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Provinzheld
Himmelsrand, Weißlauf
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Ihr Wagen stand am Rand der Terrasse und nur wenige Schritte von der Tür entfernt. Die Hitze des Tages brandete über Vesana hinweg, als sie aus Jorrvaskr hinaustrat und trieb ihr augenblicklich den Schweiß auf die Haut. Nach einem kurzen Blick auf das tiefer liegende Umland und die Gebirgsketten im Süden und Osten atmete sie tief durch, blähte die inzwischen vollständig genesenen Lungen auf und wandte sich ihren Habseligkeiten zu. Da sie hier oben über keine frische Kleidung mehr verfügte, schmiss sie die schmutzigen Stücke einfach zusammen in einen der beiden Tornister. Sie würde am nächsten Tag, nach ihrem Bad und frisch eingekleidet, Tilma zur Reinigung geben.
Nach und nach schaffte sie ihre Sachen ins Innere der Halle der Gefährten. Ihr kleiner Raum, der zusammen mit den Zimmern der anderen Zirkelmitglieder und dem Schlafsaal für die übrigen Angehörigen der Gemeinschaft im Untergeschoss lag, war nicht verändert oder in der Zwischenzeit benutzt worden. Alles befand sich dort, wo sie es zurückgelassen hatte. Die Schmuckschatullen, ihre zurückgelassene Kleidung, ihre mit einem dicken Schloss versiegelte Goldtruhe und allerlei Dekoration von Fellen und Geweihen bis hin zu einem Gemälde und einem dichten, weichen Teppich quer unter dem noch immer bezogenen Doppelbett. Es roch in dem kühl-feuchten Gewölbe wie am Tag der Abreise verhalten nach Bergkräutern. So lange wie sie ihn nicht mehr getragen hatte, bemerkte sie sogar noch den Duft ihres eigenen, sehr zurückhaltend fruchtigen Parfüms.
Einen Augenblick lang blieb sie am Eingang stehen, ließ den Schmutzwäschetornister auf den Boden fallen und legte das Schwert, den Bogen und die Armbrust auf die nahe Kommode. Die Augen geschlossen sog sie den Geruch der Kammer ein und fand sich unfähig, einige Bilder aus vergangenen Tagen zu verdrängen. Lange und zahlreiche Stunden hatte sie mit Darius hier verbracht, sein Duft gehörte zu dem Raum, wie alles andere, das sie hier untergebracht hatte. Mühevoll öffnete Vesana die Lider und wischte sich eine einsame Träne von der Wange. Mit langsamen Bewegungen verstaute sie die Waffen an ihrem persönlichen Waffenständer, schob ihr Gepäck in die Nische hinter der Tür, wo es erst einmal nicht störte, und deponierte auf dem Rückweg nach oben die übrigen Bolzen und Pfeile in der Waffen- und Munitionskammer. Jeder der Gefährten konnte sich dort für Aufträge und Reisen eindecken, wie es ihm passend erschien, aber es stand ihnen auch frei, eigene Ausrüstung zu tragen. Die Geschosse waren daher meist das einzige, das sich alle Mitglieder der Gemeinschaft teilten.
Nach dem fünften Mal, dass sie die Stufen in den Keller hinabstieg, befanden sich schließlich auch die übrigen Ausrüstungsgegenstände – angefangen bei ihrer Rüstung, über die Schlafunterlage und das Zelt, bis hin zu allerlei Werkzeug, das sich auf ihrem Karren tummelte, weil es noch Platz gab – in ihrer Kammer. Der Wagen lehnte bei seinen Vettern an der Stadtmauer Weißlaufs, die den Übungsplatz hinter Jorrvaskr begrenzte und die Kaiserliche saß auf der Kante ihres weichen Bettes. Ihr Totem der Jagd in den Händen spielte sie mit den Eckzähnen der erlegten Raubtiere und inzwischen baumelte auch der Zahn des Werbären um den Hals der wolfsähnlichen Figur. Vorsichtig wanderten ihre Finger von den Fängen hinauf zu dem hölzernen Gesicht und strichen über Nase und Augen bis zu den spitzen Ohren. Unverändert empfand sie Stolz und Freude beim Anblick ihres Werkes. Es war ihr gut gelungen und erfüllte seinen Zweck. Zugegebenermaßen hatte sie aber auch einen guten Lehrer für die Schnitzerei gehabt. Ein zaghaftes Lächeln umspielte ihre Mundwinkel, zog jedoch gleichzeitig schwer an den Augenlidern und Brauen. Seufzend stand sie auf, stellte die Figur in eine dunkle Nische eines ihrer Regale und schlang die Finger der Rechten um das Hirschkopfamulett. Im Hinausgehen gab sie dem silbernen Kopf um ihren Hals einen Kuss und versteckte ihn anschließend wieder unter der Tunika.
Auf dem Korridor, zu dem auch die anderen Räume ihre Türen hatten, vernahm sie augenblicklich laute Stimmen. Sie drangen aus dem Schlafsaal und boten eine Mischung aus Aufregung, Freude, Frust und Zorn. Athis, Ria und zwei erst kurz vor Vesas Abreise beigetretene Welpen, die sie kaum kannte, spielten weiterhin Karten. „Du betrügst, ganz klar!“, fluchte Athis der Dunmer, der sonst auch nicht viel für lange Reden übrig hatte. „Wo sind die Karten? In Deinem Ärmel, hmp?!“
„Ganz ruhig, hier betrügt keiner, Du bist einfach nur ein schlechter Verlierer!“, konterte Ria. Wie richtig sie doch lag. Die Jägerin lehnte inzwischen neben dem Eingang zum Schlafsaal an der Wand und lauschte, ohne dass die vier im Innern etwas bemerkten. „Außerdem: Was würdest Du schon tun wollen? Mich schlagen?“ Aus dem Raum schallte Lachen.
„Pass‘ nur auf!“
„Ach, Athis. Du würdest doch bloß wieder eine blutige Nase davontragen. Lass‘ gut sein und lieber noch eine Runde spielen“, beschwichtigte die offensichtlich häufig gewinnende Ria.
Schmunzelnd überließ die Jägerin die Glücksspieler sich selbst und kehrte nach oben zurück. Außer Tilma, die sich um das Essen für den Abend kümmerte und am Topfkessel hantierte, hielt sich hier niemand auf. Kodlak saß wohl noch immer in seinem Arbeitszimmer und Vilkas traf die Kaiserliche auf der schattigen Terrasse an. Jetzt am späteren Nachmittag warf auch die Halle der Gefährten einen zunehmend längeren Schatten über ihre Rückseite und das ebene, staubige Terrain. „Aela und die anderen sind noch nicht zurück?“
„Nein, aber ich bin sicher, dass sie bald kommen werden“, antwortete der Nord, ohne sich von seinem Stuhl zu erheben oder umzudrehen. Starr und nachdenklich ließ er den Blick in die Weite schweifen. „Du wirst heute jagen, ja?“
Sie blieb etwas hinter dem Zirkelmitglied stehen und folgte seinem Blick in die Ferne. „Ja.“
„Willst Du Gesellschaft?“
„Nein.“
Aus dem Augenwinkel schien es, als lächelte der Sitzende. „Natürlich nicht. Manche Dinge ändern sich eben nie.“ Es klang fast, als spräche er mehr zu sich selbst. Ebenfalls gedankenabwesend benötigte sie einen Moment zu reagieren.
„Es scheint so.“ Im Schlenderschritt verließ sie die Terrasse und lief nach links um Jorrvaskr an der Tiefenschmiede vorbei bis hinauf zur Himmelsschmiede. Eorlund schien bereits nach Hause gegangen zu sein, denn sie traf ihn nicht am hoch liegenden Platz der Schmiede an. Es war ihr ganz recht. Sie mochte den Platz am Rand des Plateaus, der nicht befestigt worden war. Häufig hatte sie in der Vergangenheit dort die Beine über die Kante baumeln lassen und über das südöstliche Fürstentum bis zu den Bergen geschaut. Die Abendstunden eigneten sich hervorragend dafür, wenn die Gebirgszüge aus dem Westen angestrahlt wurden und das Rot der Dämmerung zurückwarfen. Ein schöner Anblick und irgendwie kam es ihr so vor, als dränge der Klang der lebendigen Stadt nie so richtig bis zu diesem Flecken vor.
Auch jetzt säuselten ihr nur sanfte Windstöße um die Ohren, spielten mit ihren Haarsträhnen und kitzelten die Haut. Genussvoll schloss Vesana die Augen und ließ sich treiben. Die Hände auf den Stein gestützt schlug sie die Fersen sacht abwechselnd gegen die Felswand. Viel zu lange lag es zurück, dass sie das letzte Mal hier gesessen hatte. Doch der Moment hielt nur kurz vor, schwere Schritte und metallenes Schaben vernahm sie von unterhalb bis sie schließlich direkt unter ihr stoppten. „Da bist Du!“ Es war Farkas.
Verzögert öffnete die Kaiserliche die Lider und beugte sich vor, um zu ihm hinab zu schauen. „Hier bin ich.“
„Gold?“ Der große Nord in seiner stählernen Rüstung schaute sie aus seinen silbergrauen Augen heraus an, als befürchte er, sie könne jeden Moment springen. Nur das klingende Geldsäckel in seiner erhobenen Linken strafte seine Erscheinung Einbildung.
„Wofür?“ Vesa legte den Kopf schief und hob eine Augenbraue.
„Die Identifizierung eines Drogenhändlers, Beschlagnahmung seiner Ware, sowie die Festnahme eines Mordverdächtigen“, erklärte Farkas. Auf seine rauen Gesichtszüge stahl sich ein breites Grinsen.
Die Jägerin spitzte triumphierend die Lippen, bevor sie ein schiefes Lächeln auflegte. „Nun, wenn das so ist …“
„Dann komm‘ runter!“, forderte er sie auf und sie leistete Folge. „Deine Prämie.“ Er händigte ihr das Geld. „Fünfhundert.“
„Ziemlich viel.“ Sie wog den prallen Beutel in den Händen hin und her.
„War auch viel Skooma.“ Zusammen kehrten sie in die Halle der Gefährten zurück.
„Ist alles gut gegangen?“, fragte Vesana auf dem Weg.
„Er wusste nicht, was über ihn kam, als die Wachen sich über seinen Wagen hermachten“, entgegnete Farkas. „Leicht verdientes Geld für alle von uns. Zweitausend mit den jeweiligen Anteilen. Deine Prämie ist extra. Es gab wohl eine Belohnung für zu einem Erfolg führende Hinweise.“
„Nicht übel. Was ist mit den Khajiit vor den Toren?“
„Die haben immer Skooma. Nichts wofür man sie länger als ein, zwei Nächte in Haft nehmen könnte.“ Aela fing sie auf der Terrasse ab. Neben ihr stand Vilkas – offenbar hatten sie genau dieselbe Konversation geführt, wie die Kaiserliche und Farkas. „Außerdem ist deren Skooma gestreckt, also lässt man es gleich bleiben. Das hochkonzentrierte Zeug war noch auf dem Karren dieses Hrothluf, der wohl eigentlich Trargolf heißt.“ Vesana knirschte hörbar mit den Zähnen. Die Anspannung in der Kiefermuskulatur sandte Stiche nach oben in die Schläfen. „Du konntest es nicht besser wissen. Du hättest sehen sollen, wie viele verschiedene kleine Schauspiele er uns geliefert hat. Kann durchaus überzeugend sein, der Kerl, aber so können es Balgruufs Männer.“ Sie legte ein süffisantes Lächeln auf. „Und gerächt hast Du Dich ja jetzt auch.“
Der Triumpf kehrte auf das Gesicht der Kaiserlichen zurück. „Stimmt.“ Behände warf sie ihr Geldsäckel hoch und fing es klimpernd wieder auf. Gemeinsam traten die Vier ein, doch während die drei Nord sich an die Tafel zu den übrigen Gefährten setzten, bog Vesa in den Keller ab, um ihr verdientes Gold wegzuschließen. Außerdem wollte sie gleich noch einige frische Kleidungsstücke zusammensuchen, die sie am kommenden Morgen tragen wollte. In einem Beutel verstaut, warf sie sich die Jägerin über die Schulter und kehrte nach oben zurück.
„Willst Du nichts zu Abend essen?“, fragte Aela.
„Nicht jetzt. Später.“ Die Zirkelmitglieder wussten Bescheid. Sie verließ Jorrvaskr und ging zielstrebig zur Tiefenschmiede. Mittels eines kleinen, für jemanden, der nicht wusste, wonach er suchen musste, kaum zu erkennenden Druckschalter aus Naturstein ließ sich der naturbelassene Durchgang öffnen und gab die Kaverne mit der erhöhten Schale in der Mitte und den drei Podesten am Rand frei. Von dort, wo das Ritual zur Aufnahme in den Zirkel vollzogen wurde, zweigte ein Tunnel aus der Stadt ab, der in einem verfallenen Turm endete. Der perfekte Ausgang, um unentdeckt in und aus Weißlauf zu kommen – nicht für Schmuggler, zu hoch war der Absatz in der Ruine, der Tunnel und Freiheit trennte, aber genau richtig für nächtliche Jagden.
Ein einfaches Nachtlager aus Stroh, das Platz für zwei bis drei Personen bot, machte eine Rückkehr und Übernachtung in der Höhle möglich. Es stellte sicher, dass niemand bei seiner Verwandlung oder in anderweitig verdächtigen Situationen beobachtet werden konnte. Vesana legte zunächst nur ihren Beutel ab und kehrte danach an ihren vorherigen Platz am Rand der Himmelsschmiede zurück. Noch stand die Sonne über der Horizontlinie, knapp nur, aber dennoch strahlte sie hell über das Land – zu hell. Für einen Jäger der Nacht musste es vollkommen dunkel sein. Somit beschränkte sich die Kaiserliche zunächst darauf, das Farbenspiel an den Bergflanken zu beobachten und die frischere Abendluft, die eine willkommene Abwechslung zur Hitze des Tages bot, zu genießen.
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Geändert von Bahaar (23.11.2013 um 13:28 Uhr)
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