Allgemein
News
News-Archiv
Partner
Netzwerk
Banner
Header
Media
Downloads
Impressum

The Elder Scrolls
Arena
Daggerfall
Spin-offs
Romane
Jubiläum
Reviews
Welt von TES
Lore-Bibliothek
Namens-
generator

FRPGs

Elder Scrolls Online
Allgemein
Fraktionen
Charakter
Kargstein
Technik
Tamriel-
Manuskript

Media

Skyrim
Allgemein
Lösungen
Tipps & Tricks
Steam-Kniffe
Review
Media
Plugins & Mods

Oblivion
Allgemein
Lösungen
Tipps & Tricks
Technik
Charakter
Media
Plugins & Mods
Kompendium

Morrowind
Allgemein
Lösungen
Tipps & Tricks
Media
Plugins & Mods

Foren
The Elder Scrolls Online
Hilfe & Diskussion

Skyrim
Hilfe & Diskussion
Plugins & Mods

Ältere TES-Spiele
TES-Diskussion
Oblivion-Plugins
Morrowind-Plugins

Community
Taverne zum Shalk
Adventures of Vvardenfell
Tales of Tamriel
Ergebnis 1 bis 20 von 108

Thema: [Sky] Rollenspielthread #1 (Signatur aus)

Hybrid-Darstellung

Vorheriger Beitrag Vorheriger Beitrag   Nächster Beitrag Nächster Beitrag
  1. #1

    Himmelsrand, Weißlauf

    << Zum vorherigen Beitrag



    „Wie lange dauerte Eure Reise an?“, wechselte der Justiziar das Thema.
    „Ich bin vor inzwischen achteinhalb Wochen von Weißlauf aufgebrochen. Das können Euch die Mitglieder der Gefährten bestätigen“, antwortete Vesana wahrheitsgemäß.
    „Hmhmm.“ Das Pergament füllte sich allmählich mit Schriftzeichen. „Was war der Grund für Eure Reise?“
    „Private Gründe.“
    „Zum Beispiel?“
    Die Jägerin schloss für einen kurzen Moment die Augen, um durchzuatmen. Die Skepsis und Zweifel, die der Nord hinter seinen kühlen Formulierungen verbarg, stachen wie ein Dolch aus dem Schatten zu und versuchten sie zweifelsfrei aus der Ruhe zu bringen. „Gründe jener Art, die nichts mit meiner Verbindung zu diesem Mann“, sie nickte in Richtung Hrothluf ohne die Augen von Elgryr zu nehmen, „zu tun haben und Euch somit nichts angehen.“ Nur mit Mühe hielt sie den Zorn in ihrer Stimme in einem vertretbaren Rahmen, gleichzeitig fraßen sich aber auch Unsicherheit und Selbstzweifel in sie hinein. Der rohthaarige Nord auf der anderen Seite des Tisches war inzwischen noch stiller geworden, als es der Knebel in seinem Mund ohnehin schon provozierte. Die hauchdünnen Fältchen um seine Augen verrieten seine Zufriedenheit damit, die Kaiserliche unter den Fragen des Justiziars straucheln zu sehen.
    Elgryr nahm ihre Antwort ohne ein Zucken schriftlich zur Kenntnis. „Wie lange wart Ihr vor dieser Reihe für die Gemeinschaft der Gefährten tätig?“
    „Mehrere Jahre.“
    „Und davor?“
    „Für die Kämpfergilde in Bruma.“
    „Gut.“ Mehr sagte er dazu nicht. Es konnte ebenso gut bedeuten, dass er sie für schuldig hielt, wie dass er sie unschuldig befand. „Wache, entfernt die Mundfessel dieses Mannes.“ Hrothluf holte erst einmal tief Luft und schien Speichel im ausgetrockneten Mund zu verteilen.
    „Ihr habt gestanden, Skooma geschmuggelt zu haben, ist das richtig?“
    „Dafür besteht scheinbar keine Notwendigkeit.“
    „Erzählt nochmals, wie Ihr diese Frau“, der Justiziar nickte in Vesanas Richtung während er den Rothaarigen anschaute, „kennt.“ Ihr Magen drehte sich um und leichtes Zittern ergriff von ihr Besitz, das sie mit dem Wippen des linken Fußes abzuleiten versuchte.
    „Wir sind seid einigen Jahren Geschäftspartner“, log Hrothluf in einer Ruhe, die ihn beängstigend glaubhaft erscheinen ließ. Kein Zucken, kein nervöses Tippen der Finger verriet, dass er so weit von der Wahrheit entfernt war, wie die Monde am Himmel hoch standen. „Wir sind uns irgendwann einmal in der hiesigen Taverne begegnet.“
    „Weshalb wart Ihr in Windhelm?“
    „Wir wollten uns dort treffen.“
    „‚Wir‘ heißt …?“
    „Meine Partnerin und ich.“ Alles in Vesa verlangte danach diesem elenden Lügner den Hals umzudrehen, ihn anzuschreien und zu quälen bis er langsam starb. Der Mund stand in Fassungslosigkeit kaum merklich leicht geöffnet und die Lippe zog sie unterbewusst linksseitig etwas hoch, so dass die spitzen Eckzähne aufblitzten. Die Finger krallten sich fester und ihr wurde allmählich übel. Von den Kopfschmerzen ganz zu schweigen.
    „Wie wurde dieses Treffen vereinbart?“
    „Sie schrieb mir einen Brief.“
    „Diesen Brief?“ Der Justiziar winkte eine Wache mit dem erhobenen Zeigefinger zu sich und bekam einen Umschlag gereicht, aus dem er gleich darauf ein Stück Papier holte. „Trefft mich in einer Woche in der Taverne in Windhelm. Gezeichnet N.. Diesen Brief?“
    „Ja, dieser.“
    „Das ist“, platzte es aus Vesana unkontrolliert heraus, bevor sie sich wieder beherrschte, „schlicht nicht möglich.“
    „Ich bat Euch nicht zu Wort.“
    „Verzeiht.“
    „Aber wo Ihr doch schon anfangt, so sagt, warum es nicht möglich sein soll.“
    „Gjalund Salz-Weiser fährt lediglich alle paar Tage von Rabenfels nach Windhelm und er ist der einzige, der dies tut. Ich hätte einen Brief nur über sein Boot nach Himmelsrand senden können und von Windhelm hätte ein Bote übernehmen müssen. Der Brief wäre somit weit über eine Woche unterwegs bevor er diesen Mann dort erreicht hätte.“
    „Nun, wir wissen nicht, ob Ihr wirklich auf Solstheim wart, oder?“ Sprachlos starrte Vesana zurück. Elgryr schien nicht das geringste Interesse daran zu haben, Ihr zu glauben. Hrothluf lächelte schmal und überlegen.
    „Weshalb wollte diese Frau mit Euch nach Weißlauf?“, fragte er ohne weiter auf die Kaiserliche einzugehen den rothaarigen Nord.
    „Das sagte sie mir nicht.“
    „Und Ihr machtet es weshalb?“
    „Wir sind Geschäftspartner, da macht man so etwas.“
    „Hmhmm. Welchen Grund könnte sie gehabt haben, Euch zu verraten?“
    „Das wüsste ich auch gern, denn ich habe keine Ahnung.“
    „Gut.“ Der Justiziar legte die Feder neben dem Tintenfass ab und pustete über die letzten, frischen Zeichen auf dem Pergament vor ihm, bevor er es zusammenrollte und die Hände über ihm zusammenfaltete. Inzwischen knirschte Vesa wieder mit den Zähnen und rang mit den heftiger stechenden Kopfschmerzen. Sie raubten ihr mittlerweile die Fähigkeit, wirklich klar zu Denken und sich eine Lösungsstrategie zu überlegen. Doch dafür sollte zunächst keine Notwendigkeit mehr bestehen, denn Elgryr sprach weiter. „Wachen, führt diesen Mann zurück in seine Zelle und geleitet diese Frau nach draußen.“
    Was?!“, platzte es aus dem Nord heraus. Der Kaiserlichen fielen die ineinander verkrampften Hände auseinander und unkontrolliertes Zucken ob der Überraschung ergriff von ihrer linken Augenbraue Besitzt.
    „Ganz recht. Ihr“, der Jutiziar schaute Hrothluf an, „wurdet mit dem Skooma festgenommen. Sie nicht. Es steht also einzig Aussage gegen Aussage, wobei sich ihre Geschichte schnell überprüfen lassen sollte. Sofern Ihr mir nicht benennt, an wen die Ware geliefert werden sollte, steht Eure Aussage folglich allein, was mir insgesamt wiederum keine andere Wahl lässt, als Eure ‚Partnerin‘ vorläufig wieder frei zu lassen – hier herrscht das Gesetz und nicht die Willkür jener, die es zu brechen gedenken.“ Damit erhob sich der edel gekleidete Nord, nahm die Pergamentrolle vom Tisch und verließ das Zimmer.
    Die Gardisten, die an der Wand hinter dem Untersuchungsführenden des Jarls gestanden hatte hievten nun Hrothluf auf die Füße und schleiften in ebenfalls aus dem Raum. Er schien zu schockiert, als dass er sich zu wehren vermocht hätte. Das Rasseln seiner eisernen Fesseln verhallte bald in den Weiten des Kerkers. Noch immer in Schockstarre harrte Vesana als letzte der Verhörsteilnehmer am Tisch aus. Erst als die Wache, die ihren Helm abgesetzt hatte, den Dolch der Jägerin vor ihr auf dem Tisch ablegte, riss sich diese los. Geistesabwesend und durcheinander nahm sie sich ihre Waffe und stand auf. Schweigend und zu kaum mehr als einer Mischung aus Erleichterung, Wut und Verwunderung im Stande, trottete sie den Wachen hinterher. Ein Gedanke jagte den nächsten und es war ihr unmöglich zu sagen, wie viel der Unruhe tatsächlich auf das eben beendete Verhör zurückging und was nicht doch von Kopfschmerzen und Mondphase, oder der Wut auf ihre eigene Dummheit kam.
    Egal was, erst an der frischen Luft gewann die Kaiserliche ihre Standfestigkeit zurück. Mit gestrafften Schultern und aufrecht wollte sie mit schnellen Schritten nach Jorrvaskr zurückkehren.



    Zum nächsten Beitrag >>
    Geändert von Bahaar (25.01.2014 um 13:54 Uhr)

  2. #2

    Himmelsrand, Weißlauf

    << Zum vorherigen Beitrag



    Mit straffen Schritten ließ sie die Drachenfeste hinter sich und stapfte die zahlreichen Stufen hinab zum Platz des Güldengrünbaums. Erst dort verlangsamte sie ihr Tempo und blieb bald darauf stehen, als sie die Traube von Leuten bemerkte, die sich am oberen Ende der Stiege zum Marktplatz versammelt hatte. Aufgeregt redeten die Menschen dort miteinander und reckten sich immer wieder in die Höhe um über die Köpfe derer zu spähen, die vor ihnen Standen. Noch immer wütend, dennoch auch neugierig geworden, näherte sich Vesana der Meute und schob sich an den Rand, um besser sehen zu können. Schnell klärte sich auf, warum sich so viele Leute hier zusammengefunden hatten.
    In der Mitte des kleinen Platzes, der von zahlreichen Ständen, der Taverne und den Läden der Alchemistin und Belethors eingerahmt wurde, stand ein einfaches Holzgerüst mit erhobener Plattform und einer Balkenkonstruktion darüber. Von dem Querbalken baumelte ein dickes Seil, das sich am unteren Ende in eine Schlinge formte. Drei hochgewachsene Männer, die unterschiedlicher nicht sein konnten, standen auf dem Galgenbau. Ein sehr gepflegter Nord in feiner Kleidung, nicht so aufgeblasen wie Elgryr, aber doch hochwertig. Augenscheinlich ein Beauftragter des Jarls. Der nächste trug zu seiner groben Lederkleidung eine einfache Stoffmaske, die seinen Kopf verhüllte – der Henker. Und der Letzte im Bunde mit den Händen auf dem Rücken gefesselt, nun den kannte die Kaiserliche nur zu gut. Zweimal war er ihr inzwischen begegnet. Einmal hatte sie ihn entkommen lassen und ein weiteres Mal sträubte er sich gegen seine Verhaftung. Seine Erscheinung wirkte inzwischen durch und durch gebrochen. Die Schultern hängend, der Kopf gesenkt und die Leinenkleidung, die den Verurteilten im Kerker des Fürsten zugeteilt wurde, von oben bis unten verdreckt und zerschlissen. Leichtes Zittern hielt den Straßenräuber in festem Griff.
    Wenigstens etwas Erfreuliches an diesem Tag, dessen Wetter sich inzwischen der Stimmung der Jägerin angepasst hatte und mit feucht-kühler Luft, sowie der Abwesenheit der Sonne aufwartete. Zwar vermochte es kaum, ihren Groll und die Lust, einen gewissen Nord seines Lebens zu berauben, zu besänftigen, doch wenigstens entlockte es ihren versteinerten Gesichtszügen vorrübergehend ein schiefes, gefälliges Lächeln. Der Mann in der guten Kleidung entrollte eine Schriftrolle und reckte sich der Menge entgegen. „Raindaal Wulfgar Bärenpranke, Ihr wurdet der folgenden Verbrechen für schuldig befunden“, rief er laut aus und hob anschließend kurz den Kopf, um über die Menge zu blicken. Diese grölte bereits. Eine Frau rief „Hängt Ihn endlich!“ von der Seite und andere stiegen ein. „Diebstahl!“, begann der Nord auf dem Podest die Liste. „Räuberei!“, setzte er fort und ließ jedes Mal einige Lidschläge Pause bevor er weiter aufzählte. „Mord in drei Fällen!“ Die Menge tobte. „Tod!“, riefen einige aus unterschiedlichen Richtungen. „Und Belästigung des Jarls!“, endete der Sprecher. Er senkte die Schriftrolle und blickte erneut über die versammelten Leute. „Ihr wurdet deshalb zum Tode durch den Strang verurteilt.“ Anschließend trat er etwas zu Seite und ließ den Henker den Verurteilten vorführen. „Habt Ihr letzte Worte, die Ihr uns mitteilen möchtet?“
    „Ich habe niemanden getötet“, sprach er so leise, dass es Vesana nicht vernommen hätte, wären ihre Sinne nicht bereits überempfindlich geschärft.
    „Was für eine Verschwendung letzter Worte“, spottete der gut gekleidete Nord, die Zuschauer stiegen in sein verhaltenes Lachen ein, und gab dem Henker per Handzeichen zu verstehen, dass er beginnen solle. Kraftvoll stieß er den Räuber nach hinten unter den Balken, legte ihm die Schlinge um den Hals und zog sie fest. Anschließend trat er zur Seite an einen Hebel und packte ihn mit beiden Händen.
    Das Gesicht des Verurteilten nahm nun trauervolle, kreidebleiche Züge an. Es sah von dort, wo die Jägerin stand, so aus, als würde er weinen. Das Zittern verstärkte sich und hätte ihn der Strick nicht daran gehindert, er hätte sich wohl vorgebeugt und wäre auf die Knie gefallen. Doch viel mehr gab es von ihm auch nicht zu sehen. Nach einem Kopfnicken des Sprechers zog der Henker an dem Hebel und eine Klappe im Boden des Podestes, direkt unter den Füßen des Räubers, sprang auf. Der kümmerlich erscheinende Nord fiel nicht sehr tief in den Strick und baumelte mit den Knien auf der Höhe der Luke.
    „Sein Genick ist nicht gebrochen!“ – „Ooh.“ – „Haha!“ Die Meute lachte ihn schallend aus, während sich das Blut im Kopf des Verurteilten staute und sein Gesicht rot anlaufen ließ. Die Beine stießen willkürlich in die Luft, als könnten sie so den Druck auf den Hals verringern. Der Todeskampf dauerte nicht lange. Bald hing er still und so schnell, wie sich die Menge versammelt hatte, löste sie sich wieder auf.
    Inzwischen fröstelnd ob der kühlen Windstöße und der unangenehmen Luftfeuchte, die die Eindrücke aus dem Kerker frisch hielt, machte sich Vesana schließlich auf den Weg nach Jorrvaskr. Die Vorstellung, wie Hrothluf bald an einem eigenen Strick baumeln würde, ließ das bitter-süße Schmunzeln auf ihren Lippen noch einige Zeit vorhalten, aber als sie die Eingangstür zur Halle der Gefährten erreichte, war es verflogen und die reine Wut blieb in ihrer Brust zurück, wie glühende Kohlen.
    „Da bist Du ja endlich!“, begrüßte sie sogleich Farkas, der mit seinem Bruder am zentralen Feuer der Halle saß und die sich gleichzeitig umgedreht hatten, als sie die Tür öffnete.
    „Hier bin ich.“ Die Erleichterung auf den gezeichneten Gesichtern der ungleichen Nord verflog in der Dauer eines Herzschlages.
    „Was ist passiert?“, wollte Vilkas wissen, doch hob die Kaiserliche abwehrend und ablehnend die Hände.
    „Ist der Übungsplatz frei?“, stellte sie eine Gegenfrage, der Nord wirkte etwas irritiert und zog die Augenbraue hoch, nickte dann aber. „Schnapp Dir ein Schwert.“ Sie musste sich abreagieren, bevor sie auch nur ein Wort über die Vorfälle in der Drachenfeste verlor. Schnurstracks verschwand Vesa nach unten in ihr Zimmer und entledigte sich ihrer Sachen. Anstatt der zierlich-weiblichen, saphirblauen Tunika warf sie sich eine einfache in beige über und band sie mit einem Gürtel fest. Statt der Sandalen nahm sie sich festere Lederschuhe und die Haare zähmte sie in einem Pferdeschwanz, den sie mit einem Lederband festschnürte. So gekleidet ging sie zur Waffenkammer und traf dort mit Vilkas zusammen, der bereits am Tisch mit den Übungswaffen stand. Da er es besser wusste, unterließ er eine weitere Nachfrage. Seine Gefährtin würde von selbst zu sprechen beginnen, wenn sie sich dazu bereit fühlte. Aber dafür mussten sie erst einmal einige Schläge austauschen.
    Ohne großes Überlegen nahm sich Vesana gleich zwei Übungsschwerter und wandte sich zum Gehen. Ihrem Kampfpartner schenkte sie ein knappes „Danke“ und wartete, bis er soweit war. Zwar hielt er bereits ein Schwert in der Hand, bei ihrer Waffenwahl griff er allerdings dann doch noch nach einem leichten Schild an der Wand und folgte ihr schließlich. Gemeinsam traten sie auf die Terrasse hinter der Halle der Gefährten, wo Farkas und Skjor, aber auch einige der übrigen Gefährten warteten. Aela kam hinter der Ecke des Hauses hervor und gesellte sich dazu. Offenbar hatte sich herumgesprochen, was gleich passieren würde. Es störte die Kaiserliche nicht. Sollten sie ruhig zuschauen.
    Leichtfüßig, beinahe springend und auf die Zehenspitzen gestellt nahm die Kaiserliche die Stufen hinab zum Übungsplatz und rüttelte so gleich die Beinmuskulatur wach. Während sich die Schaulustigen an Pfeiler und Tische auf der Terrasse lehnten oder die Stühle zurechtrückten und sich setzten, brachten die beiden Kontrahenten einige Schrittlängen Abstand zwischen sich. Die Knie gebeugt, das Gewicht auf den Zehenspitzen und die Schwerter links und rechts der Hüfte lockend kreisend wartete die Jägerin darauf, dass ihr Gefährte ebenfalls das Zeichen gab, bereit zu sein. Lauernd wie ein hungriger Wolf, der seine Beute im Visier hat, und für den der richtige Moment wie ein Leuchtfeuer zum Angriff einlud, ging sie ohne auch nur einen Moment zu zögern direkt in den Angriff über als Vilkas den Schild ob und seine Waffe zum Stich bereit über dessen obere Kante hielt.
    Seinen Gegenangriff aus der Deckung der Holzscheibe heraus lenkte die Kaiserliche mit einem Schlag des rechten Schwertes ab und drehte sich einmal um die eigene Achse um aus der Bewegung heraus mit dem Linken auf ihn einzudreschen. Er blockte mit dem Schild und der erste Abtausch endete damit, dass sie genau andersherum wieder auf Abstand gingen. Ihr Herzschlag hatte sich adrenalingeladen in den wenigen Augenblicken schmerzhaft beschleunigt und sie musste sich dazu zwingen, ruhig zu atmen. Ihrem Kumpan erging es nicht anders, wie sie an seinem leicht geöffneten Mund erkannte. „So. Vesa“, begann er zwischen den Atemzügen abgehackt zu sprechen. „Was genau-“, weiter kam er nicht, bevor die Kaiserliche wieder auf ihn zueilte.
    Unter dem hoch angesetzten Stich des einen Schwertes drehte sie sich durch und hieb aus der Deckung ihres Körpers mit dem anderen tief. Der zweite Block kam hastig und unsauber geführt ob der hohen Geschwindigkeit, in der die Schläge folgten, und so taumelte Vilkas einen Schritt nach hinten und kam gar nicht dazu, einen Gegenangriff zu starten bevor die Jägerin ihre Drehung abrupt stoppte und mit dem nächsten Schritt in seine Richtung genau in die andere Richtung um die eigene Achse wirbelte. Beide Waffen gleichauf führend, musste der Nord sowohl hoch, wie auch tief die hölzernen Klingen abwehren. Dem auf Kopfhöhe entging er, indem er sich duckte. Den auf seinen Oberschenkel zielenden Hieb fing der Schild ab. Der ungebremste Schwung des oberen Schlages brachte die Kaiserliche aus dem Gleichgewicht und so strauchelte nun sie an ihrem Kontrahenten vorbei. Der brachiale Stopp ihrer zweiten Waffe verstärkte das Ungleichgewicht in ihrer Balance noch mehr und genau das nutzte Vilkas.
    Nur knapp wich sie seinem Schildschlag aus und fing sein Schwert mit den gekreuzten ihren ab. So verkeilt hielten die Beiden vorrübergehend inne, bevor sie sich gegenseitig wegzustoßen versuchten und abermals Abstand nahmen. Sie keuchten und Schweiß rann ihnen trotz der frischen Luft in Strömen über die Haut. „Also“, setzte der Nord erneut an. „Was genau – ist in der – Drachen-feste – geschehen?“, fragte er.
    „Hrothluf“, stieß sie aus und suchte fieberhaft eine Lücke in seiner Deckung. Der hohe Blutdruck, der in ihren Ohren rauschte und die Umgebungsgeräusche trotz ihrer Überempfindlichkeit übertünchte, brachte außerdem ihre Kopfschmerzen zum Anschwellen. Heftige Stiche durch die Schläfen ließen sie leise aufstöhnen und die Sicht einseitig kurzzeitig verschwimmen.
    „Wie, Hrothluf?“, hakte Vilkas in der Zwischenzeit nach.
    Von den Schmerzen im Schädel nur noch weiter aufgebracht, versuchte Vesana aber gleich darauf noch einen Angriff. „Er“, presste sie heraus, während sie einen Schlag gegen sein Knie führte. „Bezichtigt“, folgte mit dem nachgezogenen zweiten Schwert auf gleicher Höhe. „Mich“, sie rollte sich unter seinem Hieb auf die Brust hindurch ab. „Der“, noch im Aufstehen trat sie ihm von hinten in das rechte Knie. „Mittäterschaft!“ Vilkas sackte zusammen und ließ sich weiter nach rechts fallen, um die parallel geführten Schwerter, die auf seinen Hals zielten, mit dem Schild abzufangen und nach einer aus der Bewegung folgenden Rückwärtsrolle wieder auf die Füße zu kommen. Eine Pause hielt Einzug.
    „Absurd!“
    „Das sagte ich Elgryr auch.“
    „Elgryr?“
    „Der Justiziar des Jarls.“
    „Aber?“
    „Er scheint nicht überzeugt und ließ mich nur gehen, weil Hrothlufs Aussage allein steht, meine jedoch dank euch hier und Zeugen auf dem Weg überprüfbar ist.“
    „Hmpf.“
    Diesmal war es der Nord, der attackierte. Mit dem Schild frontal zustoßend sah sich die Kaiserliche gezwungen näher an die Außenmauer Weißlaufs auszuweichen, die ihre nötige Bewegungsfreiheit erheblich einschränkte. Den Hieb ihres Kontrahenten lenkte sie im letzten Moment am, doch baute sich Vilkas gleich darauf wieder vor ihr auf und streckte ihr den Schild entgegen. Bevor er ein weiteres Mal nach ihr zu schlagen vermochte trat sie nach hinten aus gegen die Wand, hieb gleichzeitig gegen seinen Kopf und zwang ihn das schützende Stück Holz zu heben. In dem Moment drückte sich die Jägerin von einem der groben Steine in der Stadtmauer ab und warf sich auf den über sein Haupt erhobenen Rundschild. Mit dem Rücken darüber rollend kam sie hinter dem Nord auf die Füße und brachte schnell einige Schrittlängen zwischen sie beide.
    „Stehen denn Zeugen in Aussicht, die Hrothlufs Geschichte unterstützen?“
    „Nicht, wenn er den Empfänger der Waren nicht preisgibt.“
    „Mich wundert, dass der Justiziar überhaupt soweit mitgeht, seine Geschichte für möglicherweise wahr zu halten.“
    „Hrothluf hat einen Brief.“
    „Was für einen Brief?“
    „Keine Ahnung, von wem – vielleicht sein Geschäftspartner, wie weiß. Er ist mit N. unterzeichnet und besagt, dass Hrothluf den Absender in einer Woche in Windhelm treffen soll“, berichtete die Kaiserliche.
    „Und was hat das mit Dir zu tun?“
    „Du weißt, wie ich mich auf Reisen nenne.“
    „Oh.“ Für einen kurzen Moment erschlafften die Muskeln des Nords sichtbar, als er die Überraschung dieser Nachricht verdaute. Vesana nutzte diese Gelegenheit nicht, sondern ließ ihr Gespräch zunächst fortlaufen. „Und ich nehme an, er hat sich bereits eine ansonsten ganz gut passende Geschichte ausgedacht?“
    „Das hat er in der Tat. Besonders, da er auf der Reise mehr Fragen gestellt hat, als ich zu ignorieren in der Lage war.“ Mit neuerlich aufquellender Wut und einem tiefen, animalischen Grollen in der Kehle ging sie abermals ohne Vorwarnung in den Angriff über. Erst sprang sie hoch und stach nach Vilkas. Der blockte, geriet jedoch ob der Wucht aus dem Gleichgewicht und taumelte. Nach der Landung wirbelte Vesa fast ausschließlich um die eigene Achse, dass die Umgebung zu einer einzigen Masse verschmolz. Umdrehung für Umdrehung prasselten ihre Holzklingen gegen Schild und Schwert ihres Freundes, der nicht einmal daran denken konnte, anzugreifen und in der Defensive festgenagelt war. Sie entließ den Zorn, der in ihr aufquoll, baute den Druck ab und befreite sich von der emotionalen Fessel, die sie seit der Befragung gefangen hielt. In diesem Sturm blieb nichts von der sonstigen Finesse und tänzerischen Eleganz, die die Jägerin normalerweise in ihre Kampfbewegungen legte und sich so geschickt an ihren Widersachern vorbeidrehte um von allen Richtungen anzugreifen. Lange ließ sich dieser Wirbelwind aus Hieben allerdings nicht aufrechterhalten, denn durch die zahlreichen einseitigen Drehungen setzte alsbald der Schwindel ein und sie taumelte vor ihrem Kontrahenten zurück. „Erinnere mich daran, Dich niemals wütend zu machen“, keuchte Vilkas nach Ende des Hagels und holte seinerseits zu einem hohen Hieb aus. Mit den gekreuzten Klingen fing Vesa ihn ab, musste jedoch auf ein Knie hinabgehen, um gleichzeitig noch das angeschlagene Gleichgewichtsempfinden zu kontern.
    Als Folge gingen sie wieder auseinander, nur um im Anschluss gleichzeitig aufeinander los zu spurten. Mit der linken Waffe lenkte sie den Stich des Nords ab während sie mit der Rechten ihrerseits zustach und unglücklicherweise an der Hand des Mannes vorbei in den Griff an der Innenseite seines Schildes einfädelte. Die so verkeilten Kampfmittel ließen sie fallen und standen sich deshalb nur noch mit jeweils einer einfachen Holzklinge ausgestattet gegenüber. Die Kaiserliche, die mit beiden Händen gleichermaßen gut umzugehen vermochte und sogar ohne Probleme mit Links eine Feder führte, behielt ihre Waffe vorläufig in der Linken und hob sie hoch über den Kopf. Vilkas packte den Griff der seinen mit beiden Händen. Nun gleichstark bewaffnet lag der Vorteil auf seiner Seite und so nutzte er in auch aus. Vesa fand sich in der Defensive wieder und musste mehr parieren, als sie anzugreifen vermochte.
    Beide wirbelten nun umeinander und tauschten ohne Unterlass Schläge und Paraden aus. Die Kaiserliche wechselte gelegentlich noch die Schwerthand und die Führungsrichtung ihrer Klinge, aber der trotz seiner vergleichsweise geringen Größe kräftigere Nord verfügte über die bessere Kraftausdauer, während sie sich zuvor bereits erheblich verausgabt hatte. Seine Schläge waren zwar gröber, aber dafür auch wesentlich kraftvoller und mehr als einmal musste sie im letzten Moment zu Seite wegtauchen, weil ihre Deckung aufbrach.
    Abermals wechselte sie zur linken Hand und führte das Schwert am Unterarm entlang. Aus der Rechtsdrehung heraus schlug sie seine Klinge zur Seite und schob ihr Bein zwischen seine, den Fuß als Stolperfalle hinter den seinen stellend. Unglücklicherweise packte er sie in diesem Moment aus Reflex am freien Arm und zog sie mit sich, so dass sie auf ihm landete. Ihre Waffe saß an seiner Kehle als sie zum Liegen kamen, die Gesichter nah genug, dass sie seinen heißen Atem spürte. Die Rechte ruhte auf dem Boden neben seinem Kopf. Linksseitig über seinem Bein kniend, hielt sich das rechte lang gestreckt und unter seinem begraben. Für einen Moment blieben sie in der Überraschung regungslos und starrten sich an. Seine grauen Augen weit aufgerissen und das zerfurchte Gesicht mit dem stoppeligen Bart glitzerte vor Schweiß. „Gewonnen“, presste Vesana schließlich als erste hervor und wollte sich erheben, doch packte sie der Nord schnell und bestimmend am Arm.
    „Nicht so voreilig“, sprach er nur und plötzlich spürte die Kaiserliche einen unangenehm spitzen Druck in der linken Flanke. Schnell wandte sie den Blick dorthin und bemerkte erst jetzt, dass ihr Kumpan sein Schwert im Fallen nochmal erhoben haben musste, denn die Spitze seiner Klinge wies von unten auf ihren Brustkorb. Überrumpelt richtete sie ihre Augen wieder auf das Gesicht des unter ihr liegenden Mannes. Der zog amüsiert eine Augenbraue hoch. „Unentschieden“, mahnte er und ließ ihren Arm los. Es wäre auch zu schön gewesen, endlich einmal gegen den Nord zu gewinnen.
    Ein kurzes Schmunzeln stahl sich auf Vesas Lippen und sie ließ sich nach rechts neben Vilkas in den Dreck fallen. Schwer atmend blieben sie nebeneinander liegen und schauten in den Himmel. Die Wut war verflogen und räumte das Feld für eine Reihe anderer Gefühle, von denen sie nicht sicher zu sagen vermochte, ob sie ihr lieber waren. „Besser?“, wollte der Nord schließlich wissen.



    Zum nächsten Beitrag >>
    Geändert von Bahaar (01.02.2014 um 19:22 Uhr)

  3. #3

    Cyrodiil, Kaiserstadt, Revans Kammer; Marktbezirk; Talos-Platz-Bezirk

    Vorheriger Beitrag



    Revan wachte erst am späten Vormittag des nächsten Tages auf. Der Wein hatte ihm einen tieferen Schlaf verschafft, wie er angenommen hatte. Schweigen betrachtete der Dunmer die kleine Kammer: Ein Bett, ein Schrank und ein Tisch mit 2 Stühlen. Im Schrank selbst befanden sich verschiedene Kleidungsstücke, die größtenteils arg in Mitleidenschaft gezogen worden waren. Auch war ein verborgenes Schloss in der Seitenwand, welches die Rückwand des Schrankes öffnete und einen sehr kleinen Raum dahinter offenbarte. In diesem Raum wurde die Ausrüstung und Beute gelagert, solange es nichts zu tun gab bzw. es keinen Käufer für die Beute gab. Auf einem der Stühle lag seine Kleidung, die er momentan trug. Auf dem Tisch selbst lagen Nadel und Faden, diverse Messer, eine Flasche mit Hochprozentigem und eine dicke Kerze gab bei bedarf Licht. Es ist nicht viel, aber diese Kammer ist mein zu Hause. Revan lebte seit 20 Jahren hier und in dieser Zeit erging es ihm besser wie vielen Anderen. Trotzdem war er der Überzeugung, dass er noch besser leben konnte als er es jetzt ohnehin schon tat. Dafür musste aber auch etwas getan werden und sie hatten ja wieder einen Auftrag. Einen sehr Heiklen, da sie dafür den Zorn der Thalmor auf sich ziehen würden, aber die Möglichkeit diesem Mer das Haus auszuräumen war sehr verlockend und versprach viel Gold. Der Dunmer blieb noch einen Moment sitzen, dann stand er auf. Wohin zuerst? Ich könnte dem Alten einen Besuch abstatten, oder ich sehe mir mal dieses Haus an und schaue was ich im Rest der Stadt so tut. Schnell entschied er sich für letztere Möglichkeit, da er meistens nur im Hafenviertel unterwegs war. Wenige Minuten später hatte er seine Kleidung angelegt und verließ die Kammer.

    Auf der Straße empfing ihn das alltägliche Treiben der Kaiserstadt. Nach wenigen Schritten war er in der Menschenmenge untergetaucht und ging zielstrebig in den Marktbezirk. Die Masse an Menschen und Mer erschien in diesem Bezirk immer ein wenig erdrückend. Trotz verstärkter Präsenz der Wache konnte hier ein guter Taschendieb an einem einzigen Tag sehr viel verdienen. Allerdings war es immer ein Risiko. Zwar konnte man in der Masse gut verschwinden, wenn man allerdings entdeckt wurde, wiesen tausende Augen der Wache den Weg und dann hatte man keine Chance mehr. Revan war dieses Schauspiel sehr vertraut und er hatte es bis auf wenige Ausnahmen immer vermieden, hier irgendetwas zu stehlen. Nahrung an den Ständen zu stehlen war zwar nicht ganz so gefährlich, aber es war immer sicherer Geld in der Tasche zu haben, damit man zahlen konnte.
    Die Tavernen waren alle überfüllt, daher stellte der Dunmer sein Frühstück selbst zusammen: Ein Laib Brot, ein Stück Salzkäse, ein Apfel und ein Bier ergaben ein sättigendes Mahl. Während er das letzte Stück Käse aß, überlegte Revan wie er am besten an Informationen über den Besitzer und seine Haus herankommen könnte. Einen Diener zu bestechen wäre eine Möglichkeit, allerdings bestand da das Risiko, das er später erwischt wurde und etwas über ihn ausplaudern würde. Meistens war das Bestechungsgeld auch nicht gerade niedrig, da viele Diener es vorzogen nach dem Einbruch möglichst weit Weg von ihrem Herren zu sein. Da der Herr hier aber sehr wahrscheinlich den Thalmor angehörte oder zumindest mit ihnen zusammenarbeitete, war die Bestechung der Diener nicht sehr vielversprechend. Einzige alternative wäre ein ehemaliger Diener, der gefeuert worden war. Aber es war nicht leicht solche Leute zu finden. Wenn man genug Zeit hatte und den Einbruch über Monate plante, konnte man solche Personen finden. Dem Tipp des Informanten zu Folge würde der Einbruch, so schätze Revan, innerhalb der nächsten 1 bis 2 Wochen stattfinden. In diesem Zeitraum brauchte man viel Glück oder einen Bettler der viel wusste und da war wieder die Frage ob er das nicht an andere Leute ausplaudern würde, die einem später an den Kragen wollen. Bei Altmern allgemein und Thalmor im speziellen konnte man nie vorsichtig genug sein. Gefahrloser war da das beobachten des Hauses um sich einen Überblick über die Größe und die Umgebung zu verschaffen und zu prüfen ob es einen Ausgang zur Kanalisation hatte. Wobei ein solcher Ausgang wahrscheinlich bewacht wurde. Es wäre immerhin ein Anfang. Den letzten Apfel verspeisend ging Revan in Richtung Talos-Platz-Bezirk. Dort sollte seine Arbeit beginnen.


    Heute waren besonders viele Menschen in der Kaiserstadt unterwegs, daher benötigte der Dunmer mehr Zeit um den Talos-Platz zu erreichen. Dort angekommen sah er wie viele Neuankömmlinge erstaunt für ein paar Sekunden stehen blieben um die Statue in der Mitte des Platzes zu bestaunen. Der Drache war ein imposantes Bauwerk, den Dieb scherte das wenig. Er hatte diese Statue schon so oft gesehen, das er sie kaum noch beachtete. Trotzdem blieb auch er stehen, jedoch suchte er das Haus des Altmers. Nach wenigen Sekunden hatte er den Prunkbau gefunden, man konnte dieses Gebäude gar nicht übersehen, es stach aus den anderen Häusern am Platz hervor wie ein großes Juwel. Auf den ersten Blick erschien es sogar ein wenig unpassend, bei genauerer Betrachtung war es dann wiederum fast schon zu passend. Der Bau war angeblich, wie Revan einen reicheren Altmer einmal hatte sagen hören, im Stil der Ayleiden gehalten. Der Dunmer hatte nie eine ihrer Ruinen gesehen und außerdem fand er das Haus sehr protzig.
    Der Palast, diese Bezeichnung war treffender, besaß 2 Stockwerke, einen Keller und umfasste etwa ein Viertel des gesamten Platzes. Die Außenmauer bestand aus Marmor und entlang der Fassade lief ein imposanter Bogengang mit prächtig verzierten Säulen. Dahinter lag im Schatten das große Eingangsportal und der Dieb glaubte sogar Verzierungen aus Gold zu sehen. Als ob es nicht hinreichend bekannt wäre, dass der Kerl Geld zum Scheißen hat. Langsam suchte Revan einen Weg durch die Masse an Menschen und Mer auf dem Platz um die Villa besser beobachten zu können. Während der Dieb nach einem guten Platz suchte wo ihn die Wachen nicht gleich verjagen würden oder jemand misstrauisch wurde, warf er immer wieder einen Blick auf das Gebäude. Einzelheiten der Verzierungen auf den Säulen wurde sichtbar, die Fenster waren nun besser sichtbar und das Eingangsportal besaß nicht nur Verzierungen aus Gold, es waren außerdem verschiedene Edelsteine in die Doppeltür eingelassen worden. Neben dem ganzen Prunk wurden nun auch 4 Wachen sichtbar, die alle vergoldete Elfenrüstungen trugen. Für weitere Einzelheiten reichte die Zeit nicht, da es keinen brauchbaren Platz gab an dem Revan hätte verweilen können ohne sofort aufzufallen. Da sie ohnehin nicht durch die Vordertür spazieren wollten, war das nicht so schlimm. Der Dieb schob sich weiter durch die Massen und umrundete den Talosplatz, ehe er in einer Seitengasse verschwand um den Rest der Villa begutachten zu können.
    Die angrenzenden Gassen waren größer und breiter als im Rest der Stadt und konnten gut als eigene Straßen gelten. Somit war es nicht ohne weiteres möglich von einem Nebengebäude in die Villa einzudringen. Leider gab es auch keine Baugerüste die selbiges erleichtert hätten; weder an der Villa selbst noch an den angrenzenden Gebäuden. Selbst wenn es welche gäbe, würde der Altmer sie Nachts bewachen lassen. Die Seitenwände waren aus dem gleichen Material wie die Fassade und außer einigen prächtig verzierten Fenstern gab es nichts zu sehen. Die Fenster stellen auch keinen geeigneten Eingang dar. Dafür sieht man vom Platz noch zu viel und wahrscheinlich werden hier auch von ihm bezahlte Wachen patrouillieren; der kaiserlichen Wache traut er nicht......zu recht. Somit verblieb einzig die Rückseite der Villa als potenzieller überirdischer Einstieg. Der Dunmer wartete einen kurzen Moment um sich einer kleinen Gruppe von Boten und Dienern anzuschließen um wenigstens ein paar Blicke riskieren zu können ohne sofort entdeckt zu werden. Aber auch die Rückseite war keine Überraschung: Der Prunk setzte sich nahtlos fort, allerdings gab es hier auf beiden Stockwerken einen Bogengang. Der Garten war durch eine Mauer von der Straße getrennt, zusätzlich wuchsen verschiedene Sträucher und Bäume im Garten. Und natürlich standen auch hier Wachen. Das letzte was Revan erblicke bevor er in eine andere Menge von Menschen abtauchte und sich wieder von dem Garten entfernte, war ein Brunnen. Soviel zur Villa. Aber was will man erwarten? Wenn er wirklich die Geschäfte in der Unterwelt kontrollieren will, dann weiß er auf was er achten muss. Die Wachen stehen wahrscheinlich auf seiner persönlichen Gehaltsliste und folgen ihm wohl blind. Die Diener und Boten werden zu viel Angst haben. Jetzt blieb nur noch die Kanalisation als potenzieller Einstiegsweg. Aber das hatte noch ein wenig Zeit. Zuerst würde Revan der Taverne seines Vertrauens einen Besuch abstatten. Ihn hatte eine gewisse Unruhe ergriffen und seine Hände zitterten. Zeit für die tägliche Fütterung....


    Nächster Beitrag
    Geändert von Skyter 21 (04.08.2014 um 18:27 Uhr)

  4. #4

    Himmelsrand, Weißlauf

    << Zum vorherigen Beitrag



    Unschlüssig und anstatt des erhofften Hochgefühls nach Abklingen der Wut eher in ein Loch aus Hilflosigkeit versunken, schwieg die Jägerin. Obwohl ihr Kampfpartner genau das getan hatte, was sie brauchte, brachte es nicht den gewünschten Effekt. Im Gegenteil, es erinnerte sie an Darius, an dem sie sich ebenfalls immer hatte austoben können und der nun fehlte. Das Gespräch in der Drachenfeste führte ihr schmerzhaft vor Augen, dass selbst ihre angesehene Familie der Gefährten sie nicht vor allem schützen konnte und ließ die Sehnsucht aufflammen, sich in die Geborgenheit zweier Arme zurückzuziehen, die ihr – obgleich keinesfalls wirklich zutreffend – glaubhaft das Gefühl vermittelten, die Welt könne ihr nichts anhaben. „Vesa?“ Vilkas wandte ihr das Gesicht zu, wie sie aus dem Augenwinkel bemerkte, doch hielt sie ihren Blick stur gen Himmel, um zu vermeiden, dass sich das Wasser in ihrem Auge als Träne verselbstständigte. Ganz zu schweigen davon, dass ihr ein größer werdender Kloß die Worte im Hals abschnürte.
    „Lass uns“, setzte sie an, brach jedoch ab, als ihre Stimme versagte. Sie schluckte schwer und versuchte sie zurückzugewinnen. „Lass uns später reden“, war das einzige, das sie herausbrachte bevor sie sich aufsetzte, das Schwert ablegte und schließlich aufstand. Mit raschen Schritten verschwand sie um die Ecke des Gildenhauses. Ab dort außer Sicht vermochte sie die salzigen Perlen nicht länger zurückzuhalten, ließ sie über die verschwitzten, schmutzverklebten Wangen rinnen. Mit verschwimmender Sicht rannte sie zum vorderen Eingang der Halle und trat ein, hoffend, dass noch niemand von den Schaulustigen hineingegangen war. Sie hatte Glück, verkroch sich hastig in den Keller, knallte die Tür hinter sich ins Schloss und nahm in der hintersten Ecke ihres Zimmers Platz. Zwischen Nachttisch und den Wänden hockte sie sich ins Halbdunkel, zog die Beine an und schlang die Arme darum, während ihr die Tränen über die Wangen in den Mund flossen wie Regentropfen an einem Fenster. Die Lippen bebten unkontrolliert und der Rotz mischte sich mit dem Salzwasser, hinterließ einen bittersüßen Geschmack in ihrem Mund bevor sie den Kopf gegen die Knie presste und die Wässer der Trauer an ihren Beinen hinabliefen.
    Bei allen Ebenen des Vergessens, hatte sich denn gar nichts geändert in den vergangenen Wochen? Sollte sie noch immer derart anfällig für den Schmerz des Verlustes sein, den sie schon so oft empfinden musste? War es denn nicht endlich an der Zeit die eigene Stärke wiederzufinden und Momente der scheinbaren Hilflosigkeit selbst durchzustehen? Scheinbar lautete die Antwort nein.
    Unregelmäßiges Zucken erfasste sie, als Vesana das Schluchzen kaum noch zu unterdrücken vermochte. Zitternd löste sie sich von ihren Beinen und nahm mit kraftlosen Fingern das Hirschkopfamulett und strich über es. Vorsichtig wendete sie es hin und her. Lange blieben ihre eingetrübten Augen auf der Gravur eines frontalgesehenen Wolfskopfes haften, die sich auf der Rückseite des Schmuckstückes befand. Kurz darauf ließ sie es wieder los und vergrub das Gesicht in den flachen Händen als ihr das Luftholen schwerzufallen begann.
    Eine unendlich lange Zeit, so erschien es der Kaiserlichen zumindest, harrte sie so aus. Schutzlos und den Wettern lokaler Politik, justizieller Willkür und den Lügen einzelner hilflos ausgesetzt fraß sich die Sehnsucht durch ihr Inneres und zehrte an ihrer Haut wie die Erinnerung an die sanfte Berührung warmer, willkommener Hände, die streichelnd ihren empfindlichen Leib hegten. Doch die Erwartung, die sie damit verband, blieb unerfüllt und so schluckte sie das Loch der Enttäuschung und Einsamkeit. Nur unter größten Anstrengungen schaffte sie es gegen die bleierne Schwere in ihren Gliedern anzukämpfen und sich zu dem Regal zu schleifen, in dem ihr Totem der Jagd stand. Wie eine Puppe nahm sie es in die Arme und presste es gegen ihre Brust, die sich nur noch rasselnd hob und senkte. Als könnte sie zurückbringen, was verloren war, streichelte die Jägerin seinen Kopf und presste die Augen zusammen, als würde sich so ihr Wunsch erfüllen, wenn sie nur fest genug daran glaubte.
    In gewisser Weise funktionierte es.

    „Denke daran: Nicht zu viel Kraft, langsam und gefühlvoll.“ Der Kaiserliche, der neben Vesana im saftig-grünen Gras saß nahm seine Hände von den ihren. Im Vergleich zu seinen wirkten ihre noch weitaus schlanker und feingliedriger, als sie es ohnehin schon waren – fast schon zerbrechlich, obwohl weit davon entfernt. Die sanfte Berührung kitzelte noch einen Moment lang weiter, bevor sie als Erinnerung der Haut verblasste. Eifrig nickend griff sie noch einmal nach, drückte das dicke Stück Eichenholz fester auf den Boden und setzte das scharfe, kurze Messer neu an die Rinde des Ausschnitts eines Astes. Linksseitig auf ihre Unterlippe beißend begann sie damit, die äußerste Schicht der toten Pflanze abzuschälen und das helle Innere freizulegen. „Sehr gut.“ Die ersten Teile der zähen Borke lösten sich von dem, das sie einst schützte.
    Hoch konzentriert strich sich die Jägerin eine Strähne hinter ihr Ohr und setzte die Arbeit fort bis eine größere Fläche gänzlich von ihr befreit war. Eine kräftige Hand strich ihr während der vor allem für die Finger anstrengenden Arbeit zärtlich über den Rücken und blieb irgendwann in ihrem Nacken liegen, nur um dort an der Schädelbasis mit kaum wahrnehmbaren Druck ihren Kopf zu massieren. Von den wohligen Schauern aus dem Konzept gebracht und ihres geistigen Fokus beraubt, schloss Vesa die Augen und ließ ihre Hände zwischen die um das Aststück gespreizten Beine sinken. „Darius“, hauchte sie, „so werde ich doch nie fertig.“ Dennoch drückte sie sich genussvoll lächelnd nach hinten und seiner Hand entgegen bis sie den gesamten Arm ihres dicht neben ihr sitzenden Freundes auf ihrem Rücken spürte.
    „Das scheint Dir ja gerade nicht viel auszumachen.“ Sie hörte das Schmunzeln aus der ebenfalls gedämpften, tiefen Stimme des Mannes und erschauderte, als ihr auch noch eine der inzwischen häufigeren Frühlingsbrisen über die Haut an den kaum verhüllten Beinen und Armen strich. „Aber Du hast Recht.“ Abrupt nahm Darius seinen Arm von ihr und rückte wenige Handbreit von ihr weg, um ihr mehr Platz zum Arbeiten zu geben. Überrumpelt und empört ob der Dreistigkeit schlug Vesana mit dem Handrücken nach links aus und traf den Kaiserlichen gegen die Brust bevor er ihren Arm abfangen konnte. Er lachte nur, weshalb sie ihm einen finsteren Blick mit zusammengezogenen Augenbrauen zuwarf und sich dann wieder ihrem Eichenast zuwandte. Allerdings ließ sich das aufbrandende Lachen in ihre Kehle kaum noch unterdrücken und so entließ sie die Luft nur schubweise zwischen den zusammengepressten Lippen. Das dabei erzeugte Geräusch schien der Komik der Situation jedoch eher noch zuträglich zu sein.
    „Du bist ein doofer Hund, weißt Du das?“
    „Ja, weiß ich doch.“ Er gab ihr einen Kuss auf die Wange, bei dem sie die fingerbreit getrimmten Haare seines gepflegten Bartes spürte, und der ihr seinen eher herben, aber dezenten Geruch von Bergkräutern in die Nase trug. So besänftigt und breit lächelnd widmete sich Vesa weiter dem Stück Holz, das irgendwann einmal – so hoffte sie zumindest – eine kleine, wolfsähnliche Figur werden sollte. Seit ihrem letzten Geburtstag brachte ihr Darius das Schnitzen bei und jetzt, etwas über ein halbes Jahr später, meinte er, dass sie zusammen ihr Totem der Jagd aus diesem noch eher plumpen Stück Holz ausarbeiten konnten.
    Ein Weilchen weiterarbeitend beugte sich die Jägerin angestrengt über den Ast und befreite ihn weiter von seiner Rinde. Ihr langer Pferdeschwanz rutschte ihr dabei über die linke Schulter und ihr Geliebter hob ihn ihr schweigend zurück in den Rücken, damit er sie nicht behinderte. Allerdings ließ er ihm Anschluss seine Hand abermals auf ihr ruhen. „Gss!“ Kurz zuckend schüttelte Vesana sie von sich ab. Er lachte nur.
    „Schon gut, schon gut.“ Die Finger verschwanden aus ihrem Nacken.
    „Braver Darius. Brav.“
    „Pff.“
    Schließlich stand das Aststück nackt und seiner dunklen Hülle beraubt im Gras vor ihr. Die eigentliche Arbeit konnte beginnen. Allerdings merkte die Jägerin schon jetzt, dass ihre Finger nicht mehr allzu lange weitermachen würden. Sie schmerzten und fassten den Griff des Messers lockerer als zuvor. Daher ließ sie die Hände sinken und platzierte die scharfe Klinge neben dem Holz. „Mach‘ Du weiter“, forderte sie, verschränkte die Finger ineinander und versuchte sie durch greifende Bewegungen ein wenig zu lockern.
    „Jetzt schon?“ Darius stupste sie neckend in die Seite.
    „Ja.“ Seine Rechte wanderte ihr im Bereich der Lendenwirbelsäule quer über den Rücken und zwickte sie mehr kitzelnd als kneifend auf ihrem Weg. Sie wand sich mit abnehmendem Erfolg darunter weg und endete schließlich in der Umklammerung seines rechten Armes, die es seiner freien Hand ermöglichte sie am empfindlichen Bauch zu zwacken. Gackernd wie ein Huhn drehte und wendete sie sich, entkam seinen viel kräftigeren Armen jedoch nicht. „Hör auf!“ Er kam ihrer Bitte nicht nach und setzte seine Folter des Liebenden fort, auf dass ihr regelmäßig die Luft wegblieb. Wenn er sie zu etwas antreiben wollte, ärgerte er sie bis sie es nicht mehr aushielt und ihm Folge leistete. Dieses Mal hielt sie allerdings so lange aus, bis sich ihr die Möglichkeit bot, ihrerseits in einen Klammerangriff überzugehen.
    Vesa wandte sich ihm zu und schlang erste die Arme um seinen Oberkörper und gleich im nächsten Augenblick auch noch die Beine, so dass sie Front an Front gegeneinandergedrückt saßen. Unglücklicherweise gereichte es eher ihrem Liebsten zum Vorteil, der sie nun mit beiden Händen gleichzeitig fröhlich lachend quer von einer Körperflanke über den Rücken zur anderen auskitzeln konnte. Um ein Quieken zu unterdrücken biss sie sich in den leichten Stoff seines Hemdes an der Schulter und krallte die Finger in seinen Rücken. „Au!“
    „Entschul-hick-dige.“ Der Kaiserliche hörte auf und verfiel in einen Lachkrampf, gleichzeitig legte er aber auch seine Arme sanft um sie und drückte sie an sich. Sie spürte das Beben seines Leibes als wäre es ihr eigenes und nur ihr eigenes Zucken erinnerte sie daran, dass es das nicht war. „Toll!“ -hick- Darius lachte weiter. „Nicht -hick- komisch!“ Sie legte ihren Kopf in die Mulde zwischen seiner Schulter und Hals und boxte ihn in die Seite.
    „Schon gut, schon gut!“ Er bekam selbst kaum Luft und musste erst einmal tief durchatmen. „Tut mir leid.“ Seine Hand wanderte hinauf zu ihrem Kopf und strich ihr durch die Haare, die sich in ihrem Gerangel aus dem Pferdeschwanz gelöst haben. Sie schloss die Augen und nestelte mit der Linken an Brust und Bauch des Mannes. -hick- Sie merkte, wie er nur zum Teil erfolgreich ein weiteres Lachen unterdrückte und strafte ihn sogleich mit einem eher zärtlichen Hieb gegen den Oberkörper. „Ich soll also weitermachen für Dich, ja?“
    „Du hast es -hick- versprochen.“ Sie öffnete die Augen und sah an Darius hinab, von oben in den Ausschnitt des nicht gänzlich zugeknöpften Leinenhemdes hinein. Zielsicher griff ihre Hand hinein und holte das dort verborgen liegende Silberamulett heraus. Fast schon andächtig und so behutsam, als würde Vesana über seine Haut streicheln, drehte und wendete sie es zwischen ihren Fingern, strich über die Gravur auf der Rückseite und beobachtete die Lichtreflexionen, die sich auf der glattpolierten Oberfläche boten. -hick-
    „Jetzt sofort?“, wollte Darius wissen und riss sie aus ihrem gedankenleeren Zustand. Behutsam stopfte sie den Talisman in Form eines Hirschkopfes, den ihr Geliebter einst von seinem Bruder bekommen hatte, zurück in sein Versteck an der Brust des Mannes und ließ ihre Hand dort ruhen.
    „Hmmm.“ -hick- Sie gab ihm einen Kuss auf das freiliegende Schlüsselbein, schloss die Augen und vergrub den Kopf wieder in der dortigen Mulde. „Gleich.“ Er legte seinerseits das Haupt schief und auf ihrem ab, so dass sie das Schmunzeln auf seinen Lippen regelrecht spüren konnte, während er ihr weiter durchs Haar strich. -hick-

    Es waren diese Momente gewesen, die Vesana das Gefühl gegeben hatten, dass ihre Welt doch in Ordnung war – dass sich die Dinge doch zum Guten wenden mochten. Fernab des schmutzigen Alltags auf den Straßen der Zivilisation, mitten in der Wildnis umgeben von nichts anderem als der unberührten Natur. Sie bot ihnen Schutz, verbarg sie vor neugierigen Blicken und war gleichzeitig die Spielwiese, auf der sie Triebe und Sehnsüchte ohne Hemmungen ausleben konnten.
    All das sollte jedoch nicht mehr sein. Die inzwischen fast schwarz eingefärbte Figur, die sie in den Armen hielt, entglitt ihrem Griff und schlug dumpf auf dem kühlen Steinboden auf. Die Sicht zur Unkenntlichkeit verschwommen, die Lungen regelrecht nach Luft schnappend, als würden sie gegen den Unwillen zu atmen ankämpfen, und am ganzen Leib zitternd und schüttelnd, als würde sie erfrieren, fiel die Kaiserliche auf die Seite. Rasselnd rutschte das Amulett unter ihrer Tunika hervor, während Vesa die Hände vor das Gesicht schob und einfach liegen blieb.



    Zum nächsten Beitrag >>
    Geändert von Bahaar (07.02.2014 um 21:16 Uhr)

  5. #5

    Himmelsrand, Weißlauf

    << Zum vorherigen Beitrag



    Vesana rieb sich die salzverkrusteten, brennenden Augen. Der wenig erholsame, kurze Kummerschlaf auf dem kalten Steinboden ihres Zimmers endete abrupt mit einem neuerlichen Adrenalinschub, der sie kerzengerade hochschrecken ließ und dessen Ursache wohl in einem unangenehmen, aber bereits zur Unkenntlichkeit verblassten Traum lag. Ihr Herz schmerzte vom plötzlichen Galopp. Nun saß sie hier, allein und in so schrecklicher Verfassung, wie seit Langem nicht mehr. Verzweifelt versuchte die Kaiserliche die Spuren ihrer Trauer zu verwischen, doch sorgte das heftige Reiben nur dafür, dass ihre Augen noch mehr brannten und ein Teil des Salzes aus den getrockneten Tränen direkt in sie hineingelangte. „Scheiße!“ Sie schlug wütend und frustriert nach dem nahen Bett. Die Pein in den Fingerknöcheln lenkte sie wenigstens ab.
    Kraft- und antriebslos ließ sie sich nach hinten gegen das Regal sinken und nahm die auf dem Fußboden liegende Wolfsfigur in die Hände. Behutsam ordnete sie die Trophäen an deren Hals und schließlich schob sie sie über die Schulter hinweg zurück in die dunkle Nische, in der sie zuvor gestanden hatte. Mühsam und träge erhob sich Vesa und schlurfte hinüber zu der kleinen Waschschüssel auf einer Kommode, in der sie immer etwas klares Wasser aufbewahrte – ob nun für die morgendliche Erfrischung, oder für Anlässe wie diesen spielte keine Rolle. Der Schwall des kalten Nasses beruhige in angenehmer Weise die gereizten und sicherlich unansehnlich geröteten Augen. Sie war froh, dass sie gerade keinen Spiegel griffbereit in der Nähe hatte, den eigenen Anblick in seinem kompletten Ausmaß und ihrer völligen Vernichtung hätte sie in diesem Augenblick nicht ertragen.
    Von den eigenen Gefühlen im Duell geschlagen setzte sich die Jägerin auf die Bettkante, ließ die Schultern hängen und die Beine ausgestreckt. Mit leerem Blick starrte sie durch die Anrichte mit der Wasserschale hindurch und hoffte, dass sich ihr Anblick in der Zeit, in der sie hier ruhte, wenigstens etwas verbesserte, denn ewig konnte sie hier nicht bleiben. Irgendwann entschied sie sich dafür, das Zimmer wieder zu verlassen und frische Luft zu schnappen. Die Feuchtigkeit und Dunkelheit im Keller Jorrvaskrs würden ihr auf Dauer wohl noch weniger gut bekommen, als die Stille und das Alleinsein.
    Vorsichtig, in der Hoffnung, dass sie noch niemand bemerkte, öffnete sie die Tür ihres Zimmers und spähte auf den Flur davor. Niemand zu sehen und so huschte sie hinaus. Aus dem Gemeinschaftsschlafraum drangen wie immer Stimmen, aber der Durchgang hinein war nur einen Spalt breit geöffnet und so würde sie auch von den Leuten dort keiner bemerken. Vesa empfand es als Segen, denn umso weniger ihrer Gefährten sie mit den restlichen Zeichen ihrer Schwäche im Gesicht sahen, desto wohler würde sie sich im Nachhinein fühlen. Langsam und leise stieg die Kaiserliche die Stufen in den großen Hauptsaal der Halle der Gefährten hinauf und blieb anschließend am Rand. Ein paar ihrer Kumpane saßen am langen Ende gegenüber in den Stühlen und unterhielten sich, aber sie schenkten der Umgebung sonst keine weitere Beachtung.
    Erst auf der Terrasse wurde sie bemerkt, denn Vilkas und sein Bruder saßen dort an einem Tisch und beobachteten Athis bei seinem Kampf mit einem Nord, den Vesana nicht kannte. Der kleinere der beiden Männer unter dem Vordach wandte ihr den Kopf zu. Als er sie erkannte, senkten sich seine Augenbrauen und -winkel zu einem sorgenvollen Blick, der den sonst wachen, grauen Augen eine traurige Note verlieh. Für die Dauer eines Herzschlages schenkte sie dem Freund ein gequältes Lächeln, das kaum mehr erfasste als ihre Mundwinkel, und wandte sich dann von ihm ab. Langsam ging sie ans vordere Ende der Terrasse und lehnte sich seitlich gegen einen der Pfeiler des Daches. Inzwischen wusste sie den blonden Mann von der Größe Farkas‘ auch einzuordnen: Es musste sich um den Nord handeln, von dem Kodlak gesprochen hatte. Etwas weniger kräftig als Farkas, aber in etwa genauso alt. Sein schulterlanges, blondes Haar hatte er in einen Pferdeschwanz zurückgebunden und ein sauberer Vollbart stand ihm um den Mund. Auf seiner dunkelbraunen Hose zeichnete sich an zahlreichen Stellen der hellere Staub des Übungsplatzes ab und das beige Leinenhemd klebte vor Schweiß stehend eng an seinem Körper. Das Übungsschwert hielt er merklich verkrampft in der Hand und so wie er keuchte schienen die beiden schon länger gegeneinander zu kämpfen. Die für ein untrainiertes Auge fast unmöglich zu bemerkende Schiefstellung seines Oberkörpers verriet überdies, dass er wohl schon den einen oder anderen Hieb gegen die linke Körperhälfte eingesteckt hatte.
    Allerdings war selbst das nicht Grund genug für die zahlreichen, teilweise gravierenden Fehler in Körperhaltung und Bewegungsablauf, die der Kaiserlichen nach und nach im Verlauf der weiteren Schlagabtausche auffielen. Den Schwerpunkt des Körpers hielt der Nord beispielsweise vor den Füßen anstatt genau über den Zehenspitzen, weil er sich zu weit vorbeugte. Das erschwerte ihm, auf Schläge aus bestimmten Richtungen zu reagieren, weil er zu lange brauchte, um sich wieder nach hinten zu lehnen oder gar nach hinten auszuweichen. Überhaupt, es schien, als wäre jede Faser seines Leibes wie eine Bogensehne überspannt. Schläge kamen abgehakt und ohne fließende Übergänge, was Zeit kostete – zu viel Zeit, wenn es darauf ankam und der Gegner diese Schwächen tatsächlich bemerkte.
    So verwunderte es auch nicht, dass er von Athis dem Dunmer schließlich wieder von einem Schlag gegen das linke Bein und einem anschließenden Hieb mit dem Schwertknauf gegen die Brust zu Boden gestreckt wurde. Keuchend blieb er liegen. „Und, was denkst Du?“, fragte Farkas hinter ihr, vermutlich an seinen Bruder, weswegen sie es ignorierte. Vesana beobachtete unterdessen weiter die Szenerie, als sich der blonde Nord zurück auf die Füße hievte. „Vesa?“
    „Ja?“, sie wandte den Kopf nur leicht und schaute über die Schulter.
    „Was denkst Du?“
    „Was meinst Du?“
    „Von ihm“, er nickte zum Übungsplatz. „Dem Frischling.“ Sie schaute dem nächsten schnellen Schlagabtausch zu. Einige Schläge des wesentlich kleineren Spitzohrs vermochte der Nord zwar zu parieren, aber schließlich endete er abermals im Dreck.
    „Potenzial ist da, aber noch ziemlich ungeschliffen.“
    „Nimmst Du ihn?“, wollte nun Vilkas wissen. Eine gewisse Vorsicht schwang in seiner Stimme mit, als wolle er sie im Moment nicht zu stark in eine Richtung drängen.
    Sie überlegte kurz. „Ja.“ Er machte sich besser als der letzte, den sie hatte, und schien sich auch einer ordentlichen Tracht Prügel nicht großartig zu stören. Zumindest rappelte er sich gerade wieder auf und hob erneut das Übungsschwert. Athis brach jedoch ab und ließ sie eine Pause einlegen. Auch er keuchte vor Anstrengung. „Bring ihm mal eine ordentliche Balance bei“, wie sie Athis an, als sie zur Terrasse hinüberkamen, um sich an einen der freien Tische zu setzen, „es sieht aus, als ob er sich ständig vor Dir auf die Knie werfen will.“ Farkas brach in schallendes Gelächter aus und Vesa stieß sich vom Pfeiler ab, um die Gefährten und den Auszubildenden sich selbst zu überlassen. Sie wollte sich erst einmal die Beine vertreten und entschied sich dazu hoch zu Himmelsschmiede zu gehen. Der Dunmer kam nicht mehr dazu, ihr eine Antwort zu geben und so verschwand die Kaiserliche um die Ecke der Halle der Gefährten.
    Eorlund, der alte Schmied, der die Waffen der Gefährten herstellte, hämmerte oben wohl wie gewohnt auf heißem Stahl. Zumindest klirrte es entsprechend rhythmisch, als die Jägerin unterhalb der Felskante der Schmiede entlangstiefelte und den steilen Pfad hinauf zu dem Podest einschlug. Die erste Vermutung sollte sich alsbald bestätigen. Oberkörperfrei, rußverschmutzt und schweißüberströmt stand der alte Nord am Amboss und drehte einen goldgelb glühenden Rohling hin- und her, während er ihn mit dem Schmiedehammer prügelte. Er bemerkte die Kaiserliche erst gar nicht über seiner Arbeit, erschrak dann jedoch kurz, bevor er wer ihn besuchte. „Kann ich Dir helfen, Vesana?“, wollte er wissen und schob den schnell kühler werdenden Stahl zurück in die Glut.
    „Ich würde mich nur gern ein wenig an den Rand setzen, wenn es Dir nichts ausmacht“, erklärte sie und deutete auf ihren angestammten Platz am Rande des kleinen Plateaus, von dem aus sie schon so oft den Blick über das südwestliche Umland der Stadt hatte schweifen lassen.
    „Keineswegs, bitte.“ Mit einer einladenden Geste ließ er sie gewähren und widmete sich abermals seinem Handwerk. Für einen kurzen weiteren Moment beobachtete sie den Schmied, dann überließ sie ihn sich selbst.
    Vom Rand der Himmelsschmiede aus ließ sich auch der Übungsplatz hinter Jorrvaskr gut einsehen und so entschied sich die Kaiserliche dazu, den weiteren Verlauf der Übungen von Athis und dem Nord zur Ablenkung zu folgen, anstatt sich in den Fernen des Fürstentums zu verlieren. So konnte sie ihre Gedanken wenigstens auf etwas Konkretes lenken und sich überlegen, wie sie ihre erste Ausbildungsaufgabe seit Langem gestalten wollte. Sie würde die Gelegenheit wohl nutzen, um ihre eigene, nach den Verletzungen der letzten Wochen angeschlagene und reduzierte Kondition wieder etwas auf Vordermann zu bringen. Ausdauerüberungen, ein wenig Kraft aufbauen und natürlich ein Teil Geschicklichkeit – erst danach würde sie ihm tatsächlich das Kämpfen beibringen. Es musste alles seine Ordnung haben – und wenn Athis in drei bis vier Tagen die Ausbildung an sie übergab, hätte der Kerl vermutlich ohnehin erst einmal genug vom Schwert, so grün und blau wie in der Dunmer bis dahin wohl geschlagen haben würde.



    Zum nächsten Beitrag >>
    Geändert von Bahaar (15.02.2014 um 16:05 Uhr)

  6. #6

    Himmelsrand, Weißlauf

    << Zum vorherigen Beitrag



    Zum späteren Nachmittag hin verließ Vesana ihren Platz am Rand der Himmelsschmiede wieder und kehrte in die Halle der Gefährten zurück. Athis und der Nord kämpften inzwischen nicht mehr und der Übungsplatz mitsamt Terrasse war verlassen, was wohl nicht zuletzt am zunehmend ungemütlicheren Wetter lag. Steile Böen peitschten hin und wieder auf das Land ein und inzwischen nieselte es staubfeinen Regen. Es waren auch die Gründe, die die Kaiserliche schließlich von ihrem Stammplatz vertrieben. Vielleicht käme sie jetzt dazu, einmal einen Blick in ihr neu auserwähltes Buch zu werfen und sich damit weiter abzulenken.
    Es sollte wohl aber nicht sein, denn Vilkas winkte sie zu sich, als sie die Halle betrat. Er saß neben Kodlak in einer etwas abgelegenen Ecke des großen Saales. Die übrigen Zirkelmitglieder und einige der anderen Gefährten verteilten sich in dem weiten, zwielichtigen Raum. Sie folgte der Aufforderung und setzte sich auf einen freien Stuhl zu den beiden älteren Männern. Der Herold der Gefährten musterte die Kaiserliche zunächst etwas, während sie schweigend darauf wartete, dass ihr einer der Männer erklärte, worum es gehen sollte. „Erkläre uns noch einmal, was genau oben in der Drachenfeste vorgefallen ist, Vesa“, bat Vilkas schließlich. Sie knirschte widerwillig mit den Zähnen. Eigentlich verspürte sie gerade wenig Lust darauf, diese Geschichte ein weiteres Mal zu erzählen, aber da sie Kodlak als Anführer ihrer Gilde sehr wohl direkt betraf, führte wohl kein Weg daran vorbei.
    „Wie ich sagte: Hrothluf hat sich eine Geschichte zurechtgestrickt, mit Dingen, die ich auf der Reise gesagt habe, die mich als seine Geschäftspartnerin darstellt. Elgryr, der Justiziar des Jarls, scheint ihm zumindest soweit zu glauben, dass er mich heute zum Verhör bestellt hat.“ Der Graue hörte ihr aufmerksam zu und machte keine Anstalten, sie zu unterbrechen, solange sie nicht den Anschein erweckte, mit ihrer Geschichte am Ende zu sein, und Vilkas kannte die Erzählung bereits. „Er meinte, ich hätte ihm eine Nachricht geschrieben, er solle mich in Windhelm treffen und dass wir ab da zusammenreisten, obwohl er keine Ahnung hatte, warum es nach Weißlauf geht“, erklärte sie weiter. „Dass ich ihm unmöglich diese Nachricht geschrieben haben kann, weil ich auf Solstheim gewesen bin, habe ich Elgryr auch gesagt, aber der zweifelte an, dass ich überhaupt dort gewesen bin.“ Die Wut auf diesen arroganten Nord kehrte mit diesen Worten allmählich zurück und sie ballte die Faust im Schoß. „Dabei ist es reiner Zufall, dass die Notiz, die er hatte, mit N. unterzeichnet ist!“ Sie legte eine kurze Pause ein und musterte die aufmerksam lauschenden Männer, deren angestrengte Mienen viel darüber verrieten, was sie von der ganzen Sache hielten. „Letztlich ließ mich Elgryr nur gehen, weil Hrothluf keinen einzigen Zeugen in greifbarer Nähe hat und er den Empfänger des Schmuggelgutes nicht preisgeben will. Wie sagte er es gleich? ‚Hier herrscht das Gesetz und nicht die Willkür‘ oder so in der Art.“
    Kodlak schwieg eine Weile. „Das sind … interessante Neuigkeiten“, sprach er dann und fuhr sich durch den Bart.
    „Wie sollen wir meine Unschuld belegen, wenn alle Beweise als unglaubwürdig abgetan werden?“ Ihre Fingernägel gruben sich inzwischen schmerzhaft in ihren Handballen.
    „Ah!“, der Herold lachte kurz und verhalten in Amüsement auf. Vesana schaute ihn verwirrt an, zog die Augenbraue hoch und warf einen kurzen, hilfesuchenden Blick zu Vilkas. Darin erfolglos verriet er ihr nur, dass dieser ebenfalls verunsichert war ob des Verhaltens des Alten. Dieser beugte sich vor und legte ihr die Rechte gegen die Seite des Kopfes wie ein Großvater seinem Enkel, wenn er ihm eine lehrreiche Anekdote erzählte. Seine Linke ließ er auf ihrer geballten Faust ruhen und nahm so den Druck aus ihren angespannten Muskeln. Als er ihre volle Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte ließ er schließlich auch die zweite Hand hinab auf die ihre sinken. „Aber genau das ist es, wo Du falsch liegst. Würde Elgryr Dir gar nichts glauben, so säßest Du nicht hier. Nicht jetzt, nicht morgen und auch nimmer mehr“, begann er zu sprechen, wie er es immer tat – als alter Weise, mit viel zu vielen Jahren der Lebenserfahrung und der Geduld eines Mannes, für den Zeit keine Rolle mehr spielte. „Gehe mit Hrothluf um, wie mit jedem anderen Lügner auch, denn eine erste Lüge braucht stets eine weitere, um sie zu decken.“
    „Aa-ha.“
    „Mit anderen Worten: Hrothluf fühlt sich in seinen Lügen sicher, aber wird ihn die jetzige Situation nicht lange am Leben halten. Warten wir ein wenig und üben uns in Geduld, ist er gezwungen, wieder zu handeln, um eine Exekution – die unweigerlich kommen wird – weiter aufzuschieben. Denn so wie es jetzt ist, wird Elgryr keine andere Wahl haben, als es so zu belassen, wie es ist. Dir kann er nichts nachweisen und die Beweislast geht zu Ungunsten Hrothlufs“, erklärte er. „Wenn Hrothluf weitere Lügen strickt, um sich über Wasser zu halten, gehen ihm, wohl früher als später, die Fakten aus. Es ist dieser Moment, für den wir die Geduld und Ruhe bewahren müssen, um in kommen zu lassen.“
    „Weil … wir … ihn dann leicht widerlegen können?“ Vesana war sich nicht sicher, ob sie den Plan des Alten richtig verstand.
    „Genau.“
    „Und was ist, wenn Elgryr vorher beschließt, Vesa zu inhaftieren, weil Hrothluf ihm glaubhaften Anlass gibt?“, hakte Vilkas ein, der noch nicht völlig überzeugt zu sein schien.
    „Ich möchte anzweifeln, dass es dazu kommt. Dazu würde er die Aussage wenigstens eines weiteren benötigen. Da dieser jemand wohl kaum neben Hrothluf am Galgen hängen möchte – was er zwangsläufig tun würde, wenn er mit einer Aussage zu Gunsten Hrothlufs seine Partnerschaft mit ihm zugibt – wird er sich wohl aber in Verleugnung üben.“ Kodlak lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und entließ Vesanas inzwischen völlig aufgelöste Faust aus seiner sanften Berührung. Die Zuversicht des Grauen steckte sie inzwischen ein wenig an und klärte ihre Laune etwas auf.
    „Hm. Also Abwarten?“, wollte der jüngere der beiden Nord noch einmal die Bestätigung.
    „Ja. Wir sind in der besseren Position – und wenn Hrothluf nur halb so intelligent ist, wie er vorgibt zu sein, weiß er das. Früher oder später wird er sein Leben mit Wahrheiten verlängern müssen, nicht mit Lügen, und dann wirst Du Dir keine Sorgen mehr machen brauchen.“ Er lächelte die Kaiserliche an und die zahllosen Falten, die sich zu den Zeichen des Alters um seine Augen und Mundwinkel gesellten, beruhigten sie weiter.
    „Was für Wahrheiten?“ Jetzt war ihr Interesse geweckt.
    „Hrothluf ist nützlich. Auch wenn er im Moment noch seine Rachegelüste stillen möchte, wird er sich dessen noch bewusst werden. Er ist die Pforte zu jenen, für welche er das Skooma schmuggelt und als solche kann er sich mit den richtigen Informationen sein Leben, und vielleicht sogar seine Freiheit, erkaufen.“
    „Das sind gewagte Vermutungen, Kodlak“, wollte sie seine Mutmaßungen relativieren und seinen prophetischen Abschweifungen möglichst respektvoll ihre Zweifel entgegenstellen. Es sprach wohl aber mehr ihre Verbitterung gegenüber der Idee, Hrothluf könne wieder frei kommen, denn tatsächlicher Glaube an die Irrationalität der These des Alten. Er lachte nur, auch wenn seine alte Kehle nicht mehr die Kraft dazu hatte, es weithin vernehmbar schallen zu lassen.
    „Vielleicht. Nenne es das Bauchgefühl eines alten Mannes, oder die Phantasien von jemandem, der den Jungen neue Zuversicht geben möchte, aber wir werden wohl noch öfter von ihm hören.“ Ganz Unrecht hatte er allerdings nicht. Hrothluf wusste definitiv so einige Dinge, die für die Autoritäten des Fürstentums sicherlich von Interesse sein konnten. Aber wenn es nach ihr ginge, könnten sie auf jede weitere Nachricht von diesem räudigen Hund verzichten. „Jetzt kommt, wir haben schon lange genug hier gesessen und uns in verschwörerische Theorien vergraben.“ Er erhob sich etwas steifbeinig und die beiden jüngeren Zirkelmitglieder sprangen gleich auf die Füße, um ihm zu helfen. „So alt bin ich nun auch nicht, dass ich derartige Hilfe benötige!“ Schmunzelnd schob er sich den der Kaiserlichen und dem Nord vorbei. „Lasst uns essen.“
    In der Tat hatte Vesana über ihrem Gespräch gar nicht bemerkt, wie sich die Halle allmählich gefüllt hatte und der Geruch von frischem Eintopf in jeden ihrer Winkel vorgedrungen war. Sie setzten sich kurze Zeit später zu Aela und Skjor an das lange Ende des Tisches und es dauerte nicht lange bis Farkas zu ihnen stieß. Sie warteten nun nur darauf, dass Tilma den großen Kessel freigab, in dem sie noch herumrührte. „Ein interessanter Kampf“, eröffnete die rothaarige Nord die Gesprächsrunde im Zirkel.
    „Ein wenig ungestüm“, relativierte Skjor.
    „Jeder muss mal Dampf ablassen“, beschwichtigte Vilkas den Einäugigen.
    „Wahr. Nützt nur nichts in einem richtigen Kampf.“
    „Es war ja auch keine Übung, Skjor“, mischte sich Aela wieder ein.
    „Wir können das ja morgen austragen“, schlug Vesana vor. Das Gespräch mit dem Grauen und Vilkas hatte ihr einen Teil ihrer herausfordernden Ader zurückverliehen und so schaute sie den wesentlich größeren, grimmigen Nord von der Seite her an und zog einen Mundwinkel zu einem schiefen Lächeln nach hinten.
    „Mit Vergnügen.“
    „Wo ist eigentlich der Frischling?“, wechselte die Kaiserliche das Thema.
    „Du meinst den Auszubildenden?“, fragte Farkas nach.
    „Ja.“
    „Der schläft in der Taverne. Kommt morgen wieder“, erklärte sein Bruder.
    „Hättest mal sein Gesicht sehen sollen, als wir ihm gesagt haben, dass Du in ein paar Tagen seine Ausbildung übernehmen wirst“, grinste Farkas.
    „Wieso?“
    „Er hat Deinen Kampf mit Vilkas gesehen und der Kommentar von wegen ‚auf die Knie fallen‘ hat ihm gleich nochmal Angst eingejagt. Er glaubt, Du wirst ihn ordentlich schinden.“
    „Habe ich auch vor.“ Der einfach gestrickte Nord lachte abermals. „Abgesehen davon: So grün und blau wie er nach der Tracht Prügel von Athis heute aussehen muss, kann ich ihn gar nicht weiter ramponieren.“ Aela und Vilkas stiegen in das Gelächter ein, wenn auch etwas verhaltener.
    „Du wirst das schon machen“, sprach ihr nun Kodlak seine Zuversicht zu.
    „Aus dem richtigen Material scheint er ja gemacht zu sein.“ Das vergleichsweise große Lob aus dem Munde Skjors kam unerwartet, wenn auch nicht unbegründet, und sorgte für einen Moment des Schweigens.
    „Ich würde sagen, es ist eher seine Motivation, die zählt“, warf Vilkas ein.
    „Die da wäre?“, wollte Vesa wissen.
    „Er meinte, er würde es tun, um in seinem Dorf im Widerstand gegen einige Räuberbanden zu helfen. Die Miliz dort kann ihn nur nicht richtig ausbilden, wie er findet, und es ist so abgelegen in den Bergen hinter Falkenring, dass die Gardisten des dortigen Jarls kaum hinkommen und der Jarl selbst wenig unternimmt. So sucht er uns für die Ausbildung auf.“
    „Ah. Na dann brauche ich mit Quälereien ja nicht sparen.“
    „Geh’ es trotzdem erst einmal langsam an, bevor Du ihn richtig schikanierst.“
    „Ich weiß schon, wie ich mit ihm umspringen muss und werde, keine Sorge.“
    „Die mache ich mir sowieso nicht.“
    „Aah, Tilma hat den Kessel freigegeben!“, unterbrach sie Farkas und stand direkt mit der Schüssel auf. Sie lachten.
    „Wir sollten uns nachher noch um unser Nachtlager kümmern“, hielt Aela die Kaiserliche noch einen Moment lang am Tisch auf.
    „Das werden wir. Essen wir in Ruhe und dann richten wir die Tiefenschmiede her.“ Die Rothaarige nickte zustimmend.



    Zum nächsten Beitrag >>
    Geändert von Bahaar (21.02.2014 um 19:58 Uhr)

  7. #7

    Himmelsrand, Weißlauf, Umland

    << Zum vorherigen Beitrag



    Vesana breitete gerade die letzte der Wolldecken aus, die das Strohbett in der Tiefenschmiede abdecken sollten und legte den Rest so an den Rand, dass sie sich einfach über den Körper ziehen ließen. Aela platzierte zwei größere Schüsseln, sowie je einen Krug mit Wasser an der Seite und schaute anschließend nach oben. Die Kaiserliche folgte dem Blick der rothaarigen Nord. Durch die Spalten nahe der Höhlendecke drang inzwischen kein Licht mehr in die Kammer ein, einzig der schwache, flackernde Kerzenschein, der von einer einfachen Laterne ausging, sorgte für schummriges Licht. Die größere der beiden Jägerinnen wandte sich zu Vesa um, die eisgrauen Augen schauten sie fest aus dem Kraft ausstrahlenden, bemalten Gesicht an. „Bereit?“
    „Ja.“ Sie nickte.
    „Dann los.“ Aela drehte sich um, zog die hohen Lederstiefel von den Füßen und stellte sie anschließend neben den mittleren Altar der Tiefenschmiede. Vesana folgte ihrem Beispiel, während die ältere Jägerin nun auch ihre dunkelbraune Tunika mit Gürtel und Dolch über den Kopf von sich stülpte und auf dem Steinsockel ablegte. Splitterfasernackt zog sie sich anschließend in eine etwas dunklere Ecke zurück. Die Kaiserliche blieb in der Mitte zurück und verfolgte einen Moment gebannt, wie Aela bereits mit der Verwandlung begann. Sie krümmte sich, krampfte, dass es schon beim Zuschauen schmerzte. Während sich ihre Haut zu einem dunklen Aschgrau verfärbte und ihre Glieder an Kraft und Länge gewannen, ging sie auf die Knie und grollte bestialisch. Knackend wuchsen ihre Knochen. Ihr schulterlanges, rotes Haar verschwand und wich einem Fall, das Schwarz, Grau, sehr dunkles Braun und das Rot ihres natürlichen Schopfes miteinander mischte und ihr im schwachen Kerzenschein einen rostigen Schimmer verliehen. Auch der hellgraue Glanz ihrer menschlichen Augen blieb in Werwolfsform ansatzweise zu erkennen und schenkte ihr einen silbergoldenen Blick.
    Vesana selbst verwandelte sich etwas zeitversetzt, aber ungestümer. Das Biest in ihr ließ sich nur noch schwer bändigen und drängte auf Blut und Fleisch. Während der Verwandlung taumelte sie durch die Höhe und stützte sich immer wieder am Alter in der Mitte ab. Das andere wölfische Zirkelmitglied schnupperte bereits am Eingang des Tunnels herum, der aus Weißlauf hinausführte, während die Kaiserliche gerade wieder auf die Füße kam. Die Dunkelheit der restlichen Höhlenteile zeichnete sich in gewohnt hellgrauen Farbabstufungen und so blieb vom farblichen Unterschied der Nordfrau in rostigem Rotschimmer zu Vesanas Schwarzbraun mit Überhang zum Schwarz kaum noch etwas übrig. Sie huschte lautlos zu ihrer Jagdgefährtin hinüber, die sich gerade zu ihr umdrehte.
    Die zwei Wölfe blieben voreinander stehen und schauten sich einen Moment lang an, bevor sie einander die Hälse seitlich offenlegten und sich zu beschnuppern begannen. Es war ein Ritual, dass immer stattfand, wenn mehrere Wölfe der Gefährten zusammen jagten, die sonst nicht allzu oft auf gemeinsame Jagd gingen. Es gewährleistete, dass sie sich auch in der Wildnis auf größere Distanzen aufspüren konnten und gegenseitig erkannten. In der Hitze der Verfolgung von Beute mochte man sich sonst schnell im Weg stehen oder gar gegenseitig angehen. Die Tiere in ihnen, die sie ausführten und versuchten zu ermüden, handelten oft genug schneller, als sie zu denken imstande waren.
    Aela beispielsweise roch für Vesana süßlich und bitter zugleich, fast wie Schweiß, nur nicht so abstoßend, mit einem Hauch von Leder und Eisen, der sicherlich von ihrer bevorzugten Rüstung stammte. Um sich zu signalisieren, dass sie den Geruch verinnerlicht hatten, schleckten sie sich kurz durchs Fell. Gleich darauf ging es auch schon los. Durch den Tunnel und die Turmruine ins Freie führte sie Aela nach Norden, weg von Weißlauf weiter in die Tundraebene hinein und näher an die nördlichen Bergwälder am Rand des Fürstentums. Etwas weiter westlich des nördlichen Wachturms von Weißlauf hasteten sie durch die Wildnis. Es würde eine lange Jagd werden, aber – so wusste Vesana nur zu gut – sie brauchten Sicherheitsabstand zur Stadt. Sie spürte sehr deutlich das Verlangen nach schneller Beute der Bestie in ihr und wenn diese langsamer wurde, weil sie die Fährte eines potenziellen, nahen Opfers aufnahm, schnauzte sie die Nord mit einem drohenden Knurren zusammen.
    Erst als nicht einmal mehr die Lichtpunkte des Wachturms und der Drachenfeste in der Ferne zu sehen waren, verlangsamte Aela ihr Tempo und hielt gelegentlich zum Schnuppern inne. Die Kaiserliche folgte ihrem Beispiel und versuchte die verschiedensten Duftnoten in der feucht-kalten Nachtluft auseinanderzuhalten, der anhaltende Nieselregen erschwerte das Aufspüren von Spuren. Ein Hase hier, ein Greifvogel dort. Nichts, dass ihren Hunger auch nur im Ansatz hätte stillen können. Erst als sie auf einem Findling in Sichtweite einer kleinen Baumgruppe abermals eine Pause einlegten, bemerkten sie nahezu gleichzeitig die Spur einiger vielversprechender Opfer. Ihr für Menschen auf diese Entfernung unmöglich wahrzunehmendes Grunzen drang gedämpft bis zu ihnen vor und Vesana reckte ihm zusätzlich die spitzaufgestellten Ohren entgegen. Ein rolliges Knurren zeugte von ihrer Ungeduld, während sie zur Unterstreichung dieser mit den Klauen an den vorderen Pranken gegen den Fels unter ihren Füßen tippte.
    Die Nord bemerkte das und rempelte sie mit der Schulter an, knurrte kurz mit der Schnauze auf sie weisend und sprang anschließend nach vorn von ihrem natürlichen Podest. Die Aufforderung ihr zu folgen und keine Mätzchen zu machen saß deutlich und so spurtete Vesa hinterher. Die Baumgruppe kam schnell näher und bald erkannte sie auch das gelegentliche Wackeln einiger Zweige im unteren Teil der Nadelbäume. Kurz bevor sie an ihrem Ziel ankamen verlangsamten die zwei Wölfe ihr Tempo jedoch erneut und teilten sich auf, um die kleine Gruppe an Wildschweinen von zwei Seiten anzugreifen. Sie mochten ausgezeichnete Beute sein, aber sie konnten auch gefährlich werden. Langsam pirschte die Kaiserliche rechts um das Versteck der Rotte herum, behielt aber bei aller Aufmerksamkeit, die sie den hauer-besetzten Fleischbergen schenkte, auch Aelas Duftnote stets in der Nase, während diese links herum pirschte.
    Vorsichtig und möglichst geräuschlos schob sich die Jägerin zwischen den unteren Ästen hindurch, immer näher an das Borstenvieh heran bis sie schließlich die ersten von ihnen direkt im Blick hatte. Einige schliefen und lagen am Stamm naher Bäume, andere wühlten sich durch den lockeren Erdboden. Vorsichtig kletterte Vesana an einem der Hölzer hinauf, ihr Herzschlag inzwischen so laut, dass sie fürchten musste, die Schweine würden ihn hören. Nur mühevoll kämpfte sie das aufgeregte Hecheln nieder und brache den Schwanz vom Wedeln ab. Es half jedoch nichts, die Horde unter ihr schien die drohende Gefahr zu spüren. Einige der größeren Tiere hoben ihre massiven Schädel und schnüffelten. Ihre Anspannung ließ sich fast schon greifen.
    Genau in diesem Moment gab Aela über ein kurzes Heulen das Kommando zum Angriff und ohne zu zögern drückte sich die Kaiserliche so kraftvoll, wie es ihr nur möglich war, vom Baumstamm ab. Ihre Krallen gruben sich in die Rinde bevor sie völlig frei durch die Luft segelte und nur an kleineren Zweigen hängen blieb. Während sie die Silhouette der anderen Wölfin nur aus dem Augenwinkel sah, wie sie mit vorgestreckten Läufen wie ein Falke auf eines der Schweine niederging, riss sie selbst ein weiteres der Borstenviecher mit sich zu Boden. Die Klauen tief in dessen Rücken versenkt und das warme Blut auf ihrer Haut spürend rollten sie gemeinsam mehrmals übereinander hinweg, bevor sie liegenblieben. Noch ehe Vesana jedoch ihre Fänge in das Genick ihrer Beute schlagen konnte, erwischte sie etwas hart an der Schulter, das sich schmerzhaft durch ihre Haut bohrte und sie von der scheinbar sicheren Beute wegriss.
    Einer der größeren Keiler schien in der Panik der Horde nicht ganz so orientierungslos und fluchtorientiert zu sein. Offenbar wollte er zum Schutze der jüngeren Tiere kämpfen. Sie sah das feuchte Glitzern an einem seiner Hauer und spürte gleichzeitig das peinigende Stechen in ihrer linken Schulter. Dieses mistige, an einem Menschen gemessen bauchnabelhohe Borstenvieh hatte sie allen Ernstes verletzt! Wütend und von der Verletzung weniger verunsichert als aufgebracht knurrte sie dem grunzenden Schwein entgegen. Der Blutrausch und Hunger der Bestie milderten ihr Schmerzempfinden und den Fluchtreflex, der normalerweise mit stark blutenden Verletzungen, egal ob bei Tier oder Mensch, einsetzte. Das Quieken der übrigen Tiere entfernte sich schnell und auch das zuvor angefallene rappelte sich in der Zwischenzeit wieder auf.
    Vorsichtig testete Vesa die Bewegungsfreiheit ihres Armes aus und stellte mit Erleichterung fest, dass es sich nur um eine Fleischwunde handelte. Kampflustig und mit herausfordernd ausgebreiteten Armen umkreiste sie das Schwein, das ihr stets den massiven Schädel und die langen Hauer entgegenstreckte. Den Geräuschen nach zu urteilen rang Aela noch mit einem anderen Herdenmitglied und so blieb der Kaiserlichen nichts anderes übrig, als sich allein mit dem aggressiven Keiler herumzuschlagen.
    Irgendwann verlor sie die Geduld und sprang mit einem kräftigen Satz seitlich an dem Vieh vorbei. Sein Kopf folgte ihr, doch nicht schnell genug um den Hinterleib in gerader Linie dahinter zu verstecken. Mit einem schnellen Folgesprung erwischte sie den hinteren Oberschenkel des Keilers und riss ihn mit den Klauen auf bevor sie landete und sich abrollte. Quiekend spurtete das Schwein jedoch gleich auf sie los, anstatt sich an der Verletzung zu stören und rammte sie frontal in den Bauch. Sie jaulte, als sich einer der Hauer durch ihre Haut bohrte und sie gegen einen nahen Baumstamm warf. Benommen schüttelte sie den Kopf, um wieder klarer zu denken.
    Die Kampfgeräusche aus Aelas Richtung klangen inzwischen nur noch schwach, als hätte die Nordfrau ihre Beute mittlerweile niedergerungen, um ihr jetzt den Todesstoß zu geben. Sie musste also nur noch auf Zeit spielen, denn zu zweit würde sich der Keiler wohl schnell erledigen lassen. Vom Angriff des Wildschweins in den Beinen noch geschwächt und trittunsicher, kletterte Vesana in zwei sehr kurzen Sätzen an dem Baumstamm hinauf und ein dritter Sprung brachte sie hinter dem Borstenvieh in Stellung. Während sich dieses drehte, fiel sie es erneut an und riss den anderen Hinterlauf auf. Dadurch verwirrt bemerkte es nicht, wie die zweite der Wölfinnen sich anschlich.
    Während die Kaiserliche einem neuerlichen, jedoch zunehmend unbeholfenen Angriff des Schweins auswich, sprang Aela in hohem Bogen auf dessen Rücken und vergrub ihre Klauen und Fänge in seinem Fleisch. Quiekend, grunzend und schmerzhaft in Angst aufschreiend versuchte das bereits geschwächte Tier den Werwolf von sich abzuschütteln, doch gelang es ihm nicht. Die messerscharfen Krallen gruben sich nur noch tiefer in sein Fleisch. Als schließlich auch Vesana noch auf es sprang und das gesamte Gespann auf die Seite umfallen ließ, war es vorbei. Ein schneller Biss in die Kehle und ein durstiges Aufsaugen des heraussprudelnden Lebenssaftes setzten dem Leben des Keilers ein jähes Ende.
    Aela zog sich aus dem Sichtfeld der Kaiserlichen zurück und den Klängen nach zu urteilen machte sie sich über ihr eigenes Borstenvieh her. Vesa ließ derweil von der Kehle des Schweins ab, als für ihren Geschmack zu wenig Blut aus ihr quoll. Haut- und Fleischreste hingen ihr aus dem Maul und zwischen den Zähnen als sie sich daran machte die Brust ihres Opfers aufzureißen. Erst mit den Klauen, dann mit den Fängen wühlte sie sich durch die Muskeln und Sehnen, brach wie ein Hund, der in der Erde wühlte, den Brustkorb auf und grub sich anschließend weiter durch das in der kalten Nacht dampfende Gewebe. Mit jedem Bissen, den sie hinabschlang auf ihrem Weg zum Herzen, spürte sie frische Kraft durch ihre Adern pulsieren, heißes Kribbeln durchzog ihren Bauch und die Schulter, als die Lebenskraft des Keilers über dessen Blut und Fleisch in sie überging. Es stimulierte ihre Regeneration und als sie schließlich die große Lebenspumpe gierig in sich hineinfraß beschleunigte sich der Effekt nochmals. Die Löcher, die die Hauer des Borstenviehs gerissen hatten, schlossen sich in Windeseile bis nur noch das blutige Fell von ihrer ehemaligen Existenz zeugte. Gleichzeitig gab sich das zunehmend gesättigte Biest mit der Beute zufrieden und überließ ihr größere Kontrolle über ihren eigenen Leib. Schweine, ob wilde oder gezüchtete, hatten den angenehmen Effekt, nahe an den stillenden Effekt von Menschenopfern zu kommen und so eine gute alternative Nahrungsquelle zu sein.
    Einen Moment vom Festmahl pausierend, von Kopf bis Fuß mit Blut besudelt und tropfend, erhob sich Vesana und schaute hinüber zu Aela, deren Erscheinung sich in den Graustufen der Umgebung deutlich über ihrem Schwein abhob. Ihr Fell schimmerte feucht. Gerade stieß sie mit der spitzen Schnauze in ein großes Loch in der Flanke ihrer Bache und holte einen Fäden ziehenden Klumpen heraus. Die Kaiserliche erkannte sie als Blutgefäße, die rissen, als die Nordfrau das dunkle Herz im Ganzen hinabschlang und dafür den Kopf in den Nacken legte.
    Der Anblick ließ ihr einen wohligen Schauer über den Leib laufen und versetzte sie in wallendes Zittern. Hitze stieg in ihr auf und noch im selben Augenblick stieß sie ein langes, helles Heulen aus. Ihre Jagdgefährtin stieg in den Mondgruß ein. Die Lust, noch weiter zu jagen, und die Erregung des Erfolges schien ihnen beiden gemein zu sein. Noch dazu, wo eines der Schweine auch ausgerechnet schon eine so verlockende Fährte gelegt hatte, immerhin war das verwundete Schwein mit dem Rest der Horde entkommen.
    Zunächst genossenen sie beide ihre Beute einige weitere Momente, aber es dauerte nicht lange, bis sie wieder in die noch junge Nacht aufbrachen.



    Zum nächsten Beitrag >>
    Geändert von Bahaar (28.02.2014 um 13:56 Uhr)

  8. #8

    Himmelsrand, Weißlauf

    << Zum vorherigen Beitrag



    Schwein war eben trotzdem kein Mensch oder Mer. Es besaß zwar unmittelbar nach dem Verzehr eine ähnliche Wirkung wie diese, der Effekt ließ jedoch schneller nach und fing sich fing sich dann auf einem niedrigeren, längerfristigen Niveau der Beschwichtigung. Entsprechend gerädert drehte sich Vesana auf die Seite und prasste sich stöhnend die Rechte gegen das Gesicht. Das widerliche Stechen und Ziehen von der Schläfe in den Wangenknochen und von dort quer durch den Schädel raubte ihr in den ersten Momenten nach dem Erwachen die Fähigkeit sich zu orientieren und auch nur einen einzigen klaren Gedanken zu fassen.
    Mühsam stemmte sie sich in eine sitzende Position hoch und rang zunächst mit dem Schwindel, bevor sie sich in der kühlen, feuchten Luft fröstelnd ihre Wolldecke um die Schultern legte. Für einen Moment lang blieb die Kaiserliche so sitzen, atmete tief durch und massierte die Schädelseiten in einem Versuch, die Schmerzen zu mildern. Es half nur sehr bedingt. Aber wenigstens schienen ihre Sinne sich nicht weiter sensibilisiert zu haben. Das Letzte, das sie jetzt gebrauchen konnte, war bei jeder Kerzenflamme in ihrem Sichtfeld zusammenzuzucken und die Augen zukneifen zu müssen.
    Leise, regelmäßige Atemzüge hinter ihr ließen sie herumfahren. Aela lag dort und schlief ungestört. Ihr roter Schopf verteilte sich über ihr Nachtlager und die nackten, unbedeckten Schultern. Der linke Arm hielt die Decke in Position. Rostbraune Flecken schimmerten überall auf ihrer Haut und dunkle, verkrustete Klumpen klebten Strähnen ihres Haares aneinander fest. Obwohl es in der Nacht noch angefangen hatte heftig zu regnen, so schien es, konnte das kalte Nass die Spuren des Schlachtrausches an der Wildschweinrotte nicht vertuschen. Wenn sich Vesa ihm Eifer nicht verzählt hatte, mussten es für jeden von ihnen am Ende der Jagd drei gewesen sein. Die Fülle des Magens machte sich noch bemerkbar und auch wenn ihre Kopfschmerzen angeschwollen waren, so blieb ihr wenigstens der Heißhunger für den Moment erspart.
    Vom Anblick der Nord angestoßen, schaute die Jägerin nun an sich selbst hinab und musste feststellen, dass sie nicht viel besser aussah. Die Fingernägel schwarz untersetzt von getrocknetem Blut, braune Krusten bedeckten die Haut des Oberkörpers und der Arme und die Haare fühlten sich eher steif an, wenn sie sich bewegte. Dazu hing ihr irgendetwas zwischen den Zähnen, das sie mit der Zunge nicht losgelöst bekam. So fummelte sie sich erst einmal mit den dreckigen Fingern im Mund herum. Es entpuppte sich als ein kleiner Hautfetzen mit Borsten, den sie angewidert wegwarf und dem sie hinterherspuckte, um den schleimigen, als Mensch nicht mehr allzu angenehmen Geschmack von Fett und Haut loszuwerden.
    Erst danach nahm sich Vesana eine der Schüsseln und einen der Krüge. Mit etwas Abstand zum Nachtlager kniete sie sich über die halbkugelförmige Schale und goss etwas Wasser hinein. Zunächst reinigte sie das dreckverkrustete Gesicht und wusch die Arme soweit möglich. Zum Schluss spülte sie ihr Haar wenigstens ein bisschen aus. Rostrote Flüssigkeit plätscherte in das Gefäß, in dem schon reichlich Schmutzwasser stand.
    „Schon so früh wach?“ Die feste Frauenstimme hallte laut durch die Tiefenschmiede. Etwas zu laut für den Geschmack von Vesas Ohren. Sie schrak zusammen und rang das Stechen nieder, das von diesen kurzzeitig ausging.
    „Ssch.“ Sie hob abwehrend eine Hand. So viel zu den nicht so überempfindlichen Sinnen.
    „So schlimm?“, wollte Aela wissen, nun leiser.
    „Geht schon. Ich kenne Schlimmeres.“ Vesas Stimme klang etwas heiser, als hätte sie am Vorabend zu viel getrunken und gesungen. „Ich muss mich nur erst wieder daran gewöhnen.“ Den letzten Rest Wasser im Krug goss sich die Kaiserliche in den Mund und spülte diesen damit aus.
    Während sie sich ankleidete, begann auch Aela damit sich zu waschen. „Kommt es mir nur so vor, oder ist Dein Biest stärker geworden?“
    Vesana hielt kurz inne und schaute der Nord ins verschmierte Gesicht. „Es ist nur ausgehungert und entsprechend ungehalten. Immerhin hat es fast einen Monat lang nichts zu fressen bekommen.“
    „Hm. Mir kommt es so vor, als wäre es schneller und kräftiger verglichen mit dem letzten Mal, das wir zusammen jagen waren. Aber ich kann mich auch täuschen.“
    „Gut, das letzte Mal ist auch über ein Jahr her, wenn ich mich nicht täusche.“
    „So lange schon?“
    „Ich denke, ja.“
    „Hm, dann wird es das sein.“
    Mit den Decken über den Schultern und den Krügen und Schüsseln in den Händen verließen die beiden Frauen die Tiefenschmiede. Draußen im noch immer regnerischen, nasskalten Wetter kippten sie zunächst den Inhalt der Schüsseln aus und kehrten anschließend in die Halle der Gefährten zurück. Auf dem Übungsplatz trotzten Athis und der neue Auszubildende dem mistigen Wetter, warfen aber einen kurzen Blick in die Richtung der Frauen. Der blonde Nord schien sichtlich irritiert vom sicherlich noch immer reichlich dreckigen Anblick der beiden Jägerinnen, während Athis stets bittere Miene wenig über seine Gedanken verriet. Beiden Männern lief das Regenwasser über die Haut und ihre Kleidung klebte feucht an ihnen.
    Ohne auf die Blicke der Übenden einzugehen, traten Aela und Vesana in Jorrvaskr ein. Das warme Innere und das Dämmerlicht kamen der Kaiserlichen etwas entgegen, ähnlich dem grauen Wetter vor der Tür. Es beanspruchte ihre Sinne nicht allzu sehr und beruhigte die Kopfschmerzen, was es ihr generell erleichterte die tief in ihr schlummernden Triebe und Lüste genau dort im Zaum zu halten.
    „Es sieht aus, als wärt ihr erfolgreich gewesen.“ Skjor saß mit Vilkas an der großen Tafel in der Mitte der Halle.
    „Immer, Skjor“, entgegnete Aela und ging zu den Beiden hinüber. Vesa folgte und setzte sich mit ihr dazu.
    Der einäugige Nord musterte die Kaiserliche für einen Moment. „Wie steht’s um unseren Kampf?“
    „Nach dem Mittag?“
    „Gut.“
    „Ich wollte ohnehin noch mit Dir reden, Vesa“, warf Vilkas ein. Sie zog eine Augenbraue hoch und legte den Kopf von der Decke gestützt schief.
    „So?“
    „Unter vier Augen, wenn Du Zeit hast.“
    Leicht irritiert musterte sie den älteren Mann einen Moment, nickte dann aber zaghaft. „Ja, habe ich.“ Sie erhoben sich. Die Tongefäße bei Aela lassend, legte sich die Kaiserliche die Wolldecke flächiger um die Schultern und folgte Vilkas – in eine dunkle, langärmelige Tunika und hohe Stiefel gekleidet – zum Vordereingang hinaus.
    „Was für ein Mistwetter.“ Er führte sie hoch zur Himmelsschmiede an Vesanas Stammplatz und setzte sich. Sie ließ sich neben ihm nieder. Um sich gegen die Kälte zu schützen, wickelte sie sich in die Decke ein und zog die Beine an.
    „Was gibt’s?“, fragte sie schließlich ohne das andere Zirkelmitglied anzuschauen. Die Augen hielt sie auf die Übenden hinter dem Heim der Gefährten gerichtet. Ihr behagte die Situation nicht allzu sehr und das unangenehm leichte Gefühl in der Magengegend half dem nicht unbedingt weiter.
    „Kodlak und ich haben uns unterhalten.“
    „Über was?“
    „Dich.“
    Vesana mahlte mit dem Kiefer. „Warum?“
    „Wir sorgen uns ein wenig.“ Sie ging nicht darauf ein. Derartige Gespräche behagten ihr nicht und fielen ihr schwer. Es spielte dabei keine Rolle, dass sie Vilkas vertraute und als Freund sah. Selbst Darius hatte ihr zu Beginn derartiger Unterhaltungen stets die Dinge förmlich aus der Nase ziehen müssen, wenn er bemerkte, dass sie etwas beschäftigte oder mitnahm. „Unter den übrigen Gefährten und Welpen merkt es – noch – niemand, aber der ganze Zirkel sieht, dass Du unter enormem Druck stehst“, setzte der Nord fort. „Sogar Skjor, hat mir Kodlak erzählt, sieht das so und Du weißt ja, wie Skjor für gewöhnlich ist, wenn es um so etwas geht.“
    „Hm.“ Ihre Finger krallten sich von innen in die Decke und pressten sie vor ihren angewinkelten Beinen zusammen. „Es geht schon.“
    „Vesa …“
    „Es geht schon!“ Sie wollte aufstehen, aber Vilkas hielt sie schnell an der Schulter fest und drückte sie zurück auf den Boden.
    „Nachdem Du nach unserem Kampf gestern einfach verschwunden warst, habe ich in Deinem Zimmer nach Dir gesucht.“ Vesas Kehle schnürte sich plötzlich zu und ein dicker Kloß blockierte jede Möglichkeit zu sprechen. „Du hast mich nicht einmal ansatzweise wahrgenommen, als Du neben Deinem Bett gesessen hast.“ Ihr Kiefer zitterte unkontrolliert und ihre Glieder verloren rapide an Kraft. An Aufstehen und Fortgehen war nicht mehr zu denken. Die Decke entglitt ihren Fingern und rutschte von ihren Knien, nur noch feucht an den Schultern klebend. Wäre der Regen nicht gewesen, Vilkas hätte die Tränen sehen können, die ihr über die Wangen rannen. Den Blick hielt sie weiter stur auf den Übungsplatz gerichtet, auch wenn sie längst nicht mehr sah, was dort passierte. „Kodlak und ich glauben, dass es Dir helfen könnte, darüber zu sprechen.“
    In ihrem eigenen Frust fast schon empört darüber, so in die Ecke getrieben zu werden, stieß sie die Luft aus. „Was soll ich denn schon sagen!“ Ihre Stimme war in der Wut, die sich mehr auf sie selbst und ihr Leben bezog, denn auf Vilkas, überraschend kraftvoll. Wutig schlug sie in die Luft, als könne sie die Gefühle wegschlagen.
    „Du könntest damit anfangen, wie es Dir geht.“
    „Wie es mir geht?!“ Sie schnaufte. „Beschissen!“ Der Nord senkte das Haupt. „Entschuldige … Ich …“, sprach sie daraufhin so leise, dass sie selbst es kaum verstand. Ihre Finger spielten zur Ablenkung mit dem steinernen Untergrund am Rand der Himmelsschmiede.
    „Schon gut. Ich weiß, dass ich unter anderen Umständen nicht erste Wahl für ein solches Gespräch wäre, aber versuch‘ es doch wenigstens einfach.“
    Sie benötigte einige Momente, bevor sie den Mut aufbrachte, zu sprechen. „Ich vermisse ihn, Vilkas“, flüsterte sie. Ihre Augen wanderten vom Übungsplatz zu ihren Knien auf denen sie jetzt herumtippte und den aufgeweichten Dreck der Jagd abkratzte. „Ich wollte das auf Solstheim verdrängen und es hat nicht geklappt.“ Sie pausierte und versuchte, neuerliche Kraft zum Weitersprechen zu sammeln. „Ich wär‘ auf dieser scheiß Insel fast krepiert, und es hat nicht geklappt!“, wieder sprach die Wut forscher und lauter, als sie es beabsichtigt hatte. „Schlimmer noch, quält mich die Hoffnung, dass er vielleicht doch noch lebt.“ Ihre Stimme schlug wieder in Zerbrechlichkeit um. „Und anstatt es in Erfahrung zu bringen, laufe ich weg und unternehme nichts.“ Sie schluckte. „Und gestern … nach der Sache mit Hrothluf und als die Wut über ihn verflogen war … habe ich wieder gemerkt, wie sehr er mir fehlt.“ Vilkas unterbrach sie nicht, es hätte auch nichts gegeben, das er hätte sagen können, ohne ihren Mut zu reden zunichte zu machen. „Diese Ungewissheit macht mich fertig.“



    Zum nächsten Beitrag >>
    Geändert von Bahaar (07.03.2014 um 16:25 Uhr)

  9. #9

    Himmelsrand, Weißlauf

    << Zum vorherigen Beitrag



    Sie saßen einen Moment lang schweigend im strömenden Regen. „Warum musste er auch losziehen? So eine idiotische Idee mit seinem alten Rudel eine Hochburg der Silbernen Hand zu überfallen.“ Vesana ballte die Fäuste. „Und ich bin nicht mit, weil dieser Sturkopf darauf bestanden hat.“
    „Darius hat eine Entscheidung getroffen, Vesa, Du kannst dafür keine Verantwortung übernehmen“, versuchte Vilkas ihr das Gefühl der Schuld zu nehmen. Er scheiterte.
    „Und ob ich das kann! Von allen Menschen wäre ich am ehesten in der Lage gewesen, ihn umzustimmen und ich habe versagt.“ Wütend schlug sie sich die Faust gegen die Knie.
    „Wir alle wussten, wie gefährlich diese Gruppe der Silbernen Hand ist. Er ganz besonders. Aber wäre er nicht gegangen, würde er sich jetzt womöglich so fühlen, wie Du. Es ging ja auch um seinen Bruder, richtig?“
    „Ja. Das ist ja das Schlimme. Ich habe ihn im Stich gelassen.“ Dem Nord schien darauf nichts mehr einzufallen, das er hätte sagen können, und schwieg einen Moment. „Wenn wir könnten, würden wir-“
    „Nicht, Vilkas“, bat sie leise. „Sein Rudel war mehr als doppelt so groß wie der Zirkel und hat es nicht geschafft.“ Sie ließ die Schultern hängen, dass die Decke gänzlich von ihr abfiel, und kraftlos sanken ihre Hände zu den Füßen, umgriffen ihre Knöchel. Verzweifelt legte sie den Kopf auf den Knien ab. „Es wäre Selbstmord. Das kann ich nicht verlangen und er würde es nicht wollen.“ Wieder schwieg ihr Kumpan. Hin und her gerissen zwischen Schuld, Enttäuschung, Wut und dem Schmerz des Verlustes versuchte die Kaiserliche vergeblich, die Tränen zurückzuhalten. „Ich …“ Sie schluckte den Kloß im Hals hinunter. „Ich wäre jetzt gern etwas allein“, flüsterte sie schließlich.
    „Natürlich.“ Aus dem Augenwinkel sah sie, wie ihr Vilkas ein zurückhaltendes Lächeln schenkte und sich völlig durchnässt hochstemmte. Bevor er ging, legte er ihr die schwer gewordene, kalte Decke um die Schultern. „Bleib‘ nicht zu lang, sonst wirst Du noch krank.“
    Vesa stieß Luft aus. Nicht verächtlich, eher ungläubig ob des primitiven Versuchs eines Scherzes. „Weil ich das auch werden kann, genau.“ Immerhin, für einen kurzen Moment funktionierte die Ablenkung. Der Nord wandte sich zum Gehen. „Vilkas“, hielt sie ihn nach wenigen Schritten noch einmal an.
    „Ja?“
    „Danke.“ Er nickte nur und überließ sie sich selbst.

    Vor Kälte zitternd, klitschnass aber wenigstens mit betäubtem Kopfschmerz betrat Vesana eine ganze Weile später erneut die Halle der Gefährten. Die Haare klebten ihr Wild im Gesucht, am Hals und auf den Schultern, die von innen heraus von den aufgeweichten Blutresten verschmutzte, am Körper klebende Tunika verbarg sie unter der durchgeweichten Wolldecke, die schwer auf ihren ohnehin hängenden Schultern lastete. Es herrschte wenig Betrieb in Jorrvaskr, zumindest hier oben. Sie nutzte das und setzte sich an die Feuerstelle, über der sonst Tilmas Eintopfkessel baumelte, reckte ihr die Hände entgegen, wärmte und trocknete sich. Die Decke legte sie neben sich.
    „Vilkas hat mit Dir gesprochen.“ Ohne es zu bemerken, hatte sich ihr Kodlak genähert und nahm nun in einem Holzsessel auf der gegenüberliegenden Seite des klein gehaltenen Feuers Platz. Er sprach leise und vorsichtig.
    „Das hat er.“ Sie schaute ihn nicht direkt an, merkte aber, wie er sich zurücklehnte und am Bart herumzupfte.
    „Du wirkst nicht, als hätte es geholfen“, stellte er das Offensichtliche fest.
    „Ein bisschen, aber kaum.“ Kurz hob er den Kopf und schaute sich um, offenbar um sicher zu gehen, dass sie niemand stören konnte.
    „Weshalb?“
    „Er hat Dir erzählt, worüber wir gesprochen haben?“
    „Ja, hat er.“
    „Es ändert an der Situation nichts.“
    „Du meinst, dass Du Dich schuldig fühlst?“
    Die Kaiserliche nickte. „Und hilflos.“
    „Weshalb hilflos?“ Er beugte sich vor und musterte sie eingehender.
    „Weil ich nichts daran ändern kann, besser gesagt darf, und es nicht funktioniert, es zu verdrängen.“
    „Verdrängen funktioniert nie, Vesa. Du musst lernen, es zu akzeptieren.“
    Sie stieß in einem verächtlichen, kurzen Auflachen Luft aus. „Akzeptieren?!“ Den Blick erstmals von den Flammen nehmend, blickte sie den alten Führer der Gefährten direkt an. „Akzeptieren?!“ Sie zog die Augenbrauen zusammen. Zornige Anspannung verzerrte ihr Gesicht. „Wie kann ich es akzeptieren, dass ich den Mann, den ich liebe, derart im Stich gelassen habe?!“ Der Graue verzog keine Miene und schien sich von ihrem Ausbruch auch nicht angegriffen zu fühlen. Stattdessen schenkte er ihr ein beschwichtigendes Lächeln, das viel stärker wirkte, als jedes Wort, das er hätte erwidern können.
    „Dieses Gefühl wird Dir niemand nehmen können, Vesa. Du musst lernen, damit umzugehen. Das meine ich mit akzeptieren. Akzeptiere, dass Darius eine Entscheidung getroffen hat. Er wusste, wie gefährlich es war, und wollte genau deshalb nicht, dass Du mit ihm gehst. Genau deshalb würde er auch nicht wollen, dass auch nur einer von uns – das schließt Dich ein – nach ihm suchen kommt, weil er nicht zurückgekehrt ist.“ Vesana senkte das Haupt und spielte mit den Schnürsenkeln ihrer Stiefel. „Akzeptiere das, und das Gefühl der Schuld wird sich leichter tragen lassen.“
    „Es ändert nichts an der Ungewissheit.“ Natürlich hatte Kodlak Recht. Logisch betrachtet, zumindest. Aber Logik half bei bestimmten Angelegenheiten nicht weiter.
    Der Alte lächelte wieder und die Jägerin strich sich die ungezähmten Haare aus dem Gesicht und in den Rücken. „Es ist gewiss, dass er zurückkehren würde, wenn er es könnte. Reicht das nicht?“ Sein Alter sprach hier nur allzu deutlich, ein Umstand, der es ihr schwer fallen ließ, ihm zuzustimmen. Nein, es reichte nicht aus. Nicht für sie, nicht bei dem, das sie mit Darius verbunden hatte. Im Moment wog ihre Wortschuld dem sturen Kaiserlichen gegenüber mehr, als ihre eigenen Gefühle, zu hoch achtete sie das Vertrauensverhältnis zu ihm – ungeachtet ob er jemals von ihrem Wortbruch erfahren könnte, oder nicht. Aber es mochte der Tag kommen, an dem sie sie brach.
    „Ich möchte nicht mehr darüber sprechen“, erwiderte sie schließlich und erhob sich. Die feuchte Decke hängte sie auf einem nahen Stuhl zum weiteren Trocknen auf. Kodlak nickte nur und so verschwand die Kaiserliche in den Keller Jorrvaskrs. Vor der Waffenkammer blieb sie stehen und überlegte kurz. „Skjor!“, rief sie in den langen Korridor an dem alle Räume des Gewölbes lagen. Ihre Stimme klang noch rau, kraftloser als sonst. Brummend kam der Einäugige aus einem Zimmer am hinteren Ende.
    „Ja?“
    „Bereit?“ Vesa wies über die Schulter.
    „Immer.“ Er kam schnellen Schrittes zu ihr hinüber und gemeinsam betraten sie die Waffenkammer der Gefährten. „Wie gestern, ja?“ Sie nickte und nahm sich zwei Übungsschwerter, der Nord wählte ein Schwert und Rundschild. Gemeinsam stapften sie nach oben und auf den Hinterausgang zu. Kodlak saß noch immer in dem Sessel am Feuer und wirkte nachdenklich, verlor sich scheinbar im Anblick des Feuers. Für einen Moment hielt Vesa an der Tür inne, beobachtete den Grauen und rang das nervöse Kribbeln in der Brust nieder, mit dem sich ihr schlechtes Gewissen über den plötzlichen Abbruch des gut gemeinten Gesprächs bemerkbar machte. Es verflog allerdings erst, als der Herold der Gefährten aufschaute und sie am Durchgang bemerkte. Ein kurzes Lächeln und Kopfschütteln verrieten ihr, dass er sehr wohl wusste, was sie gerade gedacht hatte und es unnötig war. Mit einer scheuchenden Handbewegung wies er die Kaiserliche an, Skjor nach draußen zu folgen. So tat sie es dann auch.
    Athis und der blonde Nord saßen im Schutz des Vordaches auf der Terrasse. Völlig durchnässt wirkten sie irgendwie erschöpft, aber die wachen Augen der Beiden belehrten sie eines Besseren. Vielmehr hatte sie wohl der noch weiter angeschwollene Regen dazu animiert, vorrübergehend Schutz zu suchen. Skjor stand schon auf dem Platz und schlug herausfordernd das Schwert gegen das Holz des Schildes. Gigantisch wirkende Regentropfen schlugen auf seinem kahlen Kopf auf und zerstoben in feinen Sprühnebel. „In dem Wetter?“, wunderte sich der Auszubildende und zog skeptisch eine der buschigen Augenbrauen hoch.
    „Du solltest Dich lieber mit dem Gedanken anfreunden“, gab Vesa ihm zurück und schritt die Stufen von der Terrasse hinab. Binnen weniger Augenblicke war sie wieder so nass wie zuvor auf der Himmelsschmiede. Der anhaltende Wolkenbruch ließ das Vordach schon mit wenigen Schritten Abstand in einem Grauschleier undeutlicher werden. Den aufkommenden Wortwechsel zwischen Athis und dem Auszubildenden verstand sie schon nicht einmal mehr, so stark rauschte das fallende Wasser.
    Das linke Schwert führte die Kaiserliche am Unterarm entlang und reckte es zusammen mit dem entsprechenden Fuß nach vorn. Den Körper geschützt dahinter positioniert hob sie die zweite Waffe etwa auf Höhe des Halses waagerecht zum Boden stichbereit. Skjor brachte sich hinter seinen Schild in Deckung und legte die eigene Holzklinge für einen schnellen Stich bereit auf dessen Kante. So umkreisten sie sich einige Zeit und musterten einander. Eine gewisse Nervosität stieg in Vesana auf, während sie sich so belauerten. Sachtes Kitzeln im Bauch und leichte Glieder zeugten von ihrer Anspannung. Kämpfe mit Skjor waren selbst bei Übungen stets heftig und wenig zimperlich. Er war einer derjenigen, die nicht viel davon hielten, deutlich kampfbeendende Schläge kurz vor dem Treffer abzubremsen. Mit Waffen zielte er zwar nicht auf das Haupt, wenn der Schlag etwas anderes als Kopfschmerzen verursachen würde, wie ohnehin üblich in Übungen, aber es endete trotzdem zumeist überdurchschnittlich schmerzhaft und die Kaiserliche hatte nur zu deutlich im Kopf, wie oft sie gegen in gewonnen hatte – nie.
    Die gedankliche Ablenkung schien der Nord bemerkt zu haben und ging auch schon zu einem forschen Angriff über. Ein rascher Stich gegen die Brust, dem sie mit einem schnellen Schritt nach hinten entging, dicht gefolgt von einem Hieb mit der Schildkante, vor dem sie sich wegdrehte und neben ihrem Übungspartner zum Stehen kam. Abgesehen von seiner Heftigkeit im Kampf, hielt Skjor nicht viel von Pausen. So kehrte auch nicht einfach wieder brüchige Ruhe ein, nach ihrem ersten Schlagabtausch, sondern setzte der Einäugige direkt nach. Ein langer, teils blind in den toten Blickwinkel hineinreichender waagerechter Hieb, unter dem sich Vesana wegduckte. Es folgte ein Tritt gegen den Bauch, den die Kaiserliche nicht abzuwehren vermochte und der sie stöhnend nach hinten Taumeln ließ. Als Abschluss der Folge wuchtete ihr Skjor den Schild aus der Drehung heraus entgegen. Glücklicherweise befand sie sich außer Reichweite und so verfehlte er sie, wenn auch nur knapp. Unzählige Wassertropfen katapultierte er stattdessen mitten in ihr Gesicht und einige trafen die Augen, so dass sie kurz blinzeln musste, bevor sie wieder richtig sah.
    Die Nachlässigkeit auszubessern versuchend, ging nun sie zum Angriff über. Ein schneller hoher Schlag mit dem rechten Schwert, gefolgt von einem Stich mit der linken, noch immer am Arm entlang geführten Klinge, die wirkungslos gegen das Holz des Schildes prallte und ein weiterer Hieb tief gegen die Knie aus der ununterbrochenen Pirouette. Den letzten Schlag blockte der Nord, indem er seine eigene Waffe kurzerhand in den Boden rammte und ihr mit derselben Bewegung den Ellbogen gegen die linke Gesichtshälfte donnerte.
    Überrumpelt und benommen sackte die Kaiserliche Gesicht voran in den matschigen Boden des Übungsplatzes, rollte sich aber im letzten Moment weg, bevor ein weiterer Stich des Nords ihr das Ende bereiten konnte. Keuchend, das Herz schlug ihr bis zum Hals, rappelte sich Vesa auf und brachte schnell einige Schritte zwischen sich und ihren Kontrahenten. In der kurzen Pause bewegte sie den dumpf gewordenen Kiefer. Er schmerzte, aber sonst schien alles in Ordnung. Skjor schmunzelte unterdessen wie jemand, der sich am Leid und Fehler seiner Feinde labte, und kam betont langsam näher.
    Dann war er auch schon wieder heran und ihr Kampf setzte sich fort. Ein Schlag von oben, dort ein Blocken mit dem Schild, hier ein schneller Tritt und eine Finte. Sie wich einem Schlag mit dem Rundholz durch eine Rolle aus, kam schräg hinter ihrem Widersache auf die Füße und wuchtete ihm einen Fuß in die Kniekehle. Ohne einen Laut knickte Skjor ein, aber noch im Fallen schlug er mit seinem Schild aus und erwischte die Jägerin frontal gegen Brust und Gesicht als sie sich ihm zuwandte. Für den Bruchteil eines Herzschlages lang wurde ihr schwarz vor Augen und ihr entglitt das linke Schwert bevor sie auf ihr Hinterteil in den Schlamm sackte. Deutlich spürte sie die im Kontrast zu dem kalten Regen heiße Flüssigkeit aus ihrer Nase rinnen und hatte gleich darauf den bitterschweren Eisengeschmack von Blut auf ihrer Zunge.
    Verschwommen nahm sie wahr, wie der Nord wieder aufstand und sich ihr zuwandte. Er unterdrückte ein sehr seltenes Lachen, das eine ausgesprochen beunruhigende Wirkung entfaltete, während Vesana die Augenbrauen hochzog und sich mit der freien Hand über das Gesicht fuhr. Das Rauschen des Regens schien für einen Moment so fern wie die Monde am Nachthimmel und die Kraft in den Gliedern kehrte nur langsam zurück. Die vorher schon reichlich starken, aber wenigstens vorrübergehend verdrängten Kopfschmerzen kehrten nun unmenschlich verstärkt durch den brachialen Hieb zurück wie ein Vorschlaghammer. Vorsichtig betastete sie ihre Nase und stellte erleichtert fest, dass sie wenigstens nicht gebrochen war. Zumindest glaubte sie das, da keine zusätzlichen Schmerzen von ihrer Berührung ausgingen.
    Bevor Skjor zu ihr hinüberkommen konnte, stand die Kaiserliche auf. Wankend zwar, aber sie stand immerhin. „Gut“, brummte er. Es gab für ihn nichts Wichtigeres, als sich auch nach schweren Treffern nicht unterkriegen zu lassen – eine der ersten Lektionen, die sie von ihm gelernt hatte. Der Schlag mit dem Schild wäre zwar auch in einem echten Kampf ziemlich übel gewesen, aber noch längst nicht der Tod und so musste auch der Übungskampf an dieser Stelle weitergehen, bis einer von ihnen einen wirklich guten Treffer landete.
    Der Nord stand inzwischen über ihrer zweiten Waffe, die somit vorerst außer Reichweite war, aber das störte sie in diesem Moment nicht. Die verbliebene Klinge hoch über den Kopf erhoben, die Füße in einigem Abstand hintereinander und die freie Linke dem Zirkelmitglied entgegengestreckt wartete die Kaiserliche auf seinen Angriff. Der kam prompt. Dem schnellen Stich wich sie mit einer Drehung auf die Waffenseite des Nords aus, hieb ihrerseits nach ihm, wurde aber unterbrochen als er mit dem Fuß bei einem ihrer Knöchel einhakte und sie in eine Rolle zwang. Dafür befand sich nun ihre zweite Waffe in Vesanas Reichweite. Diese packend stand sie schnell auf, schlug die Klinge des Nords zur Seite und zwang ihn dazu sich unter ihrer rasch nachgezogenen zweiten Waffe weg zu ducken. Ihr Tritt gegen seine nun tiefer liegende Brust ging jedoch nach hinten los, als er den Schild hob und sie ihr eigenes Schienbein gegen dessen Kante knallte.
    Stöhnend humpelte sie einige Schritte vor Skjor weg, doch holte er sie schnell ein und die Niederlage kam binnen Bruchteilen eines Augenblicks. Ihre Waffen mit zwei schnell aufeinanderfolgenden Schlägen in Blocks beschäftigend, zog er ihr das schwache Bein weg, auf dass sie rücklings in den Matsch fiel. Die verzweifelt in Abwehr erhobenen Schwerter drängte er mit einem kurzen Schlag gegen eine Waffenhand und dem Rundholz zur Seite. Während ihr die eine Klinge aus der in Schmerz krampfenden Hand entglitt, setzte er ihr die Schwertspitze schnell und stark auf Herzhöhe gegen den Oberkörper. „Gut gekämpft.“
    Die Holzklinge unter den Gürtel klemmend reichte er ihr die freie Rechte und half der keuchenden Kaiserlichen auf die Füße. Die Schwerter unter den einen Arm geklemmt hielt sie sich die schmerzende Hand und humpelte neben dem Nord zurück zur Terrasse. Völlig mit Schlamm besudelt, mit noch immer blutender Nase und mit wie ein Igel im Kopf stechenden Schmerzen im Schädel ließ sich Vesana in einem der freien Stühle nieder. Athis mürrischer, aber doch irgendwie beeindruckter Blick ob des kurzen, heftigen Kampfes ließ sie in diesem Moment kalt. Ebenso wie das entsetzte Staunen im Gesicht des blonden Nords. Schwer atmend sank sie in sich zusammen und ohne Anstalten zu machen es verhindern zu wollen sackte sie mit der Stirn auf die Tischplatte. „Willst Du ‘was trinken?“, fragte Skjor während er Schild und Schwert neben Vesanas Klingen auf dem Boden ablegte.
    „Hmhmm.“



    Zum nächsten Beitrag >>
    Geändert von Bahaar (14.03.2014 um 16:13 Uhr)

  10. #10

    Himmelsrand, Weißlauf

    << Zum vorherigen Beitrag



    Für einige, quälend lange anhaltende Momente lag Vesana einfach Gesicht voran auf der Tischplatte. Ihre Nase pochte heiß und sandte schmerzende Stiche in ihren Kopf, als ob dieser nicht schon von sich aus genug von einem Gefühl des Hammers und Meißels geplagt war. Dünne Rinnsale ihres Blutes sickerten noch immer aus den Nasenöffnungen und tränkten das sonnengebleichte Holz des Tisches unter ihr. Zähflüssige Pampe rann ihr an den Seiten des Gesichtes, den Armen und Beinen hinab aus den verkleisterten Haaren und der schlammgetränkten Tunika. Ihr angeschlagenes Bein streckte sie unter dem Tisch aus, um die Muskeln zu entspannen und die heiß stichelnde, entkräftende Pein im Unterschenkel zu reduzieren. Aber es half nur bedingt. Die Hauptarbeit in der Schmerzlinderung übernahm dann doch der kalte, böige Wind – und der jagte ihr einen unangenehmen Schauer nach dem anderen über den Körper, ließ sie Zittern und verschaffte ihr eine waschechte Gänsehaut.
    „Wir werden also auch in solchem Wetter üben?“, vernahm sie auf einmal die kräftige, irgendwie leicht vibrierende Stimme des blonden Nords von der Seite. Begleitet von einem müden Stöhnen drückte sich Vesa vom Tisch hoch und strich sich über das dreckstarrende Gesicht, um wenigstens einen Teil des Schmutzes abzustreifen. Inzwischen fiel nur noch aller paar Herzschläge mal ein kleiner Blutstropfen aus der Nase und auf ihre Tunika hinab, die komplett braun verfärbt war. Vom Beige der Wolle ließ sich nichts mehr erkennen.
    Langsam wandte sie dem Auszubildenden ihr Gesicht zu. „Oder schlimmerem.“ Er lachte auf. Ein heller, heiterer Ton, der ihr kurz in den überempfindlichen Ohren stach.
    „Dann mal viel Spaß“, brummte Athis und kratzte sich an der spitzen, grauen Nase.
    „Den werden wir haben“, bestätigte die Kaiserliche und wandte sich ab, zog mit einem Fuß einen der Stühle an ihrem Tisch zurecht und legte schließlich beide Beine darauf ab. Die Augen geschlossen massierte sie ihre Schläfen und versuchte die Kopfschmerzen zu mildern. Aber so wirklich half es nicht, zumal mittlerweile auch das kalte Zittern ihres Körpers zu ihrer Verstärkung beitrug.
    „Kopfschmerzen, huh?“, stellte der Nord das Offensichtliche fest.
    „Ja“, gab sie zurück, die Gedanken in weiten Umlaufbahnen außerhalb ihrer Reichweite. Wenn er wüsste, was – und wer – ihr alles Kopfschmerzen bereitete, würde er wohl kaum noch mit ihr trainieren wollen.
    Hinter ihr öffnete sich die Tür ins Innere Jorrvaskrs und schwere Schritte näherten sich ihr. Sie öffnete die Augen und sah gerade noch, wie Skjor einen Tonkrug und Tassen abstellte. Im Anschluss zog er sich einen Stuhl heran und goss eine dampfende, blassgrüne Flüssigkeit in die Gefäße. „Kräutertee“, erklärte er. „Besser als kaltes Wasser.“ Nickend pflichtete sie ihm bei und griff träge nach ihrem Tonbecher. Kribbelnd trat die Wärme durch die Gefäßwand und taute ihre taub gewordenen Finger auf. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie ihre Beine kaum noch spürte, weil sie so kalt geworden waren.
    „Wie heißt Du eigentlich?“, fragte sie und pustete über ihre Tasse, die sie mit beiden Händen umklammert hielt. Trotz der Kälte in ihrer Nase und obwohl diese wohl ziemlich zugeschwollen war, nahm sie noch immer den kräftigen, würzigen Duft des Tees wahr.
    „Ich?“, fragte der blonde Nord nach einem Moment des Zögerns zurück.
    „Wer sonst?“ Sie nahm einen Schluck. „Scheiße!“, zischte sie, als sie sich die Zunge verbrannte. Einen Moment atmete Vesa wie ein Hund durch den Mund, um sie zu kühlen.
    „Olen Tarik Wolfhammer, das ist mein Name.“
    „Willkommen im wunderschönen Herbst von Weißlauf.“ Nach weiterem kontinuierlichen Pusten nahm die Kaiserliche einen neuerlichen Schluck, diesmal ohne sich zu verbrennen, aber sie schmeckte auch nicht mehr sonderlich viel von der Flüssigkeit. Den Ansatz von Bitterkeit nahm sie noch wahr, aber das war es auch schon.
    „Wunderschön …“ Sie konnte das Kopfschütteln aus seinem Ton heraushören.
    „Athis“, setzte sie an.
    „Ja?“
    „Was hast Du ihm bis jetzt beigebracht?“
    „Ein bisschen Balance, den richtige Haltung des Schwertes. Ein paar einfache Schrittfolgen.“
    „Ausdauerübungen?“
    „Noch keine.“
    Vesana legte den Kopf in den Nacken und schaute den Dunmer über die Schulter hinweg an, die Augenbrauen in Ungläubigkeit unterschiedlich weit angehoben. „Ernsthaft?“ Der Dunmer zog die Schultern hoch und hob abwehrend die Hände. Zwar konnte sie in seinen glutroten Augen im dunkelgrauen, spitzen Gesicht nicht lesen, aber es war offensichtlich, dass er sich keiner Schuld bewusst sein wollte.
    „Er sieht kräftig genug aus und in den Kämpfen ist er unermüdlich.“ Die Jägerin hielt die Augen noch einen Moment auf den Elfen, dann wanderten sie langsam weiter zu Olen während sie die Augenbrauen wieder senkte. Der Nord zog ein eher hilfloses und fast schon furchtsames Gesicht, als würde er ahnen, was sie mit ihm vorhatte.
    „Kommst Du an den Querbalken des Vordaches da vorne?“ Sie zeigte auf den nach Außen mit einigen Rundschilden verzierten, tragenden Balken oberhalb der Stufen zum Übungsplatz.
    „Keine Ahnung.“
    „Probier’s aus.“ Er stand auf und schritt langsam, leicht verunsichert vielleicht, auf die Konstruktion zu. Vesa folgte ihm mit den Augen und nahm unterdessen noch einen Schluck Tee. Skjor verfolgte das Geschehen mit ausdruckslosem Gesicht, aber sein intaktes Auge streifte sie kurz und für den Moment glaubte sie einen Anflug von Heiterkeit zu erkennen. Dann sah sie sein Gesicht jedoch nicht mehr. Olen erreichte in dem Moment das Ende der Terrasse und hüpfte reichlich ungelenk hin und her, um an den hoch über ihm schwebenden Balken zu gelangen.
    „Ich komm‘ nicht ran“, meinte er nach einigen Versuchen.
    „Benutz‘ den stützenden Balken“, gab sie ihm einen Hinweis und deutete auf die mittig platzierte, unterstützende Holzsäule.
    „Wie?“ Mit großen, dunklen Augen wandte er sich an sie und hielt die Hände in einer offenen Geste der Hilflosigkeit auf Hüfthöhe.
    „Sei kreativ.“ Skjor stützte den Kopf über den Unterarm auf den Tisch ab und rieb sich in Neugier mit dem Zeigefinger über die Kopfseite. Auf Athis Gesicht zeichneten sich die Kiefermuskeln ab, als er rat- und kommentarlos das Schauspiel beobachtete. Olen lief in der Zwischenzeit einige Runden um den senkrechten Balken und schaute immer einmal wieder hinauf zu seinem Ziel. Amüsiert verzog Vesana die Lippen zu einem Schmunzeln und goss sich neuen Tee in die Tasse. Von innen gewärmt, hatte sich zumindest auch das Zittern in ihrem Oberkörper etwas reduziert. Zwar waren die Beine noch immer taub, aber gedanklich nun auf den Nord konzentriert nahm sie das kalte Stechen nicht mehr allzu sehr wahr.
    „Ich habe keine Ahnung.“
    „Der Hellste bist Du aber nicht“, spottete die Kaiserliche. Kurzerhand stellte sie ihre Tontasse auf dem Tisch ab und stand auf. Steif schüttelte sie die Beine aus und noch immer leicht humpelnd schritt sie hinüber zu Olen. Sie schob ihn beiseite und brachte sich direkt unter dem Querbalken am Fuße dessen Stütze in Position. Im nächsten Moment hakte sie die Hände an der ihr gegenüberliegenden Seite der quadratischen Holzsäule ein, die etwa den Durchmesser einer halben Unterarmlänge besaß. Schließlich stemmte sie erst den einen Fuß gegen das Holz, drückte ihn flach auf das Holz, schob sich weiter hoch, griff mit den Händen einzeln nach und setzte den nun in der Luft schwebenden zweiten Fuß oberhalb des anderen. Diesen gab sie wieder frei und verstärkte den Druck ihrer Glieder auf die raue Oberfläche. Immer im Wechsel arbeitete sie sich so nach oben bis sie den Querbalken mühelos zu fassen bekam und sich an diesen hängen konnte.
    Ihre Füße baumelten nun etwa auf Halshöhe des Nords, der verblüfft von unten zu ihr hinaufblickte, der Mund leicht geöffnet und sich auf die Zunge beißend. Kurz darauf ließ sie sich auch schon wieder fallen und ging mit dem angeschlagenen Bein bis auf das Knie hinab, um den Sturz abzufangen. Zähneknirschend rang sie den entkräftenden Schmerz hinunter und stand träge auf. „So.“ Zugegeben, sie hatte eine derartige Übung selbst lange nicht mehr gemacht und die Fähigkeiten des Biests kamen ihr in Sachen Kraft nun etwas entgegen, aber an sich war es kein Kunststück – vor allem da der Stützbalken mit seinen groben Schnitzereien viel Auflagefläche und Kanten zum Festhalten bot.
    Wieder stärker humpelnd kehrte Vesana zu ihrem Stuhl zurück und beobachtete Olen bei seinen neuerlichen Versuchen. Im vierten Anlauf schaffte er es schließlich bis nach oben. „Und nun?“, fragte er, während er dort hing, wie ein nasser Sack Reis.
    „Komm erstmal wieder runter“, wies sie ihn an. Der Abstand zum Boden war dank seiner Größe nicht ganz so weit und so fing er sich mit nur leicht gebeugten Knien ab, ruderte jedoch trotzdem mit den Armen, um das Gleichgewicht zu halten.
    „Also?“
    „Jetzt rennst Du zehn Runden um Jorrvaskr und machst jedes Mal, wenn Du hier vorbei kommst, jeweils zwanzig Liegestütze und Rumpfbeugen dort auf dem Übungsplatz und fünf Klimmzüge an dem Balken. Da Du jetzt weißt, wie Du dort herankommst, sollte das kein Problem mehr darstellen“, erklärte sie. Das folgende, süffisante Grinsen auf den schmalen Lippen, verbarg sie hinter ihrer Teetasse, als sie trank. Die feinen Falten um ihre Augen würde er auf diese Entfernung nicht bemerken.
    Athis fuhr mit dem Kopf zu ihr herum und so schwer sie es für gewöhnlich auch empfand, im Gesicht eines Dunmers zu lesen, das mühsam unterdrückte, seltene Lachen fiel sogar ihr auf. Skjor ballte die Faust vor dem Mund. Der aus ihrer Perspektive sichtbare Mundwinkel zog sich weit nach hinten. Dem blonden Nord am Ende der Terrasse stand die Überraschung ins Gesicht geschrieben. „Jetzt?“
    „Ja, jetzt.“ Es dauerte noch einen Moment, bis er sich tatsächlich aufraffte, doch dann setzte sich Olen in Bewegung und legte zunächst einen eher lockeren Trab ein. Bevor er hinter der Ecke des Gildenhauses verschwinden konnte, rief sie ihm noch ein „Das geht schneller!“ hinterher.
    „Ich dachte, ich sollte ihn im Moment noch ausbilden“, beklagte sich Athis über den Eingriff in sein Ausbildungskonzept als die Heiterkeit verflogen war.
    „Das machst Du auch. Du bereitest ihn eben nur auf meine Ausbildung vor“, wiegelte Vesa ab und hob die Augen nicht einen Herzschlag lang von ihrer dampfenden Tasse. Skjor wandte sich unterdessen wieder ihr zu. Sein heiles Auge musterte sie eingehend. „Schau mich nicht so an! Du weißt genau von wem ich diese Übung habe.“
    „Genau deswegen schaue ich Dich ja so an“, konterte er und sie bemerkte nun die feinen Falten in seinen Augenwinkeln.
    „Moment“, unterbrach sie Athis von der Seite, „das ist Deine Übung, Skjor?“
    „Natürlich.“
    In dem Moment schoss Olen um die andere Ecke Jorrvaskars und hielt schließlich auf dem Übungsplatz an. Noch sahen die Liegestütze und Rumpfbeugen leicht und behände aus, aber er sah schnell genauso aus, wie Vesa – von Kopf bis Fuß einheitlich braun. Auch das Erklimmen des Balkens trotz nasser, matschverschmierter Stiefel schaffte er im zweiten Anlauf. Sie beobachtete ihn, während er sich mit dem Gesicht Richtung Platz hoch zog. „Das … ist … Schinderei“, presste er zwischen einzelnen Klimmzügen hervor.
    „War das ein Meckern?“, ging Vesa augenblicklich darauf ein.
    „N-nein“, entgegnete der Nord.
    „Ich glaube schon. Das gibt fünf Runden extra.“
    „W-was?!“
    „Du hast mich schon verstanden.“
    In der Art und Weise, wie er seinen kurzen Sturz abfing und anschließend wieder losrannte, erkannte die Kaiserliche seine Frustration. Regelrecht stampfend wie eines der Mammuts in der Tundra des Fürstentums nahm er die Stufen der Treppe bevor er wieder in einen flüssigeren Laufrhythmus hineinfand.
    „Er hat schon Recht“, meinte Skjor.
    „Das sagt der Richtige.“
    „Ich sage ja nicht, dass es schlecht oder unsinnig ist.“ Sie schmunzelte und griff nach dem Tonkrug, stellte jedoch missmutig fest, dass dieser leer war. Fast augenblicklich schien ihr auch die Kälte wieder in den Leib zu kriechen und sie schüttelte sich unter einem heftigen Schauer, der ihr von den Schultern bis zu den Knien hinabrollte.
    Nach der dritten Runde zeichnete sich bereits erste Erschöpfung in Olens Bewegungen ab. Seine Schritte kamen schneller aus dem Takt und er hielt sich ab und an den Brustkorb, als hätte er Seitenstechen. Den Rücken musste er immer wieder erkennbar bewusst durchdrücken bei den Liegestützen und mit den Rumpfbeugen brachte er auch länger zu. Nach den ersten beiden Klimmzügen schaffte er es kaum noch überhaupt einen rechten Winkel in die Ellbogen zu bekommen. Zum Fluchen oder Meckern fehlte ihm die Luft.
    Als er wieder hinter dem Gildenhaus verschwand, erhob sich die Kaiserliche. „Zeit für ein Bad. Der Schlamm hatte jetzt genug Zeit einzuwirken.“
    „Du gehst?“, fragte Athis nach.
    „Natürlich. Du bildest ihn ja noch aus, also kannst Du auch darauf achten, dass er seine Übung richtig zu Ende führt.“ Der Dunmer antwortete nicht mehr, hatte aber zweifelsohne verstanden, dass es sich in keiner Weise um eine Bitte handelte. „Danke für den Tee, Skjor.“ Der Einäugige nickte, blieb aber sitzen. Scheinbar wollte er noch beobachten, wie sich Olen weiter schlug. Sie wandte sich ab, hob noch die Übungswaffen auf und ging zur Tür, hielt dort allerdings noch einmal kurz inne. „Athis.“
    „Ja?“
    „Schick‘ ihn im Anschluss zu Arcadia ein paar Tränke gegen einfache Krankheiten kaufen. Wir wollen ja nicht, dass er sich erkältet in diesem Wetter. Oh, und lass ihn in den nächsten Tagen noch ein paar Ausdauerübungen machen.“ Damit verschwand sie durch die Tür ins warme Innere der Halle der Gefährten.



    Zum nächsten Beitrag >>
    Geändert von Bahaar (21.03.2014 um 14:28 Uhr)

  11. #11

    Himmelsrand, Weißlauf

    << Zum vorherigen Beitrag



    „Wie siehst Du denn aus?“, begrüßte sie Farkas zusammen mit einem Schwall warmer, im Vergleich zu draußen trockener Luft, und lachte gleich darauf lautstark los.
    „Amüsiere Dich ruhig, nur zu“, gab Vesa zurück und kratzte sich etwas Dreck unter der Nase weg. Die dunklen, fast Schwarz erscheinenden Krümel unter ihrem Fingernagel verrieten, dass es noch Reste des Blutes waren, das noch kurz zuvor dort herausgetropft war.
    „Was ist passiert?“, hakte der große, grauäugige Nord nach und kam ein paar Schritte auf sie zu. Eigentlich wollte er sich wohl gerade an die lange Tafel setzen, um ein spärliches Mittagessen aus Brot und Wurst zu sich zu nehmen, aber der dreckstarrende Anblick der Kaiserlichen musste wohl doch interessanter sein. Ihre leichten, knöchelhohen Lederstiefel waren völlig durchgeweicht und in mattes Braun gehüllt, an ihren Beinen zeichneten sich nur vereinzelt die Bahnen einiger Wassertropfen im Dreck ab, weil dort ihre Haut zum Vorschein kam. Farblich gab es keinen Unterschied mehr zwischen Gürtel und Tunika und die Haare verklumpten zu einer schweren, nassen Decke auf ihren Schultern. Die Blutreste in ihrem Gesicht und dort, wo die Tropfen sie weiter unten getroffen hatten, trugen wohl nicht gerade zu ihrem guten Aussehen bei.
    „Skjor hat mich verhauen“, erklärte sie. Farkas lachte schallend, dass einige einfache Mitglieder der Gefährten, die im Halbdunkel auf der anderen Seite der Halle saßen, aufblickten.
    „Komm, gib mir die da“, er zeigte auf die drei Holzschwerter und den Rundschild, „und geh zu Tilma. Die kann Dir bestimmt helfen mit Deinem … Aussehen.“
    „Danke.“ Sie reichte ihm die Übungswaffen.
    „Habe ich meinen Namen gehört?“ Die hagere, alte Nord rührte inzwischen wieder in einem Kessel über dem offenen Feuer am langen Ende der Halle. Vesana ging zu ihr hinüber.
    „Ja. Haben wir noch irgendwo einen Bottich?“
    „Wieso?“ Erst danach schaute sie wirklich auf, als eine Kanne Fleischbrühe im Topf gelandet war. „Ach herrje.“ Sie nahm eine Hand vor den Mund und stemmte die andere in die Hüfte. „Da wirst Du aber mehr als eine Wanne brauchen!“ Tilma verkniff sich ein Lachen, konnte aber nicht die tiefen Furchen um ihre Augen verbergen, die ihre Belustigung verkündeten. Vesa blieb neben dem Feuer stehen und wärmte ihre Glieder an den gierig um den Kessel züngelnden Flammen.
    „Es muss kein heißes Wasser sein, Tilma, Hauptsache ich werde sauber.“
    „Wenn Du nicht warten willst, bis alles festgetrocknet ist, bleibt Dir auch nichts anderes übrig, als kalt zu baden“, erwiderte die Alte mit dem faltigen, eingefallenen Gesicht. „Ich lass Dir einen Zuber ein. Der Eintopf braucht jetzt eh erst einmal Ruhe.“
    „Danke. Ich hol‘ derweil einige Sachen zum Wechseln.“ Die Kaiserliche wollte sich zum Gehen wenden, aber die gute Hausmutter der Gefährten hielt sie auf.
    „Hier oben steht noch Dein Tornister, das wollte ich Dir gestern schon sagen. Deine Kleidung ist gewaschen.“
    „Ah, danke.“ Kurzerhand ließ sie sich von der Nord ihr Gepäck zeigen und brachte es im Anschluss nach unten. Dort angekommen hielt sie sich so weit wie möglich von ihrem Bett fern, um es nicht zu verdrecken und kippte den Inhalt des Felleisens auf den Boden. Bevor sie sich jedoch ein frisches Oberteil nehmen konnte, klopfte es an der nicht völlig geschlossenen Tür. Die Kaiserliche drehte sich um und entdeckte Aela. „Ja?“
    „Wie wäre es, wenn wir nachher noch aufbrechen und die Tage um Vollmond außerhalb von Weißlauf verbringen?“ Wenn sie sich über den Anblick Vesanas wunderte, so ließ es sich die Nord nicht anmerken.
    „Klingt gut. Lass mich nur schnell ein kurzes Bad nehmen und dann packe ich einige Sachen zusammen.“
    „In Ordnung, nimm Dir nicht zu viel Zeit, sonst kommen wir heute nicht mehr weit.“
    „Ich beeil mich.“ Nickend verschwand Aela wieder und Vesa griff sich kurzerhand eine andere, beige Tunika mit kurzen Ärmeln und stapfte zurück nach oben. In der Kammer hinter der Feuerstelle hatte Tilma bereits Wasser in einen Bottich gekippt. Schnell schloss die Kaiserliche die Tür hinter sich, streifte die starr werdende Kleidung vom Leib und schlüpfte ins kühle Nass. Es war nicht richtig kalt, aber auch nicht gerade warm. Den noch nicht wieder warm gewordenen Füßen und Beinen gefiel dies natürlich nicht gerade, aber es half nichts. Bereits nach wenigen Augenblicken zitternd winkelte Vesana die Beine an und rutschte mit dem Kopf unter die im Licht der nahen Kerzenlaternen glitzernde Oberfläche des Wassers.
    Sofort legte es sich schützend auf ihre Ohren, blendete die platschenden Geräusche ihrer Bewegungen aus und überließ sie ihrem eigenen Herzschlag. Die Augen geschlossen massierte sie kurz die Schläfen und entwirrte anschließend ihr Haar. Es dauerte nicht lange, da trieben ihr die lockeren Strähnen wieder um das Gesicht und kitzelten auf der nackten Haut von Brust bis Stirn. Sogar die Kälte schien für einen Moment verflogen und die Gedanken verloren sich in der dunklen Stille. Ab und an entließ sie etwas Luft, um den Druck auf ihren Lungen zu reduzieren und noch einen Moment länger auszuharren.
    Letztlich half jedoch auch das nicht mehr und Vesa sah sich gezwungen aufzutauchen. Tief Luft holend entspannte sie sich und streckte die Beine durch. Das kühle Nass schimmerte braun, als sie die Augen öffnete und an sich hinabschaute. Kraftvoll begann sie damit sich die Haut an den Gliedern abzureiben, um wenigstens den gröbsten Dreck loszuwerden. Wenigstens dauerte es nicht sehr lange und sie konnte nicht einmal mehr bis zum Grund des Bottichs sehen. Seufzend ließ sie sich zum Schluss zurücksinken, legte die Arme auf den Rand der Wanne, um nicht weiter unterzugehen und legte den Kopf in den Nacken. Die Haare hingen außerhalb und zogen schwer am Kopf. Leise tropfte das Wasser aus ihnen hinaus und wirkte wie ein Pendel vor den Augen.
    Im Dämmerzustand mit nur halb geöffneten Augen, die gegen eine Wand aus groben, alten Holzplanken schauten, drifteten ihre Gedanken schnell ab. Abwesend befreite sie nun auch das Hirschkopfamulett vom Schmutz. Was hatte Kodlak gleich gesagt? „Es ist gewiss, dass er zurückkehren würde, wenn er es könnte. Reicht das nicht?“ Seine matte, raue Stimme hallte als Nebelecho in ihren Ohren wider. Wenn es doch nur so einfach wäre. Für gewöhnlich zweifelte sie nicht an dem Alten, aber es schien ihr nicht, als ob er die Tragweite völlig erfasste. Gut, es wäre ungerecht ihm das vorzuwerfen, immerhin wusste er auch bei Weitem nicht alles über sie, aber dennoch: Weise Sprüche halfen nicht. Darius war nicht nur einfach ihr Freund oder Geliebter gewesen. Für sie war er Familie. Ein Wort, das ihr gleichermaßen einen Stich ins Herz versetzte, wie es dieses zum Rasen brachte. Nach langen Jahren, die sie allein gewesen war – besser sich allein gefühlt hatte, denn daran hatte auch die Kämpfergilde in Bruma nichts ändern können – hatte er ihr das Gefühl gegeben, wieder einen Platz in der Welt zu haben. Natürlich war die Beziehung zu den Gefährten generell besser und intensiver, als zur Kämpfergilde, allerdings handelte es sich eher um enge Freunde. Aber ohne Darius … Ohne ihn war sie ein Niemand. Ein Kiesel in einem reißenden Fluss. Blind und orientierungslos. Wie konnte sie ihn also einfach loslassen? Oder gar vergessen? Was wäre das bloß für ein Verrat an ihm, so etwas zu tun?
    Erst jetzt bemerkte sie das heftige Zittern ihres Oberkörpers und das Beben ihrer Lippen. Die Zehen taub und die Finger eiskalt. Das Unwohlsein im Bauch, wie als würde sie fallen, und der leichte Kopf, als hätte sie zu viel Wein getrunken, ließen Vesa jedoch daran zweifeln, ob das kühle Wasser Schuld an ihrem Zustand war. Trotzdem raffte sie sich auf, so schwer es ihr auch fiel. Sie wollte nicht schon wieder anfangen zu weinen, sich nicht wieder in Erinnerungen an Momente verlieren, die wohl nie wieder kommen würden. Mühsam hievte sie sich aus der Wanne und rutschte fast noch auf dem Steinboden aus mit ihren nassen Füßen.
    Trotz ihrer Bemühungen mit hängenden Schultern und eingetrübtem Blick durchquerte sie den kleinen Raum und nahm sich das von Tilma zurechtgelegte Wolltuch. Die Bewegungen der Kaiserlichen verliefen wie in Zeitlupe vor ihren Augen, als sie sich nach und nach trockenrieb. Hin und her gerissen zwischen dem zentnerschweren Gefühl der Schuld und der Verantwortung und dem Wunsch es abzustreifen fiel es ihr schwer sich auch nur auf derart banale Handlungen zu konzentrieren. Der Wunsch, Darius nachzuspüren, zehrte immer an ihr. Das Gefühl, er könne noch am Leben sein. Und doch war es wohl nicht viel mehr als reines hoffnungsvolles, vergebliches Denken. Das erste Mal war er nur durch Zufall wieder aus den Fängen der Silbernen Hand freigekommen, noch dazu einer besonders militanten und aggressiven Zelle dieses Haufens räudiger Köter. Sein Glück zweimal herauszufordern musste wohl zwangsläufig in einem Fiasko enden.
    Wütend grollend schlug Vesana die Faust gegen die nahe Wand. „Scheiße!“ Ruckartig zog sie die Hand zurück, rieb über die schmerzend pochenden Knöchel und ließ das Wolltuch fallen. Stille Perlen aus salzigem Wasser tropften ihr auf die Lippen. An sich konnte sie es dem sturen Kaiserlichen nicht einmal verübeln, dass er dieses Himmelfahrtskommando auf sich genommen hatte. Es ging schließlich um genau das, was sie verbunden hatte: Familie – oder besser das Nicht-mehr-Vorhandensein ihrer Familien. Sein Bruder, der einzige der von Darius Fleisch und Blut neben ihm selbst übrig war, gefangen von genau denen, die seine Familie in den Abgrund getrieben hatten. Wäre es um ihre Schwester gegangen, sie hätte genau wie Darius gehandelt – nur dass es wohl noch unwahrscheinlicher war, dass sie jemals wieder etwas von ihrer Schwester hören, geschweige denn sie sehen würde, als dass Darius plötzlich doch noch auf der Türschwelle stand. Und von ihrem Vater wollte sie gewiss nichts mehr hören. Er hatte den Rang eines Familienmitglieds vor vielen Jahren verwirkt und mochte von ihr aus in den tiefsten Höllen der daedrischen Ebenen verrotten und vergammeln, bis er schwarz wurde.
    Völlig geistesabwesend war die Jägerin inzwischen über ihrem Handtuch zusammengesunken und lehnte an der Wand. Bei dem Gedanken an ihren leiblichen Vater spie sie aber unwillkürlich aus und schlug mit der Faust so kräftig gegen ihr eigenes Knie, dass es sich reflexartig durchstreckte und schmerzhaft knackte, während ihr der Zorn den Magen umdrehte und die Röte spürbar auf ihre Wangen trieb. Animalisch brummend trommelte sie mit den Fäusten gegen die Wand hinter sich bis ihnen jeglichen Gefühl entwich.
    Nein, so konnte es nicht weitergehen. Noch von ihrer Wut angetrieben, stand Vesana auf und rieb sich trotzig die Haare trocken, während sie zu ihrer frischen Tunika lief. Sie konnte nicht ständig einen Nervenzusammenbruch erleiden, nur weil sie an Darius dachte. Wo sollte das noch hinführen? Sie konnte sich unmöglich die Blöße geben und aus Versehen von einem der anderen Mitglieder der Gefährten, oder schlimmer: Dem Auszubildenden, bei ihrem Trauerspiel beobachtet werden.
    Barfuß, nur in die beige, einfache Tunika gehüllt, und die Haare mit dem Wolltuch verschlungen, verließ sie die Kammer und kehrte in die Haupthalle der Gefährten zurück. Tilma rührte im Topf herum und schaute zu ihr auf. „So siehst Du schon besser aus!“ Auch wenn sie sich nicht entsprechend fühlte, schenkte ihr die Kaiserliche ein zaghaftes Lächeln.
    „Ich habe die schmutzige Wäsche direkt mit bei dem Zuber gelassen“, erklärte Vesa und räusperte sich im Anschluss. Ihre Stimme klang rau und etwas brüchig. Die alte Nord nickte und ließ sie nach unten gehen. Es wurde Zeit, sich aufbruchsfertig zu machen.



    Zum nächsten Beitrag >>
    Geändert von Bahaar (28.03.2014 um 15:57 Uhr)

  12. #12

    Himmelsrand, Fürstentum Weißlauf

    << Zum vorherigen Beitrag



    Noch am frühen Nachmittag kletterten Aela und Vesana mit leichtem Reisegepäck und Jagdausrüstung ausgestattet durch die Turmruine am Ende des Tunnels aus der Tiefenschmiede. Sie gelangten auf diesem Wege schneller aus der Stadt, als wenn sie sie durch das Tor verließen und von dort den Weg in die Wildnis einschlugen. Mit der regenfesten, dickgefütterten Wildlederjacke, die sie schon auf Solstheim getragen hatte, zusammen mit einer etwas dickeren, molligen Hose und den hohen Wildlederstiefeln lief es sich selbst in diesem ungemütlichen Wetter vergleichsweise angenehm. Zwar war der Boden ziemlich aufgeweicht, weil es seit der Nacht ununterbrochen regnete, aber Vesa konnte sich Schlimmeres vorstellen. Aela lief neben ihr, ähnlich warm eingekleidet, und zusätzlich zu einem Tornister trug auch sie einen Jagdbogen mit zwei Köchern und einem Schwert auf dem Rücken.
    „Ich habe gehört, der Auszubildende hatte heute Grund zum Fluchen?“, fragte Aela.
    „Hat Skjor erzählt, ja?“
    „Ja, hat er.“
    „Er schien heute gut gelaunt zu sein.“
    „Ist er auch, immerhin hatte mal wieder jemand den Mut, sich mit ihm anzulegen. Das freut ihn doch immer.“
    „Stimmt.“
    „Es endete aber scheinbar auch wie immer, richtig?“
    „Natürlich endete es wie immer. Wann hast Du denn jemals jemanden gesehen, der Skjor in den Dreck gelegt hat?“ Die Nord lachte. Natürlich hatte sie das noch nicht gesehen. Keiner konnte das behaupten. „Wenigstens lernt man bei ihm was.“
    „Das ist wahr.“
    Für einige Zeit liefen die beiden Frauen schweigend weiter. Der Regen perlte an ihrer Jacke ab und tropfte von der Kapuze vor ihrem Gesicht hinab. Kein einziger Tropfen durch ihre Kleidung drang, außer ein wenig an den Knien, die nicht direkt von ihrem Oberteil oder den hohen Stiefel bedeckt wurden. Dennoch schien ihr alles irgendwie klamm zu sein. Die hohe Luftfeuchte kroch überall hinein und legte sich auf die Haut unter den Stofflagen. Nicht unbedingt angenehm, aber es ließ sich aushalten. Umso mehr verspürte sie das Bedürfnis sich in das weiche Fellfutter ihrer Kapuze zu kuscheln, allerdings wäre das im Gehen wohl weniger praktikabel.
    „Was ich Dich noch fragen wollte“, setzte Aela nach einer Weile an.
    „Ja?“
    „Wie war es, den Werbären zu töten? Wie sah er aus?“ Vesana hatte in gewisser Weise schon darauf gewartet, dass die Nord fragen würde. Eine so erfahrene Jägerin wie sie, die eine Kreatur noch nicht einmal gesehen hatte, musste sicherlich eine gewisse Neugier verspüren, wie es war. Die Kaiserliche konnte es sich zumindest gut vorstellen, denn ihr selbst erging es nicht viel anders. Leuten von ihrem Schlag wurde regelrecht der Mund wässrig, wenn sie gute Jagdgeschichten hörten.
    Vesa überlegte kurz, wie sie es erzählen sollte. „Es war eine atemberaubende Kreatur, Aela. Gut sechs Fuß groß, dreimal so kräftig wie jeder Werwolf, den ich bislang gesehen habe und dunkles, braunes Fell – dicht und fest – mit leuchtenden, gelbschimmernden Augen in tiefen Höhlen. Er besaß keinen Schwanz, aber seine Pranken waren massiv mit langen, scharfen Klauen“, berichtete sie und beobachtete währenddessen, wie Aela die Hände ineinanderschlang, als ob sie sich die Kreatur gut vorstellen konnte und in Ehrfurcht zu erstarren drohte. „Er hat gekämpft wie rohe Naturgewalt.“
    „Wie … wie hast Du ihn erlegt?“
    „Zufall. Selbst tiefe Schnitte schienen ihn nicht wirklich zu stören. Ich habe es irgendwann geschafft mein Stahlschwert in seiner Brust zu versenken. Als er es herausziehen wollte, hat er es einfach abgebrochen!“
    „Abgebrochen?“
    „Ja. Als wäre es ein dünner Ast. Die restliche Klinge, die steckengeblieben war, hatte ihn geschwächt, weshalb ich ihn schließlich hiermit“, sie zog ihr neues Schwert aus der Scheide auf dem Rücken, „erlegen konnte.“ Die Rothaarige sprach kein Wort sondern streckte die Hand aus und ließ sich die silberveredelte, geschwungene Waffe geben. Vorsichtig strich sie über das glänzende Metall, wog es hin und her. „Da fällt mir ein, ich habe das Fell noch unten in meinem Zimmer. Ich sollte es bei Gelegenheit noch fertig bearbeiten.“
    „Das solltest Du, ja. Woher hast Du das hier?“ Sie reichte der Kaiserlichen ihre Waffe zurück, die diese anschließend wieder auf dem Rücken verstaute.
    „Die habe ich einem Banditen auf Solstheim abgenommen.“
    Abgenommen?“
    „Ja. Noch am ersten Tag bin ich mit ein paar Räubern zusammengestoßen. Der Anführer dachte, ich wäre leichte Beute, und hat sich etwas verschätzt. Seine Kumpane sind dann geflohen. Ich habe es bei den Skaal noch etwas mit Silber veredeln lassen, aber so grundsätzlich ist es seine Klinge gewesen.“
    „Sie hat eine interessante Balance.“
    „Ja, das dachte ich mir auch. Jetzt wo ich mein Stahlschwert gegen den Werbären verloren habe, bleibe ich erstmal bei dem hier.“
    „Vernünftig.“
    „Wo wollen wir eigentlich hin? Zum Jagen, meine ich“, wechselte Vesana das Thema.
    „Hier in den Prärien nördlich von Weißlauf, noch in Reichweite für heute, gibt es eine kleine verlassene Hütte, die ich letztens mit Skjor entdeckt habe. Da werden wir heute unsere Sachen unterstellen und später schlafen“, erklärte Aela. „Morgen können wir dann früh los und weiter nach Norden, näher an die Wälder und Berge heran – oder vielleicht schaffen wir es sogar ganz bis zu ihnen. Da sind wir weit genug weg von Dörfern oder großen Städten und auch ungestört.“
    „Klingt gut.“
    „Die Vollmondnacht und die danach können wir dann noch dort bleiben und uns im Anschluss auf den Rückweg machen.“ Es war in der Tat ein guter Plan. So konnte sich das Biest in ihr austoben und selbst wenn es in der Vollmondnacht nicht auf Aela als Leitwolf hören sollte, mochte wohl nichts Schlimmes passieren. Bis dahin mussten sie aber erst einmal noch eine Weile durch das ungemütliche Wetter stapfen.
    Schmatzend lösten sich ihre Stiefel aus dem Boden, der sie scheinbar kaum noch loslassen wollte. Eine zwar weiche, aber dann doch unangenehme Umklammerung, aus der sich die Kaiserliche nur allzu gern wieder zurückzog. „Gibt es eigentlich neue Anwärter, die in den Zirkel aufgenommen werden könnten?“, fragte Vesa nach einiger Zeit, die sie schweigend zurückgelegt hatten.
    „Nein. Bislang hat sich niemand hervorgetan, der für das Geschenk des Wolfsblutes bereit wäre.“
    „Hm, verstehe. Aber es gab auch keine Zwischenfälle mit anderen Rudeln, so wie vor – wann war das gleich – einem dreiviertel Jahr?“ Sie bezog sich damit auf eine eher umherstreunende Bande von Werwölfen, die für Unruhe gesorgt hatte. Zwar hatten die Unwissenden eher nur von großen Wölfen berichtet, aber der Zirkel wusste es aus Erfahrung natürlich besser und hatte sich zum Eingreifen gezwungen gesehen, um die eigene Tarnung nicht aufs Spiel zu setzen. Es endete mit zwei Toten auf der Seite der kleinen Bande, darunter dessen Leitwolf, und die anderen beiden waren geflohen. Bei dem Gedanken an die Geschichte verknotete sich ihr Magen und die Augenbrauen senkten sich ein Stück. Immer dann, wenn sich ihre Art untereinander bekämpfte, stimmte es sie traurig. Es gab größere Feinde, aber das half meist nichts. Die Streuner – und es gab viel zu viele von ihnen – waren in der Regel nichts anderes als verfilzte Halunken, die mit ihrer Gabe nicht umzugehen vermochten und deshalb den Rest ihrer Gattung in Bedrängnis brachten. Als ob die Territorialität der größeren Rudel nicht schon für genug Ärger zwischen den Wölfen sorgte, nein, es musste auch noch die geben, die alles fraßen, was ihnen vor die Nase lief.
    „Nein, zum Glück. So ruhig, wie die Silberne Hand zurzeit ist, verhält es sich auch mit den Rudelrivalitäten. Obwohl wir das Fürstentum inzwischen ohnehin recht gut für uns beansprucht haben. Jetzt wo Du wieder da bist, können wir aber vielleicht etwas offensiver neuen Kontakt mit anderen suchen und womöglich unsererseits der Hand eins auswischen.“ Seit sie Darius kennengelernt hatte, war Vesana mit ihm regelmäßig auf der Suche nach anderen Rudeln gewesen, um Partnerschaften anzustreben und den Werwolfsjägern der Silbernen Hand stärkeren Widerstand entgegenzusetzen. Während Vilkas und Kodlak das in ihrer Zurückhaltung gegenüber dem Geschenk Hircines nicht gerade begrüßt, wenngleich auch nicht unterbunden hatten, fand diese Idee bei Skjor und Aela enormen Zuspruch und starke Unterstützung. Allerdings hatten die größeren Wolfsrudel selten Interesse, eher Skepsis oder gar Geringschätzung gezeigt, und die kleineren verschwanden so schnell, wie sie sie gefunden hatten – entweder weil sie von einem größeren Rudel vertrieben worden waren, oder weil sie die Hand erwischt hatte. Und seit Darius‘ Verschwinden hatte Vesa die Tätigkeit der Bündnissuche niedergelegt.
    „Eine gute Idee“, stimmte die Kaiserliche schließlich zu. Nicht zuletzt würde das wohl auch eine Möglichkeit bieten, mehr über den Verbleib ihres Geliebten in Erfahrung zu bringen.
    „Schön, dass Du das so siehst. Dann sollten wir uns wohl mit Skjor zusammensetzen, sobald wir wieder zurück sind.“ Vesana nickte, auch wenn die Nord das wohl kaum sah. Den Blick hielten sie beide eher gerade aus, um nicht fehlzutreten auf dem rutschigen Untergrund. Zumal sich die Sicht nicht gerade als herausragend bezeichnen ließ. Der dichte Grauschleier des Regens verschluckte die Umgebung schon im nahen Umkreis nahezu vollständig. Noch dazu wurde es allmählich dunkel. Ganz zu schweigen vom konstanten Rauschen der großen Tropfen, die schwer auf ihren Kopf und die Schultern prasselten, und jeden Laut der Umgebung verschluckten, da mussten sie die Augen eher auf die Umgebung, anstatt aufeinander, halten. „Ah, da vorne ist sie.“ Aela hob die Hand und deutete voraus ins verschwommene Dämmerlicht.
    Mühsam, und auch nur aufgrund ihrer verbesserten Sinne, entdeckte Vesana die dunkle Ecke eines Holzverschlags hinter einem etwas größeren Findling. Einen Bogen beschreibend und so den Felsen weiträumig umringend, näherten sie sich der Hütte. „Da regnet es doch rein!“, murrte Vesa, als sie die großen Lücken zwischen den Brettern der Seitenwände und die schiefe, niedrige Eingangstür erkannte. Das Dach mochte kaum anders aussehen.
    „Dafür haben wir ja unsere Zeltplanen dabei.“
    Das Abdichten der Hütte mit ihren Zeltbahnen gestaltete sich als umständliches Unterfangen. Ständig rutschte der Stoff irgendwo wieder heraus, oder sie glitten ab, oder kamen gar nicht erst dort hin, wo es sinnvoll gewesen wäre ihn zu befestigen. Irgendwann im Dunkeln der hereingebrochenen Nacht schafften die beiden Frauen es schließlich, einen einigermaßen ausreichenden Teil der Hütte regenfest zu machen und dort ihre Schlafunterlagen auszubreiten. Wirklich komfortabel war es zwar nicht, zumal die widerliche Feuchtigkeit des Wetters überall hineinkroch und das Holz, vollkommen vollgesogen mit dem Nass, auch noch recht modrig roch, aber es würde wohl ausreichen, um hier eine Nacht zu verbringen. Wenigstens half die Kälte und das durch die Zeltplanen und den Bretterverschlag gedämpfte Rauschen des Regens durch seine Monotonie Vesanas Kopfschmerzen zu lindern. Mit jedem Moment, den die Nacht weiter über sie hereingebrochen war auf ihrem Weg, hatten sich diese verstärkt, als ob das Biest in ihr immer weiter aufwachte und gegen die Stäbe eines Käfigs schlug, um auszubrechen.
    Zuletzt fühlte es sich so an, als würde ihr Schädel förmlich platzen. Es zog und stach, gelegentlich schoben sich die scharfen Reißzähne auch ein Stück heraus, bevor sie mit einem Stöhnen und scheinbar in Wut geballten Fäusten ihre Augen einen Moment schloss und gegen das Bedürfnis ihren Trieben freien Lauf zu lassen, ankämpfte. Jetzt, wo Vesa auf ihrer ledernen und fellbesetzten Schlafunterlage saß, beruhigte sie sich selbst durch gezwungen regelmäßige Atemzüge und seichtes Wippen des Oberkörpers bei angezogenen Beinen, die sie mit den Armen umschlungen hielt. Die feurigen Messerstiche quer durch den Kopf versuchte sie durch Bisse auf die Unterlippe auszublenden. Ihre Begleiterin kümmerte sich gerade noch um die letzten Handgriffe an der Hütte, hatte aber einsehen müssen, dass die Kaiserliche in diesem Zustand keine ernsthafte Hilfe mehr war.
    Zusätzlich erinnerte sie die Situation an eine von zahlreichen Jagden mit Darius. Oft hatte sie mit ihm Zeit in den Wäldern an den Ufern des Ilinalta-Sees verbracht. Genau genommen am südlichen Ufer, wo sie ein sehr altes, verlassenes, kleines Blockhaus entdeckt hatten. Über den Verlauf mehrerer Jahre hatten sie dieses zu ihrer Zuflucht in den Sommermonaten ausgebaut und recht wohnlich eingerichtet. Es war dort gewesen, wo sie sich erstmals näher kennengelernt hatten. Es war dort gewesen, wo sie von ihrer gegenseitigen Lykantrophie erfahren hatten. Es war dort in der nahen Umgebung gewesen, auf einer Wiese zwischen Wald und See, dass er ihr bei der Arbeit an ihrem Totem der Jagd geholfen hatte. Und es war dort gewesen, wo sie sich das letzte Mal gesehen hatten.
    Irgendetwas berührte Vesana an der Schulter und sie schreckte zusammen. Für einen kurzen Moment ließ der Kopfschmerz ihr Blickfeld verschwimmen, das ohnehin nur von einer kleinen Sturmlaterne erhellt wurde. Erst Aelas feste Stimme holte sie zurück ins Hier und Jetzt. „Es ist alles fertig. Lass uns aufbrechen, dann legen sich auch Deine Kopfschmerzen.“ Die Kaiserliche nickte nur benommen, als hätte ihr jemand einen Holzknüppel über den Kopf gezogen. Im Anschluss stemmte sie sich steifbeinig hoch und begann wie auch die Nord damit, sich auszuziehen. Jacke und Hose legte sie ans Kopfende des Nachtlagers nahe der Außenwand des kleinen Schuppens, die Stiefel stellte sie ans Fußende in die Nähe ihres Felleisens und ihrer Waffen. Als letztes, bereits vor Kälte heftig zitternd, streifte Vesa ihre Tunika über ihren Kopf, warf sie auf das Nachtlager und befreite die langen Haare aus dem Knoten am Hinterkopf. Noch immer klamm fielen sie ihr auf die Schultern und kitzelten die Haut.
    „Dann mal los.“ Aela nickte in Richtung Tür und lief auch direkt los. Ihre nackten Füße hüllten sich schnell in braunes Schmutzwasser auf ihrem Weg dorthin und gleich darauf verschwand ihre sich hell vor den dunklen Wänden abhebende Gestalt durch den Eingang. Die Kaiserliche löschte noch die Laterne. Mit der plötzlich alles verschluckenden Dunkelheit verschwand auch ihre Orientierung im Hier und Jetzt, sie gab sich auf und verlor sich nicht nur im Dunkel der Welt, sondern auch in dem ihrer Gedanken.



    Zum nächsten Beitrag >>
    Geändert von Bahaar (04.04.2014 um 18:54 Uhr)

Stichworte

Berechtigungen

  • Neue Themen erstellen: Nein
  • Themen beantworten: Nein
  • Anhänge hochladen: Nein
  • Beiträge bearbeiten: Nein
  •