Allgemein
News
News-Archiv
Partner
Netzwerk
Banner
Header
Media
Downloads
Impressum

The Elder Scrolls
Arena
Daggerfall
Spin-offs
Romane
Jubiläum
Reviews
Welt von TES
Lore-Bibliothek
Namens-
generator

FRPGs

Elder Scrolls Online
Allgemein
Fraktionen
Charakter
Kargstein
Technik
Tamriel-
Manuskript

Media

Skyrim
Allgemein
Lösungen
Tipps & Tricks
Steam-Kniffe
Review
Media
Plugins & Mods

Oblivion
Allgemein
Lösungen
Tipps & Tricks
Technik
Charakter
Media
Plugins & Mods
Kompendium

Morrowind
Allgemein
Lösungen
Tipps & Tricks
Media
Plugins & Mods

Foren
The Elder Scrolls Online
Hilfe & Diskussion

Skyrim
Hilfe & Diskussion
Plugins & Mods

Ältere TES-Spiele
TES-Diskussion
Oblivion-Plugins
Morrowind-Plugins

Community
Taverne zum Shalk
Adventures of Vvardenfell
Tales of Tamriel
Ergebnis 1 bis 20 von 108

Thema: [Sky] Rollenspielthread #1 (Signatur aus)

Hybrid-Darstellung

Vorheriger Beitrag Vorheriger Beitrag   Nächster Beitrag Nächster Beitrag
  1. #1

    [Sky] Rollenspielthread #1 (Signatur aus)


    Dieser Thread ist für unsere Geschichten gedacht. Beachtet dabei bitte folgende fünf Regeln:

    1. Dieser Rollenspielthread ist nur für die Skyrim-Version des RPGs gedacht
    2. Signatur ausschalten
    3. Ort in die Betreffzeile des Posts schreiben (wenn ich also in Windhelm bin, schreibe ich in den Betreff: "Himmelsrand, Windhelm")
    4. Geschrieben wird in der Vergangenheitsform
    5. Kein Power-Gaming!

    Frohes Posten.

  2. #2

    Solstheim, Rabenfels

    << Zurück zur Charaktervorstellung



    Wie eine dicke Schicht Mehl unter ihren Stiefelsohlen, so fühlte sich die Asche auf dem Boden beim Laufen an. Mit jedem Schritt rutschte Vesana ein wenig und wirbelte kleine Wölkchen auf. Wirklichen Halt fand sie keinen auf dem Grund, der trotz seiner optischen Wirkung so gar nichts mit einer geschlossenen Schneedecke gemein hatte. Eher noch mit den Sanddünen an einem Strand. Es war ungewohnt und unangenehm, sorgte die mangelnde Trittfestigkeit doch auch für Unsicherheit. Lyrgleid kam mit ihrem Wagen auch nur unter Anstrengung voran und musste sich weit nach vorn beugen, um überhaupt genug Druck auf den Boden bringen zu können. Glücklicherweise schien der Weg zur Mine nicht sehr weit zu sein, Rabenfels war nur ein kleines Städtchen, fast schon ein Dorf. Nur über den Marktplatz und noch einen quälenden Hügel hinauf, und sie standen vor dem Eingang in der Felswand aus Basalt.
    „Habt Dank“, wandte sich die Kaiserliche an den kräftigen Nord an ihrer Seite. Er schwitzte am ganzen Leib, feuchte Flecken am Hals und unter den Achseln zeichneten seine einfache Kleidung. Die Atmung ging schwer und die Haut im Gesicht glitzerte, zahllose Tropfen rannen über seine Schläfen.
    „Gern“, entgegnete er schließlich seinen Atem zurückgewinnend. „Darf ich Euch noch einen Rat geben, bevor ich zum Schiff zurückkehre?“
    „Sicher.“
    „Gebt gut Acht auf Eure Wasservorräte. Nehmt mehr mit, als Ihr glaubt zu brauchen, bis ihr die verschneiten Gebiete des Nordens erreicht.“
    „Das hatte ich ohnehin vor, aber habt Dank.“
    „Gut, denn das Wasser im Süden ist von der Asche des Roten Berges vergiftet. Wenn es Euch nicht gerade in den Wahnsinn treibt oder zum Krüppel macht, so tötet es Euch.“ Vesana nickte nur zur Bestätigung, dass sie verstand, was sie eigentlich schon wusste. Gjalund hatte es ihr bereits unterwegs erzählt. „Oh, und hütet Euch vor den umherstreifenden Nord in der Wildnis, solltet Ihr welche von Ihnen sehen – diese Plünderer hatten teilweise schon zu viel des Wassers und sind im Wahnsinn noch gefährlicher.“
    „Habt Dank, ich passe auf“, beruhigte sie ihn. Als sich Lyrgleid zum Gehen abwandte, ließ die Kaiserliche einen leisen Seufzer heraus und schüttelte mit dem Kopf. Wie rührend die Sorge doch eigentlich sein mochte, sie empfand sie schlicht als unnötig, ja nervend. Zumindest ab einem bestimmten Maß. Es hatte ohne Zweifel auch seine Nachteile, nicht nach dem auszusehen, das man war. Dazu kamen die ewigen Stiche im Vorderkopf. Die ätzende Luft ließ sie wieder häufiger durch ihr Haupt zucken und verstärkte das Hämmern in den Schläfen. Die Augen geschlossen stand sie einen Moment lang da und rieb sich die Schädelseiten. Erst danach – einen kurzen Blick zur rot verdunkelten Sonne werfend, es musste wohl um die Mittagszeit oder frühen Nachmittag sein – wandte sie sich dem Eingang der Mine zu und trat ein.
    Die feuchte, kühle Luft im Innern bot direkt eine willkommene Abwechslung. Die Dunkelheit störte sie nicht, den Geruch von nassem Holz, Moos und Pilzen fand sie verkraftbar und allemal besser, als die beißende Asche und den Rauch draußen. Nach einem kurzen, steil abfallenden Tunnel und vorbei an einem uralten Emblem der ostkaiserlichen Handelsgesellschaft sah sie sich bald in einer größeren, mit Brettern ausgelegten Kaverne und blieb stehen. Einige Tische und Regale, ein aufgeschnittenes, halbes Haus am anderen Ende und Fackeln zur Beleuchtung schmiegten sich an die Steinwände an. Genug Freiraum für Kisten und möglicherweise auch ihren Karren ergab sich hier allemal. Im oberen Stockwerk in dem kümmerlichen Bretterverschlag Vesana gegenüber saß ein Mann an einem Schreibtisch. Er hatte sie nicht bemerkt. Hinter einigen Seiltrommeln darunter trat eine Dunmerin hervor.
    „Kann ich Euch helfen?“, wollte sie wissen.
    „Ich würde gerne mit dem Besitzer dieser Mine sprechen. Mir wurde gesagt, er könne mir vielleicht helfen“, entgegnete Vesana.
    „Und wie kann ein alter Schürfer einer jungen Dame wie Euch behilflich sein?“, hallte die rauchige, von vielen Lebensjahren gezeichnete Stimme des Minenleiters herüber. Der Kaiserliche stand jetzt am oberen Ende der Treppe in das obere Geschoss und kam kurz darauf langsam die knarzenden Stufen hinab.
    „Ich habe einen kleinen Karren draußen am Eingang der Mine mit einigen Habseligkeiten stehen, den ich für die Dauer meiner Reise in den Norden von Solstheim gern in Rabenfels unterstellen möchte“, erklärte Vesana. „Natürlich auch für Gold.“
    „Ah, ich verstehe, hmm.“ Der Alte war inzwischen heran, während die Dunmerin sich wieder in den Hintergrund zurückzog und die Beiden sich selbst überließ. „Wer hat Euch geraten, zu mir zu kommen?“
    „Gjalund Salz-Weiser. Wir sind heute im Hafen eingelaufen.“
    „Ach ja, Gjalund. Der Bootstreiber. Aufrichtiger, guter Mann“, dachte er laut nach. „Nun, ganz Unrecht hat er ja nicht. Crescius Caerellius, das bin ich.“ Crescius reichte Vesana die Hand.
    „Nevara Cassidian.“ Sie schlug ein.
    „Was wollt Ihr denn auf Solstheim und wie lange werdet Ihr bleiben?“ Er wies sie mit einer Geste dazu an, ihm zu folgen und die beiden Kaiserlichen setzten sich an einen Tisch.
    „Ich will weiter in den Norden. Mir wurde gesagt die Wälder hier wären ausgezeichnet, um sich als Jäger zu schärfen.“
    „Jäger, sagt Ihr?“ Crescius schaute sie ungläubig an. Seine ohnehin schon faltige Stirn runzelte sich noch weiter, als er die Augenbrauen hochzog. Vesana ignorierte es.
    „Ich denke, dass ich wohl zwei, eher drei Wochen auf der Insel sein werde. Gjalund setzt ohnehin nur alle paar Tage nach Windhelm über.“
    „Was wollt Ihr denn hier jagen, dass Ihr dazu extra die Mühen auf Euch nehmt und zum entlegenen Solstheim kommt?“, wollte der Alte nach kurzer Pause wissen.
    „Es heißt, es leben im Norden einige Kreaturen, die es sonst nirgends gibt.“
    „An welche dachtet Ihr?“
    „Wisst Ihr etwas über Werbären?“
    „Werbären? Ich kenne nur Geschichten, nichts Sicheres. Humbuck, wenn Ihr mich fragt. Da müsst Ihr wohl mit den Skaal in ihrem Dorf im Nordosten der Insel sprechen, wenn Ihr mehr wissen wollt. Außenseitern gegenüber sind sie aber sehr argwöhnisch. Ich weiß nicht, ob sie Euch helfen werden. Es gefällt Ihnen nicht, wenn Fremde einfach in ihrem Gebiet herumschleichen.“
    „Das werde ich dann wohl herausfinden müssen.“ Vesana wusste schon, worauf seine eher negativ beladenen Beschreibungen hinausliefen. Sie trieb das Gespräch deshalb aktiver in die von ihr gewünschte Richtung. „Was würde es mich kosten, meinen Wagen bei Euch unterzustellen?“
    „Hm“, Cresius überlegte kurz. „Wie Ihr seht, ist hier viel Platz und wenig los. Sagen wir zehn Septime am Tag, fünfzig jetzt, der Rest, wenn Ihr wiederkehrt.“
    „Abgemacht.“ Vesa nahm ihr Münzsäckel vom Gürtel.
    „Doch Kind, gestattet einem alten Mann und Bewohner Solstheims einem jungen, hübschen Ding wie Euch einen Rat zu geben: Lasst das mit Eurer Reise in den Norden. Diese Insel hat schon manch erfahrenem Abenteurer schreckliche Dinge angetan.“
    „Hier“, sie reichte ihm das Gold. „Ich lege Euch eine Liste mit Dingen, die ich auf dem Wagen lasse, hier auf den Tisch, sobald ich meine Reisesachen gepackt habe und aufbreche. Habt vielen Dank.“
    „Wer wäre ich, wenn ich Euch nicht die Sorge um Eure Dinge abnehmen würde, während Ihr durch die Lande streift?“ Sein schmales, gezeichnetes Gesicht hellte sich ein wenig auf, aber die Falten um den Mund und die trüben Augen verrieten, dass er mit ihrer Entscheidung nicht gerade glücklich war. „Immerhin braucht Ihr in den Wäldern hier einen wachen Verstand und scharfen Geist!“ Crescius nahm das Geld vom Tisch, ohne weiter nachzuzählen, und stand auf. Vesa tat es ihm gleich und die Kaiserlichen reichten sich die Hände. „Seid auf der Hut. Der Süden mag ungemütlich sein, doch der Norden ist gnadenlos.“
    Vesana holte ihren Karren in die Mine und stellte ihn in einer Nische an der Seite der Kaverne ab. Bislang lief es gut. Wenn sie denn einmal von den vielen Sorgen, die an sie herangetragen wurden, absah. Sie wickelte die Plane, die ihre Sachen auf der kleinen Ladefläche bedeckte, auf und sortierte die durch den Sturm und holprigen Fahrten durcheinander geworfenen Habseligkeiten neu. Im Schutze der Nische zog sie sich noch einmal um, streifte sich ihre robuste, gefütterte Hose über die schlanken Beine, warf sich eine schlichte Tunika über, die ihr bis knapp oberhalb der Knie reichte und die Arme bis zu den Handgelenken bedeckte und schnürte die hohen Wildlederstiefel mit Fellfutter neu. Je einen stählernen Dolch schob sie in die ins Schuhwerk eingearbeiteten Scheiden auf Höhe des Schienbeins. Es folgte eine dicke, lange Jacke und der mit Eorlund Grau-Mähnes Hilfe angefertigte Harnisch aus gehärteten, stahlbeschlagenen Lederstreifen, die sich überlappend vorn nur den Brustkorb und auf dem Rücken die Wirbelsäule bis zum Steiß bedeckten. Mit Lederriemen zurrte sie ihn fest, bis er richtig saß und sie die ähnlich gearbeiteten Schulterstücke und Unterarmschützer anlegen konnte. Zum Schluss machte sie noch eine Kapuze am Harnisch fest und zog die fingerlosen Lederhandschuhe mit umklappbaren Fingerstücken über die Hände. Das einhändige Stahlschwert aus der Himmelsschmiede band sie auf dem Rücken fest, einen weiteren Stahldolch befestigte sie am Ledergürtel.
    Dann kam die schwierigste Entscheidung. Sollte Vesana den Jagdbogen oder doch lieber die Armbrust nehmen? Schnelle Schussfrequenz oder doch lieber Durchschlagskraft? Ihre Finger griffen instinktiv zuerst zum Bogen. Schnelligkeit war ihre Stärke. Andererseits, sie zuckte zurück, mochte die Haut eines Werbären wohl ausgesprochen robust und dick sein. Ein natürlicher Panzer, ganz zu schweigen vom dichten Fell. Nach kurzem Überlegen entschied sie sich dann doch für die Armbrust. Lieber zwei gut gesetzte Schüsse, als ein halbes Dutzend Nadelstiche. Den Köcher mit den Stahlbolzen machte sie ebenfalls am Gürtel fest.
    Schon jetzt schwitzend wie ein Tier packte die Kaiserliche nun noch ihren Tornister. Ein paar kleine Tränke, ihr Geld, ein handlicher Schleifstein, noch zwei weitere Jagdmesser, Verbandszeug, Salben, eine Landkarte von Solstheim, zahlreiche Beutel für Wasser und Proviant, die sie erst noch in der Taverne füllen musste, und noch ein paar zusätzliche Bolzen. Abgerundet wurde das Ganze mit einer nässeabweisenden Schlafunterlage aus Leder und Fell, sowie einer Decke, die sie zusammenrollte und oben auf dem Felleisen festzurrte. Die Armbrust ließ sie frisch gespannt an der Seite ihres Gepäcks baumeln. Ihr Speer mit der langen Stahlspitze würde ihr als Gehhilfe auf der Wanderung dienen.
    Mit der Linken prüfte sie noch den Sitz der zwei schmalen Zöpfe, die links und rechts an den Seiten vom Vorderkopf zum hoch angesetzten Pferdeschwanz führten, und strich sich letztlich die Strähnen, die das Gesicht auf beiden Seiten lose hängend einrahmten, hinter die Ohren. Für Crescius schrieb sie auf, was sie alles auf der Ladefläche zurückließ, bedeckte diese wieder mit der Plane und legte das Pergament mit der Auflistung auf den Tisch, wie vereinbart.
    So beladen und für den Anfang unter der Last keuchend, verließ sie die Mine. Gjalunds Tuch wickelte sich die Jägerin um Mund und Nase, so dass wenigstens die dicken Ascheflocken kein Problem mehr darstellten. Die permanente Rauchnote blieb aber dennoch und reizte die Atemwege. Höchste Zeit, dieses Mistwetter hinter sich zu lassen. Trotz des zusätzlichen Gewichts auf den Schultern lief es sich entgegen ihrer Erwartung noch unangenehmer auf der mehligen Asche. Mit langsamen, quälenden Schritten stapfte sie den Hügel zum Marktplatz hinab und fragte den ersten Händler, den sie sah, nach der örtlichen Taverne, um ihre Vorräte aufzustocken. Er verwies sie auf den Spuckenden Netch unweit seines Standes. Am Tresen im Untergeschoss wurde sie mit einem „Darf es ein Zimmer sein?“ begrüßt.
    „Nein, ich möchte nur Vorräte kaufen.“ Vesana setzte den Tornister ab und legte ihre Beutel auf die Theke. „Die fünf Trinkbeutel voll mit Wasser und an Nahrung, was haltbar und gerade verfügbar ist.“
    „Längere Reise, eh?“, fragte der Dunmer, während er ihre Bestellung zusammentrug.
    „Das wird sich zeigen.“
    „Zusammen dreiunddreißig Septime.“ Vesana reichte ihm das Geld und begann ihren Proviant zu verstauen. Einen der Wasserbehälter hängte sie sich zu einigen weiteren Taschen, den Bolzen und dem Dolch an den Gürtel. „Wo soll’s hingehen?“, fragte der Wirt, während er der Kaiserlichen beim Packen zuschaute und ihr ihre Lebensmittel eins nach dem anderen reichte.
    „Nach Norden.“
    „Ins ewige Eis? Was wollt Ihr denn dort?“ Er klang überrascht, ungläubig.
    „Ihr wisst nicht zufällig etwas, über Sichtungen von Werbären?“
    „Werbären? Nie gehört. Wenn es sie überhaupt gibt, dann wissen die Skaal etwas über sie. Fragt dort nach, wenn Ihr ohnehin nach Norden geht.“
    „Crescius riet mir dasselbe.“ Sie schulterte das Felleisen und wandte sich zum Gehen. „Auf Wiedersehen.“
    „Haltet Euch von Tel Mithryn fern und biegt vorher schon nach Norden ab. Man weiß nie, was einem in der Gegenwart von diesen verrückten Telvanni passieren mag“, warf ihr der Dunkelelf hinterher.
    Es wurde Zeit, dass Vesana das Dorf hinter sich ließ. So nett die Leute sein mochten, sie brauchte Ruhe und Zeit abseits von den kuriosesten Ratschlägen. Sie durchschritt die hohe Mauer aus Basaltblöcken, stapfte mit schweren, mühsamen Schritten den provisorisch gegrabenen und befestigten Tunnel durch die hoch aufgetürmte Asche entlang und ließ Rabenfalls damit endgültig hinter sich. Nicht ohne Erleichterung, wie sie schnell feststellte. Abstand war gut. Von Rabenfels, von Himmelsrand. Mit den Gedanken auf ein neues Ziel gerichtet, fielen ihr die Schritte zusehends leichter. Wenn sie auch bald noch die wärmeren südlichen Gebiete hinter sich ließ, unter ihrer dicken Kleidung also nicht mehr allzu sehr kochen musste, und nicht ständig in knöcheltiefem Aschemehl versank, würde es vielleicht sogar auch wieder Spaß machen.



    Zum nächsten Beitrag >>
    Geändert von KingPaddy (18.01.2014 um 14:10 Uhr)

  3. #3

    Solstheim, südwestliche Küste

    << Zum vorherigen Beitrag



    Wenn sie bis zur Abenddämmerung, die im südlichen Teil der Insel wohl recht früh eintreten würde, noch fünf bis zehn Meilen zurücklegen konnte, wäre Vesana schon zufrieden damit. Da sie auf dem Grund allerdings nur langsam vorankam, hegte sie so ihre Zweifel daran, es auch tatsächlich noch so weit zu bringen, bevor die ohnehin schon dunkle Sonne schließlich hinter dem Horizont verschwand. Ungeachtet dessen lief sie ihre Geschwindigkeit, wie sie es als angenehm empfand. Das musste reichen, immerhin lag noch eine straffe Wanderung in den Norden vor ihr und sie wollte sich am ersten Tag nicht gleich überanstrengen. Während des Marschs hielt sich die Kaiserliche nahe an den Basaltklippen, die parallel zum flachen Küstenstreifen verliefen. Zwar ragten sie nicht unbedingt hoch in den Himmel, aber waren dafür so glatt und dicht geschlossen, dass es zunächst keine Möglichkeit zu geben schien, sie durch eine Kletterpartie zu überwinden. Notgedrungen musste Vesana also den Umweg weiter nach Süden in Kauf nehmen und darauf hoffen, irgendwann doch noch eine Lücke zu finden, bevor die Landmasse letztlich auch so einen Bogen beschrieb und weiter nach Osten führte. Sie würde es wohl früher oder später herausfinden.
    Ihr Weg führte die Jägerin vorbei an schroffen Felsformationen und erloschenen Lavabrocken, die teils mit Asche bedeckt waren. Hin und wieder durchbrach aschfahles Gras die geschlossene graue Decke. Auch die Überreste alter Farmhäuser, die von Auswürfen aus dem Roten Berg oder Abbrüchen von den Basaltklippen zerstört worden waren oder einfach unter der Last der Asche nachgegeben hatten, zierten ihren Weg. Es bot sich ein bizarres, fast schon surreales Bild der Landschaft, die schlichtweg tot wirkte. Die zunächst interessante, da fremdartige, Umgebung verlor schon nach den ersten ein, zwei Meilen jeden Rest an ohnehin spärlichem Abwechslungsreichtum und Vesana beschränkte sich einfach darauf, stur geradeaus zu laufen und die Augen oft genug über die Klippen zu ihrer Linken schweifen zu lassen.
    Die Gedanken beschränkte sie vor allem auf die nächsten Tage. Die Frage der Übernachtungsmöglichkeiten unterwegs hing noch in der Luft, würde sich wohl aber hoffentlich zu gegebener Zeit mehr oder minder von selbst beantworten. Nachts in den südlichen Gebieten umherzustreifen oder gar unter freiem Himmel zu übernachten hielt sie für unangebracht und schlichtweg gefährlich. Üble Kreaturen – Aschenbrut wurden sie wohl genannt, wenn sie sich recht entsann – streiften dann umher. Nach den Geschichten über sie wollte Vesana lieber keine Begegnung mit ihnen riskieren. Sie drehte sich alsbald gedanklich im Kreis, aber vermied immerhin effektiv großartig über andere Dinge nachzugrübeln.
    Im Verlauf des Nachmittags kam Vesa an einem weiteren Haus vorbei. Der weiten Umzäunung einiger rechteckiger Areale in der unmittelbaren Umgebung nach zu urteilen wohl wieder ein Farmhaus. Im Gegensatz zu den bisherigen schien dieses aber noch zu schwelen. Rauch stieg auf und es knacke hin und wieder leise, als ob Holz verbrannte. Da sich im Hintergrund auch noch ein Bruch in der Basaltwand abzuzeichnen schien, beschloss sie eine kurze Rast einzulegen und sich noch ein bisschen umzuschauen – möglicherweise ließ sich noch das eine oder andere an Nützlichem bergen, bevor es endgültig verglühte.
    Die Jägerin lehnte ihren Tornister gegen einen Zaunpfahl der Veranda und schob die knarrende Tür ins Innere auf. Es roch nach Rauch und Schwefel, Qualm schlug ihr entgegen. Die Augen begannen sofort zu brennen und zu tränen, sie musste husten und drehte sich kurz weg, bis der Anfall nachgelassen hatte. Nach dem ersten Schrecken wandte sie sich wieder dem Innenraum zu. Es glühte zwischen den Resten des strohbedeckten, eingestürzten Dachstuhls. Der tiefrote Schimmer durchdrang unheilvoll den Qualm. Bei näherem Hinsehen erkannte Vesana, dass er zu einem deformierten, geschmolzenen Steinhaufen gehörte. Wie erstarrte Lava bedeckte er Trümmer und Gegenstände des Hauses. Nur das Glühen wollte nicht so recht dazu passen, denn wenngleich der glimmende Fels große Wärme abstrahlte, für gewöhnlich war Lava flüssig.
    Interessiert näherte sich Vesa weiter. Das Material war in der Tat völlig fest, das Knacken ging von ihm, und nicht vom Holz des Hauses, aus. Ebenso der Rauch und Schwefelgeruch. Vorsichtig hob sie ein daumengroßes Fragment auf. Die eine Spitze glomm rot, der Rest hielt sich in dunklem Grau bis Schwarz, wie Basalt. Etwas mehr als handwarm lag ihr das Stück schwer in der hohlen Hand. Nach kurzem Spielen mit dem Splitter warf sie ihn achtlos zurück zum Rest, während sie sich bereits zum Gehen wandte. Nur aus dem Augenwinkel sah sie den starken Funkenschlag, den das Fragment verursachte, als es aufkam. Jetzt wieder mit voller Aufmerksamkeit bei dem Gestein, nahm sie sich zwei ähnlich große Splitter und schlug sie gegeneinander. Jedes Mal stoben Funken, als sie sich mit einem Geräusch von Hammer und Schmiedeeisen trafen. Von der Nützlichkeit als Feueranzünder schnell überzeugt, steckte Vesana die Stücke in zwei separate Beutel an ihrem Gürtel.
    Zurück am Zaunpfahl mit ihrem Gepäck schulterte sie dieses. Während sie sich dem Bruch in der senkrechten Basaltwand näherte, nahm sie noch etwas Wasser aus ihrem Trinkbeutel und machte sich im Anschluss an den Aufstieg. Möglichst sicher tretend und greifend kam die Jägerin zwar nur langsam voran, aber immerhin schien es an dieser Stelle tatsächlich bis ganz hinauf zu gehen. Über große und kleine Bruchstücke der markant geformten, schwarzen Felssäulen kletternd und sich durch schmale Spalten zwängend, stand sie letztlich trotz aller Fehltritte und Engpässe oben auf den Klippen einige hundert Schritte von der eigentlichen Abbruchkante entfernt. Umgeben von verkohlten Baumstammresten, die sie bei Weitem überragten, und den abgebrochenen Resten, die sich über den Boden zwischen den Stümpfen verteilten, kam sich Vesana wie auf einem Friedhof vor. Leben gab es hier, wenn überhaupt, auf den ersten Blick in keiner erkennbaren Weise. Nur ein Aschehüpfer sprang aus einem hohlen Stamm am Boden hervor und hüpfte anschließend davon, als sie ihm und seiner Behausung zu nahe kam. Sonst herrschte Stille, selbst ihre Schritte hörte sie kaum auf dem weichen Boden und wenn sie nicht schwer geatmet, geschwitzt und das leise Knirschen und Klappern ihres Gepäcks vernommen hätte, es wäre nicht mehr als ein Traum für sie gewesen. Ein schlechter noch dazu.
    Vesa richtete sich neu nach der Sonne aus und lief nun auf möglichst direkter Linie nach Nordosten, wo das Skaal-Dorf lag. Mit ihrer jetzigen Geschwindigkeit, sofern sie sie auch im steileren Terrain halten konnte, würde die Kaiserliche wohl etwa fünf, oder sechs Tage bis zu dem Nord-Stamm brauchen. Eine akzeptable Reisedauer. Mittlerweile musste sie wohl auch die Fünf-Meilen-Marke überschritten haben, sicher war sie sich allerdings nicht dabei. Aber es bestand auch noch genug Zeit, um ein Stück weiterzugehen.
    Pünktlich zum späten Nachmittag und frühen Abend machte sie unweit vor sich eine weitere, verlassene Hütte aus. Die Frage nach ihrer ersten Bleibe hatte sich damit an dieser Stelle erledigt. Eigentlich lief es fast schon zu reibungslos ab, so wenige Komplikationen gab es bis zu diesem Moment. Andererseits war sich Vesa sicher, ihren Herrn auf ihrer Seite zu haben. Sie nahm es deshalb als gutes Zeichen.
    Als Folge ihrer Zuversicht und der ewigen Stille der Umgebung wurde sie nachlässiger und bemerkte erst zu spät, dass sie keinesfalls allein hier war. Aus dem Eingang der Hütte kam ein hochgewachsener, kräftiger Mann. Zunächst registrierte er Vesa nicht. Er zog sich gemütlich die Hose ein Stück nach unten und erleichterte sich erst einmal von der Veranda seiner heruntergekommenen Bleibe. Erst als es schon plätscherte blickte er auf – genau in dem Moment, in dem sich die Jägerin hinter einen Baumstamm hechtete.
    „Ehjo, Boss, ich glaub‘ hier draußen is‘ jemand!“, rief der Nord. Seine tiefe Stimme klang verzerrt.
    „Erzähl‘ kein‘ Qutasch, hier kommt keine Sau vorbei! War bestimmt wieder nur ein Aschehüpfer!“, hallte eine andere Stimme gedämpft aus dem Haus heraus.
    „Ne‘, ich schwör’s! Es war ‘was Großes!“
    Stühle wurden verschoben und schwere Schritten trampelten über Holzplanken. „Wo?“
    „Da hinten hinter dem dicken Baumstamm und dem abgebrochenen Stück.“
    „Wenn Du wieder nur Halluzinationen hast, schneid‘ ich Dir eigenhändig die Eier ab!“ Vesana versuchte, sich einen Überblick zu verschaffen, mit wie vielen sie es nun tatsächlich zu tun hatte. Mindestens zwei, aber sie vermutete anhand der Trittgeräusche zuvor eher, dass es drei waren. Vermutlich Plünderer, noch dazu welche, die hier schon zu lange lebten und nicht am vergifteten Wasser gestorben waren. Hektisch suchten ihre Augen nach einem Ausweg, nach Deckung, in der sie sich möglichst unbemerkt von den Nord entfernen konnte. Sie fand nichts, die verkohlten Baumreste standen und lagen zu weit auseinander und boten zu wenig Schutz. Schweiß rann ihr nun noch schneller aus den Poren die Schläfen hinab in Gjalunds Tuch, das Blut rauschte in ihren Ohren und die Brust schmerzte, so raste ihr Herz. Sie wischte sich einige salzige Perlen aus den Augenbrauen und atmete tief durch. Die zuvor niedergerungenen Stiche durch den Vorderkopf verstärkten sich wieder etwas und es fiel der Kaiserlichen schwer sich zu konzentrieren. Unruhig glitt ihr Blick weiter über die Umgebung.
    Vesa schaute über die Schulter an dem Stamm vorbei, gegen den sie lehnte. Ein Nord in schwerer, stählern glänzender Rüstung kam direkt auf sie zu. Zwei weitere deckten seine Flanken in einigem Abstand. Sie durchforsteten das Gebiet vor der Hütte Schutzmöglichkeit für Schutzmöglichkeit. „Piep, piep, kleines Mäuschen! Spielen wir heute Verstecken?“ Tönte der scheinbare Anführer von ihnen, der sich durch seine bärenkopfartig geformten Schulterpanzer und den dicken Harnisch von seinen zwei leicht geschützten Kumpanen abhob. „Piep, piep.“ Sie zog sich wieder in die Deckung zurück.
    „Komm‘ schon, kleines Mäuschen!“, forderte der letzte der Nord, der zuvor noch nicht gesprochen hatte. „Sei kein Spielverderber.“ Diese Männer schienen in der Tat schon viel zu lange hier zu leben. Vesana überlegte fieberhaft, Gedanken überschlugen sich. Wegrennen? Sinnlos. Mit Gepäck nicht, und ohne wäre es genauso ihr Todesurteil hier draußen in der öden Wildnis. Kämpfen? Eine gegen drei? Das würde sie nicht überleben. Nicht, wenn die Drei gemeinsam mit ihr kämpften. Den Anführer erschießen und die anderen beiden im Nahkampf erledigen? Das mochte vielleicht funktionieren. Doch dann war es schon zu spät.
    „Da bist Du, Mäuschen!“ In der Stimme des Anführers schwang eine nicht zu überhörenden Note an Spott mit. „Hab‘ – Ich – Dich!“ Genau in dem Moment streifte sich die Jägerin die Riemen des Felleisens von den Schultern, ließ den Speer los und sprang auf die Füße. In einer Bewegung drehte sie sich gleichzeitig um die eigene Achse und zog ihr Schwert, das sie am ausgestreckten Arm in Richtung des Plünderers hielt, um ihn auf Abstand zu halten. Allerdings musste sie direkt danach feststellen, dass er an einem Stamm einige Schritte entfernt stand und einen Aschehüpfer mit ihr verwechselt hatte, als dieser am Stamm sitzend gewackelt hatte. Der große, bärtige Nord ließ ihn fallen und griente sie an. „Hab‘ – Ich – Dich!“, wiederholte er. Vesana gefror das Blut in den Adern und sie merkte, wie sich ihre Pupillen vor Schreck und Wut über sich selbst weiteten. Wie ein Kind, das beim Stehlen eines Apfels erwischt worden war, so fühlte sie sich. Die zwei anderen Räuber blieben stehen und gaben ein einstimmiges „Piep, piep, kleines Mäuschen!“ von sich. Mit hintereinander in größerem Abstand gesetzten Füßen und dem erhobenen Schwert blieb die Jägerin wie angewurzelt stehen. Ihre Augen behielten die drei Männer genau im Blick, während ihr ein mögliches Kampfszenario nach dem anderen durch den Kopf schoss. Und was bei allen Göttern war nur los mit ihr, dass sie überhaupt in so eine Situation geraten konnte? Wie war es möglich, dass sie als geschulte Jägerin in so eine simple Falle getappt war?
    Mit einem leisen, scharfen Schleifgeräusch zog der Anführer sein Schwert aus der Scheide. Eine gebogene Klinge mit schwerer, breiter Spitze. „Überlasst mir den Spaß“, forderte er von seinen zwei Kumpanen, die sich kurz darauf auf einen umgestürzten Baumstamm setzten und gespannt zuschauten. „Sieh‘ mal einer an, was uns der Wind zugetrieben hat: Ein kleines Kätzchen.“ Die anderen zwei begannen aufgeregt zu gackern und zu kichern. „Kätzchen“, äfften sie ihn nach.
    Inzwischen würde sie den Anführer nach zwei großen Ausfallschritten erreichen können, so nah war er bereits heran. Er fischte sich eine dicke Strähne, seines langen, fettigen Haares aus dem Gesicht und warf sie nach hinten über die Schulter. Ob es braun war, oder es der Dreck so färbte, ließ sich nicht unterscheiden. Der wilde Bart umrahmte die spröden, wulstigen Lippen und den dunklen Augen haftete etwas Wahnsinniges an. „Erst werde ich Dich abstechen“, begann er zu beschreiben als sie dazu übergingen sich gegenseitig zu umkreisen. „Dann werde ich Dich benutzen“, setzte er fort und leckte sich die Lippen. Das leicht gekrümmte Schwert hob er nun ebenfalls vor die Brust auf sie zeigend. „Und dann werd‘ ich Dich als Trophäe bei uns aufhängen.“ Mit diesen Worten und einem folgenden, wilden Kampfschrei ging er auf sie los.
    Gerade rechtzeitig duckte sich die Jägerin zur Seite weg, rollte durch die Asche ab und kam wieder auf die Füße, das Schwert nun hoch hinter den Kopf erhoben, als wolle sie es wie einen Stein werfen und in der linken den Dolch vom Gürtel am Arm entlang geführt, abwehrend vor sich gehoben. „Flinkes Kätzchen“, amüsierten sich die zwei anderen Plünderer.
    „Schnauze!“, brüllte ihr Anführer und sie verstummten. Kaum hatte er das gesagt, schlug er schon wieder nach ihr. Vesa lenkte den Hieb mit dem Schwert an sich vorbei, während sie einen Schritt zu Seite setzte. Gleich darauf nahm sie die Pose von zuvor ein. Jede Faser ihres Körpers ächzte vor Anspannung, die Atmung schnitt in der Luftröhre und das Herz krampfte. Nach außen behielt sie Ruhe, doch nach innen tobte sie. Sie war auf diesen Kampf nicht vorbereitet gewesen. Nichts hatte darauf hingedeutet, dass er kommen würde. Sie war zu leichtsinnig gewesen, fühlte sich zu schnell sicher. Das durfte ihr nicht noch einmal passieren – nicht in dieser lebensfeindlichen Umgebung. Sofern sie denn lebend aus der Sache herauskam.
    Es folgte eine ganze Reihe von erstaunlich schnellen Hieben hintereinander, die jeder einzelne dennoch von außerordentlicher Kraft gekennzeichnet waren. Vesana lenkte sie ab, oder blockte direkt, wobei letzteres stärker an ihren Kräften zehrte und den Arm schmerzen ließ. Kurz andauernde Taubheits- und Lähmungserscheinungen traten dann auf und sie brauchte einen Moment, bis sie ihren Arm wieder richtig heben konnte. Unter dem letzten Schlag duckte sich die Kaiserliche abermals weg, rollte ab und hieb nach dem linken Bein des Nords mit ihrem Dolch. Die Spitze kratzte über das schützende Metall und schnitt daran vorbei nur durch das Hosenbein.
    Wieder standen sich die Kontrahenten gegenüber und schauten einander an. Der Plünderer spie vor ihr auf den Boden aus. „Flinkes Kätzchen, in der Tat“, wiederholte er die Worte seiner Kumpane. „Nützt Dir nur nichts!“ Erneut holte er nach ihr aus, klirrend prallten die Klingen aufeinander. Sie verkeilten sich an den Parierstangen. Während Vesa blind mit dem Dolch nach seiner Brust stach und hoffte, eine Lücke in der Panzerung zu treffen, holte der Nord mit dem Kopf aus und schlug ihn über die gekreuzten Schwerter hinweg gegen den ihren. Die Kämpfer taumelten auseinander. Der Jägerin tropfte augenblicklich Blut aus der linken Augenbraue auf die Wange, den PLünderer überkam ein böses Grinsen.
    Jetzt erst, schien sie ihre Kampfkraft zurückzugewinnen. Adrenalin pumpte ihr durch die Adern, gab ihr Kraft, vertrieb den Anflug von Benommenheit als Folge des Schlages gegen ihr Haupt und schärfte die Reflexe. Nur durch diesen direkten Treffer überwand sie in diesem Moment die Schockstarre und gewann ihre Kampfeskraft zurück. Aus dem Fluchtreflex wurde ein Kampfreflex. Das Rauschen in den Ohren drängte sie in den Hintergrund zurück und die Taubheit in ihrem Arm kämpfte sie nieder. Die körperliche Berührung vertrieb die Lähmung ihrer Sinne. Wach und bereit fixierten ihre Augen das Ziel. Sein schweres Atmen, der Schweiß auf seiner Stirn, das Nachgreifen der Schwerthand um den Griff der Waffe, das Zucken der Muskeln in der linken Wange und im Augenwinkel und das Mahlen seiner Kiefer – einfach alles an ihm schien Vesana nun in großer Detailtiefe wahrzunehmen. Sie konnte seine Anspannen und seinen Ärger fast schon riechen. Die neuen, intensiven Eindrücke aufsaugend, gewann sie dadurch neue Zuversicht. Diesmal ließ sie sich jedoch nicht davon in ein übermäßiges Sicherheitsgefühl wiegen, noch blieb das Ergebnis der Konfrontation offen.
    Mit einem wölfischen, spitzen Lächeln auf den schmalen Lippen hob die Kaiserliche ihr Schwert und hielt den Dolch locker vor sich. Die Blutung über dem linken Auge kümmerte sie nicht, es würde schnell verheilen. Als der Nord auf sie zukam, setzte sie mit einer schnellen Sprungrolle direkt neben ihm auf, rollte sich ab und drehte sich noch im Aufstehen um die eigene Achse. Ihren Hieb zog sie ihm von hinten durch beide Kniekehlen, woraufhin der Räuber schreiend und kreischend in einer großen Aschewolke zu Boden stürzte. Seine Waffe entglitt ihm. Ihre eigene nun schräg nach unten hinter sich haltend, beobachtete die Kaiserliche wie sich der Nord am Boden wälzte und in Asche hüllte. Die Wunden in den Knien bluteten stark, färbten die grauen Flocken tief schwarz und ließen sie an den Wundrändern zu dicken Wülsten verklumpen. Der Plünderer versuchte wegzukriechen, konnte sich aber nur ziehen, weil ihr Schlag Sehnen durchtrennt hatte und tief in die Gelenke eingedrungen war. Die Arme fanden auf dem lockeren Untergrund keinen Halt. Zufrieden konnte nun Vesa grinsen.
    Mit diesem Gesichtsausdruck wandte sie sich den geschockten Kameraden des am Boden liegenden Nords zu. „Der Nächste?“, fragte sie und entblößte die hellen, sauberen Zähne. Die Zunge bleckte kurz über die Eckzähne. Die zwei Männer schauten einander an, sprangen anschließend auf und rannten so schnell sie ihre Füße trugen vor der Kaiserlichen davon. Kurz überlegte Vesana, ob sie jedem von ihnen einen Bolzen in den Rücken jagen sollte, doch entschied sie sich schließlich dagegen. Diese Irren würden nicht noch einmal wiederkommen.
    Das Schwert, von dessen Spitze inzwischen die letzten Blutstropfen abgeperlt waren, schob sie zurück in die Scheide auf dem Rücken, den Dolch verstaute sie am Gürtel. Vom Gepäck nahm sie trotz ihrer Entscheidung zuvor die Armbrust und legte einen Bolzen auf, ohne die Waffe jedoch zu spannen. Sie folgte dem einige Schritte weit gekrochenen Anführer der Gruppe. Eine dunkle Spur zog sich hinter ihm her. Das Schreien und Stöhnen war zu einem Wimmern verstummt. Neben ihm angekommen, trat ihm Vesa gegen die Schulter und drehte ihn so auf den Rücken. Haare, Bart und Gesicht hüllten sich in Grau, seine Rüstung ebenso. Völlig verstaubt hustete er. Nach Abklingen des Anfalls richteten sich seine angsterfüllten, panischen und doch hassenden Augen auf sie. Sie glommen rot von der Überreizung durch die Asche. Ihre Armbrust zeigte auf ihn.
    „Ich werde es Euch nicht gönnen, schnell zu sterben“, begann sie langsam zu sprechen. Sie spannte die Armbrust. „Doch habe ich nicht den ganzen Tag Zeit darauf zu warten, dass Ihr verblutet.“ Mit einem Klicken löste sie den Mechanismus aus. Für den Bruchteil der Dauer eines Lidschlags surrte das Geschoss durch die Luft, dann durchschlug es schräg an der Wirbelsäule vorbei oberhalb des Brustbeines Luft- und Speiseröhre. Sofort quoll dem Mann dunkles Blut aus Mund und Nase. Die linke Hand des Nords, die gerade nach dem Dolch an seinem Gürtel greifen wollte, und die rechte langten nach dem Holzschaft in seinem Hals. Die Augen lösen sich von der Jägerin und wanderten zum Himmel. Zuckungen durchfuhren den massigen Leib, während er gurgelnd unaufhörlich Blut spuckte.
    Vesana überlies den sterbenden Räuber sich selbst, brachte die Armbrust zurück zum Tornister und begann damit, sich die Asche vom Leib zu klopfen, so gut es ging. Das geronnene Blut in ihrer linken Gesichtshälfte kratzte sie weg, neues quoll nicht mehr aus der kleinen Wunde hervor. Schließlich schulterte sie ihr Gepäck und ging noch einmal auf den Sterbenden zu.
    Das Gurgeln und Glucksen ließ sich kaum noch wahrnehmen, die Zuckungen des Körpers klangen ab. Der Brustkorb hob und senkte sich nur noch minimal. Es würde nicht mehr lange dauern und der Nord hätte sein Leben vollends ausgehaucht. Zu kraftlos, sich noch in irgendeiner Weise zu wehren, sah sich Vesana nun auch in der Lage, ihn kurz zu durchsuchen. Mehr als ein kaum gefülltes Münzsäckel und den Dolch am Gürtel trug er nicht am Leib. Die Waffe ließ sie, wo sie war, steckte sich das Gold ein, holte von einem leisen Schmatzen begleitet ihren Bolzen zurück, nahm ihm nur noch die Halterung für sein Schwert ab und überlies den Mann sich selbst. Zuletzt fischte sie noch sein höchst interessantes Schwert aus der Asche und begab sich im Anschluss in der hereinbrechenden Nacht zur Hütte.
    Das Dach lag halb eingefallen im hinteren Teil auf dem Boden, aber wenigstens konnte sie sich im vorderen Teil an einem Tisch und einigen Bettenlagern aus Stroh niederlassen. Die Tür ließ sich von innen mit einem Balken verriegeln, was die Jägerin dann auch direkt tat. Den Tornister lehnte sie gegen einen der Stühle und setzte sich mit einem erleichtert-erschöpften Seufzen auf einen anderen. Die Überraschung des ersten Tages forderte nun ihren Tribut, aber immerhin war sie ohne Schäden davongekommen. Glück gehabt. Kurz legte sie den Kopf in den Nacken, schloss die Augen und atmete tief durch. Dann widmete sie sich den Schlusshandlungen des ersten Tages.
    Vesa reinigte die geschwungene, mit Gravuren verzierte Klinge des Nords und drehte sie in den Händen. Die Schneide setzte schmal am leicht gekrümmten, lederummantelten Heft an, verlief am Rücken relativ gerade und ging auf der Seite der Schneide mit einem Widerhaken in die breite, zum Waffenrücken hin gekrümmte Spitze über. Der relativ schwere Vorderteil verlieh der Waffe in gewisser Weise Eigenschaften einer Axt, nahm der Klinge aber keinesfalls ihre Dynamik als Schwert.
    Die Kaiserliche stand auf und vollführte einige Schläge ins Leere. Surrend schnitt die Klinge durch die Luft. Ja, diese Waffe gefiel ihr. Es würde zwar noch etwas Übung brauchen, bis sie mit ihr richtig umgehen konnte, doch sie zeigte sich zuversichtlich, dass es nicht allzu lange dauern würde. Zum Schluss drehte sie das Schwert noch so, dass es andersherum an ihrem Arm entlangführte und sich beinahe um sie herum bog. Dann mit einer schnellen Drehung schnappte sie die eher offen gehaltene Scheide vom Tisch und drehte die Klinge wieder so, dass sie von Vesana weg wies. Ein kurzer Handgriff und sie steckte in ihrer Halterung.
    Zufrieden ließ sich die Jägerin zur Ruhe sinken, putzte und stärkte sich noch, und legte sich alsbald auf eine der Nachtstätten, ohne sich noch groß einiger Kleidung zu entledigen. Die nächsten Tage würden nicht weniger anstrengend werden, als der nun allmählich vergehende. Sie brauchte Ruhe und Kraft, um ihren straffen Zeitplan einhalten zu können. Die schlanken Finger der linken Hand schlossen sich um das filigrane Hirschkopfamulet aus Silber um ihren Hals, das sie unter ihrer Jacke versteckt trug. Auf der Seite liegend und zusammengerollt wie ein Kind im Mutterleib zog sie sich noch die Decke bis über die Schulter und schlief bald darauf ein.



    Zum nächsten Beitrag >>
    Geändert von Bahaar (03.05.2013 um 18:01 Uhr)

  4. #4

    Solstheim, südwestliches Inland

    << Zum vorherigen Beitrag



    Am nächsten Tag machte Vesana im sprichwörtlichen Sinne Meter. Sie kam gut voran. Nachdem sie noch einigen Proviant der Plünderer eingepackt und sich ihr Gold in den eigenen Geldbeutel gesteckt hatte, war sie am frühen Morgen aufgebrochen und legte Meile um Meile zurück. Inzwischen durchbrauch auch öfter einmal Leben die graue Aschedecke. Fichten und Tannen ragten zwischen verkohlten und abgebrochenen Artgenossen in den Himmel, hüllten sich aber dennoch in ein farbloses Trauergewand. Tiere sah die Jägerin mit Ausnahme der immer wieder aus ihren Verstecken davonspringenden Aschehüpfern keine. Zeichen von ehemaliger Besiedlung schienen in diesen Gebieten, wenn sie jemals existiert hatten, völlig verschwunden zu sein.
    Sie begnügte sich damit, ein wachsames Auge auf ihre Umgebung zu haben, damit etwas wie am Abend zuvor nicht noch einmal passierte. Mittlerweile glaubte sie aber auch geistig vollends auf der Insel angekommen zu sein, so dass sie sich in jedem Fall auf alles kommende vorbereitet fühlte. Ihre starken Zweifel über den Erfolg ihrer Expedition, die sie zu Beginn in Himmelsrand und auf der Überfahrt nach Rabenfels noch geplagt hatten, verschwanden allmählich. Zwar drifteten ihre Gedanken nach wie vor phasenweise unkontrolliert zu allen, die sie zurücklassen musste, aber der Abstand ließ es sie leichter ertragen. Auch das ihr entgegengebrachte Verständnis für die Notwendigkeit ihres Ausflugs seitens ihrer Freunde im Zirkel der Gefährten half. Und obwohl es sie nicht vergessen machte, so nahm es ihr doch eine Last von den Schultern, die viel schwerer wog, als das Gepäck. Das Versprechen der Wiederkehr würde sie ohnehin halten.
    Sich straffend und die Gedanken mit einem Schütteln des Kopfes verwerfend, richtete sie den Blick wieder gerade aus. Dabei entdeckte sie etwas, das ihr Interesse weckte. Die Kaiserliche änderte ihre Laufrichtung und stapfte auf einen umgestürzten Baum zu. Über ihm lagen die in Leder gehüllten Beine eines Mannes, der Oberkörper fand sich rücklings direkt dahinter. Übel zugerichtet von Kopf bis Fuß erkannte ihn Vesa schnell als einen der beiden verbliebenen Plünderer vom vergangenen Abend. Der zweite lehnte unweit entfernt ähnlich malträtiert an einem Baum. Tiefe, unregelmäßig ausgefranste und an den Rändern verkohlte Schnittwunden zierten ihre Leiber. Die zahlreichen Bissspuren und herausgerissenen Fleischbrocken zeugten von ihren Schändern nach dem Tod, dessen süßsaurer Duft allgegenwärtig zu sein schien. Ein selbstgefälliges, zufriedenes Schmunzeln umspielte ihre Lippen, während sie gleichzeitig die Nase rümpfte – glücklicherweise war ihr Geruchssinn vom beißenden Rauch in der Luft bereits abgestumpft, so dass es sich leichter ertragen ließ. Sie wusste doch, dass die beiden nicht zurückkommen und nur noch für kurze Zeit in der Wildnis überleben würden. Gleichzeitig fühlte sich Vesana aber auch darin bestärkt zu keinem Zeitpunkt unter freiem Himmel übernachten zu wollen.
    Sie hockte sich neben den am Baum lehnenden Nord. Seine linke Gesichtshälfte war aufgerissen und an der Braue bis auf den Schädel abgenagt. „Geschieht euch beiden schon ganz recht“, flüsterte sie. „Kein anderes Ende wäre euch würdig gewesen.“ Mit den freien Fingerkuppen strich sie einige der tiefen, breiten Schnitte an seinem Oberkörper entlang. Sie kannte keine Waffen, die derartiges Werk vollbrachten und tierische Krallenspuren sahen in der Regel anders aus, andererseits kannte sie sich auch nicht in der Aschewüste aus und hatte seit ihrer Ankunft auf der Insel schon so manche Kuriosität entdeckt. Einige Krümel des verkohlten Fleisches zwischen den Fingern zerreibend, kam sie aus der Hocke hoch. Fakt war jedenfalls, dass sie den Tätern nur ungern begegnen wollte.
    Als sich die Jägerin abwandte, trat sie dem elendig gestorbenen Nord mit der Stiefelspitze gegen die Schulter und ließ ihn Gesicht voran in die Asche fallen. „Mögen eure Götter euch beide auf ewig verdammen.“ Mit diesen Worten setzte sie ihre Reise fort. Die Plünderer verdienten weder die Gnade der Götter, noch die ihre. Sollten sie verrotten und dem nächsten Aasfresser als Futter dienen.
    Sie nutzte die Zeit unterwegs hin und wieder für einige Schwungübungen mit dem neuerworbenen Schwert. Nichts weiter anstrengendes, aber sie wollte ein besseres Gefühl für die Klinge bekommen. Noch immer fand sie dessen Eigenschaften interessant. Die schwere Spitze ermöglichte es, mit weniger eigener Kraft heftige Schläge auszuteilen. Gleichzeitig kostete es ungleich mehr Energie, die Waffe erst einmal hoch über den Kopf zu bekommen, so wie sie es bislang gewohnt war, weil der vordere Teil stärker nach unten zog und die Balance der Klinge vom Heft weiter nach vorn verschob. Dennoch wog das Schwert insgesamt in etwa genauso viel, wie ihr bisheriges. Ihr gefiel es. Durch das Übergewicht zur Spitze hin musste sie längere Schwünge führen. Wenn sie schnelle Schläge hintereinander folgen lassen wollte, musste sie gleichzeitig selbst dynamischer sein und stärker mit der Waffe gehen. Da sie das jedoch bereits tat, würde sie diesbezüglich keinerlei Schwierigkeiten haben. Das einzige, an das sie sich wohl erst noch gewöhnen musste, war die Tatsache, dass sie für minimalen Kraftaufwand ihre Schläge mit dieser Waffe möglichst von unten, oder zumindest immer auf Körperhöhe, beginnen musste und nicht mehr von oben über dem Kopf, wie bisher.
    Nachdem sie den Gleichgewichtspunkt des gekrümmten Schwertes mit dem Widerhaken etwas über eine Handlänge vor der Parierstange an der Klinge gefunden hatte, verstaute sie diese schließlich wieder an der Seite ihres Felleisens. Bald darauf brauchte sie auch wieder beide Hände. Ein steiler Abhang, überzogen von Baumstämmen, Geröll und – wenig überraschend – Asche. Ein schmaler Pfad wand sich diese Bergflanke entlang hinauf zu einer höher gelegenen Ebene, wie es schien. Mit den Händen zusätzlichen Halt suchend, arbeitete sich Vesana schrittweise hinauf. Einige schief stehende Fichten bogen sich über die Kante am oberen Ende. Eine Windböe rüttelte an ihren Ästen und Zweigen, die darauf liegende Asche löste sich und trieb der Kaiserlichen entgegen, als sie sich gerade auf halber Höhe befand. Im letzten Moment wandte sie den Kopf ab und hielt sich die Hand vor die Augen.
    „Verfluchte Asche!“ Entnervt stöhnte sie, als der Strom der grauen Flocken nachließ und sie wieder vorankam. „Zum Kotzen.“ Oben auf einer nur seicht ansteigenden Ebene angekommen, fand sie sich nun im ersten richtigen Wald wieder. Die Zahl der lebenden Pflanzen überstieg die der toten. Ein erfrischender Anblick, der verriet, dass die Jägerin ihrem Ziel näher kam. Zwar würde es trotz aller Fortschritte am heutigen Tag noch drei bis vier weitere brauchen, aber wenigstens ließ sie bald die Wüste hinter sich. Ein Gedanke, der ihr Kraft gab.
    Dennoch würde Vesana ihre Wanderung in Kürze beenden müssen. Die Sonne hatte ihren Zenit längst überschritten und neigte sich dem Horizont zu. Wollte sie noch ausreichend Zeit haben, um eine Bleibe für die Nacht zu finden oder herzurichten, musste sie bald mit der Suche beginnen. In einem besonders felsigen Gebiet tat die Jägerin dann auch eben das. Ihren Tornister an einen markanten Stein lehnend, nutzte sie die gewonnene Leichtfüßigkeit und kletterte über einen umgestürzten Baum auf einen besonders hohen Felsbrocken. Von dort aus verschaffte sie sich einen kurzen Überblick. Mit geübten Augen suchte sie nach Vorsprüngen oder Hohlräumen unter Steinen oder gefallenen Bäumen. Auf eine weitere Hütte zu hoffen, das hatte ihr der letzte Abend ausgetrieben.
    Eine vielversprechende Kombination aus totem Holz und einigen Brocken entdeckte sie unweit von sich entfernt. Mit schnellen, präzise gesetzten Schritten kehrte Vesa zu ihrem Gepäck zurück und begab sich zu der erspähten Stelle. Zwischen den Stämmen und Felsen formte sich eine kleine Kammer, die nur bei näherem Hinsehen wirklich zu bemerken war. Ideal, wie sie fand. Bis zur beginnenden Dunkelheit verbrachte sie ihre Zeit damit das Lager herzurichten. Asche musste herausgeschaufelt werden, die größten Lücken zwischen den Stämmen dichtete Vesana noch mit einigen Zweigen anderer Bäume ab und bedeckte sie mit dem aus dem Innenraum gewonnenen grauen Mehl. Zum Schluss rollte sie ihre Schlafunterlege aus, kroch hinein und versperrte mit dem Tornister den Eingang. Es gab gerade genug Platz, dass sich die Jägerin drehen und etwas hochbeugen konnte.
    Die vorherige Nacht war bereits recht kühl gewesen, nun noch weiter oben und wesentlich schlechter geschützt, würde es wohl recht kalt werden. Sie stellte sich darauf ein und deckte sich zu. Mit dem Verschwinden des letzten Lichts stieg dann auch ein wenig Nervosität in ihr auf. Es sollte sich bald zeigen, ob ihre Wahl der Unterkunft gut und ihre Anpassungen an dieser ausreichend waren.
    Als die ersten tierischen Geräusche und furchtgebietendes Schnaufen von draußen erklangen, legte die Jägerin eine Hand um den Griff ihres Dolches. Gleichzeitig zog sie die Decke gegen die hereinziehende Kälte weiter hoch, bedeckte teilweise den Kopf und das Gesicht. Letzteres rieb sie tiefer in das weiche Fell ihrer Unterlage und schützte es zusätzlich mit der freien Hand. Durch die angezogenen Beine machte sie sich möglichst klein. So zusammengerollt schloss die Kaiserliche schließlich die Augen und versuchte über die Geräusche von außerhalb hinweg trotzdem etwas Schlaf zu finden. Unruhig, angespannt und die Sinne auf Alarmbereitschaft geschaltet, wollte es ihr jedoch nicht gleich gelingen.
    Dennoch machte sie sich bald keine größeren Sorgen mehr. Die Geräusche von zuvor verstummten allmählich oder drangen jetzt von weiter entfernt zu ihr. Mittlerweile schien es auch relativ eindeutig zu sein, dass es sich bei den Verursachern um keine ihr bekannten Tiere handelte. Eher glaubte sie, es mit Aschenbrut zu tun zu haben, wenngleich es sich dabei mehr nur um ein Bauchgefühl handelte. Letztlich trieb die Müdigkeit Vesana in die Arme des traumlosen, kaum erfrischenden Schlafes.



    Zum nächsten Beitrag >>
    Geändert von Bahaar (10.05.2013 um 20:00 Uhr)

  5. #5

    Solstheim, südwestliches Inland, Inselmitte

    << Zum vorherigen Beitrag



    Vesana wanderte schon seit den frühen Morgenstunden. Über Nacht hatte der Wind gedreht und trug eiskalte, klare Luft aus dem hohen Norden herab, die es schwieriger machten, Schlaf zu finden. Die dicke Kapuze über den Kopf geworfen, hatte sie auch die Jacke weiter zugezogen und schaute gerade noch so mit Nasenrücken und Augen unter dem Leder, Stoff und Fell hervor. Die Kälte ließ sie in der Nacht nicht mehr schlafen und so war die Entscheidung zum Aufbruch nicht allzu schwer gefallen. Abgesehen davon konnte sie ohnehin nicht gut schlafen, Traumlosigkeit und Unruhe plagten sie – nicht, dass das etwas Neues war, aber es blieb wie immer wenig erholend.
    Andererseits kam es der Jägerin gar nicht ungelegen, früher ihre Wanderung fortzusetzen. So konnte sie insgesamt eine größere Strecke zurücklegen und vielleicht sogar einen kleinen Vorsprung gegenüber ihrem Zeitplan herauslaufen. Es würde sich zeigen. Bislang schien jedoch das Wetter nur bedingt ihrem Willen zu folgen. Starke Böen bliesen von den Hängen der Berge in die zentral gelegenen Wälder und trugen Schnee und Asche gleichermaßen mit sich. Vesa musste sich gegen diesen immer wieder auffrischenden Wind lehnen und kam nur mühsam voran.
    Abgesehen davon verlief ihre Wanderung jedoch ereignislos. Die Wälder wurden dichter, die Aschedecke dünner, das Laufen zumindest von unten her angenehmer. Größere Tiere sah sie noch immer keine und auch die Zahl der Aschehüpfer schien sich zu reduzieren. Dafür durchbrachen nun immer öfter Gras und Büche ihr graues Leichentuch. Gleichzeitig sank die Temperatur weiter. Die Fingerstücke, die ihre Handschuhe zu Fäustlingen werden ließen, hatte die Kaiserliche längst umgeklappt.
    Bis zum Nachmittag besserte sich das Wetter kaum. Dennoch kam Vesana besser voran, als sie zu Beginn ihres Marsches vermutet hatte. Immerhin befand sie sich zu diesem Zeitpunkt bereits an der Schneegrenze in der Inselmitte. Das Grau wandelte sich zusehends zum Weiß, das Mehl wich knirschendem, festem Schnee. Bis über die Knöchel lagen die Flocken. Ein erfrischender Anblick und eine Erleichterung noch dazu. Ohne das lästige Rutschen ging es trotz Wind zügiger voran. Gegen Abend sah sie dann auch den ersten Hirsch, ein Zeichen von Leben, auf das sie zuvor noch vergebens gehofft hatte. Allerdings trübte die Suche nach einer möglichen Bleibe die kurze Freude über den Anblick des Tieres. Sie fand nämlich keine.
    Der an Intensität gewinnende Schneesturm verbesserte die Stimmung nicht gerade. Nach einer vergebens geführten Suche entschied sich Vesana dazu, die Wanderung fortzusetzen. Es konnte entweder ihr Todesurteil sein, oder aber sie davor bewahren. Den Pass, über den sie gehen musste, hatte sie zuvor noch ausgemacht, als es hell war, jetzt hielt sie einfach nur noch in diese Richtung. Bei derartigem Wetter konnte es klüger sein, in Bewegung zu bleiben. Dieser Schneesturm mochte wer wusste schon wie lange anhalten, grub sie sich eine Mulde oder Höhle, könnte es sie tagelang einschneien und wenn sie nicht erfror, verhungerte oder verdurstete sie während sie wartete. Das Risiko war zu groß.
    Von oben glaubte die Kaiserliche einige Mannshöhen unter sich Ruinen und die Reste einer alten Festung zu erkennen, die sich an die Felswand schmiegte, oder gar in ihr verschwand. Da sie sich aber gerade auf einem Pfad in einer schmalen Felswand befand, auf dem es nur geradeaus weiter oder wieder zurück ging, entschied sie sich dagegen umzukehren, und setzte ihre Wanderung fort. Sie wusste anhand ihrer Karten, dass es auf der anderen Seite des Passes ein Hochplateau mit einem See gab. Von diesem aus würde es dann gerade so noch einen Tagesmarsch bis zum Skaal-Dorf etwas unterhalb des Plateaus in den zum Meer hin steil abfallenden Felswänden sein. Zwar glaubte sie nicht, dass sie diese Nacht noch bis zur Hochebene kommen würde, aber ihrem derzeitigen Pfad nach zu urteilen, befand sie sich auf einem guten Weg dorthin. Genauer sollte es sich wohl aber erst am nächsten Morgen oder nach Abklingen des Sturms offenbaren. Vesa hoffte einfach auf und bat auch regelmäßig um die Gunst des Herrn der Jagd.

    Völlig ausgelaugt kam sie in den frühen Morgenstunden oben am Pass an. Der Sturm ließ allmählich etwas nach und sie sank erschöpft und schwer atmend mit trägen Gliedern im Windschatten eines Felsabbruchs nieder. Den Tornister lehnte sie neben sich an den Stein. Müde schaute Vesana nach Osten, wo sich die Morgenröte abzeichnete und die Sonne bald über die Horizontlinie klettern würde. Zwar sollte das Tagesgestirn durch die Wolken nicht zu sehen sein, aber immerhin einige seiner Strahlen brachen alsbald durch. Wären die Wolken nicht gewesen, es hätte wohl ein atemberaubender Anblick sein können.
    Bevor ihr wieder richtig kalt wurde und nach einer kräftigen, morgendlichen Mahlzeit stemmte sich die Kaiserliche in die Höhe und begann mit ihrem kürzeren Abstieg auf der anderen Seite des Bergpasses. Es wurde ein beschwerlicher Weg nach unten. Der Wind blies ihr direkt ins Gesicht, sie fand wenig Halt – einen richtigen Pfad gab es nicht – und ihre erschöpften Gliedmaße versteiften sich nur allzu oft. Holprig schaffte sie es bis in die Wälder des Plateaus, zum Glück jedoch ohne zu stürzen. Im Schutze der hohen Fichten und Tannen schwächte sich allerdings auch der Sturm ab und Vesa konnte aufatmen. Der anstrengendste Teil der Reise zum Skaal-Dorf lag jetzt hinter ihr.
    Sich neu orientierend brach sie nach Norden auf. Ein Bär in weiter Entfernung schaute kurz zu ihr herüber. Sie blickte ihn an, dann widmete er sich wieder einem erlegten Hirsch. Eine Bedrohung würde von ihm nicht ausgehen, solange sie auf Abstand blieb. Eine Gruppe Rehe sprang wenig später aus einigen dichten Büschen hervor und rannte vor der Jägerin davon. Das Leben schien sich nicht vom dichten Schneetreiben beirren zu lassen. Ein schöner Gedanke, wie sie fand. Es machte Mut und zeugte von der Kraft der Natur auf der Insel. Würdige Jagdgründe, befand sie. Wenn alles gut verlief, wäre Vesa zum frühen Nachmittag bereits am See und konnte sich ab dann Zeit lassen. Obwohl die durchzechte Nacht ihre Spuren an ihr hinterlassen hatte, so behielt sie dennoch einige positive Aspekte. Die Kaiserliche lag nun weit vor ihrem Zeitplan.
    Allerdings endete ihre Glückssträhne auch in dem Moment, in dem ihr dieser Gedanke kam. Hinter sich hörte sie tierisches, aggressives Schnaufen, Grunzen und animalisches Kreischen. Dann folgte Trampeln und bevor sie sich überhaupt umzudrehen vermochte, schlug ihr etwas die Beine weg. Von der Wucht des Aufpralls wirbelte sie durch die Luft und schlug unweit entfernt hart auf dem kalten, gefrorenen Boden auf. Von ihrem linken Bein breiteten sich heiße Wogen des Schmerzes aus, es ließ sich nur in der Hüfte unter großer Pein bewegen.
    Stöhnend streifte Vesana ihr Gepäck von den Schultern und nahm sich die Armbrust noch bevor sie überhaupt eine Ahnung davon hatte, was sie da gerade überhaupt erwischt hatte. Der Puls hoch, die Atmung schnell, Stress ergriff Besitz von ihr. Einen Bolzen auflegend drehte sie sich auf den Rücken und versuche einen Überblick zu gewinnen. Die Augen brauchten durch die Überraschung einen Moment, bevor sie richtig scharf stellten. Wenige Schritte von ihr weg wendete gerade eine kleine, blaue Gnomengestalt ihr übergroßes Wildschwein. Dampfwolken schossen aus dessen Nase an der Spitze der mit großen Hauern versehenen Schnauze. Hastig kroch Vesa vor der bedrohlichen Erscheinung zurück und gewann genug Gefühl in ihrem Bein zurück, um sich an einem Baum hochzuziehen. Die Waffe legte sie auf den Gnom – oder was auch immer es sein mochte – an. Nur mit Stiefeln, einer Fellweste und -mütze bekleidet und einem kurzen Speer bewaffnet, schaute er sie böse an. Das Wildschwein blickte nicht weniger finster drein. Viel Zeit zum Überlegen, was sie tun konnte, blieb der Kaiserlichen nicht, denn der Angreifer nahm bereits neuen Anlauf. Dann brach das Tier los und rannte in vollem Galopp mit seinem Reiter auf sie zu.
    Vesana holte tief Luft, legte an und löste den Mechanismus aus. Surrend schoss der Bolzen davon und traf den Gnom mitten in die Brust. Die Wucht riss ihn vom Rücken seines pelzigen Schweins, doch ließ sich dieses nicht beirren und rannte weiter. Im letzten Moment wich sie mit einem Sprung über das unverletzte Bein zur Seite aus. Das Tier krachte quiekend und kreischend gegen den Baum, während die Jägerin versuchte möglichst schnell zurück auf die Füße zu kommen. Ihr steifes Bein behinderte sie allerdings erheblich dabei. Das Schwein taumelte rückwärts und schüttelte benommen den Kopf. Vesa legte einen neuen Bolzen nach, als es hinter ihr knirschte und raschelte.
    Ruckartig wirbelte sie herum, die Armbrust hob sie in den Anschlag. Gerade rechtzeitig, drehte sie sich, um einen weiteren Gnom – diesmal einer zu Fuß – auf Distanz zu halten. Von hinten wollte er sie mit einem Speer bewaffnet anspringen, jetzt aber war er gezwungen auf Abstand zu bleiben, wollte er ihre Waffe und die sie möglicherweise auslösende Hand im Blick behalten. Dieses … Vieh starrte Vesana aus bösen Augen heraus an. Es zog die Mundwinkel nach unten und so die tiefblauen Lippen auseinander. Dabei entblößte es seine spitzen Zähne. Den Rücken der schmalen Nase legte es in Falten und kniff die Augen weiter zusammen. Den Speer hielt es drohend auf die Kaiserliche gerichtet, der es gerade so bis zum Bauchnabel reichte.
    Vesa war angespannt. Die Muskeln im Gesicht arbeiteten, das Herz pumpte schwer, die Atmung ging schnell. Leichtes Zittern erfasste sie und sie spürte Unruhe in sich aufsteigen. Hinter ihr raffte sich allmählich das Wildschwein nach seinem Zusammenstoß mit dem Baum zusammen und die Jägerin musste schnell etwas unternehmen, wenn sie nicht ein weiteres Mal überrannt werden wollte. Ihre Augen suchten nach Möglichkeiten für ein Ausweichen, möglicherweise auch einer Flucht. Vorsichtig testete sie ihr verwundetes Bein. Es schien nicht gebrochen zu sein, lediglich traumatisiert von dem heftigen Schlag durch das Borstenvieh. Sie würde es zwar noch nicht voll belasten können, aber immerhin war es einsetzbar.
    Die Kaiserliche setzte einen schnellen Schritt nach vorn, direkt auf den blauen Gnom zu. Mit dem Kolben der Armbrust schlug sie den Speer, der auf sie zeigte, zur Seite, trat ihrem Widersache mit dem anderen Bein vor die Brust und ließ ihn zwei kleine Schritte zurücktaumeln. In dieser Zeit spannte sie den Mechanismus der Schusswaffe und jagte ihm einen Bolzen in die Brust, als er sich wieder gefangen hatte. Gequält stöhnend und mit Blut aus dem Mund quellend, brach er zusammen. Vesana warf die Waffe zu ihrem Gepäck und zog das Stahlschwert aus der Scheide auf ihrem Rücken, als sie sich dem Wildschwein zuwandte. Gerade rechtzeitig, wie sie feststellte, denn inzwischen hatte es sich wieder auf sie ausgerichtet.
    Es stampfte auf den Boden und sprintete los. Geistesgegenwärtig warf sich die Jägerin zur Seite und schlug noch im Liegen nach dem Tier. Sie merkte einen Widerstand, dann brach das Schwein rauschend, quiekend und schmerzerfüllt schreiend zusammen. Vesa kam auf die Füße zurück und hielt die blutverschmierte Klinge vor sich. Sie hatte eines der vorderen Beine erwischt und die Hufe ab dem Knöchel abgeschlagen. Das Wildschwein wälzte sich über den Boden, kreischte und schrie vor Schmerz. Es stellte in diesem Zustand keine Bedrohung mehr dar. Sie atmete erleichtert auf und versuchte bewusst die Atmung zu verlangsamen, um ruhiger zu werden.
    Nachdem sie ihre Waffe an der Kleidung des näheren der toten Gnome gesäubert und verstaut hatte, humpelte Vesana zurück zu ihrem Felleisen. Das Hämmern im Bein legte sich gerade erst und so schmerzte jeder Schritt. Es half nichts, sie musste weiter. Mühevoll schulterte sie ihr Gepäck und machte sich daran, zu verschwinden. Sie dachte gar nicht erst darüber nach, die Gnome nach wertvollen Dingen zu durchsuchen, sie wollte einfach nur noch weg. Der Geruch des Blutes und die Schreie des im Todeskampf befindlichen Wildschweines würden alsbald Jäger und Aasfresser anlocken, wenn nicht sogar auch weitere der kleinen blauen Zeitgenossen.
    Ächzend, aber Kraft im Bein zurückgewinnend, eilte die Kaiserliche davon. Das Toben des Schweins klang mit zunehmendem Abstand ab und verstummte schließlich ganz. Gleichzeitig trat mit der nachlassenden Aufregung, dem ruhigeren Puls und den sich entspannenden Nerven auch unendliche Müdigkeit ein. Vesa würde an diesem Tag nicht mehr sehr weit kommen und musste sich bald eine Bleibe für die Nacht suchen. Der Schlafmangel tat neben der körperlichen Entkräftung durch den Schock und Kampf sein Übriges.



    Zum nächsten Beitrag >>
    Geändert von Bahaar (17.05.2013 um 10:35 Uhr)

  6. #6

    Solstheim, nordöstliches Inland, Fjalding-Plateau

    << Zum vorherigen Beitrag



    Trotz der Erschöpfung hatte es Vesana geschafft noch bis zum frühen Abend unterwegs zu sein. Nachdem sich ihr Bein nach der ersten Meile allmählich beruhigte, verlief die restliche Reise etwas angenehmer. Jetzt schien sie nicht mehr weit von dem See entfernt zu sein, der auf ihrer Karte eingezeichnet war. Allerdings würde sie heute dann doch nicht mehr so weit laufen, sondern vorher nach einer geeigneten Nachtstatt suchen und am nächsten Tag dann ohnehin direkt nach Osten wandern, um einen Abstieg zum Skaal-Dorf zu suchen.
    Leichte Freude machte sich bei dem Gedanken bald am Ziel zu sein in ihr breit. Zwar handelte es sich eigentlich nur um ein Etappenziel, aber immerhin hatte sie es bis hierhin geschafft. Mittlerweile konnte sie auch die Warnungen nachvollziehen, die ihr entgegen gebracht worden waren. Solstheim mochte in der Tat ausgesprochen tödlich sein. Aber wer etwas auf sein Handwerk verstand, vermochte dennoch gut zurecht zu kommen. Vesa beherrschte ihr Handwerk und würde zweifelsohne daher auch noch den letzten Reiseabschnitt überstehen.
    Jetzt begann sie aber erst einmal damit, sich nach Felsen, Büschen und umgestürzten Bäumen oder anderweitig Nischen schaffenden Formationen umzusehen, bevor die Dunkelheit der Nacht vollends hereinbrach. Die Dämmerung würde nicht allzu lange dauern. Sie brauchte eine Schlafstatt, die halbwegs vor dem schneidenden Wind und den scharfkantigen, von ihm gepeitschten Flocken geschützt lag.
    Doch noch bevor sich die Kaiserliche richtig auf die Suche machte, erregte ungewöhnliches Knacken in einigen Büschen zu ihrer rechten ihre Aufmerksamkeit. Die Anspannung schnelle in die Höhe, Adrenalin schoss ihr durch die Adern, die Atmung erhöhte die Frequenz. Blitzschnell holte Vesa die Armbrust von der Seite ihres Tornisters und legte einen Bolzen auf. Klackend spannte sie den Mechanismus und ging auf das rechte Knie hinab, die Waffe im Anschlag in die Richtung gehalten, aus der die Geräusche kamen.
    Wenig später trat ein Nord in dicker Fell- und Lederkleidung mit einem erlegten Reh über den Schultern hervor. Schweiß troff ihm vom wettergegerbten Gesicht in den langen, blonden Bart. Er zeigte sich wenig überrascht, die Kaiserliche zu finden und wirkte abgesehen von seiner körperlichen Anstrengung relativ entspannt. Dennoch blieb er unvermittelt stehen, so dass sich die beiden einfach nur schweigend gegenüberstanden und anschauten. Die Jägerin wartete und lauschte auf die Umgebung. So, wie sich der Neuankömmling gab, war er ganz sicher nicht allein und Vesana würde sich ungern überraschen lassen. Das Rauschen des Blutes in den Ohren versuchte sie ebenso in den Hintergrund ihrer Wahrnehmung zu drängen, wie das Pfeifen des Windes.
    Ohne einen Augenblick zu zögern drückte sie sich hoch und drehte sich um die eigene Achse. Die Linke griff nach dem Dolch am Gürtel und hielt ihn am ausgestreckten Arm in die Richtung des ersten Nords. Die Rechte richtete die Armbrust direkt auf einen zweiten Nord-Mann, der sein gezeichnetes Gesicht mit dem weißen Auge unter einer dicken Kapuze verbarg. Seine Hände hielten einen Bogen und einen aufgelegten Pfeil umschlungen. Die Augen der Kaiserlichen fixierten ihn und sogen jede Regung auf, während ihre Ohren auf Bewegungen hinter ihr lauschten.
    Als sich dann aber noch eine geschliffene Metallspitze auf Brusthöhe gegen ihre Seite drückte, musste sich Vesa jedoch geschlagen gegeben. Mit schnellen, aber erkennbaren Bewegungen nahm sie die Front ihrer Armbrust von dem halbblinden Nord und schob den Dolch zurück in seine Scheide am Gürtel. Die zur Klinge in ihrer Flanke gehörende Nord-Frau trat vor sie in ihr Sichtfeld und nahm der Kaiserlichen die Schusswaffe ab. Erst jetzt senkte der Einäugige den Bogen und schien sich etwas zu entspannen. Immerhin schien es Vesana nicht mit gewöhnlichen Plünderern zu tun zu haben. Es handelte sich offenkundig eher um eine Jagdgesellschaft. Vielleicht eine der Skaal?
    „Und nun?“, brach die Jägerin deshalb als erste das gegenseitige Schweigen.
    „Sagt Ihr uns, wer Ihr seid und was Ihr hier wollt?“, entgegnete der dem Äußeren nach älteste von ihnen. Die Frau, zu großen Teilen unter ihrer Kapuze verborgen, entspannte inzwischen die Armbrust und brachte sich im Abstand von wenigen Schritten an einem Baum in Stellung.
    „Mein Name ist Nevara Cassidian“, erklärte Vesa.
    „Also, Nevara Cassidian, was macht eine Frau des Kaiservolks in den entlegenen Wäldern der Skaal?“ Die Stimme des auf dem rechten Auge blinden Nords klang bärenartig, nicht aggressiv, aber doch bedrohlich.
    „Wer möchte das wissen?“, konterte die Gefragte und straffte sich ein wenig. Die Aufregung legte sich zwar keineswegs, dafür gewann sie nichtsdestoweniger an Zuversicht, die Situation zu ihren Gunsten lösen zu können. Da sie hier eine Jagdgemeinschaft der Skaal vor sich hatte, zweifelte sie stark daran, dass diese sie einfach erledigen würden, wie es wahrscheinlich die Plünderer getan hätten, denen sie begegnet war.
    „Wulf Wild-Blut“, der bärtige Nord zog die Kapuze ein Stück zurück und ließ so sein zerfurchtes Gesicht in der aufkommenden Dunkelheit besser erkennen. „Oslaf“, er wies auf den Nord mit dem Reh über den Schultern, „und Finna. Jetzt Ihr, Kaiservolk.“ Wulf ließ sich auf ihr Spiel ein. Information für Information.
    „Ich habe nach Eurem Stamm gesucht“, antwortete Vesana.
    „So? Und warum sucht eine Provinzlerin wie Ihr nach dem kleinen Stamm der Skaal?“
    „Die Jagd treibt mich hierher.“
    „Ihr wollt jagen? Das könnt Ihr auch in Cyrodiil …“
    „Möglicherweise.“
    Er schnaufte resignierend, derartige Gespräche lagen ihm wohl nicht. „Wir Skaal sehen Außenseiter nicht gern in unseren Landen. Wir halten nichts davon, wenn Fremde durch unser Land streifen, die nichts von der Natur hier verstehen“, schwenkte er auf eine andere Gesprächsschiene um. „Aber wir honorieren Geschick, Stärke und Ehre dem Land gegenüber“, setzte Wulf fort. „Eure Sinne sind scharf, Eure Fähigkeiten als Jägerin offenkundig, sonst wärt Ihr nicht bis hier her vorgedrungen.“ Mit einem Nicken bedeutete er Finna der Kaiserlicheren ihre Waffe zurückzugeben. Die Nord reichte Vesana die Armbrust und den Bolzen. Leichten Widerwillen schluckte sie kommentarlos herunter. „Was auch immer ihr hier wollt, wir bringen Euch zu unserem Schamanen und unserer Anführerin, sie sollen entscheiden, was mit Euch zu tun ist. Bis dahin bleibt Ihr bei uns und macht Euch nützlich.“
    Die Gruppe aus den drei Jägern des Nordvolkes und Vesa setzte sich in Bewegung. Nach kurzer Wanderung durch dichtes Gestrüpp erreichten sie eine kleine Senke, die windgeschützt von einigen Felsen und Baumstämmen eingerahmt wurde. Es lagen bereits ein gefrorener, ausgenommener Hirsch und ein weiteres Reh an der einen Seite, auf der anderen drängten sich drei Nachtlager dicht in den Schutz einer mit Ästen gespannten Plane. Sie hatten das Jagdlager der Gruppe erreicht. „Ihr könnt Euer Nachlager mit bei unseren aufschlagen“, wies sie Wulf an.
    „Und dann könnt Ihr das Reh ausnehmen, bevor es gefriert“, mischte sich Oslaf ein und legte das Tier zu den anderen beiden. Vesana stellte ihren Tornister an den Rand und nahm sich nur noch zwei weitere Messer heraus. Der Nord mit der kahlen Schädeldecke und den langen Haaren rings um den Kopf reichte der Kaiserlichen außerdem einige Lederbeutel für die Innereien. Ohne zu murren, erfüllte sie die ihr auferlegte Aufgabe. Immerhin bot es zum einen eine willkommene Abwechslung zur eintönigen Wanderung, und außerdem war sie ja genau dafür auch hier. Abgesehen davon, wenn sie sich den Nord würdig erweisen konnte, würde es ihren eigenen Zielen förderlich sein. Sie vermutete, dass der besagte Schamane oder auch die Anführerin wohl am ehesten über Werbären Bescheid wusste und eine Art Empfehlung von einigen Jägern konnte nicht schaden.
    Die Jägerin zog die Handschuhe aus und legte sie neben sich. Dann, mit geübten Fingern, schnitt sie den Bauch bis zur Brust des Tieres auf. Stück für Stück arbeitete sie sich durch die warmen, blutig-rohen Eingeweide. Eines nach dem anderen schnitt sie mit den scharfen Messern heraus und platzierte jedes Organ einzeln in einem Lederbeutel. Die drei Nord schenkten ihr währenddessen relativ wenig Beachtung. Zu Beginn hatte ihr noch Finna über die Schulter geschaut, schien aber bald darauf keine Bedenken über die Fähigkeiten Vesanas mehr zu haben und hatte sich abgewandt. Jetzt unterhielten sie sich leise, die Kaiserliche hörte gar nicht weiter hin und ging ihren eigenen Gedanken nach.
    Es dauerte nicht allzu lange, bis die Jägerin ihre Arbeiten beendete. Die Messer säuberte sie mit einem Tuch. Die Hände trieften rot und trugen den schweren Eisengeruch von Blut an sich. Sie sog den Geruch mit langen Atemzügen in die Nase und nuckelte ein wenig an ihren Fingern. Der bittere Geschmack gab ihr Kraft und weckte die Lebensgeister, denn er bedeutete, dass sie noch lebte, während ein anderer an ihrer statt gestorben war. Der dunkle Lebenssaft trocknete jedoch schnell und so hatte sie alsbald die größten Tropfen mit der Zunge entfernt. Den Rest rieb sie im Schnee ab und streifte sich schließlich die Handschuhe über.
    Das ausgenommene Reh legte sie direkt zu seinen zwei Artgenossen und die Organe zu den übrigen Beuteln mit ähnlichem Inhalt. Letzten Endes breitete sie neben den übrigen ihre Schlafunterlage und Decke aus. „Wir werden immer zu zweit Nachtwache halten“, erklärte Wulf. „Räuber streifen genug durch diese Gegend. Ihr und ich beginnen und morgen reisen wir zum Skaal-Dorf. Dann wird unser Schamane entscheiden, ob Ihr bleiben könnt.“ Vesana nickte nur. Es würde eine weitere lange Nacht werden.



    Zum nächsten Beitrag >>
    Geändert von Bahaar (24.05.2013 um 12:25 Uhr)

  7. #7

    Solstheim, nordöstliches Inland, Skaal-Dorf

    << Zum vorherigen Beitrag



    Nach einer langen, bitterkalten Nacht brachen die Jäger am frühen Morgen auf. Der Sturm war inzwischen vollends abgeflaut und hatte noch während Vesanas Wache den Blick auf den klaren Sternenhimmel freigegeben. Müde, aber entschieden, schulterte die Kaiserliche ihr Gepäck und half Finna dabei, eines der zwei Rehe zu tragen. Wulf und Oslaf teilten sich den Hirsch und das zweite Reh. Die Organe hatten sie auf alle vier aufgeteilt. Die enorme zusätzliche Last machte Vesa zu schaffen und schwer atmend trieb sie eine permanente Wasserdampfwolke vor dem Gesicht an. Die Muskeln schmerzten bereits von den vorherigen vier Tagen der Wanderung, Kämpfe und durchzechten Nächte. Ein etwas wärmeres, komfortableres Bett käme ihr ganz gelegen.
    Aber sie wollte nicht klagen. Es war weder die erste Wanderung dieser Art, noch war es bislang eine der längsten oder anspruchsvollsten. Zwar hielt sie bisher die eine oder andere Überraschung mehr auf Lager, als so manche Reise der Vergangenheit, aber deswegen wurde sie nicht beschwerlicher. Sie biss die Zähne zusammen und in ein, zwei Tagen würde sie sich an die Strapazen gewöhnt haben – da zeigte sie sich zuversichtlich.
    „Was genau wollt Ihr hier eigentlich jagen, Nevara?“, wandte sich Finna an die Hinzugestoßene.
    „Sollten sich die Gerüchte als wahr erweisen, so habe ich vor Werbären zu jagen“, entgegnete sie. Früher oder später würde sowieso der gesamte Stamm wissen, weshalb es eine Kaiserliche in ihr Dorf verschlug. Mit der Ehrlichkeit konnte sie wenigstens bereits jetzt herausfinden, ob die Skaal mehr wussten, als die Leute in Rabenfels.
    „Werbären, sagt Ihr?“ Wulf wurde offenbar hellhörig und ließ sich mit Oslaf etwas zurückfallen, um den Abstand zwischen den beiden Männern und den Frauen zu verkürzen.
    „Ganz recht.“
    „Und warum?“ Finnas Skepsis klang deutlich heraus.
    Vesana schaute zur Seite wo die Nord-Frau lief. „Warum nicht?“ Danach wandte sie den Blick zurück nach vorn. Die Nord stieß kurz Luft aus.
    „Weil derartige Kreaturen selbst für erfahrene Jäger ausgesprochen tödlich sein können.“ Vesa schmunzelte ein wenig, kaum merklich und für die Nord ohnehin außerhalb ihres Sichtfeldes. Es bedurfte nicht nur eines erfahrenen Jägers, sondern eines wahren Jägers. Aber das brauchte die Skaal nicht zu interessieren.
    „Schon möglich“, entgegnete sie schließlich, bevor die Schweigepause unangenehm zu werden drohte.

    Erst am späten Abend, die Sonne versteckte sich längst hinter den Bergen westlich des Skaal-Dorfes, kamen die Vier an ihrem Ziel an. Der Wind hatte wieder aufgefrischt und fand jede noch so kleine Lücke in der Kleidung, so dass Vesana häufig Schauer über den Rücken liefen. Zwischen den vereinzelt stehenden Hütten der Siedlung hielten sich kaum noch Menschen auf. Die wenigen, die sich in die eisige Kälte hinaus wagten, blieben meist stehen und blickten den Jägern entgegen. Den Nord zollten sie mit einer zum Gruß erhobenen Hand Respekt, die Kaiserliche beäugten sie mit einer Mischung aus Verwunderung, Unsicherheit und Misstrauen.
    Sie ließ sich davon nicht beirren, sondern half Finna einfach dabei, das Reh die letzten Schritte bis zu Wulfs Hütte zu tragen, wo er die Beute zu einem späteren Zeitpunkt zerlegen würde. Schnaufend legten die zwei Frauen das Tier ab. Die Männer keuchten nun ebenfalls, als sie das gefrorene Fleisch aus den Händen gaben. Erschöpft wandte sich Vesa ohne Umschweife von der Nord-Frau ab und blickte zu dem Einäugigen, der die Jägergruppe geleitet hatte. „Was jetzt?“
    Wulf schnaufte und grummelte. „Richtig“, sprach er. „Folgt mir.“ Er setzte sich unverzüglich in Bewegung, ließ seine zwei Jagdgefährten mit einem knappen Nicken zurück, stapfte über den freien Platz in der Mitte des Dorfes und hielt auf ein durch seine Größe besonders herausstechendes Haus aus altem Holz zu. Vor der Doppeltür und unter einem durch dicke Pfeiler aus Baumstämmen abgestützten Dachvorsprung blieben die beiden stehen. „Wartet hier“, wies er die Kaiserliche an. Sie tat schlicht, wie ihr geheißen, während der Nord in der Dunkelheit und um die Ecke des großen Gebäudes verschwand. Vesana schaute ihm nach, bis sie ihn aus den Augen verlor.
    Während sie wartete, beobachtete sie die Menschen bei ihren abendlichen Wegen und rieb währenddessen die Hände flach gegeneinander, um sie etwas aufzuwärmen. Entweder sie ignorierten die Jägerin einfach, oder schauten nur kurz in ihre Richtung, bevor sie in ihren Hütten verschwanden oder von der Dunkelheit verschluckt wurden. Ganz offensichtlich freuten sich die Skaal ganz und gar nicht über Besucher, die sie nicht erwarteten. Vesa interessierte das nicht. Sie wollte ohnehin nicht zu lange bleiben, wenn sie überhaupt blieb. Eine Erlaubnis der Skaal würde sie im Zweifel ohnehin nicht brauchen, auch wenn es mit einer zweifelsohne weniger beschwerlich sein mochte. Sie schüttelte leicht den Kopf, um die Überlegungen loszuwerden. Noch war nichts entschieden und Geduld war das Gebot der Stunde. Es sollte sich früh genug zeigen, wie ihr weiterer Weg aussah.
    Wenig später kehrte Wulf mit einem ausgesprochen alten, grauhaarigen Mann an seiner Seite zurück. Auch er trug die dicke Leder- und Fellkleidung, die typisch für die Bewohner dieser Gegend zu sein schien. „Ah, die kaiserliche Jägerin. Storn Fels-Schreiter, der Schamane des Dorfes“, erklärte der Alte mit rauchiger Stimme.
    „Nevara Cassidian“, stellte sie sich vor.
    „Wie ich hörte, sucht Ihr nach etwas?“
    „Ganz recht.“
    „Was Ihr sucht, werdet Ihr nicht in unserem Dorf finden, Kind.“ Nichts anderes hatte Vesana erwartet, also schwieg sie und saß das provozierte Schweigen aus. „Aber vielleicht können wir uns helfen. Kommt.“ Der graue Nord legte seine Hand auf ihre Schulter und lenkte sie zum Eingang des Hauses, unter dessen Vordach sie sich befanden. „Wulf, wir sprechen uns später.“ Der Einäugige nickte und entfernte sich. Gleich darauf traten die Frau und der Alte in das wohlig warme, hölzerne Innere des Gebäudes. Ein Feuer brannte in der Mitte, stammdicke Rundhölzer stützten die hohe Decke. An der Seite saß ein ebenfalls älterer Nord mit kurzen Haaren, gepflegt-gestutztem Vollbart und gehüllt in noble Kleider. Storn hielt auf ihn zu, Vesa warf die Kapuze zurück und folgte. „Tharstan“, grüßte der Graue.
    „Storn.“
    „Sei so gut und hole Fanari.“ Tharstan schaute kurz zur Kaiserlichen, dann zurück zum Schamanen, stand mit einem Nicken auf und verschwand in die hinteren, abgetrennten Räumlichkeiten. Storn wandte sich Vesa zu. „Stellt Euer Gepäck schon ab. Es wird Euch schon niemand wegnehmen.“ Nur langsam leistete die Jägerin der Aufforderung Folge. Sie wollte deutlich machen, dass sie nicht auf derartiges Entgegenkommen angewiesen war. Der Schamane durchschaute es. „Ihr braucht mir keine Stärke mehr beweisen, Kindchen. Dass Ihr hier seid, zeugt genug davon. Es ist keine Kunst Eure Willenskraft zu spüren – dazu müsste ich nicht einmal ein Schamane sein, um das zu erkennen. Wir Skaal respektieren das.“ Storn klang tadelnd wie ein enttäuschter Vater. „Also nehmt Gesten der Freundlichkeit an, wenn sie Euch angeboten werden.“ Die dunklen Augen ruhten auf der Kaiserlichen und suchten Blickkontakt.
    Vesana hielt ihm stand. „Wie Ihr meint.“ Sie lehnte das Felleisen mit der Armbrust und dem geschwungenen Schwert daran gegen ihre Beine. Den Speer hielt sie weiter locker in der Hand. „Was nun?“
    „Fanari ist die Anführerin der Skaal. Ich bin der Dorfweise. Sie trifft Entscheidungen, ich berate sie dabei.“ Er legte eine kurze Pause ein und schaute hinüber zu den hinteren Räumen. Der Nord namens Tharstan trat gerade heraus und kam zu ihnen zurück. Wenig später folgte ihm eine hochgewachsene Frau mit braunem Haar und festem Blick. Langsam näherte auch sie sich. „Ihr tragt Euer Anliegen vor und wir werden sehen, was wir mit Euch tun werden.“ Der nobel gekleidete Nord setzte sich zurück auf seinen alten Platz und stopfte sich eine Pfeife. „Fanari.“ Der Schamane nickte ihr tief zu, Vesa beobachtete die Nord-Frau nur.
    „Storn“, begann diese zu sprechen, „was gibt es zu so später Stunde und wer ist diese Frau?“ Sie klang bestimmend und schaute zwischen ihren zwei Besuchern hin und her, blieb dann aber am Schamanen hängen.
    „Das ist Nevara-„
    „-Cassidian“, unterbrach ihn Vesa. Die Nord wandte den Blick zu ihr. Die stechend grünen Augen musterten die Kaiserliche. „Und ich bin zum Jagen hier.“
    „Sie ist gestern auf Wulf und seine Jagdgruppe in den Wäldern des Fjalding-Plateaus gestoßen. Sie hat ihnen geholfen, die Beute der Jagd zum Dorf zu bringen, im Gegenzug hat er ihr Anliegen an mich herangetragen“, präzisierte der Graue. Er schien das sich anbahnende, leichte Knistern zwischen den Frauen zu spüren.
    „Hat sie das?“ Fanari schaute zwischen Vesana und Storn hin und her, verweilte dann aber mit den Augen auf der Kaiserlichen und adressierte sie diesmal direkt. „Jagen könnt Ihr auch in Cyrodiil, dafür braucht Ihr nicht extra nach Solstheim kommen und uns die ohnehin spärliche Nahrung wegfangen.“ Die Stammesführerin wollte sich zum Gehen wenden.
    „Ich habe nicht vor, Euch Eure Lebensmittel aus den Händen zu reißen“, entgegnete Vesa unverzüglich und die größere Frau hielt inne.
    „Was wollt Ihr dann jagen?“ Die grünen Augen stachen auf die Kaiserliche ein. „Drachen?“ Sie zog die Augenbrauen hoch und lachte kurz auf vor Zynismus. Dann schwieg sie wieder.
    „Ich benötige Informationen für die Jagd auf Werbären.“ Storn stand während des kurzen Schlagabtausches zwischen den beiden, die sich ohne jeden Zweifel von Grund auf nicht gut verstanden, still und beobachtete.
    „Ist dem so? Und Ihr glaubt, Ihr findet diese Informationen hier?“
    Jetzt schaltete sich der Schamane wieder ein, bevor die Feindseligkeit Überhand gewann. „Vielleicht“, begann er und gestikulierte beschwichtigend, „gibt es eine Möglichkeit, von der alle profitieren können.“ Die Frauen wandten ihm nahezu gleichzeitig den Blick zu, auch wenn Vesa ihre Augen einen Moment länger an Fanari haften ließ.
    „Was schlägst Du vor?“, fragte die Anführerin des Dorfes.
    „Nun, wir brauchen neue Vorräte und das Wild treibt sich zurzeit weiter entfernt herum. Ein weiterer Jäger könnte also helfen, mehr Nahrung heranzuschaffen. Im Gegenzug dafür, dass Nevara hier ein, zwei Mal mit auf Jagd geht, erhält sie ein Dach über dem Kopf und am Ende die Informationen, die sie benötigt, um ihre eigene Jagd fortzusetzen“, erläuterte der Graue in fast väterlichem Ton. „Und wer weiß, vielleicht gibt es im Dorf den einen oder anderen, der die Anwesenheit und Ziele unseres Gastes als sehr … nützlich empfinden mag.“
    „Ich sehe, Du hast Deinen Plan schon vollendet, Storn.“ Fanaris Tonlage verschob sich von einer gewissen Kampfeslust zu Resignation gegenüber dem Älteren, der mit Logik durchaus zu bestechen wusste. „Auf Deine Verantwortung. Sie soll mit Wulf und den anderen schnellstmöglich aufbrechen.“
    Storn wandte sich Vesana zu. „Ihr könnt bei mir und meiner Tochter im Haus übernachten. Gute Nacht, Fanari.“ Die Kaiserliche schulterte ohne Einspruch ihren Tornister und folgte dem Schamanen, als er sich anschickte die Halle zu verlassen. Die Skaalanführerin verschwand zurück in die hinteren Räumlichkeiten.
    Es dauerte nicht lange, da betraten der Graue und die Jägerin Storns Hütte. „Ihr könnt Euer Gepäck dort an die Seite stellen und Eure Schlafstatt ebenfalls dort aufschlagen. Wir können nicht mit einem Bett dienen, aber so Ihr es wünscht ein paar Fellen.“
    „Mit wem sprichst Du da?“ Eine raue Frauenstimme drang aus dem hinteren Teil des Hauses zu ihnen und kurz darauf trat eine blonde Nord vor.
    „Ah, Frea. Das ist Nevara, sie wird die Nacht bei uns verbringen und wohl morgen mit Wulf und den anderen auf Jagd gehen.“ Vesana schenkte der Frau nur ein knappes Nicken und schritt zu der ihr zugewiesenen Stelle an der Außenwand der Hütte. Das Feuer in der Mitte strahlte Wärme bis dorthin ab, ganz abgesehen davon, dass es insgesamt sowieso sehr warm war. Der Schamane zog seine Jacke aus und hängte sie an einen Haken an der Wand in der Nähe der Tür. „Benötigt Ihr noch Felle?“, fragte er seinen Gast.
    „Nein, es geht. Danke.“ Die Kaiserliche rollte ihre Unterlage und die Decke aus. Ihr Stahlschwert lehnte sie gegen die Wand und zog im Anschluss zum ersten Mal seit Tagen ihre ledernen Rüstungsteile, die dicke Manteljacke und die hohen Stiefel aus. Das kleine Hirschkopfamulet versteckte sie unter ihrer Tunika auf Höhe des Brustansatzes. Von der Last befreit schloss sie kurz die Augen und atmete auf ihrer Nachtstatt sitzend tief durch. Dann fiel ihr Blick auf das kürzlich erworbene, gekrümmte Schwert. „Sagt“, begann sie zu sprechen und Storn wandte sich ihr von einer duftenden Suppe im Kessel über dem Feuer zu, „gibt es hier einen Schmied?“ Frea hatte sich ohne ein weiteres Wort zurückgezogen.
    „Baldor Eisen-Former, ja. Direkt gegenüber meines Hauses.“
    „Erfüllt er Arbeiten auch für Außenseiter gegen etwas Geld?“
    „Durchaus. Fragt ihn, bevor Ihr morgen aufbrecht.“ Vesa nickte nur und lehnte sich gegen die Wand, der Kopf im Nacken und die Augen auf die Decke des Raumes gerichtet. „Ihr solltet noch etwas essen. Eure Stärke mag bemerkenswert sein, doch kann Stolz auch zur Schwäche werden.“ Sie senkte die Augen und hielt sie auf ihn. Er stand leicht verdreht und schaute über die Schulter zu ihr hinüber. Am halb ausgestreckten Arm hielt er eine dampfende Suppenschüssel. „Nehmt.“ Sein Blick verriet, dass er keine Widerrede zulassen würde.
    Die Kaiserliche erhob sich mit trägen Gliedern und nahm ihm die Schüssel ab. Gemeinsam setzten sie sich an einen Tisch. Die Linke flach auf die Tischplatte gelegt, rührte sie mit dem Löffel in der Rechten den dicken Eintopf um. Langsam begann sie zu essen und pustete zunächst stets, bevor sie einen Happen nahm. Es schmeckte erstaunlich gut und schien sehr nahrhaft zu sein. Storn beobachtete sie schweigend, als ob er aus ihren Bewegungen, Augen und körperlichen Ausformungen lesen konnte, was genau für ein Mensch da gerade vor ihm saß. „Warum seid Ihr auf der Jagd nach Werbären?“, rang er sich schließlich zu der Frage durch, die ihn schon eine Weile zu beschäftigen schien, auf die er aber aus den bisherigen, oberflächlichen Beobachtungen keine Antwort abzuleiten vermochte.
    Die Jägerin aß zunächst weiter und leerte mit wenigen Löffeln den Rest aus der Schüssel. Gesättigt lehnte sie sich zurück und schaute den Schamanen an, las in seinen dunklen, von Falten umrahmten Augen, den gezeichneten, alten Gesichtszügen, die im unteren Teil von einem grauen Vollbart versteckt wurden und den gefalteten Händen. „Es würde schon einer reichen.“ Sie schob den Stuhl zurück. „Habt Dank für den Eintopf. Die Jagdgruppe wird morgen sicher so früh wie möglich aufbrechen wollen, ich sollte daher wohl noch etwas Schlaf abfassen.“ Damit erhob sie sich. Der graue Nord nickte nur. Wenn er enttäuscht über ihre ausweichende Antwort war, so zeigte er es nicht, allerdings würde es Vesana auch nicht wundern, wenn er es so erwartet hatte. Sie verkroch sich unter ihre Decke am Rand des Raumes. Storn verschwand in den hinteren Teil zu seiner Tochter.



    Zum nächsten Beitrag >>
    Geändert von Bahaar (31.05.2013 um 09:38 Uhr)

  8. #8

    Solstheim, nordöstliches Inland, Skaal-Dorf

    << Zum vorherigen Beitrag



    Das Gesicht eines Mannes schälte sich vor ihr aus der Dunkelheit. Es waren die Züge eines Kaiserlichen irgendwo zwischen fünfundzwanzig und dreißig Jahren. Geschmeidig geschnitten, männlich und doch nicht zu hart. Sie strahlten Entschlossenheit und Stärke aus, ließen aber dennoch nicht die angenehme Note von Freundlichkeit und Offenheit vermissen. Die klar definierten Konturen kamen ihr bekannt vor. Der kurze, schwarze und sauber getrimmte Bart schmiegte sich an die Kanten des Kiefers. Die schmalen Koteletten und die Haare, die den Mund fein definiert einrahmten, standen etwas länger als die Linien entlang des Kieferknochens. Auf den hellen, leicht rauen Lippen zeichnete sich ein freundliches Lächeln ab, das Vertrauen und Empathie signalisierte. Die gerade, schlanke Nase mit den ausgeformten Nasenflügen ging am oberen Ende fließend in die feste Augenpartie mit den kraftvollen, ein wenig wilden Augen in dunklem Braun über. Sie saßen in den nicht zu tief liegenden Augenhöhlen und wurden nach oben hin von ebenfalls schwarzen Augenbrauen abgeschlossen. Eine lange, dünne Narbe in zartem Rosa durchbrach die linke Braue und setzte sich bis auf Höhe der unteren Zahnreihen über die linke Wange fort – sie war noch jung, keine drei Monate alt.
    Die saubere, helle Haut erschien durch lange Tage auf Wanderschaft und der Aussetzung von Wind und Wetter gröber, verlor jedoch nichts an ihrer Weichheit, wenn man sie berührte. Sie spannte sich über klar erkennbare, aber nicht zu weit hervorstehende Wangenknochen und drückte sich an den Schläfen in kleinen Mulden gegen den Schädel. Sie legte sich um die Augenwinkel in feine Falten, als sich das Lächeln zu einer Geste der Freude wandelte. Das Muttermahl unterhalb des rechten Nasenflügels lag durch den Bart verborgen vor oberflächlichen Blicken. Ebenso die Mulde unterhalb der Lippen am Kinn.
    Schwarzes, in direktem Lichtschein stellenweise braun schimmerndes Haar legte sich fingerlang in einem klaren linksseitigen Scheitel über den Kopf. Es wirkte kräftig, dick und schien regelmäßige Pflege zu genießen. Die meisten kaiserlichen Frauen würden ihn wohl als einen schönen Mann beschreiben – starke Züge und doch gefühlvoll. Dazu gesellte sich die sanfte Duftnote von frischer Bergluft mit einer Prise herber Kräuterblüten. Ein Mann der Natur, ein Jäger wie sie selbst.
    Plötzlich wandelten sich die Züge. Sie verloren ihre Freundlichkeit, spannten sich, verkrampften. Sie wirkten aggressiv, die Augen hart und wütend, die Stirn in Falten des Zorns gelegt. Der Mund stand zum Schrei offen, entblößte helle Zähne und überdurchschnittlich spitze Eckzähne. Sein Mund schob sich vor, als veränderten sich die Knochen des Schädels selbst. Die Nase flachte ab, nahm die Form eines Hundes mit feucht glitzernder Spitze ein. Die Zähne wurden scharf und pointiert, die Eckzähne lang und mörderisch. Die Augen glühten mit Feuer in dunklem Gelb. Die Haut verdunkelte sich, schien schwarz zu werden. Das Haar wuchs in die Länge, die Ohren liefen spitz zu. Das Gesicht ähnelte dem eines Wolfes und behielt nur noch wenige menschliche Aspekte. Sie sah den Kopf eines Werwolfs vor sich, der in Rage zu sein schien.
    Dann mit einem Mal erschlafften die Züge, verloren ihre Aggression, ihre Wut. Die Augen trübten ein, wirkten fast schon traurig, die Muskeln entspannten sich. Das Maul stand offen und eine schlanke Silberklinge schob sich von hinten durch den Schädel vorne aus dem Mund. Blut tropfte von ihr auf die Zunge des Wandelwesens und aus der Schnauze, wie auch aus der Nase. Der Geruch von verbranntem Fleisch breitete sich aus, schwacher Rauch quoll aus dem Maul hervor.

    Vesana schreckte mit einem tiefen Einatmen hoch, als ob sie gerade nach langem Anhalten der Luft aus tiefem Wasser auftauchte und saß senkrecht auf ihrer Schlafstatt. Die Decke ungeordnet halb über ihren Beinen, halb auf dem Boden ausgebreitet. Schweiß rann ihr über die Haut und troff vom Kinn. Sie zitterte am ganzen Leib. Nur mühevoll sogen ihre Lungen Luft ein, die Atmung ging schnappartig und brannte, als ob ihr jemand hunderte lange Nadeln durch den Brustkorb gerammt hatte. Das Herz krampfte und sie krallte sich mit der rechten Hand an sich selbst fest, als ob sie so der Schmerzen Herrin würde. Die Linke hielt das Amulett umschlossen und drückte es gegen ihr Brustbein. Der Kopf drehte sich, als ob sie eine ganze Flasche billigen Wein wenige Stunden zuvor allein getrunken hätte. „Darius“, hauchte sie. „Oh, Darius.“ Sie schloss die Augen und versuchte, ruhiger Luft zu holen. Es misslang.
    Mühevoll erhob sie sich und taumelte zum erloschenen Feuer, dessen Glut aber noch immer Wärme abstrahlte. Die Kaiserliche legte drei Scheite nach, um es wieder in Gang zu setzen und nahm sich anschließend ihre Decke. Sie setzte sich auf den Boden neben die Feuerstelle, zog die Beine an und wickelte sich mit der Zudecke ein. Vesa bekam kaum Luft, obwohl ihre Nase nicht mit Rotz verstopfte. Die Mundwinkel wurden wie von Bleigewichten nach unten gezogen. Dicke Tränen flossen ihr eine nach der anderen aus den Augen und über die Wangen. Einige fanden ihren Weg zu den Lippen und überzogen die Zunge im Mund mit dem Geschmack von Salz. Stilles Schluchzen ließ ihren Körper unkontrolliert zucken.
    An Schlaf war jetzt nicht mehr zu denken, obwohl es noch mitten in der Nacht sein musste. Leises Schnarchen drang aus dem hinteren Teil der Hütte zu ihr vor. Es ging ausschließlich um Schadensbegrenzung. Sie musste sich beruhigen, wenn sie am kommenden Morgen auf Jagd gehen wollte. Nur mit Mühe und unter Hilfe des beruhigenden Knisterns des neu entflammten Feuers schaffte es Vesana, die Schnappatmung in regelmäßige Züge zu zwingen. Die Tränen bekam sie lange nicht in den Griff, ebenso wenig das Schwindelgefühl. Die Übelkeit und Bauchschmerzen wollten einfach nicht nachlassen und das krampfende Herz pumpte in unregelmäßigen Sprüngen, das Blut in den Adern fühlte sich eiskalt an. Erst nach Auflegen dreier weiterer Scheite ins Feuer ließ das Zittern allmählich nach. Die Bilder des Alptraumes blitzten ihr immer wieder vor das geistige Auge.
    Mit großem Schmerz musste sie in diesen quälend langen Augenblicken einsehen, dass es Dinge gab, vor denen sie nicht davonzulaufen vermochte. Es gab Dinge, die sie immer einholen würden, egal wo sie sich befand, egal wie schnell und weit sie rannte.
    Bis zum Morgengrauen und nach endlos erscheinenden Stunden war das neu angefachte Feuer wieder runtergebrannt. Die emotionalen Wehen der Kaiserlichen hatten nachgelassen und sie ihre Fassung wiedergewonnen. Die gereizten Augen beruhigte Vesa durch sanftes Reiben, den sich anbahnenden Kopfschmerzen aus Müdigkeit versuchte sie mit massierenden Kreisbewegungen an den Schläfen vorzubeugen. Steif erhob sie sich und wankte unsicher auf den durch die lange Starre eingeschlafenen Füßen zurück zu ihrer Schlafunterlage. Die Decke, die sie, bis dahin noch um die Schultern gelegt, mit beiden Händen vor der Brust festhielt, warf die Jägerin auf den Boden und setzte sich. Da sie ohnehin nichts anderes zu tun hatte, zog sie sich bereits jetzt die hohen Stiefel über die Füße und zwang sich am Tisch immerhin ein paar Bissen ihres Proviants zum Frühstück herunter, wenngleich ihr Magen erheblich rebellierte und sie ohnehin keinen Hunger verspürte. Allerdings wusste die Kaiserliche auch, dass sie wenigstens einer kleinen Stärkung für den Tag und die Reise bedurfte.
    Sie aß gerade eine Scheibe Brot, als Storn der Schamane aus dem hinteren Teil der Hütte kam und noch die letzten Knöpfe eines einfachen Hemdes schloss. „Guten Morgen“, grüßte er seinen Gast. Sie schaute nur für den Bruchteil eines Lidschlags auf.
    „Morgen.“ Vesa hielt den Blick wieder auf die Tischplatte gerichtet. Ihre Stimme war noch kraftlos, rau und würde brechen, sprach sie mehr als ein paar wenige Worte am Stück. Der graue Nord nahm sich seinerseits etwas Brot und Wurst zum Frühstück. Seine Tochter Frea folgte wenig später. Während ihre beiden Gastgeber speisten, kümmerte sich Vesana schließlich darum, ihre Sachen zusammenzupacken und sich für die Reise zu kleiden. Die beiden Nord unterhielten sich völlig entspannt über bevorstehende Besorgungen, Arbeiten am Haus, die Jäger und allerlei andere Dinge. Die Kaiserliche schwieg währenddessen. Es kam ihr gelegen, dass sie niemand direkt ansprach und Frea und ihr Vater in ihr eigenes Gespräch vertieft waren.
    Erst als all ihre Sachen gepackt waren und sie sich fertig gekleidet hatte, fühlte sich Vesa einigermaßen stark genug, zu sprechen. „Baldor Eisen-Former, so hieß Euer Schmied, richtig?“ Sie stand am Rand des Raumes über ihrem Tornister und schaute hinüber zu den Nord.
    „Richtig. Wenn Ihr ihn aufsuchen möchtet, solltet Ihr dies jetzt bereits tun können. Er steht meist sehr früh auf und ist vor seiner Hütte bei der Schmiede anzutreffen. Ihr könnt es nicht verfehlen.“ Vesana nickte und bückte sich, um ihr Gepäck aufzuheben. „Wulf sollte ebenfalls bereits auf den Beinen sein. Ihr könnt ihn an seinem Unterstand am hinteren Ende des Dorfplatzes finden. Redet mit ihm wegen der Planung der Jagd.“
    Die Kaiserliche schulterte ihr Felleisen, nickte erneut zum Dank und verließ anschließend das Haus des Schamanen. Frische, klare Luft schlug ihr entgegen und die Sonne schob sich gerade über die Horizontlinie des Geistermeers. In der Tat hörte sie, kaum stand sie vor der Tür, das helle Klirren eines Schmiedehammers, der regelmäßig auf Metall schlug. Sie musste nicht einmal wirklich dem Klang folgen, nach kurzem Umsehen entdeckte sie die Schmiede nicht weit von ihr entfernt am Rande des Dorfplatzes. Sie lief zu ihr hinüber.
    Auch der Schmied trug die Skaal-typische Kluft aus Leder- und Fellkleidung, die zweifelsohne ausgesprochen warm sein musste. Die Kapuze lag ihm im Nacken, die rotbraunen Haare formten einen offenen Kranz um den Kopf mit kahler Schädeldecke. Ein dicker Schnauzbart rahmte den Mund unter der Nase und an den Mundwinkeln vorbei bis zum Kinn hinab ein. Er schaute vom Amboss zu ihr auf und hielt mit seinen Schlägen auf einen Rohling inne, als er die Kaiserliche bemerkte. „Guten Morgen“, grüßte er und richtete sich auf. Was aussah, als könne es irgendwann einmal ein Messer werden, legte der Nord zurück ins Feuer, damit es nicht auskühlte.
    „Guten Morgen“, erwiderte Vesa. „Seid Ihr Baldor Eisen-Former?“
    „Ja, der bin ich. Wie kann ich Euch helfen?“ Der große, selbst unter der dicken Kleidung kräftig wirkende Mann legte den Hammer auf den Amboss und kam ein paar Schritte auf sie zu. Die Jägerin nahm unterdessen ihr neues, gekrümmtes Schwert mit dem markanten Widerhaken und der schweren Spitze von der Seite ihres Tornisters. Anschließend zog sie es mit dem typischen Schleifen aus der Scheide.
    „Ich begleite Wulf Wild-Blut und seine Jagdgruppe in den nächsten Tagen bei ihrer Jagd. In der Zwischenzeit würde ich gerne einige Verfeinerungen an dieser Klinge hier von Euch vornehmen lassen.“ Baldor nahm ihr nach kurzem Bitten das Schwert aus der Hand und wog es vorsichtig auf seine Balance und Schwungeigenschaften ab.
    „Welche Art Verfeinerung schwebt Euch vor?“
    „Die Gravuren an den Seiten würden idealen Raum bieten, um Einlagen mit Silber anzubringen und diese Klinge so wirksamer gegen Kreaturen zu machen, die nicht heimisch in Nirn sind.“
    „Ich verstehe. Nun“, er fuhr mit den rauen Fingerkuppen über die Riefen und Kerben im Metall, „ich denke, dass das möglich sein dürfte. Da Ihr mit der Jagdgruppe mehrere Tage unterwegs sein solltet, kann ich die Verbesserungen auch mit entsprechender Sorgfalt und ohne Zeitdruck vornehmen. Es sollte also fertig sein, wenn Ihr zurückkehrt.“
    „Gut. Wie viel verlangt Ihr dafür?“
    „Hm.“ Der Nord zupfte sich mit der Rechten am Bart herum. „Es ist einiges an Silber, das hier verwendet werden kann. Für gewöhnlich wären es etwa dreihundert Septime. Aber da Ihr der Jagdgruppe helft, die Vorräte der Skaal aufzustocken, gebe ich Euch einen Rabatt. Sagen wir zweihundertvierzig.“
    „Abgemacht.“
    „Gebt es mir, wenn Ihr zurückkehrt.“ Seine Kundin nickte. „Habt Ihr sonst noch einen Wunsch?“
    „Nein, erst einmal nicht, danke.“
    „Gut, bis in ein paar Tagen dann. Wenn Ihr mich nun entschuldigen würdet, ich habe viel zu tun.“ Vesana überließ den Schmied sich selbst und orientierte sich neu auf dem Dorfplatz. In der Dunkelheit der vergangenen Nacht hatte sie nicht viel erkennen können. Die Holzhäuser der Skaal formten einen ovalen, freien Platz direkt vor der großen Halle, in der sie am Abend zuvor noch mit Fanari gesprochen hatte. Die Hütten standen relativ dicht und passten sich in die Landschaft ein. So sparten die Nord Platz, denn das flache Areal als großer Vorsprung in den hohen Bergflanken war doch recht begrenzt. Die Bewohner kamen nach und nach immer zahlreicher aus ihren Behausungen. Obwohl die Sonne noch endlos scheinende Schatten warf und sich zum Teil sogar noch hinter den Häusern versteckte, herrschte bald geschäftiges Treiben und kaum jemand kümmerte sich noch um die Fremde in ihren Reihen. Sie unterhielten sich, trugen Dinge umher, verschwanden zwischen den Häusern oder gingen einfach nur von einem Gebäude zum nächsten.
    Gegenüber der großen Halle entdecke Vesa schließlich den besagten Unterstand Wulfs. Der Nord kümmerte sich, wie vermutet, bereits um seine eigenen Dinge dort. Sie lief zu ihm hinüber. „Wann wollen wir aufbrechen?“, fragte sie ihn, als sie ankam und ihr Felleisen gegen einen der Pfosten des kleinen Pavillons lehnte. Der einäugige Nord schaute kurz leicht überrascht, gewann dann aber seine Fassung zurück. Offenbar hatte er nicht damit gerechnet sie bereits jetzt anzutreffen.
    „Da Ihr schon hier seid und ich ebenfalls alles Wichtige vorbereitet habe, brechen wir auf, sobald Oslaf und Finna zu uns stoßen.“ Der Jäger setzte seine vorherige Tätigkeit fort und schichtete weiter Fleischscheiben abwechselnd mit Eis und Schnee in ein Fass – hier oben im hohen Norden, wo es niemals taute, die beste Möglichkeit Nahrung haltbar zu machen. Einfach einfrieren. „Bis dahin könnt Ihr mir hiermit zur Hand gehen.“



    Zum nächsten Beitrag >>
    Geändert von Bahaar (07.06.2013 um 19:39 Uhr)

  9. #9

    Solstheim, nordöstliches Inland

    << Zum vorherigen Beitrag



    Gerade als die Sonne hoch genug stand, um über den Dächern des Dorfes zu schweben, brach die Gemeinschaft der vier Jäger auf. Die Bedingungen konnten nicht besser sein. Nahezu Windstille, fester Schnee unter den Stiefelsohlen und ein aufgezogener Himmel. Sie kamen schnell voran, und das nicht nur wegen des hohen Tempos, das Wulf vorlegte. Das Dorf ließen sie auf ihrem Weg direkt nach Süden bald hinter sich.
    Vesana prägte sich während der Reise die Landschaft ein und beobachtete das Verhalten des Wetters. Die hohen Wolken zogen schnell und über dem Meer brauten sich bereits wieder ausgesprochen dunkel aussehende Sturmformationen zusammen. Hoch standen die gewaltigen, schwarzen Türme und so weit, wie das Auge reichte. Bei der Zugrichtung und -geschwindigkeit würden sie wohl bestenfalls irgendwann zum frühen Morgen über der Insel ankommen. Die Nord schienen das Problem ebenfalls bemerkt zu haben und vor allem Wulf straffte seit der ersten Sichtung der Sturmwolken sein Marschtempo. Sie mussten Meter machen, wollten sie am nächsten Tag in ihrem angestrebten Jagdgebiet ankommen.
    Inzwischen fühlten sich Vesanas müde Glieder weitestgehend abgestumpft und taub an, so dass sie die Strapazen und schlecht verbrachten Nächte zuvor einigermaßen wegsteckte. Zwar hätte sie nichts gegen ein komfortables Bett eingewendet, andererseits räumte die konstante Belastung auch den Kopf frei – ein Umstand, den sie vor allem nach der letzten Übernachtung sehr begrüßte.
    Am Abend schlugen sie in dem zerklüfteten, über zahlreiche Vorsprünge steil zum Meer abfallenden Küstenstreifen zwischen Geistermeer und Fjalding-Plateau ihr Lager auf. Der dichte Wald bot ihnen genug Möglichleiten sich für die Nacht einzugraben und gegen die Kälte, sowie den aufziehenden Sturm zu rüsten. Erste Vorboten des letzteren erreichten sie bereits, der schneidende Wind fuhr durch jede noch so kleine Lücke in der Kleidung und machte unmissverständlich klar, dass es bald noch ungemütlicher werden sollte.
    „Nevara, Ihr übernehmt mit Finna die zweite Nachtwache“, wies sie Wulf an. Kommentarlos nahm sie die Anweisung hin und ließ sich auf ihrer Schlafunterlage nieder. Die Decke ließ sie zunächst noch auf ihrem Tornister. Sie war recht glücklich über die Entscheidung des Einäugigen. Sobald der Sturm sie erreichte, wäre in der Nacht ohnehin kaum noch ein Auge zuzumachen. Wer schlafen wollte, musste es also vorher tun. Wenig später schichtete Vesa ihre Waffen neben sich auf die Unterlage und deckte sich mit ihnen zu. So verhinderte sie, dass das Schwert in der Scheide, die Bolzen im Köcher und die Mechanik der Armbrust einfroren. Die Dolche blieben, wo sie waren. Der Speer hielt die Plane, die ihnen als provisorisches Zelt zwischen einigen Bäumen und Felsen diente.

    Irgendwann mitten in der Nacht riss sich ihre Abdeckung in einer Windböe los. Flocken peitschten der Kaiserlichen ins Gesicht, sie brannten auf der Haut. Erschrocken und aus dem tiefen Schlaf geholt zog sie sich schnellstmöglich die Kapuze und Gjalunds Tuch über den Kopf und vor das Gesicht. „Dreckswetter“, zischte sie leise, niemand außer ihr hörte es. Finna schien ebenso unvermittelt aufgeschreckt worden zu sein und hievte sich gerade erst auf die Knie, um nach der Plane zu fischen, die laut im Wind hin und her schlug. Vesa half ihr schließlich dabei und band sie an einem der Stämme fest.
    „Wo sind Oslaf und Wulf?“, fragte die Nord-Frau schließlich, als sich die beiden wieder einigermaßen geschützt unter die Zeltplane ducken konnten.
    „Keine Ahnung“, entgegnete die Kaiserliche und ließ den Blick aus dem Unterstand heraus über die Dunkelheit gleiten. Nichts. Da sie ohnehin kein Auge mehr zumachen können würde, erhob sie sich und band sich ihre Waffen um. Ihren Speer ersetzte sie, indem sie einen weiteren Strick zum Festbinden nutzte. „Ihr bleibt hier und passt auf das Lager auf. Ich gehe suchen.“
    „Gut. Aber seid vorsichtig und wandert nicht zu weit.“ Vesana wandte sich ab und stapfte in den Sturm hinaus. Die Kapuze zog sie enger, das Tuch höher. Sie zitterte und fror am ganzen Leib. Es war erbärmlich kalt. Wenn den beiden Männern irgendetwas zugestoßen wäre, für sie käme wohl jede Hilfe zu spät. Ihren Speer hielt sie locker in der rechten Hand, während sie durch die umliegenden Büsche und Sträucher des Unterholzes pirschte.
    Der Wind heulte und peitschte die Äste der Bäume und des Buschwerks. Das alte, dicke Holz knackte und ächzte unter der Last. Kleine Zweige rissen ab. Die Jägerin musste schwer kämpfen, um überhaupt voranzukommen und etwas von ihrer Umgebung wahrzunehmen. Das dichte Schneetreiben erschwerte es zusätzlich. Zu allem Überfluss verhinderte das Unwetter auch noch, dass sie Spuren auf dem Boden ausmachen konnte. Sie irrte also völlig ohne Anhaltspunkte durch das Umland des Lagers und hoffte durch Zufall auf die beiden Männer zu stoßen. Wenigstens vermochte sie einigermaßen gut im Auge zu behalten, wo sie sich eigentlich in Relation zu ihrem Unterstand befand und fühlte sich sicher, im Zweifel dorthin zurückzufinden. Die Monde – sie standen kurz vor Neumond – besaßen nicht einmal annähernd genug Kraft, um ihren Schein durch die dicke Wolkendecke und durch das Astwerk des Waldes zu senden. Als Folge hüllte ewige Dunkelheit die Landschaft wie ein Schleier ein. Nur der Schnee am Boden schimmerte erkennbar im Restlicht und verhinderte, dass Vesa gänzlich die Orientierung verlor.
    Es knackte laut unweit von ihr entfernt. Ruckartig fuhr sie herum und hob den Speer mit beiden Händen über die rechte Schulter zum Stoß bereit. Locker in den Knien verharrte sie so einige Momente. Nichts tat sich. Vorsichtig schlich sie in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Die Nerven gespannt, die Muskeln in Bereitschaft, die Ohren auf die Umgebung fixiert, die Augen gerade aus. Ihre Atemzüge gingen schnell und kurz. Erst als sie einen frisch abgebrochenen Ast in der Größe ihres Armes fand, entspannte sich die Jägerin ein wenig.
    Dafür vernahm sie von ihrer neuen Position so etwas, das entfernt an eine menschliche Stimme erinnerte. Oder zwei? Sie horchte auf. Es mochte ebenso gut ein Säuseln im Wind zwischen den Nadeln an den Ästen der Bäume sein. Nein, es wiederholte sich und klang tiefer, als ein einfaches Heulen der Böen. Es kam aus Richtung Osten, näher an einer Felskante, die sie zuvor auf ihrer Wanderung ausgekundschaftet hatten. Der Kaiserlichen dämmerte eine böse Ahnung. Ein Adrenalinschub trieb sie an und sie hastete los.
    Mit der Linken Äste und Zweige der Bäume und des Unterholzes aus dem Weg schlagend eilte sie so schnell sie sich in der Lage sah, ohne dabei zu nachlässig zu werden, durch den Wald. Ihre schnell fliegenden Schritte fanden auf Steinen, Wurzeln und umgestürzten Bäumen instinktiv Halt. Das Geräusch, das sie zuvor nur schwach vernommen hatte, gewann an Stärke. Sie vermochte nun die zwei unterschiedlichen Stimmen Wulfs und Oslafs auseinanderzuhalten. Zwar verstand sie nicht, was sie riefen, aber immerhin befand sich Vesana ohne Zweifel auf der richtigen Fährte. Wenig später brach sie aus einigen Büschen heraus und kam gerade noch rechtzeitig zum Stehen, bevor das Gelände steil und schroff abfiel. Rechts. Von da vernahm sie die Stimmen.
    Inzwischen identifizierte sie die Rufe der Männer als Hilfeschreie. Was auch immer passiert war, wenigstens lebten die zwei Jäger noch. Mit wild schlagendem Herzen und von der Kälte und den schnellen Atemzügen stechenden Lungen reduzierte Vesa jetzt ihre Geschwindigkeit. Sie musste die Nord orten und gleichzeitig auf der Hut sein. Ob sie von einem Tier angegriffen worden waren? Falls ja, wollte sie lieber nicht genauso enden, wie die Hilfebedürftigen.
    Es dauerte dann auch nicht mehr lange, bis die Kaiserliche eine zum Waldesinneren weisende, schmale Spalte im Fels fand, die – kaum zwei Schritte breit – sehr tief reichte und von der eigentlichen Abbruchkante wegführte. Irgendwo entlang dieser Spalte im Wald mussten sich die Nord befinden. Bedacht setzte sie ihre Schritte und lauschte auf die Umgebung, das Rauschen des Windes so gut es eben ging ausblendend. „Hört uns denn keiner?!“, schrie Wulf. „Finna! Nevara! Beim All-Schöpfer, so kommt!“ Seine Stimme klang erschöpft, er musste schon eine ganze Weile um Hilfe rufen. Oslaf schwieg inzwischen.
    Hinter einem besonders dicken Baum und einigen Felsen fand Vesana schließlich den Einäugigen. „Sind Tiere in der Nähe?“, fragte sie ihn unverzüglich.
    „Nein! Dem Schöpfer sei Dank, Ihr habt uns gefunden!“ Er versuchte sich etwas zu drehen, doch der beindicke Ast, der quer über seinem Unterleib und den Beinen lag, verhinderte größere Bewegungen. Bauchlinks hob er so nur den Kopf. „Schnell, helft mir unter dem Ast hervor.“ Die Kaiserliche eilte zu ihm und legte ihren Speer ab.
    „Seid Ihr verletzt?“ Sie klappte die Fingerstücken ihrer Handschuhe um und tastete am Körper des Nords entlang. Sie fand kein Blut.
    „Nein, nur eingeklemmt.“ Vesana umschlang den Ast mit beiden Armen und stemmte ihn aus den Beinen heraus hoch. Wulf kroch unter dem Holz hervor, als er dessen Last schwinden spürte. „Ich stehe in Eurer Schuld.“
    „Später.“ Sie ließ das schwere Stück Sturmbruch fallen und keuchte. Es schmerzte schon alleine vom Heben im Rücken und sie fand kaum Halt an der überfrorenen Rinde. Dumpf schlug es auf den Boden. „Wo ist Oslaf?“, wollte sie wissen. Der Einäugige hatte sich gerade erst gedreht und schob sich am Stamm des Baumes, von dem der Ast abgebrochen war, in eine sitzende Position hoch. Offenbar hatte ihn der Abbruch vorrübergehend paralysiert und seine Beine mussten durch die Kälte ohne jeden Zweifel auch taub geworden sein.
    „Er ist in die Spalte gestürzt. Nicht tief, glaube ich. Er meinte, er hätte sich …“
    „Verkeilt.“ Die Kaiserliche unterbrach ihn, als sie vorsichtig einen Blick hinab warf. Kniend schaute sie über die Kante. Kopfüber hing der zweite Nord an einem schmalen Vorsprung. Sein Bein hatte sich verklemmt und er Sturz musste ihn soweit geschwächt haben, dass er sich nicht mehr selbst zu befreien vermochte. Das zu Kopf steigende Blut hatte ihn wohl ohnmächtig werden lassen. „Könnt Ihr gehen?“ Sie wandte sich wieder Wulf zu.
    „Ja, ich denke, das sollte ich.“
    „Gut. Das Lager ist in etwa dort drüben.“ Sie zeigte eine Richtung mit der linken Hand. „Finna wartet dort. Weit oben in meinem Reisegepäck ist ein dünnes Seil. Schickt sie, oder bringt es mir selbst. Damit können wir Oslaf aus der Spalte holen.“ Der Nord nickte und setzte einige wackelige Schritte vorwärts. „Seid Ihr sicher, dass Ihr es bis zum Lager schaffen werdet?“, versicherte sich Vesa.
    Das unsichere, vom Schmerz leicht verzerrte Gesicht des Jägers straffte sich und gewann einiges, wenn auch nicht alles, seiner gewöhnlichen Fassung zurück. Das blinde und das gesunde Auge richteten sich auf die Kaiserliche. „Ja.“
    „Gut, dann lauft! Ich klettere zu Oslaf hinab und versuche ihn zu stützen, bevor ihm das Blut zu sehr zu Kopf steigt.“ Wulf verschwand augenblicklich im Dickicht. Vesana spießte ihren Speer als Markierung in den gefrorenen Boden. Dann entledigte sie sich ihrer übrigen größeren Waffen und der Handschuhe. Noch einmal tief durchatmend machte sie sich daran, die drei Mannshöhen hinab zu dem bewusstlosen Nord zu klettern. Es gestaltete sich mit den zugeschneiten und überfrorenen Steinwänden und kleinen Spalten als ein ausgesprochen gefährliches Unterfangen, aber die Kaiserliche schaffte es letztlich dennoch zu Oslaf vorzudringen und sich selbst mit den Beinen und dem Oberkörper in der Felsspalte zu verkeilen. Vorsichtshalber testete sie aber ihren Stand noch einmal mit kurzem Wippen, solange sie noch die Hände frei hatte um sich im Notfall festzuhalten. Es erschien ihr sicher genug.
    Die Jägerin beugte sich vor und fühlte als erstes am Hals des Nords nach dessen Puls. Er lebte noch. Anschließend versuchte sie sich unter seinen Oberkörper zu schieben und ihn langsam, Stück für Stück, hochzustemmen während sie sich selbst in kleinen Stücken nach oben schob. So schaffte sie es unter enormem Kraft- und Konzentrationsaufwand, ihn in der Hüfte soweit zu falten, dass der Kopf in etwa auf Höhe der Gürtellinie hing. So verharrte sie und wartete.
    Von der Kälte spürte sie – mit Ausnahme von der kalten Luft an den freien Stellen der Haut um die Augen herum und den fast völlig taubgefrorenen Händen – nichts mehr. Die Anstrengungen ließen sie im Gegenteil sogar stellenweise schwitzen. Müdigkeit kannte sie in diesen Momenten keine, allerdings würde auch sie nicht ewig so aushalten können. Glücklicherweise musste sie das auch nicht. Es dauerte nicht lange, bis Wulf und Finna gemeinsam eintrafen. „Hier!“, rief die Frau gegen den in der Spalte kanalisierten Wind ankämpfend zu Vesana hinab und warf ein Seilende in die Spalte.
    Die Kaiserliche griff es sich mit der Linken und begann es teilweise über Kopf um Oslafs Brust zu wickeln. Nach Gefühl verknotete sie es. „Probiert, Ihn hochzuziehen!“, gab sie zurück. Die Last auf ihren Schultern nahm ab und der schwere Nord erklomm schubweise die Felswand hinauf in den Wald. Sie harrte aus. Alleine würde sie die Kletterpartie zurück nach oben nicht mehr bewältigen.
    „Jetzt Ihr!“ Wieder folg das Seil hinab. Mit schnellen Handgriffen schlang es sich die Jägerin um die Hüfte und hielt sich mit einer Hand an dem Strick fest. „In Ordnung, ich bin soweit!“ Der Druck auf ihre Beine nahm ab, dafür spürte sie, wie sich das Tau um ihren Leib fester zog und unangenehm drückte. Ruck für Ruck wurde sie nach oben gezogen und zum Schluss packte Wulf ihren Arm, um sie das letzte Stück über die Kante zu ziehen. Gemeinsam fielen sie in den Schnee und schnauften völlig entkräftet. Finna kniete sich über Oslaf und versuchte, ihn mit sachten Klapsen gegen die Wangen aufzuwecken.
    Im Liegen wickelte Vesa das Seil von sich ab und setzte sich auf. Der Einäugige lehnte inzwischen erneut an einem Baum. Die andere Frau hockte noch immer bei dem Vierten im Bunde. „Setzt ihn auf, dann kann das Blut sich wieder besser in seinem Körper verteilen“, wies sie Vesana an und kämpfte sich gleichzeitig auf die Füße. Finna tat, wie ihr geheißen und bekam kurz darauf auch von der Kaiserlichen Unterstützung. Wenig später öffnete Oslaf langsam die Augen und versuchte – merklich durcheinander – sich zu orientieren.
    Erleichtert ließ sich die Jägerin zurückfallen und lehnte sich ihrerseits gegen einen Baum. Sie schloss die Lider, legte den Kopf in den Nacken und atmete tief durch. „Wir stehen in Eurer Schuld“, griff Wulf das Thema von vorher auf.
    „Im Rudel hilft man sich.“ Für sie war es damit erledigt. Sie schaute auch gar nicht erst hinüber zu dem einäugigen Jäger. „Wir sollten zurück zum Lager und versuchen, unsere Kraft zurückzugewinnen.“
    „Oslaf, kannst Du laufen?“ Wulf schaute auf das eingeklemmte Bein des Nords, dessen Hose an der Stelle entsprechend ramponiert aussah.
    „Es sollte gehen.“ Finna half ihm auf, während der Einäugige und die Kaiserliche ihre Sachen einsammelten. Gemeinsam machten sie sich auf und zurück zu ihrem Unterschlupf. Der kahlköpfige Nord mit dem Kranz aus langen Haaren ließ sich von der Nord-Frau stützen, Wulf humpelte neben der zähneknirschenden Vesa. Es würde sich wohl am nächsten Morgen zeigen, ob die beiden Männer in der Verfassung waren, die Jagd fortzusetzen.



    Zum nächsten Beitrag >>
    Geändert von Bahaar (14.06.2013 um 12:58 Uhr)

  10. #10

    Solstheim, nordöstliches Inland

    << Zum vorherigen Beitrag



    Am Morgen nach dem Zwischenfall entschlossen sich die Jäger ihr Unterfangen fortzusetzen. Wulf erholte sich von dem Schlag durch den Ast vergleichsweise schnell und Oslaf meinte, er würde die Zähne zusammenbeißen, wie es sich für einen anständigen Nord gehörte. Allerdings blieb seine Verletzung am Bein ein merkliches Hindernis für ihre Reise und schien sich auch kontinuierlich zu verschlechtern. Es ließ sich nicht ordentlich belasten, der stämmige Mann humpelte stark und er bremste die Gruppe zusätzlich zum weiterhin tobenden Sturm aus. Um ihn nicht zu überstrapazieren legten sie häufige Pausen ein und teilten einige seiner Sachen untereinander auf, damit er nicht so schwer zu tragen hatte – immerhin hatten Finna, Wulf und Vesa diese Regelung durchsetzen können, denn ursprünglich wollte der sture Nord gar keine größere Hilfe annehmen. Nord und ihr kaum zu bändigender Stolz … die Kaiserliche schüttelte darüber nur mit dem Kopf.
    Wesentlich später als eigentlich angestrebt erreichten die Vier schließlich am späten Nachmittag dann das Gebiet östlich des südlichen Endes des Fjalding-Plateaus, in dem sie die ersten zwei Tage ihres Ausflugs zur Jagd innehalten wollten. Sichtlich entkräftet sank Oslaf gegen einen Baum, sein eigenes Felleisen ließ er einfach in den stumpfen Schnee plumpsen. Schweiß stand ihm auf der Stirn, er atmete schwer, Schmerz zeichnete seine rauen, kreidebleichen Züge und die Augen waren ins Leere gerichtet. Vesana ließ sich auf ihrem Tornister etwas Abseits bei einigen Büschen am Rand der Mulde nieder, die sie als Ort für ihr Jagdlager auserkoren hatten. Sie beobachtete den Nord mit der kahlen Schädelplatte genau, wusste sie doch, wofür die Zeichen auf dem Gesicht des Mannes standen.
    Wulf zu sich winkend wandte sich die Kaiserliche nach einigen Momenten des Verschnaufens an den Führer ihrer Gemeinschaft. Der Einäugige kam zu ihr hinüber und wusste offenbar bereits, was die zweite Jägerin im Bunde von ihm wollte, hockte er sich doch gleich neben sie, ohne ein Wort zu sprechen. Gemeinsam schauten sie zum Sorgenkind der Gruppe. „Wie ist es um Eure medizinischen Mittel bestellt?“, wollte Vesana wissen.
    „Wir haben Verbands- und Nähzeug für offene Verletzungen dabei. Auch ein paar Fettsalben gegen die Kälte“, entgegnete Wulf.
    „Hm.“
    „Was denkt Ihr?“
    „Wenn wir nichts unternehmen, wird er uns in spätestens zwei Tagen wegsterben.“
    „Wenn er sich helfen lassen würde, wäre es nicht das Problem.“ Finna reichte Oslaf inzwischen etwas Proviant und Wasser, während sich die beiden anderen unterhielten.
    „Sein Wille ist mir egal. Eure medizinische Ausstattung für eine Reise wie diese ist, was mich beunruhigt.“ Sie erhob sich von ihrem Gepäck und kniete sich neben es, um anschließend darin herumkramen zu können.
    Der Einäugige schaute zu ihr. „So?“
    Vesa holte eine kleine metallene Box und eine Verbandsrolle aus ihrem Felleisen, die Frage ignorierte sie. Kurzerhand schritt sie hinüber zu Oslaf und Finna. Ersterer wandte ihr träge den Kopf zu, Finna blickte mit sorgenvollem Blick auf.
    „Was wollt Ihr damit?“, der Nord wies auf die Sachen in ihren Händen.
    „Euren sturen Schädel weichklopfen.“ Mit Blick auf die Frau setzte die Kaiserliche fort: „Haltet ihn fest.“ Die kräftige Jägerin nickte und griff nach den Armen des Verletzten. Der konnte seinem beharrlichen Willen aber schon gar nicht mehr Ausdruck verleihen. Mehr schlecht als recht sträubte er sich gegen die angeblich unnötige Hilfe. So hatte sie es vorausgesehen und bereits auf der Wanderung geplant. Es brachte nichts, wenn sie sich bei seiner Gegenwehr auch noch selbst verletzte.
    Vesana setzte sich auf die Oberschenkel des Mannes und begann ihm seinen linken Stiefel auszuziehen. Anschließend krempelte sie noch das Hosenbein hoch. Der Unterschenkel schimmerte in kräftigem Rot, bekam aber bereits einen Schimmer von dunklem, fast schwarzem Blau vom Knöchel bis auf halbem Wege zum Knie hoch. „Dachte ich es mir.“ Die Kaiserliche öffnete die Box, in der sich eine Salbe befand. Es handelte sich dabei im Grunde nur um eine verdickte Variante eines Heiltranks mit krankheitshemmenden Wirkstoffen als Ergänzung. Ideal gegen Entzündungen, Blutergüsse, Quetschungen und anderen nicht offenen Verletzungen, die nur durch indirekte Behandlung geheilt werden konnten. Sie rieb die verletzte Stelle großzügig ein, was bei Oslaf für schmerzgequältes Stöhnen und Zucken sorgte.
    „Runter von mir!“, knurrte er. Vesa ließ sich nicht beirren und verbrauchte ein Drittel der Creme. Anschließend verband sie die Stelle noch mit den in einem Heiltrank getränkten Bandagen. Diese doppelte Einwirkung sollte die Entzündung hemmen und dafür sorgen, dass sich der Körper des Nords selbst regenerieren konnte. Anschließend stand sie auf und überließ das Anziehen dem Sturkopf. „Ich will Eure-“
    „Wenn Ihr in drei Tagen noch lebt, könnt Ihr mir danken. Sofern Ihr dann nicht immer noch den Wunsch haben solltet, zu sterben. Falls ja, tut es, wenn wir von der Jagd zurück sind.“ Sie wandte sich ab, ohne den Jäger anzuschauen und verstaute ihre Sachen wieder. Wulf war inzwischen aufgestanden und hatte das Geschehen beobachtet. Jetzt folgte sein Auge der Kaiserlichen, die sich mit schnellen Handgriffen ihr Schwert und die Armbrust auf den Rücken band und den Speer in die Hand nahm. Der Gruppenführer wusste genau, dass sie Recht hatte und die Nord medizinisch ausgesprochen optimistisch, folglich unterausgestattet, waren. Das sah ihm die Kaiserliche am Dank auf den rauen Zügen an. „Ich kundschafte die Gegend nach Spuren aus. Ich bin sicher, dass Ihr das Lager auch zu zweit aufbauen könnt. Wenn nicht: Ich bin nicht allzu lange unterwegs, es wird immerhin bald dunkel.“ Sie wartete keine Reaktion ab, sondern verschwand zähneknirschend direkt im Unterholz.
    Nach einigen hundert Schritten im Dickicht hielt die Jägerin dann inne und atmete tief durch. Ihre Gedanken waren bis dahin alles andere als fokussiert auf das Kundschaften. Die Zähne mahlten kräftig aufeinander, im Bauch stach die Wut um sich wie ein Berserker und vor Zorn rauschte das Blut durch ihre Adern. Kräftig schlug sie mit den Fäusten mehrere Male gegen einen nahen Baum. Schnee rutschte dabei von den nahen Zweigen. Diese dreimal verfluchten Nord und ihre Sturheit! Lieber starben sie, als Hilfe von Fremden anzunehmen. Selbst von Freunden nahmen sie sie nur im letzten Moment an. „Zum Kotzen!“ Nochmals holte sie aus und hämmerte kräftig auf das überfrorene Holz ein, bis ihr die Knöchel schmerzten. Erst dann vermochte sie durchzuatmen und ihr Gemüt herunter zu kühlen.
    Nun da sie sich abreagiert und ihrem Ärger wenigstens etwas Luft gemacht hatte, setzte Vesana ihre Erkundungsrunde konzentrierter fort. Eigentlich mochte es ihr ja gleichgültig sein können, was mit Oslaf geschah, aber wie sie zu Wulf bereits in der Nacht meinte: Im Rudel wurde sich geholfen. Sie jagten zusammen, folglich übernahmen sie Verantwortung füreinander. Genau diese Verantwortung übernahm Oslaf nicht und brachte sie alle in Gefahr. Das wiederum ließ die Kaiserliche wütend werden. Das Problem sollte sich aber in den nächsten Tagen von selbst lösen. Es war nicht das erste Mal, dass Vesana eine derartige Verletzung behandelte und sie hatte schon weitaus schlimmere Stadien gesehen, die dennoch verheilt waren. Der sture Nord würde also durchkommen.
    Kurz vor Einbruch der Dunkelheit kehrte die Kaiserliche zum Lager zurück. Wulf kümmerte sich in der windgeschützten Senke um ein kleines Feuer, Finna richtete noch den Unterstand her. Oslaf lag auf der Seite und schien entweder zu schlafen oder einfach nur zu ruhen. Sein verletztes Bein hatten die anderen beiden in eine Decke eingewickelt, der ausgezogene Stiefel stand neben der Schlafunterlage. Der Einäugige schaute auf, als er die Rückkehrerin bemerkte und nickte ihr zum Dank und Gruß zu. Vesana grüßte zurück, entledigte sich ihrer Waffen und breitete die eigenen Schlafsachen am Rand des Unterstandes aus. Zum Abschluss setzte sie sich auf einen dicken Ast neben die kleine Feuerstelle und schaute gedankenverloren in die Flammen. In Verbindung mit der einkehrenden Ruhe trugen sie sie allmählich fort in andere Zeiten.
    „Habt Ihr etwas entdeckt in der Umgebung?“, wollte Wulf wissen. Er saß ihr gegenüber und schaute über die lodernden, knisternden Lohen zu ihr hinüber. Die leuchtenden Zungen zwischen ihnen formten immer wieder Teile eines vertrauten Gesichtes.
    „Nein. Wenn da draußen jemals Spuren gewesen sind, hat sie der Sturm längst verweht.“ Sie schloss die Augen und beugte sich näher an das Feuer heran, so dass dessen Wärme die ausgetrockneten, kalten Gesichtszüge wärmen konnte. Das Kinn ruhte auf den zusammengefalteten Händen, die es über die Arme auf den Knien abstützten. So verharrte sie.
    „Dann müssen wir wohl auf gut Glück morgen losziehen“, mischte sich Finna ein, die sich dem Klang nach zu urteilen ebenfalls auf einen Ast setzte und die Hände zum Aufwärmen an die Flammen hielt. Sie wandte sich an Vesa: „Habt Dank für Eure Hilfe von vorhin.“
    Die Kaiserliche schaute nicht auf, ihre Gedanken glitten durch die glühenden Flammen hindurch und an andere Orte. Sie registrierte die Worte, aber sie drangen kaum an ihren Geist heran, mehr nur ein leises Flüstern im Hintergrund. Sie musste an einen weiteren Sturkopf denken, der für eine Weile Teil ihres Lebens gewesen war. „Dankt mir nicht“, erwiderte Vesana nach einer lang gedehnten Pause. „Geht mit diesem Starrkopf ins Gericht.“ Erst dann öffnete sie die Augen und erhob sich. „Wir sollten die Nachtwache dreiteilen. Keine unnötigen Expeditionen“, wandte sie sich an Wulf. Dieser schaute auf und gab durch ein Wippen des Kopfes seine Zustimmung kund.
    Danach verschwand die Kaiserliche in den Unterstand und bereitete sich für die Nacht vor. Immer wieder hielt sie in ihren Bewegungen inne und griff mit der Rechten an die Stelle des Hirschkopfamuletts, das unter der Kleidung verborgen lag. Kleine Tränen liefen ihr aus den Augenwinkeln. Zum Stechen in der Brust gesellte sich alsbald Wut auf sie selbst. Fast schon aggressiv wischte sich die Jägerin die Nässe von den Wangen. „Scheiße!“, zischte sie leise, so dass es niemand hörte, und deckte sich zu.



    Zum nächsten Beitrag >>
    Geändert von Bahaar (21.06.2013 um 09:32 Uhr)

  11. #11

    Solstheim, nordöstliches Inland

    << Zum vorherigen Beitrag



    Nach einer unruhigen, stürmischen Nacht hatten sich die drei gesunden Jäger aufgemacht. In den diffusen Lichtverhältnissen zwischen den dichtstehenden, hohen Bäumen suchten sie nach Spuren im Schnee. Allerdings diente ihr Ausflug eher dazu, sich einen koordinierten Überblick über die Umgebung zu verschaffen, denn tatsächlich schon mit Beute zum Lager zurückzukehren. Der Sturm tobte unverändert mit brachialer Härte und verwehte ihre eigenen Spure vor ihren Augen. Sie hatten mehr damit zu kämpfen, überhaupt voranzukommen und die kleinsten Öffnungen in ihrer Kleidung abzudichten, als dass sie sich darauf konzentrieren konnten, Wild zu erspähen. Dieses würde sich aller Wahrscheinlichkeit nach ohnehin an geschützten Stellen versteckt halten und abwarten, bis der Wind nachließ. Vesana hielt sich die rechte Hand vor den unteren Teil ihres Gesichtes, hielt Gjalunds Tuch fest und drückte die Linke gegen die rechte Seite. Weit vorgebeugt trat sie in den Spuren Wulfs, der für den Moment die Führungsarbeit in dem tiefen Schnee übernahm.
    An sich bot das Gelände in dieser Region der Insel ideale Jagdbedingungen. Dichtstehende Bäume, dichtes Unterholz, viele Felsen und zahllose Senken und Furchen im Relief. Tiere ließen sich hier gut lenken und in gewünschten Bahnen direkt in eine Falle treiben – Verstecke gab es jedenfalls genug. Wäre da nicht der Sturm. Es hatte noch nicht einmal Sinn irgendetwas vorzubereiten, weil die Gruppe überhaupt nicht wusste, wo und wie viele Beutetiere sich in der Region aufhielten. Ganz zu schweigen davon, dass eventuell errichtete Fallen vermutlich nach einigen Stunden sowieso zugeschneit, unbrauchbar und unauffindbar sein würden. Manchmal konnte eine Jagd sehr frustrierend sein, aber jeder von ihnen wusste aus Erfahrung, dass es eben mal so, mal so kommen konnte. Sie ließen sich davon also nicht beirren oder gar einschüchtern, sondern nutzten die Zeit so gut es ging.
    Wenigstens etwas Feuerholz fanden sie. Durch die Temperaturen war das Holz trotz seines gefrorenen Zustandes einigermaßen brauchbar, wenn man im Besitz des nötigen Werkzeuges war. Glücklicherweise sah sich die Kaiserlicher in der Position genau das behaupten zu können – die glühenden Steinsplitter, die sie noch am ersten Tag ihrer Wanderung durch die Aschewüste im Süden gefunden hatte, entpuppten sich als herausragend für diese Aufgabe. Wulf meinte, es handelte sich bei ihnen um Splitter so genannter Herzsteine, die es seit dem Ausbruch des Roten Berges überall im Süden der Insel zu geben schien. Abgesehen davon trieb die Kälte ohnehin die Nässe aus den Fasern des Holzes, so dass es tatsächlich sehr trocken war und sich – genügend Geduld vorausgesetzt – auch mit normalen Werkzeugen entzünden ließ. Sie luden sich jeder so viel auf, wie sie zu tragen vermochten, und kehrten schließlich am Nachmittag zu ihrem Lager zurück.
    Oslaf wartete bereits und hütete das kleine Lagerfeuer in der windgeschützten Senke. Sie hatten ihm Ruhe auferlegt und so musste er den Tag über im Unterstand verweilen und die häuslichen Pflichten der Lagerwacht übernehmen. Die Kaiserliche setzte sich direkt auf einen der mitgebrachten Äste ans Feuer, zog sich das gefrorene Tuch vom unteren Teil des Gesichtes und hielt die Hände gegen die Flammen. Die Wärme tat gut, fror doch trotz ausgezeichneter Ausrüstung so ziemlich jedes Körperteil, das sie einzeln benennen konnte. Kleine Wölkchen standen vor ihrem Gesicht und verpufften erst, als sie in direkten Kontakt mit den Lohen kamen. Das Zittern in den Gliedern und die Taubheit derselben ließen nur sehr langsam nach. „Irgendwas gefunden?“, wollte Oslaf wissen, der sichtlich Frust schob, weil sie ihm Hausarrest auferlegt hatten.
    „Nichts“, entgegnete Finna.
    „Der Sturm ist einfach zu stark. Da draußen bewegt sich nichts“, ergänzte Wulf. „Du hast also nichts verpasst.“ Der beruhigend gedachte Zusatz sorgte nur für ein verächtliches Schnaufen und anschließendes Schweigen. Vesana verspürte keinerlei Bedürfnis sich in diese Unterhaltungen einzuklinken. Es bestand auch keine Notwendigkeit dafür. Ihr Standpunkt blieb unverändert und alle kannten ihn seit dem vorigen Abend. Mit dem Einbruch der Dunkelheit versammelten sich dann alle Vier um das knisternde Feuer. Das leise Knacken der Glut und Fauchen der Flammen wurde überwiegend vom starken Wind verschluckt. Die Wärme ließ sich bald kaum mehr wahrnehmen, zu gewaltsam erstickte die Kälte alles Leben. Keiner von ihnen würde so noch lange ausharren, wenn er nicht gerade Wachdienst schob. Bevor sie sich jedoch zur Ruhe begab, kramte Vesa noch einmal ihre Heilsalbe aus ihrem Tornister.
    „Hier“, sie warf die Schachtel Oslaf zu, der sie im letzten Moment vor der Brust fing, „ich bin sicher, Ihr wisst, wie Ihr Euch eincremen müsst. Seid großzügig. Den Verband könnt Ihr noch einmal verwenden.“ Er widersprach schon gar nicht mehr, weil drei Augenpaare eindringlich auf ihm ruhten. Murrend und knurrend tat er, wie ihm geheißen. Durch das Feuer vermochte die Kaiserliche zwar nicht zu erkennen, wie die Verletzung des Beines aussah, aber da der kräftige Nord insgesamt schon einen wesentlich besseren Eindruck erweckte – die Haut weniger blass, weniger Schweiß und Talg, reduziertes Zittern und Schütteln – ging sie davon aus, dass die Behandlung anschlug. Finna wollte dem sturen Jäger helfen, doch der scheuchte sie mit hastigen, wild fuchtelnden Bewegungen der Arme weg.
    „Ich kann das selbst!“, blaffte er. „Hier.“ Nach Beenden der Handgriffe reichte er Vesana die Salbe zurück. Sie verstaute sie und verkroch sich nach Einteilung der Nachtwache im Unterstand. Die drei Nord unterhielten sich einige Zeit länger, aber sie hörte nicht hin. Es ging ohnehin nur um Belange des Dorfes, die die Kaiserliche nicht zu interessieren brauchten, also schloss sie die Augen und rollte sich unter ihrer Decke zusammen.

    Über Nacht ließ der Sturm endlich nach und am Morgen schien sogar die Sonne. Die Temperaturen stiegen merklich in die Höhe, blieben aber weiterhin weit unter dem Gefrierpunkt. Dennoch empfanden es alle als Segen verglichen mit den letzten Tagen. Oslaf blieb erneut zurück, während die übrigen sich auf Wanderschaft in der Umgebung begaben. Überall ließ sich beobachten, wie sich die Natur nach dem schweren Unwetter allmählich wieder aufrichtete. Vom Schnee herabgedrückte Äste warfen einen Teil ihrer Last ab, Spuren von Kleintieren zeichneten sich zwischen den Pflanzen ab und führten von Gebüsch zu Gebüsch. Abgerissene Zweige und Äste wurden von Bodenbewohnern davon geschleift und für Reparaturen an ihren Behausungen genutzt. Der Anblick all der Zeichen des Lebens gab Kraft. Und dann verbuchten die Jäger auch endlich den ersten Erfolg seit Tagen.
    Ein hochbeiniges Huftier hatte sich erst vor kurzem einen Weg durch den Wald gebahnt. Der schneefreien Schneise an den unteren Ästen der Nadelhölzer nach zu urteilen musste es sich um einen großen Hirschbullen handeln. Sie nahmen die Verfolgung auf und hielten sich in der Spur des Tieres, um einfacher voranzukommen. Schnell wollten die drei gar nicht so unbedingt sein, barg es doch immer die Gefahr, das Tier durch Laute zu verschrecken. Manchmal mochte der Unvorsichtige auch weitere Spuren verpassen und plötzlich einem Bären in die Fänge laufen, der das eigentliche Beutetier eher erreicht hatte. All das war Vesana – und sicher auch den anderen Jägern – bereits das eine oder andere Mal passiert. Besonders wer über noch wenig Erfahrung verfügte, steigerte sich schnell ekstatisch in das Jagdfieber hinein und beging Fehler. Allerdings sollte es ihrer Einschätzung nach bei ihr und den zwei Nord nicht mehr dazu kommen.
    Immer wieder hielten die drei inne und lauschten auf die Umgebung. Leises Knirschen oder Rauschen im Schnee legte Nagetiere nahe, die sich unter der Schneedecke fortbewegten. Manches Mal gesellten sich auch unter der weißen Last brechende Äste dazu. Leichte Windböen flüsterten zwischen den Zweigen und bliesen den lockeren Schnee von den Nadeln herab. Wie Sternenstaub glitzernd rieselten die Flocken dann zu Boden. Die Spur selbst blieb kaum verändert gut erkennbar und führte im Zick-Zack durch den Wald. Hin und wieder wurde sie von aufgewühlten Arealen unterbrochen, in denen der Hirsch wohl nach Nahrung unter der geschlossenen Decke gesucht hatte. Erkennbare Zeichen von möglichen Räubern in der Nähe fanden die Jäger jedoch nicht. Sie setzten ihre Verfolgung aber dennoch stets mit gebotener Vorsicht fort.
    Es dauerte dann noch einige Zeit, bis sie schließlich animalisches Schnaufen eines größeren Tieres unweit vor sich vernahmen. Die Quelle verbarg sich noch hinter einigem Geäst, aber dem Klang nach konnte es sich nur um den verfolgten Hirsch handeln. Die Windstille spielte den Jägern in die Hände, ihr Geruch wurde der anvisierten Beute nicht zugetragen und so blieben sie unbemerkt. Auch dann noch, als sie sich leise hinter einer Gruppe von Büschen verbargen und bedacht durch die Zweige spähten. Zur Anspannung gesellte sich nun auch eine größere Brise Aufregung. Das Ziel in Reichweite, die Bedingungen optimal – das ließ das Herz eines jeden Jägers höher schlagen. Die Atmung beschleunigte sich leicht, der Puls schwoll an und vertrieb die Kälte aus den Fingern. „Ihr sollt den Schuss erhalten, Nevara“, flüsterte Wulf. Vesa nickte nur und nahm die Armbrust von ihrem Rücken. „Finna und ich kreisen den Bullen ein und decken die möglichen Fluchtrichtungen.“ Mit diesen Anweisungen trennte sich die Gruppe auf, die andere Frau beschrieb linkerhand eine Kreisbahn, der Einäugige rechterhand. Die Kaiserliche legte inzwischen zwei Bolzen auf und spannte vorsichtig, um den Hirsch nicht durch laute Geräusche zu alarmieren, die Sehne. Zwar würde sie so weniger präzise sein, auf die kurze Entfernung machte das aber keinen Unterschied, und konnte dafür gleichzeitig mit einem Schuss zweifachen Schaden anrichten.
    Den linken Fuß setzte sie auf den Boden, ging auf das rechte knie hinab und hielt die Armbrust schräg nach unten vor sich. Gedanklich ging Vesana in den Momenten des Wartens mögliche Ausgänge der folgenden Geschehnisse durch. Der Bulle – ein wahres Prachtexemplar mit imposantem Geweih, hohen Beinen und einem kräftigen Körper mit gepflegt wirkendem, dunklem Fell – konnte nur leicht verletzt werden und panisch durchgehen. Das wäre der gefährlichste Ausgang, vor allem für die beiden Nord, die dem Tier dann im Weg stehen würden. Die Jägerin mochte ihn aber auch direkt so schwer verletzten, dass er zusammenbrach und sie ihm nur noch einen Gnadenstoß versetzen mussten. Vielleicht verlor er aber auch in der Panik einfach die Orientierung unabhängig der möglichen Verletzungen und wäre weiterhin in Reichweite für nachfolgende Schüsse mit der Armbrust. Was wohl niemand von ihnen hoffte, aber dennoch denkbar schien, war das plötzliche Auftauchen eines Raubtieres, das ihnen die Jagdbeute streitig machen wollte. Allerdings gab es dafür zumindest bislang keine Hinweise.
    Kurz darauf musste sie ihre Überlegungen und Abwägungen aber auch schon einstellen. Wulf tauchte kaum erkennbar in der Nähe eines Baumes auf der anderen Seite der kleinen Lichtung auf, die der Hirsch zum Weiden nutzte, und winkte. Das Zeichen, zu beginnen. Nur angedeutet sah sie, wie er seinen Speer abwehrbereit vor sich hielt. Vesana selbst erhob sich nun leicht und schaute über den Busch, der ihr Deckung geboten hatte. Sie stand im toten Winkel schräg hinter dem Bullen, so dass dieser sie nicht bemerkte und ihr einigermaßen genug Zeit zum Anvisieren blieb. Die Luft hielt sie an und ließ sie erst heraus, als sie abdrückte. Mit einem lauten, mechanischen Klicken löste sie den Mechanismus aus. Ein kräftiger Ruck fuhr durch die Waffe, als die bis aufs Äußerste gespannte Sehne nach vorne schnellte und die Spannung in den Vorwärtstrieb der Bolzen umwandelte. Surrend flogen die Geschosse durch die Luft.
    Keinen Lidschlag später endete das scharfe Schneiden abrupt und mündete in einem gepeinigten Stöhnen des Hirschs. Einer der Bolzen traf ihn in die Schulter und schien das Gelenk direkt durchschlagen zu haben. Das Tier lahmte mit dem rechten Vorderlauf, als es sich panisch versuchte zu Drehen und die verletzte Seite von der Quelle des Angriffs abzuwenden. Der Zweite traf weniger effektiv etwas nach unten versetzt in die Brust. Es kam zum dritten, vorher in Erwägung gezogenen Ausgang. Der Bulle drehte sich orientierungslos im Kreis und zog das verletzte Bein nach. Gleichzeitig sprangen Finna und Wulf mit den Speeren drohend erhoben aus den umliegenden Büschen und vollführten Stiche in die Luft, um das Tier von einer Flucht abzuhalten. Es direkt anzugreifen wäre auch höchst töricht gewesen, denn es hätte schon ein einziger Treffer mit dem Geweih gereicht, um die Jäger schwer zu verletzen.
    In der Zwischenzeit legte Vesana einen weiteren Bolzen auf und spannte die Armbrust neu. Als der Hirsch wieder in ihre Richtung schaute, hatte sie die Waffe bereits im Anschlag und schoss erneut. Der kurze Schaft verschwand vollkommen von vorn in der Brust des Tieres. Dieses wurde augenblicklich träge in seinen Bewegungen. Die Augen verloren an Glanz, glitten langsamer werdend über die Umgebung. Die lange Zunge baumelte schlaff wie ein Lappen aus dem Maul. Mit den Füßen fand es nur noch wenig Halt und konnte sie auch kaum noch heben. Sie schürten mehr nur noch durch die lockere Schneedecke, die sich zunehmend mit dem Blut der Jagdbeute rot einfärbte. Der Todeskampf des Bullen endete, als er kraftlos zusammenbrach und sein massiger Leib zu Boden fiel, wie ein voller Sack Kartoffeln aus einem Regal. Die drei Jäger hielten jedoch noch einige Momente respektvollen Abstand bis sich nicht einmal der Brustkorb hob und senkte, bis auch kein Blut mehr aus den Verletzungen quoll.
    Vesa befestigte die Armbrust auf dem Rücken und kniete sich als erste neben ihren ersten Jagderfolg, während die beiden Nord noch einen prüfenden Blick über die Umgebung schweifen ließen und erst dann die Speere in den Boden rammten. Die Kaiserliche barg die zwei Bolzen in der Flanke des Hirsches, sie ließen sich noch wiederverwenden, den dritten würde sie erst nach Zerlegen der Beute bergen können. „Gut geschossen“, lobte Wulf und half dabei, den gut und gerne fünfhundert Pfund schweren Koloss transportfähig zu machen, damit sie ihn später im Lager ausschlachten konnten. Das Tier würden sie kaum im Ganzen über längere Strecken transportieren können. Sie mussten alles überflüssige Gewicht – vor allem die Knochen – zurücklassen, wenn sie noch etwas mehr Fleisch mit zum Dorf zurückbringen wollten.
    „Kinderspiel“, entgegnete Vesana schließlich, als sie den Bullen soweit hatten, dass sie ihn zu Oslaf und dem Unterstand bringen konnten. Es dauerte sicher noch einmal doppelt so lange wie die eigentliche Jagd, bis sie letztlich am Nachmittag auch dort ankamen. Der sture Nord mit kahler Schädelplatte erwartete sie bereits und wirkte verglichen mit den drei schwer keuchenden Rückkehrern sogar ausgesprochen frisch und ausgeruht. Einen neidischen Blick vermochte er nicht zu unterdrücken, als sie mit dem toten Tier durch die Büsche kamen und es am Rand der Senke ablegten.
    „Du weißt, wie Du Dich beschäftigen kannst, Oslaf.“ Wulf warf dem Langbärtigen ein Lederbündel zu, aus dessen einen Ende mehrere schlanke Messergriffe herausschauten. Der Angesprochene nickte nur und machte sich daran, den Hirsch zu zerlegen. Vesana überlegte kurz, ob sie ihn auf den noch in der Brust steckenden Bolzen hinweisen sollte, unterließ es dann allerdings. Er würde es schon selbst herausfinden. Stattdessen entledigte sie sich ihrer Waffen und legte sie auf ihren Tornister, der sich neben ihrer Schlafstatt im Unterstand befand. Anschließend ließ sie sich rücklings auf die Leder- und Fellunterlage mit der Decke darauf fallen und schloss die Augen. Die Hände platzierte sie flach auf dem Bauch und atmete tief ein und aus. Gedanklich rekapitulierte die Kaiserliche noch einmal das Jagdgeschehen ab dem Zeitpunkt, ab dem sie die Spur des Bullen aufgenommen hatten bis zu seinem letzten Atemzug. Auch nach ihrer Analyse blieb der Tag fehlerfrei, eine perfekt gelungene Jagd. Niemand hatte sich verletzt, das Tier musste nicht unnötig lange leiden und es brachte genug Fleisch für zwei kleinere Beutetiere, so dass sie sich alles in allem sehr zufrieden geben konnten.
    Als sie sich wieder erhob, wühlte Oslaf bis zu den Ellenbogen im Rumpf des Hirsches herum und entnahm ihm die Eingeweide eines nach dem anderen. Der Schnee triefte rot, ebenso seine Hände und Unterarme. Beutel lagen neben dem knienden Nord auf dem Boden, sie beinhalteten die essbaren Organe wie Leber und Herz. Die anderen stapelten sich auf einer Lederunterlage. Sie würden am Ende irgendwo im Wald landen, um als Ablenkung für Räuber zu dienen bis der Rest mit samt dem Blut auf dem hellen Grund gefroren war und sie nicht mehr durch seinen Geruch anlocken konnte. Die knöchernen Rückstände würden sie auch irgendwo im Unterholz entsorgen – zumindest soweit sie nichts davon sofort verwerteten. Finna und Wulf saßen am wie gewohnt klein gehaltenen Feuer, wärmten sich die Hände und sprachen miteinander über die Jagd sowie die nächsten Tage. Vesana gesellte sich dazu.
    „Ah, da seid Ihr ja“, meinte der Einäugige, als er sie bemerkte.
    „Da bin ich“, erwiderte sie nur und setzte sich.
    „Eine gute Jagd, die wir da heute geführt haben“, stellte Finna fest.
    „Zu dem Ergebnis bin ich auch gekommen. Hoffen wir, dass unser Glück so anhält.“ Die Kaiserliche rieb sich mit etwas Schnee das vom Schweiß verklebte Gesicht ab und trocknete es in der wärmenden Aura der Flammen.
    „Wir sind gerade dabei gewesen, die nächsten Tage zu planen. Mit dem frischen Fleisch wäre es wohl am sinnvollsten, wenn weiterhin einer im Lager bleibt und zumindest etwas auf Räuber achtet.“ Wulf legte eine kurze Pause ein, während der er einen neuen Ast ins Feuer legte. „Nicht, dass der sich mit einem ausgewachsenen Bären anlegen soll, aber es gibt auch kleinere Futterdiebe hier.“
    „Sicher nicht Oslaf, er würde uns dafür bestimmt jedem einzelnen die Glieder umdrehen“, entgegnete Vesana. Die beiden Nord lachten.
    „Ganz recht, das würde ich tun!“, brummte der Kahlköpfige aus dem Hintergrund. Die Kaiserliche schmunzelte leicht, die anderen beiden lachten abermals.
    „Finna hat sich bereits freiwillig gemeldet, sofern Ihr nicht um jeden Preis hier bleiben möchtet, würde sie es übernehmen.“
    „Nein, einverstanden“, stimmte Vesa zu. Für den Rest des Abends hielt sich die Jägerin dann wie gewohnt eher aus den Gesprächen zurück. Oslaf gab ihr noch die in zwei Teile zerbrochenen Reste ihres Bolzens zurück, nur die stählerner Spitze behielt sie, ansonsten sah die Kaiserliche kaum Anlass, sich in die Alltagsgespräche der Nord einzumischen. Sie begleitete die drei für die Jagd, nicht um Geschichten zu erzählen.



    Zum nächsten Beitrag
    Geändert von Bahaar (28.06.2013 um 10:19 Uhr)

Stichworte

Berechtigungen

  • Neue Themen erstellen: Nein
  • Themen beantworten: Nein
  • Anhänge hochladen: Nein
  • Beiträge bearbeiten: Nein
  •