Felswand befand, auf dem es nur geradeaus weiter oder wieder zurück ging, entschied sie sich dagegen umzukehren, und setzte ihre Wanderung fort. Sie wusste anhand ihrer Karten, dass es auf der anderen Seite des Passes ein Hochplateau mit einem See gab. Von diesem aus würde es dann gerade so noch einen Tagesmarsch bis zum Skaal-Dorf etwas unterhalb des Plateaus in den zum Meer hin steil abfallenden Felswänden sein. Zwar glaubte sie nicht, dass sie diese Nacht noch bis zur Hochebene kommen würde, aber ihrem derzeitigen Pfad nach zu urteilen, befand sie sich auf einem guten Weg dorthin. Genauer sollte es sich wohl aber erst am nächsten Morgen oder nach Abklingen des Sturms offenbaren. Vesa hoffte einfach auf und bat auch regelmäßig um die Gunst des Herrn der Jagd.

    Völlig ausgelaugt kam sie in den frühen Morgenstunden oben am Pass an. Der Sturm ließ allmählich etwas nach und sie sank erschöpft und schwer atmend mit trägen Gliedern im Windschatten eines Felsabbruchs nieder. Den Tornister lehnte sie neben sich an den Stein. Müde schaute Vesana nach Osten, wo sich die Morgenröte abzeichnete und die Sonne bald über die Horizontlinie klettern würde. Zwar sollte das Tagesgestirn durch die Wolken nicht zu sehen sein, aber immerhin einige seiner Strahlen brachen alsbald durch. Wären die Wolken nicht gewesen, es hätte wohl ein atemberaubender Anblick sein können.
    Bevor ihr wieder richtig kalt wurde und nach einer kräftigen, morgendlichen Mahlzeit stemmte sich die Kaiserliche in die Höhe und begann mit ihrem kürzeren Abstieg auf der anderen Seite des Bergpasses. Es wurde ein beschwerlicher Weg nach unten. Der Wind blies ihr direkt ins Gesicht, sie fand wenig Halt – einen richtigen Pfad gab es nicht – und ihre erschöpften Gliedmaße versteiften sich nur allzu oft. Holprig schaffte sie es bis in die Wälder des Plateaus, zum Glück jedoch ohne zu stürzen. Im Schutze der hohen Fichten und Tannen schwächte sich allerdings auch der Sturm ab und Vesa konnte aufatmen. Der anstrengendste Teil der Reise zum Skaal-Dorf lag jetzt hinter ihr.
    Sich neu orientierend brach sie nach Norden auf. Ein Bär in weiter Entfernung schaute kurz zu ihr herüber. Sie blickte ihn an, dann widmete er sich wieder einem erlegten Hirsch. Eine Bedrohung würde von ihm nicht ausgehen, solange sie auf Abstand blieb. Eine Gruppe Rehe sprang wenig später aus einigen dichten Büschen hervor und rannte vor der Jägerin davon. Das Leben schien sich nicht vom dichten Schneetreiben beirren zu lassen. Ein schöner Gedanke, wie sie fand. Es machte Mut und zeugte von der Kraft der Natur auf der Insel. Würdige Jagdgründe, befand sie. Wenn alles gut verlief, wäre Vesa zum frühen Nachmittag bereits am See und konnte sich ab dann Zeit lassen. Obwohl die durchzechte Nacht ihre Spuren an ihr hinterlassen hatte, so behielt sie dennoch einige positive Aspekte. Die Kaiserliche lag nun weit vor ihrem Zeitplan.
    Allerdings endete ihre Glückssträhne auch in dem Moment, in dem ihr dieser Gedanke kam. Hinter sich hörte sie tierisches, aggressives Schnaufen, Grunzen und animalisches Kreischen. Dann folgte Trampeln und bevor sie sich überhaupt umzudrehen vermochte, schlug ihr etwas die Beine weg. Von der Wucht des Aufpralls wirbelte sie durch die Luft und schlug unweit entfernt hart auf dem kalten, gefrorenen Boden auf. Von ihrem linken Bein breiteten sich heiße Wogen des Schmerzes aus, es ließ sich nur in der Hüfte unter großer Pein bewegen.
    Stöhnend streifte Vesana ihr Gepäck von den Schultern und nahm sich die Armbrust noch bevor sie überhaupt eine Ahnung davon hatte, was sie da gerade überhaupt erwischt hatte. Der Puls hoch, die Atmung schnell, Stress ergriff Besitz von ihr. Einen Bolzen auflegend drehte sie sich auf den Rücken und versuche einen Überblick zu gewinnen. Die Augen brauchten durch die Überraschung einen Moment, bevor sie richtig scharf stellten. Wenige Schritte von ihr weg wendete gerade eine kleine, blaue Gnomengestalt ihr übergroßes Wildschwein. Dampfwolken schossen aus dessen Nase an der Spitze der mit großen Hauern versehenen Schnauze. Hastig kroch Vesa vor der bedrohlichen Erscheinung zurück und gewann genug Gefühl in ihrem Bein zurück, um sich an einem Baum hochzuziehen. Die Waffe legte sie auf den Gnom – oder was auch immer es sein mochte – an. Nur mit Stiefeln, einer Fellweste und -mütze bekleidet und einem kurzen Speer bewaffnet, schaute er sie böse an. Das Wildschwein blickte nicht weniger finster drein. Viel Zeit zum Überlegen, was sie tun konnte, blieb der Kaiserlichen nicht, denn der Angreifer nahm bereits neuen Anlauf. Dann brach das Tier los und rannte in vollem Galopp mit seinem Reiter auf sie zu.
    Vesana holte tief Luft, legte an und löste den Mechanismus aus. Surrend schoss der Bolzen davon und traf den Gnom mitten in die Brust. Die Wucht riss ihn vom Rücken seines pelzigen Schweins, doch ließ sich dieses nicht beirren und rannte weiter. Im letzten Moment wich sie mit einem Sprung über das unverletzte Bein zur Seite aus. Das Tier krachte quiekend und kreischend gegen den Baum, während die Jägerin versuchte möglichst schnell zurück auf die Füße zu kommen. Ihr steifes Bein behinderte sie allerdings erheblich dabei. Das Schwein taumelte rückwärts und schüttelte benommen den Kopf. Vesa legte einen neuen Bolzen nach, als es hinter ihr knirschte und raschelte.
    Ruckartig wirbelte sie herum, die Armbrust hob sie in den Anschlag. Gerade rechtzeitig, drehte sie sich, um einen weiteren Gnom – diesmal einer zu Fuß – auf Distanz zu halten. Von hinten wollte er sie mit einem Speer bewaffnet anspringen, jetzt aber war er gezwungen auf Abstand zu bleiben, wollte er ihre Waffe und die sie möglicherweise auslösende Hand im Blick behalten. Dieses … Vieh starrte Vesana aus bösen Augen heraus an. Es zog die Mundwinkel nach unten und so die tiefblauen Lippen auseinander. Dabei entblößte es seine spitzen Zähne. Den Rücken der schmalen Nase legte es in Falten und kniff die Augen weiter zusammen. Den Speer hielt es drohend auf die Kaiserliche gerichtet, der es gerade so bis zum Bauchnabel reichte.
    Vesa war angespannt. Die Muskeln im Gesicht arbeiteten, das Herz pumpte schwer, die Atmung ging schnell. Leichtes Zittern erfasste sie und sie spürte Unruhe in sich aufsteigen. Hinter ihr raffte sich allmählich das Wildschwein nach seinem Zusammenstoß mit dem Baum zusammen und die Jägerin musste schnell etwas unternehmen, wenn sie nicht ein weiteres Mal überrannt werden wollte. Ihre Augen suchten nach Möglichkeiten für ein Ausweichen, möglicherweise auch einer Flucht. Vorsichtig testete sie ihr verwundetes Bein. Es schien nicht gebrochen zu sein, lediglich traumatisiert von dem heftigen Schlag durch das Borstenvieh. Sie würde es zwar noch nicht voll belasten können, aber immerhin war es einsetzbar.
    Die Kaiserliche setzte einen schnellen Schritt nach vorn, direkt auf den blauen Gnom zu. Mit dem Kolben der Armbrust schlug sie den Speer, der auf sie zeigte, zur Seite, trat ihrem Widersache mit dem anderen Bein vor die Brust und ließ ihn zwei kleine Schritte zurücktaumeln. In dieser Zeit spannte sie den Mechanismus der Schusswaffe und jagte ihm einen Bolzen in die Brust, als er sich wieder gefangen hatte. Gequält stöhnend und mit Blut aus dem Mund quellend, brach er zusammen. Vesana warf die Waffe zu ihrem Gepäck und zog das Stahlschwert aus der Scheide auf ihrem Rücken, als sie sich dem Wildschwein zuwandte. Gerade rechtzeitig, wie sie feststellte, denn inzwischen hatte es sich wieder auf sie ausgerichtet.
    Es stampfte auf den Boden und sprintete los. Geistesgegenwärtig warf sich die Jägerin zur Seite und schlug noch im Liegen nach dem Tier. Sie merkte einen Widerstand, dann brach das Schwein rauschend, quiekend und schmerzerfüllt schreiend zusammen. Vesa kam auf die Füße zurück und hielt die blutverschmierte Klinge vor sich. Sie hatte eines der vorderen Beine erwischt und die Hufe ab dem Knöchel abgeschlagen. Das Wildschwein wälzte sich über den Boden, kreischte und schrie vor Schmerz. Es stellte in diesem Zustand keine Bedrohung mehr dar. Sie atmete erleichtert auf und versuchte bewusst die Atmung zu verlangsamen, um ruhiger zu werden.
    Nachdem sie ihre Waffe an der Kleidung des näheren der toten Gnome gesäubert und verstaut hatte, humpelte Vesana zurück zu ihrem Felleisen. Das Hämmern im Bein legte sich gerade erst und so schmerzte jeder Schritt. Es half nichts, sie musste weiter. Mühevoll schulterte sie ihr Gepäck und machte sich daran, zu verschwinden. Sie dachte gar nicht erst darüber nach, die Gnome nach wertvollen Dingen zu durchsuchen, sie wollte einfach nur noch weg. Der Geruch des Blutes und die Schreie des im Todeskampf befindlichen Wildschweines würden alsbald Jäger und Aasfresser anlocken, wenn nicht sogar auch weitere der kleinen blauen Zeitgenossen.
    Ächzend, aber Kraft im Bein zurückgewinnend, eilte die Kaiserliche davon. Das Toben des Schweins klang mit zunehmendem Abstand ab und verstummte schließlich ganz. Gleichzeitig trat mit der nachlassenden Aufregung, dem ruhigeren Puls und den sich entspannenden Nerven auch unendliche Müdigkeit ein. Vesa würde an diesem Tag nicht mehr sehr weit kommen und musste sich bald eine Bleibe für die Nacht suchen. Der Schlafmangel tat neben der körperlichen Entkräftung durch den Schock und Kampf sein Übriges.



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    Geändert von Bahaar (17.05.2013 um 10:35 Uhr)

  6. #6

    Solstheim, nordöstliches Inland, Fjalding-Plateau

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    Trotz der Erschöpfung hatte es Vesana geschafft noch bis zum frühen Abend unterwegs zu sein. Nachdem sich ihr Bein nach der ersten Meile allmählich beruhigte, verlief die restliche Reise etwas angenehmer. Jetzt schien sie nicht mehr weit von dem See entfernt zu sein, der auf ihrer Karte eingezeichnet war. Allerdings würde sie heute dann doch nicht mehr so weit laufen, sondern vorher nach einer geeigneten Nachtstatt suchen und am nächsten Tag dann ohnehin direkt nach Osten wandern, um einen Abstieg zum Skaal-Dorf zu suchen.
    Leichte Freude machte sich bei dem Gedanken bald am Ziel zu sein in ihr breit. Zwar handelte es sich eigentlich nur um ein Etappenziel, aber immerhin hatte sie es bis hierhin geschafft. Mittlerweile konnte sie auch die Warnungen nachvollziehen, die ihr entgegen gebracht worden waren. Solstheim mochte in der Tat ausgesprochen tödlich sein. Aber wer etwas auf sein Handwerk verstand, vermochte dennoch gut zurecht zu kommen. Vesa beherrschte ihr Handwerk und würde zweifelsohne daher auch noch den letzten Reiseabschnitt überstehen.
    Jetzt begann sie aber erst einmal damit, sich nach Felsen, Büschen und umgestürzten Bäumen oder anderweitig Nischen schaffenden Formationen umzusehen, bevor die Dunkelheit der Nacht vollends hereinbrach. Die Dämmerung würde nicht allzu lange dauern. Sie brauchte eine Schlafstatt, die halbwegs vor dem schneidenden Wind und den scharfkantigen, von ihm gepeitschten Flocken geschützt lag.
    Doch noch bevor sich die Kaiserliche richtig auf die Suche machte, erregte ungewöhnliches Knacken in einigen Büschen zu ihrer rechten ihre Aufmerksamkeit. Die Anspannung schnelle in die Höhe, Adrenalin schoss ihr durch die Adern, die Atmung erhöhte die Frequenz. Blitzschnell holte Vesa die Armbrust von der Seite ihres Tornisters und legte einen Bolzen auf. Klackend spannte sie den Mechanismus und ging auf das rechte Knie hinab, die Waffe im Anschlag in die Richtung gehalten, aus der die Geräusche kamen.
    Wenig später trat ein Nord in dicker Fell- und Lederkleidung mit einem erlegten Reh über den Schultern hervor. Schweiß troff ihm vom wettergegerbten Gesicht in den langen, blonden Bart. Er zeigte sich wenig überrascht, die Kaiserliche zu finden und wirkte abgesehen von seiner körperlichen Anstrengung relativ entspannt. Dennoch blieb er unvermittelt stehen, so dass sich die beiden einfach nur schweigend gegenüberstanden und anschauten. Die Jägerin wartete und lauschte auf die Umgebung. So, wie sich der Neuankömmling gab, war er ganz sicher nicht allein und Vesana würde sich ungern überraschen lassen. Das Rauschen des Blutes in den Ohren versuchte sie ebenso in den Hintergrund ihrer Wahrnehmung zu drängen, wie das Pfeifen des Windes.
    Ohne einen Augenblick zu zögern drückte sie sich hoch und drehte sich um die eigene Achse. Die Linke griff nach dem Dolch am Gürtel und hielt ihn am ausgestreckten Arm in die Richtung des ersten Nords. Die Rechte richtete die Armbrust direkt auf einen zweiten Nord-Mann, der sein gezeichnetes Gesicht mit dem weißen Auge unter einer dicken Kapuze verbarg. Seine Hände hielten einen Bogen und einen aufgelegten Pfeil umschlungen. Die Augen der Kaiserlichen fixierten ihn und sogen jede Regung auf, während ihre Ohren auf Bewegungen hinter ihr lauschten.
    Als sich dann aber noch eine geschliffene Metallspitze auf Brusthöhe gegen ihre Seite drückte, musste sich Vesa jedoch geschlagen gegeben. Mit schnellen, aber erkennbaren Bewegungen nahm sie die Front ihrer Armbrust von dem halbblinden Nord und schob den Dolch zurück in seine Scheide am Gürtel. Die zur Klinge in ihrer Flanke gehörende Nord-Frau trat vor sie in ihr Sichtfeld und nahm der Kaiserlichen die Schusswaffe ab. Erst jetzt senkte der Einäugige den Bogen und schien sich etwas zu entspannen. Immerhin schien es Vesana nicht mit gewöhnlichen Plünderern zu tun zu haben. Es handelte sich offenkundig eher um eine Jagdgesellschaft. Vielleicht eine der Skaal?
    „Und nun?“, brach die Jägerin deshalb als erste das gegenseitige Schweigen.
    „Sagt Ihr uns, wer Ihr seid und was Ihr hier wollt?“, entgegnete der dem Äußeren nach älteste von ihnen. Die Frau, zu großen Teilen unter ihrer Kapuze verborgen, entspannte inzwischen die Armbrust und brachte sich im Abstand von wenigen Schritten an einem Baum in Stellung.
    „Mein Name ist Nevara Cassidian“, erklärte Vesa.
    „Also, Nevara Cassidian, was macht eine Frau des Kaiservolks in den entlegenen Wäldern der Skaal?“ Die Stimme des auf dem rechten Auge blinden Nords klang bärenartig, nicht aggressiv, aber doch bedrohlich.
    „Wer möchte das wissen?“, konterte die Gefragte und straffte sich ein wenig. Die Aufregung legte sich zwar keineswegs, dafür gewann sie nichtsdestoweniger an Zuversicht, die Situation zu ihren Gunsten lösen zu können. Da sie hier eine Jagdgemeinschaft der Skaal vor sich hatte, zweifelte sie stark daran, dass diese sie einfach erledigen würden, wie es wahrscheinlich die Plünderer getan hätten, denen sie begegnet war.
    „Wulf Wild-Blut“, der bärtige Nord zog die Kapuze ein Stück zurück und ließ so sein zerfurchtes Gesicht in der aufkommenden Dunkelheit besser erkennen. „Oslaf“, er wies auf den Nord mit dem Reh über den Schultern, „und Finna. Jetzt Ihr, Kaiservolk.“ Wulf ließ sich auf ihr Spiel ein. Information für Information.
    „Ich habe nach Eurem Stamm gesucht“, antwortete Vesana.
    „So? Und warum sucht eine Provinzlerin wie Ihr nach dem kleinen Stamm der Skaal?“
    „Die Jagd treibt mich hierher.“
    „Ihr wollt jagen? Das könnt Ihr auch in Cyrodiil …“
    „Möglicherweise.“
    Er schnaufte resignierend, derartige Gespräche lagen ihm wohl nicht. „Wir Skaal sehen Außenseiter nicht gern in unseren Landen. Wir halten nichts davon, wenn Fremde durch unser Land streifen, die nichts von der Natur hier verstehen“, schwenkte er auf eine andere Gesprächsschiene um. „Aber wir honorieren Geschick, Stärke und Ehre dem Land gegenüber“, setzte Wulf fort. „Eure Sinne sind scharf, Eure Fähigkeiten als Jägerin offenkundig, sonst wärt Ihr nicht bis hier her vorgedrungen.“ Mit einem Nicken bedeutete er Finna der Kaiserlicheren ihre Waffe zurückzugeben. Die Nord reichte Vesana die Armbrust und den Bolzen. Leichten Widerwillen schluckte sie kommentarlos herunter. „Was auch immer ihr hier wollt, wir bringen Euch zu unserem Schamanen und unserer Anführerin, sie sollen entscheiden, was mit Euch zu tun ist. Bis dahin bleibt Ihr bei uns und macht Euch nützlich.“
    Die Gruppe aus den drei Jägern des Nordvolkes und Vesa setzte sich in Bewegung. Nach kurzer Wanderung durch dichtes Gestrüpp erreichten sie eine kleine Senke, die windgeschützt von einigen Felsen und Baumstämmen eingerahmt wurde. Es lagen bereits ein gefrorener, ausgenommener Hirsch und ein weiteres Reh an der einen Seite, auf der anderen drängten sich drei Nachtlager dicht in den Schutz einer mit Ästen gespannten Plane. Sie hatten das Jagdlager der Gruppe erreicht. „Ihr könnt Euer Nachlager mit bei unseren aufschlagen“, wies sie Wulf an.
    „Und dann könnt Ihr das Reh ausnehmen, bevor es gefriert“, mischte sich Oslaf ein und legte das Tier zu den anderen beiden. Vesana stellte ihren Tornister an den Rand und nahm sich nur noch zwei weitere Messer heraus. Der Nord mit der kahlen Schädeldecke und den langen Haaren rings um den Kopf reichte der Kaiserlichen außerdem einige Lederbeutel für die Innereien. Ohne zu murren, erfüllte sie die ihr auferlegte Aufgabe. Immerhin bot es zum einen eine willkommene Abwechslung zur eintönigen Wanderung, und außerdem war sie ja genau dafür auch hier. Abgesehen davon, wenn sie sich den Nord würdig erweisen konnte, würde es ihren eigenen Zielen förderlich sein. Sie vermutete, dass der besagte Schamane oder auch die Anführerin wohl am ehesten über Werbären Bescheid wusste und eine Art Empfehlung von einigen Jägern konnte nicht schaden.
    Die Jägerin zog die Handschuhe aus und legte sie neben sich. Dann, mit geübten Fingern, schnitt sie den Bauch bis zur Brust des Tieres auf. Stück für Stück arbeitete sie sich durch die warmen, blutig-rohen Eingeweide. Eines nach dem anderen schnitt sie mit den scharfen Messern heraus und platzierte jedes Organ einzeln in einem Lederbeutel. Die drei Nord schenkten ihr währenddessen relativ wenig Beachtung. Zu Beginn hatte ihr noch Finna über die Schulter geschaut, schien aber bald darauf keine Bedenken über die Fähigkeiten Vesanas mehr zu haben und hatte sich abgewandt. Jetzt unterhielten sie sich leise, die Kaiserliche hörte gar nicht weiter hin und ging ihren eigenen Gedanken nach.
    Es dauerte nicht allzu lange, bis die Jägerin ihre Arbeiten beendete. Die Messer säuberte sie mit einem Tuch. Die Hände trieften rot und trugen den schweren Eisengeruch von Blut an sich. Sie sog den Geruch mit langen Atemzügen in die Nase und nuckelte ein wenig an ihren Fingern. Der bittere Geschmack gab ihr Kraft und weckte die Lebensgeister, denn er bedeutete, dass sie noch lebte, während ein anderer an ihrer statt gestorben war. Der dunkle Lebenssaft trocknete jedoch schnell und so hatte sie alsbald die größten Tropfen mit der Zunge entfernt. Den Rest rieb sie im Schnee ab und streifte sich schließlich die Handschuhe über.
    Das ausgenommene Reh legte sie direkt zu seinen zwei Artgenossen und die Organe zu den übrigen Beuteln mit ähnlichem Inhalt. Letzten Endes breitete sie neben den übrigen ihre Schlafunterlage und Decke aus. „Wir werden immer zu zweit Nachtwache halten“, erklärte Wulf. „Räuber streifen genug durch diese Gegend. Ihr und ich beginnen und morgen reisen wir zum Skaal-Dorf. Dann wird unser Schamane entscheiden, ob Ihr bleiben könnt.“ Vesana nickte nur. Es würde eine weitere lange Nacht werden.



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    Geändert von Bahaar (24.05.2013 um 12:25 Uhr)

  7. #7

    Solstheim, nordöstliches Inland, Skaal-Dorf

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    Nach einer langen, bitterkalten Nacht brachen die Jäger am frühen Morgen auf. Der Sturm war inzwischen vollends abgeflaut und hatte noch während Vesanas Wache den Blick auf den klaren Sternenhimmel freigegeben. Müde, aber entschieden, schulterte die Kaiserliche ihr Gepäck und half Finna dabei, eines der zwei Rehe zu tragen. Wulf und Oslaf teilten sich den Hirsch und das zweite Reh. Die Organe hatten sie auf alle vier aufgeteilt. Die enorme zusätzliche Last machte Vesa zu schaffen und schwer atmend trieb sie eine permanente Wasserdampfwolke vor dem Gesicht an. Die Muskeln schmerzten bereits von den vorherigen vier Tagen der Wanderung, Kämpfe und durchzechten Nächte. Ein etwas wärmeres, komfortableres Bett käme ihr ganz gelegen.
    Aber sie wollte nicht klagen. Es war weder die erste Wanderung dieser Art, noch war es bislang eine der längsten oder anspruchsvollsten. Zwar hielt sie bisher die eine oder andere Überraschung mehr auf Lager, als so manche Reise der Vergangenheit, aber deswegen wurde sie nicht beschwerlicher. Sie biss die Zähne zusammen und in ein, zwei Tagen würde sie sich an die Strapazen gewöhnt haben – da zeigte sie sich zuversichtlich.
    „Was genau wollt Ihr hier eigentlich jagen, Nevara?“, wandte sich Finna an die Hinzugestoßene.
    „Sollten sich die Gerüchte als wahr erweisen, so habe ich vor Werbären zu jagen“, entgegnete sie. Früher oder später würde sowieso der gesamte Stamm wissen, weshalb es eine Kaiserliche in ihr Dorf verschlug. Mit der Ehrlichkeit konnte sie wenigstens bereits jetzt herausfinden, ob die Skaal mehr wussten, als die Leute in Rabenfels.
    „Werbären, sagt Ihr?“ Wulf wurde offenbar hellhörig und ließ sich mit Oslaf etwas zurückfallen, um den Abstand zwischen den beiden Männern und den Frauen zu verkürzen.
    „Ganz recht.“
    „Und warum?“ Finnas Skepsis klang deutlich heraus.
    Vesana schaute zur Seite wo die Nord-Frau lief. „Warum nicht?“ Danach wandte sie den Blick zurück nach vorn. Die Nord stieß kurz Luft aus.
    „Weil derartige Kreaturen selbst für erfahrene Jäger ausgesprochen tödlich sein können.“ Vesa schmunzelte ein wenig, kaum merklich und für die Nord ohnehin außerhalb ihres Sichtfeldes. Es bedurfte nicht nur eines erfahrenen Jägers, sondern eines wahren Jägers. Aber das brauchte die Skaal nicht zu interessieren.
    „Schon möglich“, entgegnete sie schließlich, bevor die Schweigepause unangenehm zu werden drohte.

    Erst am späten Abend, die Sonne versteckte sich längst hinter den Bergen westlich des Skaal-Dorfes, kamen die Vier an ihrem Ziel an. Der Wind hatte wieder aufgefrischt und fand jede noch so kleine Lücke in der Kleidung, so dass Vesana häufig Schauer über den Rücken liefen. Zwischen den vereinzelt stehenden Hütten der Siedlung hielten sich kaum noch Menschen auf. Die wenigen, die sich in die eisige Kälte hinaus wagten, blieben meist stehen und blickten den Jägern entgegen. Den Nord zollten sie mit einer zum Gruß erhobenen Hand Respekt, die Kaiserliche beäugten sie mit einer Mischung aus Verwunderung, Unsicherheit und Misstrauen.
    Sie ließ sich davon nicht beirren, sondern half Finna einfach dabei, das Reh die letzten Schritte bis zu Wulfs Hütte zu tragen, wo er die Beute zu einem späteren Zeitpunkt zerlegen würde. Schnaufend legten die zwei Frauen das Tier ab. Die Männer keuchten nun ebenfalls, als sie das gefrorene Fleisch aus den Händen gaben. Erschöpft wandte sich Vesa ohne Umschweife von der Nord-Frau ab und blickte zu dem Einäugigen, der die Jägergruppe geleitet hatte. „Was jetzt?“
    Wulf schnaufte und grummelte. „Richtig“, sprach er. „Folgt mir.“ Er setzte sich unverzüglich in Bewegung, ließ seine zwei Jagdgefährten mit einem knappen Nicken zurück, stapfte über den freien Platz in der Mitte des Dorfes und hielt auf ein durch seine Größe besonders herausstechendes Haus aus altem Holz zu. Vor der Doppeltür und unter einem durch dicke Pfeiler aus Baumstämmen abgestützten Dachvorsprung blieben die beiden stehen. „Wartet hier“, wies er die Kaiserliche an. Sie tat schlicht, wie ihr geheißen, während der Nord in der Dunkelheit und um die Ecke des großen Gebäudes verschwand. Vesana schaute ihm nach, bis sie ihn aus den Augen verlor.
    Während sie wartete, beobachtete sie die Menschen bei ihren abendlichen Wegen und rieb währenddessen die Hände flach gegeneinander, um sie etwas aufzuwärmen. Entweder sie ignorierten die Jägerin einfach, oder schauten nur kurz in ihre Richtung, bevor sie in ihren Hütten verschwanden oder von der Dunkelheit verschluckt wurden. Ganz offensichtlich freuten sich die Skaal ganz und gar nicht über Besucher, die sie nicht erwarteten. Vesa interessierte das nicht. Sie wollte ohnehin nicht zu lange bleiben, wenn sie überhaupt blieb. Eine Erlaubnis der Skaal würde sie im Zweifel ohnehin nicht brauchen, auch wenn es mit einer zweifelsohne weniger beschwerlich sein mochte. Sie schüttelte leicht den Kopf, um die Überlegungen loszuwerden. Noch war nichts entschieden und Geduld war das Gebot der Stunde. Es sollte sich früh genug zeigen, wie ihr weiterer Weg aussah.
    Wenig später kehrte Wulf mit einem ausgesprochen alten, grauhaarigen Mann an seiner Seite zurück. Auch er trug die dicke Leder- und Fellkleidung, die typisch für die Bewohner dieser Gegend zu sein schien. „Ah, die kaiserliche Jägerin. Storn Fels-Schreiter, der Schamane des Dorfes“, erklärte der Alte mit rauchiger Stimme.
    „Nevara Cassidian“, stellte sie sich vor.
    „Wie ich hörte, sucht Ihr nach etwas?“
    „Ganz recht.“
    „Was Ihr sucht, werdet Ihr nicht in unserem Dorf finden, Kind.“ Nichts anderes hatte Vesana erwartet, also schwieg sie und saß das provozierte Schweigen aus. „Aber vielleicht können wir uns helfen. Kommt.“ Der graue Nord legte seine Hand auf ihre Schulter und lenkte sie zum Eingang des Hauses, unter dessen Vordach sie sich befanden. „Wulf, wir sprechen uns später.“ Der Einäugige nickte und entfernte sich. Gleich darauf traten die Frau und der Alte in das wohlig warme, hölzerne Innere des Gebäudes. Ein Feuer brannte in der Mitte, stammdicke Rundhölzer stützten die hohe Decke. An der Seite saß ein ebenfalls älterer Nord mit kurzen Haaren, gepflegt-gestutztem Vollbart und gehüllt in noble Kleider. Storn hielt auf ihn zu, Vesa warf die Kapuze zurück und folgte. „Tharstan“, grüßte der Graue.
    „Storn.“
    „Sei so gut und hole Fanari.“ Tharstan schaute kurz zur Kaiserlichen, dann zurück zum Schamanen, stand mit einem Nicken auf und verschwand in die hinteren, abgetrennten Räumlichkeiten. Storn wandte sich Vesa zu. „Stellt Euer Gepäck schon ab. Es wird Euch schon niemand wegnehmen.“ Nur langsam leistete die Jägerin der Aufforderung Folge. Sie wollte deutlich machen, dass sie nicht auf derartiges Entgegenkommen angewiesen war. Der Schamane durchschaute es. „Ihr braucht mir keine Stärke mehr beweisen, Kindchen. Dass Ihr hier seid, zeugt genug davon. Es ist keine Kunst Eure Willenskraft zu spüren – dazu müsste ich nicht einmal ein Schamane sein, um das zu erkennen. Wir Skaal respektieren das.“ Storn klang tadelnd wie ein enttäuschter Vater. „Also nehmt Gesten der Freundlichkeit an, wenn sie Euch angeboten werden.“ Die dunklen Augen ruhten auf der Kaiserlichen und suchten Blickkontakt.
    Vesana hielt ihm stand. „Wie Ihr meint.“ Sie lehnte das Felleisen mit der Armbrust und dem geschwungenen Schwert daran gegen ihre Beine. Den Speer hielt sie weiter locker in der Hand. „Was nun?“
    „Fanari ist die Anführerin der Skaal. Ich bin der Dorfweise. Sie trifft Entscheidungen, ich berate sie dabei.“ Er legte eine kurze Pause ein und schaute hinüber zu den hinteren Räumen. Der Nord namens Tharstan trat gerade heraus und kam zu ihnen zurück. Wenig später folgte ihm eine hochgewachsene Frau mit braunem Haar und festem Blick. Langsam näherte auch sie sich. „Ihr tragt Euer Anliegen vor und wir werden sehen, was wir mit Euch tun werden.“ Der nobel gekleidete Nord setzte sich zurück auf seinen alten Platz und stopfte sich eine Pfeife. „Fanari.“ Der Schamane nickte ihr tief zu, Vesa beobachtete die Nord-Frau nur.
    „Storn“, begann diese zu sprechen, „was gibt es zu so später Stunde und wer ist diese Frau?“ Sie klang bestimmend und schaute zwischen ihren zwei Besuchern hin und her, blieb dann aber am Schamanen hängen.
    „Das ist Nevara-„
    „-Cassidian“, unterbrach ihn Vesa. Die Nord wandte den Blick zu ihr. Die stechend grünen Augen musterten die Kaiserliche. „Und ich bin zum Jagen hier.“
    „Sie ist gestern auf Wulf und seine Jagdgruppe in den Wäldern des Fjalding-Plateaus gestoßen. Sie hat ihnen geholfen, die Beute der Jagd zum Dorf zu bringen, im Gegenzug hat er ihr Anliegen an mich herangetragen“, präzisierte der Graue. Er schien das sich anbahnende, leichte Knistern zwischen den Frauen zu spüren.
    „Hat sie das?“ Fanari schaute zwischen Vesana und Storn hin und her, verweilte dann aber mit den Augen auf der Kaiserlichen und adressierte sie diesmal direkt. „Jagen könnt Ihr auch in Cyrodiil, dafür braucht Ihr nicht extra nach Solstheim kommen und uns die ohnehin spärliche Nahrung wegfangen.“ Die Stammesführerin wollte sich zum Gehen wenden.
    „Ich habe nicht vor, Euch Eure Lebensmittel aus den Händen zu reißen“, entgegnete Vesa unverzüglich und die größere Frau hielt inne.
    „Was wollt Ihr dann jagen?“ Die grünen Augen stachen auf die Kaiserliche ein. „Drachen?“ Sie zog die Augenbrauen hoch und lachte kurz auf vor Zynismus. Dann schwieg sie wieder.
    „Ich benötige Informationen für die Jagd auf Werbären.“ Storn stand während des kurzen Schlagabtausches zwischen den beiden, die sich ohne jeden Zweifel von Grund auf nicht gut verstanden, still und beobachtete.
    „Ist dem so? Und Ihr glaubt, Ihr findet diese Informationen hier?“
    Jetzt schaltete sich der Schamane wieder ein, bevor die Feindseligkeit Überhand gewann. „Vielleicht“, begann er und gestikulierte beschwichtigend, „gibt es eine Möglichkeit, von der alle profitieren können.“ Die Frauen wandten ihm nahezu gleichzeitig den Blick zu, auch wenn Vesa ihre Augen einen Moment länger an Fanari haften ließ.
    „Was schlägst Du vor?“, fragte die Anführerin des Dorfes.
    „Nun, wir brauchen neue Vorräte und das Wild treibt sich zurzeit weiter entfernt herum. Ein weiterer Jäger könnte also helfen, mehr Nahrung heranzuschaffen. Im Gegenzug dafür, dass Nevara hier ein, zwei Mal mit auf Jagd geht, erhält sie ein Dach über dem Kopf und am Ende die Informationen, die sie benötigt, um ihre eigene Jagd fortzusetzen“, erläuterte der Graue in fast väterlichem Ton. „Und wer weiß, vielleicht gibt es im Dorf den einen oder anderen, der die Anwesenheit und Ziele unseres Gastes als sehr … nützlich empfinden mag.“
    „Ich sehe, Du hast Deinen Plan schon vollendet, Storn.“ Fanaris Tonlage verschob sich von einer gewissen Kampfeslust zu Resignation gegenüber dem Älteren, der mit Logik durchaus zu bestechen wusste. „Auf Deine Verantwortung. Sie soll mit Wulf und den anderen schnellstmöglich aufbrechen.“
    Storn wandte sich Vesana zu. „Ihr könnt bei mir und meiner Tochter im Haus übernachten. Gute Nacht, Fanari.“ Die Kaiserliche schulterte ohne Einspruch ihren Tornister und folgte dem Schamanen, als er sich anschickte die Halle zu verlassen. Die Skaalanführerin verschwand zurück in die hinteren Räumlichkeiten.
    Es dauerte nicht lange, da betraten der Graue und die Jägerin Storns Hütte. „Ihr könnt Euer Gepäck dort an die Seite stellen und Eure Schlafstatt ebenfalls dort aufschlagen. Wir können nicht mit einem Bett dienen, aber so Ihr es wünscht ein paar Fellen.“
    „Mit wem sprichst Du da?“ Eine raue Frauenstimme drang aus dem hinteren Teil des Hauses zu ihnen und kurz darauf trat eine blonde Nord vor.
    „Ah, Frea. Das ist Nevara, sie wird die Nacht bei uns verbringen und wohl morgen mit Wulf und den anderen auf Jagd gehen.“ Vesana schenkte der Frau nur ein knappes Nicken und schritt zu der ihr zugewiesenen Stelle an der Außenwand der Hütte. Das Feuer in der Mitte strahlte Wärme bis dorthin ab, ganz abgesehen davon, dass es insgesamt sowieso sehr warm war. Der Schamane zog seine Jacke aus und hängte sie an einen Haken an der Wand in der Nähe der Tür. „Benötigt Ihr noch Felle?“, fragte er seinen Gast.
    „Nein, es geht. Danke.“ Die Kaiserliche rollte ihre Unterlage und die Decke aus. Ihr Stahlschwert lehnte sie gegen die Wand und zog im Anschluss zum ersten Mal seit Tagen ihre ledernen Rüstungsteile, die dicke Manteljacke und die hohen Stiefel aus. Das kleine Hirschkopfamulet versteckte sie unter ihrer Tunika auf Höhe des Brustansatzes. Von der Last befreit schloss sie kurz die Augen und atmete auf ihrer Nachtstatt sitzend tief durch. Dann fiel ihr Blick auf das kürzlich erworbene, gekrümmte Schwert. „Sagt“, begann sie zu sprechen und Storn wandte sich ihr von einer duftenden Suppe im Kessel über dem Feuer zu, „gibt es hier einen Schmied?“ Frea hatte sich ohne ein weiteres Wort zurückgezogen.
    „Baldor Eisen-Former, ja. Direkt gegenüber meines Hauses.“
    „Erfüllt er Arbeiten auch für Außenseiter gegen etwas Geld?“
    „Durchaus. Fragt ihn, bevor Ihr morgen aufbrecht.“ Vesa nickte nur und lehnte sich gegen die Wand, der Kopf im Nacken und die Augen auf die Decke des Raumes gerichtet. „Ihr solltet noch etwas essen. Eure Stärke mag bemerkenswert sein, doch kann Stolz auch zur Schwäche werden.“ Sie senkte die Augen und hielt sie auf ihn. Er stand leicht verdreht und schaute über die Schulter zu ihr hinüber. Am halb ausgestreckten Arm hielt er eine dampfende Suppenschüssel. „Nehmt.“ Sein Blick verriet, dass er keine Widerrede zulassen würde.
    Die Kaiserliche erhob sich mit trägen Gliedern und nahm ihm die Schüssel ab. Gemeinsam setzten sie sich an einen Tisch. Die Linke flach auf die Tischplatte gelegt, rührte sie mit dem Löffel in der Rechten den dicken Eintopf um. Langsam begann sie zu essen und pustete zunächst stets, bevor sie einen Happen nahm. Es schmeckte erstaunlich gut und schien sehr nahrhaft zu sein. Storn beobachtete sie schweigend, als ob er aus ihren Bewegungen, Augen und körperlichen Ausformungen lesen konnte, was genau für ein Mensch da gerade vor ihm saß. „Warum seid Ihr auf der Jagd nach Werbären?“, rang er sich schließlich zu der Frage durch, die ihn schon eine Weile zu beschäftigen schien, auf die er aber aus den bisherigen, oberflächlichen Beobachtungen keine Antwort abzuleiten vermochte.
    Die Jägerin aß zunächst weiter und leerte mit wenigen Löffeln den Rest aus der Schüssel. Gesättigt lehnte sie sich zurück und schaute den Schamanen an, las in seinen dunklen, von Falten umrahmten Augen, den gezeichneten, alten Gesichtszügen, die im unteren Teil von einem grauen Vollbart versteckt wurden und den gefalteten Händen. „Es würde schon einer reichen.“ Sie schob den Stuhl zurück. „Habt Dank für den Eintopf. Die Jagdgruppe wird morgen sicher so früh wie möglich aufbrechen wollen, ich sollte daher wohl noch etwas Schlaf abfassen.“ Damit erhob sie sich. Der graue Nord nickte nur. Wenn er enttäuscht über ihre ausweichende Antwort war, so zeigte er es nicht, allerdings würde es Vesana auch nicht wundern, wenn er es so erwartet hatte. Sie verkroch sich unter ihre Decke am Rand des Raumes. Storn verschwand in den hinteren Teil zu seiner Tochter.



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    Geändert von Bahaar (31.05.2013 um 09:38 Uhr)

  8. #8

    Solstheim, nordöstliches Inland, Skaal-Dorf

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    Das Gesicht eines Mannes schälte sich vor ihr aus der Dunkelheit. Es waren die Züge eines Kaiserlichen irgendwo zwischen fünfundzwanzig und dreißig Jahren. Geschmeidig geschnitten, männlich und doch nicht zu hart. Sie strahlten Entschlossenheit und Stärke aus, ließen aber dennoch nicht die angenehme Note von Freundlichkeit und Offenheit vermissen. Die klar definierten Konturen kamen ihr bekannt vor. Der kurze, schwarze und sauber getrimmte Bart schmiegte sich an die Kanten des Kiefers. Die schmalen Koteletten und die Haare, die den Mund fein definiert einrahmten, standen etwas länger als die Linien entlang des Kieferknochens. Auf den hellen, leicht rauen Lippen zeichnete sich ein freundliches Lächeln ab, das Vertrauen und Empathie signalisierte. Die gerade, schlanke Nase mit den ausgeformten Nasenflügen ging am oberen Ende fließend in die feste Augenpartie mit den kraftvollen, ein wenig wilden Augen in dunklem Braun über. Sie saßen in den nicht zu tief liegenden Augenhöhlen und wurden nach oben hin von ebenfalls schwarzen Augenbrauen abgeschlossen. Eine lange, dünne Narbe in zartem Rosa durchbrach die linke Braue und setzte sich bis auf Höhe der unteren Zahnreihen über die linke Wange fort – sie war noch jung, keine drei Monate alt.
    Die saubere, helle Haut erschien durch lange Tage auf Wanderschaft und der Aussetzung von Wind und Wetter gröber, verlor jedoch nichts an ihrer Weichheit, wenn man sie berührte. Sie spannte sich über klar erkennbare, aber nicht zu weit hervorstehende Wangenknochen und drückte sich an den Schläfen in kleinen Mulden gegen den Schädel. Sie legte sich um die Augenwinkel in feine Falten, als sich das Lächeln zu einer Geste der Freude wandelte. Das Muttermahl unterhalb des rechten Nasenflügels lag durch den Bart verborgen vor oberflächlichen Blicken. Ebenso die Mulde unterhalb der Lippen am Kinn.
    Schwarzes, in direktem Lichtschein stellenweise braun schimmerndes Haar legte sich fingerlang in einem klaren linksseitigen Scheitel über den Kopf. Es wirkte kräftig, dick und schien regelmäßige Pflege zu genießen. Die meisten kaiserlichen Frauen würden ihn wohl als einen schönen Mann beschreiben – starke Züge und doch gefühlvoll. Dazu gesellte sich die sanfte Duftnote von frischer Bergluft mit einer Prise herber Kräuterblüten. Ein Mann der Natur, ein Jäger wie sie selbst.
    Plötzlich wandelten sich die Züge. Sie verloren ihre Freundlichkeit, spannten sich, verkrampften. Sie wirkten aggressiv, die Augen hart und wütend, die Stirn in Falten des Zorns gelegt. Der Mund stand zum Schrei offen, entblößte helle Zähne und überdurchschnittlich spitze Eckzähne. Sein Mund schob sich vor, als veränderten sich die Knochen des Schädels selbst. Die Nase flachte ab, nahm die Form eines Hundes mit feucht glitzernder Spitze ein. Die Zähne wurden scharf und pointiert, die Eckzähne lang und mörderisch. Die Augen glühten mit Feuer in dunklem Gelb. Die Haut verdunkelte sich, schien schwarz zu werden. Das Haar wuchs in die Länge, die Ohren liefen spitz zu. Das Gesicht ähnelte dem eines Wolfes und behielt nur noch wenige menschliche Aspekte. Sie sah den Kopf eines Werwolfs vor sich, der in Rage zu sein schien.
    Dann mit einem Mal erschlafften die Züge, verloren ihre Aggression, ihre Wut. Die Augen trübten ein, wirkten fast schon traurig, die Muskeln entspannten sich. Das Maul stand offen und eine schlanke Silberklinge schob sich von hinten durch den Schädel vorne aus dem Mund. Blut tropfte von ihr auf die Zunge des Wandelwesens und aus der Schnauze, wie auch aus der Nase. Der Geruch von verbranntem Fleisch breitete sich aus, schwacher Rauch quoll aus dem Maul hervor.

    Vesana schreckte mit einem tiefen Einatmen hoch, als ob sie gerade nach langem Anhalten der Luft aus tiefem Wasser auftauchte und saß senkrecht auf ihrer Schlafstatt. Die Decke ungeordnet halb über ihren Beinen, halb auf dem Boden ausgebreitet. Schweiß rann ihr über die Haut und troff vom Kinn. Sie zitterte am ganzen Leib. Nur mühevoll sogen ihre Lungen Luft ein, die Atmung ging schnappartig und brannte, als ob ihr jemand hunderte lange Nadeln durch den Brustkorb gerammt hatte. Das Herz krampfte und sie krallte sich mit der rechten Hand an sich selbst fest, als ob sie so der Schmerzen Herrin würde. Die Linke hielt das Amulett umschlossen und drückte es gegen ihr Brustbein. Der Kopf drehte sich, als ob sie eine ganze Flasche billigen Wein wenige Stunden zuvor allein getrunken hätte. „Darius“, hauchte sie. „Oh, Darius.“ Sie schloss die Augen und versuchte, ruhiger Luft zu holen. Es misslang.
    Mühevoll erhob sie sich und taumelte zum erloschenen Feuer, dessen Glut aber noch immer Wärme abstrahlte. Die Kaiserliche legte drei Scheite nach, um es wieder in Gang zu setzen und nahm sich anschließend ihre Decke. Sie setzte sich auf den Boden neben die Feuerstelle, zog die Beine an und wickelte sich mit der Zudecke ein. Vesa bekam kaum Luft, obwohl ihre Nase nicht mit Rotz verstopfte. Die Mundwinkel wurden wie von Bleigewichten nach unten gezogen. Dicke Tränen flossen ihr eine nach der anderen aus den Augen und über die Wangen. Einige fanden ihren Weg zu den Lippen und überzogen die Zunge im Mund mit dem Geschmack von Salz. Stilles Schluchzen ließ ihren Körper unkontrolliert zucken.
    An Schlaf war jetzt nicht mehr zu denken, obwohl es noch mitten in der Nacht sein musste. Leises Schnarchen drang aus dem hinteren Teil der Hütte zu ihr vor. Es ging ausschließlich um Schadensbegrenzung. Sie musste sich beruhigen, wenn sie am kommenden Morgen auf Jagd gehen wollte. Nur mit Mühe und unter Hilfe des beruhigenden Knisterns des neu entflammten Feuers schaffte es Vesana, die Schnappatmung in regelmäßige Züge zu zwingen. Die Tränen bekam sie lange nicht in den Griff, ebenso wenig das Schwindelgefühl. Die Übelkeit und Bauchschmerzen wollten einfach nicht nachlassen und das krampfende Herz pumpte in unregelmäßigen Sprüngen, das Blut in den Adern fühlte sich eiskalt an. Erst nach Auflegen dreier weiterer Scheite ins Feuer ließ das Zittern allmählich nach. Die Bilder des Alptraumes blitzten ihr immer wieder vor das geistige Auge.
    Mit großem Schmerz musste sie in diesen quälend langen Augenblicken einsehen, dass es Dinge gab, vor denen sie nicht davonzulaufen vermochte. Es gab Dinge, die sie immer einholen würden, egal wo sie sich befand, egal wie schnell und weit sie rannte.
    Bis zum Morgengrauen und nach endlos erscheinenden Stunden war das neu angefachte Feuer wieder runtergebrannt. Die emotionalen Wehen der Kaiserlichen hatten nachgelassen und sie ihre Fassung wiedergewonnen. Die gereizten Augen beruhigte Vesa durch sanftes Reiben, den sich anbahnenden Kopfschmerzen aus Müdigkeit versuchte sie mit massierenden Kreisbewegungen an den Schläfen vorzubeugen. Steif erhob sie sich und wankte unsicher auf den durch die lange Starre eingeschlafenen Füßen zurück zu ihrer Schlafunterlage. Die Decke, die sie, bis dahin noch um die Schultern gelegt, mit beiden Händen vor der Brust festhielt, warf die Jägerin auf den Boden und setzte sich. Da sie ohnehin nichts anderes zu tun hatte, zog sie sich bereits jetzt die hohen Stiefel über die Füße und zwang sich am Tisch immerhin ein paar Bissen ihres Proviants zum Frühstück herunter, wenngleich ihr Magen erheblich rebellierte und sie ohnehin keinen Hunger verspürte. Allerdings wusste die Kaiserliche auch, dass sie wenigstens einer kleinen Stärkung für den Tag und die Reise bedurfte.
    Sie aß gerade eine Scheibe Brot, als Storn der Schamane aus dem hinteren Teil der Hütte kam und noch die letzten Knöpfe eines einfachen Hemdes schloss. „Guten Morgen“, grüßte er seinen Gast. Sie schaute nur für den Bruchteil eines Lidschlags auf.
    „Morgen.“ Vesa hielt den Blick wieder auf die Tischplatte gerichtet. Ihre Stimme war noch kraftlos, rau und würde brechen, sprach sie mehr als ein paar wenige Worte am Stück. Der graue Nord nahm sich seinerseits etwas Brot und Wurst zum Frühstück. Seine Tochter Frea folgte wenig später. Während ihre beiden Gastgeber speisten, kümmerte sich Vesana schließlich darum, ihre Sachen zusammenzupacken und sich für die Reise zu kleiden. Die beiden Nord unterhielten sich völlig entspannt über bevorstehende Besorgungen, Arbeiten am Haus, die Jäger und allerlei andere Dinge. Die Kaiserliche schwieg währenddessen. Es kam ihr gelegen, dass sie niemand direkt ansprach und Frea und ihr Vater in ihr eigenes Gespräch vertieft waren.
    Erst als all ihre Sachen gepackt waren und sie sich fertig gekleidet hatte, fühlte sich Vesa einigermaßen stark genug, zu sprechen. „Baldor Eisen-Former, so hieß Euer Schmied, richtig?“ Sie stand am Rand des Raumes über ihrem Tornister und schaute hinüber zu den Nord.
    „Richtig. Wenn Ihr ihn aufsuchen möchtet, solltet Ihr dies jetzt bereits tun können. Er steht meist sehr früh auf und ist vor seiner Hütte bei der Schmiede anzutreffen. Ihr könnt es nicht verfehlen.“ Vesana nickte und bückte sich, um ihr Gepäck aufzuheben. „Wulf sollte ebenfalls bereits auf den Beinen sein. Ihr könnt ihn an seinem Unterstand am hinteren Ende des Dorfplatzes finden. Redet mit ihm wegen der Planung der Jagd.“
    Die Kaiserliche schulterte ihr Felleisen, nickte erneut zum Dank und verließ anschließend das Haus des Schamanen. Frische, klare Luft schlug ihr entgegen und die Sonne schob sich gerade über die Horizontlinie des Geistermeers. In der Tat hörte sie, kaum stand sie vor der Tür, das helle Klirren eines Schmiedehammers, der regelmäßig auf Metall schlug. Sie musste nicht einmal wirklich dem Klang folgen, nach kurzem Umsehen entdeckte sie die Schmiede nicht weit von ihr entfernt am Rande des Dorfplatzes. Sie lief zu ihr hinüber.
    Auch der Schmied trug die Skaal-typische Kluft aus Leder- und Fellkleidung, die zweifelsohne ausgesprochen warm sein musste. Die Kapuze lag ihm im Nacken, die rotbraunen Haare formten einen offenen Kranz um den Kopf mit kahler Schädeldecke. Ein dicker Schnauzbart rahmte den Mund unter der Nase und an den Mundwinkeln vorbei bis zum Kinn hinab ein. Er schaute vom Amboss zu ihr auf und hielt mit seinen Schlägen auf einen Rohling inne, als er die Kaiserliche bemerkte. „Guten Morgen“, grüßte er und richtete sich auf. Was aussah, als könne es irgendwann einmal ein Messer werden, legte der Nord zurück ins Feuer, damit es nicht auskühlte.
    „Guten Morgen“, erwiderte Vesa. „Seid Ihr Baldor Eisen-Former?“
    „Ja, der bin ich. Wie kann ich Euch helfen?“ Der große, selbst unter der dicken Kleidung kräftig wirkende Mann legte den Hammer auf den Amboss und kam ein paar Schritte auf sie zu. Die Jägerin nahm unterdessen ihr neues, gekrümmtes Schwert mit dem markanten Widerhaken und der schweren Spitze von der Seite ihres Tornisters. Anschließend zog sie es mit dem typischen Schleifen aus der Scheide.
    „Ich begleite Wulf Wild-Blut und seine Jagdgruppe in den nächsten Tagen bei ihrer Jagd. In der Zwischenzeit würde ich gerne einige Verfeinerungen an dieser Klinge hier von Euch vornehmen lassen.“ Baldor nahm ihr nach kurzem Bitten das Schwert aus der Hand und wog es vorsichtig auf seine Balance und Schwungeigenschaften ab.
    „Welche Art Verfeinerung schwebt Euch vor?“
    „Die Gravuren an den Seiten würden idealen Raum bieten, um Einlagen mit Silber anzubringen und diese Klinge so wirksamer gegen Kreaturen zu machen, die nicht heimisch in Nirn sind.“
    „Ich verstehe. Nun“, er fuhr mit den rauen Fingerkuppen über die Riefen und Kerben im Metall, „ich denke, dass das möglich sein dürfte. Da Ihr mit der Jagdgruppe mehrere Tage unterwegs sein solltet, kann ich die Verbesserungen auch mit entsprechender Sorgfalt und ohne Zeitdruck vornehmen. Es sollte also fertig sein, wenn Ihr zurückkehrt.“
    „Gut. Wie viel verlangt Ihr dafür?“
    „Hm.“ Der Nord zupfte sich mit der Rechten am Bart herum. „Es ist einiges an Silber, das hier verwendet werden kann. Für gewöhnlich wären es etwa dreihundert Septime. Aber da Ihr der Jagdgruppe helft, die Vorräte der Skaal aufzustocken, gebe ich Euch einen Rabatt. Sagen wir zweihundertvierzig.“
    „Abgemacht.“
    „Gebt es mir, wenn Ihr zurückkehrt.“ Seine Kundin nickte. „Habt Ihr sonst noch einen Wunsch?“
    „Nein, erst einmal nicht, danke.“
    „Gut, bis in ein paar Tagen dann. Wenn Ihr mich nun entschuldigen würdet, ich habe viel zu tun.“ Vesana überließ den Schmied sich selbst und orientierte sich neu auf dem Dorfplatz. In der Dunkelheit der vergangenen Nacht hatte sie nicht viel erkennen können. Die Holzhäuser der Skaal formten einen ovalen, freien Platz direkt vor der großen Halle, in der sie am Abend zuvor noch mit Fanari gesprochen hatte. Die Hütten standen relativ dicht und passten sich in die Landschaft ein. So sparten die Nord Platz, denn das flache Areal als großer Vorsprung in den hohen Bergflanken war doch recht begrenzt. Die Bewohner kamen nach und nach immer zahlreicher aus ihren Behausungen. Obwohl die Sonne noch endlos scheinende Schatten warf und sich zum Teil sogar noch hinter den Häusern versteckte, herrschte bald geschäftiges Treiben und kaum jemand kümmerte sich noch um die Fremde in ihren Reihen. Sie unterhielten sich, trugen Dinge umher, verschwanden zwischen den Häusern oder gingen einfach nur von einem Gebäude zum nächsten.
    Gegenüber der großen Halle entdecke Vesa schließlich den besagten Unterstand Wulfs. Der Nord kümmerte sich, wie vermutet, bereits um seine eigenen Dinge dort. Sie lief zu ihm hinüber. „Wann wollen wir aufbrechen?“, fragte sie ihn, als sie ankam und ihr Felleisen gegen einen der Pfosten des kleinen Pavillons lehnte. Der einäugige Nord schaute kurz leicht überrascht, gewann dann aber seine Fassung zurück. Offenbar hatte er nicht damit gerechnet sie bereits jetzt anzutreffen.
    „Da Ihr schon hier seid und ich ebenfalls alles Wichtige vorbereitet habe, brechen wir auf, sobald Oslaf und Finna zu uns stoßen.“ Der Jäger setzte seine vorherige Tätigkeit fort und schichtete weiter Fleischscheiben abwechselnd mit Eis und Schnee in ein Fass – hier oben im hohen Norden, wo es niemals taute, die beste Möglichkeit Nahrung haltbar zu machen. Einfach einfrieren. „Bis dahin könnt Ihr mir hiermit zur Hand gehen.“



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  9. #9

    Solstheim, nordöstliches Inland

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    Gerade als die Sonne hoch genug stand, um über den Dächern des Dorfes zu schweben, brach die Gemeinschaft der vier Jäger auf. Die Bedingungen konnten nicht besser sein. Nahezu Windstille, fester Schnee unter den Stiefelsohlen und ein aufgezogener Himmel. Sie kamen schnell voran, und das nicht nur wegen des hohen Tempos, das Wulf vorlegte. Das Dorf ließen sie auf ihrem Weg direkt nach Süden bald hinter sich.
    Vesana prägte sich während der Reise die Landschaft ein und beobachtete das Verhalten des Wetters. Die hohen Wolken zogen schnell und über dem Meer brauten sich bereits wieder ausgesprochen dunkel aussehende Sturmformationen zusammen. Hoch standen die gewaltigen, schwarzen Türme und so weit, wie das Auge reichte. Bei der Zugrichtung und -geschwindigkeit würden sie wohl bestenfalls irgendwann zum frühen Morgen über der Insel ankommen. Die Nord schienen das Problem ebenfalls bemerkt zu haben und vor allem Wulf straffte seit der ersten Sichtung der Sturmwolken sein Marschtempo. Sie mussten Meter machen, wollten sie am nächsten Tag in ihrem angestrebten Jagdgebiet ankommen.
    Inzwischen fühlten sich Vesanas müde Glieder weitestgehend abgestumpft und taub an, so dass sie die Strapazen und schlecht verbrachten Nächte zuvor einigermaßen wegsteckte. Zwar hätte sie nichts gegen ein komfortables Bett eingewendet, andererseits räumte die konstante Belastung auch den Kopf frei – ein Umstand, den sie vor allem nach der letzten Übernachtung sehr begrüßte.
    Am Abend schlugen sie in dem zerklüfteten, über zahlreiche Vorsprünge steil zum Meer abfallenden Küstenstreifen zwischen Geistermeer und Fjalding-Plateau ihr Lager auf. Der dichte Wald bot ihnen genug Möglichleiten sich für die Nacht einzugraben und gegen die Kälte, sowie den aufziehenden Sturm zu rüsten. Erste Vorboten des letzteren erreichten sie bereits, der schneidende Wind fuhr durch jede noch so kleine Lücke in der Kleidung und machte unmissverständlich klar, dass es bald noch ungemütlicher werden sollte.
    „Nevara, Ihr übernehmt mit Finna die zweite Nachtwache“, wies sie Wulf an. Kommentarlos nahm sie die Anweisung hin und ließ sich auf ihrer Schlafunterlage nieder. Die Decke ließ sie zunächst noch auf ihrem Tornister. Sie war recht glücklich über die Entscheidung des Einäugigen. Sobald der Sturm sie erreichte, wäre in der Nacht ohnehin kaum noch ein Auge zuzumachen. Wer schlafen wollte, musste es also vorher tun. Wenig später schichtete Vesa ihre Waffen neben sich auf die Unterlage und deckte sich mit ihnen zu. So verhinderte sie, dass das Schwert in der Scheide, die Bolzen im Köcher und die Mechanik der Armbrust einfroren. Die Dolche blieben, wo sie waren. Der Speer hielt die Plane, die ihnen als provisorisches Zelt zwischen einigen Bäumen und Felsen diente.

    Irgendwann mitten in der Nacht riss sich ihre Abdeckung in einer Windböe los. Flocken peitschten der Kaiserlichen ins Gesicht, sie brannten auf der Haut. Erschrocken und aus dem tiefen Schlaf geholt zog sie sich schnellstmöglich die Kapuze und Gjalunds Tuch über den Kopf und vor das Gesicht. „Dreckswetter“, zischte sie leise, niemand außer ihr hörte es. Finna schien ebenso unvermittelt aufgeschreckt worden zu sein und hievte sich gerade erst auf die Knie, um nach der Plane zu fischen, die laut im Wind hin und her schlug. Vesa half ihr schließlich dabei und band sie an einem der Stämme fest.
    „Wo sind Oslaf und Wulf?“, fragte die Nord-Frau schließlich, als sich die beiden wieder einigermaßen geschützt unter die Zeltplane ducken konnten.
    „Keine Ahnung“, entgegnete die Kaiserliche und ließ den Blick aus dem Unterstand heraus über die Dunkelheit gleiten. Nichts. Da sie ohnehin kein Auge mehr zumachen können würde, erhob sie sich und band sich ihre Waffen um. Ihren Speer ersetzte sie, indem sie einen weiteren Strick zum Festbinden nutzte. „Ihr bleibt hier und passt auf das Lager auf. Ich gehe suchen.“
    „Gut. Aber seid vorsichtig und wandert nicht zu weit.“ Vesana wandte sich ab und stapfte in den Sturm hinaus. Die Kapuze zog sie enger, das Tuch höher. Sie zitterte und fror am ganzen Leib. Es war erbärmlich kalt. Wenn den beiden Männern irgendetwas zugestoßen wäre, für sie käme wohl jede Hilfe zu spät. Ihren Speer hielt sie locker in der rechten Hand, während sie durch die umliegenden Büsche und Sträucher des Unterholzes pirschte.
    Der Wind heulte und peitschte die Äste der Bäume und des Buschwerks. Das alte, dicke Holz knackte und ächzte unter der Last. Kleine Zweige rissen ab. Die Jägerin musste schwer kämpfen, um überhaupt voranzukommen und etwas von ihrer Umgebung wahrzunehmen. Das dichte Schneetreiben erschwerte es zusätzlich. Zu allem Überfluss verhinderte das Unwetter auch noch, dass sie Spuren auf dem Boden ausmachen konnte. Sie irrte also völlig ohne Anhaltspunkte durch das Umland des Lagers und hoffte durch Zufall auf die beiden Männer zu stoßen. Wenigstens vermochte sie einigermaßen gut im Auge zu behalten, wo sie sich eigentlich in Relation zu ihrem Unterstand befand und fühlte sich sicher, im Zweifel dorthin zurückzufinden. Die Monde – sie standen kurz vor Neumond – besaßen nicht einmal annähernd genug Kraft, um ihren Schein durch die dicke Wolkendecke und durch das Astwerk des Waldes zu senden. Als Folge hüllte ewige Dunkelheit die Landschaft wie ein Schleier ein. Nur der Schnee am Boden schimmerte erkennbar im Restlicht und verhinderte, dass Vesa gänzlich die Orientierung verlor.
    Es knackte laut unweit von ihr entfernt. Ruckartig fuhr sie herum und hob den Speer mit beiden Händen über die rechte Schulter zum Stoß bereit. Locker in den Knien verharrte sie so einige Momente. Nichts tat sich. Vorsichtig schlich sie in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Die Nerven gespannt, die Muskeln in Bereitschaft, die Ohren auf die Umgebung fixiert, die Augen gerade aus. Ihre Atemzüge gingen schnell und kurz. Erst als sie einen frisch abgebrochenen Ast in der Größe ihres Armes fand, entspannte sich die Jägerin ein wenig.
    Dafür vernahm sie von ihrer neuen Position so etwas, das entfernt an eine menschliche Stimme erinnerte. Oder zwei? Sie horchte auf. Es mochte ebenso gut ein Säuseln im Wind zwischen den Nadeln an den Ästen der Bäume sein. Nein, es wiederholte sich und klang tiefer, als ein einfaches Heulen der Böen. Es kam aus Richtung Osten, näher an einer Felskante, die sie zuvor auf ihrer Wanderung ausgekundschaftet hatten. Der Kaiserlichen dämmerte eine böse Ahnung. Ein Adrenalinschub trieb sie an und sie hastete los.
    Mit der Linken Äste und Zweige der Bäume und des Unterholzes aus dem Weg schlagend eilte sie so schnell sie sich in der Lage sah, ohne dabei zu nachlässig zu werden, durch den Wald. Ihre schnell fliegenden Schritte fanden auf Steinen, Wurzeln und umgestürzten Bäumen instinktiv Halt. Das Geräusch, das sie zuvor nur schwach vernommen hatte, gewann an Stärke. Sie vermochte nun die zwei unterschiedlichen Stimmen Wulfs und Oslafs auseinanderzuhalten. Zwar verstand sie nicht, was sie riefen, aber immerhin befand sich Vesana ohne Zweifel auf der richtigen Fährte. Wenig später brach sie aus einigen Büschen heraus und kam gerade noch rechtzeitig zum Stehen, bevor das Gelände steil und schroff abfiel. Rechts. Von da vernahm sie die Stimmen.
    Inzwischen identifizierte sie die Rufe der Männer als Hilfeschreie. Was auch immer passiert war, wenigstens lebten die zwei Jäger noch. Mit wild schlagendem Herzen und von der Kälte und den schnellen Atemzügen stechenden Lungen reduzierte Vesa jetzt ihre Geschwindigkeit. Sie musste die Nord orten und gleichzeitig auf der Hut sein. Ob sie von einem Tier angegriffen worden waren? Falls ja, wollte sie lieber nicht genauso enden, wie die Hilfebedürftigen.
    Es dauerte dann auch nicht mehr lange, bis die Kaiserliche eine zum Waldesinneren weisende, schmale Spalte im Fels fand, die – kaum zwei Schritte breit – sehr tief reichte und von der eigentlichen Abbruchkante wegführte. Irgendwo entlang dieser Spalte im Wald mussten sich die Nord befinden. Bedacht setzte sie ihre Schritte und lauschte auf die Umgebung, das Rauschen des Windes so gut es eben ging ausblendend. „Hört uns denn keiner?!“, schrie Wulf. „Finna! Nevara! Beim All-Schöpfer, so kommt!“ Seine Stimme klang erschöpft, er musste schon eine ganze Weile um Hilfe rufen. Oslaf schwieg inzwischen.
    Hinter einem besonders dicken Baum und einigen Felsen fand Vesana schließlich den Einäugigen. „Sind Tiere in der Nähe?“, fragte sie ihn unverzüglich.
    „Nein! Dem Schöpfer sei Dank, Ihr habt uns gefunden!“ Er versuchte sich etwas zu drehen, doch der beindicke Ast, der quer über seinem Unterleib und den Beinen lag, verhinderte größere Bewegungen. Bauchlinks hob er so nur den Kopf. „Schnell, helft mir unter dem Ast hervor.“ Die Kaiserliche eilte zu ihm und legte ihren Speer ab.
    „Seid Ihr verletzt?“ Sie klappte die Fingerstücken ihrer Handschuhe um und tastete am Körper des Nords entlang. Sie fand kein Blut.
    „Nein, nur eingeklemmt.“ Vesana umschlang den Ast mit beiden Armen und stemmte ihn aus den Beinen heraus hoch. Wulf kroch unter dem Holz hervor, als er dessen Last schwinden spürte. „Ich stehe in Eurer Schuld.“
    „Später.“ Sie ließ das schwere Stück Sturmbruch fallen und keuchte. Es schmerzte schon alleine vom Heben im Rücken und sie fand kaum Halt an der überfrorenen Rinde. Dumpf schlug es auf den Boden. „Wo ist Oslaf?“, wollte sie wissen. Der Einäugige hatte sich gerade erst gedreht und schob sich am Stamm des Baumes, von dem der Ast abgebrochen war, in eine sitzende Position hoch. Offenbar hatte ihn der Abbruch vorrübergehend paralysiert und seine Beine mussten durch die Kälte ohne jeden Zweifel auch taub geworden sein.
    „Er ist in die Spalte gestürzt. Nicht tief, glaube ich. Er meinte, er hätte sich …“
    „Verkeilt.“ Die Kaiserliche unterbrach ihn, als sie vorsichtig einen Blick hinab warf. Kniend schaute sie über die Kante. Kopfüber hing der zweite Nord an einem schmalen Vorsprung. Sein Bein hatte sich verklemmt und er Sturz musste ihn soweit geschwächt haben, dass er sich nicht mehr selbst zu befreien vermochte. Das zu Kopf steigende Blut hatte ihn wohl ohnmächtig werden lassen. „Könnt Ihr gehen?“ Sie wandte sich wieder Wulf zu.
    „Ja, ich denke, das sollte ich.“
    „Gut. Das Lager ist in etwa dort drüben.“ Sie zeigte eine Richtung mit der linken Hand. „Finna wartet dort. Weit oben in meinem Reisegepäck ist ein dünnes Seil. Schickt sie, oder bringt es mir selbst. Damit können wir Oslaf aus der Spalte holen.“ Der Nord nickte und setzte einige wackelige Schritte vorwärts. „Seid Ihr sicher, dass Ihr es bis zum Lager schaffen werdet?“, versicherte sich Vesa.
    Das unsichere, vom Schmerz leicht verzerrte Gesicht des Jägers straffte sich und gewann einiges, wenn auch nicht alles, seiner gewöhnlichen Fassung zurück. Das blinde und das gesunde Auge richteten sich auf die Kaiserliche. „Ja.“
    „Gut, dann lauft! Ich klettere zu Oslaf hinab und versuche ihn zu stützen, bevor ihm das Blut zu sehr zu Kopf steigt.“ Wulf verschwand augenblicklich im Dickicht. Vesana spießte ihren Speer als Markierung in den gefrorenen Boden. Dann entledigte sie sich ihrer übrigen größeren Waffen und der Handschuhe. Noch einmal tief durchatmend machte sie sich daran, die drei Mannshöhen hinab zu dem bewusstlosen Nord zu klettern. Es gestaltete sich mit den zugeschneiten und überfrorenen Steinwänden und kleinen Spalten als ein ausgesprochen gefährliches Unterfangen, aber die Kaiserliche schaffte es letztlich dennoch zu Oslaf vorzudringen und sich selbst mit den Beinen und dem Oberkörper in der Felsspalte zu verkeilen. Vorsichtshalber testete sie aber ihren Stand noch einmal mit kurzem Wippen, solange sie noch die Hände frei hatte um sich im Notfall festzuhalten. Es erschien ihr sicher genug.
    Die Jägerin beugte sich vor und fühlte als erstes am Hals des Nords nach dessen Puls. Er lebte noch. Anschließend versuchte sie sich unter seinen Oberkörper zu schieben und ihn langsam, Stück für Stück, hochzustemmen während sie sich selbst in kleinen Stücken nach oben schob. So schaffte sie es unter enormem Kraft- und Konzentrationsaufwand, ihn in der Hüfte soweit zu falten, dass der Kopf in etwa auf Höhe der Gürtellinie hing. So verharrte sie und wartete.
    Von der Kälte spürte sie – mit Ausnahme von der kalten Luft an den freien Stellen der Haut um die Augen herum und den fast völlig taubgefrorenen Händen – nichts mehr. Die Anstrengungen ließen sie im Gegenteil sogar stellenweise schwitzen. Müdigkeit kannte sie in diesen Momenten keine, allerdings würde auch sie nicht ewig so aushalten können. Glücklicherweise musste sie das auch nicht. Es dauerte nicht lange, bis Wulf und Finna gemeinsam eintrafen. „Hier!“, rief die Frau gegen den in der Spalte kanalisierten Wind ankämpfend zu Vesana hinab und warf ein Seilende in die Spalte.
    Die Kaiserliche griff es sich mit der Linken und begann es teilweise über Kopf um Oslafs Brust zu wickeln. Nach Gefühl verknotete sie es. „Probiert, Ihn hochzuziehen!“, gab sie zurück. Die Last auf ihren Schultern nahm ab und der schwere Nord erklomm schubweise die Felswand hinauf in den Wald. Sie harrte aus. Alleine würde sie die Kletterpartie zurück nach oben nicht mehr bewältigen.
    „Jetzt Ihr!“ Wieder folg das Seil hinab. Mit schnellen Handgriffen schlang es sich die Jägerin um die Hüfte und hielt sich mit einer Hand an dem Strick fest. „In Ordnung, ich bin soweit!“ Der Druck auf ihre Beine nahm ab, dafür spürte sie, wie sich das Tau um ihren Leib fester zog und unangenehm drückte. Ruck für Ruck wurde sie nach oben gezogen und zum Schluss packte Wulf ihren Arm, um sie das letzte Stück über die Kante zu ziehen. Gemeinsam fielen sie in den Schnee und schnauften völlig entkräftet. Finna kniete sich über Oslaf und versuchte, ihn mit sachten Klapsen gegen die Wangen aufzuwecken.
    Im Liegen wickelte Vesa das Seil von sich ab und setzte sich auf. Der Einäugige lehnte inzwischen erneut an einem Baum. Die andere Frau hockte noch immer bei dem Vierten im Bunde. „Setzt ihn auf, dann kann das Blut sich wieder besser in seinem Körper verteilen“, wies sie Vesana an und kämpfte sich gleichzeitig auf die Füße. Finna tat, wie ihr geheißen und bekam kurz darauf auch von der Kaiserlichen Unterstützung. Wenig später öffnete Oslaf langsam die Augen und versuchte – merklich durcheinander – sich zu orientieren.
    Erleichtert ließ sich die Jägerin zurückfallen und lehnte sich ihrerseits gegen einen Baum. Sie schloss die Lider, legte den Kopf in den Nacken und atmete tief durch. „Wir stehen in Eurer Schuld“, griff Wulf das Thema von vorher auf.
    „Im Rudel hilft man sich.“ Für sie war es damit erledigt. Sie schaute auch gar nicht erst hinüber zu dem einäugigen Jäger. „Wir sollten zurück zum Lager und versuchen, unsere Kraft zurückzugewinnen.“
    „Oslaf, kannst Du laufen?“ Wulf schaute auf das eingeklemmte Bein des Nords, dessen Hose an der Stelle entsprechend ramponiert aussah.
    „Es sollte gehen.“ Finna half ihm auf, während der Einäugige und die Kaiserliche ihre Sachen einsammelten. Gemeinsam machten sie sich auf und zurück zu ihrem Unterschlupf. Der kahlköpfige Nord mit dem Kranz aus langen Haaren ließ sich von der Nord-Frau stützen, Wulf humpelte neben der zähneknirschenden Vesa. Es würde sich wohl am nächsten Morgen zeigen, ob die beiden Männer in der Verfassung waren, die Jagd fortzusetzen.



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    Geändert von Bahaar (14.06.2013 um 12:58 Uhr)

  10. #10

    Solstheim, nordöstliches Inland

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    Am Morgen nach dem Zwischenfall entschlossen sich die Jäger ihr Unterfangen fortzusetzen. Wulf erholte sich von dem Schlag durch den Ast vergleichsweise schnell und Oslaf meinte, er würde die Zähne zusammenbeißen, wie es sich für einen anständigen Nord gehörte. Allerdings blieb seine Verletzung am Bein ein merkliches Hindernis für ihre Reise und schien sich auch kontinuierlich zu verschlechtern. Es ließ sich nicht ordentlich belasten, der stämmige Mann humpelte stark und er bremste die Gruppe zusätzlich zum weiterhin tobenden Sturm aus. Um ihn nicht zu überstrapazieren legten sie häufige Pausen ein und teilten einige seiner Sachen untereinander auf, damit er nicht so schwer zu tragen hatte – immerhin hatten Finna, Wulf und Vesa diese Regelung durchsetzen können, denn ursprünglich wollte der sture Nord gar keine größere Hilfe annehmen. Nord und ihr kaum zu bändigender Stolz … die Kaiserliche schüttelte darüber nur mit dem Kopf.
    Wesentlich später als eigentlich angestrebt erreichten die Vier schließlich am späten Nachmittag dann das Gebiet östlich des südlichen Endes des Fjalding-Plateaus, in dem sie die ersten zwei Tage ihres Ausflugs zur Jagd innehalten wollten. Sichtlich entkräftet sank Oslaf gegen einen Baum, sein eigenes Felleisen ließ er einfach in den stumpfen Schnee plumpsen. Schweiß stand ihm auf der Stirn, er atmete schwer, Schmerz zeichnete seine rauen, kreidebleichen Züge und die Augen waren ins Leere gerichtet. Vesana ließ sich auf ihrem Tornister etwas Abseits bei einigen Büschen am Rand der Mulde nieder, die sie als Ort für ihr Jagdlager auserkoren hatten. Sie beobachtete den Nord mit der kahlen Schädelplatte genau, wusste sie doch, wofür die Zeichen auf dem Gesicht des Mannes standen.
    Wulf zu sich winkend wandte sich die Kaiserliche nach einigen Momenten des Verschnaufens an den Führer ihrer Gemeinschaft. Der Einäugige kam zu ihr hinüber und wusste offenbar bereits, was die zweite Jägerin im Bunde von ihm wollte, hockte er sich doch gleich neben sie, ohne ein Wort zu sprechen. Gemeinsam schauten sie zum Sorgenkind der Gruppe. „Wie ist es um Eure medizinischen Mittel bestellt?“, wollte Vesana wissen.
    „Wir haben Verbands- und Nähzeug für offene Verletzungen dabei. Auch ein paar Fettsalben gegen die Kälte“, entgegnete Wulf.
    „Hm.“
    „Was denkt Ihr?“
    „Wenn wir nichts unternehmen, wird er uns in spätestens zwei Tagen wegsterben.“
    „Wenn er sich helfen lassen würde, wäre es nicht das Problem.“ Finna reichte Oslaf inzwischen etwas Proviant und Wasser, während sich die beiden anderen unterhielten.
    „Sein Wille ist mir egal. Eure medizinische Ausstattung für eine Reise wie diese ist, was mich beunruhigt.“ Sie erhob sich von ihrem Gepäck und kniete sich neben es, um anschließend darin herumkramen zu können.
    Der Einäugige schaute zu ihr. „So?“
    Vesa holte eine kleine metallene Box und eine Verbandsrolle aus ihrem Felleisen, die Frage ignorierte sie. Kurzerhand schritt sie hinüber zu Oslaf und Finna. Ersterer wandte ihr träge den Kopf zu, Finna blickte mit sorgenvollem Blick auf.
    „Was wollt Ihr damit?“, der Nord wies auf die Sachen in ihren Händen.
    „Euren sturen Schädel weichklopfen.“ Mit Blick auf die Frau setzte die Kaiserliche fort: „Haltet ihn fest.“ Die kräftige Jägerin nickte und griff nach den Armen des Verletzten. Der konnte seinem beharrlichen Willen aber schon gar nicht mehr Ausdruck verleihen. Mehr schlecht als recht sträubte er sich gegen die angeblich unnötige Hilfe. So hatte sie es vorausgesehen und bereits auf der Wanderung geplant. Es brachte nichts, wenn sie sich bei seiner Gegenwehr auch noch selbst verletzte.
    Vesana setzte sich auf die Oberschenkel des Mannes und begann ihm seinen linken Stiefel auszuziehen. Anschließend krempelte sie noch das Hosenbein hoch. Der Unterschenkel schimmerte in kräftigem Rot, bekam aber bereits einen Schimmer von dunklem, fast schwarzem Blau vom Knöchel bis auf halbem Wege zum Knie hoch. „Dachte ich es mir.“ Die Kaiserliche öffnete die Box, in der sich eine Salbe befand. Es handelte sich dabei im Grunde nur um eine verdickte Variante eines Heiltranks mit krankheitshemmenden Wirkstoffen als Ergänzung. Ideal gegen Entzündungen, Blutergüsse, Quetschungen und anderen nicht offenen Verletzungen, die nur durch indirekte Behandlung geheilt werden konnten. Sie rieb die verletzte Stelle großzügig ein, was bei Oslaf für schmerzgequältes Stöhnen und Zucken sorgte.
    „Runter von mir!“, knurrte er. Vesa ließ sich nicht beirren und verbrauchte ein Drittel der Creme. Anschließend verband sie die Stelle noch mit den in einem Heiltrank getränkten Bandagen. Diese doppelte Einwirkung sollte die Entzündung hemmen und dafür sorgen, dass sich der Körper des Nords selbst regenerieren konnte. Anschließend stand sie auf und überließ das Anziehen dem Sturkopf. „Ich will Eure-“
    „Wenn Ihr in drei Tagen noch lebt, könnt Ihr mir danken. Sofern Ihr dann nicht immer noch den Wunsch haben solltet, zu sterben. Falls ja, tut es, wenn wir von der Jagd zurück sind.“ Sie wandte sich ab, ohne den Jäger anzuschauen und verstaute ihre Sachen wieder. Wulf war inzwischen aufgestanden und hatte das Geschehen beobachtet. Jetzt folgte sein Auge der Kaiserlichen, die sich mit schnellen Handgriffen ihr Schwert und die Armbrust auf den Rücken band und den Speer in die Hand nahm. Der Gruppenführer wusste genau, dass sie Recht hatte und die Nord medizinisch ausgesprochen optimistisch, folglich unterausgestattet, waren. Das sah ihm die Kaiserliche am Dank auf den rauen Zügen an. „Ich kundschafte die Gegend nach Spuren aus. Ich bin sicher, dass Ihr das Lager auch zu zweit aufbauen könnt. Wenn nicht: Ich bin nicht allzu lange unterwegs, es wird immerhin bald dunkel.“ Sie wartete keine Reaktion ab, sondern verschwand zähneknirschend direkt im Unterholz.
    Nach einigen hundert Schritten im Dickicht hielt die Jägerin dann inne und atmete tief durch. Ihre Gedanken waren bis dahin alles andere als fokussiert auf das Kundschaften. Die Zähne mahlten kräftig aufeinander, im Bauch stach die Wut um sich wie ein Berserker und vor Zorn rauschte das Blut durch ihre Adern. Kräftig schlug sie mit den Fäusten mehrere Male gegen einen nahen Baum. Schnee rutschte dabei von den nahen Zweigen. Diese dreimal verfluchten Nord und ihre Sturheit! Lieber starben sie, als Hilfe von Fremden anzunehmen. Selbst von Freunden nahmen sie sie nur im letzten Moment an. „Zum Kotzen!“ Nochmals holte sie aus und hämmerte kräftig auf das überfrorene Holz ein, bis ihr die Knöchel schmerzten. Erst dann vermochte sie durchzuatmen und ihr Gemüt herunter zu kühlen.
    Nun da sie sich abreagiert und ihrem Ärger wenigstens etwas Luft gemacht hatte, setzte Vesana ihre Erkundungsrunde konzentrierter fort. Eigentlich mochte es ihr ja gleichgültig sein können, was mit Oslaf geschah, aber wie sie zu Wulf bereits in der Nacht meinte: Im Rudel wurde sich geholfen. Sie jagten zusammen, folglich übernahmen sie Verantwortung füreinander. Genau diese Verantwortung übernahm Oslaf nicht und brachte sie alle in Gefahr. Das wiederum ließ die Kaiserliche wütend werden. Das Problem sollte sich aber in den nächsten Tagen von selbst lösen. Es war nicht das erste Mal, dass Vesana eine derartige Verletzung behandelte und sie hatte schon weitaus schlimmere Stadien gesehen, die dennoch verheilt waren. Der sture Nord würde also durchkommen.
    Kurz vor Einbruch der Dunkelheit kehrte die Kaiserliche zum Lager zurück. Wulf kümmerte sich in der windgeschützten Senke um ein kleines Feuer, Finna richtete noch den Unterstand her. Oslaf lag auf der Seite und schien entweder zu schlafen oder einfach nur zu ruhen. Sein verletztes Bein hatten die anderen beiden in eine Decke eingewickelt, der ausgezogene Stiefel stand neben der Schlafunterlage. Der Einäugige schaute auf, als er die Rückkehrerin bemerkte und nickte ihr zum Dank und Gruß zu. Vesana grüßte zurück, entledigte sich ihrer Waffen und breitete die eigenen Schlafsachen am Rand des Unterstandes aus. Zum Abschluss setzte sie sich auf einen dicken Ast neben die kleine Feuerstelle und schaute gedankenverloren in die Flammen. In Verbindung mit der einkehrenden Ruhe trugen sie sie allmählich fort in andere Zeiten.
    „Habt Ihr etwas entdeckt in der Umgebung?“, wollte Wulf wissen. Er saß ihr gegenüber und schaute über die lodernden, knisternden Lohen zu ihr hinüber. Die leuchtenden Zungen zwischen ihnen formten immer wieder Teile eines vertrauten Gesichtes.
    „Nein. Wenn da draußen jemals Spuren gewesen sind, hat sie der Sturm längst verweht.“ Sie schloss die Augen und beugte sich näher an das Feuer heran, so dass dessen Wärme die ausgetrockneten, kalten Gesichtszüge wärmen konnte. Das Kinn ruhte auf den zusammengefalteten Händen, die es über die Arme auf den Knien abstützten. So verharrte sie.
    „Dann müssen wir wohl auf gut Glück morgen losziehen“, mischte sich Finna ein, die sich dem Klang nach zu urteilen ebenfalls auf einen Ast setzte und die Hände zum Aufwärmen an die Flammen hielt. Sie wandte sich an Vesa: „Habt Dank für Eure Hilfe von vorhin.“
    Die Kaiserliche schaute nicht auf, ihre Gedanken glitten durch die glühenden Flammen hindurch und an andere Orte. Sie registrierte die Worte, aber sie drangen kaum an ihren Geist heran, mehr nur ein leises Flüstern im Hintergrund. Sie musste an einen weiteren Sturkopf denken, der für eine Weile Teil ihres Lebens gewesen war. „Dankt mir nicht“, erwiderte Vesana nach einer lang gedehnten Pause. „Geht mit diesem Starrkopf ins Gericht.“ Erst dann öffnete sie die Augen und erhob sich. „Wir sollten die Nachtwache dreiteilen. Keine unnötigen Expeditionen“, wandte sie sich an Wulf. Dieser schaute auf und gab durch ein Wippen des Kopfes seine Zustimmung kund.
    Danach verschwand die Kaiserliche in den Unterstand und bereitete sich für die Nacht vor. Immer wieder hielt sie in ihren Bewegungen inne und griff mit der Rechten an die Stelle des Hirschkopfamuletts, das unter der Kleidung verborgen lag. Kleine Tränen liefen ihr aus den Augenwinkeln. Zum Stechen in der Brust gesellte sich alsbald Wut auf sie selbst. Fast schon aggressiv wischte sich die Jägerin die Nässe von den Wangen. „Scheiße!“, zischte sie leise, so dass es niemand hörte, und deckte sich zu.



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    Geändert von Bahaar (21.06.2013 um 09:32 Uhr)

  11. #11

    Solstheim, nordöstliches Inland

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    Nach einer unruhigen, stürmischen Nacht hatten sich die drei gesunden Jäger aufgemacht. In den diffusen Lichtverhältnissen zwischen den dichtstehenden, hohen Bäumen suchten sie nach Spuren im Schnee. Allerdings diente ihr Ausflug eher dazu, sich einen koordinierten Überblick über die Umgebung zu verschaffen, denn tatsächlich schon mit Beute zum Lager zurückzukehren. Der Sturm tobte unverändert mit brachialer Härte und verwehte ihre eigenen Spure vor ihren Augen. Sie hatten mehr damit zu kämpfen, überhaupt voranzukommen und die kleinsten Öffnungen in ihrer Kleidung abzudichten, als dass sie sich darauf konzentrieren konnten, Wild zu erspähen. Dieses würde sich aller Wahrscheinlichkeit nach ohnehin an geschützten Stellen versteckt halten und abwarten, bis der Wind nachließ. Vesana hielt sich die rechte Hand vor den unteren Teil ihres Gesichtes, hielt Gjalunds Tuch fest und drückte die Linke gegen die rechte Seite. Weit vorgebeugt trat sie in den Spuren Wulfs, der für den Moment die Führungsarbeit in dem tiefen Schnee übernahm.
    An sich bot das Gelände in dieser Region der Insel ideale Jagdbedingungen. Dichtstehende Bäume, dichtes Unterholz, viele Felsen und zahllose Senken und Furchen im Relief. Tiere ließen sich hier gut lenken und in gewünschten Bahnen direkt in eine Falle treiben – Verstecke gab es jedenfalls genug. Wäre da nicht der Sturm. Es hatte noch nicht einmal Sinn irgendetwas vorzubereiten, weil die Gruppe überhaupt nicht wusste, wo und wie viele Beutetiere sich in der Region aufhielten. Ganz zu schweigen davon, dass eventuell errichtete Fallen vermutlich nach einigen Stunden sowieso zugeschneit, unbrauchbar und unauffindbar sein würden. Manchmal konnte eine Jagd sehr frustrierend sein, aber jeder von ihnen wusste aus Erfahrung, dass es eben mal so, mal so kommen konnte. Sie ließen sich davon also nicht beirren oder gar einschüchtern, sondern nutzten die Zeit so gut es ging.
    Wenigstens etwas Feuerholz fanden sie. Durch die Temperaturen war das Holz trotz seines gefrorenen Zustandes einigermaßen brauchbar, wenn man im Besitz des nötigen Werkzeuges war. Glücklicherweise sah sich die Kaiserlicher in der Position genau das behaupten zu können – die glühenden Steinsplitter, die sie noch am ersten Tag ihrer Wanderung durch die Aschewüste im Süden gefunden hatte, entpuppten sich als herausragend für diese Aufgabe. Wulf meinte, es handelte sich bei ihnen um Splitter so genannter Herzsteine, die es seit dem Ausbruch des Roten Berges überall im Süden der Insel zu geben schien. Abgesehen davon trieb die Kälte ohnehin die Nässe aus den Fasern des Holzes, so dass es tatsächlich sehr trocken war und sich – genügend Geduld vorausgesetzt – auch mit normalen Werkzeugen entzünden ließ. Sie luden sich jeder so viel auf, wie sie zu tragen vermochten, und kehrten schließlich am Nachmittag zu ihrem Lager zurück.
    Oslaf wartete bereits und hütete das kleine Lagerfeuer in der windgeschützten Senke. Sie hatten ihm Ruhe auferlegt und so musste er den Tag über im Unterstand verweilen und die häuslichen Pflichten der Lagerwacht übernehmen. Die Kaiserliche setzte sich direkt auf einen der mitgebrachten Äste ans Feuer, zog sich das gefrorene Tuch vom unteren Teil des Gesichtes und hielt die Hände gegen die Flammen. Die Wärme tat gut, fror doch trotz ausgezeichneter Ausrüstung so ziemlich jedes Körperteil, das sie einzeln benennen konnte. Kleine Wölkchen standen vor ihrem Gesicht und verpufften erst, als sie in direkten Kontakt mit den Lohen kamen. Das Zittern in den Gliedern und die Taubheit derselben ließen nur sehr langsam nach. „Irgendwas gefunden?“, wollte Oslaf wissen, der sichtlich Frust schob, weil sie ihm Hausarrest auferlegt hatten.
    „Nichts“, entgegnete Finna.
    „Der Sturm ist einfach zu stark. Da draußen bewegt sich nichts“, ergänzte Wulf. „Du hast also nichts verpasst.“ Der beruhigend gedachte Zusatz sorgte nur für ein verächtliches Schnaufen und anschließendes Schweigen. Vesana verspürte keinerlei Bedürfnis sich in diese Unterhaltungen einzuklinken. Es bestand auch keine Notwendigkeit dafür. Ihr Standpunkt blieb unverändert und alle kannten ihn seit dem vorigen Abend. Mit dem Einbruch der Dunkelheit versammelten sich dann alle Vier um das knisternde Feuer. Das leise Knacken der Glut und Fauchen der Flammen wurde überwiegend vom starken Wind verschluckt. Die Wärme ließ sich bald kaum mehr wahrnehmen, zu gewaltsam erstickte die Kälte alles Leben. Keiner von ihnen würde so noch lange ausharren, wenn er nicht gerade Wachdienst schob. Bevor sie sich jedoch zur Ruhe begab, kramte Vesa noch einmal ihre Heilsalbe aus ihrem Tornister.
    „Hier“, sie warf die Schachtel Oslaf zu, der sie im letzten Moment vor der Brust fing, „ich bin sicher, Ihr wisst, wie Ihr Euch eincremen müsst. Seid großzügig. Den Verband könnt Ihr noch einmal verwenden.“ Er widersprach schon gar nicht mehr, weil drei Augenpaare eindringlich auf ihm ruhten. Murrend und knurrend tat er, wie ihm geheißen. Durch das Feuer vermochte die Kaiserliche zwar nicht zu erkennen, wie die Verletzung des Beines aussah, aber da der kräftige Nord insgesamt schon einen wesentlich besseren Eindruck erweckte – die Haut weniger blass, weniger Schweiß und Talg, reduziertes Zittern und Schütteln – ging sie davon aus, dass die Behandlung anschlug. Finna wollte dem sturen Jäger helfen, doch der scheuchte sie mit hastigen, wild fuchtelnden Bewegungen der Arme weg.
    „Ich kann das selbst!“, blaffte er. „Hier.“ Nach Beenden der Handgriffe reichte er Vesana die Salbe zurück. Sie verstaute sie und verkroch sich nach Einteilung der Nachtwache im Unterstand. Die drei Nord unterhielten sich einige Zeit länger, aber sie hörte nicht hin. Es ging ohnehin nur um Belange des Dorfes, die die Kaiserliche nicht zu interessieren brauchten, also schloss sie die Augen und rollte sich unter ihrer Decke zusammen.

    Über Nacht ließ der Sturm endlich nach und am Morgen schien sogar die Sonne. Die Temperaturen stiegen merklich in die Höhe, blieben aber weiterhin weit unter dem Gefrierpunkt. Dennoch empfanden es alle als Segen verglichen mit den letzten Tagen. Oslaf blieb erneut zurück, während die übrigen sich auf Wanderschaft in der Umgebung begaben. Überall ließ sich beobachten, wie sich die Natur nach dem schweren Unwetter allmählich wieder aufrichtete. Vom Schnee herabgedrückte Äste warfen einen Teil ihrer Last ab, Spuren von Kleintieren zeichneten sich zwischen den Pflanzen ab und führten von Gebüsch zu Gebüsch. Abgerissene Zweige und Äste wurden von Bodenbewohnern davon geschleift und für Reparaturen an ihren Behausungen genutzt. Der Anblick all der Zeichen des Lebens gab Kraft. Und dann verbuchten die Jäger auch endlich den ersten Erfolg seit Tagen.
    Ein hochbeiniges Huftier hatte sich erst vor kurzem einen Weg durch den Wald gebahnt. Der schneefreien Schneise an den unteren Ästen der Nadelhölzer nach zu urteilen musste es sich um einen großen Hirschbullen handeln. Sie nahmen die Verfolgung auf und hielten sich in der Spur des Tieres, um einfacher voranzukommen. Schnell wollten die drei gar nicht so unbedingt sein, barg es doch immer die Gefahr, das Tier durch Laute zu verschrecken. Manchmal mochte der Unvorsichtige auch weitere Spuren verpassen und plötzlich einem Bären in die Fänge laufen, der das eigentliche Beutetier eher erreicht hatte. All das war Vesana – und sicher auch den anderen Jägern – bereits das eine oder andere Mal passiert. Besonders wer über noch wenig Erfahrung verfügte, steigerte sich schnell ekstatisch in das Jagdfieber hinein und beging Fehler. Allerdings sollte es ihrer Einschätzung nach bei ihr und den zwei Nord nicht mehr dazu kommen.
    Immer wieder hielten die drei inne und lauschten auf die Umgebung. Leises Knirschen oder Rauschen im Schnee legte Nagetiere nahe, die sich unter der Schneedecke fortbewegten. Manches Mal gesellten sich auch unter der weißen Last brechende Äste dazu. Leichte Windböen flüsterten zwischen den Zweigen und bliesen den lockeren Schnee von den Nadeln herab. Wie Sternenstaub glitzernd rieselten die Flocken dann zu Boden. Die Spur selbst blieb kaum verändert gut erkennbar und führte im Zick-Zack durch den Wald. Hin und wieder wurde sie von aufgewühlten Arealen unterbrochen, in denen der Hirsch wohl nach Nahrung unter der geschlossenen Decke gesucht hatte. Erkennbare Zeichen von möglichen Räubern in der Nähe fanden die Jäger jedoch nicht. Sie setzten ihre Verfolgung aber dennoch stets mit gebotener Vorsicht fort.
    Es dauerte dann noch einige Zeit, bis sie schließlich animalisches Schnaufen eines größeren Tieres unweit vor sich vernahmen. Die Quelle verbarg sich noch hinter einigem Geäst, aber dem Klang nach konnte es sich nur um den verfolgten Hirsch handeln. Die Windstille spielte den Jägern in die Hände, ihr Geruch wurde der anvisierten Beute nicht zugetragen und so blieben sie unbemerkt. Auch dann noch, als sie sich leise hinter einer Gruppe von Büschen verbargen und bedacht durch die Zweige spähten. Zur Anspannung gesellte sich nun auch eine größere Brise Aufregung. Das Ziel in Reichweite, die Bedingungen optimal – das ließ das Herz eines jeden Jägers höher schlagen. Die Atmung beschleunigte sich leicht, der Puls schwoll an und vertrieb die Kälte aus den Fingern. „Ihr sollt den Schuss erhalten, Nevara“, flüsterte Wulf. Vesa nickte nur und nahm die Armbrust von ihrem Rücken. „Finna und ich kreisen den Bullen ein und decken die möglichen Fluchtrichtungen.“ Mit diesen Anweisungen trennte sich die Gruppe auf, die andere Frau beschrieb linkerhand eine Kreisbahn, der Einäugige rechterhand. Die Kaiserliche legte inzwischen zwei Bolzen auf und spannte vorsichtig, um den Hirsch nicht durch laute Geräusche zu alarmieren, die Sehne. Zwar würde sie so weniger präzise sein, auf die kurze Entfernung machte das aber keinen Unterschied, und konnte dafür gleichzeitig mit einem Schuss zweifachen Schaden anrichten.
    Den linken Fuß setzte sie auf den Boden, ging auf das rechte knie hinab und hielt die Armbrust schräg nach unten vor sich. Gedanklich ging Vesana in den Momenten des Wartens mögliche Ausgänge der folgenden Geschehnisse durch. Der Bulle – ein wahres Prachtexemplar mit imposantem Geweih, hohen Beinen und einem kräftigen Körper mit gepflegt wirkendem, dunklem Fell – konnte nur leicht verletzt werden und panisch durchgehen. Das wäre der gefährlichste Ausgang, vor allem für die beiden Nord, die dem Tier dann im Weg stehen würden. Die Jägerin mochte ihn aber auch direkt so schwer verletzten, dass er zusammenbrach und sie ihm nur noch einen Gnadenstoß versetzen mussten. Vielleicht verlor er aber auch in der Panik einfach die Orientierung unabhängig der möglichen Verletzungen und wäre weiterhin in Reichweite für nachfolgende Schüsse mit der Armbrust. Was wohl niemand von ihnen hoffte, aber dennoch denkbar schien, war das plötzliche Auftauchen eines Raubtieres, das ihnen die Jagdbeute streitig machen wollte. Allerdings gab es dafür zumindest bislang keine Hinweise.
    Kurz darauf musste sie ihre Überlegungen und Abwägungen aber auch schon einstellen. Wulf tauchte kaum erkennbar in der Nähe eines Baumes auf der anderen Seite der kleinen Lichtung auf, die der Hirsch zum Weiden nutzte, und winkte. Das Zeichen, zu beginnen. Nur angedeutet sah sie, wie er seinen Speer abwehrbereit vor sich hielt. Vesana selbst erhob sich nun leicht und schaute über den Busch, der ihr Deckung geboten hatte. Sie stand im toten Winkel schräg hinter dem Bullen, so dass dieser sie nicht bemerkte und ihr einigermaßen genug Zeit zum Anvisieren blieb. Die Luft hielt sie an und ließ sie erst heraus, als sie abdrückte. Mit einem lauten, mechanischen Klicken löste sie den Mechanismus aus. Ein kräftiger Ruck fuhr durch die Waffe, als die bis aufs Äußerste gespannte Sehne nach vorne schnellte und die Spannung in den Vorwärtstrieb der Bolzen umwandelte. Surrend flogen die Geschosse durch die Luft.
    Keinen Lidschlag später endete das scharfe Schneiden abrupt und mündete in einem gepeinigten Stöhnen des Hirschs. Einer der Bolzen traf ihn in die Schulter und schien das Gelenk direkt durchschlagen zu haben. Das Tier lahmte mit dem rechten Vorderlauf, als es sich panisch versuchte zu Drehen und die verletzte Seite von der Quelle des Angriffs abzuwenden. Der Zweite traf weniger effektiv etwas nach unten versetzt in die Brust. Es kam zum dritten, vorher in Erwägung gezogenen Ausgang. Der Bulle drehte sich orientierungslos im Kreis und zog das verletzte Bein nach. Gleichzeitig sprangen Finna und Wulf mit den Speeren drohend erhoben aus den umliegenden Büschen und vollführten Stiche in die Luft, um das Tier von einer Flucht abzuhalten. Es direkt anzugreifen wäre auch höchst töricht gewesen, denn es hätte schon ein einziger Treffer mit dem Geweih gereicht, um die Jäger schwer zu verletzen.
    In der Zwischenzeit legte Vesana einen weiteren Bolzen auf und spannte die Armbrust neu. Als der Hirsch wieder in ihre Richtung schaute, hatte sie die Waffe bereits im Anschlag und schoss erneut. Der kurze Schaft verschwand vollkommen von vorn in der Brust des Tieres. Dieses wurde augenblicklich träge in seinen Bewegungen. Die Augen verloren an Glanz, glitten langsamer werdend über die Umgebung. Die lange Zunge baumelte schlaff wie ein Lappen aus dem Maul. Mit den Füßen fand es nur noch wenig Halt und konnte sie auch kaum noch heben. Sie schürten mehr nur noch durch die lockere Schneedecke, die sich zunehmend mit dem Blut der Jagdbeute rot einfärbte. Der Todeskampf des Bullen endete, als er kraftlos zusammenbrach und sein massiger Leib zu Boden fiel, wie ein voller Sack Kartoffeln aus einem Regal. Die drei Jäger hielten jedoch noch einige Momente respektvollen Abstand bis sich nicht einmal der Brustkorb hob und senkte, bis auch kein Blut mehr aus den Verletzungen quoll.
    Vesa befestigte die Armbrust auf dem Rücken und kniete sich als erste neben ihren ersten Jagderfolg, während die beiden Nord noch einen prüfenden Blick über die Umgebung schweifen ließen und erst dann die Speere in den Boden rammten. Die Kaiserliche barg die zwei Bolzen in der Flanke des Hirsches, sie ließen sich noch wiederverwenden, den dritten würde sie erst nach Zerlegen der Beute bergen können. „Gut geschossen“, lobte Wulf und half dabei, den gut und gerne fünfhundert Pfund schweren Koloss transportfähig zu machen, damit sie ihn später im Lager ausschlachten konnten. Das Tier würden sie kaum im Ganzen über längere Strecken transportieren können. Sie mussten alles überflüssige Gewicht – vor allem die Knochen – zurücklassen, wenn sie noch etwas mehr Fleisch mit zum Dorf zurückbringen wollten.
    „Kinderspiel“, entgegnete Vesana schließlich, als sie den Bullen soweit hatten, dass sie ihn zu Oslaf und dem Unterstand bringen konnten. Es dauerte sicher noch einmal doppelt so lange wie die eigentliche Jagd, bis sie letztlich am Nachmittag auch dort ankamen. Der sture Nord mit kahler Schädelplatte erwartete sie bereits und wirkte verglichen mit den drei schwer keuchenden Rückkehrern sogar ausgesprochen frisch und ausgeruht. Einen neidischen Blick vermochte er nicht zu unterdrücken, als sie mit dem toten Tier durch die Büsche kamen und es am Rand der Senke ablegten.
    „Du weißt, wie Du Dich beschäftigen kannst, Oslaf.“ Wulf warf dem Langbärtigen ein Lederbündel zu, aus dessen einen Ende mehrere schlanke Messergriffe herausschauten. Der Angesprochene nickte nur und machte sich daran, den Hirsch zu zerlegen. Vesana überlegte kurz, ob sie ihn auf den noch in der Brust steckenden Bolzen hinweisen sollte, unterließ es dann allerdings. Er würde es schon selbst herausfinden. Stattdessen entledigte sie sich ihrer Waffen und legte sie auf ihren Tornister, der sich neben ihrer Schlafstatt im Unterstand befand. Anschließend ließ sie sich rücklings auf die Leder- und Fellunterlage mit der Decke darauf fallen und schloss die Augen. Die Hände platzierte sie flach auf dem Bauch und atmete tief ein und aus. Gedanklich rekapitulierte die Kaiserliche noch einmal das Jagdgeschehen ab dem Zeitpunkt, ab dem sie die Spur des Bullen aufgenommen hatten bis zu seinem letzten Atemzug. Auch nach ihrer Analyse blieb der Tag fehlerfrei, eine perfekt gelungene Jagd. Niemand hatte sich verletzt, das Tier musste nicht unnötig lange leiden und es brachte genug Fleisch für zwei kleinere Beutetiere, so dass sie sich alles in allem sehr zufrieden geben konnten.
    Als sie sich wieder erhob, wühlte Oslaf bis zu den Ellenbogen im Rumpf des Hirsches herum und entnahm ihm die Eingeweide eines nach dem anderen. Der Schnee triefte rot, ebenso seine Hände und Unterarme. Beutel lagen neben dem knienden Nord auf dem Boden, sie beinhalteten die essbaren Organe wie Leber und Herz. Die anderen stapelten sich auf einer Lederunterlage. Sie würden am Ende irgendwo im Wald landen, um als Ablenkung für Räuber zu dienen bis der Rest mit samt dem Blut auf dem hellen Grund gefroren war und sie nicht mehr durch seinen Geruch anlocken konnte. Die knöchernen Rückstände würden sie auch irgendwo im Unterholz entsorgen – zumindest soweit sie nichts davon sofort verwerteten. Finna und Wulf saßen am wie gewohnt klein gehaltenen Feuer, wärmten sich die Hände und sprachen miteinander über die Jagd sowie die nächsten Tage. Vesana gesellte sich dazu.
    „Ah, da seid Ihr ja“, meinte der Einäugige, als er sie bemerkte.
    „Da bin ich“, erwiderte sie nur und setzte sich.
    „Eine gute Jagd, die wir da heute geführt haben“, stellte Finna fest.
    „Zu dem Ergebnis bin ich auch gekommen. Hoffen wir, dass unser Glück so anhält.“ Die Kaiserliche rieb sich mit etwas Schnee das vom Schweiß verklebte Gesicht ab und trocknete es in der wärmenden Aura der Flammen.
    „Wir sind gerade dabei gewesen, die nächsten Tage zu planen. Mit dem frischen Fleisch wäre es wohl am sinnvollsten, wenn weiterhin einer im Lager bleibt und zumindest etwas auf Räuber achtet.“ Wulf legte eine kurze Pause ein, während der er einen neuen Ast ins Feuer legte. „Nicht, dass der sich mit einem ausgewachsenen Bären anlegen soll, aber es gibt auch kleinere Futterdiebe hier.“
    „Sicher nicht Oslaf, er würde uns dafür bestimmt jedem einzelnen die Glieder umdrehen“, entgegnete Vesana. Die beiden Nord lachten.
    „Ganz recht, das würde ich tun!“, brummte der Kahlköpfige aus dem Hintergrund. Die Kaiserliche schmunzelte leicht, die anderen beiden lachten abermals.
    „Finna hat sich bereits freiwillig gemeldet, sofern Ihr nicht um jeden Preis hier bleiben möchtet, würde sie es übernehmen.“
    „Nein, einverstanden“, stimmte Vesa zu. Für den Rest des Abends hielt sich die Jägerin dann wie gewohnt eher aus den Gesprächen zurück. Oslaf gab ihr noch die in zwei Teile zerbrochenen Reste ihres Bolzens zurück, nur die stählerner Spitze behielt sie, ansonsten sah die Kaiserliche kaum Anlass, sich in die Alltagsgespräche der Nord einzumischen. Sie begleitete die drei für die Jagd, nicht um Geschichten zu erzählen.



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    Geändert von Bahaar (28.06.2013 um 10:19 Uhr)

  12. #12

    Solstheim, nordöstliches Inland, Fjalding-Plateau

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    Der nächste Tag der Jagd verlief trotz der weiterhin optimalen Bedingungen recht erfolglos. Zwar nahmen Oslaf, Wulf und Vesana gelegentlich die Spur eines Huftieres auf, aber die verliefen stets im Leeren, weil sie entweder zu weit vom Lager wegführten, oder andere Fährten kreuzten und sich so kaum noch die eigentliche Laufrichtung des Tieres feststellen ließ. Besonders Oslaf frustrierte das. Zwei Tage hatte er aussetzen müssen und dann, als er endlich wieder teilnehmen durfte, blieben sie ohne Erfolg. Wulf und Vesana nahmen die Situation wesentlich gelassener. Vor allem die Kaiserliche rollte häufiger mit den Augen und schüttelte sacht den Kopf. Wie ein zu groß geratenes Kind, so verhielt sich der Nord. Zumindest manchmal und nach Vesas Einschätzung, der Einäugige ignorierte es einfach.
    Am Nachmittag kehrten die drei ohne Beute zurück zum Lager. „Nichts?“, fragte Finna nach einer kurzen Begrüßung.
    „Nein. Die meisten Spuren führen zu weit vom Lager weg oder sind nicht eindeutig genug“, erklärte Wulf. „Wir sollten daher wohl morgen den Aufstieg zum Fjalding-Plateau machen. Vielleicht sieht’s da oben besser aus. Einige Spuren führten auch in diese Richtung.“
    „Klingt nach einem guten Plan. Dafür gibt es heute wenigstens frischen Fuchs!“ Die Nord barg ein weiß-graues Fellbündel aus dem Unterstand und hielt es am Schwanz hoch. „Der kleine Racker wollte sich an unserem Hirsch vergreifen. Da wir wohl alle mal ein bisschen Abwechslung zum Trockenfleisch und Brot gebrauchen könnten, ohne dass wir gleich die Vorräte für das Dorf antasten, kommt der sicher ganz gelegen.“
    „Ha! Dieses Weib, ist sie nicht großartig?“ Oslaf freute sich. Wulf lächelte, Vesa entledigte sich nur ihrer Waffen. Am Abend saßen sie gemeinsam um das Feuer und genossen das frisch über den Flammen gegrillte Fleisch. Es war zwar nicht viel an dem kleinen Futterdieb, aber immerhin eine gute Ergänzung und Abwechslung, wie es Finna bereits so schön gesagt hatte.

    Mit den ersten Strahlen der Sonne in den Wipfeln der Nadelbäume brachen die vier auf. Der Aufstieg zum Fjalding-Plateau gestaltete sich als langwieriger, anstrengender und nicht ganz ungefährlicher Prozess. Immer wieder trat einer von ihnen lockere Schneewehen auf dem steilen Pfad los, die unterwegs anschwollen und als kleine Lawinen die Hänge hinabdonnerten. Der Sturm und starke Schneefall hatten das Gebiet zu einer wahren Brutstätte für den weißen Tod werden lassen. Wenigstens blieb es sonnig und einigermaßen windstill, da sie in der offenen, steilen Wand wesentlich exponierter waren, als noch zwischen den Bäumen. Immerhin erreichten sie zum frühen Nachmittag schließlich flacheres Terrain, auf dem sich der Wald fortsetzte. Die Tatsache, dass sie schon nach wenigen hundert Schritten zwischen den Bäumen die ersten Spuren von Leben entdeckten, einige davon gehörten zweifelsohne wieder zu Wild, sorgte für Freude. Zwar schienen es keine so großen Exemplare, wie der Hirsch vor zwei Tagen zu sein, aber das mussten sie auch nicht.
    Insgesamt verlief es für die Gruppe ausgesprochen ruhig. Sie suchten eine möglichst geschützte Stelle für ihr Lager und erkundeten nach dem Aufbau noch ein wenig separat die Umgebung, ohne bereits aktiv nach Beute zu suchen. Vielmehr verschafften sie sich einen Überblick, orientierten sich und zählten unterschiedliche Spuren, um eine Vorstellung davon zu erhalten, wie ergiebig das Gebiet sein mochte. Den Abend nutzten die vier vor allem dazu, sich möglichst gut von der anstrengenden Wanderung zu erholen, um für den nächsten Jagdtag ausgeruht zu sein.
    „Wir sollten morgen vorsichtig sein“, befand Finna, als sie in der früh hereingebrochenen Dunkelheit noch um ihr Feuer saßen. „Ich habe vorhin eine Bärenfährte entdeckt. Zwar führte sie nach Norden, aber sie war noch recht frisch und wenig verschüttet.“
    „Eine Wolfsspur habe ich auch gesehen“, ergänzte Vesana. „Richtung Westen. Aber das Pack war relativ schnell unterwegs. Ich glaube nicht, dass sie uns morgen in die Quere kommen werden.“
    „Was glaubt Ihr, wie viele es waren?“, wollte Wulf wissen.
    „Schwer zu sagen. Die Perlenschnur“, so bezeichnete sie den Pfad des Packs, wo ein Leittier die Vorarbeit leistete und der Rest in der gezogenen Spur folgte, „lässt vermuten, dass sie sich auf Wanderschaft befinden und den Pass im Westen im Visier haben. Einzelne Tiere ließen sich da nicht ausmachen. Ich schätze aber anhand der Tiefe und den hin und wieder nicht perfekt ineinander gesetzten Fußabdrücken, dass das Rudel vier bis fünf, vielleicht auch sechs Mitglieder umfasst.“
    „Hm, stellt sich die Frage, warum sie dorthin ziehen, wenn es hier den Zeichen nach zu urteilen genug Beutetiere gibt“, überlegte Oslaf.
    „Möglicherweise haben sie sich bereits eine Weile hier aufgehalten und patrouillieren nun weiter durch ihr Revier. Vielleicht wurden sie aber auch von einem anderen Räuber“, die Kaiserliche nickte in Richtung Finna, „zum Beispiel unserem Bär hier – aufgeschreckt und verscheucht. Ehe sie sich mit dem um die Beute hier streiten und ein Rudelmitglied im Revierkampf verlieren, gehen sie ihm lieber aus dem Weg. Nicht zuletzt sind Wölfe ausgesprochen intelligent und zu Risikoabwägungen durchaus in der Lage. Der Bär ist nicht für immer hier, auch er zieht weiter. Sie können also auch später zurückkehren.“
    „Würde Sinn machen“, wandte Wulf ein. „In jedem Fall sollten wir morgen auf der Hut sein. Das Fleisch ist inzwischen gefroren, so dass es keine Tiere mehr anlocken kann. Ich würde ungern jemanden allein im Lager zu dessen Bewachung oder für längere Zeit weit abseits davon durch den Wald streifen lassen. Mit Bären- und Wolfsspuren in der Umgebung erscheint es mir zu riskant, länger einzeln unterwegs zu sein.“ Die übrigen Jäger der Runde nickten zustimmend.
    „Auch sollten wir wieder zu zweit Nachtwache halten“, schlug Vesana vor und erntete ebenfalls Zustimmung.

    Im Morgengrauen am darauffolgenden Tag begann das Spiel von vorn. Wulf bereitete als erster den Weg an der Spitze der Gruppe, die anderen folgten in seiner Spur. Sie brachten Unruhe in die Idylle des friedlich daliegenden Waldes, zerrissen das seidige Tuch des kalten Friedens der morgendlichen Stunden. Der Dampf stand ihnen vor den Gesichtern, die kalten Ohren lauschten auf jedes Geräusch, die Augen glitten über das funkelnde Weiß, die Füße versanken im Pulver auf dem Boden. Sie legten Wert auf leise Bewegungen und warfen lieber einen Blick zu viel auf einen Busch, als einen zu wenig. Mit dem Gedanken an die Spuren der Räuber im Hinterkopf wollten sie kein Risiko eingehen. Nicht zuletzt hatten sie sich auch genau deswegen schlussendlich dagegen entschieden, sich in zwei Gruppen à zwei Leuten aufzuteilen, und pirschten stattdessen alle gemeinsam durch das Unterholz.
    Bereits sehr zeitig kündigte sich an, dass es wohl ein erfolgreicher Tag werden würde. Es dauerte nicht lange, bis die vier die Fährte einer Rotte von Rehen aufspürten. „Sieht nach fünf Tieren aus. Vielleicht auch sechs, wenn irgendwo hinter den Büschen noch ein Streuner unterwegs ist“, befand Vesana, die im Schnee neben einem Dunghaufen kniete, mit den freien Fingerspitzen erst eine der markten Paarhufspuren nachfuhr und anschließend einen Kotklumpen zwischen Daumen und Zeigefinger nahm. „Noch nicht gefroren“, meldete sie und schaute auf zu den drei Nord, die sich im direkten Umfeld positioniert hatten.
    „Gut, wir teilen uns auf, bleiben aber in Rufreichweite. Oslaf, Finna, ihr nehmt das Unterholz links der Spuren. Nevara, Ihr übernehmt mit mir die rechte Seite.“ Der wesentlich größere und kräftigere Nord übernahm abermals die Führungsarbeit und bereitete die Schneise für die kleinere, zierlichere Kaiserliche. Zwar fühlte sie sich nicht darauf angewiesen, hinderte ihn aber auch nicht aktiv an seiner Arbeit. Solange er es machen wollte und konnte, sollte er es ruhig. Schon kurze Zeit später stießen die Jäger auf eine Lichtung und die auf ihr nach Nahrung wühlenden Rehe. Ihre Zahl bemaß sich in der Tat auf fünf, eine erkennbar ältere Kuh mit dunklerem Fell, die ansonsten aber noch einen kraftvollen Eindruck erweckte, führte die Gruppe an. Der Einäugige und seine Begleiterin knieten sich in die Deckung zweier dicht stehender Bäume und die sie umgebenden Büsche. „Zwei der jüngeren Tiere?“, fragte der Nord.
    „Ja. Wenn wir die Leitkuh erwischen, zerstreut sich die Rotte möglicherweise und verendet orientierungslos.“ Wulf nickte zustimmend. Die Kaiserliche spähte aus der Deckung heraus und suchte das Geäst auf der gegenüberliegenden Seite der freien Fläche nach ihren beiden Kumpanen ab. Sie fand sie ebenfalls hinter einem Baum hervorschauend. Über Handzeichen und mittels Kopfnicken und -schütteln gab sie Finna zu verstehen, welche der Tiere der Gruppe sie als Ziele ins Visier nehmen würden. Wieder einmal kam ihnen dabei auch die Windstille zugute. Die vier Jäger verhielten sich ruhig und bewegten sich nur wenig, so dass die Rehe weder durch Geräusche noch durch Geruch alarmiert werden konnten. Erst als Wulf seinen Bogen und Vesana ihre Armbrust bereithielt, stieg die Anspannung. Beide visierten unterschiedliche Tiere an. Die Kaiserliche zielte auf die Hüfte eines weiter entfernt stehenden Rehs, Wulf übernahm ein näheres. Fast simultan ließ der eine die Sehne los und löste die andere den Mechanismus aus. Surrend fanden die Geschosse ihr jeweiliges Ziel. Der Bolzen ließ das seine lahmen, der Pfeil brachte mit einem Treffer in die Brust das unausweichliche Todesurteil. Während die Leitkuh und die zwei anderen Tiere geräuschvoll und panisch die Lichtung verließen, blieb das verwundete Reh zurück. Oslaf streckte es mit einem Speerstich in die Brust nieder.
    Wulf und die Kaiserliche hielten sich ebenso wie Finna weiterhin in Deckung und lauschten auf die Umgebung. Erst als sie sich sicher fühlten, dass keine Raubtiere in der Umgebung von den Geräuschen des Todeskampfs der Rehe angelockt worden waren, entspannten sie sich und leistetem dem langbärtigen Nord auf der Lichtung Hilfe beim Verarbeiten der Beute. Sie entschieden sich dazu, diese an Ort und Stelle transportfähig zu machen. Auf diese Weise blieb ein lockender Rest für potenziell doch noch aufkreuzende Räuber zurück, der sich in sicherer Entfernung zum Lager befand. Da der einäugige Nord stets die Führungsarbeit übernahm, erklärte sich Vesana dazu bereit eines der ausgenommenen Rehe zu tragen. Sie legte es sich wie Oslaf quer über die Schultern und packte es an den Vorder- und Hinterläufen, damit es nicht herunterfiel.
    „Wir sollten morgen die Reise zurück zum Dorf antreten. Wir haben genug Beute für einen Jagdausflug“, befand Wulf, als sie bei ihren restlichen Sachen eintrafen. Die Tiere legten sie zum Fleisch des Hirsches, dass sie mit Ausnahme der Schenkelstücken in großen Einzelteilen in lederne Beutel verpackt hatten. An Vesa gewandt, setzte er fort: „Außerdem bin ich sicher, dass Ihr inzwischen darauf brennt, Eure eigene Jagd fortzusetzen.“ Sie schenkte ihm ein schwaches, schiefes Lächeln, setzte sich an die Feuerstelle und beobachtete Oslaf dabei, wie er die Flammen mit den Herzsteinsplittern neu entfachte. „Zumindest habt Ihr Euch diese verdient.“ Der Einäugige setzte sich zu ihr.
    „Es freut mich, dass Ihr das so seht“, erwiderte die Kaiserliche und verlor sich in den schnell emporzüngelnden Lohen.



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    Geändert von Bahaar (05.07.2013 um 10:23 Uhr)

  13. #13

    Solstheim, nordöstliches Inland, Fjalding-Plateau, Skaal-Dorf

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    Die Rückreise zum Dorf der Skaal gestaltete sich als anspruchsvolle und kräftezehrende Angelegenheit, die außerdem viel Zeit einnahm. Zwar verlief sie komplikationsfrei, das änderte aber nichts an der Tatsache, dass sich die vier Jäger in die gut und gerne über zweihundert Pfund schweren Reste des Hirsches und die zwei Rehe reinteilen mussten. Während die Frauen schon mit den beiden kleineren und leichteren Tieren als zusätzliche Last zum Reisegepäck zu kämpfen hatten, keuchten die beiden Männer unter dem Gewicht des Bullen. Zwar trugen auch Vesa und Finna noch kleinere Stücke, aber den Gutteil übernahmen dann doch Wulf und Oslaf. Wenigstens gab es keinen Zwischenfall mit Raubtieren, dafür verschlechtere sich das Wetter zusehends.
    Insgesamt brauchten sie volle drei Tage für den Rückweg zum Skaal-Dorf und am Ende sahen sie im dichten Schneetreiben kaum noch die eigene Hand vor Augen. Es stürmte zwar nicht, stattdessen fielen aber Flocken so groß wie Fingerkuppen in rauen Mengen vom Himmel. Immerhin wurden sie im Dorf nach ihrer neuntägigen Expedition herzlich in Empfang genommen – zumindest von jenen, die sich zum Abend noch draußen im Wetter aufhielten. Das Ergebnis der Jagd konnte sich auch durchaus sehen lassen, so dass es Vesa nicht völlig ungerechtfertigt erschien. Der Trubel war ihr dennoch nicht geheuer, weshalb sie sich möglichst im Hintergrund hielt, wenn gerade einmal wieder jemand dahergelaufen kam, um den Jägern zu danken. „Wulf?“, wandte sich die Kaiserliche in einem ruhigen Moment an den Einäugigen. Er schaute zu ihr auf und hielt mit dem Auspacken des Fleisches inne.
    „Ja?“
    „Ihr meintet, ich könne nun fortsetzen, weshalb ich hier bin?“
    „Das tue ich nach wie vor.“
    „Wäret Ihr so frei Eure Empfehlung an Storn zu übermitteln?“
    „Natürlich. Helft mir nur noch mit den restlichen Arbeiten hier, dann werde ich mit ihm sprechen.“ Sie nickte und hängte mit Finna die Rehe am Unterstand des Nords auf. Das restliche Fleisch verstauten sie in einer mit Holz verkleideten und abschließbaren Grube, wo es gefroren blieb und vor Räubern sicher war. Im Anschluss verabschiedete sie sich von Oslaf und Finna. Der Einäugige machte sich direkt auf zum Haus des Schamanen und Vesa folgte ihm. Er klopfte und trat auch als erster ein.
    „Es ist schön, euch wohlbehalten wiederzusehen“, begrüßte sie der graue Nord im Innern.
    „Das verdanken wir nicht zuletzt unserem Gast hier“, entgegnete Wulf und deutete auf die Kaiserliche an seiner Seite. „Lass‘ uns doch noch einmal über ihr Vorhaben sprechen, ja?“ Der Dorfschamane musterte die Frau und nickte dann.
    „Bitte, setzt euch doch.“ Sie nahmen am Tisch Platz. „Ich vermute, dass Ihr möglichst schnell aufbrechen möchtet?“, fragte er an Vesana gewandt.
    „Sofern sich das Wetter nicht noch weiter verschlechtert, ja.“ Wieder nickte der Nord.
    „Habt Ihr schon einmal von den magischen Steinen auf Solstheim gehört?“
    „Nein.“
    „Es sind Steine an verschiedenen Positionen auf der Insel. Woher sie kommen, würde an dieser Stelle zu weit führen. Sie sind Teil unseres Glaubens, den Ihr nicht zu teilen braucht“, erklärte Storn. „Es gibt sechs an der Zahl. Jeweils einen für Sonne, Erde, Wasser und Wind, sowie einen für die pflanzliche Natur, den wir schlicht Baumstein nennen, und einen für die tierische Natur, den wir Bieststein nennen“, setzte er fort. Vesana hörte ihm aufmerksam zu. „Jeder dieser Steine verleiht jenen, die sich seiner Macht würdig erweisen, eine magische Fähigkeit.“
    „Verstehe. In wieweit hilft mir das?“
    „Geduld, Geduld!“ Die Kaiserliche beugte den Kopf kurz und knapp nach vorn, um sich zu entschuldigen. „Für Euch spielt der Bieststein eine Rolle, denn in seiner Umgebung wurden zuletzt vermehrt jene Kreaturen gesehen, nach denen Ihr sucht. Werbären. Er befindet sich etwas nördlich des Passes vom Fjalding-Plateau zur südlichen Inselmitte. Ich schätze, dass Ihr diesen Pass bereits auf Eurem Weg zu uns überquer habt.“
    „Das habe ich.“
    „Der Stein ist eher schwieriger zugänglich und steht auf einem sehr kleinen Absatz in der östlichen Bergflanke der Ausläufer des Moesring-Massivs. Im Grunde oberhalb des Fjalding-Sees.“
    „Gut, damit werde ich ihn finden.“
    „Daran habe ich keine Zweifel.“ Er schaute die Frau ihm gegenüber ernster und fester an. „Doch ich möchte Euch nochmals warnen: Weder besteht eine Garantie dafür, dass diese Kreaturen dort noch anzutreffen sind, noch dafür, dass Ihr sie einzeln abpassen könnt. Darüber hinaus müsst Ihr Euch im Klaren sein, dass sie ihren Fluch auf Euch übertragen und Euch in Menschengestalt leicht in eine Falle locken könnten, bevor sie sich in die Gestalt ihrer wahren Natur verwandeln.“ Vesana hätte beinahe mit den Augen gerollt, verkniff es sich aber im letzten Moment, um nicht zu unhöflich zu sein. Stattdessen seufzte sie nur und nickte, bevor sie sich auf ihrem Stuhl zurücklehnte und eine der langen Strähnen, die das Gesicht einrahmten, hinter das Ohr strich. Sie mochte es nicht, wenn man ihr auf die Nase band, was sie schon längst wusste.
    „Ich danke Euch, Storn, für Eure gut gemeinten Worte. Seid versichert, dass ich vorsichtig sein werde.“ Das schien den Schamanen zumindest im Ansatz zufrieden zu stellen, wenngleich er sie weiterhin musterte und versuchte, aus der vor ihm sitzenden Kaiserlichen schlau zu werden. Außerdem musste er nicht wissen, dass sie sich nicht vor dem Fluch der Werbären fürchtete und auch nicht fürchten brauchte.
    „Wulf?“, der Schamane wandte sich an den einäugigen Nord, der bislang schweigend mit am Tisch gesessen hatte. „Möchtet Ihr noch etwas sagen?“
    Er atmete tief durch. Vesana schaute ihn an. „Es gibt da etwas, um das ich Euch bitten möchte.“ Er klang schwermütig, als ob ihn etwas belastete. Ein Hauch von Sorge mischte sich in sein noch klares Auge. „Mein … Bruder, Torkild. Wenn Ihr ein Auge nach im offen halten könntet, wäre ich Euch sehr dankbar.“
    „Ihr glaubt, dass er sich in der Nähe des Bieststeins aufhält?“
    „Ich erinnere mich, als ich ihn das letzte Mal vor einigen Jahren gesehen habe, ein unbändiges Feuer in seinen Augen gesehen zu haben, wie es für die Skaal sehr ungewöhnlich ist“, wich er der Frage aus.
    „Ihr glaubt, er ist ein Werbär geworden?“
    „Es wäre möglich.“
    „Verstehe.“ Sie überlegte kurz. Es konnte nicht schaden, dem Nord einen Gefallen zu tun. „Sollte ich ihm begegnen, werde ich Euch berichten“, stimmte Vesana deshalb zu.
    „Habt Dank.“ Der kräftige Nord neigte den Kopf einige Augenblicke lang und lehnte sich erst danach wieder zurück.
    Dann erinnerte sich die Kaiserliche an die Worte des Grauen. „Storn“, wandte sie sich an den Schamanen. „Was für magische Fähigkeiten verleihen diese Steine und wie erweist man sich ihnen als würdig?“
    „Darauf kann ich Euch keine Antwort geben. Was für den einen reichte, war für den anderen nicht genug. Wir Skaal streben auch nicht nach dieser Macht. Es blieb meist an Außenseitern wie Euch, dies herauszufinden. Die meisten überlebten nicht oder kehrten nicht zu uns zurück, um zu berichten. Seid jedoch versichert, dass wenn Ihr Euch würdig erweist, der Stein es Euch zu erkennen gibt.“ Die Erklärung half wahrhaftig wenig, aber Vesana hakte nicht weiter nach.
    „Kann ich die Nacht wieder bei Euch hier verbringen?“, schnitt sie stattdessen ein anderes Thema an.
    „Natürlich. Es ist genug Platz für Euch hier.“
    „Danke.“ Sie rutschte mit dem Stuhl ein Stück zurück, um Platz zum Aufstehen zu haben. „Ich habe noch etwas bei Baldor, das ich holen muss. Wenn es sonst nichts Wichtiges gibt, würde ich das noch erledigen.“ Wulf und Storn nickten beide. Sie überließ die Männer sich selbst und verließ das Heim des Schamanen. Draußen begrüßte sie eisige Luft, die Flocken raubten ihr unverzüglich die Sicht und schmolzen auf der Haut in ihrem Gesicht. Schnell schlug sie die Kapuze über den Kopf und zog die unteren Enden enger zusammen, um das Weiß davon abzuhalten, an ihrem Hals entlang unter die Jacke zu fließen. So schnell es ging stapfte sie mit schweren Schritten durch die hereingebrochene Nacht hinüber zum Haus des Schmieds und klopfte. Es dauerte einen Moment, dann regte sich etwas im Innern und die Tür wurde einen Spalt breit geöffnet.
    „Ja?“
    „Baldor Eisen-Former?“, fragte Vesana zur Sicherheit, sie erkannte kaum etwas im Gegenlicht aus dem Wohnraum der Hütte.
    „Der bin ich.“
    „Ich habe vor neun Tagen ein geschwungenes Schwert abgegeben, um es mit silbernen Einlagen zu versehen“, erklärte sie sich.
    „Ah ja, richtig. Ihr seid mit der Jagdgruppe zurückgekehrt. Kommt kurz herein, dann hole ich das Schwert.“ Der kräftige Nord mit dem markanten Schnauzpart und der kahlen Schädeldecke trat zur Seite und öffnete seine Eingangstür weit genug, damit die Kaiserliche hindurchschlüpfen konnte. Während sie wartete, schlug sie sich die Flocken von Kopf und Schultern, damit sie sich die Kapuze zurücklegen konnte. Die Wärme im Innern des Hauses tat gut. Die Kälte auf der Haut brannte und zwickte unangenehm – durch das Tauwasser noch wesentlich mehr, als sie es ohnehin schon tat. Wenig später kehrte der Nord aus dem hinteren Teil seines Heims mit der Klinge zurück. Er schlug das Leinentuch zur Seite, in das er sie eingewickelt hatte und zog sie aus der Scheide.
    Das Silber in den Seiten der Waffe, das nun die Riefen der ehemaligen Gravuren ausfüllte, schimmerte in einer Mischung aus seiner typisch milchigen Färbung und schwarzem Kohlenstaub. „Ich habe sie nicht eben mit dem Stahl eingebettet und nur diesen poliert, so dass das Muster der Gravuren weiterhin zur Geltung kommt.“ Er reichte der Kaiserlichen die Waffe. Sie balancierte sie in der Hand. „Sie hat nichts an Stabilität verloren. Ich habe den Stahl gerade so erwärmt, dass sich die Einlagen mit ihm im Ansatz verbinden und nicht einfach wieder herausplatzen, aber nicht genug, um die Festigkeit der Klinge zu beeinträchtigen“, erklärte der Nord nicht ohne erkennbaren Stolz. „Ihr haltet hier eine ausgesprochen gut gelungene Waffe in den Händen. Wo auch immer Ihr sie her habt, schätzt Euch glücklich.“ Vesana konnte sich ein leichtes Schmunzeln nicht verkneifen und fuhr mit den Fingern der Linken die bearbeiteten Seiten entlang. Ihre Augen musterten sie eingehend. Der Mann, der ihr dieses Schwert eingebracht hatte, war dem Anschein nach in der Tat ausgesprochen ertragreich gewesen.
    „Zweihundertvierzig Septime, sagtet Ihr?“, fragte sie schließlich und richtete ihre Augen wieder auf den Schmied.
    „Das sagte ich, ja. Aber Erzählungen machen hier im Dorf schnell die Runde. Für Eure Hilfe bei der Jagd gebe ich Euch weitere zwanzig Rabatt.“ Die Kaiserliche schob die Waffe zurück in die Scheide und band sich diese auf den Rücken. Anschließend griff sie nach ihrem Geldbeutel und zählte den Betrag ab.
    „Habt Dank.“
    „Ich danke. Viel Erfolg auf Euren weiteren Wegen“, verabschiedete sich Baldor und schloss hinter Vesana die Tür. Diese würde sich alsbald zur Ruhe begeben und am nächsten Morgen so zeitig, wie es möglich war, aufbrechen. Das Ziel nun in greifbarer Nähe, breitete sich auch ein gewisses Gefühl der Aufregung in ihr aus. Ihr Herz schlug etwas höher, nervös spielten die Finger ihrer linken Hand miteinander und vor ihrem geistigen Auge visualisierte sie ihren möglichen Kampf mit einem Werbären. Es sollte bald so weit sein und sie wollte jetzt keine Zeit mehr verlieren.



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    Geändert von Bahaar (12.07.2013 um 11:08 Uhr)

  14. #14

    Solstheim, nordöstliches Inland, Inselmitte

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    Es schien Vesana beinahe so, als ob sich die Insel gegen sie verschworen hatte. Drei volle Tage und einen Teil des Morgens des vierten Tages benötigte sie, um zurück zum Pass zu kommen. Zwar kam es bis dahin nicht zu Zwischenfällen – weder stieß sie mit gefährlichen Tieren zusammen, noch traf sie ein weiteres Mal auf Rieklinge, diese kleinen, blauen Biester, vor denen sie auch noch einmal Storn gewarnt hatte – aber dafür musste sie sich durch teilweise knietiefen Schnee und dichtes Unterholz im zwielichtigen Treiben der Flocken kämpfen. Beinahe wünschte sie sich, lieber einmal mit einem Raubtier zusammenzustoßen, wenn sie dafür schönes Wetter und optimale Reisebedingungen erhielt. Aber es sollte wohl nicht sein. Die Füße taub, die Hände steif, das Gesicht vereist – einem Schneemann gleichend machte sich die Kaiserliche schließlich daran, den völlig zugeschneiten Pass hinaufzusteigen. Ein gefährliches Unterfangen, ohne Frage, und sie bereute in Momenten besonderer Entkräftung, dass sie vor über drei Tagen im schlechten Wetter aufgebrochen war, aber es half nun nichts mehr. Es gab nur noch Vorwärts, kein Zurück.
    Ihre Reise brachte sie an völlig neue Grenzen ihrer körperlichen und geistigen Kräfte – das stellte sie nicht zum ersten Mal fest. Sie lief weiter, obwohl ihre Schenkel längst brannten, als stäche jemand mit nadelfeinen Eiszapfen in sie hinein; sie hielt sich an Felsvorsprüngen fest, obwohl ihre Finger seit Langem nur noch schmerzten und kraftlos waren. Ihre Gedanken fixierten mehr noch als zuvor das Ziel – den Bieststein und Werbären jagen – obwohl die Zweifel an ihrer Fähigkeit erfolgreich sein zu können kaum noch zu verdrängen und zu bändigen waren. Hoffnung wurde zu einem Luxus, den sie sich nicht mehr leisten konnte. Einzig und allein der nächste Schritt zählte, nicht, was sein mochte oder hätte sein können. Ein gleichermaßen beängstigendes, wie befreiendes Gefühl. Trotz der Kälte schlief sie etwas besser – wenngleich immer noch schlecht – und empfand auch weniger, wenn sie in den kurzen Momenten der Rast dann doch einmal dazu kam, zurück zu denken. An die Gefährten, was davor lag. So widersinnig es schien, aber sie ging aus diesen Momenten mit neuer Zuversicht gestärkt hervor.
    Während das Fjalding-Plateau zusehends unter ihr im grauen Schleier des Wetters verschwand, näherte sich die Jägerin immer weiter dem Stein. Sie hielt sich dafür soweit möglich am nördlichen Rand des Passes und suchte nach einem Weg, den beschriebenen Vorsprung in der Felswand zu finden, auf dem er stehen sollte. Zum frühen Nachmittag fand Vesana dann einen schmalen Grad nach Norden, der gerade breit genug war, um darauf gehen zu können. Rechts viel der Fels so tief ab, dass sie das Ende im dichten Schneetreiben nicht mehr sah und links ragten die schroffen, vereisten Formationen der östlichen Moesring-Berge in den Himmel empor, wo sie sich im Grau verloren. In derart exponierter Lage zerrten nun auch die Windböen an ihrer Kleidung, so dass sie sich gezwungen sah ihre Schritte noch bedachter zu setzen, als sie es ohnehin schon stets getan hatte. Ein einziger Ausrutscher und es mochte aus mit ihr sein. Zum ersten Mal seit Langem schien sie jedoch auch einmal wieder Glück zu haben. Es handelte sich nur um eine kurze Passage und nach einer hervorstehenden Kante im Fels, um die sich ihr Pfad herumwand, erreichte sie ein etwas breiteres Plateau, das auch noch weitestgehend windgeschützt lag.
    Tief durchatmend ließ sie sich für einige Augenblicke zwischen mehreren großen Felsen nieder, um Schnee und Eis aus dem Gesicht zu entfernen. Kleine Eiszapfen klimperten an den Enden der Haarsträhnen. Mühsam und ausgesprochen grobmotorisch fischte sie nach den Beuteln mit den Herzsteinsplittern. Das Gestein aus dem Roten Berg verlor einfach nie seine konstante Wärme. Das kam ihr gelegen, so konnte sie sich mit ihnen wenigstens etwas die Finger auftauen. Dennoch blieb ihr nur wenig Zeit zum Verschnaufen vergönnt. Noch befand sie sich nicht direkt am Ziel ihrer Reise. Erst musste sie den Stein finden. Deshalb raffte sich die Kaiserliche auf, bevor sie zu sehr ins Grübeln geraten konnte, und erkundete das Plateau.
    In seinen Abmessungen eher klein, fiel es ihr nicht schwer sich zu orientieren. Die Abbruchkante im Osten wäre von den Felswänden im Westen an einem schönen Tag ohne Probleme zu erkennen. Nur einige hundert Schrittlängen langen zwischen ihnen, schätzte Vesana. Die Länge bemaß sich auf etwas mehr, aber blieb überschaubar. Den Bieststein fand sie im nördlichen Drittel. Eine schiefe Felsnadel, die weder so richtig natürlich, noch künstlich, aber doch irgendwie nach beidem aussah. Umgeben von einem kreisrunden Teich aus seltsamerweise nicht gefrorenem Wasser stach er leicht erkennbar mehrere Mannsgrößen in die Höhe. Es bot einen kuriosen Anblick, dieses Gebilde. Vorsichtig setzte die Kaiserliche den Tornister ab und kniete sich an den Rand der dampfenden Wasserscheibe. Sie war nicht tief, reichte höchstens bis zum Knöchel, und entpuppte sich nach zögerlicher Fingerprobe als ausgesprochen warmer Quell.
    Kurzerhand zog sie die Handschuhe aus und tauchte die Hände flach in die klare Flüssigkeit. Es brannte auf der Haut, als ob ihr jemand geschmolzenes Eisen darüber kippte. Sie stöhnte und zog die Hände reflexartig zurück. Im zweiten Versuch tauchte sie behutsamer, langsamer ein. Sie spürte, wie das Wasser ihre Fasern, ihr Fleisch erwärmte und neue Kraft spendete. Noch immer brannte es höllisch, doch sie gewöhnte sich zusehends daran und am Ende lockerten sich ihre Finger, das Gefühl der Kontrolle über sie kehrte zurück und die Kälteschwellungen klangen ab. Erst dann nahm sie sie zurück, trocknete sie schnellstmöglich ab und schob sie zurück in die Handschuhe. Es wurde Zeit, sich auf die Lauer zu legen.
    In Sichtweite des Bieststeins grub sich Vesana ein. Zwischen einigen größeren Felsen fand sie eine windgeschützte Stelle, an der sie eine kleine Mulde ausheben konnte, um die Lücke hinter sich mit dem ausgehobenen Material einigermaßen als Sichtschutz abzudichten und gleichzeitig von vorn schwerer zu erkennen zu sein. Sie kleidete die Senke mit ihrer Schlafunterlage aus, um sich nach unten gegen die Kälte zu isolieren, verzichtete jedoch auf die Decke, da diese sie sonst nur behindern würde. Den Speer verkeilte sie als zusätzliche Absicherung nach hinten so, dass ein Angereifer in ihn hineinlaufen oder -springen würde. Das Felleisen deponierte sie zwischen ihren Beinen, nahm die Armbrust in die Hände, die Schwerter trug sie überkreuzt auf dem Rücken und legte sich schließlich bäuchlings auf die Unterlage. Ab diesem Zeitpunkt hieß es warten und ausharren. Früher oder später würde sich zeigen, ob die Bemühungen und Strapazen der Jägerin belohnt werden sollten, oder sie umsonst gewesen waren.
    Während sie so dalag und nichts weiter tun konnte, als die Umgebung im Auge zu behalten, ließ es sich nicht verhindern, dass ihre Gedanken zu einer ähnlichen Situation abdrifteten. Seither waren über vier Jahre vergangen und wenngleich sie damals am Ende nicht gänzlich allein dagestanden hatte, so musste sie auch dann allein warten.

    Ein Überfall mit den Gefährten auf einen Konvoi der Silbernen Hand im Jahr 4Ä 197. Es sollte ihre richtige Bewährungsprobe sein, um den Status eines Frischlings der Gemeinschaft von Jorrvaskr abzulegen und zu einem vollwertigen Mitglied zu werden. Vesana zählte zu einer kleinen Gruppe um Aela, die auf der Straße südlich von Flusswald in den Büschen und Bäumen auf der Lauer lagen. Jeder in seinem eigenen Versteck und in ausreichendem Abstand zueinander. Der Fluss rauschte unweit von ihnen entfernt, der befestigte Weg ging noch nicht in die sich steil windenden Serpentinen nach Helgen über. Die Kaiserliche saß auf einem Ast in der Krone eines großen Laubbaumes und verkeilte sich mit den Beinen so, dass sie sich oberhalb der Hüfte problem- und bedenkenlos frei bewegen konnte, ohne fürchten zu müssen, herunter zu fallen. Ihren Jagdbogen hielt sie in der rechten Hand, der Köcher beherbergte wenige Dutzend Pfeile, das Stahlschwert lag ihr quer über dem Rücken.
    Es war ein kühler, verschneiter Wintertag in den frühen Stunden des Abends. Nur leichte Windböen fuhren durch das kahle Geäst und ließen lockeren Schnee zu Boden rieseln. Die grauen Wolken am Himmel sorgten für schummriges Zwielicht, das den lauernden Jägern zusätzliche Deckung bot. Einer von ihnen hatte zuvor die Straße Richtung Helgen ausgekundschaftet und berichtet, dass der Konvoi in Kürze eintreffen würde. Es war ausgemacht, dass Aela den ersten Schuss abgab und die übrigen einstiegen, die Gefangenen, die die Gruppe der Silbernen Hand mit sich führte, sollten möglichst geschützt und anschließend in die Freiheit entlassen werden. Die kalte Luft knisterte förmlich mit Anspannung, Tiere wagten sich nicht in ihre Nähe.
    Dann war es soweit. Hufklappern hallte durch den sich schnell verdunkelnden Abend. Eine Gruppe von fünf Reitern und sechs Bewaffneten zu Fuß, die ein weiteres halbes Dutzend Gefangene einrahmten, näherte sich aus dem Süden. Einige von ihnen trugen Fackeln. Vermutlich wollten sie es an diesem Tag noch bis zu dem kleinen Ort wenige Meilen weiter nördlich schaffen. Vesanas Atem beschleunigte sich, die Rechte griff fester um den Bogen, die Linke holte vorsichtig und darauf bedacht, möglichst keine Geräusche zu erzeugen, einen Pfeil aus dem Köcher. Die zuvor gelegentlich aufquellenden Dampfwolken vor ihrem Mund wurden zu einem konstanten Nebelschleier, der sich kühl auf ihre Haut niederschlug. Die Kälte wich aus den Fingern. Das alles geschah in nur wenigen Augenblicken, in denen sich die Kämpfer der Silbernen Hand weiter näherten und inzwischen unterhalb von Vesas Baum angelangt waren. Sie spannte den Bogen, leise knarrte die Sehne unter der Last, und visierte einen der Reiter an. Aela saß nur ein kurzes Stück weiter Richtung Flusswald auf der anderen Seite der Straße – es würde also bald beginnen.
    Gerade dachte die Kaiserliche diesen Gedanken zu Ende, da erfüllte ein scharfes Surren die nächtliche Luft. Es folgte ein dumpfer Schlag, den ein schmerzerfülltes Stöhnen begleitete. Daraufhin rutschte der augenscheinliche Anführer der Gruppe vom Rücken seines Pferdes, ein dunkler, dicker Schaft ragte aus seinem Oberkörper. Seine Rüstung schepperte laut. Doch noch bevor er wirklich aufgeschlagen war, entließ Vesana ihren eigenen Pfeil in die Nacht und legte schon den nächsten auf. Auch dieser flog noch im selben Augenblick davon. Überhaupt brach in den folgenden Momenten ein wahrer Sturm über die ahnungslosen Männer auf der Straße herein. Das Surren und Pfeifen von schnell durch die Luft schneidenden Geschossen hielt einige Herzschläge lang ununterbrochen an. Es endete erst, als keiner der Bewaffneten mehr auf den Füßen stand und sich die Gefangenen völlig verstört schützend zusammenkauerten. Die Jägerin hatte in der kurzen Zeit sieben Pfeile davon gesandt und schwang sich nun, da sie zwei ihrer Gefährten aus den Büschen treten sah, von ihrem Ast herunter.
    Die Knie federten den Sprung ab, beschwerten sich jedoch über die rüpelhafte Behandlung nachdem sie so lange starr stehen mussten. Vesana verstaute den Bogen im Köcher und zog stattdessen das Schwert aus der Scheide. Suchend schritt sie zwischen den am Boden liegenden Kämpfern der Silbernen Hand. Nur drei von ihnen hatten es überhaupt geschafft die eigenen Waffen zu ziehen und die Schilde zu heben. Dafür wurden sie aber auch gleich von mehreren der insgesamt fünf Gefährten mit Pfeilen bedacht und so verwunderte es nicht, dass ihnen drei oder vier der todbringenden Geschosse aus dem Rücken ragten. Wer sich jetzt noch bewegte, stöhnte, röchelte, oder anderweitig auf sein Überleben aufmerksam machte, wurde von der Kaiserlichen und Farkas kurzerhand abgestochen. Ein schneller Stich in die Brust oder den Bauch, und das Problem erledigte sich rasch von selbst. Lediglich der Anführer durfte länger leben, er sollte zurück nach Jorrvaskr gebracht und auf Informationen ausgefragt werden. Aela kümmerte sich darum, ihn zu fesseln und transportfähig zu machen. Die übrigen beiden Gefährten blieben noch in ihren Schützenstellungen, um ein wachsames Auge auf die weitere Umgebung zu behalten.
    Während der große, schwer gerüstete Nord mit dem Zweihandschwert zur Leiterin ihres Unterfangens und dem Führer der überfallenen Gruppe schritt, wandte sich Vesana den Gefangenen zu. Das Schwert verstaute sie wieder auf dem Rücken und nahm stattdessen einen Dolch, mit dem sie die Fesseln der vier Männer und zwei Frauen durchtrennte. Mit großen Augen schauten die völlig verdreckten und verstörten Menschen sie an. Sie hatten wohl noch immer nicht begriffen, was genau überhaupt gerade vor sich gegangen war. „Geht“, sagte die Jägerin deshalb jedem einzelnen von ihnen. „Macht schon, verschwindet von hier! Ihr seid frei!“ Lediglich ein Kaiserlicher, wohl nur wenige Jahre älter als Vesa selbst, mit dunklem, vollem Haar und einem aufgrund der Gefangenschaft ungepflegten Bart blieb danach immer noch. Sie hatte ihm kaum Beachtung geschenkt, sich nur auf die Fesseln an Händen und Füßen konzentriert.
    „Habt Dank“, sprach er. Seine Stimme ruhig, fast schon kühl. Ganz anders als sich die übrigen Befreiten verhalten hatten. Vesana schaute ihn an, musterte seine heruntergekommene, in nicht viel mehr als Lumpen gehüllte Gestalt. Er zitterte vor Kälte am ganzen, trotz des abgehungerten Zustandes die Ansätze von Muskeln erkennen lassenden Leib – und dennoch: Er wirkte gefasst.
    „Es war nicht Euretwegen“, entgegnete die Kaiserliche. Seine dunkelbraunen Augen ließen nicht auf etwaige Enttäuschung nach ihrer Aussage schließen.
    „Nein, sondern seinetwegen“, er nickte in die Richtung des gefesselten Anführers. „Dennoch: Habt Dank.“
    „Gern.“ Sie wandte sich ab und wollte zu Farkas und Aela gehen.
    „Bitte“, er hielt sie hastig am Arm fest, so dass sie gezwungen war, sich im wieder zuzuwenden, „ich weiß mit Waffen umzugehen und kann kämpfen. Wenn Ihr nur halb so viel gegen die Silberne Hand habt, wie ich, und Eure Aktionen lassen darauf schließen, möchte ich mich Euch anschließen. Ich weiß Dinge, habe sie belauschen und beobachten können. Lasst mich Euch helfen.“ Vesana riss sich mich einer kurzen Bewegung des Armes los.
    „Das ist nichts, das wir hier entscheiden können. Kommt nach Jorrvaskr in Weißlauf. Kodlak wird darüber entscheiden“, mischte sich Aela in das Gespräch ein und kam näher. Farkas folgte hinter ihr und hielt den Anführer der überfallenen Gruppe an den Gefesselten Händen hinter seinem Rücken. Ein abgebrochener Pfeilschaft ragte aus seiner rechten Schulter. Schmerz zeichnete seine Züge und Blut tropfte vom Holz und aus seiner Nase.
    „Darf ich Euch dorthin begleiten?“
    „Wenn Ihr mithalten könnt“, stelle die hochgewachsene Nord-Frau fest. „Wer seid Ihr überhaupt?“
    „Darius. Darius Gallean.“

    Am Rand des Teiches um den Bieststein, an der ihr gegenüberliegenden Seite, bewegte sich etwas. Augenblicklich schnappte Vesana aus der Erinnerung zurück in die Gegenwart. In flickenartiger Fellkleidung stand dort ein schlanker Mann. Die Kaiserliche beobachtete ihn zunächst aus ihrer Deckung heraus. Offensichtlich fühlte er sich sicher und rechnete nicht damit, dass irgendwo eine potenzielle Gefahr auf ihn lauern könnte. Der Größe und den Gesichtszügen nach zu urteilen mochte es sich durchaus um einen Nord handeln, befand Vesa.
    Nach kurzem Warten am Rand der Wasserfläche, begann der Neuankömmling damit, sich auszuziehen. Zunächst die Felllappen um den Oberkörper, dann die Stiefel und zuletzt die Hose. Nackt stand er im Wetter. Die Kälte der Umgebung schien ihn nicht zu kümmern. Völlig unbedarft setzte er den ersten Fuß ins dampfende Wasser und holte den zweiten gleich darauf nach. Er kniete sich in kurzem Abstand von der feinen Felsnadel nieder und setzte im Anschluss auch noch die Hände in den Teich, der Oberkörper vornüber gebeugt. Der Moment der Ruhe hielt jedoch nur einen Augenblick an. Schlagartig fuhren Krämpfe durch den Leib des Mannes, seine Muskeln spannten sich, verzogen seine Glieder in ungewöhnliche Winkel. Der Nord stöhnte zunächst, dann wandelte es sich zu tiefem, animalischem Grollen. Dichtes, dunkles Fell spross ihm aus der hellen Haut. Sein Gesicht verformte sich zu einer langgezogenen Fratze, die erst nach und nach die Züge eines Bären annahm. Lautes Knacken ging mit den massiven Veränderungen in der Form und Stellung der Knochen einher. Die Brust schwoll an, der Rücken krümmte sich. Seine Arme wuchsen in die Länge, Muskeln prägten sich aus. Es dauerte nur wenige Augenblicke bevor ein gut und gerne sechs Fuß großes Werwesen in seiner vollen Größe im Wasser um den Bieststein stand. Hatte Vesana die Veränderungen der Gestalt mit einer Mischung aus Faszination und Ekel verfolgt, so empfand sie jetzt, da der Prozess abgeschlossen schien, vor allem Bewunderung und Respekt für die Majestät und Perfektion dieses Geschöpfes. Erst nach und nach mischte sich Furcht mit darunter.
    Es sollte nun also ernst werden. Die Jägerin biss die Zähne zusammen, unterdrückte die aufquellende Leichtigkeit in den Eingeweiden und schluckte den sich anbahnenden Kloß im Hals hinunter. Ihre Rechte griff fester um den Kolben der Armbrust, die Linke fischte zum wiederholten Male die Strähnen aus dem Gesicht, bevor auch sie sich an die Schusswaffe legte. Vesa kniff das linke Auge zusammen und schielte mit dem rechten über den Rücken der Waffe, entlang des Bolzens und in verlängerter Linie zu dem Werbären. Dieser stand noch immer ruhig vor dem magischen Stein, als ob er für ihn eine besondere Anziehungskraft ausübte.
    Bevor sich dieses Geschöpf der Jagd entfernen konnte, oder durch seine feine Nase auf die in Deckung liegende Kaiserliche aufmerksam wurde, entschloss sich diese zu handeln. Die freien Fingerkuppen der rechten Hand legten sich auf den schmalen Metallbügel an der Unterseite der Armbrust und drückten dieses an das Holz. Klickend löste der Mechanismus aus, die stählernen Haken, die die straffe Sehne zurückhielten, gaben diese freie und das kurze, dicke Geschoss flog davon. Die Spannung übertrug sich mit einem kräftigen Ruck auf den Bolzen und surrend pfiff er zielfixiert durch die Luft.



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    Geändert von Bahaar (19.07.2013 um 11:13 Uhr)

  15. #15

    Solstheim, Inselmitte

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    Das Geschoss benötigte höchstens die Dauer eines Lidschlages, dann drang es tief in die linke Schulter des Werwesens ein. Tiefes Knurren und Grollen quoll aus der Kehle der Kreatur, die sich nun in ihrem Ritual gestört nach der Quelle des Schusses umschaute. Die feuchte Nase hob es in die Luft und schnüffelte, das kraftvolle Luftholen hörte Vesana bis zu ihrem Versteck. Sie ließ sich nicht beirren und legte einen weiteren Bolzen auf den Rücken der Armbrust. Als der Mechanismus einrastete, fixierten sie die bösartigen, aggressiven Augen der Bestie. Die Lefzen zurückgezogen und die langen Eckzähne entblößend knurrte sie und breitete die Arme herausfordernd aus. Der Schaft in ihrer Schulter schien sie in keiner Weise zu stören, und wenn doch, so vermochte sie es gut zu verbergen.
    Vesana schoss ein weiteres Mal. Das Surren hielt kurz an, dann traf das Geschoss etwas weiter unten und mehr zur Körpermitte hin in die Brust des Werbären. Dessen Grollen gewann anschließend nur an Intensität. Anstatt sich von den Treffern eingeschüchtert zu geben, begann er damit sich der Kaiserlichen zu nähern. Mit der rechten, durch ihre fünf Finger noch halbwegs menschlich wirkenden Hand, zog er sich die kurzen Holzschäfte aus dem Fleisch und warf sie achtlos zur Seite. So langsam dämmerte Vesana, dass es ein Kampf werden würde, der ihre Fähigkeiten als Jägerin und Kämpferin mehr als nur auf die Probe stellte. Während der Bär näher kam und Geschwindigkeit aufnahm, warf die Kaiserliche die Armbrust zur Seite und sprang auf die Füße. Sie griff nach dem Speer und hielt ihn schützend vor sich, das hintere Ende im Schnee versenkend. Mehr vermochte sie auch nicht mehr zu tun, dann war das Werwesen heran. Es rannte aus vollem Lauf brüllend und knurrend in die stählerne Spitze, die sich ihm in den Bauch bohrte und gleich drauf abbrach.
    Wegen seiner enormen Größe und vor allem Breite hielt nicht die lange Waffe die Kreatur davon ab, zu der Kaiserlichen vorzudringen, sondern die Felsen selbst, gegen die sie mit brachialer Gewalt krachte. Der Spalt war zu schmal, so dass sie nicht dazwischen passte. Vesana befand sich gerade so außer Reichweite der mächtigen Arme mit den scharfen Klauen an den Enden der Finger. Ihr Widersacher tobte, brüllte, Speichel flog ihm aus dem nach ihr schnappenden Maul. Immer wieder rammte es mit den Schultern die Felsen. Die Krallen zogen Furchen durch das spröde Gestein. Es half nichts, das Biest kam nicht an sie heran – zumindest nicht von vorn. Unvermittelt hielt es in seinen Bemühungen inne, zog sich die abgebrochene Speerspitze unter dem dichten, langen Fell hervor – Blut tropfte von ihr – und kletterte anschließend auf die großen Steine, um es von oben zu versuchen.
    Erst in diesem Moment überwand die Kaiserliche ihre erste Schockstarre und duckte sich nach unten unter den ersten Schlägen weg, kroch ein Stück zurück und verließ anschließend den Spalt. Im Rennen zog sie ihre Schwerter aus den Scheiden – das Stahlschwert in der linken, die mit Silber verfeinerte Klinge in der rechten Hand. Hinter ihr vernahm sie einen dumpfen Aufschlag und anschließend die schweren Schritte der Bestie, die ihr schnellen Fußes folgte und wohl nicht lange brauchen würde, um sie einzuholen. Genau darauf setzte die Kaiserliche. Sie rannte genau auf einen weiteren großen Gesteinsbrocken zu und trat aus dem Lauf heraus direkt auf eine der zahlreichen hervorstehende Kante. Der andere Fuß setzte noch ein Stück höher an und brachte sie in starke, fast waagerechte Rückenlage. Das nachgeholte Bein sorgte für den nötigen Schwung, um den rückwärtigen Überschlag zu vollenden. Der Werbär rannte unter ihr gegen den Felsen und sie kam hinter ihm zurück auf die Füße. Gleichzeitig zog sie ihm beide Klingenwaffen über den Rücken und drehte sich noch mit derselben Bewegung in die entgegengesetzte Richtung. Das Spiel begann von neuem, als sie genau zurück zu dem Spalt rannte, der ihr zuvor Deckung geboten hatte. Die Bestie tobte, wütete und brüllte ihr hinterher, während es die Benommenheit des Aufpralls schnell abschüttelnd abermals die Verfolgung aufnahm.
    Fieberhaft rasten ihre Gedanken, schlug das Herz bis zum Hals. Sie musste sich etwas einfallen lassen! Die bisherigen Verletzungen, die sie dem Werbären zugefügt hatte, schienen nichts weiter als einfaches Piesacken für diesen zu sein! Er störte sich schlicht nicht an den Schnitten und Stichen. Bevor sie die rettenden Felsen erreichte, wurden ihre Gedanken jedoch jäh unterbrochen. Ein heftiger Schlag in die linke Seite und sie flog mehrere Schrittlängen durch die Luft. Hart schlug die Kaiserliche auf dem gefrorenen Grund auf, verlor das silberveredelte Schwert aus den Fingern und rollte noch etwas weiter. Ihr blieb die Luft aus den Lungen, feurige Stiche und Wogen des Schmerzens, die sich in Ächzen und Stöhnen entluden, fuhren Vesana durch den Leib. Blut troff aus einer Wunde an der Schläfe. Hustend rang sie nach Atem und spuckte gleichzeitig blutigen Speichel. Die Bestie hatte sie mit dem Rücken der rechten Hand einfach zur Seite geschmettert und kam nun erneut schnell näher.
    Sich aufrappelnd schaffte es die Jägerin gerade noch rechtzeitig das Stahlschwert aus der knienden Position schützend über den Kopf zu heben, um einen Schlag abzufangen, bevor er ihr sie zerfetzen konnte. Das Werwesen holte aus und hieb nach der sich im Vergleich winzig vorkommenden Frau. Warme Flüssigkeit spritzte dieser ins Gesicht, während der Angreifer schmerzerfüllt brüllte. Ring- und kleiner Finger der rechten Pranke hatte er sich mit der Wucht seines eigenen Schlages abgetrennt und lagen nun vor der Kaiserlichen noch zuckend im Schnee. Diese wandte sich unter Schmerzen in der zuvor kalt erwischten Körperhälfte und gleichzeitig aufstehend der Bärenkreatur zu, die etwas auf Abstand ging. Aus bitterbös funkelnden Augen schaute es sie an, während es sich die rechte, stark blutende Hand hielt. Eine solche Gelegenheit würde sich nicht noch einmal bieten, also handelte die Jägerin. Mit einem in tausenden Nadelstichen fast erstickenden Kampfschrei auf den Lippen mobilisierte Vesana letzte Kraftreserven, setzte einen schnellen Satz vorwärts und rammte dem Biest die Klinge bis über die Hälfte zwischen die Rippen. Brüllend drehte es sich und schlug die Kaiserliche abermals zur Seite, dieses Mal mit dem linken Unterarm. Es trieb ihr die Luft aus den Lungen und ließ den gesamten Brustkorb aufflammen. Gleichzeitig flog sie zurück und landete rücklings im Schnee neben ihrem zweiten Schwert, das sie schnellstmöglich versuchte in die zittrigen Finger zu bekommen. Sie schmeckte Eisen und den bitteren Geschmack ihres Lebenssaftes auf der Zunge. Sie hatte sich auf die Unterlippe gebissen. Das linke Hüftgelenk beschwerte sich und das Bein wurde steif in seiner Beweglichkeit. Schützend hielt sie die Klinge über sich und wartete einen Moment, um sich zu sammeln.
    Doch der Werbär blieb ihr fern. Zwar behielt er sie im Auge, zeigte jedoch vorübergehend keinerlei Ambitionen sie anzugreifen. Stattdessen fischte er sich mit den Pranken vor der Brust und versuchte den für sie viel zu kleinen Schwertgriff zu fassen zu bekommen, da sie von der scharfen Schneide stets zurückwichen. Währenddessen rappelte sich Vesa abermals hoch. Es fühlte sich bei jeder Bewegung so an, als ob tausend glühende Nadeln in ihre Brust stachen und ihr den Atem rauben wollten. Wenn sie nicht alles täuschte, hatte sie sich durch die zwei heftigen Schläge die eine oder andere geprellte und angebrochene Rippe zugezogen. Wäre es nicht für ihren gehärteten Lederharnisch, könnte sie möglicherweise schon jetzt nicht einmal mehr atmen und sähe sich dem Tod geweiht.
    Durch den Schmerz leicht vornübergebeugt und wegen des steifen Beins schief stehend, beobachtete die Kaiserliche den Werbären. Seine Hände bekamen in diesem Moment das Schwert zu fassen, verdrehten es allerdings so ungünstig, dass sich die Klinge zwischen zwei Rippenbögen verkeilte und an einer durch das Fell verborgenen Stelle klirrend abbrach. Es entlockte der Bestie ein grauenvolles, ohrenzerreißendes Heulen. Völlig in Rage gebracht tobte sie und bereitete sich darauf vor, ein weiteres Mal auf die Jägerin zuzustürmen. Diese bemerkte jedoch schnell, dass die schwere Verletzung durch das Schwert der Kreatur heftig zusetzte und jede Bewegung das steckengebliebene Fragment wohl weiter durch ihr Fleisch trieb. Ihre Schritte waren unsicherer, sie lahmte rechtsseitig und wirkte aus der Balance gebracht. Alles, das Vesana tun musste, war sich rechtzeitig zur Seite zu werfen, um dem ungezielten Angriff auszuweichen. Über das schwache Bein fiel das auch nicht allzu schwer. Noch in der Bewegung hieb sie nach dem näheren Fuß ihres Kontrahenten und traf ihn an der hohen Ferse. Grollend stolperte das Werwesen und überschlug sich mehrmals, während Vesa versuchte sich auf den Bauch zu rollen und anschließend auf die Knie zu stemmen. Die Kaiserliche hielt sich die Seite und keuchte schwer. Die Bewegungen raubten unglaubliche Mengen ihrer Kraft und sie verlor beinahe das Gleichgewicht, obwohl sie nicht einmal stand.
    Mühsam kam sie auf die Füße und näherte sich anschließend dem Wesen, das es nicht mehr schaffte, zum Stehen zu kommen. Mit den zerschnittenen Sehnen im Fuß ließ sich dieser nicht mehr belasten, weshalb es immer wieder einknickte. Blut tränkte den weißen Grund um es herum, das Knurren und Stöhnen erhielt zunehmend eine verzweifelte Note und trug sich schwanger mit Schmerz. Vesana wischte sich einige Tropfen ihres roten Saftes vom Kinn und unter der ebenfalls blutenden Nase weg, dann war sie heran. Die trägen Schläge der kraftlos gewordenen Bestie verliefen ins Leere, zu ungezielt und langsam hieben sie nach der Kaiserlichen. Diese nahm die Klinge mit beiden Händen und stieß sie, nachdem Vesa einen weiteren Hieb abgewehrt hatte, von oben herab durch die Schulter in den Brustraum. Sämtliches Grollen der Kreatur erstarb zu einem feuchten Gurgeln, flüssiges Rot quoll aus dem Maul, die Zunge hing labbrig heraus und der Kopf sackte stumpf auf den Boden. Die Glieder erschlafften und blieben regungslos. Einzig der Brustkorb deutete darauf hin, dass noch nicht sämtliches Leben aus dem bewundernswert kräftigen Leib gewichen war.
    Den Augen des respektgebietenden Geschöpfes entwich jedweder Zorn, vielmehr wirkten sie nun traurig, etwas angsterfüllt vielleicht, vor allem aber auch müde. Es ging keine Bedrohung mehr von ihm aus, egal wie nahe sie ihm kommen würde. Vesana ließ ihr Schwert los, ohne es herauszuziehen. Ein gewisses Maß an Trauer legte sich auf ihre Eingeweide, Leichtigkeit machte sich breit, dem Gefühl nach verknotete sich ihr Magen mit dem Darm. Ein Lächeln des Trübsinns und des Trostes stahl sich auf die blutbesudelten, teils schon verkrusteten Lippen, während sich die Jägerin neben den massigen Kopf des zotteligen Wesens kniete. Vorsichtig hob sie diesen an und legte ihn sich in den Schoß. Sie schaute direkt in das gelb schimmernde, teils ockerfarbene Auge der oberen Schädelhälfte, während sie mit den schlanken Fingern durch das Fell des Hauptes strich. „Hircine ruft Dich zu sich, mein Freund“, flüsterte sie dem Werbären vorgebeugt ins verhältnismäßig kleine Ohr. „Gute Jagd.“ Eine kleine Träne entrang sich ihrem Augenwinkel und auch sein Auge wurde glasig. Es trennte sie nicht allzu viel voneinander, sie waren von derselben Natur, und diese Nähe spürte Vesana. Der Abschied in Respekt von einem majestätischen Jäger war für sie eine Selbstverständlichkeit.
    Der Todeskampf des Werbären dauerte letztlich nur wenige Minuten. Behutsam erhob sich die Kaiserliche und legte seinen Kopf zurück auf den Boden, nachdem sie ihm die Lider geschlossen hatte. Kurz blieb sie stehen, die Augen streiften unfokussiert über den massigen Leib. „Irgendwann sehen wir uns wieder und dann jagen wir zusammen“, sprach sie nun mehr zu sich selbst. Ein langes Seufzen entlassend wandte sie sich ab und humpelte hinüber zu ihren Sachen. Die Schlafunterlage rollte sie zusammen, verpackte sie auf dem Tornister und schnappte sich anschließend noch ihre Armbrust. Die Reste des Speeres ließ sie im Schnee zurück. Unter der Last des Gepäcks keuchend, Hustenanfälle niederkämpfend, kehrte die Jägerin zu dem Toten zurück und setzte es neben diesem auf den schneebedeckten Grund. Mit einem kräftigen Ruck zog sie das geschwungene Schwert aus dem Körper vor ihr heraus und verlor zunächst das Gleichgewicht. Auf die angeschlagene Seite der Hüpfte fallend, stöhnte sie und rang mit einigen Tränen des Schmerzes. Nachdem sie sich gesammelt hatte, reinigte Vesana die Klinge und schob sie zum Schluss zurück in die Scheide auf ihrem Rücken. Erst danach kniete sie sich wieder in den Schnee und nahm sich einen ihrer Dolche. Ihre geübten Hände wussten genau, wie sie die kurze, scharfe Schneide ansetzen mussten, um den Bauch zu öffnen und damit zu beginnen, die obersten Hautschichten mitsamt dem Fell vom Rest zu trennen. Durch die Schnitte und Öffnungen zum Innenraum drang die Wärme der Organe und des Fleisches nach draußen und schlug sich in Form von kleinen Dunstschwaden nieder. Bevor die Kaiserliche jedoch den massigen Leib drehte, um auch auf der anderen Seite noch die zweite Hälfte des Fells vom Körper zu lösen, hielt sie abermals inne und atmete tief durch.
    Den Dolch legte sie in den Schnee und reinigte mit diesem zunächst ihr blutverschmiertes Gesicht. Das Tropfen der Nase hatte inzwischen aufgehört und auch der Riss in der Lippe war mit Grind verklumpt. Die Wunde an der Schläfe war ohnehin nur sehr oberflächlich gewesen. Es dauerte eine Weile bis sich das Wasser des geschmolzen Schnees nicht mehr rotbraun färbte, sondern schlicht farblos ihre Handflächen benetzte. Erst dann schob Vesana die Finger der linken Hand bis zu den Knöcheln in den blutigen Brustraum des Werbären. Den Daumen sparte sie aus. Tiefrot gefärbt holte sie sie wieder heraus und zog sie sich in einer langsamen Bewegung diagonal über das Gesicht. Sie führte diese Handlung mehrere Male durch, bis sie sich sicher fühlte, das Zeichen der erfolgreichen Jagd für einige Zeit haltbar aufgetragen zu haben. Das Blut trocknete schnell und hinterließ dunkle Streifen, die als Mahl in Ehren des erlegten Tieres für alle erkennbar in ihrem Antlitz prangten. Es war eine der letzten Würdigungen, die sie einem durch ihre Hand verstorbenen Geschöpf der Jagd erbrachte und so ihren ganz eigenen Tribut zollte.
    Die Finger reinigte sie gar nicht erst, sondern langte direkt nach ihrem Felleisen, um anschließend darin herumzukramen. Es brauchte einige Zeit bis Vesa das Totem fand, nach dem sie suchte – ihr ganz persönliches Totem der Jagd. Ein selbstgeschnitzter Wolfskopf mit einem unterproportionierten Leib aus hartem Eichenholz. Es maß kaum mehr als die Handlänge eines erwachsenen Nord in der Größe. Um den zu kurz und dick geratenen Hals baumelte eine lederne Halskette, an der sich verschiedengroße Eckzähne unterschiedlicher Raubtiere aufreihten. Es waren die Zähne von vier Wölfen, drei Eiswölfen, zwei Schwarzbären und einem Höhlenbär. Als Ersatz für den zu großen Zahn eines Säbelzahntigers fügte sich noch eine Kralle dieser majestätischen Raubkatze an der Kette ein. Das Holz der Wolfsform selbst erschien schwarz und leicht gefleckt von unterschiedlichen Mengen Flüssigkeit, die es aufgesaugt hatte. In wenigen Momenten sollte es abermals das Blut des erlegten Jägers aufnehmen, zuvor löste die Kaiserliche jedoch die Lederkette und legte sie zur Seite. Anschließend öffnete sie erneut den Schnitt zum Brust- und Bauchraum und schob die Holzfigur hinein. Behutsam bewegte sie sie hin und her, dann ließ sie los.
    Während sich das Holz vollsog, stand Vesana auf und mühte sich, den Körper des Werbären auf die andere Seite zu drehen. Unter hoher Kraftanstrengung und erneut aufgrund der flammenden Stiche in ihrer Brust aufstöhnend, gelang es ihr im fünften Versuch. Geduldig setzte sie die Arbeit des Häutens fort, kratzte im Anschluss Fleisch- und Blutreste von der Innenseite der abgelösten Haut und rollte das neugewonnene Fell schließlich zusammen. Nur noch an den Armen, Beinen und am Kopf blieben Teile der Behaarung übrig, sonst erschien die Gestalt nackt. Nach einigen weiteren geübten Handgriffen hielt die Jägerin auch noch das Herz des Werbärens in den Händen und verstaute es in einem freien Lederbeutel aus dem Felleisen. Es würde das einzige Körperteil sein, das sie als Proviant mit sich nahm, den kaum genießbaren, zähen Rest sollte sich die Natur zurücknehmen. Letztlich holte die Kaiserliche auch das Totem wieder heraus. Feucht schimmernd erhielt es die Halskette zurück und wurde neben dem Tornister zum Trocknen abgelegt. Erst dann begann Vesa damit, die Krallen von den Fingern und Zehen, sowie die Eckzähne aus dem Maul herauszubrechen. Wenn sie zurück in Rabenfels war, würde sie einen der letzteren mit einem kleinen Loch zum Auffädeln an der Kette versehen. Bis dahin mussten sie in einem Ledersäckel verweilen. Auch die Klauen an den abgeschlagenen Fingern vergaß die Jägerin nicht.
    Ihre Sachen zusammengepackt wandte sie sich nach einem abschließenden Blick auf die kümmerlichen Reste der einst furchtgebietenden Kreatur ab. Sie wollte etwas Abstand zwischen sich und sie bringen, damit sie Aasfressern nicht als lebender Happen im Weg stand. Erst dann kam es, dass sie wieder auf den Bieststein schaute und kurz überrascht den Atem anhielt. Eine leichte Aura aus grün schimmerndem, ja flammendem Licht umgab ihn von der Wasseroberfläche bis hinauf zur Spitze. Vorsichtig und ohnehin noch etwas wackelig auf den Beinen näherte sie sich. Die Augen hielt sie fest auf die Felsnadel gerichtet. War dies das Zeichen, von dem Storn gesprochen hatte, als er sagte, die Steine würden einem erkenntlich machen, wenn man sich als würdig erwiesen hatte? Denkbar, andererseits wollte sich Vesana nicht unbedingt blind darauf verlassen. Mit Magie blieb es immer so eine Sache und ihr traute die Kaiserliche grundsätzlich nicht weiter, als sie spucken konnte. Dennoch mochte sie nicht leugnen, dass dieser kuriose Stein mit seinem warmen Teich eine gewisse Anziehungskraft ausübte und Faszination hervorrief.
    Entgegen ihrer sonstigen Vorsicht entschied sich die Jägerin dem Schamanen etwas mehr Vertrauen zu schenken, als möglicherweise gut sein mochte. Am Rand der Wasserfläche legte sie den Tornister ab und zog ihre Stiefel aus. Langsam gewöhnte sie ihre Füße an die Wärme der Flüssigkeit und schritt anschließend auf den Stein zu, blieb jedoch vorerst mit einem letzten Sicherheitsabstand zu diesem stehen. Argwöhnisch begutachtete sie das dunkle Gestein, fand jedoch nichts Außergewöhnliches, abgesehen von verschlungenen Gravuren im Mittelteil, die ein unbekanntes Muster formten und natürlich auch von dem leicht pulsierenden Schimmer. Erst nach einer Weile des Beobachtens rang sich Vesa dazu durch – nein, gab sie dem tief in ihr aufquellendem Verlangen der Neugier nach – auch noch den letzten Abstand zu schließen und streckte schließlich die Finger aus. Kurz bevor sie in die Aura eintauchten, hielt sie ein weiteres Mal inne, atmete tief durch und schloss die Augen. Dann berührten ihre Finger die kühle Oberfläche des Bieststeines. Sie glitten über die Gravuren und folgten den Linien.
    Erst bemerkte es die Kaiserliche nicht, doch dann spürte sie wie sich die Aura aufheizte und auch der Fels Wärme abzustrahlen begann. Noch bevor sie die Hand zurückziehen konnte, fühlte sie vier heiße Stiche in der Handfläche. Erschrocken riss sie die Augen auf und entfernte sich von dem Stein. Die glühende Hülle um diesen war verschwunden. Das Stechen in der Linken klang schnell ab und da der Bieststein, seiner außerordentlichen, in diesem Moment zunehmend unheimlich erscheinenden Anziehungskraft beraubt, keinerlei Anstalten mehr machte, sich magisch zu betätigen, richtete sie ihre Augen auf die Linke. Vesana erkannte vier rote Punkte, die ein wenig nach frischen Narben aussahen. Zwei Davon lagen dicht beieinander nahe an der Handkante und am -gelenk, die anderen beschrieben einen leichten Bogen in größeren Abständen entlang der Vertiefung, durch die auch die Lebenslinie verlief. Seltsamerweise erweckte es für die Kaiserliche etwas den Eindruck einer stilisierten Klaue. Ähnlich einem Sternzeichen, wo um wenige einzelne Lichtpunkte ein Bild konstruiert wurde. Unbewusst strich sie mit dem Zeigefinger der Rechten über die Punkte, die sich tatsächlich auch anfühlten wie Narbengewebe. Allerdings wirkten sie sich nicht behindernd auf die Beweglichkeit aus, weshalb Vesa vermutete, dass es sich eher nur um oberflächliche Mahle handelte. Inzwischen war von den eingangs empfundenen heißen Stichen nichts mehr zu spüren, stattdessen machte sich leichter Ärger über ihre eigene Neugier breit. Was auch immer der Stein mit ihr gemacht hatte, physisch spürte sie keinerlei Veränderungen.
    Allein schon wegen dem zuletzt Erlebten erschien es der Kaiserlichen als notwendig, noch einmal zu den Skaal zurückzukehren und ein paar Worte mit Storn dem Schamanen zu wechseln. Dass sie wenig später unter den abgelegten Sachen des Werbären am anderen Ufer des Teiches einen verschlossenen Briefumschlag fand, auf dem in einfachen Lettern „Wulf“ als Adressat vermerkt war, führte schließlich zur unumstößlichen Entscheidung, noch einmal das Dorf im Norden zu besuchen. Zwar würde sie das nochmals eine ganze Woche mehr Zeit kosten, aber es bestand eine nicht zu leugnende Notwendigkeit. Sowohl das eigene Interesse, als auch das gegebene Versprechen gegenüber dem einäugigen Nord mussten befriedigt und erfüllt werden.



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    Geändert von Bahaar (26.07.2013 um 10:36 Uhr)

  16. #16

    Solstheim, nordöstliches Inland, Skaal-Dorf

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    Den Weg zum Dorf legte Vesana, trotz ihrer nicht unerheblichen Verletzungen, in drei Tagen zurück. Das Wetter beruhigte sich schon zu Beginn der Rückreise, so dass sich die allgemeinen Bedingungen ihrer Wanderschaft verbesserten. Zwar löste sich erst auf halbem Wege die blockierende Schwellung in ihrem Hüftgelenk, die sie zuvor hatte humpeln lassen, und das Atmen fiel ihr auch zur Ankunft bei den Skaal noch immer schwer. Zu allem Überfluss kamen auch wieder ihre üblichen Kopfschmerzen auf, die dem Vollmond voraus eilten und folgten, seit die Anspannung vor dem Kampf mit dem Werbären verflogen war. Das ewige Stechen und Ziehen in den Schläfen verhinderte zunehmend, dass sie klare Gedanken fassen konnte. Vor allem nachts tobte das Gewitter in ihrem Kopf. Aber wenigstens beschleunigte der Marsch über das flache Fjalding-Plateau und die sonst überwiegend abschüssigen Passagen die Reise. Nicht, dass das in irgendeiner Weise ihr körperliches Wohlbefinden steigerte, aber es half zumindest psychisch dabei, sich voranzutreiben.
    Erst lange nach dem Einbruch der Dunkelheit fand sich die Kaiserliche ein weiteres Mal auf dem Platz des Dorfes im Nordosten Solstheims wieder. In schiefer Körperhaltung stand sie vor der Hütte des einäugigen Nords. Den rechten Arm hatte sie unterhalb der Brust um den Oberkörper geschlungen und hielt sich die Rippenbögen linksseitig auf Höhe des Herzens. Schmerzen zuckten Vesana von ihnen ausgehend jedes Mal durch den Brustraum, wenn sie zu tief Luft holte und sich die Lungen zu stark aufblähten. Ein ungemütlicher Umstand. Letztlich fing sie sich aber, straffte sich ein wenig und klopfte kräftig gegen das alte Holz der Tür. Da noch Licht aus den schmalen Fenstern des Hauses schien, konnte sie sich wenigstens sicher sein, dass auch jemand öffnen würde. Es dauerte zwar einige Augenblicke, aber letztlich vernahm sie Schritte aus dem Inneren und das Rutschen eines Holzriegels auf der anderen Seite des Durchgangs. Leise quietschend schob jemand die Tür einen Spalt auf.
    „Hallo?“, verlangte die raue Stimme des Einäugigen.
    „Ich bringe Kunde von Eurem Bruder“, entgegnete die Kaiserliche.
    „Beim All-Schöpfer!“ Augenblicklich öffnete sich der Durchgang vollständig und ein überraschter Wulf stand im Gegenlicht. „So kommt herein!“ Vesa ließ sich nicht lumpen und folgte der Aufforderung. Erst jetzt schien der vom Leben gezeichnete Nord zu bemerken, wie sein Gast eigentlich aussah. „Meine Güte, was ist Euch widerfahren? Ihr saht wahrhaftig schon lebendiger aus!“ Die Kaiserliche schenkte dem Mann nur ein schiefes, eher gezwungenes Lächeln und setzte sich schwerfällig an den einzigen Tisch im Haus. Den Tornister neben sich, begann sie darin zu wühlen und holte den Briefumschlag heraus.
    „Das“, sie reichte das Papier weiter, „habe ich bei den Sachen eines Werbären beim Bieststein gefunden. Ich habe ihn nicht gelesen, aber es liegt nahe anzunehmen, dass er von Eurem Bruder ist.“ Wulf schaute zunächst die Frau an, dann auf den gefalteten, ziemlich zerknitterten Brief, und wieder zurück zu Vesa. Erst danach schlug er das Pergament auseinander und begann zu lesen. Sie ließ ihm Zeit und wartete schweigend. Das Sitzen, die Wärme, das Gefühl von häuslicher Sicherheit, all das tat ihr gut und es linderte ihre Leiden zumindest etwas. Der Einäugige verlor während er las für einige Momente die Fassung, Trauer zeichnete seine gegerbten Gesichtszüge und brach sein noch intaktes Auge. Als er seine Gegenüber aber erneut anschaute, schien er seine männliche Selbstbeherrschung wiedergefunden zu haben.
    „Danke“, gab er leise kund. „Ihr habt mir einen großen Dienst erwiesen und Jahre dunkler Ungewissheit ins Licht gerückt. Danke.“ Der Nord faltete die Seite zusammen und legte sie zurück auf den Tisch. „Hat er Euch das angetan?“ Er deutete auf die verkrusteten Wunden an Schläfe und Lippe, sowie die Stelle an der Seite, die sich Vesana noch immer hielt, auch wenn sie saß. Einen Augenblick lang musste sie überlegen, was sie darauf erwidern sollte.
    „Ich habe mich für diese Jagd entschieden. Wenn, dann habe ich es mir selbst zuzuschreiben“, erklärte sie letztlich und Wulf nickte verständnisvoll. Ein Jäger schob nie die Schuld auf seine Beute.
    „Ich würde Euch zwar gerne einige Jagdtricks und Kniffe mit auf den Weg geben, als Dank für Euren Dienst“, begann der Nord nach einige Momente anhaltendem Schweigen zwischen den beiden, „aber ich fürchte, dass ich Euch kaum noch etwas mitteilen kann, das Ihr nicht schon längst wisst. Ihr mögt nicht danach aussehen, aber Ihr seid eine verdammt gute Jägerin.“ Er griff sich mit den großen, kraftvollen Händen in den Nacken und löste ein ledernes Band um seinen Hals. Er zog mit ihm vier lange, spitze Eckzähne unter seiner dicken Kleidung hervor. „Stattdessen möchte ich Euch als Erinnerung etwas mitgeben, das für uns Skaal-Jäger besonderen Wert genießt.“ Wulf breitete die Zähne auf der Tischplatte vor der Kaiserlichen aus, die sich von neuerlichen Stichen in der Seite begleitet leicht vorbeugte und mit beiden Händen nach der Kette griff. „Es sind die vier Eckzähne meines ersten eigenhändig erlegten Bären. Sie sollen uns Glück bringen und die Gunst des All-Schöpfers sichern.“
    „Der All-Schöpfer?“, fragte Vesana und legte den Talisman in die flache Hand.
    „Wir Skaal glauben nicht an die großen Acht des Kaiserreichs. Der All-Schöpfer ist der, der unserem Glauben nach das Land, die Pflanzen, die Tiere, ja auch uns Skaal selbst geschaffen hat und zu dem wir zurückkehren werden, wenn wir sterben.“ Erst jetzt schaute die Jägerin auf und direkt zu Wulf. Sie schenkte ihm ein Lächeln und nickte.
    „Habt Dank, es ehrt mich sehr.“ Sie legte sich sein Geschenk demonstrativ um den Hals und stopfte es von oben unter ihre Kleidung. „Ich hoffe, dass Ihr damit nicht zu viel Eures Glücks und der Euch zustehenden Gunst vergebt?“, scherzte sie ein wenig. Wulf lachte kurz auf.
    „Nein, macht Euch keine Sorgen. Ich bin sicher, der All-Schöpfer wird diese Gabe anerkennen. Und unter uns: Meine besten Tage als Jäger liegen schon lange hinter mir. Früher oder später wird mich zweifellos jemand ablösen müssen. Seid also versichert, Ihr habt es Euch redlich verdient.“ Abermals nickte die Kaiserliche.
    „Ob ich wohl Storn noch in seiner Hütte antreffe, oder ihn schon bei der Nachtruhe störe?“, lenkte diese dann auf ein weiteres wichtiges Thema um.
    „Ich bin sicher, dass er noch auf sein wird. Für Euch hat er aber sicher in jedem Fall noch etwas Zeit.“ Mühsam stand Vesana auf und schulterte ihr Gepäck. Gemeinsam gingen die beiden Jäger zur Tür und Wulf öffnete sie für seinen Gast. „Wohin wird Euch Eure Reise noch verschlagen?“, leitete letzterer die Verabschiedung ein.
    „Zunächst zurück nach Rabenfels und von dort nach Windhelm in Himmelsrand. Von da an, wird das Schicksal entscheiden müssen“, erwiderte sie. Wulf nickte und ließ sich nun ebenfalls zu einem grimmigen Lächeln verleiten.
    „Wann auch immer Ihr einmal wieder auf Solstheim sein solltet, vergesst nicht, dass Ihr hier stets willkommen seid.“
    „Danke, das werde ich nicht. Gute Jagd.“
    „Gute Jagd.“
    Die Kaiserliche begann ihren Weg hinüber zur Hütte des Schamanen. Erst nach einigen Schritten in das leichte Schneetreiben und die windstille, absolut ruhige Nacht hinaus vernahm sie das Quietschen der Scharniere und Rumpeln der Tür, wie sie ins Schloss fiel. Es war zweifelhaft, dass sie jemals wieder so hoch in den Norden reiste, aber der Gedanke daran, willkommen zu sein, blieb angenehm. Nicht häufig empfand sie so, und auch jetzt blieb ein fader Beigeschmack, immerhin kannte noch nicht einmal jemand ihren richtigen Namen, aber sie versuchte ihn zu ignorieren. Kurz darauf erreichte sie dann die Behausung des grauen Nords. Auch hier drang Licht aus den Fenstern und so klopfte sie gegen das Holz des Eingangs. Die Tochter des Schamanen öffnete ihr. „Ja?“
    „Ich würde gerne zu Storn und mit ihm über etwas sprechen.“
    „Wisst Ihr, wie spät es ist?“
    „Ja.“
    „Frea, lass sie herein“, klang aus dem Hintergrund Storns Stimme hervor. Die hochgewachsene Nord-Frau trat zur Seite und öffnete die Tür vollständig. Vesana schlüpfte hinein. Hinter ihr schlug Frea die Tür zurück ins Schloss. „Ihr seht furchtbar aus, wenn ich das so sagen darf“, begrüßte sie der Schamane.
    „Das höre ich nicht zum ersten Mal, wenngleich Wulf es etwas weniger direkt zu verstehen gegeben hat“, erwiderte die Kaiserliche und setzte sich nach Bitten des Grauen an den Tisch. Dessen Miene verdunkelte sich auf ihren Teilsatz hin etwas.
    „Seid Ihr deswegen zurückgekehrt? Habt Ihr seinen Bruder gefunden?“
    „Allem Anschein nach, ja.“
    „Da Ihr hier seid und lebt, vermute ich, dass …
    „… er tot ist? Ja.“ Storn nickte nur und schien etwas in Gedanken zu sein. „Aber deswegen bin ich nicht bei Euch“, setzte Vesa fort. Kurzerhand zog sie ihren linken Handschuh aus und hielt die Hand mit der narbenähnlichen Zeichnung über den Tisch. „Sondern deswegen.“
    „Was … Oh.“ Der alte Mann beugte sich vor und nahm ihre Hand mit den seinen hoch. Vorsichtig strich er mit den rauen Fingerkuppen über die Mahle. „Wie habt Ihr dieses Zeichen erhalten?“
    „Nach meinem Kampf mit dem Werbären habe ich mich um die verwertbaren Teile seines Körpers gekümmert. Als ich aufbrechen wollte, umgab den Bieststein eine Art grün schimmernde Aura. Ich berührte den Stein und erhielt dieses Mahl“, erläuterte sie. Einige Zeit schwieg der graue Nord und betrachtete sich die vernarbten Punkte. In der Zwischenzeit rang die Kaiserliche mit sich selbst, um den Frust über ihre elende Neugier und die Anziehungskraft des Steines niederzuringen.
    „Nun“, begann er schließlich, „wie es scheint, hat Euch der Bieststein mit seiner Magie gesegnet, nachdem Ihr Euch im Kampf gegen der Werbären als würdig erwiesen habt.“
    „Soweit vermutete ich bereits.“ Vesana zog ihre Hand zurück und legte sie mit der Rechten zusammen auf die Tischplatte. „Die Frage ist: Was kann ich damit machen und wie kann ich es?“ Abermals verfiel Storn in Schweigen. Die Stirn in Falten gelegt und sich am Bart zupfend dachte er nach.
    „Kind, wenn ich das wüsste, ich würde es Euch sagen. Doch übersteigt die Macht der Steine, die Magie der Insel, bei weitem meine Kenntnisse und Fähigkeiten. Alles, das ich Euch mit auf den Weg geben kann, ist Folgendes: Zu Zeiten der Bedürftigkeit wird sich Euch ein Weg offenbaren, diese Macht zu Euch zu rufen“, sprach er und fixierte seinen Gast mit beiden Augen, „und zwar nur dann. Die Steine mögen großzügig sein, doch verleihen sie keine Allmacht. Welche Begabung Euch der Bieststein auf den Weg gegeben hat, ist einzig und allein an Euch herauszufinden.“ Vesa lehnte sich zurück und musste sich mühen, das Gesicht nicht zu verziehen. Die rechte Hand legte sie wieder an ihre Seite und strich sich mit der linken über das Gesicht. „Es ist nicht das, was Ihr Euch erhofft habt, und seid enttäuscht. Das kann ich nachvollziehen. Niemand der sich Antworten erhofft, gibt sich mit leeren Floskeln und mystischen Prophezeiungen zufrieden. Leider kann ich Euch mit nichts anderem dienen, als solchen.“
    „So, ich bin also gezeichnet und verfüge über irgendeine ominöse Fähigkeit, deren genaue Nützlichkeit und Funktion ich nicht kenne, von der ich nicht weiß, wie ich sie einsetzen kann und von der ich hoffen muss, dass sie zur rechten Zeit von selbst zuschlägt. Richtig?“ Storn nickte. „Klasse“, flüsterte sie mehr zu sich selbst. Ein starkes Ziehen an den Schläfen ließ sie stöhnen, was sie jedoch nach außen versuchte als Schnaufen zu tarnen. Mit den Zeige- und Mittelfingern massierte sie die Stellen und rieb sich anschließend nochmals über das Gesicht. Offenbar merkte Storn nichts weiter von ihren Schmerzen und nahm es eher als – tatsächlich echte – Verärgerung wahr. Warum musste sie auch den Stein anfassen? Sie hätte einfach gehen können, aber nein, sie musste neugierig sein. Und nun? Nun verfügte sie über eine magische Fähigkeit, von der sie nicht einmal in Ansätzen eine Ahnung hatte.
    „Schädlich sollte sie zweifelsohne nicht sein“, tröstete der Schamane. Vesana lachte auf, weniger aus Belustigung denn Verbitterung. Dass ihr diese unbekannte neue Macht nicht so recht schmecken wollte, ließ sich kaum verbergen. „Wenn Ihr es wünscht, könnt Ihr die Nacht wieder hier verbringen, bevor Ihr morgen wohl endgültig abreist.“
    „Danke.“
    „Ihr habt sicher unverändert alles Nötige. Wenn Ihr sonst keine weiteren Fragen an mich habt, würde ich mich gern zur Ruhe betten. Es ist bereits sehr spät.“
    „Natürlich.“ Der Graue nickte nur, stand auf und verschwand in den hinteren Teil des Hauses. Nachdem sie noch kurz grübelnd am Tisch saß, begab sie sich zu ihrem zuvor bereits bemühten Schlafplatz und breitete die Fellunterlage aus. Darauf legte sie ihre Decke. Anstatt sich jedoch einfach hinzulegen, zog sie sich noch aus. Die Stiefel stellte sie an den Rand, die Rüstungsteile legte sie dazu. Jede noch so kleine Bewegung ließ sie das Gesicht verziehen und trieb ihr die Luft aus den Lungen, als würde ihr jemand einen Dolch zwischen die Rippen stoßen. Danach folgte die dicke Jacke. Sofort roch sie ihren eigenen Mief aus Schweiß, Talg, Fett und Dreck. Dass sie sich seit drei Wochen nicht einmal grob hatte waschen können machte sich inzwischen duftstark bemerkbar. Angewidert rümpfte die Jägerin die Nase. Schweißränder und Flecken zeichneten sich überdeutlich auf der eigentlich ohnehin relativ dunklen Tunika ab.
    Keuchend ließ sie sich auf dem Fell nieder und verschnaufte einige Momente lang. Anschließend holte sie Verbandszeug und zwei Schatullen aus ihrem Tornister. Eine davon war bereits fast leer, nachdem sie sie Oslaf gegeben hatte. In der anderen stand die Heilsalbe noch bis zum Rand. Erst als die Schatullen direkt neben ihr lagen, zog sich die Kaiserliche weiter aus. Die Tunika über den Kopf abstreifend entblößte sie den schlanken, femininen Oberkörper. Dunkles Blau, fast schwarz, unterlegte die Haut um die Busen und umspannte den Brustkorb vom Zwerchfell bis unter die Achseln vor allem linksseitig. Nur durch das Fettgewebe der Brüste schimmerte es nicht. „Scheiße“, hauchte sie. Wenigstens standen keine ungewöhnlichen Spitzen hervor, die auf verschobene Rippenbrüche schließen lassen würden. Bevor die Kaiserliche damit begann, sich mit der Salbe einzureiben, streifte sie noch die Halsketten ab. Die von Wulf stopfte sie in ihr Felleisen, sie würde sich diese später nicht mehr umlegen, das Hirschkopfamulett legte sie auf die Decke. Im Anschluss leerte sie beide Metallschatullen als sie sich ausnahmslos alles oberhalb des Bauchraumes bis zum Hals einrieb. Mehr als einmal musste sie innehalten und tief durchatmen, um die Fassung zu bewahren. Besonders Bewegungen mit dem linken Arm schmerzten und zogen lange, feurig brennende Stiche durch die Herzseite.
    Mit dem letzten Rest heilender Salbe verstrichen wartete sie einige Momente lang und ließ sie zumindest etwas einziehen. Danach wickelte sich Vesana ihr Verbandszeug vollständig und so straff, wie es sich aushalten ließ, um Busen und Brustkorb. Einige Schlaufen legte sie für besseren Halt um den Hals. Abschließend hängte sie sich ihr silbernes Amulett um und schlüpfte zurück in die Tunika. So versorgt legte auch sie sich schlafen und hoffte, dass die Arznei möglichst bald damit begann, ihre Arbeit zu verrichten. Aber selbst wenn, die Pein im Kopf würde sie vermutlich ohnehin länger wachhalten.



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    Geändert von Bahaar (02.08.2013 um 10:49 Uhr)

  17. #17

    Solstheim, nordöstliches Inland, Fjalding-Plateau

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    Während die Kaiserliche es zuvor durch das Wetter weniger stark wahrgenommen hatte, machte sich das konstante Brennen der Augen im Zuge hoher Lichtempfindlichkeit am Tag nach ihrem Aufbruch im Skaal-Dorf durch den auflockernden Wolkenhimmel schlagartig und ungewohnt heftig bemerkbar. Sie zog die Kapuze weit hinab ins Gesicht, um sich zumindest so etwas von oben abzuschirmen. Die Reflexion des grell glitzernden Schnees ließ sich dadurch jedoch nicht abwehren. Es war ihr Glück, dass Vesana noch vor den ersten Sonnenstrahlen aufgebrochen war und sich dadurch einen kleinen Vorsprung hatte erlaufen können. In ihrem jetzigen Zustand kam sie jedenfalls nur noch langsam voran und musste sich das Ganze auch noch selbst zuschreiben. Über der ganzen Jagd-Sache und dem ewig schlechten Wetter blieb ihre Beobachtung des nächtlichen Himmels auf der Strecke, so dass sie ihr Zeitgefühl in Relation zum nächsten Vollmond völlig verloren hatte. Er mochte genauso gut morgen kommen, oder erst in drei Tagen. Mit etwas Pech, hätte er auch gestern sein können. Jedenfalls spürte sie jetzt überdeutlich, dass es nicht mehr lange hin sein würde. Das Augenbrennen und die Lichtempfindlichkeit sprachen eine deutliche Sprache. Von der Migräne ganz zu schweigen und auch ihr Gehör gab sich zunehmend empfindlicher. Jedes noch so kleine Knacken ließ sie zusammenzucken, sich instinktiv umschauen und schmerzte darüber hinaus im Gehör. Hin und wieder ertappte sie sich dabei, wie sie die Nase in die Luft hob und die Gerüche der Umgebung einsog, wie ein Raubtier auf Beutesuche.
    Die Nacht des ersten Tags verbrachte sie rastlos. Mit dem Hereinbrechen der Dunkelheit verschwanden zwar die Lichtempfindlichkeit und das Brennen der Augen, dafür verstärkten sich die Kopfschmerzen bis ins Unerträgliche. Ein konstantes Hämmern im vorderen Schädel und hinter den Augen. Es fiel ihr zunehmend schwerer sich unter Kontrolle zu halten – besonders dann, wenn das silbrige und rote Licht der fast vollen Monde durch die Wolkendecke brachen. Sie verspürte Heißhunger auf Fleisch, sowie die Lust zu töten und die Muskeln im ganzen Körper zuckten willkürlich unter der Haut, wie nervöse Finger, die trippelten. In Verbindung mit dem stark angeschlagenen Brustkorb keine besonders günstige Kombination. Es machte sie aggressiv, das gequälte Stöhnen klang fast schon wie ein Knurren und dennoch wollte sie sich nicht einfach aufgeben. Es mochte in dieser Gegend noch zu viele unabsehbare Folgen haben, wenn sie das tat. Dieser letzte Rest menschlichen Verstandes, irgendwo tief in ihrem Unterbewusstsein, war es auch, der wohl Schlimmeres in dieser Nacht verhinderte.

    Am nächsten Tag blieb ihr Befinden konstant schlecht. Das Gewitter hinter der Stirn flaute zwar mit dem Aufstieg der Sonne wie gewohnt etwas ab, aber der Rest blieb übermäßig empfindlich. Wie sie es dennoch schaffte, bis zum Fuße des Passes zur südlichen Inselmitte vorzudringen, blieb auch ihr selbst ein gewisses Rätsel. Möglicherweise war ihr jemand wohlgesonnen genug, ihr die Kraft zu geben auch ohne einen einzigen klaren Gedanken den Weg zurück zu finden – zurück in die Heimat. Heimat? Wollte sie das wirklich? Das Wort hallte in ihrem Kopf wider, doch war es nicht mehr als ein hohles Echo, das in diesen Stunden kaum noch eine Bedeutung für sie besaß. Das Bild von Fesseln schoss ihr als erstes durch den Kopf bei dem Gedanken. Regeln, die sie banden wie Fesseln, die ihr Vorschriften machten und sie einschränkten – das wollte sie nicht. Sie wollte frei sein, ausbrechen, wild und ungezügelt. Tollen und toben, tagelang nur jagen, ohne Rücksicht, ohne Kontrolle.
    In den immer selteneren Momenten der Klarheit schalte sich Vesana selbst dieser Gedanken, die aus den Untiefen ihrer tierischen Triebhaftigkeit emporstiegen. Nicht, dass sie nicht verlockend waren, oder sie sich nicht damit anfreunden konnte, aber bei klarem Verstand lagen ihre Prioritäten etwas anders. Doch so schnell und unverhofft diese Augenblicke auch kamen, so verschwanden sie auch wieder und nach dem Verschwinden des Tagesgestirns hinter den Bergen im Westen verschlechterte sich ihr Zustand noch weiter. An sich kannte sie diese regelmäßig wiederkehrende Phase nur zu gut, aber es blieb jedes Mal aufs Neue eine unglaubliche Qual. Als schließlich die Wolkendecke ein weiteres Mal aufriss, gab es kein Halten mehr.
    Ihr schmerzerfülltes Stöhnen wandelte sich zu tiefem Grollen, die Hände krallten sich erst in den losen Untergrund als heftige Spasmen durch ihren Körper fuhren, dann zogen sie ihr die Kleidung vom Leib. Der Verband um ihren Brustkorb riss auf und fiel von ihr ab. Die Kette landete im Schnee. Was zuvor für Schmerzen gesorgt hatte, empfand sie alsbald als berauschend. Jeden noch so kleinen Laut nahm sie wahr, ob das Scharren einer Wühlmaus unter dem Schnee oder das Schnaufen eines Hirsches in weiter Ferne. Die Geräusche der Umgebung sog sie gierig auf, während die Augen mit scharfem Blick und im silbrigen Zwielicht jede Kleinigkeit in Sichtweite musterten. Die Schmerzen im Kopf waren verschwunden, die in der Brust schienen verdrängt. Alles um sie herum wurde auf einmal zur Spielwiese und sie fühlte sich wie ein Kind im Wunderland – überall Spielzeug und Süßigkeiten, die es einzusammeln galt. Hinter jedem Busch, jedem Baum oder Stein mochte eine Überraschung lauern, alles weckte ihr Interesse und wollte eingehend gemustert werden. Völlig aufgeregt und mit wild schlagendem Herzen rollte sie sich im Schnee hin und her, wühlte das kalte Weiß auf einem Haufen zusammen, nur um anschließend hineinzuspringen und es wieder zu verteilen. Dabei kamen ihr einige der eisigen Flocken in die Nase. Schnaufend hielt sie inne, kratzte und rieb an ihrer herum, um sie von den unangenehmen Spielverderbern zu befreien.
    Als sich das Brennen etwas gelegt hatte hob sie den Kopf in die Luft und schnüffelte laut. Schnell nahm sie die Duftspur eines nahen Tieres auf. Ruckartig und mit einem Gefühl von Euphorie wandte sie sich in die Richtung um, in der sie es vermutete. Rasend schnell rannte die Jägerin durch den Wald und ignorierte peitschende Zweige des Unterholzes, als wären es kitzelnde Federn. Der Rausch beschleunigte ihren Puls, versetzte das Herz in aufgebrachte Sprünge. Die Anstrengung ließ sie alsbald hecheln, ohne dass sie jedoch müde wurde. Im Gegenteil: Je näher sie ihrer Beute kam, je mehr Indizien sie in Form von Geruch und Geräuschen auf dessen Position aufnahm, desto freudiger wurde sie. Die Füße der Kaiserlichen fanden trotz der Geschwindigkeit stets halt. Steine nutzte sie, um sich zu weiten Sätzen abzudrücken und nahm sogar die Arme und Hände intensiv mit zur Fortbewegung zu Hilfe. Die Lust auf Fleisch, die Süßigkeit ihres Wunderlandes, trieb sie immer weiter. So interessant die passiven Objekte auf der Spielwiese des Waldes auch sein mochten, einzig echtes Spielzeug reizte sie wirklich.
    Ihre scharfen Augen erspähten weit vor ihr zwischen den lichter stehenden Bäumen und über einiges Gebüsch hinweg ein Reh, das dort gerade noch graste, allerdings im nächsten Moment durch das Knacken im Unterholz aufgeschreckt wurde. Wach standen die Ohren ab und es schaute sich aufmerksam um. Dann entdeckte es die herannahende Jägerin und ergriff die Flucht. Allerdings half es nichts, Vesana war zu schnell. Auf Sprungweite heran nutzte sie den nächsten Baum, indem sie ihn ansprang, sich mit einer Hand an einem Ast festhielt und sich tief knurrend mit den Füßen kraftvoll am Stamm abdrückte. Das junge Wild besaß nicht den Hauch einer Chance, als sie auf seinem Rücken landete, die Finger und Zehen Knöcheltief in sein Fleisch schlug und sich in seinem Nacken festbiss.

    Erbärmlich frierend, zitternd und vor allem splitterfasernackt wachte die Kaiserliche inmitten ihrer wild durcheinander liegenden Kleidung auf. Blut besudelte sie von Kopf bis Fuß, verdeckte sogar stellenweise die dunkel unterlaufene Haut des Brustkorbs, und verklumpte ihr Haar. Obwohl die vergangene Jagd ganz offensichtlich ein Erfolg gewesen war, fühlte sie sich nicht gestärkt, eher wie nach einer durchzechten Nacht mit viel zu viel Alkohol und anderen Rauschmitteln. Die Vollmondnächte besaßen diese unangenehme Eigenart, dass sie entgegen ihrer üblichen Disziplin und langjährigen Gewöhnung nur ganz bestimmte, ja ursprüngliche Beute fangen musste, um sich überhaupt zu regenerieren und zu erholen. Sonst half sie zwar in gesteigertem Maße, aber auch andere – kräftige und gesunde – Beutetiere konnten dienlich sein. Alsbald kehrten auch die Plagen der letzten Tage zurück und quälten und lähmten sie von neuem. Das Hämmern in den Schläfen, das Zwicken in den Ohren bei jedem noch so leisen Geräusch und die brennenden Augen, die schmerzhafte Blitze durchzuckten, wenn sie zu lange auf das grelle Weiß des Schnees schaute. Stöhnend stemmte sich Vesa auch, die Schmerzen in der Brust trieben ihr die Luft aus den Lungen. „Scheiße“, fluchte sie leise und versuchte sich so weit unter Kontrolle zu bringen, dass sie ihre Sachen einsammeln und sich anziehen konnte.
    Mühsam und steifbeinig gelang es ihr und kurz nach Sonnenaufgang setzte sie ihre Reise fort. Es dauerte lange, bis die Kälte auch nur ansatzweise aus ihren Gliedern verschwand und die nach dem Rausch, ja dem beinahe-Traum, der letzten Nacht umso härter auf sie einprügelnden Beschwerden machten ihr das Leben nicht viel leichter. Wenn sie in den nächsten zwei Tagen tatsächlich einigermaßen gut vorankommen und ihren Zeitplan halbwegs einhalten wollte, musste sie sich trotz ihrer Klagen zusammennehmen und tagsüber zügig wandern, denn mindestens die nächsten zwei Nächte – zu Vollmond und die Nacht danach – würden ähnlich wild werden, wie die vergangene, egal, ob Vesana es wollte, oder nicht.



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    Geändert von Bahaar (16.08.2013 um 12:26 Uhr)

  18. #18

    Cyrodiil, Kaiserstadt, Hafenviertel: Herberge zum aufgetriebenen Floß

    Das aufgetriebene Floß war zu dieser Tageszeit noch leer, wenn man von dem Wirt, dem Rausschmeißer und ein paar Dauergästen absah, die immer im Schankraum anzutreffen waren. Natürlich könnte immer ein Spitzel darunter sein und selbst wenn nicht, die Aussicht darauf die nächsten Tage ohne Probleme seine Sucht zu finanzieren ließ diese teilweise erbärmlich aussehenden Gestalten sich an Gespräche und alles mögliche erinnern, je nach dem was benötigt wurde. Allerdings war es für sie ein schmaler Grad: Sagten sie zu viel, lebten sie nicht mehr sehr lange und wurden entweder tot in einer Gasse gefunden oder verschwanden im Hafenbecken. Sagten sie zu wenig, blieben sie zwar am Leben, bekamen aber kein Geld und wurden vom Rest gemieden, da ihr loses Mundwerk irgendwann bekannt wurde.
    Diejenigen, die viel sagten und Glück hatten lange genug zu überleben, wurden von den Thalmor rekrutiert und genossen einen gewissen Grad an Schutz, der je nach Nützlichkeit der bisherigen Informationen größer oder kleiner war. Eines war sicher: Die Thalmor konnten ihrer Informanten jederzeit fallen lassen, was zu einer gewissen Konkurrenz unter ihnen führte. Manche sehr fleißige Zeitgenossen, gingen sogar dazu über, aktiv Diebe und Mörder zu jagen, welche den Thalmor schaden zugefügt hatten. Im Gegenzug verbündeten sich viele Unabhängige oder suchten Schutz in der Diebesgilde, gründeten kleinere Banden oder heuerten Attentäter der Dunklen Bruderschaft an. Das Resultat war ein regelrechter Krieg in der Unterwelt der Kaiserstadt. Zeitweise fand man täglich mehr Opfer von Attentaten und Überfällen wie auf natürliche Weise Gestorbene. Nicht zu vergessen diejenigen die einfach verschwanden. In dieser Zeit war es eine Kunst neutral zu bleiben. Den wenigen Individuen, die dieses Kunststück schafften, genossen hohes Ansehen, wurden verehrt und gefürchtet. Diese Verehrung und Furcht galt sowohl für die Unterwelt, die Thalmor, den Penitus Oculatus und die kaiserliche Wache, die in diesem Krieg hoffnungslos unterlegen war. Das einzige, was das totale Chaos scheinbar verhinderte, war die Tatsache das immer noch recht einträgliche Geschäfte gemacht wurden. Ein offener Krieg würde diese ruinieren und so wurden die Kriegstreiber meist schnell zum Schweigen gebracht. Ein Frieden wurde hauptsächlich durch die Thalmor verhindert und so entstand eine sehr angespannte Situation, die irgendwann gelöst werden würde, so viel stand fest. Die einzige Frage war nur: Wie wird sie gelöst?

    Für Revan war dieser Konflikt ein alter Hut. Zwar waren er und sein Mentor keiner Seite verpflichtet, allerdings gehörten sie auch nicht dem fast schon elitären Kreis der Neutralen an, die als graue Eminenzen dafür sorgten das weiterhin viele Waren im Hafen der Kaiserstadt umgesetzt wurden, legale wie illegale. Dies sicherte nach außen hin den Frieden. Wenn das trotzdem nicht genug war, wurden an die betroffenen Personen eindeutige Nachrichten versandt. Bei Missachtung waren die Konsequenzen schwerwiegend, mitunter auch tödlich. Da die Methoden aber nur dem Kreis selbst und wenigen Eingeweihten bekannt war, munkelte man vor allem beim plötzlichen Verschwinden von Personen oder deren plötzlichem Tod, dass der Kreis seine Finger im Spiel hatte. Und niemand war wirklich versessen darauf zu viele Fragen zu stellen. Wer konnte noch zwischen Wahrheit und Gerücht unterscheiden?
    Bisher konnten sie es vermeiden, von einer Partei bedrängt zu werden. Dies war nur möglich, indem sie möglichst unauffällig blieben und nur ganz wenige Einbrüche durchführten. Die wenigen waren dann auch meist nicht sehr lukrativ, aber ohne Geld konnten sie ihren bescheidenen Wohlstand nicht halten. Daher waren Taschendiebstähle oder das plündern von Waren aus einem der unzähligen Lager an der Tagesordnung. Das war fast schon zu leicht, allerdings hielt die Routine die Sinne beisammen und die Finger kamen nicht aus der Übung. Jetzt stand aber wohl wieder ein größerer Einbruch an. Mit etwas Glück war er danach zumindest so weit unabhängig, dass er eigene Raubzüge planen konnte. Die Tatsache dass sein Mentor von den Einnahmen einen Teil bekommen würde, hatte Revan damals akzeptiert. Jedoch würde es nicht immer so weitergehen. Sein Mentor war alt geworden, die Anzahl der Jahre die er noch zu leben hatte, war recht überschaubar geworden. Danach konnte er uneingeschränkt auf die Verbindungen seines Mentors zurückgreifen. Alles in allem schien es endlich bergauf zu gehen, trotz der heiklen Situation in der Kaiserstadt. Das diese Postion immer mehr Neider anzog, war nichts neues. Genauso wenig die Verfahrensweise mit solchen Schmarotzern: An dem oder denen, die einem am gefährlichsten werden konnten, wurde ein Exempel statuiert, danach verschwanden die Mitläufer schneller wie Ratten die von einer Katze gejagt wurden. Das war der beständige Lauf der Dinge in dieser Welt. Sobald man die wichtigste Regel verstanden hatte, nämlich dass nichts bestand hat, außer der Tod, konnte man mit ein wenig Geschick und den richtigen Leuten besser leben als viele Andere. Auch wenn dieser Umstand manchmal nur von kurzer Dauer war, so galt diese Zeit vielen als die Beste die man in seiner erbärmlichen Existenz erreichen kann. Diese Denkweise bestimmte das Leben des Dunkelelfs seit seiner Geburt. Erst während der Ausbildung durch seinen Mentor änderte sich seine Sichtweise langsam und er fing an Vorbereitungen zu treffen, um eines Tages dem Netz aus Intrigen, Verrat und Bestechung zu entkommen. Auch wenn die Chancen groß waren, das Risiko war es auch. Es gab andere Orte an denen man als Dieb leben konnte, ohne ständig ein Messer im Rücken zu erwarten. Aber bis dahin war es noch ein weiter Weg.

    Der Dunkelf wählte einen Tisch am Rande, damit er den ganzen Schankraum beobachten konnte. Kaum saß er auf dem Stuhl, da erschien auch schon der Wirt, ein älterer Altmer namens Ormil. Hin und wieder unterhielt er die Gäste mit Geschichten aus der Zeit der Oblivion-Krise. Auch wenn sie glaubhaft erzählt wurden, so konnte sich Revan nur schwer vorstellen, das ausgerechnet der Held von Kvatch in dieser Kaschemme genächtigt haben soll. „Ein Dunkelbier“ - „Kommt sofort“ Wortkarg wie immer bestellte der Dunmer, damit er möglichst schnell wieder in Ruhe gelassen wurde. Warum ausgerechnet hier? Das der Besitzer ein Altmer war beunruhigte jeden Besucher, aber wenn sein Mentor ihn hier treffen wollte, dann hatte das sein Gründe. Dadurch das sie Elfen waren, wurden sie nicht ganz so herablassend von den Thalmor behandelt, wie die kurzlebigen Rassen. Dennoch war jedem klar, wer sich für die beste Rasse auf Tamriel hielt. Und zur Zeit waren sie auf dem besten Weg, diesen Anspruch mit allen Mitteln durchzusetzen.
    Kurz darauf stand das Bier vor ihm, ein paar Münzen wechseln den Besitzer und schon hatte der Dunmer wieder seine Ruhe. Bis zum Treffen waren es noch ein paar Stunden, daher war wieder Zeit für ein Karten- oder Würfelspiel. Dabei konnte man schön den anderen Parteien das Geld aus der Tasche ziehen ohne das sie etwas merkten. Dazu war aber auch immer ein wenig Alkohol nötig. Ohne Alkohol waren nur kleine Beträge möglich, wenn die gleichen Leute auf in Zukunft mit einem spielen wollten. Es musste immer so aussehen, als habe man besonders viel Glück oder die Anderen besonders viel Pech. Interessant wurde es, wenn ein zweiter Falschspieler am Tisch saß und gegen einen spielte. Diese Partien waren immer fordernd und man lernte manch neuen Kniff. Auch heute fanden sich schnell wieder ein paar spielfreudige Gesellen zusammen, die Karten wurden ausgepackt, die Einsätze bestimmt und schon ging es munter los.

    Ein paar Stunden später, das Floß war fast schon überfüllt, hatte Revan einen mäßigen Gewinn erzielt und war, nachdem die Runde den Tisch verlassen hatte, wieder alleine. Plötzlich entdeckte Revan eine Gestalt, die sich zwischen 3 eingetroffenen Soldaten der kaiserlichen Armee in den Schankraum zwängte. Er ist spät dran. Die Gestalt ging kurz zum Tresen und bahnte sich danach mit zwei Flaschen Wein und 3 Gläsern ihren Weg durch den Schankraum. Wortlos setzte sie sich an den gleichen Tisch, entkorkte die erste Flasche und füllte 2 Gläser mit Wein.
    „Du bist heute spät dran, Cale“, sagte Revan und nahm das Glas entgegen.
    „Ich musste noch ein paar Sachen regeln, Golion“, erwiderte Faldil
    „Das Übliche?“
    „Das Übliche.....Seit wann sitzt du hier?“
    Der Dunkelf schüttelte den Kopf. „Die geben wohl niemals auf, oder? Seit heute Nachmittag.“
    Der Waldelf lachte kurz und trocken. „Nein, du kennst doch die Regeln. Diese Regeln sind fast so alt wie Götter selbst.
    „Nur das die Regeln von sterblichen gemacht wurden, und alle mischen mit. Egal ob Bettler, Soldat oder König. Den Göttern muss das ziemlich egal sein, sonst hätten sie es längst unterbunden.“
    „Wer weiß, vielleicht ist es auch eine Prüfung um die Würdigen von den Unwürdigen zu trennen.“
    „Hör auf, die klingst wie diese selbstgerechten Priester. Schon vergessen: Angeblich sehen die Götter alles, wozu dann dieses Gerede von Prüfungen?“
    Faldil schüttelte den Kopf. „Lassen wir das. Es ist draußen schon dunkel und der Kontakt sollte jeden Moment auftauchen. Er hat eine Aufgabe für uns, angeblich ein sehr heikler Auftrag. Hast du irgendwas besonderes bemerkt?“
    „Einmal abgesehen von der Tatsache, dass wir uns in einer Kaschemme am Hafen treffen, die von einem Altmer geführt wird, den Dauergästen die bei genügend Gold alles gehört haben, ein paar Soldaten der Armee und dem selben Spion der Thalmor, der am anderen Ende des Raumes sitzt und heute ein zweiter Spion samt Schlägern eingetroffen ist,..... abgesehen davon nichts auffälliges.“
    „Also nur das Übliche. Halte trotzdem Augen und Ohren offen. Wenn der Kontakt eintrifft, verständigen wir uns auf die übliche Art und Weise.“
    „In Ordnung, aber mir bereiten die Spione immer ein wenig Kopfzerbrechen. Man weiß nie ob man einen Übersehen hat. Diese Halunken sind wie die Ratten. Wo du einen siehst, ist der Rest nicht weit entfernt. Und ich habe dieses mal kein gutes Gefühl“, entgegnete Revan.
    „Leidest du unter Verfolgungswahn? Es ist das gleiche Spiel wie in den letzten Jahren auch. Entspann dich ein wenig und........er ist da“, erwiderte Faldil.
    Ein ziemlich blasser, aber gefasst wirkender Kaiserlicher betrat den Schankraum und ließ den Blick kurz schweifen. Ein kurzer Blick auf die Tür hinter ihm, dann bewegte er sich langsam durch den Schankraum. Fast konnte man meinen, er würde im Gedränge ertrinken, doch er kämpfte sich bis zu dem Tisch, an dem Revan und Faldil saßen. Ein kurzes Nicken seitens des Bosmers, genügte dem Kaiserlichen um sich auf den freien Stuhl zu setzen. Mit einem gemurmelten „Danke“ nahm er das Weinglas entgegen und trank einen tiefen Schluck, ehe er die beiden Elfen eingehend musterte. Ehe er ansetzen konnte nahm Revan die Karten aus seiner Manteltasche und begann zu mischen. Der fragende Blick seitens des Kaiserlichen wurde von einem bestimmten Nicken Faldils beantwortet. Seufzend akzeptierte der Kaiserliche, dass der Abend wohl ein wenig länger werden würde.

    Nach der dritten Runde stellte Faldil die erste Frage an den Kaiserlichen, der sich selbst Tiro nannte. „Ich hörte du hättest Neuigkeiten für uns?“
    Tiro nahm einen weiteren Schluck Wein, ehe er mit zittriger Stimme antwortete: „D-du-durchaus, ihr kennt doch den...den reichen Altmer, der sich aufführt als wäre er der Herrscher über diese Stadt? Wie war der Name noch gleich......Eraami, Eraami heißt er.“
    „Ist ja auch schwer diesen dekadenten Mer nicht zu kennen“, grummelte Revan Während er missmutig nach der Bedienung Ausschau hielt, da die letzte Flasche Wein gerade geleert worden war. Mit gespieltem Erstaunen warf Faldil seinem Schüler einen tadelnden Blick zu, was dieser nicht sehen konnte.
    „Ja, wir kennen Eraami. Was ist mit ihm?“
    „Nun, man munkelt das er beabsichtigt auf Reisen zu gehen und eine nicht geringe Anzahl seiner Wächter mitzunehmen.....“
    Derweil hatte Revan die Aufmerksamkeit einer Schankmaid erlangt und gab ihr mit wenigen Handbewegungen zu verstehen, das noch eine Flasche Wein benötigt wurde. Derweil ließ er immer wieder den Blick schweifen. Selbst die beiden Spione waren nicht auffälliger als sonst, auch zeigten sie kaum Interesse an dem Gespräch zwischen dem Kaiserlichen und seinem Mentor. Sie tun so, als wäre ihnen alles egal. Oder haben sie wirklich keine Ahnung? Einer der Spione stand auf und verließ das Floß. Der Andere konnte sich nicht zwischen 2 Sorten Wein entscheiden. Vermutlich leide ich langsam wirklich unter Verfolgungswahn.
    „Und, was sagt ihr?“
    „Durchaus ein wertvoller Tipp. Was willst du für dein Wissen und was haben wir davon?“
    „Ein goldenes Amulett, es ist ein Familienerbstück.....er ist reich, nehmt euch so viel ihr tragen könnt. Ich kann euch kein Geld anbieten.“
    „Gut, wir werden das prüfen. Wenn sich wirklich eine Gelegenheit ergibt, werden wir sie nutzen. Ich gebe dir in spätestens 7 Tagen auf dem bekannten Weg eine Antwort“
    „In Ordnung. Der Wein geht auf uns. Wenn du dich hier so unwohl fühlst, kannst du gehen sobald die Runde zu Ende gespielt wurde.“
    Der Kaiserliche war während des Gesprächs noch blasser geworden, als er es bereits war. Mit sichtlicher Erleichterung verließ er ein paar Minuten später das Floß.
    Schweigend saßen die beiden Elfen am Tisch und tranken den Rest des Weins. Per Handzeichen hatte Revan seinen Mentor auf dem Laufenden gehalten, ob sie beobachtet wurden.
    „Und, irgendetwas verdächtiges bemerkt?“
    „Nein und gerade das bereitet mir ein wenig Sorgen. Die Spione hatten für alles Augen, nur nicht für uns.“
    „Ich sagte doch, du leidest langsam aber sicher unter Verfolgungswahn. Mit etwas Glück können wir diese Arbeit genau so unerkannt vollenden wir damals bei dem Schiff.“
    „Wäre schön mal zur Abwechslung nicht verfolgt zu werden.....Ja das Schiff war ein wahres Kunstwerk.“ Revan trank den Rest seines Glases und stellte fest, das ihm der Wein langsam zu Kopf stieg. „Kam dir der Kaiserliche seltsam vor? Ich meine....“
    „Jetzt hör schon auf die Geister da zu suchen wo keine sind! Geh nach Hause und ruhe dich aus, wir haben in den nächsten Tag viel Arbeit vor uns.“
    Seufzend erhob sich der Dunmer. „In Ordnung, du weißt ja wo du mich findest.“ Revan schwankte die ersten paar Schritte, da das lange Sitzen und der Alkohol nicht förderlich für seine Beine und sein Gleichgewicht waren. Grübelnd verließ er das Floß und atmete zuerst die kalte, stinkende Nachtluft ein, ehe er ein paar Schritte der Kaimauer folgte. Vielleicht haben wir ja wirklich Glück und ich sehe nur wieder Verrat wo keiner ist. Trotzdem, der Vorfall vor 3 Jahren......ich bin zu müde und die letzte Flasche Wein entfaltet ihre Wirkung. Es wird Zeit. Die Zweifel verdrängend wandte er sich von der Kaimauer ab und verließ so schnell wie möglich das Hafenviertel, in dem es seit geraumer Zeit schlimmer stank als in der Kanalisation. Der Dunmer wollte nur noch eins: Schlafen.



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    Geändert von Skyter 21 (04.02.2014 um 16:21 Uhr)

  19. #19

    Solstheim, südwestliche Küste, Rabenfels

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    Vier Tage später durchschritt Vesana etwa um die Mittagszeit das Bollwerk, das die kleine Stadt Rabenfels von der Aschewüste trennte. Beim Anblick der schwarzen Mauer aus Basalt empfand sie ein gewisses Maß an Erleichterung. Ihre nicht ganz ungefährliche Reise über die frostige Insel kam damit zu einem Ende und irgendwie fühlte sie sich befreiter. Zwar würde sie noch einige Zeit mit den körperlichen Nachwehen zu kämpfen haben, aber insgesamt war dieser Ausflug doch positiv – und vor allem erfolgreich – verlaufen. Sie hatte gefunden, weshalb sie gekommen war und konnte sich um einige Erfahrungen reicher fühlen. Wenngleich das Unterfangen erheblich auf ihren Geldbeutel schlug, so fand sie es die Kosten wert. In der letzten Nacht hatte sie auch endlich wieder ein Auge zu machen können und seither ließ auch ihre Licht- und Geräuschempfindlichkeit nach. Wenngleich die Kopfschmerzen vorerst blieben, so wusste sie wenigstens, dass sich auch diese in ein paar Tagen für einige Zeit verflüchtigen würden. Solange musste sie noch aushalten, aber mit den Erfahrungen der letzten Tage noch frisch im Hinterkopf blieben sie das geringste Übel. Auf ihre Stimmung schlugen sie trotzdem.
    Ihrem Gesicht schienen die Leute in der Küstensiedlung wohl anzusehen, dass die Kaiserliche, die immerhin nun schon vier Wochen unterwegs gewesen war, einiges durchgemacht hatte. Die Zeichnung mit dem Blut des Werbären ließ sich zweifelsfrei auf keinen Fall mehr als solche erkennen, aber inwieweit das Blut anderer Opfer der letzten Zeit noch auf ihren Zügen auszumachen war, vermochte Vesana nicht einzuschätzen, immerhin besaß sie keinen Spiegel, in dem sie sich hätte selbst betrachten können. In jedem Fall blieben noch genug Dreck, die Asche der letzten Tage, und die noch verheilenden Reste der zahlreichen Platzwunden als Mahle der Strapazen zurück. Nicht zu vergessen zeichneten sie auch noch die von Kälte, Wind und Wetter spröde Haut auf den Wangen, Lippen und an der Nase. Dass sie sich nach wie vor leicht schief stellen musste, um die Stiche in ihrer linken Flanke einigermaßen einzudämmen, sah man ihr mit Sicherheit ebenfalls mehr als deutlich an, da die Nächte im Rausch in Ermangelung der richtigen Beute kaum zum Heilungsprozess begetragen hatten. Die Jägerin störte sich jedoch nicht an den flüchtigen Blicken der Verwunderung und des Schreckens. Stattdessen lief sie zielstrebig zurück zur Ebenerzmine, um mit Crescius zu sprechen und nach ihrem Karren zu sehen.
    Die kühle, feuchte Luft im Innern des Felsens bot wie damals zu ihrer Ankunft auf der Insel auch jetzt eine mehr als willkommene Abwechslung zur in Augen und Lunge brennenden Luft draußen. Erleichtert zog sich Vesa das Tuch von Mund und Nase und nahm einige tiefe Atemzüge. Erst danach setzte sie ihren Weg den Eingangstunnel hinab fort, vorbei an dem Emblem der ostkaiserlichen Handelsgemeinschaft und in die zentrale Kaverne mit den Verwaltungsunterlagen des alten Kaiserlichen. Dieser saß wie damals im ersten Stock der hölzernen Räumlichkeiten am anderen Ende der Höhle. Kurz schaute sie sich um und fand ihren Wagen genau an der Stelle, an der sie ihn abgestellt hatte. Ein zufriedenes, kaum merkliches Lächeln umspielte ihre geschundenen Lippen. „Guten Tag“, grüßte Vesana, die Stimme laut erhoben, damit sie auch ganz sicher nicht überhört würde. Der alte Mann erhob sich von seinem Tisch und kam zum oberen Ende der Treppe, die ihn nach unten führen würde.
    „Du meine Güte! Ihr seid zurück!“ Ehrliche Überraschung und ein Grundtenor von Freude zeichneten seine alte, rauchige Stimme. Eilig kam er die knarzenden Holzstufen hinab und auf seinen unerwarteten Gast zu.
    „Das bin ich“, entgegnete Vesa und schlug in seine Hand ein, als er sie ihr reichte. „Ich wollte nach dem Rechten sehen und fragen, ob Ihr wisst, wann Gjalund das nächste Mal nach Windhelm übersetzt“, kam sie möglichst schnell zum Geschäftlichen. Trotz der langen Einsamkeit auf ihren Wegen über die Insel verspürte sie nach wie vor wenig Verlangen, sich länger als unbedingt nötig mit anderen zu unterhalten. Das anhaltende Stechen in den Schläfen trug ebenfalls seinen Teil dazu bei. Außerdem lag ihr der alltägliche Plausch ohne ein Ziel, ohne eine konkrete Notwendigkeit nicht. Wenn sie so recht darüber nachdachte, hatte es ihr noch nie wirklich gelegen, seit ihre Familie auseinandergefallen war. Und das lag inzwischen schon lange Jahre genug zurück, um die Erinnerungen an die Zeit davor fast bis zur Unkenntlichkeit verblassen zu lassen. Es gab seither niemanden mehr, der sie zu einem ungezwungenen Gespräche hätte motivieren können. Nun ja, fast niemanden, aber daran wollte sie in diesem Moment lieber nicht ausführlicher denken und Crescius Caerellius half ihr dabei, ob er es nun beabsichtigte, oder nicht.
    „Gjalund wird in drei Tagen nach Windhelm übersetzen“, erwiderte er. „Und Euer Wagen steht unverändert und unangetastet dort drüben.“
    „Danke. Ihr bekommt damit dann noch zweihundertfünfzig Septime für die Zeit seit meinem Aufbruch und die zwei noch folgenden Tage. Richtig?“
    „Richtig. Kommt.“ Der alte Kaiserliche bat sie hinüber zu dem Tisch, an dem sie schon vor vier Wochen gesessen hatten, um dort die Finanzen zu erledigen.
    „Kann man sich hier irgendwo für etwas Geld baden?“, fragte Vesana, während sie in ihrem Tornister nach dem Goldsäckel kramte.
    „In der Taverne dürftet Ihr das können, wenn Ihr Euch dort ein Zimmer mietet. Wo die ist, wisst Ihr ja bereits.“
    Sie schob ihm das abgezählte Geld zu. „Ja, weiß ich.“ Während er grob und dem Anschein nach eher nur unaufmerksam zählte, erhob sich die Jägerin wieder und schritt hinüber zu ihrem abgedeckten Wagen. Sie warf die Plane zurück und suchte sich einige Sachen zusammen, die sie nun in der Siedlung benötigen würde. Die Schlafunterlage, die Decke und das Werbärenfell verstaute sie auf der Ladefläche. Ebenso die Armbrust und übrigen Bolzen. Allgemein legte sie zunächst sämtliche Waffen ab und entledigte sich anschließend sowohl ihrer Rüstung, als auch ihrer dicken Leder- und Felljacke. Während sie auch noch den Inhalt des Felleisens neben ihren übrigen Sachen einsortierte, erhob sich Crescius und näherte sich bis auf ein paar Schritte. In gebührendem Abstand blieb er auf der anderen Seite des Wagens stehen.
    „Es stimmt soweit alles. Ich hoffe, Eure Reise hat sich für Euch gelohnt. Es freut mich jedenfalls, Euch mehr oder weniger wohlbehalten wieder hier zu sehen.“
    Vesana schaute kurz auf und in das faltige Gesicht des alten Mannes. „Das hat sie. Danke.“ Ein kurzes, etwas verunglücktes Lächeln und Nicken des Kaiserlichen später wandte sich dieser von ihr ab und widmete sich seiner Arbeit. Sie selbst war froh darüber, endlich ihre Ruhe zu haben, seufzte kurz und kramte weiter auf ihrem Karren herum. Während sie sich etwas unbeobachtet fühlte, wechselte sie noch die völlig verdreckte und unangenehm riechende Tunika mit einer frischeren aus. Zum Schluss band sie sich ihr verbliebenes Schwert erneut auf den Rücken und einen der Dolche an den Gürtel. Mit einem kaum gefüllten Tornister machte sie sich auf den Weg zur Taverne. Das reduzierte Gewicht auf den Schultern und der mangelnde Druck auf den Brustkorb erleichterten ihr diesen. Leichten Fußes trat die Kaiserliche zurück ins Freie, zog das Tuch vor Mund und Nase und begann damit zu planen, was sie in nächster Zeit tun würde. Vermutlich sollte erst einmal eine Rückkehr zu Jorrvaskr und den Gefährten folgen. Der eine oder andere Auftrag käme sicher ganz gelegen, nicht zuletzt weil sie ihre Goldreserven im Heim der Gilde eigentlich nur ungern antasten wollte, sich ihr Geldsäckel jedoch erheblich verkleinert hatte in den letzten Wochen. Natürlich wäre es wohl auch an der Zeit überhaupt mal wieder ihr Gesicht dort zu zeigen, da sie mittlerweile doch schon lange abwesend war und nicht gänzlich in Vergessenheit geraten wollte. Die einzige Gemeinschaft, in der sie sich einigermaßen sicher und wohl fühlte zu vergraulen, lag keinesfalls in ihrem Interesse. Es wäre wohl das Beste, wenn sie nach ihrer Ankunft in Windhelm möglichst schnell zurück nach Weißlauf kam, und sich erst dann so richtig Gedanken über alle weiteren Schritte machte.
    Zunächst musste sie ohnehin ein Bett und ein Bad organisieren. Im unteren Teil der Taverne grüßte auch gleich der Wirt. „Ihr seid zurück. Was kann ich für Euch tun?“
    „Ich bräuchte ein Bett für die nächsten drei Nächte und ein Bad.“
    „Selbstverständlich. Das Zimmer kostet zehn Septime die Nacht. Das Bad zwanzig“, erwiderte der Dunmer und zupfte sich am Kinn herum, wie ein bedachter Geschäftsmann.
    „Zwanzig?“, fragte die Kaiserliche nach. Eine stattliche Summe für einen Zuber voll mit warmem Wasser.
    „Sauberes Wasser ist hier kostbar. Ihr wisst schon, wegen der vergiftenden Asche des Roten Berges. Dafür bekommt Ihr aber auch noch Seife und ein Tuch zum Trocknen“, erläuterte ihr Gegenüber und stützte sich mit den Händen auf seinem Tresen ab. Wenigstens etwas.
    „Von mir aus.“ Vesa reichte ihm das Geld. Sie verspürte keine Lust, noch großartig zu verhandeln. Sie wollte einfach nur noch ein Bett und ein Bad, um die Anspannung der letzte Wochen abzuwerfen. Mehr nicht.
    „Vielen Dank! Lasst mich Euch zu Eurem Zimmer führen. Bitte“, er wies sie an ihm zu folgen. Gemeinsam schritten sie in den hinteren Teil der Taverne und der Wirt schloss einen kleinen Raum auf, der über das Nötigste an Einrichtung verfügte. Anschließend reichte er ihr den Schlüssel. „Soll ich Drovas anweisen, Euch eine Wanne mit warmem Wasser einzulassen?“
    „Ja, bitte.“
    „Gut, er wird klopfen, sobald das Bad bereit ist.“ Er überließ sie sich selbst. Die Tür hinter sich schließend, legte die Kaiserliche zuerst Gepäck und Waffen ab, dann entledigte sie sich ihrer Stiefel und Hose. Nur noch mit der Tunika bekleidet ließ sie sich auf dem Strohbett nieder und verschränkte die Hände auf dem Bauch. Mit geschlossenen Augen versuchte sie an nichts zu denken, sondern einfach die Seele baumeln zu lassen. Ruhige Atemzüge sorgten für Entspannung, das weiche Fell und die Decke zwischen ihr und dem Stroh sorgten für den nötigen Komfort. Obwohl sie sich vornahm, nicht einmal das zu tun, ließ sie die Tage auf Solstheim Revue passieren und ging gedanklich zurück zu ihrem Kampf mit dem Werbären, dachte an die Tage der Jagd mit Oslaf, Wulf und Finna, ja sogar bis zu ihrem ersten Tag auf der Insel und der Auseinandersetzung mit dem Plünderer in der Aschewüste. Zu ihrem Bedauern kehrten damit aber auch die unbequemeren Erinnerungen zurück. Darius‘ Gesicht schälte sich ein weiteres Mal aus der Dunkelheit vor ihren Augen. Unwillkürlich griff ihre Hand nach dem Amulett um ihren Hals.
    Bevor sie sich jedoch in ihren Erinnerungen gänzlich verlieren konnte, klopfte es an der Tür und die Jägerin riss die Augen auf. Sich mit den Händen über das Gesicht fahrend stand sie auf und öffnete. Ein alter Dunmer mit magerem Gesicht und wulstigen Augenbrauen stand dort vor ihr. „Ja?“
    „Euer Bad ist eingelassen. Wenn Ihr mir folgen würdet?“, entgegnete er und sie nickte. Das Zimmer schloss sie ab und lief barfuß hinter dem schon etwas in die Jahre gekommen wirkenden Elfen her. Er führte sie zu einem größeren Raum, in dem am Rand und hinter einer verschiebbaren Abtrennung ein Holzzuber stand. Auf einem einfachen Ständer hing ein großes Wolltuch und etwas Seife lag auf einer Ablage. „Sagt Bescheid, wenn Ihr fertig seid.“ Abermals nickte die Kaiserliche und wurde sich selbst überlassen.
    Ihre Tunika zog sie über den Kopf und legte die Halskette ab. Den Verband hatte sie nach der ersten rastlosen Nacht nicht wieder anlegen können, zu zerschlissen waren die Wickel gewesen. Ohne Salbe und in dem teils zerrissenen Zustand hätte er ohnehin keinerlei Wirkung mehr gehabt. Ihr Brustkorb schimmerte mittlerweile in kräftigem Gelb und Grün. Immerhin ein Zeichen dafür, dass die inneren Verletzungen verheilten. Letztlich rutschte sie nach kurzer Gewöhnung an das wirklich sehr warme, leicht dampfende Wasser in die ovale Holzform. Zwar vermochte sie nicht, sich darin lang zu machen, aber immerhin passte sie mit angewinkelten Beinen problemlos hinein. Vesana löste nun auch noch das Lederband, das ihren Pferdeschwanz und die dorthin laufenden Zöpfe zusammenhielt, und schüttelte die langen Haare aus. Erst dann schloss sie die Augen und tauchte völlig ab.



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    Geändert von Bahaar (23.08.2013 um 14:19 Uhr)

  20. #20

    Solstheim, südwestliche Küste, Rabenfels

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    Die Zeit bis zur Abreise verbrachte Vesana überwiegend damit, sich zu erholen. Sie blieb lange im Bett liegen, frühstückte spät und spazierte etwas durch das Städtchen. Wenn sie nicht gerade oben auf dem basaltenen Bollwerk zwischen und auf einigen Kisten am hintersten Ende saß und in einem ihrer Bücher las oder einfach die Augen über den grauverhangenen Himmel schweifen ließ, weil ein laues Lüftchen aus dem Norden vorrübergehend die Asche in der Luft vertrieb, so blieb sie meist im Schankraum sitzen oder auf ihrem Zimmer. Einzig zum Abziehen des Fells des Werbären blieb sie schlechteren Luftbedingungen zum Trotz länger draußen. Die Kaiserliche mied soweit möglich die Gesellschaft anderer und hielt sich zurückgezogen. Die Entspannung und Ruhe taten ihrem Körper gut. Die Kopfschmerzen verflogen zusehends, die Schmerzen in der Brust reduzierten sich auf ein Minimum und die Kraft kehrte nach und nach in die müden Glieder zurück. Von den Dunmer der Siedlung erhielt sie kaum noch außerordentliche Beachtung. Die Gegenwart eines länger bleibenden Besuchers verlor schnell an Ungewöhnlichkeit. Nicht, dass es sie großartig kümmerte. Im Gegenteil, dass man sie in Frieden ließ und ihr nicht ständig nachsah, kam Vesa ganz gelegen.
    Am späten Nachmittag des zweiten Wartetages saß die Jägerin gerade wieder auf ihrem angestammten Platz oben auf dem Bollwerk und blickte hinab in die kleine Stadt. Wären da nicht die patrouillierenden Wachen des Hauses Redoran gewesen, sie hätte den Ort für verlassen und der Asche überlassen halten können. Die wenigen Händler auf dem Marktplatz boten ihre Waren den üblichen Verdächtigen feil, die vermutlich schon längst kein Bedürfnis mehr an noch einem neuen Schwert, einer Schaufel oder noch einem leeren Leinensack hatten. Die einzige wirklich potenzielle Kundin saß hoch oben und schaute aus weiter Ferne auf sie hinab, alle anderen hielten nur einen Schwatz mit dem Verkäufer und entfernten sich im Anschluss wieder. Eigentlich eine traurige Situation für die Händler, aber jeder von ihnen hätte genauso gut wieder auf das Festland Morrowinds zurückkehren können, insofern bestand keine Notwendigkeit für Mitgefühl. Vermutlich waren sie ohnehin weitestgehend zufrieden mit ihrem Leben in Frieden und Ruhe, abseits großer Politik und den Problemen des Festlandes.
    Zwei Wachen kamen gerade wieder in Vesanas Richtung. Die Platten ihrer schweren Knochenrüstungen schlugen weithin vernehmbar aufeinander und die harten Stiefelsohlen hämmerten mit markantem Klacken auf den Steinboden ein. Es waren zwei ihr bereits bekannte Gesichter. Einer von ihnen mit weitflächigen Tätowierungen in der linken Gesichtshälfte und feuerrotem Haar bis auf die Schultern, der andere mit fies geschnittenen Zügen und pechschwarzer Mähne. Ein Ziegenbart zierte sein Kinn. Als sie das erste Mal hier vorbei gekommen waren am Tag zuvor, hatten sie noch mit der Kaiserlichen diskutiert, dass sie doch hier oben eigentlich nichts zu suchen hatte und sich doch ein anderes Fleckchen in der Stadt aussuchen sollte. Nach einer kurzen Debatte in der sich die Jägerin uneinsichtig und stur zeigte, ließen sie sich jedoch davon überzeugen, dass von einer einfachen, zierlichen Frau mit einem Buch kaum eine Gefahr für die Festungsanlagen oder die Bewohner der Siedlung ausging und es am Ende nicht schaden konnte, den Gast die Aussicht genießen zu lassen bis er in Kürze ohnehin wieder abreiste. Inzwischen grüßten sie sogar.
    Der Wind hielt glücklicherweise noch etwas an und ließ die sonst trockene, brennende Luft der Gegend etwas milder werden. Die Füße hochgelegt zwischen zwei Zinnen, auf einer Kiste sitzend und gegen eine weitere lehnend, schloss Vesana die Augen und legte den Kopf in den Nacken. Einige Momente lang verharrte sie so und atmete tief ein und aus. Nur langsam öffnete sie die Lider und griff sich im Anschluss ihr Buch. Ein einfacher Bericht über die Geschichte Himmelsrands mit einem kleinen Exkurs zu den Falmer, diese widerspenstigen, garstigen und blinden Kreaturen in den alten Dwemer-Ruinen, von denen sie schon so einiges gehört hatte, aber zum Glück noch nie selbst einem über den Weg gelaufen war. Derartige sachliche Literatur gab ihr irgendwie mehr, als simple Unterhaltungskunst, die von Barden und jedem Schnösel zusammengekritzelt werden konnte, der wusste, wie er einen Federkiel zu halten hatte. Mancher verkaufte seine grandios zusammengebastelte Geschichte sogar als Wahrheit. Zum Glück ließen sich solche für einen halbwegs gebildeten Leser wie sie schnell von echter Fachliteratur unterscheiden, die dann doch meist auf verschnörkeltes Floskelbeiwerk verzichtete.
    Vesa merkte gar nicht, wie schnell tatsächlich die Zeit verstrich. Die blutrote Sonne neigte sich steil dem Horizont zu und erst als die Zinnen lange Schatten direkt auf die vergilbten Pergamentseiten warfen, schaute sie auf. Einige der Wachen in Rabenfels hatten bereits Fackeln herausgeholt und entzündet, weil Teile der Niederlassung schon in beinahe nächtlicher Dunkelheit lagen. Die Kaiserliche entschied sich noch das Kapitel, das sie begonnen hatte, zu Ende zu lesen und würde dann zur Taverne zurückkehren. Vorfreude auf die bevorstehende Abreise und ein baldiges Wiedersehen mit den Gefährten machten sich merklich in ihr breit. Der Hunger im Bauch wich sachtem Kribbeln und einem Gefühl von Leichtigkeit. „Bald“, flüsterte sie zu sich selbst, ein Lächeln stahl sich auf die schmalen Lippen.
    Leichtfüßig schwang sich die Jägerin über den Stapel Kisten zurück auf den steinernen Boden und spazierte lockeren Schrittes oben auf der dicken Mauer entlang. Einen letzten Blick warf sie hinüber in die Aschewüste vor dem Städtchen. Sie würde das Grau wahrhaftig nicht vermissen. Und als ob ihr jemand dieses Gefühl bestätigen wollte, drehte plötzlich auch der Wind und trug neuerlichen Ascheregen aus dem Südosten über die Insel. Die dicken Flocken verkleisterten augenblicklich ihre Haare und verschmutzten die Haut auf den freien Armen. Das Buch unter den rechten geklemmt beschleunigte sie ihr Schritttempo und zog Gjalunds Tuch vor Mund und Nase. Wenig später kam sie an den beiden Wachen vorbei. Auch sie trugen inzwischen Tücher vor den Gesichtern und grüßten ein letztes Mal als die kleine Frau an ihnen vorbeikam. Diese armen Hunde konnten nicht einfach irgendwo hineingehen, wenn es ihnen zu ungemütlich wurde.
    Eilig trabte Vesana die schwarzen Stufen hinab, bog vor dem Tempeleingang ab und schritt eine weitere Treppe hinunter. Dann fehlte auch nicht mehr viel bis zur Taverne. Unten in der Senke, in der die Siedlung lag, hüllte inzwischen die Nacht alles ein, dass nicht im Schein der Fackeln der Redoranwachen erleuchtet wurde. Einzig am Marktplatz ein Stück vor ihr flackerte es auch ohne die mobilen Leuchter. Abgesehen davon schien sie jedoch die einzige zu sein, die sich tatsächlich noch mehr oder weniger freiwillig draußen aufhielt.
    Sie durchquerte gerade einen besonders dunklen Abschnitt auf ihrem Weg zum Wirtshaus, als sich von hinten ein Arm um ihre rechte Seite legte und jemand von unten ihre Kehle mit festem Griff packte. Die Augen weiteten sich vor Schreck und sie sog scharf die Luft ein, während das Herz einige aufgeregte Sprünge vollführte und ihr das Buch entglitt. „Guten Abend, Nevara“, flüsterte ihr eine messerscharfe Männerstimme ins linke Ohr. „Oder sollte ich sagen: Vesana?“ Eine kalte Spitze drückte sich von hinten gegen ihre linke Körperhälfte, etwa auf Höhe des Herzens. „Ihr hieltet Eure Namenswahl wohl für sehr ausgefuchst, nicht wahr?“ Seine Worte schnitten kühl durch die nächtliche Luft, keine Emotion spiegelte sich in ihnen, außer einer Brise Verachtung vielleicht. „Möglicherweise war sie das auch“, der Sprecher wechselte die Seite und drückte sich nahe ihrem rechten Ohr gegen ihren Kopf, um noch leiser sprechen und sich dennoch sicher sein zu können, dass sie ihn verstand. „Überall, nur nicht hier.“ Nach Überwinden der ersten Schockstarre und der Rückgewinnung einiger klarer Gedanken, griffen die Hände der Kaiserlichen instinktiv nach dem kräftigen Arm des Mannes, der sie von hinten festhielt. Weit und breit war keine Wache zu sehen und zu sprechen vermochte sie nicht mit den kraftvollen Fingern, die ihr die Luft im Hals abschnürten. „Tsts, nicht doch“, kommentierte der Fremde und drückte die Spitze stärker gegen ihren Rücken. Sie spürte einige Blutstropfen über ihre Haut rinnen.
    „Ich vergesse nicht, Vesana“, sprach er weiter, abermals die Seite wechselnd und sich erneut gegen sie drückend, „und ich vergebe nicht.“ Ein Bauchgefühl ließ der Kaiserlichen den kalten Schweiß ausbrechen. Zunehmende Unruhe und ein Anflug von Panik ergriffen von ihr Besitz, während sie zuvor zunächst noch versucht hatte, Geduld zu wahren und auf eine vorbeikommende Wache gehofft hatte. Inzwischen waren sowohl die Hoffnung, als auch ihre Selbstbeherrschung zunichte. Sie wand sich in seinem Arm und versuchte sich trotz des Messers in ihrem Rücken zu befreien. Allerdings schnitt sie sich damit nur selbst und löste den Schraubstock um ihre Brust und den Hals keineswegs. Der Mann hinter ihr, von dem Vesa inzwischen annahm, dass es sich um einen Dunmer handelte, lachte verächtlich. Sie brauchte nur noch einen Hinweis, um sich sicher zu sein und den lieferte ihr der Angreifer kurz darauf freiwillig, wenngleich die Jägerin gerne darauf verzichtet hätte. „Seid so freundlich und grüßt Eure Mutter von mir, ja?“
    Genau in diesem Moment stach der Fremde zu. Unglaubliche Pein durchfuhr ihre linke Körperhälfte. Die Luft blieb jetzt gänzlich weg, das Herz schlug unkontrolliert und sprunghaft. Sie begann zu zittern und griff sich unter die Brust. Feuchtigkeit benetzte ihre Finger. Wie in Trance schaute sie an sich hinab. Im spärlichen Licht der Nacht und dem weit entfernten Flackern blitzte eine stählerne, schlanke Spitze auf, die sich kurz darauf schmatzend aus ihr zurückzog. Der Schraubstock lockerte sich und sie sackte in die Knie, unfähig zu stehen. Entsetzt blieb ihr Mund offen stehen, der Druck der eigenen Hände verhinderte nicht, dass ihr Lebenssaft aus der Verletzung quoll. Qualvoll versuchte sie zu atmen, doch funktionierte es kaum, als ob die Luft an anderer Stelle aus ihr entwich. Mit dem Ausatmen blubberte noch mehr Blut aus der Stichwunde. Auch aus Mund und Nase tropfte das Rot.
    Kraftlos fiel sie zur Seite in die Asche und schaffte es nicht einmal mehr, sich mit den Händen abzufangen. Stattdessen fuhren nur einige weitere Stiche durch die linke Hand, als ob sie in einen Igel gegriffen hatte. Aber auch dieses Gefühl ließ schnell nach und verschwand in den Hintergrund unendlicher gedanklicher Leere. Aus weiter Ferne, als ob es aus einer anderen Zeit und Welt käme, drangen Kampfgeräusche zu ihr. Animalisches Brüllen, schmerzerfüllte Schreie und bald darauf Waffenklingen und Rüstungsklappern. Es spielte keine Rolle.
    Irgendwo zwischen Leben und Tod gefangen versuchte sich die Kaiserliche wegzuschleifen und irgendwie näher an Lichtschein zu gelangen. Langsam wie eine Schnecke, wenn überhaupt, kam sie vorwärts. Schmerzen lähmten sie, wenngleich auch sie allmählich abflauten und zum Einheitsbrei der Ohnmacht verschmolzen. Kaum zwei Schrittlängen weit bewegte sie sich fort, bevor sie völlig entkräftet liegen blieb. Wenige letzte Gedankeblitze schossen ihr vor der hereinbrechenden Finsternis durch den Kopf, doch hatten sie nichts mehr mit ihrem verflogenen Kampfeswillen zu tun, der zuvor noch alles an ein mögliches Überleben gesetzt hatte. Dieser Bastard, dieser räudige Bastard eines Assassinen hatte sie tatsächlich gefunden. Hier, am Hinterteil der Welt. Es war unfassbar. Zu Schrecken, Entsetzen und Schock mischte sich nun auch Fassungslosigkeit. Bald darauf erloschen auch diese letzten Gedanken und selbst die aufkeimende Wut verglühte im Nichts.



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    Geändert von Bahaar (30.08.2013 um 13:11 Uhr)

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