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Thema: [Sky] Rollenspielthread #1 (Signatur aus)

Hybrid-Darstellung

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  1. #1

    Solstheim, südwestliche Küste, Rabenfels

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    Ein Krug und Schälchen standen inzwischen nicht mehr auf der Kommode, deren Vorgänger Vesana von dieser gefegt hatte, sondern ganz am Rand auf dem kleinen, runden Tischlein mit den zwei Stühlen. Ihr Tornister lehnte von außen am einzigen Schrank im Zimmer. Ansonsten entdeckte sie nichts, dass sie nicht zuvor schon schemenhaft wahrgenommen hatte, während sie auf der Seite lag und zum ersten Mal wieder einigermaßen klar zu denken vermochte. Das Atmen fiel ihr nach wie vor schwer, aber immerhin schmerzte es nicht mehr so sehr, dass es ihr jedes Mal die Sehschärfe raubte. Außerdem schien der Schwindel verschwunden zu sein, zumindest solange sie lag. Aber genauer würde sie es in Kürze wissen. Entschlossen, dieses Mal weiter als bis zum niedrigen Ablageschränkchen zu kommen, streckte die Jägerin die Füße unter der Bettdecke hervor und stützte sich zunächst auf den rechten Ellbogen. Anschließend brachte sie sich in eine sitzende Position und schlang die Wolldecke um die Schultern. Ein wenig fröstelte es ihr noch, aber das mochte gut auch am Hunger, Durst und dem allgemeinen Gefühl von Schwäche liegen und nicht an einer kühlen Umgebung.
    Sich auf jede einzelne Bewegung konzentrierend begann Vesa damit aufzustehen. Anschließend tastete sie sich gebückt erst am Bett und anschließend an der Kommode entlang. Dort hielt sie wie zuvor inne und brachte sich in eine normale Körperhaltung. Das Ziehen in der Brust strafte sie jedoch unverzüglich ab, weil sie zu hastig agierte und so krümmte sie sich erst noch einmal, bevor sie wieder normal Luft bekam. Im Anschluss setzte sie den Weg zur Tür fort und hatte dabei immer eine Hand an der Wand, um sich selbst ein gewisses Sicherheitsempfinden bei ihren Schritten zu vermitteln. An der Tür angekommen, lehnte sie sich mit der Schulter gegen die Wand und drückte die alte Eisenklinke hinunter. Ein Dunmer mit feuerrotem Haar und einem linksseitig umfassend tätowierten Gesicht wandte sich ihr augenblicklich zu. Etwas Überraschung huschte über die sonst steinernen Züge. Vesana brauchte einen Moment, um die bekannte Erscheinung zuzuordnen, aber schenkte der Wache von der Basaltmauer schließlich ein völlig entglittenes, schiefes Lächeln zum Gruß. „Könntet Ihr“, begann sie mit kraftloser Stimme zu sprechen, „den Ältesten Othreloth holen?“ Der Dunmer nickte und verschwand aus dem Sichtfeld der Kaiserlichen.
    Diese schloss den Durchgang und kämpfte sich zurück zu ihrer Schlafstatt, auf die sie sich schließlich sinken ließ und erschöpft zurück gegen die Wand lehnte. Die Augen geschlossen wartete sie darauf, dass der Priester kam. Erst, als sie vernahm, wie die Tür aufgeschoben wurde, hob sie die Lider. Der alte Dunmer mit den langen, weißen Haaren und in einem Zopf auslaufenden Kinnbart nahm sich einen Stuhl und setzte sich vor die Jägerin. „Wie geht es Euch?“, seine dunkelrot glühenden Augen strahlten zwar eine gewisse Bedrohlichkeit aus, doch die feinen Falten an den Augenwinkeln und die weiche Tonlage ließen diese schnell vergessen werden.
    „Kraftlos“, entgegnete Vesa. „Und hungrig.“ Othreloth lächelte.
    „Dagegen können wir etwas unternehmen. Hunger ist ein gutes Zeichen. Wie geht das Atmen?“
    „Schwer. Aber besser.“ Der Geistliche nickte und zupfte sich am Bart.
    „Was haltet Ihr davon, wenn ich Euch eine Suppe und etwas Wasser bringe und wir uns versuchen zu unterhalten?“
    „In Ordnung.“ Als ob sie auch eine Wahl hätte. Aber sie wollte nicht klagen, immerhin verdankte sie diesem Mann ihr Leben, da ließ sich ein kleines Gespräch schon verkraften. Im Zweifel konnte sie immer noch abbrechen, weil ihr die Kraft zum Sprechen fehlte.
    „Setzt Euch doch schon an den Tisch, ich komme gleich zurück.“ Damit erhob sich der Priester und schob den Stuhl zurück an seinen vorherigen Platz. Vesana harrte noch einen Moment auf dem Bett aus, dann kämpfte sie sich zum Rundtisch vor und setzte sich. Die Decke hielt sie nach wie vor um die Schultern geschlungen, obgleich es nichts gegen die frierenden Zehen und Füße half. Wenig später kehrte der grauhäutige Weise zurück, stellte eine dampfende, herb duftende Suppenschüssel vor sie, legte etwas Brot dazu und schenkte aus einem Krug Wasser in eine Tasse. Er ließ die Kaiserliche erst einmal einige Löffel voll der kräftigen Kräuter- und Gemüsebrühe schlucken und schwieg.
    Das heiße Mahl weckte frische Lebensgeister in Vesa. Sie spürte förmlich, wie neue Energie durch ihren Körper strömte und das leichte Zittern, das ihren Körper fest umklammert hielt, allmählich zurückdrängte. Ihre leichenblassen Hände und Unterarme erhielten bald darauf eine leichte fleischige Färbung und nach der Hälfte der Schüssel verebbte auch das Beben der Lippen. Geschmack zählte in diesem Moment nicht, die neugewonnene Kraft rechtfertige zu diesem Zeitpunkt so gut wie alles. Zusammen mit dem Brot sättigte die warme Mahlzeit auch noch in völlig ausreichendem Maße. Zufrieden lehnte sich die Kaiserliche zurück, trank noch einen Schluck und fasste anschließend die Enden der Decke, um sie dichter um sich zu schlingen.
    „Besser?“, fragte Othreloth.
    „Ja.“
    „Denkt Ihr, wir können uns etwas über die Geschehnisse von vor einer Woche unterhalten? Was Ihr gesehen habt und was genau eigentlich passiert ist?“
    Sie schaute den Geistlichen an, musterte seine tiefroten Augen und die Regungen auf dem Gesicht, um ihn besser kennenzulernen, doch verrieten die Züge wenig mehr, als ihr schon bekannt war. Es schien, als wollte er zu Schonungszwecken die Befragung der Verletzten übernehmen und sie nicht den Gardisten der örtlichen Behörden überlassen. „Ich werde Euch sicherlich nur wenig erzählen können, aber ja“, stimmte Vesana zu. Einiges wollte sie auch nicht erzählen, aber das musste der Priester nicht wissen.
    „Wisst Ihr, wer Euch angegriffen hat?“
    „Nein.“ Die erste Lüge gleich zu Beginn. Sie kannte nur nicht seinen Namen. „Der Waffenwahl nach zu urteilen aber ein Assassine.“ Einer aus der Morag Tong, um genau zu sein. Allein der Gedanke an diese Organisation ließ gleichermaßen Wut wie Furcht in ihr aufsteigen. Welches genau es war, das sie die Faust unter der Decke ballen ließ, wusste sie nicht. Auf jeden Fall stieß ihr die Suppe im Magen auf und nur mühsam gewann sie die Oberhand über die aufquellenden Gefühle.
    „Ja, das liegt nahe. Auch, da er sich schnell entfernen konnte und unverändert verschwunden bleibt“, dachte der Älteste des Tempels laut darüber nach. Er zupfte sich grübelnd unaufhörlich an Kinn und Bart herum. „Könnt Ihr Euch an irgendetwas genauer erinnern? Hat er etwas gesagt? Wie hat er Euch überfallen? War es ein Mann, oder eine Frau?“
    „Ich vermute, dass es ein Dunmer war. Ein Mann. Er hat mich von hinten festgehalten und niedergestochen. Mehr ist da nicht.“ Die Worte des Meuchlers spielten keine Rolle und waren ohnehin privat. Selbst wenn sie sie kundgab, änderte das nichts. Ihren Angreifer würden die Wachen hier ohnehin nie zu fassen bekommen.
    „Hm, das ist nicht sehr viel.“
    „Tut mir leid, es ging alles so … so verdammt schnell“, sie brach künstlich ab, strich sich mit der Linken über das Gesicht und massierte die Augen. Diese Standardfragen führten zu nichts.
    „Schon in Ordnung, verzeiht“, entschuldigte sich der Priester. „Nur eines noch, zum Abschluss: Habt Ihr etwas von einem Bären mitbekommen, der sich in der Nacht in Rabenfels aufgehalten hat?“
    Jetzt wurde die Kaiserliche hellhörig und schaute auf. „Ein Bär?“ Konnte es das gewesen sein, was sie kurz vor der Ohnmacht noch vernommen hatte? Dieses animalische Grollen begleitet von Kampfgeräuschen?
    „Ja. Es scheint, als hätte er sich zum Zeitpunkt des Überfalls auf Euch in der Straße aufgehalten und Euren Angreifer attackiert. Die Wachen sind erst durch ihn darauf aufmerksam geworden, dass sich etwas ereignet hat. Als sie eintrafen, rannte er jedoch durch den Tunnel im Bollwerk hinter einer schlanken Gestalt her.“
    Vesana überwand ihre erste Neugier und Überraschung und schüttelte sacht mit dem Kopf. „Nein, tut mir leid. Ich habe nichts bemerkt.“ Für die Zeit vor und während des Überfalls traf dies auch zu.
    „Schon in Ordnung. Wenigstens habt Ihr es überstanden.“ Freundlichkeit stahl sich auf die Züge des Dunmers und er faltete endlich die Hände im Schoß zusammen. Das Fummeln am Bart hatte mit der Zeit zu stören begonnen.
    „Ich würde mich gerne noch etwas bewegen. Umherlaufen, vielleicht“, wechselte Vesa das Thema. Wenn sie sich jetzt wieder hinlegte oder allein zurückblieb, wären unangenehme Gedanken und Erinnerungen vorprogrammiert. Mit der kalten Wut im Bauch und der Furcht in den Knochen in einem stillen Raum und allein zu ringen erfüllte nicht gerade ihre Vorstellungen von Erholung und Rückgewinnung von Kraft. Sie musste sie herauslaufen und irgendwo vor der Zimmertür abladen.
    „Natürlich. Lasst mich Euch aufhelfen, dann bringen wir die Schüssel weg und gehen etwas durch den Tempel.“ So taten sie es dann auch.

    In den folgenden Tagen erlangte die Jägerin sehr rasch ein Grundmaß ihrer Kräfte zurück und sah sich letztlich in der Lage, auch ganz ohne fremde Hilfe zu gehen. Zwar hatte sich noch längst nicht ihre übliche Verfassung wiederhergestellt, aber immerhin ließen sich einfache Wege erledigen – regelmäßige Pausen zum Luft holen und Sammeln vorausgesetzt. Othreloth befand am Morgen des zehnten Tages nach dem Überfall, dass sie soweit ausreichend genesen war, dass sie die Rückreise nach Himmelsrand antreten konnte. Nicht zuletzt verdankte sie das den Heilkünsten des Priesters und der Unterstützung der örtlichen Alchemistin.
    „Die salzhaltige Seeluft sollte Euch gut tun“, erklärte der Geistliche, als sie sich verabschiedeten. „Und hier habt Ihr noch drei kleine Heiltränke, die Ihr in den nächsten Tagen zusätzlich als Dampfbad einatmen solltet, damit die regenerierende Wirkung ohne Umwege direkt an die verletzten Stellen dringt. Ihr kennt das ja bereits. Danach sollte der Heilungsprozess von alleine rasch voranschreiten und Ihr Eure alte Stärke zurückgewinnen.“ Vesana nickte und nahm den Beutel mit den Fläschchen entgegen. „Es tut mir leid, dass man Euren Angreifer noch immer nicht gefunden hat. Passt auf Euch auf.“
    „Habt Dank für Eure Fürsorge. Das werde ich.“
    „Lebt wohl.“
    „Ihr ebenso.“ Mit diesen Worten wandte sich die Kaiserliche von dem Priester ab und trat vom Anlegesteg auf Gjalunds Kahn. Sie hatte Othreloth noch eine kleine Spende für den Tempel dagelassen, aber das wusste er noch nicht. Vermutlich hätte er sie nicht angenommen. Möglichst schnell verschwand sie unter Deck und legte sich in eine Hängematte. Wenig später ließen sie Rabenfels hinter sich. „Bloß weg von hier“, flüsterte sie zu sich selbst. Weit, weit weg von allem, das auch nur ansatzweise im Zugriffsgebiet der Assassinengilde aus Morrowind lag. Zurück in heimische Gefilde. „Alles nur wegen Dir, Vater, nur wegen Dir. Gut gemacht!“ Der Magen krampfte und die Finger gruben sich in den Stoff ihrer Tunika auf dem Bauch. Hass vergiftete ihren Hunger bis er schließlich daran verstarb und verhinderte überdies, dass sie Schlaf fand.



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    Geändert von Bahaar (13.09.2013 um 17:17 Uhr)

  2. #2

    Geistermeer, Nordmaid

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    Vermutlich war es ohnehin noch zu früh, um sich wirklich wieder zur Ruhe zu begeben. Wenn Vesa so recht darüber nachdachte, erschien es ihr fast schon lächerlich sich noch vor dem Mittag, wenige Stunden nach dem Aufstehen, erneut in die Waagerechte zu begeben und zu glauben, sie könne den brachialen Tumult, der sich durch ihre Eingeweide kämpfte, verschlafen. Fast schon animalisch knurrend und zähneknirschend hievte sich die Kaiserliche aus der im Seegang schwingenden Hängematte. Kurzen Schwindel rang sie nieder indem sie sich an einem der Spanten festhielt. Hin und wieder machte die langsam heilende Lunge auf diese Weise und mit schnellen, heftigen Stichen durch die Brust auf sich aufmerksam. „Danke, Vater, danke. Du elender Hund“, murrte sie, während sie sich die schmerzende Stelle unterhalb des Busens hielt.
    Als sich der Schmerz wieder legte, sie normal Luft bekam und sich nur noch bei besonders großen Wellen festhalten musste, versuchte sie schließlich die kalte Wut im Bauch niederzuringen. Sie musste endlich damit abschließen. Demonstrativ schnappte sie sich ihr Buch über die Geschichte Himmelsrands, sowie einen der kleinen Heiltränke und ein Tuch. Sie würde im Frachtraum der alten Nordmaid nach ihrem Karren sehen und von diesem eine feste Tonschüssel holen, die sich über einer Kerze erhitzen ließ. Da sie ohnehin nichts Besseres zu tun hatte, mochte sie auch gleich mit dem ersten Dampfbad für die Reise beginnen und im Anschluss ihren Geist mit Sachinformationen ablenken. Es brachte nichts, wenn sie in alten Sentimentalitäten verharrte. Sie wusste das, wenngleich es nichts daran änderte, dass sie oft genug daran hängen blieb und sie in vergrabenen Emotionen ertrank.
    Die Balken und Holzstreben des Schiffes knarzten unter der Last, die sie zu halten hatten, hielten aber trotzdem allen Wellen stand, als wollten sie ihnen zeigen, wer hier stärker war. Die Spuren der Sturmschäden von vor einigen Wochen hatte der bärige Nord inzwischen flicken lassen. Neue metallene Platten und Spangen hielten schwach gewordene Stellen zusammen, einige Balkenteile hatte der Kapitän auch ganz austauschen lassen. Es handelte sich um durchaus teure Reparaturen. Ob ihre kleine Spende wenigstens im Ansatz etwas geholfen hatte, wusste die Kaiserliche nicht, aber letztlich bescherte ihr der Gedanke an die Möglichkeit trotzdem ein gutes Gewissen. Ein schmales Lächeln auf den Lippen schlängelte sich die Jägerin zwischen den Kistenstapeln hindurch bis zu ihrem Karren und kramte auf der Ladefläche herum, bis sie letztlich ihren Mörser fand. Dessen Schale eignete sich bestens für das Dampfbad – robust und groß genug für den Inhalt des kleinen Trankfläschchens.
    Im Anschluss suchte sie im Schiffsrumpf ein geeignetes Plätzchen, um sich zu setzen. Der einzige Ort, an dem sie das fand, war im Gemeinschaftsraum im hinteren Teil des Kahns, unweit ihrer Hängematte. Die zwei Matrosen, die Gjalund zur Hand gingen, schienen sich mit diesem an Deck aufzuhalten und Vesa war der einzige Fährgast, also blieb sie allein in dem von schummrigen Laternenlicht erhellten Raum. Sie setzte sich an den langen Tisch in dessen Mitte auf eine der Bänke und stellte ihre Sachen ab. Einen Moment harrte sie so aus, holte Luft und ließ die Augen über das stumpfe Holz der Umgebung schweifen. Das eintönige Braun bot wenig Abwechslung, aber die suchte sie auch nicht. Stattdessen hoffte sie auf eine Art Teekanne, genauer deren Unterkonstruktion, um den Inhalt warm zu halten. Am ehesten würde sie wohl in dem schiefen Schrank am Ende des Esstisches fündig werden, also erhob sich die Kaiserliche wieder und stöberte darin. Tatsächlich fand sie, wonach sie suchte und das sogar mit einer passenden Kerze. Zurück am beanspruchten Platz ging das regelmäßige Ritual der letzten Tage in die nächste Runde. Trank in die Schüssel, Kerze anzünden und darunter stellen, sobald die Flüssigkeit zu dampfen begann Kopf über die Schüssel und mit dem Tuch abdecken.
    Sie hasste dieses Ritual. Der Heiltrank stank erbärmlich nach alten, feuchtgewordenen Kräutern und undefinierbaren anderen Inhalten. Ein wenig erinnerte es sie sogar in ihren eigenen Körpergeruch, den sie erst mit dem Bad in der Taverne hatte ablegen können. Aber es half nichts. Sie musste hier durch und immerhin spürte sie mit jedem tiefen Atemzug, wie die aufgelösten Pflanzen und ihre Wirkstoffe über den Dampf in ihre Lungen drangen und die ihnen zugetragene Aufgabe erfüllten. Vesa fühlte förmlich, wie sich das verletzte Gewebe regenerierte. Ein gutes Gefühl, das endlich auch den Rest ihres Zorns verfliegen ließ. Ersetzt wurde er mit dem wiederauferstehenden Hunger und einer gewissen Regung von Erleichterung. Erleichterung vor allem darüber, dass sie noch lebte und sich endlich auf der Heimreise befand. Die vergangenen Wochen hatten ihr einige neue Erkenntnisse beschert, die sie erst einmal nach und nach verarbeiten musste. Allen voran jedoch vor allem die, dass sie sich freute zu den Gefährten zurückzukehren.
    Freude. War es wirklich Freude? Ein Gefühl, das sie seit Monaten nicht mehr im Stande gewesen war zu empfinden. Nicht nach Darius‘ spurlosem Verschwinden, nicht nach seinem gebrochenen Versprechen und der sich über die verstreichende Zeit immer stärker aufdrängenden Erkenntnis mit anschließender Resignation, dass er wohl auch nie wieder zurückkehren würde – der eigentliche Ausgangspunkt ihrer Reise nach Solstheim, vor dem sie allerdings, wie sie mehrfach hatte schmerzlich feststellen müssen, nicht im Stande war davonzulaufen. Diese Hoffnung enttäuschte ihr Unterfangen am meisten. Und da war sie plötzlich wieder. Die Wut, Enttäuschung und Trauer. Nichts mit Freude. „Scheiße!“, fluchte sie viel lauter, als es ihr lieb sein mochte. Mit spürbarer Zornesröte auf dem Gesicht stand sie auf bis ihre Oberschenkel an die Tischkante stießen, während sie mit der rechten den Stößel derart heftig zur Seite schlug, dass er über das lange Ende der Tafel und an die Wand dahinter flog. Schellend zersprang die Schüssel in viel zu viele Teile, als dass sie sich zählen ließen. Das schnelle Aufstehen und der wutige Ausruf fuhren ihr durch die Brust und zu allem Überfluss riss gerade auch noch eine Welle am Schiffsrumpf, die den Kahn nach oben wuchtete, so dass die Bank unter Vesana kraftvoll gegen ihr Gesäß geschlagen wurde. Die Stauchung des Oberkörpers verleitete sie zu weiterem schmerzerfüllten Schreien. Kraftlos und paralysiert fiel sie zur Seite auf die Sitzgelegenheit, ihre Hände gegen die Brust gepresst. „Verfluchte Kacke“, stöhnte sie unter Tränen und nach Luft ringend, bevor sie seitlich von der Bank rollte und sich gerade noch rechtzeitig genug abfing, um schlimmere Schmerzen zu verhindern.
    Niemand schien sie über das Knarzen der Planken und Spanten, wie auch das Schlagen der Wellen gegen den Kahn, gehört zu haben. Zum Glück, denn Gesellschaft konnte sie in diesen Momenten der Schwäche nicht gebrauchen. Auch nachdem die feurigen Stiche nachließen wollten die salzigen Perlen nicht aufhören zu fließen. Das Zittern in den Händen ließ nicht nach, bis sie die Scherben beseitigt, den verschütteten Trank aufgewischt und alles in einem Eimer entsorgt hatte. Zurück am Tisch pustete sie die Kerze aus, nahm sie sich das Buch, schlug die zuletzt angefangene Seite auf und starrte durch das Pergament. Sollte es denn niemals aufhören, der Verlust und Schmerz? „Scheiß Silberne Hand!“, knurrte sie und krallte sich fester an den Ledereinband. „Soll euch Hircine holen!“ Irgendwann, das wusste und schwor sich Vesana, würde sie an der Seite der Gefährten die letzten dieser räudigen Bastarde jagen, töten und sich so lange an ihren Leibern laben, bis nicht einmal mehr der hungrigste Straßenköter Windhelms noch etwas von ihnen haben wollte. Das war das Ende, das sie verdienten – kein anderes.
    Bei dem Gedanken an ein derartiges Bankett kam ihre Jagdstimmung und ihr heißes Blut erst so richtig in Wallung. Ihr wurde heiß, das Herz begann zu rasen, die Atmung beschleunigte sich. Bilder wie sie durch die Nacht hastete, knurrend und heulend, immer hinter den nach Angst stinkenden ••••n der Silbernen Hand her, und sie einen nach dem anderen zerfetzte, blitzten ihr vor das geistige Auge. Völlig willkürlich zuckten ihre Muskeln im Gesicht und den Schultern, ließen den Kopf herumrucken und sie die Augen immer häufiger schließen. Die Gerüche der Umgebung intensivierten sich und die Geräusche klangen klarer in ihren Ohren wider. Erregt bleckte sie mit der Zunge über die Zähne im halb geöffneten Mund. Die Eckzähne schoben sich bereits in die Länge und wurden zu scharfen Fängen. Die Fingernägel wuchsen weit über die Finger hinaus und kratzten als Krallen über den Rücken des Buches, das sie noch immer in den Händen hielt.
    Erst als Vesana die Augen nach langer Zeit der imaginären Jagd auf die Jäger von Fabelwesen wieder öffnete und ihr Blick auf die allmählich grau-schwarz werdende Haut an den Händen fiel, vermochte ihr völlig in den Hintergrund getretener Verstand erste Ansätze von Selbstbeherrschung durchzusetzen. Unter unheimlicher Anstrengung rang sie mit dem Biest in sich und ihren animalischen Trieben. Der Hunger nach Fleisch und Blut ließ sich zu diesem Zeitpunkt kaum noch bändigen. Abermals sprang sie auf, ein wutiges Grollen auf den Lippen während die Sitzbank nach hinten umfiel und pfefferte dieses Mal den warmhaltenden Ständer der Teekanne zur Seite. Glücklicherweise blieb er ganz. Jetzt war es schon so weit, dass sie die Silberne Hand dazu brachte, die Kontrolle über sich selbst zu verlieren. Wo sollte das denn noch hinführen? Seit Jahren hatte sie sich außer in den Nächten um Vollmond soweit unter Kontrolle, dass sie sich nicht willkürlich jede Nacht verwandeln musste, und jetzt auf einmal trieb sie der ihr über Darius zugefügte Schlag dazu, all das zu vergessen? Nein! Soweit durfte es nicht kommen. Soweit würde es nicht kommen. Nie!
    Sie schloss die Augen und atmete langsam und tief. Die geschärften Sinne normalisierten sich, die Zähne und Krallen schrumpften auf ihre menschliche Erscheinungsform zurück und das Herz beruhigte sich. Niemals würde sie dieser Gilde von ehrlosen Hunden eine derartige Kontrolle über sie erlangen lassen.
    Nachdem die Kaiserliche den Teeständer zurück im Schrank verstaut und die Bank hingestellt hatte, sah sie sich endlich in der geistigen Verfassung, tatsächlich in ihrem Buch zu lesen. Gleichzeitig glitten dadurch ihre Gedanken zurück zu jener Nacht des Überfalls und zu dem Assassinen. Sie empfand in diesen Momenten nichts als Gleichgültigkeit diesbezüglich. Der Schock darüber, was Wut und Trauer mit ihr anzustellen vermochten, saß zu tief und eindrücklich, als dass sie sich gleich ein weiteres Mal mitreißen ließ. Immerhin bescherte ihr dieser Umstand auch einen klareren Blick auf die Ereignisse des Abends. Nicht, dass sie sich an besondere neue Einzelheiten erinnerte, die Hinweise auf den Angreifer gaben, die sie noch nicht kannte, aber immerhin streiften die Gedanken der Kaiserlichen unter anderem die Waffe des Meuchlers. Ein Stilett, oder ein schmaler Dolch, es war nicht so wichtig um was es sich für eine Waffe handelte – typisch für jemanden seines Berufes allemal. Viel entscheidender war die Tatsache, aus was diese Waffe bestand. Nämlich nicht aus Silber, sondern aus Stahl. Ein breites Grinsen stahl sich auf ihre Lippen. Obgleich Wunden mit herkömmlichen Materialien im ersten Moment nicht weniger gravierend sein mochten, so brauchte es dann doch wenigstens ein klitzekleines Bisschen mehr, um jemanden von ihrem Schlag totsicher zwar blutend, aber noch atmend zurücklassen zu können. Im Umkehrschluss bedeutete das, dass die Morag Tong keine Ahnung davon hatte, was aus Vesana nach all den Jahren geworden war.
    Selbstzufrieden vergrub sie die Nase wieder zwischen den Seiten des Buches und wischte das Grinsen nach einer Weile ganz bewusst von ihrem Gesicht. Es mochte schon etwas seltsam anmuten, wenn doch noch einer der Schiffsmannschaft unerwartet zu ihr stieß und sie derart seltsam dreinblickend am Tisch vorfand.
    Bis zum frühen Abend tauchte sie schließlich ungestört von unkontrollierten Gedanken und Überlegungen in den Text des Sachbuches ab. Nur selten schaute sie auf, als einer der dreiköpfigen Mannschaft in einer Arbeitspause unter Deck kam und sich ausruhte. Sie wechselten dann kein Wort, was Vesa recht zuvorkam. Nach einem spärlichen Mahl zum Abend empfahl ihr Gjalund einmal an Deck zu gehen, da sie inzwischen den Einflussbereich des Roten Berges hinter sich gelassen hatten. „Die frische Luft sollte Euch gut tun“, meinte der bärtige Kapitän. Sie dankte ihm für die Empfehlung und zog sich in die Dunkelheit der Nacht oben auf dem Kahn zurück.
    Am Bug hockte sich die Kaiserliche wie auch auf ihrer Hinreise zur Insel schon zwischen einige Kisten und starrte in die Finsternis vor dem Schiff. Die See schlug reichlich Wellen, aber der Himmel leuchtete klar von zahllosen hellen Punkten erfüllt. Schimmernd spiegelten sie sich auf den Wipfeln der Wasserberge, die rauschend gegen die Holzwände schlugen. Leichtigkeit breitete sich in ihrem Unterleib aus, keine unangenehme, ein Lächeln stahl sich auf die Lippen und Bilder der Heimat schossen ihr durch den Kopf. Die Freude über die Heimreise kehrte zurück. Diesmal ungestört und ungebrochen.



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    Geändert von Bahaar (20.09.2013 um 13:15 Uhr)

  3. #3

    Geistermeer, Nordmaid, Himmelsrand, Windhelm

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    Der zweite Tag der Reise verlief im Vergleich zu dem vorherigen noch um einiges ruhiger. Keine unschönen emotionalen Ausbrüche, keine Stürme, und auch sonst blieb es weitgehend still auf dem Kahn. Um die Mittagszeit hing Vesana mit dem Kopf über einer Keramikschüssel, die sie sich von Gjalund geliehen hatte und sog die stinkenden Dämpfe des blubbernden Heiltranks ein. Das Stechen und Ziehen in der linken Lunge, das noch im Hintergrund stets Präsens zeigte, legte sich für die Dauer dieser Prozedur völlig. Da es über diese Behandlungen immer weiter zurückgegangen war, hoffte die Kaiserliche nun, dass es nach der letzten schließlich ganz verschwinden würde. Im Anschluss an das Dampfbad kümmerte sie sich im Frachtraum des Schiffes um ihre Sachen und die Vorbereitung der weiteren Reise. Sie zog sich wärmer an, lagerte die Sachen ausbalanciert auf der Ladefläche des Karrens um und zog zum Schluss die Plane fest.
    Bald darauf gesellte sie sich zu Gjalund und seinen Matrosen an Deck. „Hat Eure Behandlung geholfen?“, erkundigte sich der bärtige Nord mit der bärigen Stimme.
    Die Kaiserliche nickte. „Das hat sie.“
    Ein Lächeln stahl sich auf das Gesicht des Bootsführers. „Sehr schön.“ Er wandte den Blick nach vorn in die Ferne. Vesa folgte ihm dabei und entdeckte blassblau schimmernd die Umrisse der Nordküste Himmelsrands. Nach Westen hin zog es sich bis auf ihren Breitengrad und verschwand schließlich in der weiten Ferne des Geistermeeres. Bei dem Anblick konnte auch sie nichts daran ändern, dass sich ihre Mundwinkel leicht nach oben zogen. Bald zu Hause, der Gedanke sorgte für Freude. „Der Wind steht günstig. Wir sollten in den nächsten Stunden in den Fjord von Windhelm einfahren. Von da an ist es nicht mehr sehr weit“, berichtete Gjalund. „Ich denke wir erreichen den Hafen noch vor Mitternacht“, fügte er an, als die Jägerin ihm wieder ihr Gesicht zuwandte und bereits zur Frage danach ansetzte. „Wenn es Euch nichts ausmacht, würde ich Euch nach Einbruch der Dunkelheit gerne mit an Deck haben.“
    „Weshalb?“
    „Bei Nacht den Fjord zu manövrieren ist keine leichte Sache. Eisschollen und scharfe Felsen gibt es überall. Ein weiteres Paar wachsamer Augen würde mir sehr helfen.“
    „Ah, natürlich gerne.“
    „Habt Dank.“ Die Kaiserliche schenkte dem Kapitän ein Lächeln und überließ ihn dann seiner Aufgabe. Zielstrebig nahm sie ihren angestammten Platz am Bug des Kahns ein, zog die Stiefel aus und legte die nackten Füße hoch, während ihr die nachmittägliche Sonne ins Gesicht schien. Mit der wohligen Wärme auf der Haut und dem frischen Seewind zum Trotz schloss Vesana die Augen, legte die Hände auf dem Bauch und den Kopf in den Nacken auf einem Fass ab. So positioniert genoss sie das Rauschen der Wellen, die salzige Luft, welche ihren Atemwegen guttat, und das sachte Schaukeln des Schiffes. Auf, und ab. Auf. Und ab. Auf … und ab. Auf … und … ab. Auf …

    Vorsichtig berührte jemand ihre Schulter und holte sie aus ihrem Schlummer. Zunächst orientierungslos, dann erschrocken, zuckte die Kaiserliche zusammen und musste mehrmals blinzeln, bevor sie ihre Umgebung deutlich wahrnahm. Lyrgleid stand über ihr und seine rechte, kraftvolle Hand ruhte auf ihr. „Entschuldigt.“ Er nahm seine Finger zurück. „Es wird bald Dunkel und Gjalund meinte, Ihr wolltet vielleicht noch etwas essen, bevor wir in den Fjord einfahren.“ Erst jetzt bemerkte Vesa den niedrigen Stand der Sonne und die frostigen Böen, die sie zittern und ihre Härchen auf den Armen sich aufstellen ließen. Noch immer etwas schlaftrunken nickte sie einfach nur und begann damit, ihre Stiefel über die eiskalten Füße zu ziehen.
    Nach der kräftigen Suppe, und in ihre dicke Jacke gehüllt, hielt sie vorn Ausschau. Glücklicherweise zogen nur wenige kleine Wolken am Himmel entlang, so dass die funkelnden Sterne die Umgebung ausreichend erhellten. Da die Monde kaum mehr als haarbreite Sicheln abgaben, mussten die übrigen Lichtpunkte ausreichen. Ohne den klaren Himmel wäre es wohl unmöglich gewesen bei Nacht den Fjord zu befahren, was ihre Reise unnötig verzögert hätte. Insofern widmete sich Vesana nach dem nachmittäglichen Nickerchen und der stärkenden Mahlzeit mit gewissem Elan der ihr zugewiesenen Aufgabe. Dass Gjalund die Geschwindigkeit erheblich reduziert hatte, half beim Manövrieren und gab den Ausgucken genug Zeit, Objekte zu erspähen. „Links! Etwa dreißig Meter“, warf sie über die Schulter dem Kapitän zu. Mit der nautischen Sprache von Backbord und Steuerbord kam sie nicht zurecht. Ständig verwechselte sie die beiden, also blieb sie lieber gleich bei den normalen Begriffen. Mit ausreichend Spielraum umschifften sie die Eisscholle.
    Das Spiel setzte sich eine ganze Weile lang fort. Zum Glück zog sich über den Sommer das Eis reichlich zurück, wie ihr Lyrgleid über dem Abendessen erklärt hatte, so dass der Zufahrtsweg nach Windhelm ausreichend breit für bald drei Frachtkähne war. Allerdings trieben in dieser Zeit auch die meisten Schollen umher, weshalb es oftmals nicht weniger tückisch sein mochte. Mit Ausnahme einer einzigen Scholle, die sie aber auch nur sacht tuschierten, kamen sie ohne Komplikationen bis zum Hafen Windhelms durch.
    Die dicken, hohen Mauern der Stadt, die wohl eine der größten Himmelsrands war, wirkten selbst bei Nacht noch imposant und machtvoll. Obwohl ihr der Konflikt zwischen Kaiserreich und Sturmmänteln wenig bedeutete und sie sich auch herzlich wenig darum scherte, wer gewann, musste Vesa dennoch einräumen, dass sich Ulfric mit Windhelm einen eindrucksvollen Sitz seines eigenen kleinen Reiches gesucht hatte. Ähnlich Einsamkeit für die Kaiserreichsympathisanten, nur etwas schmutziger und älter. Sich als jemand des Kaiservolkes in der Hochburg der Sturmmäntelrebellen aufzuhalten blieb zwar immer noch ein nicht ganz ungefährliches Unterfangen, aber auf der anderen Seite reichte es in den meisten Fällen zu sagen, dass sie den Gefährten angehörte. Der härteste rassistische Bodensatz der Rebellion, der diesen Hinweis ignorierte und am liebsten ein Reich nur von Nord schaffen wollte, ließ sich zwar nicht verleugnen und reichte wohl weit höher in der Hierarchie, als der unbedarfte Betrachter vermuten mochte, aber dieser in Grüppchen auftretenden Spezies von Rebellen ließ sich überwiegend aus dem Weg gehen. Im Zweifelsfall besaß der Status als Gefährte aber so viel Beachtung, dass bei einer handfesten Auseinandersetzung die Sympathien der beistehenden Beobachter auf ihrer Seite lagen und diese ihr dann beisprangen. Nicht zuletzt lag das wohl an Ysgramor, dem ersten Menschenherrscher Himmelsrands, dessen Name mehr Gewicht besaß als jeder nach ihm gekommene und kommende Unabhängigkeitskämpfer im Namen der nördlichen Provinz.
    Ein kräftiger Ruck am Schiffsrumpf ließ die Jägerin aus ihren nicht ganz verachtungsfreien Gedanken hochschrecken. Sie hatten angelegt und die Matrosen zogen die Taue am Steg fest. Während sich die Männer abmühten, kehrte die Kaiserliche unter Deck zurück und sah abermals nach ihren Sachen, band sich einen der Dolche an den Gürtel und prüfte den Sitz ihres Geldsäckels. Es wurde Zeit, dass sie heimkehrte. Das Gold ging ihr allmählich aus und von dem spärlichen Rest mussten noch Gjalund, eine Tavernenübernachtung und die Reise nach Weißlauf bezahlt werden. Nur noch das Finanzbuch fehlte und dann suchte sie auch schon wieder nach dem Kapitän. Im Gemeinschaftsraum traf sie ihn. „Wenn Ihr möchtet, können wir Euren Karren noch bis zur örtlichen Taverne bringen“, schlug dieser vor und bot Vesana an, sich mit ihm an den Tisch zu setzen. Sie folgte ohne groß zu zögern.
    „Das würde mir sehr helfen, danke.“
    „Selbstverständlich gern.“ Sie schenkte ihm ein schmales Lächeln. So viel aufrichtige Freundlichkeit begegnete der Kaiserlichen eher selten, weshalb sie ihr manche Reaktionen schon fast aus Reflex und Überraschung abrang. Nach kurzem Schweigen zählte sie sich die Septime ab, die nach ihrem Rechnungsbuch noch für sie selbst übrig bleiben sollten, den Rest des Geldes schob sie dem Nord zu. Die spärliche Summe, mit der sie bis nach Weißlauf kommen musste, verstaute sie im kleinen Säckel am Gürtel. „Danke.“ Gjalund nickte ihr mit hochgezogenen Mundwinkeln zu und erhob sich. „Nun, wollen wir Euch zum Haus Kerzenschein bringen?“
    „Bitte.“ Auch die Jägerin stand auf und ging an Deck. Wenig später hievten die drei Seemänner den Karren aus dem Frachtraum auf den Anlegesteg.
    „Lyrgleid, bring sie bitte zur Taverne.“ Der blonde, jüngere Mann begann damit den Wagen der Kaiserlichen zu ziehen und führte diese vom Hafen durch ein Seitentor ins Innere der Stadtmauern. Kaum noch jemand trieb auf den engen, dunklen Straßen sein Unwesen, auch Lichter brannten nur wenige hinter den Fenstern. Die Stadt schlief tief und fest unter dem Tuch des glitzernden Sternenhimmels. Eisige Kälte hielt es straff, damit niemand unter ihm hervorgekrochen kam. Vesa hauchte in ihre hohlen Hände während sie neben dem Nord herlief.
    „Ziemlich kalt heute Nacht, selbst für Windhelm“, stellte dieser fest und warf einen Blick über die Schulter zur Kaiserlichen hinüber. Sie ging nicht weiter darauf ein. Nach einem reichlich anstrengenden Fußweg durch die schmalen Gassen und über das holprige Pflaster erreichten sie schließlich ein größeres Gebäude mit hohem Spitzdach, direkt an den Toren im Innern der Stadt. Lichtschein drang durch die kleinen Fenster nach draußen, hin und wieder huschten Schatten an den trüben Glasscheiben vorbei. „So, da wären wir. Euren Karren stellen wir am besten dort an der Seite unter“, meinte Lyrgleid und wies auf einen Unterstand aus Holz.
    „Einverstanden.“ Vesa nahm sich noch die wichtigsten Sachen von der Ladefläche, verstaute sie in einem ihrer Tornister und schulterte diesen sehr vorsichtig. Mit den Waffen, dem Geld und einigen verbliebenen Vorräten auf dem Rücken verabschiedete sie sich von dem Nord, der ihren Karren gezogen hatte, und trat auf einen seitlich liegenden Eingang des Wirtshauses zu. Knarzend schob sie die dicke Holztür auf und trat in die wohlige Wärme des schummrigen Innenraumes ein. Fast niemand mehr hielt sich darin auf. Ein ziemlich mitgenommen aussehender Nord in wettergezeichneter Leinenkleidung saß an einem Tisch in der Ecke des langen Gastraumes, ein Barde in farbigen Kleidern saß am Feuer im zentralen Kamin, die Laute neben ihm am Stuhl lehnend, und eine junge Frau des Nordvolkes mit aufreizend tiefem, prallgefülltem Ausschnitt kam gerade eine Treppe am langen Ende des Raumes empor. Sie trug einen Krug, auf dem eine Schaumkrone stand, und reichte ihn dem Barden. Erst danach wandte sie sich dem neuen Gast zu.
    „Kann ich Euch helfen?“, wollte sie mit übertriebener Freundlichkeit wissen.
    „Ich bräuchte ein Zimmer für die Nacht“, erwiderte Vesana.
    „Ah, redet mit Elda. Einfach die Treppe hinab am Tresen.“ Die Kaiserliche folgte der Geste der Nord und stieg die knarrenden Stufen nach unten in den kleinen Eingangsbereich. In einer seitlichen Nische lag eine Theke hinter der eine hochgewachsene, blonde Frau Geschirr trocknete. Sie blickte auf, als sie Vesas Kommen vernahm.
    „Guten Abend“, grüßte sie.
    „Ich bräuchte ein Zimmer für die Nacht“, erklärte sich die Kaiserliche.
    „Zehn Septime. Es liegt am Ende des Ganges links“, erläuterte die Wirtin und deutete auf den Flur zwischen Tresen und Treppe.
    „Danke. Sagt, Ihr wisst nicht zufällig, wo ich jemanden finde, der mich gegen Geld nach Weißlauf bringt?“ Elda begann damit, weiter Geschirr zu trocknen, ohne jedoch die Augen von ihrer Kundin zu nehmen.
    „Doch, Ihr habt Glück.“
    „So?“
    „Direkt bei mir oben im Schrankraum. Hrothluf, der Nord hinten in der Ecke. Rotbraunes, zerzaustes Haar, wilder Bart und zerfurchtes Gesicht – leicht zu erkennen – er hat einen Karren und fährt öfter in die Richtung. Fragt ihn.“
    „Danke“, die Jägerin nickte und ging wieder nach oben. Die Bedienstete räumte gerade einen Teller und Tonkrug vom Tisch des beschriebenen Mannes ab. Er wirkte müde und schon arg angetrunken. Unbeholfen kratzte er sich mit seinen dicken, rauen Fingern im Bart herum, während er mit der Zunge seine spröde wirkenden, wulstigen Lippen benetzte. „Seid Ihr Hrothluf?“, wollte sie wissen und blieb hinter einem freien Stuhl am Tisch des Nords stehen. Ihre Hände ließ sie auf der Lehne des Sitzes ruhen und fixierte ihn mit festem Blick.
    Der reagierte träge. „Der bin ich!“, gab er kund. Erst danach fanden seine braunen Augen die junge Frau, die mit ihm sprach. „Was kann ich für Euch tun?“ Obwohl seine Bewegungen und Reflexe eine andere Sprache sprachen, gaben seine Worte keinen handfesten Anlass dazu zu glauben, dass der Mann schon ein paar Krüge Met zu viel hatte.
    „Ich muss nach Weißlauf weiterreisen und die Wirtin sagte mir, Ihr könntet mir dabei helfen.“
    „Nach Weißlauf sagt Ihr?“
    „Ja, genau.“
    „Hm.“
    „Ich kann Euch selbstverständlich bezahlen. Allerdings habe ich noch einen kleinen Karren bei mir, den wir ebenfalls mitführen müssten.“
    „Hm.“ Hrothluf strich sich scheinbar nachdenklich durch den wüsten Bart. „Könnt Ihr kämpf‘n?“
    „Warum?“
    „Weil auf der Straße nach Weißlauf ein Geschäftspartner von mir verschwund‘n ist und ich mich sorge. Sollte ihm ‘was widerfahr‘n sein, möcht‘ ich nicht, dass mir dasselbe zustößt. Ich sitz‘ schon vier Tage mit einer Lieferung Schmiedeeis‘n und Werkzeug hier in Windhelm fest, weil diese verflucht faul‘n Sturmmäntel keine ihrer Leut‘ als Söldner abstell‘n und alle Söldner anwerb‘n!“, erklärte der Mann und es trat Zorn in seine Augen, die Brauen zog er enger zusammen und die freie Hand ballte er zur Faust. Die Kaiserliche überlegte einen Moment. Obgleich sie sich nicht unbedingt in der Verfassung befand, zu kämpfen, würde sie in jedem Fall demselben Risiko eines Kampfes ausgesetzt sein, egal mit wem sie nach Weißlauf reiste – zumindest wenn der besagte Geschäftspartner überfallen worden war und nicht einfach von einem Steinschlag oder Tier dahingerafft wurde.
    „Ich kann kämpfen, ja“, erwiderte sie schließlich.
    „Gut. Gut!“ Hoffnung spiegelte sich nun auf dem Gesicht des Nords wieder. Er strich sich das kinnlange, fettige Haar nach hinten und stand auf. Mit den Oberschenkeln stieß er unbeholfen gegen den glücklicherweise leeren Tisch, dafür verschüttete er eine beträchtliche Menge seines Getränks, das er noch immer in der Hand hielt. „Ihr sorgt für meine Sicherheit und dafür bring‘ ich Euch nach Weißlauf. Um Proviant und Unterkunft unterwegs braucht Ihr Euch nicht zu kümmern. Eur‘n Karr‘n krieg‘n wir schon mit weg. Einverstand‘n?“ Er reichte Vesana die Hand. Offensichtlich würde sie doch noch mit ihrem wenigen Geld zurechtkommen.
    „Einverstanden.“ Sie schlug ein.



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    Geändert von Bahaar (27.09.2013 um 16:00 Uhr)

  4. #4

    Himmelsrand, Windhelm, Straße nach Weißlauf

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    Festes Klopfen an der Tür. „Guten Morgen“, klang eine tiefe Männerstimme durch das alte Holz. Orientierungslos schlug Vesana die Hände vor das Gesicht und rieb es sich kurz ab. Müde seufzend rollte sie sich unter der Wolldecke auf die Seite und schob die Beine ins kalte Freie. Gänsehaut überzog augenblicklich die nackte Haut bis zu den Knien und biss sich in ihre Zehen wie zig bluthungrige Zecken. Ein kurzer Blick zum kaum erhellten Fenster verriet der Kaiserlichen, dass sie vergessen hatte, dieses nach dem Lüften ganz zu schließen und so hatte es wohl die gesamte Nacht einen Spalt weit offen gestanden. Leichte Luftschübe dehnten den ungefärbten Wollvorhang ins Raumesinnere während sich Vesa auf die Kante des Bettes setze.
    Abermals Klopfen an der Tür. „Seid Ihr wach?“ Sie ordnete die Stimme Hrothluf zu.
    „Das bin ich. Einen Moment“, erwiderte die Jägerin. Sie stand auf, ordnete schnell das Bett und zupfte sich ihre Tunika zurecht, bevor sie in Richtung Tür ging.
    „Ihr müsst Euch nicht beeilen. Ich wollt‘ Euch nur wiss‘n lass‘n, dass ich im Schankraum ob‘n noch ‘was ess‘n werde. Vielleicht möchtet Ihr Euch dazu setzen, um Euch für die Reise zu stärken.“ Sie hielt kurz vor der Tür inne.
    „In Ordnung. Ich komme gleich nach.“ Hoffentlich schwatzte er nicht zu viel, sonst würde das eine sehr – sehr – lange Woche bis nach Weißlauf werden. Noch etwas träge und steifbeinig, die Nacht war eindeutig zu kurz geraten, sammelte die Kaiserliche ihre Sachen zusammen. Sie streifte sich die kurzärmelige Tunika vom Leib, nahm sich stattdessen eine langärmelige, um die Hüfte etwas kürzer geschnittene, und schlüpfte in ihre Hose. Zwischendurch ordnete sie noch ihre Haare und schlug sich einen Schwall kalten Wassers aus einer Waschschüssel ins Gesicht. Das weckte dann auch endlich ihre Lebensgeister, die etwas länger brauchten, um in Fahrt zu kommen. Zum Schluss die Stiefel und den ganzen Rest ließ sie vorerst auf dem Zimmer zurück. Die Dielen knarzten unter ihren eigentlich leichten Tritten während Vesana den langen Flur vor zum Empfangstresen zurücklegte.
    „Guten Morgen“, grüßte die Wirtin des Gasthauses aus ihrer Nische und schaute kurz von dem Buch auf, das vor ihr lag. Vermutlich die Finanzen der Taverne. Die Kaiserliche nickte nur und stieg in den Schankraum hinauf. Es herrschte Leere. Niemand außer Hrothluf hielt sich hier auf. Er saß am selben Tisch, wie am Abend zuvor.
    „Da seid Ihr ja“, bemerkte er die Kaiserliche. Der Nord wirkte geordneter und gepflegter als bei ihrer ersten Begegnung. Die starke Veränderung ließ Vesa kurz stutzen, aber sie überwand die kleine Überraschung ohne, dass ihr Gegenüber etwas von ihr mitbekommen hatte. Es war offensichtlich, dass er mit der Anwerbung einer Leibwächterin für die Reise neuen Lebensmut schöpfte. Die schulterlangen, rotbraunen Haare hielt ein Lederband am Hinterkopf zusammen, den Bart schien er etwas gekämmt zu haben und auch so wirkten die Furchen auf seinem Gesicht weniger tief. Von der sauberen Kleidung ganz zu schweigen. Manchmal täuschte der erste Eindruck scheinbar doch noch, stellte die Jägerin fest, und setzte sich schließlich ihrem Auftraggeber gegenüber mit an den Tisch.
    „Darf ich?“ Sie zeigte auf den leeren Teller, der neben einem Brotkorb, Käse und etwas Fett auf dem Tisch stand.
    „Natürlich, bitte bedient Euch.“ Während sich die Kaiserliche eine Scheibe bestrich, goss der Nord in eine Tontasse Wasser aus einem Krug und schob sie ihr hinüber. „Was genau möchtet Ihr eigentlich in Weißlauf, wenn ich so neugierig sein darf?“ Vesana schloss kurz die Augen, während sie ein Seufzen unterdrückte. Damit es nicht auffiel biss sie gleichzeitig in ihre fettbestrichene Brotscheibe. Mit dem Kauen rang sie die enttäuschte Hoffnung auf eine möglichst gesprächsarme Reise nieder und setzte danach mit viel Verzögerung zu einer Antwort an.
    „Ich kehre Heim“, erklärte sie und schaute den Nord kurz an, bevor sie abermals von der Stulle abbiss.
    „Ah, die Familie ruft?“
    „Sozusagen.“
    „Wart Ihr lange weg?“ Hrothluf trank etwas, während er auf eine Antwort der Kaiserlichen wartete, die sich weiterhin nicht beeilte auf seine Fragen einzugehen.
    „Es sind jetzt ziemlich genau sechs Wochen.“
    „Oh, eine ziemlich lange Reise also. Geschäftlich unterwegs?“
    „Nein.“ Nach kurzem Überlegen erschien Vesa die Antwort für die Freundlichkeit des Nords dann doch etwas unangemessen. Sie trank einen Schluck und setzte dann fort: „Eine private Unternehmung.“
    „Ich bin sicher, dass man sich über Eure Rückkehr freuen wird.“ Die Jägerin setzte ein schmales Lächeln auf und schob den Teller von sich.
    „Meine persönlichen Sachen stehen noch unten. Ich würde sie dann holen und auf meinen Karren legen. Danach können wir jederzeit aufbrechen, wie es Euch beliebt.“ Der Mann nickte.
    „In Ordnung, ich wart‘ solang‘ hier. Bezahlt ist bereits.“ Vesana erhob sich und verschwand nach unten.
    Wenig später, die Sonne zögerte noch immer sich über die Hausdächer der alten, dicht gebauten Stadt und die Zinnen ihrer Schutzmauer zu erheben, durchschritt die Kaiserliche an der Seite des über anderthalb Köpfe größeren Hrothluf die mächtigen Stadttore Windhelms. Die Wachen in ihren dick-gefütterten, fellgesäumten Rüstungen öffneten es ihnen nach kurzem, argwöhnischem Blick in Richtung der Jägerin. Davon, dass ihr einziger Ansatzpunkt für Misstrauen nur die Rasse der Frau war, ließen sie sich vermutlich von selbst eines Besseren besinnen und so kamen sie ihrer Pflicht entsprechend nach.
    Außerhalb der schützenden Wälle pfiff der Wind mit kalter Schärfe. Die steilabfallenden Berghänge, der Fjord und die karge, baumlose Umgebung boten keinerlei Abschirmung gegen die schnell drehenden Böen. Darüber hinaus befanden sie sich auf der Brücke, die den bald nur noch Fluss breiten Fjord vor der Stadt überspannte, in besonders exponierter Lage. Dazu war es fast noch Nacht und weitestgehend wolkenlos. Augenblicklich fröstelnd zog Vesa die Jacke weiter zu, schlug sich die Kapuze über das Haupt und ihr Tuch vor Mund und Nase. Der rothaarige Nord bemerkte es mit einem „Ziemlich ungemütlich, was?“ und obwohl er sich von Natur aus weniger vor derartiger Kälte fürchten musste, schien es auch ihm frisch zu werden.
    „In der Tat“, entgegnete seine Begleiterin kurz angebunden und biss die Zähne fest aufeinander, um ein Zittern der Lippen und des Kiefers zu unterdrücken. Es gelang nur sehr eingeschränkt. Immerhin die Anstrengung vom Ziehen des Karrens sorgte dafür, dass sie nicht noch mehr fror. Im Gegensatz zu den ewig weißen Gebieten Solstheims würde sich die Luft hierzulande allerdings schnell etwas aufwärmen, sobald die Sonne richtig am Himmel stand. Dass die weitläufigen Talbereiche, die die Kaiserliche von der Brücke aus einsehen konnte, nicht im Weiß versanken, sprach eindeutig dafür. Während sie sich so umschaute und versuchte vom Klima abzulenken, erreichten die Beiden auch schon die Stallungen am Ufer gegenüber der Stadt. Etwas mühevoll, da sie sich nach wie vor nicht auf der Höhe ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit befand, bremste sie den Wagen auf dem leicht abschüssigen Weg bis zu dem Bretterverschlag unter dem einige Pferde mit Wolldecken überzogen standen und sich dicht zusammendrängten. Konstante Dampfwolken standen ihnen vor den Mäulern. Im Hintergrund, mit einer Plane abgedeckt, entdeckte die Kaiserliche noch einen größeren, zweiachsigen Karren – der einzige in unmittelbarer Nähe. „Ist das dort Eurer?“ Sie deutete auf das Gefährt.
    „Ja. Bringt Eur‘n Wag‘n schon dort hin. Wir bind’n ihn dann hint’n an.“ Sie tat, wie ihr geheißen und wartete im Anschluss gegen einen der Stützbalken im offenen Teil der Ställe gelehnt. Die Arme schlang sie um den Körper. Es dauerte nicht sehr lange, dann kehrte Hrothluf zu ihr zurück – ein braunes Pferd, mit dichtem, etwas längerem Fell im Schlepptau.
    „Dann woll’n wir mal.“ Nach seinen Worten stieß sich Vesana von dem Balken ab, half dem Nord dabei, das Zugtier vor den Karren zu spannen und schließlich zurrten sie ihren eigenen Wagen auch noch fest. So reisefertig gemacht und mit jeweils einer Decke des Mannes um den Schultern für die ersten Stunden der Reise, half dieser der Kaiserlichen auf die Sitzbank am vorderen Ende des Gespanns hoch. Bevor er selbst aufstieg, ging er noch einmal zu seinem Pferd vor und holte zwei Möhren aus einem kleinen Beutel am Gürtel hervor. Kurz streichelte er es über den Kopf, knutschte es auf die Nase und gab ihm dann mit einem „Gute Berta“ die Leckerbissen. Anschließend schwang er sich neben seine Reisegefährtin auf die Bank und griff nach den Zügeln. „Dann woll’n wir mal.“ Kurz knallte der Lederriemen, als er ihn fast schon peitschend schlug, dann setzten sie sich zuckelnd, ruckelnd und holpernd in Bewegung. Mit Schwert, Bogen und Köcher zwischen die Beine geklemmt, beugte sich die Jägerin vor, stützte sich auf die eigenen Beine und versuchte so wenig offene Stellen, wie möglich, für den Wind zu lassen. „Weißlauf … Lebt Ihr schon lang‘ dort?“ Vesana schloss für einen sehr langen Moment die Augen und atmete tief ein.



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    Geändert von Bahaar (04.10.2013 um 09:30 Uhr)

  5. #5

    Himmelsrand, Straße nach Weißlauf, Südlich von Windhelm

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    Nicht mehr in unmittelbarer Stadtnähe, verschlechterten sich die Straßenverhältnisse zusehends. Aber wenigstens blieben die ausgefahrenen Spurrinnen der zahlreichen Karren, die hier, wenn schon nicht täglich, so doch wöchentlich entlangkamen. Regelmäßig stauchte größeres Holpern Vesanas Oberkörper zusammen und jagte feurige Stiche durch ihre Brust. Aus diesem Grund verlegte sie sich oft genug darauf, neben dem ohnehin langsam zuckelnden Wagen herzulaufen. Auf den unebenen Wegen und den steilen Auf- und Abfahrten in dem bergigen Terrain ging es für das alleinige Zugtier auch einfach nicht schneller. Durch den größeren Abstand, manchmal kundschaftete sie auch voraus oder lief etwas hinterher, entging die Kaiserliche auch regelmäßig diversen Gesprächsversuchen. Ab und an fragte sie sich wirklich, ob die Leute es nicht merken wollten, dass ihrem Gegenüber nicht nach einem Plausch war, oder ob sie schlicht zu unfähig waren es zu erkennen. Am Ende spielte es wohl keine Rolle, denn der Effekt blieb derselbe – und abgesehen davon konnte sie auch schlecht klagen, immerhin kam sie völlig umsonst und sogar noch mit kostenfreier Verpflegung nach Weißlauf. Ein Glücksgriff blieb es also dennoch. Gelegentlich wechselten sie sich auch ab mit dem Führen des Wagens, damit sich Hrothluf ebenfalls die Beine vertreten konnte.
    Mit dem Ansteigen der Temperaturen sah sich Vesa auch bald gezwungen die Decke des Nords abzulegen und ihre Jacke auszuziehen. Es verwunderte immer wieder wie es in diesen kargen Höhenlagen und noch dazu so weit im Norden derart warm wurde. Aber so empfand sie es noch immer besser als wenn sie sich wie am Morgen und auf Solstheim alle möglichen Körperteile abfror. Allein der Gedanke an die Insel sorgte dafür, dass sie mit den Zähnen knirschend schneller stapfte und den Wagen hinter einer Kuppe am zum Fluss zu ihrer Rechten abfallenden Berghang zurückließ. Der Strom rauschte ein ganzes Stück unter ihnen und mündete kurz vor Windhelm mit einem weiteren Zufluss in den Fjord. Er würde ihnen noch lange den Weg weisen, denn trotz eines kleinen Stromes aus dem südlichen Hochland um Rifton, der sich am Rande des niedriger liegenden Moorlandes entlang zog, entsprang der überwiegende Teil der Wassermassen den dichten Hochwäldern im Falkenring-Tal. Sie ergossen sich vorbei an Flusswald und Weißlauf und rauschten durch eine enge Schlucht immer weiter Richtung Norden.
    Weißlauf … jeder Schritt brachte sie näher und verdrängte den Ärger, den sie mit dem Abschluss ihrer Reise zur Insel verband. Bis sie am höchsten Punkt der nächsten Kuppe angekommen war, verspürte sie nichts mehr von der um sich schlagenden Wut in ihrem Bauch und so setzte sie sich auf einen etwas größeren Stein am Wegesrand, ließ die Beine über die Kante baumeln und betrachtete die tosenden Wassermassen weit unter ihr. Hrothluf hörte sie irgendwo auf dem Stück Weg, das hinab in die von ihr schon durchquerte Senke führte. Das Klappern und Holpern des Wagens ließ sich leicht vernehmen – auch über das konstant im Hintergrund stehende Rauschen des Flusses. Wie hieß er denn gleich noch? Sie überlegte angestrengt, um sich die Zeit zu vertreiben. Manchmal kniff sie die Augen zusammen, wenn sich ihr der Name gerade so am Rande der Erinnerung in dichtem Nebel entzog und sie versuchte ihn zu greifen. Darin scheiternd nahm sich die Jägerin schnell einen kleinen Stein aus ihrer Nähe und schleuderte ihn hinab zu der namenlosen Wasserschlange.
    Inzwischen fehlte nicht mehr viel, bis der Nord mit seinem Karren dieselbe Anhöhe erreichte und so stand Vesana auf, um sich zum Weitermarschieren bereit zu machen. Sie blieb am Wegesrand stehen, bis Hrothluf und Berta mit ihr auf einer Höhe waren, dann lief sie neben dem Gespann her. „Irgendwas entdeckt?“, wollte der Reiseführer wissen.
    „Nein, nichts Besonderes.“ Vögel, Pelztiere, Büsche, Steine, Schnee in höheren Lagen auf den Bergen. Mehr nicht. Das Land lag so friedlich da, wie es eben nur daliegen konnte. Fast idyllisch, wäre es nicht so langweilig gewesen. „Sagt Bescheid, wenn Ihr Euch wieder die Beine vertreten wollt, dann kann ich die Zügel nehmen.“
    „Das mach‘ ich, danke. Vielleicht nach der nächst‘n, oder übernächst‘n Anhöhe.“ Vesa nickte nur und schwieg. So reisten sie eine Weile, bis es der Kaiserlichen schließlich wieder zu anstrengend wurde, zu gehen, und sie sich zurück auf die Sitzbank begab. „Sagt, wo habt Ihr eigentlich das Kämpf’n gelernt?“, nahm der Rothaarige prompt das Gespräch auf. Für die Kaiserliche kam die Frage etwas überraschend.
    „Wie kommt Ihr jetzt darauf?“
    „Nun, wenn ich meine Sicherheit schon in Eure Hände geb‘, muss ich doch auch wiss’n, woher Ihr kämpf’n könnt“, erklärte der Nord. Es leuchtete ein, dass er fragte, wenngleich er es reichlich spät wissen wollte.
    „Bei der Kämpfergilde in Bruma“, erwiderte die Jägerin daraufhin.
    „Ah, verstehe. Ein weiter Weg von Bruma bis hierher.“
    „Ja, ist es.“ Sie mahlte leicht mit den Zähnen aufeinander. Oh, wie sie keine Lust hatte, und ihre Bücher lagen auf ihrem eigenen Karren ganz hinten am Gespann – vorerst vollkommen außer Reichweite.
    „Seid Ihr damals direkt nach Weißlauf gekommen?“
    „Nein. Ein Jahr bin ich herumgereist, bevor ich nach Weißlauf kam.“ Sie dachte nicht allzu gerne an diese Zeit zurück. Viel zu wechselhaft und unkontrolliert schritt ihr Leben damals voran. Machtlos, beschrieb ihren Zustand nicht im Entferntesten. Eine Phase geprägt von Gewalt und Tod, wie auch Ekstase und Rausch – nichts, wofür sie übermäßig Stolz empfand, aber sie bereute es im Gegenzug auch kein Bisschen. Immerhin war es die Grundlegungsphase für ihre folgenden Lebensjahre. Es dauerte seine Zeit, bis Vesana diesen ungestümen, ja stürmischen, Abschnitt überwunden hatte, aber die gewonnene Kontrolle über ihr Leben würde sie sich von niemandem mehr nehmen lassen. Niemandem.
    „Vermisst Ihr Eure alte Heimat nicht?“, fragte Hrothluf weiter. Allmählich regte sich Widerstand in ihrem Bauch, weiterzusprechen. Nicht nur, dass es sie störte, ständig reden zu müssen, nein, es kamen auch noch Themen auf, die den Nord schlicht nichts angingen. Tief ausatmend schloss die Kaiserliche die Augen, lehnte sich zurück und faltete die Hände auf dem Bauch zusammen. Die Sonne im Gesicht versuchte sie die sanfte Wärme auf der Haut zu genießen und sich abzulenken, zu beruhigen.
    „Nein“, antwortete sie schließlich. Es gab Dinge, die sie vermisste, aber gewiss nicht in der Kämpfergilde oder aus der Zeit, während sie dieser angehörte. Auch die Tatsache, dass sie sich der Gilde unverändert zu Dank verpflichtet fühlte – immerhin hatte sie dort Grundlagen über den Schwertkämpf, das Bogenschießen und allgemeine Selbstverteidigung, sowie das Jagen erlernt – änderte nichts daran, dass sie um keinen Preis wieder zurückkehren wollte. Aber all das und was sie wirklich vermisste, musste und sollte der Wagenführer nicht wissen. Abgesehen davon wollte sie sich nicht derart weit zurückerinnern, es hätte nur ihre Freude über die Heimkehr getrübt, und das wollte sie nicht.
    „Dann seid Ihr ein beinah‘ echtes Kind Himmelsrands“, witzelte Hrothluf daraufhin. Vesa verleitete es zu einem verhaltenen Schmunzeln.
    „So könnte man es ausdrücken“, kommentierte sie, „auch wenn es wohl mehr als nur eine Hand voll Leute gibt, die Euch widersprechen würden.“
    „Ach, macht Euch nichts aus diesen Leuten.“ Tat sie auch nicht. „Heimat ist, wo Ihr Euch zu Hause fühlt.“ Wange und Augenwinkel in der dem Nord abgewandten Gesichtshälfte zuckten kurz unangenehm. Damit hatte er zwar verdammt Recht, aber es hatte Jahre gedauert, bis sie sich wirklich heimisch gefühlt hatte bei den Gefährten. Und selbst jetzt galt sie eher noch als verschwiegene Einzelgängerin, die überwiegend nur mit den höherrangigen Mitgliedern verkehrte. Nicht weniger loyal zur Gemeinschaft als der Rest, aber eben doch eher einzelnstehend. Zu den neusten Zugängen und vielen anderen, die nicht dem Zirkel angehörten, bestand für sie kaum eine Verbindung. Es hießen sie natürlich trotzdem alle willkommen, immerhin verband sie ihre Gemeinschaftszugehörigkeit, aber es bedeutete der Jägerin eigentlich nur bei einer kleinen Anzahl an Leuten tatsächlich etwas.
    „Das ist wahr“, entgegnete sie mit reichlich Verzögerung auf die Äußerung des Nords. Es wurde Zeit, dass er sich die Beine vertrat – er stimmte sie eindeutig zu nachdenklich, oder zumindest mehr, als sonst und als es ihr lieb war in diesem Moment. „Lasst mich einmal die Zügel übernehmen.“
    „Gute Idee!“ Er reichte ihr den Lederriemen und stieg vom Kutschbock, während sie gerade auf einer Anhöhe des Weges ankamen. Sie setzte sich mittig auf die Bank und atmete erleichtert durch. Wenigstens für die nächsten Meilen oberhalb des Flusses hatte sie erst einmal wieder ihre Ruhe. Fluss. -fluss … Weißfluss! So hieß er, der Strom, dem sie bis ins Fürstentum Weißlauf folgten.



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    Geändert von Bahaar (12.10.2013 um 11:13 Uhr)

  6. #6

    Himmelsrand, Fürstentum Ostmarsch, Straße nach Weißlauf

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    Mit lautem Klacken prallten die hölzernen Klingen aufeinander und sandten eine unangenehme Schockwellte durch Hand, -gelenk und Unterarm, die vorübergehende Taubheit hervorrief. Vesana drehte sich unter den gekreuzten Übungsschwertern mit Eisenkern hindurch, um den in den Arm gelegten Schwung weiter zu nutzen und zog ihre Waffe in einer tiefen Kreisbahn gegen die Hüfte ihres Gegners nach. Dieser wich jedoch zurück, seine Füße wirbelten auf dem trockenen Erdboden Staub auf, und ließ ihren Schlag ins Leere laufen. Wie so oft zuvor umkreisten sich die Kontrahenten, mit erhobenen Schwertern belauerten sie sich, Schweiß rann über die Haut – egal ob frei, oder von leichtem Stoff bedeckt – troff vom Kinn und anderen hervorstehenden Körperecken. Schwer hoben sich ihre Brustkörbe. Ab und an mussten sie die mit Leder umschlagenen Hefte nachgreifen.
    So wie sich die seitlichen Zöpfe der Jägerin allmählich aufzulösen begannen, solange dauerte die Auseinandersetzung zwischen den zwei Kaiserlichen inzwischen, so durcheinander lagen die fingerlangen, schwarzen Haare ihres Widersachers. Sein sauber getrimmter Kantenbart glänzte ebenso feucht wie seine Haut, doch die dunkelbraunen Augen wirkten wach und ließen nicht auf Erschöpfung schließen. Im Gegenteil, sie strahlten Ruhe aus – Wachsamkeit, aber auch Gelassenheit. Mit der freien Linken strich er sich eine Strähne des dunklen Haars aus der Stirn ohne die Augen von Vesana zu nehmen und sich dadurch eine Blöße zu geben. Diese spürte einen einzelnen Schweißtropfen über ihre Stirn rinnen und in ihrer rechten Augenbraue verschwinden, gleich darauf sammelte er sich aber wieder an deren unteren Rand. Es würde nicht mehr lange dauern, bis er ihr ins Auge tropfte.
    Auf der Terrasse zum hinter Jorrvaskr liegenden Übungsplatz standen die übrigen Mitglieder der Gefährten, die an diesem heißen, wolkenlosen und windstillen Tag im Spätfrühling 4Ä 197 nicht gerade auf Mission waren. Gespannt schweigend und nicht einmal bei knapp ausgehenden Schlagabtauschen mitgerissen stöhnend beobachteten sie den Kampf zwischen Vesa und Darius, der inzwischen mehr als doppelt so lange dauerte wie jeder andere Übungskampf der Jägerin mit den Nicht-Zirkelmitglieder der Gefährten. Sie spürte die vielen Augenpaare auf sich, doch störte sie sich nicht daran. Einzig ihre eigenen Erwartungen lasteten schwer auf ihr. Seit über sechs Monaten ungeschlagen gegen jedes einfache Mitglied der Gemeinschaft. Einzig gegen die Zirkelmitglieder hatte sie regelmäßig verloren. Und jetzt sollte ihr dieser Welpe, kaum drei Monate Mitglied der Gefährten, gefährlich werden? Niemals!
    Bevor der Schweißtropfen an ihrem Auge hinabfallen konnte, führte sie einen Schlag von hoch oben diagonal nach links unten. Während der schwarzhaarige Kaiserliche blockte, drehte sie sich an ihm vorbei um die eigene Achse, schleuderte die salzige Perle davon, und wiederholte den Hieb, diesmal in seinem Rücken. Nur um Haaresbreite entkam er diesem mit einer echten Waffe normalerweise tödlichen Schnitt, taumelte nach vorn, fiel und rollte sich über den staubigen Boden ab. In einigen Schrittlängen Entfernung kam er auf die Füße, Knie gebeugt, das Schwert lauernd an der Seite im Handgelenk kreisend. Sein inzwischen wieder wohlgenährter, trainierter Körper hüllte sich in feines, braunes Pulver, das schnell zu Schlieren verwischte. Beide hatten den Mund dauerhaft offenstehen wie Raubtiere auf der Jagd, so schwer atmeten sie inzwischen. Beinahe glaubte Vesana sogar, sein Herz in der nackten Brust schlagen zu sehen. Vielleicht war es aber auch nur Einbildung, weil ihr eigenes so schnell schlug. Die Pausen zwischen Phasen des Austauschs von Schlägen zogen sich mittlerweile länger hin, die Erschöpfung zog allmählich in ihre Muskeln ein und keiner wollte deshalb einen Fehler begehen.
    Dann setzte Darius an, rannte auf sie zu und führte einen mächtigen Hieb von der Seite. Mit Mühe lenkte ihn die Kaiserliche ab, doch folgte sofort ein weiterer von schräg oben. Block. Ein abgesetzter Schlag von unten, links, rechts, oben, oben, unten, zum Abschluss ein Stich und wieder standen sie sich gegenüber, hechelnd. Leichtes Zittern setzte ein, als sich die Taubheit im rechten Arm abermals zu legen begann. Vesa musste schnell handeln, wollte sie noch gewinnen. Sie war schneller und wendiger als ihr Widersacher, dafür besaß er mehr Kraft. Ihre einzige Chance bestand in der Flucht nach vorn, einem Hagel von Schlägen, während dem der muskulöse Mann irgendwann einen Fehler begehen musste.
    Eine Finte in seine rechte Flanke, während sie mit einem Nachstellschritt an seine linke Seite kam. Während sie sich an ihm vorbeiwand, zog sie ihm mit der Verse den linken Fuß weg, brachte ihn aus dem Gleichgewicht und führte die Holzklinge in einem hohen Hieb auf die Schulter seines linken Armes. Wie er diesen noch rechtzeitig ablenkte, sollte ihr ein Rätsel bleiben, aber er schaffte es. Taumelnd kam er vor ihr auf die Füße und versuchte seine Waffe zwischen sich und die Jägerin zu bringen. Diese führte jedoch keinen Schlag, sondern einen Stich gegen seine Brust. Er beugte sich nach hinten, entkam dem Treffer, doch hielt er sein Schwert in der Überraschung lockerer. Das nutzte Vesana, ließ das ihre im Handgelenk kreisen und verkeilte es zwischen Klinge und Parierstange an Darius‘ Waffe. So verkeilt war es ihr ein Leichtes ihn zu entwaffnen. In hohem Bogen flog das Übungsschwert über sie hinweg, landete irgendwo außer Sicht im Dreck, doch das spielte auch keine Rolle mehr – ihre Schwertspitze drückte sich inzwischen gegen die Brust des Schwarzhaarigen. Applaus donnerte von der Terrasse.
    Mit weit aufgerissenen Augen betrachtete ihr Kontrahent die Kaiserliche, atmete unverändert schwer, Schweiß floss ihm in Strömen am Leib hinab und Erschöpfungszittern ergriff von ihm Besitz. Vesa nahm ihre Waffe nun runter und ließ sich anschließend rücklings einfach in den Dreck sinken. Das Schwert neben sich fallen gelassen, legte sie die Hände auf die Stirn und schloss die Augen. Es gab keine Stelle mehr, an der ihre Tunika noch nicht klitschnass an ihrem Körper klebte. Der Beifall endete inzwischen und die meisten der Zuschauer gingen wieder ihrer Wege, wie die Kaiserliche bemerkte, als sie die Augen öffnete. In diesem Moment schob sich ein Schatten über sie und jemand reichte ihr die Hand, um ihr auf die Füße zu helfen. Es war Darius, wie sie wenig später feststellte, als er nicht mehr direkt in der Sonne stand. „Ein guter Kampf“, befand er.
    „In der Tat“, entgegnete sie mit einem Nicken, hob ihre Waffe auf und machte sich daran, zu Aela und Farkas, die noch auf der Terrasse zurückgeblieben waren, hinüberzugehen. Ihr Gegner folgte kurz darauf.
    „Sehr spannend“, lobte die rothaarige, hochgewachsene Nord mit der markanten Kriegsbemalung im Gesicht. Der bärenstarke, aber nicht unbedingt hellste Gefährte an ihrer Seite brummte zustimmend. Vesana nahm sich einen der zwei Wasserkrüge, die auf einem nahen Tisch standen. Erst schüttete sie sich einen Teil des Inhalts über den Kopf, genoss das kühle Nass, wie es von oben ihren Körper hinabfloss und die Hitze, die sie in sich spürte, wenigstens von außen etwas bekämpfte – danach setzte sie das Gefäß mit beiden Händen an die Lippen und trank gierig. Darius tat es ihr gleich, während die beiden Zirkelmitglieder geduldig warteten, dass sie Kontrahenten vom Kampfrausch wieder etwas runterkamen. Erst danach setzte Aela erneut an zu sprechen und fixierte dabei die Kaiserliche. „Der Zirkel hat eine neue Aufgabe für Dich, Vesa.“
    „So? Was soll es sein?“
    „Du wirst einen Welpen ausbilden“, erklärte Farkas und grinste, weil er genau wusste, dass die Jägerin zuvor wenige Ambitionen gezeigt hatte, freiwillig einen zu übernehmen. Nicht zuletzt, weil sie nach ihrer eigenen rasanten Weiterentwicklung derartige – teils utopische Ansprüche – an andere anlegte. Und obwohl hohe Ansprüche durchaus vorteilhaft für einen Schüler sein mochten, konnten sie auch zu dessen Scheitern führen. Abgesehen davon war sie seit gerade einmal einem viertel Jahr selbst ein vollwertiges Mitglied der Gemeinschaft.
    Seufzend fragte sie: „Wen?“ Aela nickte leicht an ihr vorbei, sie wandte sich um und blickte in Darius‘ schmutzverklebtes Gesicht. Er schien noch nicht ganz realisiert zu haben, worum es überhaupt ging – Ratlosigkeit zeichnete seine festen Züge.
    „Die übrigen Zirkelmitglieder erkennen Deine Gründe für das Desinteresse an der Ausbildung eines Welpen an, glauben jedoch, dass sie in diesem Fall keine Gültigkeit besitzen“, sprach die erfahrenere Jägerin weiter.
    Skeptisch zog Vesana eine Augenbraue hoch. „Inwiefern?“ Sie nahm noch einen Schluck Wasser, ohne die Augen von ihren Gesprächspartnern zu nehmen.
    „Ihr seid euch vergleichsweise ebenbürtig, so dass auch Du noch etwas lernen kannst.“ Die Kaiserliche lachte kurz auf.
    „Ebenbürtig, so?“ Sie wandte sich Darius zu und nahm sich eines der Holzschwerter, die inzwischen auf dem Tisch lagen. Kurzerhand drückte sie es ihm gegen die Brust, bis er es mit einer Hand selbst festhielt. „Das wollen wir erst noch sehen. Abmarsch.“
    „Das heißt, Du nimmst an?“, hakte Farkas nach und erntete ein grimmig-schiefes Lächeln.

    Rückblickend wusste sie nicht mehr genau, was sie dazu bewegt hatte, die Aufgabe so umstandslos anzunehmen. Vielleicht weil ihr der Kampf gegen Darius Spaß bereit hatte und sie mit ihm auf gleichem Niveau trainieren konnte, ohne sich grämen zu müssen, dass man es ihr leicht machte. Vielleicht auch, weil er nicht weniger ehrgeizig war, als sie und seine eigene Entwicklung nach Eintritt in die Gemeinschaft der Gefährten ähnlich schnell voranschritt, wie die ihre. Die Zirkelmitglieder hatten daher durchaus rechtgehabt, als sie meinten, auch Vesana könne noch etwas dazulernen. Vermutlich wusste sie all das zum Zeitpunkt der Aufgabenverteilung instinktiv schon. Und womöglich gefiel ihr zu allem Überfluss an guten Gründen der Gedanke an diese neue Herausforderung mehr, als die Vorbehalte, die sie bis dahin gehegt hatte, sie zu hemmen vermochten.
    Jetzt nahm sie das Stofftuch von ihrem Kopf, schüttete den stinkenden Heiltrank irgendwo an einen Busch und verstaute den Rest bei ihren Sachen. Nach dem Dampfbad verlor sich ihr Blick im Lagerfeuer am Abend des zweiten Reisetages nahe dem Zufluss aus dem Rifton-Plateau in den Weißfluss. Hrothluf schlief bereits fest. Sie saß also allein den knisternden Flammen gegenüber – Darius war fort, sie Zirkelmitglied, nur noch wenigen unterlegen, den meisten ebenbürtig. Allein in der Dunkelheit der sternenklaren Nacht nützte ihr all das jedoch wenig. Einsamkeit lastete schwer auf ihren Schultern. Nur noch vier, höchstens fünf, Tage, dann wäre sie wieder zu Hause, hätte sie wieder Freunde um sich. Es wurde Zeit, dass sie zu ihrem Alltag zurückkehrte. Egal, wie schwer es ihr auch fiel, sie konnte nicht ständig in Erinnerungen oder Gefühlsausbrüchen hängen bleiben. Wo käme sie da bloß hin, man stelle sich nur einmal vor, jemand würde sie dabei beobachten. Nein, soweit würde sie es nicht kommen lassen. Sie musste schleunigst ihre alte Standfestigkeit zurückgewinnen und diese Schwächephasen überwinden, hinter sich lassen. Und doch … die Einsamkeit würde auch zurück in Jorrvaskr nicht vollends verfliegen, dessen war sie sich sicher.
    Grummelnd legte sie sich auf die Seite, stützte den Kopf auf die Hand und starrte weiter in die Flammen. Die Decke zog sie höher und wartete, bis Hrothluf sie mit der Wache ablöste.



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    Geändert von Bahaar (18.10.2013 um 15:16 Uhr)

  7. #7

    Himmelsrand, Fürstentum Ostmarsch, Straße nach Weißlauf

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    Mehr oder weniger parallel zu den mächtigen Kaskaden des Weißflusses arbeitete sich ihr Gespann die steilen Serpentinen Manneshöhe um Manneshöhe die Felswand hinauf. Der dritte und vierte Tag boten tatsächlich einmal Abwechslung. Kaum hatten sie den Zufluss aus dem Süden überquert, waren sie in dichten Bergwald eingetaucht und würden ihn auch noch an diesem Tag wieder verlassen – nach oben verlassen. Die Straße führte sagenhaft steil ins Tal der Valtheimer Türme hinauf, das das Fürstentum Ostmarsch mit der Tundra um Weißlauf verband. Ein ebenso schöner, wie gefährlicher Reiseabschnitt. Das Gebiet unten vom Wald bis hinauf zu dem verfallenden Turm wurde regelmäßig von plündernden Gruppen heimgesucht, öfter als sie an Händen und Füßen zusammen abzählen konnte wurde Vesana mit den Gefährten entsandt, um dem raubenden Treiben ein Ende zu setzen. Entsprechend wachsam beobachtete sie ihre Umgebung. Zwar glaubte sie nicht an einen Überfall während des Aufstiegs durch die spitzen Serpentinen, aber wer wusste schon, was hinter der Abbruchkante lauerte, die mit jedem Schritt von Berta dem Pferd näher rückte?
    Über das tosende Donnern der Wassermassen des Stromes zu ihrer Rechten würde jedenfalls keiner von ihnen Rufe von Banditen, oder möglicherweise das Pfeifen von Pfeilen vernehmen. Ihre Augen wären die einzige Möglichkeit der frühzeitigen Warnung, also behielt sie die Kaiserliche offen. Ihre persönliche Anspannung spiegelte sich nicht nur in ihrem aufrechten Sitz und den um Schwert und Bogen fester greifenden Händen wider, es färbte auch auf Hrothluf ab. Oder färbte er auf sie ab? Es spielte keine Rolle. Auch er ließ die Augen schweifen und zusätzlich zum im Wald festhängenden Sprühnebel der Kaskaden rannen Schweißperlen über seine freie Haut in Gesicht und Nacken. Er schwieg – und das sprach Bände.
    „Ich kundschafte etwas voraus“, entschied die Jägerin und kletterte einige Kurven unterhalb der Abbruchkante und inzwischen oberhalb der Wipfel der letzten Bäume vom Wagen. Schwert und Bogen band sie sich auf den Rücken und mit schnellen, zielsicheren Schritten ließ sie das Reisegespann hinter sich zurück. Mittlerweile fielen ihr derartige, körperlich stark in Anspruch nehmende Bewegungen immer leichter. Vor allem nach dem letzten Heiltrank und mit dem Auslauf, den sie während der Reise auch zuvor schon hatte, baute sich ihre Ausdauer schnell aus. Zwar wäre sie noch immer nicht im Stande, längere Strecken zu rennen, aber wenigstens schnelles Wandern im unwegsamen Gelände bereitete ihr kaum noch Schwierigkeiten – abgesehen davon, dass es sie dennoch schwer atmen ließ. Ein kurzer Blick zurück verriet der Kaiserlichen außerdem, dass sie durchaus noch sehr flink in solchem Terrain zu Fuß war – der Nord und sein Wagen hatten in der Zeit, in der sie ihr Ziel schon erreichte, kaum zwei Serpentinen zurückgelegt. Zufrieden stahl sich ein Lächeln auf ihre Lippen, die sie nun wieder zusammenpresste, um die angestrengte Atmung zu beruhigen und den Puls zu drücken. Hier oben hallte das Rauschen des Wassers weniger stark wider, weshalb sie mehr Geräusche aus der Umgebung vernahm und das wollte sie sich nicht durch rauschendes Blut in den Ohren zunichtemachen lassen.
    Die letzten Schrittlängen schob sich Vesana nun vorsichtig und langsam im Schutz einiger größerer Felsbrocken vorwärts. Das karge Tal wies kaum noch Vegetation auf, die größer als ein kleiner Strauch oder Busch war, weshalb sie besonders auf der Hut sein musste, wollte sie nicht von möglichen Räubern entdeckt werden. Kurzes Kreischen ließ sie zusammenfahren und die Augen weit geöffnet über die steilen Berghänge zu beiden Seiten der Flusskerbe schweifen lassen. Aber am leicht bewölkten Himmel machte die Jägerin alsbald einen Adler aus, der wohl als Quelle des Geräusches zu werten war. Es kam vor, dass Banditen Tiergeräusche imitierten oder gar Falken als Warnsystem einsetzten, um Gefahren zu kommunizieren. Allerdings hatte sie noch keine Gruppe getroffen, die einen Adler einsetzte. Zu stolz und eigensinnig waren die Tiere, als dass sie sich von einem Haufen Halunken zähmen ließen.
    Vorsichtig pirschte sie weiter und behielt dennoch die Hänge mit im Auge. Sicherheitshalber. Außerdem erwachte ihr Jagdfieber. Zähnebleckend drückte sie sich in den Sichtschatten eines Felsens, von dem aus sie leicht bis zu den alten Türmen sehen konnte, die – durch eine schmale Brücke verbunden – an beiden Ufern des Weißflusses standen. Es wirkte friedlich, ruhig. Fast schon zu ruhig. Adrenalin pumpte durch ihre Adern während sie den Bogen vom Rücken nahm und einen Pfeil zog, beinahe hoffend, dass sich doch noch Ziele zeigen würden. Sämtliches Gefühl von Anstrengung durch den zügigen Aufstieg verflog während ihre Sinne die Umgebung abtasteten. Inzwischen vernahm sie auch wieder das Holpern der eisenbeschlagenen Wagenräder, das sich langsam aber stetig weiter nach oben kämpfte. Aber auch als sich das Gespann schließlich über die Kante schob und Vesana dem etwas verwirrt dreinschauenden, verunsicherten Hrothluf per Handzeichen zu verstehen gab, dass er einfach weiterfahren sollte, regte sich nichts. Weder zuckte sich etwas vor dem Turm an ihrem Ufer, noch auf der Brücke oder am steilen Hang auf der anderen Flussseite.
    Ein Anflug ungemütlicher Schwere legte sich auf ihren Magen, als die Kaiserliche nach weiterem Warten enttäuscht schnaufend aufstand. Die einfache Schusswaffe aus Holz in der Rechten, ein Pfeil mit Zeigefinger und Bogensehne fixiert folgte sie letzten Endes dem Nord den leicht abschüssigen Weg hinab zum Turm auf ihrer Seite. „Scheint verlass‘n.“ Der Rothaarige wirkte sehr erleichtert, seine Schultern höher als zuvor, sein Stand aufrechter und die Stimme befreiter.
    „In der Tat“, entgegnete Vesa und verstaute Bogen und Pfeil im Köcher. Sie kniete sich neben eine erloschene Feuerstelle vor dem Eingang in den Turm. Tasten bestätigte die Vermutung: kalt, nass und schon lange nicht mehr in Brand gewesen. Hier hatte sich mindestens eine Woche lang niemand mehr aufgehalten. Die Jägerin schaute zu ihrem Reiseführer hinauf, der gerade Berta am Kopf tätschelte, dann hinauf zum Himmel und wieder zurück. „Die Sonne steht schon tief und einen besseren Rastplatz werden wir auf den nächsten Meilen kaum noch finden.“
    „Da habt Ihr Recht.“ Das Pferd band er kurzerhand vom Wagen los und an einem schweren, nahegelegenen Stein fest. Ohne ihn weiter zu beachten, trat die Kaiserliche auf die modrige, aus den Angeln gerissene Tür zu, die in das Innere des Gemäuers führte und den Eingang weiterhin versperrte. Angestrengt brummend zerrte sie das mit Wasser vollgesogene Holz zur Seite, nur um gleich darauf ihr Schwert zu ziehen. Das markante Schleifen hallte aus der feuchten Dunkelheit im Turm zurück. Nichts regte sich und auch als sich ihre Augen zunehmend an den Lichtmangeln innerhalb der alten Mauern gewöhnten, entdeckte sie nichts im Eingangsbereich oder auf der Steintreppe weiter nach oben, das irgendwie bedrohlich werden mochte. Sie würde später mit Fackellicht noch einmal tiefer in das verlassene Gebäude eindringen, aber dafür mussten die alten Fackeln an den Wänden erst einmal an ihrem Feuer trocknen – vorerst zog sie sich aus dem nach Fäulnis stinkenden Gemäuer zurück. Wie es diese Banditenbanden länger als eine Nacht in solchen Umgebungen aushielten, blieb Vesana nach wie vor ein Rätsel, schon jetzt ließ ihr der Geruch den Appetit vergehen. Aber vermutlich machte einem eine solche Umgebung nicht so viel aus, wenn man selbst schon derart verdorben war, wie die meisten Räuber. Mit Zähnen schwarz wie die Nacht und Mundgeruch so stark, dass er einen Troll neidisch werden ließ, stumpften sie womöglich gegen Umgebungsgerüche ab. Vielleicht ein etwas übertriebenes Bild, gestand sie sich ein, aber irgendwo doch treffend. Auf alle Fälle eines, dass sie verdienten.
    Während Hrothluf das Feuer in Gang setzte, schob sie eine alte Holzbank zurecht, die wohl von den vorherigen Langzeitbewohnern gezimmert worden war. Damit saß es sich weit aus gemütlicher, als auf dem kalten, harten Boden. „Drei Tage noch, dann sollt‘n wir in Weißlauf ankomm‘“, befand der Nord und setzte sich mit auf die Bank. Ächzend und sich durchbiegend nahm sie sein Gewicht mit auf. Skeptisch blickte er an sich hinab auf das Holz und dann wieder in die allmählich in die Höhe schnellenden Flammen. „Wenn das Wetter hält, könn‘ wir sogar ab morg’n Abend schon Weißlauf und die Bauernhöfe seh’n.“ Auch wenn sie sich darüber selbst im Klaren war, so löse die Aussprache der Gedanken doch wieder einen Schwall Vorfreude aus. Leichtigkeit im Magen und ein schmales Lächeln überfielen Vesana. Auch die Erkenntnis, dass sie das Fürstentum Ostmarsch mittlerweile hinter sich gelassen hatten, überkam die Kaiserliche in diesen Moment. Bald, sehr bald schon, war sie wieder unter Freunden.
    Bis dahin musste sie allerdings noch das wachsame Auge ihres Gespanns sein und so schnappte sie sich eine Fackel, entzündete sie im Lagerfeuer und begann damit, den näheren der Valtheimer Türme zu durchkämmen. Nützliches würde sie kaum finden, und Hrothluf hatte sicher auch keine Verwendung für durchgerostete Schwerter, aber so beschäftigte sie sich wenigstens und mochte nach der Wachablöse auch beruhigt schlafen können.



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    Geändert von Bahaar (26.10.2013 um 10:33 Uhr)

  8. #8

    Himmelsrand, Fürstentum Weißlauf, Straße nach Weißlauf

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    Grauverhangener Himmel, ein frischer Wind und der Duft von bevorstehendem Regen in der Luft – sie prägten den Abend am Ausgang des Valtheimer-Tals. Hoch oberhalb des Weißflusses mit Blick weit in die Tundra des Fürstentums Weißlauf hinein rasteten die Kaiserliche und der Nord am Rand der Bergstraße, wenn sich der kaum erkennbare, holprige Weg überhaupt als solche bezeichnen ließ. Die Arme um den Oberkörper geschlungen, die Jacke geschlossen und die Kapuze über dem Kopf, stand Vesana am Abgrund und spähte in die Ferne. Ob aus der vergebenen Hoffnung heraus, die Mauern und Türme der ersehnten Stadt am Horizont zu erkennen, oder einfach um die Gedanken in den scheinbar unendlichen Weiten zu verlieren – es spielte keine Rolle. Stoisch trotzte sie den teils straffen Böen, ließ sie mit den losen Strähnen am Rand des Gesichtes spielen und ließ sich auf der frischen Luft in den schnell dunkler werdenden Abend treiben.
    Nervöses Kribbeln stieg in ihrem Unterleib auf, arbeitete sich hinauf bis in die Brust, ließ das Herz rasen und die Atmung gelegentlich aussetzen. Weder richtig un-, noch wirklich angenehme Schauer liefen ihr den Rücken hinab. Schmerzende Sehnsucht und treibende Vorfreude rangen in ihr um die Vorherrschaft. Die Linke schob sich unter ihrem Arm hervor und glitt hinauf zu der Stelle der Jacke, unter der sich ihr Hirschkopfamulett verbarg. Dort krallte sie sich in den dicken Stoff der Kleidung und hielt so auch das Schmuckstück fest. Während sie mühevoll die Ungeduld in sich niederkämpfte, biss sich die Jägerin auf die Unterlippe und schloss die Augen. Erst die völlige Finsternis und nach plötzlichem Grollen in den Wolken, gelang es ihr, das Prickeln im Bauch abzustellen. Kurz harrte sie in ihrer Pose, reckte die Nase in den Wind und sog die frische Luft ein. Anschließend wandte sie sich ab und Hrothluf zu, der zwischen einigen Felsen eine Plane gespannt und vor dem improvisierten Unterstand ein kleines Feuer entfacht hatte.
    „Wir werden bald im Dunkeln sitzen“, kommentierte Vesana den Anblick. Sie war sich nicht einmal sicher, ob sie es mehr zu sich, oder direkt an ihren Begleiter gewandt sagte. Daher verwunderte es nicht, dass er einen Moment benötigte, bevor er reagierte.
    „Weshalb?“ Sie hielt sich mit dem rechten Arm noch immer umschlungen, während sie zu ihm hinüberschlenderte. Mit der Linken wies sie zum Himmel. „Oh nein, wirklich?“ Sie nickte und hockte sich zu ihm in den Unterstand, Hände den Flammen entgegengestreckt.
    „Aber weit im Westen schien es teilweise wieder aufzureißen. Ich vermute, dass es nicht zu lange regnen wird.“ Es änderte zwar nichts daran, dass ein Gewitter in diesen Höhenlagen unvermindert gefährlich werden konnte, aber wenigstens einer von ihnen musste einen kühlen Kopf bewahren. Nachdem sie kurz nach Aufbruch an den Valtheimer Türmen einen alten, kaputten Karren am Flussufer ausgemacht hatten, von dem Hrothluf aus irgendeinem Grund annahm, dass es sich um den seines Geschäftspartners handelte, war der Nord permanent nervös gewesen. Nicht, dass ihr sein nervöses Trippeln und Auf- und Abgehen am vorigen Abend schon gereicht hätte, nein, er musste sie auch zig Mal aufwecken, weil er geglaubt hatte, etwas gehört zu haben. Zornig zog sie die rechte Oberlippe nach oben, wie ein aggressiver Hund. Der Rothaarige sah es nicht, aber ihr leises Grollen hätte er hören können, wäre er nicht damit beschäftigt gewesen, den Himmel zu beobachten. „Ihr übernehmt heute die erste Wache“, befand Vesa und der Mann nickte, aus seinen eigenen Gedanken gerissen, eifrig zur Bestätigung.

    Zaghaft tätschelten die schwachen Wellen am Ufer des Sees ihre nackten Füße. Sie streichelten sie, lockten mit unverhoffter Wärme und Geborgenheit in der Dunkelheit der wolkenlosen Nacht. Die Sterne spiegelten sich auf der ebenen, pechschwarzen Oberfläche des Gewässers und verwandelten sie in eine gemütliche Seidendecke, unter der sich ein jeder gern zum Schlaf verkroch. Vorsichtig, ganz behutsam, um den zarten Schleier des Glitzerns nicht zu zerreißen, setzte Vesana einen Schritt vor, tauchte bis über die Knöchel im Nass ein. Feine Härchen richteten sich, ob des wohligen Gefühls von Komfort, überall an ihrem unbedeckten Leib auf. Mit der Linken öffnete sie das Lederband an ihrem Hinterkopf, das ihren Pferdeschwanz und die Zöpfe zusammenhielt. Angenehm warm, wie der Atem eines Nachtgefährten, fiel es über ihre Schulten bis auf die Brust hinab, legte es sich um ihren Nacken wie ein leichtes Tuch.
    Mit den Händen auf Hüfthöhe, die Innenseiten flach zur Oberfläche des Sees weisend, schritt sie nun immer weiter voran tiefer ins Nass. Angetan vom sachten Kitzeln an ihren Beinen, während sie mehr und mehr vom flüssigen Schwarz umhüllt wurden, stahl sich ein zunächst zaghaftes, bald schon auch die Augen umfassendes Lächeln auf ihr Gesicht. Vesa spürte die kleinen Fältchen, die es um die Augenwinkel warf, fühlte seine entspannende Wirkung in den Muskeln.
    Langsam tauchten ihre Oberschenkel ein, schoben sich tiefer ins Dunkel. Das Kribbeln stieg an ihr auf – stieg in ihr auf. Es schwoll über den Schritt hinaus an, umschloss ihre Hände und ließ den Bauchnabel zurück. Ihr Herz begann zu springen, unruhig mit Freude tanzte es hinter ihren Rippen. Als die Wassergrenze schließlich auch ihre weiblichen Rundungen zu reizen begann, hielt sie die Luft an und mit einem kurzen Satz tauchte die Jägerin rauschend in den Fluten ab. Wie ein Kissen legte sich der Druck der Finsternis auf ihre Ohren, schloss ihre Lider und sorgte für absolute Stille um sie herum. Ein herrliches Gefühl, als sie allein mit ihrem eigenen Herzschlag war. Keine Einflüsse von außen verunreinigten dieses Moment. Nur sie, nur die Wärme, Stille.
    Lange blieb sie bodennah, entließ Schübe von Luft, die für einen Herzschlag lang die Ruhe durchbrachen während sie blubbernd aufstiegen. Doch auch sie war nicht in der Lage, ewig in den stillen Tiefen zu verweilen. Leichtes Stechen und baldiges Krampfen in den Lungen setzten ihrer Entspannung und dem Frieden ein Ende. Als sie sich gezwungen sah, aufzutauchen, drückte sich die Kaiserliche kraftvoll am steinigen Untergrund ab und ließ sich bis hinauf an die Oberfläche treiben. Begrüßt von silbrigem Lichtschimmer atmete sie tief ein und schwamm gleich darauf zurück zum Ufer. Fast schon widerwillig, als ob es sie nicht hergeben wollte, entließ sie das Wasser an die Luft der Nacht. Und doch hielt eine innere Unruhe Einzug, die ihre Finger zum Zittern brachte und ihre Muskeln in Spannung versetzte. Kleine Tropfen rannen an ihr hinab, kitzelten sie und ließen sie spüren, wie empfindlich ihre Haut doch eigentlich war. Überhaupt drangen die Begebenheiten der Umwelt intensiv und in unvergleichlicher Intensität auf sie ein. Die Klarheit der Nacht, der Duft des Laubes an den Bäumen und das seichte rasseln der Grashalme im lauen Wind. Ein ebenso schönes, wie überwältigendes Gefühl.
    Doch da war noch etwas. Schwere in der Luft, wie ein dickes Tuch legte sie sich über alles. Der bittere Vorbote von Regen umarmte sie mit aller Kraft und hielt sie fest. Ohne Gegenwehr empfing sie seine Begrüßung und legte den Kopf voller Erwartung in den Nacken. Die Augen wach und weit geöffnet schaute Vesana hinauf zum dunklen Himmel. Keine Sterne leuchteten dort, nur vage machte sie die graue Masse aus, die bald ihren Inhalt über das Land ergießen würde. Herausfordernd breitete sie deshalb die Arme aus und lehnte sich noch etwas zurück. Ihr feucht-schweres Haar glitt von ihren Schultern und zog an ihrem Kopf, als wollte es sie zurück in die Fluten dirigieren, denen sie noch nicht einmal vollständig entstiegen war.
    Doch war es schon zu spät dafür. Ein großer Tropfen klatschte ihr auf die linke Wange. Sein Gewicht ließ sie erst zusammenzucken, bevor sie seine immense Wärme zu genießen begann, als er langsam über ihre Haut hinabrann. Es folgten schnell weitere, deren Rinnsale bald ihr Gesicht, Schulten und Brust vollständig bedeckten. Und sie rochen so köstlich! Hastig öffnete die Jägerin ihren Mund, um den immer weiter anschwellenden Wolkenbruch aufzufangen. Der bitter-schwere Geschmack von Eisen umschloss ihre Zunge. Genussvoll schloss sie die Augen bevor sie den ersten Schwall hinabschluckte. Dann noch einen und noch einen. Immer mehr und immer gieriger schluckte sie hinab, ein unbändiger Durst überkam sie, bevor ihr Magen knurrend auf seinen Hunger aufmerksam machte. Vesana richtete sich auf, senkte den Kopf und öffnete die Augen. Die Hände offen wie Schalen vor den Bauch gehalten, blickte sie auf ihre im Dunkel feucht glänzende Haut. Sie wirkte dunkler als sonst.
    Abrupt endete der schwere Regenschauer und die Wolkendecke riss auf. Silberweißes Licht umfing sie und ließ einen Schimmer von tiefem Rot auf ihrem nackten Körper erkennen. Mehr und mehr knurrte ihr Bauch, verlangte danach gefüllt zu werden. Bald schon war es so sehr angeschwollen, dass sie es nicht nur in ihrem Körper spürte, sondern regelrecht hörte. Erst dann überkam sie die Erkenntnis, dass es längst nicht mehr ihr Magen war, der verlangend brummte, sondern dass sich das bösartige Knurren ihrer eigenen Kehle entwand.
    Perplex hielt sie inne und schaute abermals zum Himmel auf. Wie aus einem Leinentuch herausgerissen, klaffte dort eine Lücke in der Wolkendecke. Zwei matt schimmernde Scheiben, eine silbern, eine rot, glommen dort wie unheilvolle Augen. Wie vom Blitz getroffen fuhr von ihrem linken Auge ein greller Schmerz quer durch ihren Kopf, ließ sie stöhnen und in sich zusammenfahren. Gequält wandte sie den Blick von den auf einmal blendend hellen Monden ab.

    Keuchend und nach Luft schnappend schnellte Vesa hoch. Schweiß stand ihr auf der Haut und den Mund hielt sie geöffnet. Das Herz schlug ihr bis zum Hals und sie benötigte einige Momente, um zu realisieren, wo sie sich befand. Sie fühlte sich matt und überhaupt nicht ausgeruht, die Haare klebten ihr am Kopf. Hastig schaute sie sich nach Hrothluf um, doch entdeckte sie ihn nirgends in der Dunkelheit der Nacht. Es regnete nicht mehr, aber dort, wo ihr Kopf gelegen hatte, tropfte es in regelmäßigen Abständen noch durch die Plane. „Scheiße“, knurrte sie leise.
    Knurren. Knurrte sie wirklich? Ja, sie knurrte. Etwas verwundert bemerkte sie, wie von dem schnell zerfließenden Traum nichts weiter als ein Gefühl von Hunger, Verlangen und Unruhe zurückblieb. Nach einigen Augenblicken der Besinnung verflüchtigten sich auch die letzten Reste ihres nicht sehr tiefen Schlummers. Lediglich ein leichtes Kribbeln in den Gliedern, wie Aufregung nur weniger eindeutig schlecht oder gut, blieb an ihr haften. Inzwischen wieder klarer bei Verstand wusste die Jägerin nur allzu gut, was es zu bedeuten hatte.
    Steifbeinig erhob sie sich und taumelte gleich darauf einige Schritte zur Seite, unter der Plane hervor, als ihr ein heftiger Stich durch die linke Schläfe fuhr. Reflexartig begann sie damit, die Stelle zu massieren, während sie unter ihrem provisorischen Unterstand hervortrat und nun aufrecht stehend weiter nach dem Nord Ausschau hielt. Das einst wärmende Feuer war erloschen, kein Licht ging mehr von ihm aus. Nur die Sterne über der westlich liegenden Tundra leuchteten ihr die Umgebung aus. Direkt über ihr hingen noch die Reste des Gewitters zwischen den Bergflanken im Tal. Sie ließen vom Regen gereinigte, kristallklare Luft zurück und das Gefühl, zu lange im Sprühregen eines Wasserfalls gestanden zu haben.
    Klamm, aber nicht kalt, lief die Kaiserliche umher, rang die ersten Kopfschmerzen, die auch die nächsten Tage prägen würden, nieder und entdeckte schließlich ihren Reiseführer an exakt derselben Stelle, wo sie am Abend noch gestanden und den Blick in die Ferne hatte schweifen lassen. Auf leisen Sohlen näherte sie sich ihm und blieb im Abstand von wenigen Schritten stehen. Er hatte sie noch immer nicht bemerkt. In den Weiten glaubte sie irgendwo nahe am Horizont einige Lichtpunkte im Land zu sehen. Es mochte Weißlauf sein, vielleicht auch nur eines der Dörfer im Umland der Stadt, aber es spielte keine vordergründige Rolle. Es zählte nur, dass die Heimat zum Greifen nahe war.
    „Ihr könnt Euch nun schlafen legen“, begann Vesana schließlich zu sprechen. Sie klang sanfter als sonst, weniger harsch. Dennoch fuhr der Nord in sich zusammen, als wäre er vom Donner gerührt.
    „Bei den Göttern!“, entfuhr es dem Mann. „Ihr habt mich vielleicht erschreckt!“
    „Verzeiht.“ Mehr fiel ihr dazu nicht ein, schenkte ihm ein Lächeln, das er in der Dunkelheit wohl kaum sehen konnte, und bekräftigte danach erneut: „Legt Euch schlafen.“ Inzwischen etwas gefasster nickte Hrothluf und verschwand hinter ihr aus dem Sichtfeld der Jägerin. Diese nahm nun den Platz des Nords ein, die Hände um den Leib geschlungen und die Augen zum Himmel gleiten lassend. Gerade verzog sich eine Wolke weiter nach Osten und entblößte die dicht beieinanderstehenden Monde. Jeder nur die genaue Hälfte eines Kreises – der eine silbrig-weiß, der andere rostrot. Wieder lächelte sie, bevor ein neuerlicher Stich durch ihre Schläfe fuhr, selbiges vertrieb und sie dazu zwang den Blick abzuwenden.
    Es schien fast so, als schwänge in der Luft die seichte Note eines köstlichen Mahles mit, als sie den Blick zurück nach Weißlauf lenkte. Ein köstliches Mahl, das ihr das Wasser im Munde zusammenlaufen ließ und den Appetit allein durch seinen Duft weckte. Wärme stieg vom Unterleib ausgehend in ihr auf, die der Kälte der Nacht trotzte. Die Augen fest auf ihr Reiseziel gerichtet, erschienen ihr die Kopfschmerzen mit einem Mal gar nicht mehr so schlimm, im Gegenteil. Die wohlige Wärme der Erregung erreichte ihre Wangen und zwang die Lippen auseinander. Fast sehnsüchtig biss sie sich auf die Zungenspitze. Was sie sonst fernab von zu Hause quälte, verflog nun wie leichte Nebelschleier am Morgen während die Sonne aufging. Die Schmerzen, die ihr noch bevorstanden, schienen einfach nichtig. Zurück blieb die Gewissheit, dass es sich nirgendwo besser lebte, jagte und speiste, als in ihrem angestammten Revier.



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    Geändert von Bahaar (02.11.2013 um 12:49 Uhr)

  9. #9

    Himmelsrand, Fürstentum Weißlauf, Straße nach Weißlauf

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    Dung und Ackerland, ihr Duft schwängerte die Luft am frühen Nachmittag, als der Nord und die Kaiserliche an den Gehöften und Wirtschaftsflächen rund um die hohen Stadtmauern Weißlaufs vorbeikamen. Ein Müller zerrte gerade Kornsäcke in einen Mühlturm, ein anderer schleifte staubende Beutel aus seinem heraus. Eine erdverschmutzte Frau kauerte in ihrem Gemüsebeet während ihr Mann in weiter Ferne mit der Sense hantierte. Die Sonne brannte vom Himmel und trieb Ströme von Schweiß in die Gesichter zweier Wachen, die auf den Rücken ihrer Pferde die befestigten Wege im Umland der Hauptstadt des Fürstentums sicherten. Ihre schweren Kettenhemden, die runden Schilde und mit gelbem Stoff verzierten Wamse lasteten auch auf ihren Reittieren, die schwer atmeten. Grimmig musterten die zweifelsfrei wenig zu Scherzen aufgelegten Gerüsteten das Gespann, als sie einander passierten.
    Klappernd holperte der Wagen über die groben Pflastersteine, ungemütlich wurden sie durchgeschüttelt. Auch wenn es jedes Mal einen Stich durch ihre Schläfen fahren ließ, wollte sich Vesana nicht die gute Laune verderben lassen. Erleichterung und Freude ließen ihr Herz hoch schlagen, während die Mundwinkel regelmäßig nach oben wanderten, wenn sie die Augen über die Stadtmauern zu ihrer Rechten schweifen ließ. Es dauerte nicht sehr lange, bis die beiden schließlich an den Stallungen unterhalb der Stadt, noch vor der von alten, verwitterten und von früheren Schlachten gestutzten Mauern eingefassten Rampe ankamen, die hinauf zum eigentlichen Stadttor führte. Einige Zelte standen am Rand des Weges unweit der Ställe und ebenfalls noch außerhalb der alten Wehranlagen. Fahrende Händler, wieder einmal.
    Kurzerhand hüpfte sie vom Kutschbock, als ihr Wagen letztlich hielt und Hrothluf die Zügel an der Bank befestigte. Die Beine ausschüttelnd band sie sich die Waffen auf den Rücken, warf sich die dicke Jacke über die Schulter und stapfte nach hinten zu ihrem eigenen Karren. Die Überkleidung ablegend begann sie damit, ihr Fuhrwerk vom Wagen des Nords zu lösen. Selbiger stieß in diesem Moment zu ihr. „Lasst mich Euch hiermit noch helf’n“, bat er und Vesa nickte nur. „Habt Dank für Euer Geleit. Ich bin froh, dass Eure Dienste nicht wirklich von Nöten gewes’n sind.“
    „Mich ebenfalls“, entgegnete die Jägerin und löste die letzte Schlaufe auf ihrer Seite des Gespanns. „Ihr wollt mit Eurem Wagen nicht hoch in die Stadt fahren?“
    „Doch, aber erst später und solang‘ möcht‘ ich Euch nicht hier unt’n festhalt’n.“
    „Verstehe.“ Gemeinsam schoben sie ihren Karren etwas zurück, so dass sich Vesana hinter die Zugstange stellen konnte. Was er hier vor der Stadt noch für Geschäfte zu erledigen hatte, ging sie weder etwas an, noch interessierte sie sich wirklich dafür. Im Gegenteil. Sie war froh, sich von ihm trennen zu können.
    „Genießt Eure Zeit in der Heimat, wer weiß, wann es Euch wieder forttreibt“, sagte Hrothluf zum Abschied.
    „Danke, das werde ich. Gute Geschäfte.“ Der Nord nickte und machte ihr den Weg frei. Sie setzte sich in Bewegung. Die Steigung ließ sie schnell keuchen und der Blutdruck verstärkte ihre Kopfschmerzen, aber zielstrebig und unnachgiebig, mit dem Gefühl der endlich erreichten Heimkehr im Bauch, arbeitete sie sich dem Stadttor entgegen. Ihr Blick schweifte schnell von den moosbewachsenen Mauern zu den Zelten, als sie Stimmen und sehr leise Schritte von dort vernahm. Eine ganze Schar von laufenden Fellknäulen aus den heißen Regionen im Süden Tamriels wuselte zwischen den ledernen Verschlägen umher. Reflexartig verzog sie das Gesicht und wandte den Blick ab, zurück gerade aus auf den Weg zum Tor. Diese Halunken sollten ihr bloß fern bleiben. Nur zu gut wusste sie, wie die Schnurrer Unvorsichtige über den Tisch zogen.
    Aber es sollte nicht zu einer Konfrontation kommen. Ein schon etwas ergraut wirkendes Katzenwesen in weiten, bunten Gewändern aus dickem, leicht zerschlissenem Stoff, das sich unaufhörlich an den Schnurrhaaren zupfte, schaute zwar lange in ihre Richtung, hielt aber seine Kumpane davon ab zu der Kaiserlichen hinüber zu eilen. Zumindest sah es aus dem Augenwinkel so aus. Vermutlich hatten wenigstens ein paar dieser Samtpfoten doch noch einen siebten Sinn und wussten, von welchen Reisenden sie besser die Tatzen ließen. Mit gewisser Erleichterung durchquerte Vesana kurz darauf auch schon das ehemalige Stadttor und ließ das Zeltlager der Katzen hinter sich.
    Am eigentlichen Stadttor ließen sie die Wachen mit mürrischem, verschwitztem Blick passieren und übergaben sie dem geschäftigen Treiben auf der breiten Hauptstraße, die vorbei an zahlreichen Geschäften und dem Güldengrünbaum hinauf zur Drachenfeste führte. Es würde ein beschwerlicher Weg, aber mit ein wenig Geschick nicht mehr für sie. Der Anteil von Männern unter der Bevölkerung erschien der Jägerin noch immer ausgesprochen hoch. Die zentral gelegene, leicht zu erreichende Stadt mit den vielen Dörfern und Gehöften in ihrem Fürstentum zog nicht nur fahrende Händler, Handwerker oder Kulturgeister an. Auch die jungen Burschen, die nicht auf dem Land der Eltern arbeiteten, sondern andere Wege für diese erledigten, tummelten sich hier. Nicht wenige hielten beide Augen weit geöffnet auf der Suche nach einer hübschen Frau, die Auswahl im eigenen Heimatort war meist sehr begrenzt.
    Ein verschmitztes Lächeln und einen Augenaufschlag später, schon rissen sich zwei junge, kräftige Männer wenig älter als Vesa darum, ihren Karren ziehen zu dürfen. Besonders bei den flachen Treppen, die einmal zum Güldengrünbaum und dann zu Jorrvaskr hinauf führten, kamen ihr die starken Arme ganz gelegen. Es änderte aber nichts daran, dass sie sich mit Freuden wieder von den viel zu viel redenden Herren trennte und sie ohne viel Federlesen von sich scheuchte, als sie einmal am Heim der Gefährten angekommen waren. Auch wenn sie sich früher oft ihrer eigenen Reize bedient hatte, um die eine oder andere Gefälligkeit zu erhalten, inzwischen merkte sie selbst, dass sie aus der Übung gekommen war. Ganz zu schweigen davon, dass sie nur noch selten wirklich das Bedürfnis verspürte, derartig mit Männerherzen umzuspringen.
    Unterhalb der Himmelsschmiede schlug sie den Bogen um das hölzerne Haus der Gefährten herum, zerrte ihren Wagen hinter sich her und hielt noch einmal kurz inne, bevor sie tatsächlich auf den Übungsplatz zwischen Mauer und Jorrvaskr trat. Lediglich eine Person hielt sich hier auf, die Terrasse lag ruhig und unbesetzt da. Ein hochgewachsener Nord in schwerer Stahlrüstung schwang sein zweihändiges Schwert gegen eine Übungspuppe nahe der Mauer. Allein anhand der Statur und den schulterlangen, dunklen Haaren erkannte sie Farkas auch von der Rückenansicht. Er hatte Vesana noch nicht bemerkt, also ließ sie den Wagen nahe dem Felsen unterhalb der Schmiede stehen, legte ihre Waffen auf ihm ab und schlenderte langsam hinüber. Der kräftige Nord hieb von oben auf den Schild und blockte die hölzerne Klinge, die herumfuhr, als sich die Puppe drehte. Ein paar weitere Schläge in die Luft folgten, als kämpfte er gegen weitere unsichtbare Feinde. Keine unübliche Praxis, um Bewegungsabläufe einzustudieren.
    „Hat Dir noch niemand gesagt, dass Du gegen imaginäre Gegner sowieso immer gewinnst und nicht üben brauchst?“, spöttelte die Kaiserliche nach einer Weile, die sie stillschweigend zuschaute. Gegen einen der Stützbalken des Vordachs über der Terrasse lehnend beobachtete sie, wie Farkas ruckartig herumfuhr. Der Schrecken und die Überraschung standen ihm in die aufgerissenen Augen geschrieben. Es dauerte einen Moment, bis er die verschwitzte, von der langen Reise und all ihren Zwischenfällen gezeichnete Frau wiedererkannte. Doch dann brach er in lautes Lachen aus – kein bösartiges oder herablassendes, nein. Freude brandete dort aus seiner Kehle auf als der Nord sein langes Schwert in der Scheide auf dem Rücken verstaute und mit großen Schritten zu Vesana hinüber kam.
    Mit dem Ellbogen stieß sie sich von dem Balken ab und trat auf den Gefährten zu. Kurz darauf drückte er sie an sich. Etwas zögerlich legte sie ihm dann auch die Arme um den Körper. Sie reichte im kaum bis zum Kinn. Einige Augenblicke später löste er sich wieder von ihr und legte seine prankenhaften Hände auf ihre Schultern. Die grauen Augen in dem wettergegerbten Gesicht musterten sie. „Wir haben uns schon Sorgen gemacht, dass Dir etwas passiert sein könnte“, sprach er.
    „Sorgen? Um mich? Überflüssig!“, entgegnete sie mit einer wegwerfenden Handbewegung und entwand sich geschickt seinem Griff. Erneut lachte der Nord, Scherze in ironischer Selbstüberschätzung kamen bei ihm unverändert gut an. Sie schmunzelte, ging zu einem der Tische hinüber und setzte sich auf einen der beschatteten Stühle daneben.
    „Es ist gut, Dich wiederzusehen. Und das Lächeln steht Dir“, meinte Farkas, als er sich zu ihr setzte. Bei dem Seitenhieb auf ihre kümmerliche mentale Verfassung zum Zeitpunkt des Aufbruchs trübte sich ihr Blick etwas ein und verlor sich kurz in der Ferne hinter ihm. „Entschuldige, …“
    Vesa schüttelte den Kopf und hob abwehrend die Hand. So schnell, wie ihre Gedanken abgedriftet waren, fing sie sie auch wieder ein und schenkte ihm ein weiteres Lächeln und Augenkontakt. „Schon gut.“ Er erwiderte das Lächeln. „Wo sind die anderen?“
    „Oh, sie sind alle hier. Einige der Frischlinge sind unterwegs im Fürstentum, aber der Zirkel ist komplett.“
    „Und ich bin sicher, es freuen sich alle ebenso sehr, wie Farkas und ich, dass Du wieder hier bist.“ Vilkas stand auf der Türschwelle ins Innere Jorrvaskars, ein freundliches Schmunzeln zierte seine rauen Lippen und legte die Augenwinkel in feine Falten.
    „Vilkas!“ Die Kaiserliche stand langsam auf, um auf den schlanken, im Vergleich zu seinem Bruder nur geringfügig größeren Mann zuzugehen.
    „Schön, dass Du meinen Namen noch kennst“, stichelte er und breitete die Arme aus. Er trug eine einfache Tunika aus dunklem Leinenstoff, was der begrüßenden Umarmung etwas Persönlicheres gab, entgegen der Rüstung seines Bruders. „Du siehst aus, als könntest Du eine kräftige Mahlzeit vertragen“, stellte der Nord fest.
    „Sehr gern.“
    „Dann komm mit rein in die gute Stube.“
    „Gleich, ich hole nur schnell meinen Wagen.“
    „Das mach‘ ich, geh‘ ruhig rein“, wehrte Farkas ab und erhob sich von seinem Stuhl. Vesana nickte dankbar und folgte Vilkas ins Innere der Halle der Gefährten. Feuchtwarme, leicht rauchige Luft schlug ihr entgegen, als sie in das schummrige, flackernde Zwielicht trat. Eigentlich gut ausgeleuchtet von einer großen Feuerstelle und zahllosen Kerzen und Laternen, wirkte es dennoch kaum heller als in der Dämmerung eines leicht bewölkten Tages. Das dunkle, alte Holz mit seinem rötlichen Schimmer schien das Licht aufzusaugen. Für einen kurzen Moment hielt die Jägerin inne, während die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, und ließ die Eindrücke auf sich wirken. Kribbeln stieg in ihr auf, ergriff den Magen und das Herz bis es in den Kopf stieg und die Gedanken durcheinander warf. Lächelnd schritt sie auf den großen Tisch in der Mitte der Halle zu. Aela und Skjor saßen dort am langen Ende über ihrem Essen in ein Gespräch vertieft. Der einäugige Nord mit dem fast kahlen Schädel und den Kriegsmahlen auf den Wangen bemerkte als erster, dass nicht nur Vilkas eingetreten war.
    Sein Besteck ablegend stützte er das Kinn auf die zusammengefalteten Hände. „Sieh‘ an, wer wieder da ist.“ Seine festen Züge mit der langen Narbe auf der linken Wange regten sich kaum. Typisch für den immer-ernsten Nord.
    „Hallo Skjor“, entgegnete Vesana.
    „Hallo.“
    Inzwischen hatte sich auch Aela umgedreht und strich sich einige Strähnen ihres langen, rotbraunen Haares aus dem Gesicht. „Willkommen zurück.“ Die Frauen nickten sich zu.
    „Tilma!“ Vilkas sah sich nach der alten, zerfurchten Frau um, die sich immer liebevoll um das Wohlbefinden der Gefährten kümmerte.
    „Komme schon“, kam es von irgendwo aus der großen Halle zurück, während sie sich mit an den sonst leeren Tisch setzten. Vilkas neben Skjor, Vesana neben Aela. Kurz drückten sie sich gegenseitig im Sitzen. Wenig später standen zwei dampfende Suppenschüsseln vor ihnen. „Soll ich Kodlak holen?“
    „Lass‘ den alten Mann ruhen. Es wird noch genug Zeit zum Erzählen geben“, winkte Vilkas ab. Die Bedienstete und Freundin der Gefährten nickte und zog sich zurück.
    „Deine Reise hat ziemlich lang gedauert“, stellte die rothaarige Nord zu Vesas linken fest, während diese über ihre dampfende Schüssel pustete und mit dem Löffel rührte.
    „Ja, das ist wahr.“
    „Lasst sie doch erst einmal wieder zu Kräften kommen!“, schnitt ihre Farkas das Wort ab und setzte sich auf den Stuhl neben sie. Das Holz ächzte unter seinem Gewicht.
    „Schon in Ordnung.“
    „Hast Du gefunden, wonach Du gesucht hast?“, wollte Skjor wissen. Vesana legte den Löffel ab und strich sich gedankenverloren mit dem rechten Daumen über die linke Handinnenfläche. Langsam fuhr er über die vier vernarbt aussehenden Punkte, die sie dort seit dem Kampf gegen den Werbären trug. Bilder zuckten ihr von der Konfrontation vor das geistige Auge.
    „Ja … ja, das habe ich.“ Sie schaute auf und zu ihm hinüber.
    „Damit bist Du die erste der gegenwärtigen Gefährten, die jemals einen Werbären gesehen und getötet hast. Dafür meinen Respekt“, sprang Aela von der Seite ein. Die Kaiserliche wandte den Blick auf sie und nickte dankend für die Anerkennung. Von einer selbst sehr erfahrenen Jägerin wie der Nord-Frau bedeutete es durchaus viel.
    „Sie hat sich ganz schön gemacht, was?“ Farkas klopfte ihr auf die Schulter und wuschelte ihr anschließend durch die Haare. Die eigentlich freundschaftlich gemeinte Geste ließ Vesana jedoch in sich zusammenfahren. Die kräftige Berührung am Kopf und die Erschütterung rüttelten die fast vergessenen Kopfschmerzen frei. Reflexartig presste sie die Linke gegen die Schläfe, schloss die Augen und versuchte ruhig zu atmen. Flammende Stiche zuckten ihr quer durch den Schädel. Mühevoll verhinderte sie ein Stöhnen.
    „Kopfschmerzen?“, wollte Vilkas, der ihr direkt gegenüber saß, wissen.
    „Ja.“ Zähneknirschend öffnete die Kaiserliche die Augen und zwang sich entgegen der aufkommenden Übelkeit einen Löffel des dicken Eintopfes hinunter. Essen half in der Regel wenigstens ein Bisschen.
    „Wie lange seit Deiner letzten Verwandlung?“, hakte der vergleichsweise kleine und schlanke Nord weiter nach.
    „Frag‘ nicht.“
    Skjor begann ein wenig zu schmunzeln, verlor jedoch nichts von seiner grimmigen Erscheinung. „Das könnte interessant werden.“
    „Gefährlich, nicht interessant. Es sind nur noch fünf Tage bis Vollmond“, konterte Vilkas. „Vesa, Du weißt genau, wie wichtig es ist das Biest nicht zu lange zu unterdrücken. Es raubt Dir …“
    „Auch das letzte Bisschen Kontrolle in den Vollmondnächten, ich weiß!“, unterbrach sie ihn. „Bitte, ich bin froh überhaupt wieder hier zu sein und nicht in der Stimmung für Moralpredigten.“ Obwohl nur eine sehr schwache Anspielung, so schien Vilkas dennoch zu verstehen, dass auf ihrer Reise keinesfalls alles so gelaufen war, wie es sich die Kaiserliche erhofft hatte. Ob die anderen es ebenfalls so verstanden hatten, wusste Vesa nicht, es war aber auch nicht so wichtig. Trotzdem schwiegen alle für einen Moment. Sie würde später mit dem kleinsten der anwesenden Nord in Ruhe sprechen, aber nicht jetzt. Mit einem knappen Lächeln legte sie den kurzen Streit ihrerseits bei.
    „Was ist bei euch hier in der Zwischenzeit passiert?“, schlug sie ein anderes Thema an und hoffte, dass die übrigen Drei eine Weile mit Erzählen beschäftigt sein würden, damit sie in Ruhe essen und die Kopfschmerzen niederringen konnte.



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    Geändert von Bahaar (08.11.2013 um 13:56 Uhr)

  10. #10

    Himmelsrand, Weißlauf

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    „Eigentlich nur das Übliche“, meinte Farkas leichthin. „Eine ganze Reihe von Aufträgen und ein neuer Welpe.“
    Vesana pustete über ihren vollen Löffel und schaute ihn aus dem Augenwinkel heraus an. „Und? Ist er zu ’was nütze?“
    „Wird sich noch zeigen.“ Skjor schlürfte seinen eigenen Löffel leer, bevor er fortsetzte: „Der Geschickteste scheint er nicht zu sein.“
    „Hmm, verstehe.“
    „Gebt ihm eine Chance. Wer von uns war denn schon vor seiner Zeit hier ein großer Krieger?“, wiegelte Farkas ab.
    „Ich“, konterte der Einäugige. Vilkas‘ Bruder schnaufte nur, ob des offenkundigen Fettnapfes, in den er getreten war. Vesana schmunzelte und schob sich noch mehr Eintopf in den Mund.
    „Wir hatten letztens eine Eskorte nach Falkenring. Irgend so ein reicher Händler“, begann Aela zu erzählen, „ganz witzig …“
    „… aber ich glaube Du willst nicht wissen, wie er sich selbst nassgemacht hat“, sprach Vilkas weiter.
    „Du kennst die Geschichte doch gar nicht richtig“, protestierte die Rothaarige.
    „Farkas hat sie mir bis ins kleinste Detail erzählt, ich kenne sie ziemlich gut.“ Die Nord lachten, Vesa konnte nicht, da sie gerade noch Besteck im Mund hatte.
    „Aber im Ernst“, setzte der ihr gegenüber sitzende Mann fort, „bis auf die Untersuchung des Überfalls auf einen Händler im Valtheimer-Tal hatten wir auch nur kleinere Aufträge. Nichts Besonderes.“
    Die Kaiserliche hob den Kopf und schaute ihn an. „Im Valtheimer-Tal, sagst Du?“
    „Ja. Es muss sich wohl eigentlich um einen Schmuggler für Skooma gehandelt haben. Jetzt ist er tot.“
    „Warum hat man die Gefährten für die Untersuchung angeheuert? Das fällt nicht wirklich in unser Aufgabenfeld.“
    „Es wurde eine ziemlich üble Räuberbande verantwortlich gemacht, die eigentlich aus dem Gebiet um Falkenring stammt und lange im Fürstentum hier aktiv war. Wir sollten die Waren sicherstellen – was entsprechend gefährlich gewesen wäre. Aber die Bande ist schon seit Wochen nicht mehr in Weißlauf gesehen worden“, erklärte Aela und gab Vilkas damit die Möglichkeit selbst etwas zu essen.
    „Dadurch fällt sie als Verdächtiger raus, nehme ich an?“, hakte Vesana nach.
    „Richtig. Und genau deshalb endete dort dann auch unsere Zuständigkeit. Da diese ehrlosen Plünderer nicht in Frage kommen, übernehmen nun wieder Balgruufs Männer.“
    „Die Drogen?“
    „Verschwunden.“
    „Gibt es keine weiteren Verdächtigen?“
    „Nur der Geschäftspartner, aber der ist auch verschwunden“, übernahm nun wieder Vilkas. „Erscheint aber auch unwahrscheinlich. Vermutlich war es eine kleinere Bande oder sogar Sturmmäntel, die die Ladung für etwas anderes hielten.“
    „Mit was sollte man Skooma denn verwechseln?“ Die Kaiserliche hatte inzwischen ihre Schüssel geleert und stützte sich auf dem Tisch ab. Wach musterte sie den kleinen Nord auf der anderen Seite der Platte.
    „Schmiedeeisen.“
    „Bitte?!“
    „Ja. Klingt kurios“, brummte Skjor, während er die eigene Suppenschüssel an die Lippen setzte und die letzten Tropfen hinunterschlang. Vesa legte den Kopf schief und runzelte die Stirn. „Es scheint, als hätten diese Leute tatsächlich Gefäße aus Eisen hergestellt, die innen hohl sind und sich für den Transport von Flüssigkeiten eignen.“ Die Jägerin verschluckte sich an ihrer eigenen Spucke, so absurd erschien ihr die Vorstellung. Doch dann kam ihr ein Verdacht.
    „Was ist über den Geschäftspartner bekannt?“, wollte sie wissen.
    „Nicht viel. Nord, soweit wir wissen“, antwortete Aela. „Warum?“
    Die Kaiserliche schaute sie an. „Ich bin mit dem Karren eines Nord hier her gekommen. Er hat mich mitgenommen. Rotes, längeres Haar, dichter Bart, leichter Sprachfehler. Hrothluf heißt er. Redete in Windhelm etwas davon, dass sein ‚Geschäftspartner‘ auf der Straße nach Weißlauf verschwunden wäre.“ Ihre vier Freunde aus dem Zirkel tauschten Blicke aus. „Oh, und er handelt mit Schmiedeeisen und Werkzeug.“
    „Ist er noch hier?“, fragte Vilkas, seine Augen fixierten sie und der Kiefer mahlte.
    „Wir haben uns an den Stallungen getrennt. Erschien mir ein wenig seltsam, dass er nicht in die Stadt wollte, aber in dem Moment habe ich mir nichts weiter dabei gedacht.“ Sie hielt einen Moment inne und ihr Blick verlor sich irgendwo hinter Skjor und seinem Sitznachbarn, als sie versuchte einzelne Eindrücke von ihrer Ankunft in einen Zusammenhang zu bringen.
    Die Beiden bemerkten es. „Was?“, kam es einstimmig.
    „Vor den Mauern ist ein ganzes Lager von Schnurrern.“ Vesana schaute Vilkas direkt an.
    „Schnurrer? Du meinst Khajiit?“
    „Ja, natürlich.“
    Der Nord wandte den Blick ab. „Aela, Farkas, Skjor – informiert die Wachen und begleitet sie.“ Die Drei nickten und erhoben sich zum Gehen. „Du, meine Liebe“, widmete sich der kleinere Mann wieder der Kaiserlichen, „bist manchmal wahrhaftig Gold wert.“
    „Ich weiß.“ Sie lächelte und zuckte mit den Schultern. Entweder hatte sie Hrothluf völlig falsch eingeschätzt – was für seine schauspielerischen Fähigkeiten sprach – oder der Nord war tatsächlich ein nervöses Quatschfass, das an den richtigen Stellen schweigen konnte. Egal was, hoffentlich bekam er, was er als schmutziger Drogenhändler verdiente – zusammen mit diesen schnurrenden Samtpfoten, deren Zurückhaltung ihr gegenüber in diesem Zusammenhang sogar einen Sinn ergab.
    „Willst Du noch ‘was essen?“, riss sie Vilkas aus ihren Gedanken und sie schrak hoch.
    „Danke, ja. Nur ein bisschen.“ Der Nord erhob sich und holte für sie beide Nachschub, während sich die Jägerin ein Stück von einem Brotlaib, der auf der Tafel lag, abriss. Noch bevor sie von dem Stück abbeißen konnte, zog jemand den Stuhl, auf dem Aela zuvor gesessen hatte, zurück. Erschrocken, ob des lautlosen Näherkommens, ruckte Vesana ein Stück zur Seite. Erst im nächsten Moment erkannte sie Kodlak in seinen weiten, rotbraunen Gewändern, die er häufig trug, wenn er sich nur seinen häuslichen Pflichten widmete und nicht vor die Tür musste. Die Kaiserliche wollte aufstehen, um ihn zu grüßen, doch legte ihr der alte Nord mit dem langen, vollen Bart sanft eine Hand auf die Schulter und hinderte sie daran.
    „Ruhig, meine Liebe, Du bist lang gereist und hast es Dir verdient zu sitzen.“ Die Geduld seines Alters schwang in seinen Worten mit. Er lächelte unter dem grauen Haar hervor, während er sich setzte. Das Möbel leicht gedreht, sah er sie an aus müden Augen an. „Wie geht es Dir?“
    „Erschöpft, müde, aber auch froh, wieder hier zu sein“, antwortete sie wahrheitsgemäß. Zusammen mit Vilkas vertraute sie dem Leiter ihrer Gemeinschaft von allen verbliebenen Gefährten am meisten. Sie würde die Beiden nie belügen, nicht einmal darüber nachdenken, es zu tun. Wenn sie über etwas nicht sprechen wollte, so sagte sie es ihnen.
    „Du hast die Kopfschmerzen vergessen“, tadelte der jüngere der zwei Männer, als er mit einer dampfenden Schüssel zurückkehrte.
    „Kopfschmerzen? Wegen des Wolfes?“, hakte Kodlak nach, obwohl Vesana seinem faltigen Gesicht ablas, dass er die Antwort bereits kannte.
    „Ja.“
    „Du solltest die kommenden Nächte nutzen und den Zorn der Bestie besänftigen, bevor sie zu mächtig wird und Schlimmes geschieht.“ In den Worten schwang keinerlei Zwang oder Aufforderung mit, es handelte sich um eine reine Feststellung des Grauen und die Jägerin verstand sie als solche. Sie nickte.
    „Ich weiß.“
    „Natürlich. Du wirst Deine Gründe gehabt haben.“ Der Alte schaute nun zu Vilkas, doch setzte er zunächst noch ein „Nun iss! Lass‘ Dich nicht aufhalten“ nach, bevor er zu dem anderen Zirkelmitglied sprach: „Wo sind Aela und die anderen?“
    „Vesa hier hat einen wichtigen Hinweis in dem Skooma-Händler-Fall gegeben. Sie informieren die Wachen und nehmen hoffentlich in Kürze den Geschäftspartner des Toten in Gewahrsam“, erläuterte Vilkas.
    „Ah, welch überraschende Wendung. Hoffen wir, dass alles gut geht.“
    „Hrothluf hat auf mich nicht den Eindruck eines Kämpfers gemacht“, mischte sich die Kaiserliche zwischen zwei Bissen ein. „Wo sind eigentlich die ganzen Welpen? Farkas meinte zwar, dass einige Aufträge erfüllen, aber doch nicht alle, oder?“
    „Sie sind unten und spielen Karten. Dort ist es wesentlich angenehmer als draußen. Der heiße Spätsommer ist für uns alle ungewohnt“, erklärte Kodlak.
    „Hm, von dem habe ich nicht sehr viel mitbekommen.“ Sie erinnerte sich an die Kälte auf der Insel im Norden zurück, und auch die wärmere Südhälfte Solstheims konnte schwerlich für die restlichen Wetterverhältnisse sprechen.
    „So kalt?“ Vilkas schmunzelte ein wenig.
    „Du hast ja keine Ahnung.“
    „War Deine Reise erfolgreich?“, fragte nun auch der Herold der Gefährten nach.
    Die inzwischen leere Schüssel schob Vesana von sich und betrachtete nochmals ihre linke Handinnenseite. „Ja. Mehr oder weniger.“
    „Was meinst Du?“ Der Graue bemerkte ihren Blick und nahm ihre Hand vorsichtig in die seinen.
    „Ich habe einen Werbären erlegt, wie ich es mir vorgenommen habe. Ein sehr beeindruckendes Geschöpf. Auf der Suche nach ihm bin ich mit den Skaal, einem in sich gekehrten Stamm von Nord, zusammengestoßen. Durch diesen habe ich von magischen, gottgegebenen Steinen auf der Insel erfahren. Bei einem dieser Steine, sie nannten ihn Bieststein, glaube ich, habe ich den Bären gefunden“, erzählte Vesana die Geschichte. Die Männer hörten aufmerksam zu. Der Alte tastete zusätzlich noch über die Mahle in der hohlen Hand. „Nach dem Kampf leuchtete der Stein …“
    „Er leuchtete?“ Vilkas zog eine Augenbraue hoch.
    „Ja. Grünlich, um genau zu sein. Eine Art Aura. Sehr seltsam. Der kreisrunde Teich, der ihn umgab, war auch kein bisschen zugefroren, sogar richtig warm.“
    „Verstehe einer mal Magie“, brummte der jüngere Nord nur noch.
    „Wohl wahr. Jedenfalls hat er mich irgendwie dazu gebracht, ihn zu berühren und seitdem habe ich die da.“ Sie zeigte auf die rötlichen Punkte.
    „Weißt Du, was es mit ihnen auf sich hat?“, wollte Kodlak wissen. Vesa zuckte mit den Schultern.
    „Die Skaal meinten, die Steine verleihen jenen, die sich würdig erweisen, besondere Fähigkeiten, aber ich habe keine Ahnung, welche.“
    „Sei vorsichtig damit. Göttliche Magie ist kein Spielzeug.“ Der Graue gab ihre Hand frei und tätschelte kurz deren Rücken, bevor er sich wieder zurücklehnte. „Was hast Du als Nächstes vor?“
    „Meinen Karren abräumen und dann ein Bad. Obwohl ich das vielleicht noch etwas nach hinten verschiebe.“ Nachdenklich stützte die Kaiserliche den Kopf in eine Hand und massierte die schmerzende Schläfe. Den Blick hielt sie auf, vielleicht auch durch die Tischplatte gerichtet. Die Männer wussten, dass sie auf einen möglichen, vorher liegenden Jagdausflug anspielte, und ließen es unkommentiert. „Und danach würde ich gerne wieder etwas Arbeit übernehmen. Vielleicht erst einmal welche, die mich nicht so weit von hier wegführt.“ Mit einem Lächeln auf den Lippen schaute sie zwischen den gezeichneten Gesichtern der beiden Zirkelmitglieder, ihren Freunden, hin und her.
    „Ich bin sicher, dass wir etwas für Dich finden werden.“ Der Herold der Gefährten erhob sich. „Entschuldigt mich, ich muss mich wieder um einige Dinge kümmern.“
    „Natürlich“, nickte ihm Vilkas zu.
    „Es ist schön, Dich wieder hier zu sehen, Vesana.“ Damit wandte sich der Graue zum Gehen.
    „Ich werde mich erst einmal um meine Sachen auf dem Karren kümmern.“ Auch die Kaiserliche stand auf.
    „Wenn Du Hilfe benötigst, sag‘ Bescheid.“
    „Danke.“ Sie ging zu der Tür hinüber, die zum Übungsplatz und der Terrasse hinausführte und überließ Vilkas damit zunächst sich selbst.



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    Geändert von Bahaar (15.11.2013 um 13:35 Uhr)

  11. #11

    Himmelsrand, Weißlauf

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    Ihr Wagen stand am Rand der Terrasse und nur wenige Schritte von der Tür entfernt. Die Hitze des Tages brandete über Vesana hinweg, als sie aus Jorrvaskr hinaustrat und trieb ihr augenblicklich den Schweiß auf die Haut. Nach einem kurzen Blick auf das tiefer liegende Umland und die Gebirgsketten im Süden und Osten atmete sie tief durch, blähte die inzwischen vollständig genesenen Lungen auf und wandte sich ihren Habseligkeiten zu. Da sie hier oben über keine frische Kleidung mehr verfügte, schmiss sie die schmutzigen Stücke einfach zusammen in einen der beiden Tornister. Sie würde am nächsten Tag, nach ihrem Bad und frisch eingekleidet, Tilma zur Reinigung geben.
    Nach und nach schaffte sie ihre Sachen ins Innere der Halle der Gefährten. Ihr kleiner Raum, der zusammen mit den Zimmern der anderen Zirkelmitglieder und dem Schlafsaal für die übrigen Angehörigen der Gemeinschaft im Untergeschoss lag, war nicht verändert oder in der Zwischenzeit benutzt worden. Alles befand sich dort, wo sie es zurückgelassen hatte. Die Schmuckschatullen, ihre zurückgelassene Kleidung, ihre mit einem dicken Schloss versiegelte Goldtruhe und allerlei Dekoration von Fellen und Geweihen bis hin zu einem Gemälde und einem dichten, weichen Teppich quer unter dem noch immer bezogenen Doppelbett. Es roch in dem kühl-feuchten Gewölbe wie am Tag der Abreise verhalten nach Bergkräutern. So lange wie sie ihn nicht mehr getragen hatte, bemerkte sie sogar noch den Duft ihres eigenen, sehr zurückhaltend fruchtigen Parfüms.
    Einen Augenblick lang blieb sie am Eingang stehen, ließ den Schmutzwäschetornister auf den Boden fallen und legte das Schwert, den Bogen und die Armbrust auf die nahe Kommode. Die Augen geschlossen sog sie den Geruch der Kammer ein und fand sich unfähig, einige Bilder aus vergangenen Tagen zu verdrängen. Lange und zahlreiche Stunden hatte sie mit Darius hier verbracht, sein Duft gehörte zu dem Raum, wie alles andere, das sie hier untergebracht hatte. Mühevoll öffnete Vesana die Lider und wischte sich eine einsame Träne von der Wange. Mit langsamen Bewegungen verstaute sie die Waffen an ihrem persönlichen Waffenständer, schob ihr Gepäck in die Nische hinter der Tür, wo es erst einmal nicht störte, und deponierte auf dem Rückweg nach oben die übrigen Bolzen und Pfeile in der Waffen- und Munitionskammer. Jeder der Gefährten konnte sich dort für Aufträge und Reisen eindecken, wie es ihm passend erschien, aber es stand ihnen auch frei, eigene Ausrüstung zu tragen. Die Geschosse waren daher meist das einzige, das sich alle Mitglieder der Gemeinschaft teilten.
    Nach dem fünften Mal, dass sie die Stufen in den Keller hinabstieg, befanden sich schließlich auch die übrigen Ausrüstungsgegenstände – angefangen bei ihrer Rüstung, über die Schlafunterlage und das Zelt, bis hin zu allerlei Werkzeug, das sich auf ihrem Karren tummelte, weil es noch Platz gab – in ihrer Kammer. Der Wagen lehnte bei seinen Vettern an der Stadtmauer Weißlaufs, die den Übungsplatz hinter Jorrvaskr begrenzte und die Kaiserliche saß auf der Kante ihres weichen Bettes. Ihr Totem der Jagd in den Händen spielte sie mit den Eckzähnen der erlegten Raubtiere und inzwischen baumelte auch der Zahn des Werbären um den Hals der wolfsähnlichen Figur. Vorsichtig wanderten ihre Finger von den Fängen hinauf zu dem hölzernen Gesicht und strichen über Nase und Augen bis zu den spitzen Ohren. Unverändert empfand sie Stolz und Freude beim Anblick ihres Werkes. Es war ihr gut gelungen und erfüllte seinen Zweck. Zugegebenermaßen hatte sie aber auch einen guten Lehrer für die Schnitzerei gehabt. Ein zaghaftes Lächeln umspielte ihre Mundwinkel, zog jedoch gleichzeitig schwer an den Augenlidern und Brauen. Seufzend stand sie auf, stellte die Figur in eine dunkle Nische eines ihrer Regale und schlang die Finger der Rechten um das Hirschkopfamulett. Im Hinausgehen gab sie dem silbernen Kopf um ihren Hals einen Kuss und versteckte ihn anschließend wieder unter der Tunika.
    Auf dem Korridor, zu dem auch die anderen Räume ihre Türen hatten, vernahm sie augenblicklich laute Stimmen. Sie drangen aus dem Schlafsaal und boten eine Mischung aus Aufregung, Freude, Frust und Zorn. Athis, Ria und zwei erst kurz vor Vesas Abreise beigetretene Welpen, die sie kaum kannte, spielten weiterhin Karten. „Du betrügst, ganz klar!“, fluchte Athis der Dunmer, der sonst auch nicht viel für lange Reden übrig hatte. „Wo sind die Karten? In Deinem Ärmel, hmp?!“
    „Ganz ruhig, hier betrügt keiner, Du bist einfach nur ein schlechter Verlierer!“, konterte Ria. Wie richtig sie doch lag. Die Jägerin lehnte inzwischen neben dem Eingang zum Schlafsaal an der Wand und lauschte, ohne dass die vier im Innern etwas bemerkten. „Außerdem: Was würdest Du schon tun wollen? Mich schlagen?“ Aus dem Raum schallte Lachen.
    „Pass‘ nur auf!“
    „Ach, Athis. Du würdest doch bloß wieder eine blutige Nase davontragen. Lass‘ gut sein und lieber noch eine Runde spielen“, beschwichtigte die offensichtlich häufig gewinnende Ria.
    Schmunzelnd überließ die Jägerin die Glücksspieler sich selbst und kehrte nach oben zurück. Außer Tilma, die sich um das Essen für den Abend kümmerte und am Topfkessel hantierte, hielt sich hier niemand auf. Kodlak saß wohl noch immer in seinem Arbeitszimmer und Vilkas traf die Kaiserliche auf der schattigen Terrasse an. Jetzt am späteren Nachmittag warf auch die Halle der Gefährten einen zunehmend längeren Schatten über ihre Rückseite und das ebene, staubige Terrain. „Aela und die anderen sind noch nicht zurück?“
    „Nein, aber ich bin sicher, dass sie bald kommen werden“, antwortete der Nord, ohne sich von seinem Stuhl zu erheben oder umzudrehen. Starr und nachdenklich ließ er den Blick in die Weite schweifen. „Du wirst heute jagen, ja?“
    Sie blieb etwas hinter dem Zirkelmitglied stehen und folgte seinem Blick in die Ferne. „Ja.“
    „Willst Du Gesellschaft?“
    „Nein.“
    Aus dem Augenwinkel schien es, als lächelte der Sitzende. „Natürlich nicht. Manche Dinge ändern sich eben nie.“ Es klang fast, als spräche er mehr zu sich selbst. Ebenfalls gedankenabwesend benötigte sie einen Moment zu reagieren.
    „Es scheint so.“ Im Schlenderschritt verließ sie die Terrasse und lief nach links um Jorrvaskr an der Tiefenschmiede vorbei bis hinauf zur Himmelsschmiede. Eorlund schien bereits nach Hause gegangen zu sein, denn sie traf ihn nicht am hoch liegenden Platz der Schmiede an. Es war ihr ganz recht. Sie mochte den Platz am Rand des Plateaus, der nicht befestigt worden war. Häufig hatte sie in der Vergangenheit dort die Beine über die Kante baumeln lassen und über das südöstliche Fürstentum bis zu den Bergen geschaut. Die Abendstunden eigneten sich hervorragend dafür, wenn die Gebirgszüge aus dem Westen angestrahlt wurden und das Rot der Dämmerung zurückwarfen. Ein schöner Anblick und irgendwie kam es ihr so vor, als dränge der Klang der lebendigen Stadt nie so richtig bis zu diesem Flecken vor.
    Auch jetzt säuselten ihr nur sanfte Windstöße um die Ohren, spielten mit ihren Haarsträhnen und kitzelten die Haut. Genussvoll schloss Vesana die Augen und ließ sich treiben. Die Hände auf den Stein gestützt schlug sie die Fersen sacht abwechselnd gegen die Felswand. Viel zu lange lag es zurück, dass sie das letzte Mal hier gesessen hatte. Doch der Moment hielt nur kurz vor, schwere Schritte und metallenes Schaben vernahm sie von unterhalb bis sie schließlich direkt unter ihr stoppten. „Da bist Du!“ Es war Farkas.
    Verzögert öffnete die Kaiserliche die Lider und beugte sich vor, um zu ihm hinab zu schauen. „Hier bin ich.“
    „Gold?“ Der große Nord in seiner stählernen Rüstung schaute sie aus seinen silbergrauen Augen heraus an, als befürchte er, sie könne jeden Moment springen. Nur das klingende Geldsäckel in seiner erhobenen Linken strafte seine Erscheinung Einbildung.
    „Wofür?“ Vesa legte den Kopf schief und hob eine Augenbraue.
    „Die Identifizierung eines Drogenhändlers, Beschlagnahmung seiner Ware, sowie die Festnahme eines Mordverdächtigen“, erklärte Farkas. Auf seine rauen Gesichtszüge stahl sich ein breites Grinsen.
    Die Jägerin spitzte triumphierend die Lippen, bevor sie ein schiefes Lächeln auflegte. „Nun, wenn das so ist …“
    „Dann komm‘ runter!“, forderte er sie auf und sie leistete Folge. „Deine Prämie.“ Er händigte ihr das Geld. „Fünfhundert.“
    „Ziemlich viel.“ Sie wog den prallen Beutel in den Händen hin und her.
    „War auch viel Skooma.“ Zusammen kehrten sie in die Halle der Gefährten zurück.
    „Ist alles gut gegangen?“, fragte Vesana auf dem Weg.
    „Er wusste nicht, was über ihn kam, als die Wachen sich über seinen Wagen hermachten“, entgegnete Farkas. „Leicht verdientes Geld für alle von uns. Zweitausend mit den jeweiligen Anteilen. Deine Prämie ist extra. Es gab wohl eine Belohnung für zu einem Erfolg führende Hinweise.“
    „Nicht übel. Was ist mit den Khajiit vor den Toren?“
    „Die haben immer Skooma. Nichts wofür man sie länger als ein, zwei Nächte in Haft nehmen könnte.“ Aela fing sie auf der Terrasse ab. Neben ihr stand Vilkas – offenbar hatten sie genau dieselbe Konversation geführt, wie die Kaiserliche und Farkas. „Außerdem ist deren Skooma gestreckt, also lässt man es gleich bleiben. Das hochkonzentrierte Zeug war noch auf dem Karren dieses Hrothluf, der wohl eigentlich Trargolf heißt.“ Vesana knirschte hörbar mit den Zähnen. Die Anspannung in der Kiefermuskulatur sandte Stiche nach oben in die Schläfen. „Du konntest es nicht besser wissen. Du hättest sehen sollen, wie viele verschiedene kleine Schauspiele er uns geliefert hat. Kann durchaus überzeugend sein, der Kerl, aber so können es Balgruufs Männer.“ Sie legte ein süffisantes Lächeln auf. „Und gerächt hast Du Dich ja jetzt auch.“
    Der Triumpf kehrte auf das Gesicht der Kaiserlichen zurück. „Stimmt.“ Behände warf sie ihr Geldsäckel hoch und fing es klimpernd wieder auf. Gemeinsam traten die Vier ein, doch während die drei Nord sich an die Tafel zu den übrigen Gefährten setzten, bog Vesa in den Keller ab, um ihr verdientes Gold wegzuschließen. Außerdem wollte sie gleich noch einige frische Kleidungsstücke zusammensuchen, die sie am kommenden Morgen tragen wollte. In einem Beutel verstaut, warf sie sich die Jägerin über die Schulter und kehrte nach oben zurück.
    „Willst Du nichts zu Abend essen?“, fragte Aela.
    „Nicht jetzt. Später.“ Die Zirkelmitglieder wussten Bescheid. Sie verließ Jorrvaskr und ging zielstrebig zur Tiefenschmiede. Mittels eines kleinen, für jemanden, der nicht wusste, wonach er suchen musste, kaum zu erkennenden Druckschalter aus Naturstein ließ sich der naturbelassene Durchgang öffnen und gab die Kaverne mit der erhöhten Schale in der Mitte und den drei Podesten am Rand frei. Von dort, wo das Ritual zur Aufnahme in den Zirkel vollzogen wurde, zweigte ein Tunnel aus der Stadt ab, der in einem verfallenen Turm endete. Der perfekte Ausgang, um unentdeckt in und aus Weißlauf zu kommen – nicht für Schmuggler, zu hoch war der Absatz in der Ruine, der Tunnel und Freiheit trennte, aber genau richtig für nächtliche Jagden.
    Ein einfaches Nachtlager aus Stroh, das Platz für zwei bis drei Personen bot, machte eine Rückkehr und Übernachtung in der Höhle möglich. Es stellte sicher, dass niemand bei seiner Verwandlung oder in anderweitig verdächtigen Situationen beobachtet werden konnte. Vesana legte zunächst nur ihren Beutel ab und kehrte danach an ihren vorherigen Platz am Rand der Himmelsschmiede zurück. Noch stand die Sonne über der Horizontlinie, knapp nur, aber dennoch strahlte sie hell über das Land – zu hell. Für einen Jäger der Nacht musste es vollkommen dunkel sein. Somit beschränkte sich die Kaiserliche zunächst darauf, das Farbenspiel an den Bergflanken zu beobachten und die frischere Abendluft, die eine willkommene Abwechslung zur Hitze des Tages bot, zu genießen.



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    Geändert von Bahaar (23.11.2013 um 13:28 Uhr)

  12. #12

    Hochfels, Iliac-Bucht

    Er hatte definitiv schon bessere Schiffe gesehen. Der Laderaum, in dem er und ein halbes Dutzend andere es sich gemütlich gemacht hatten, roch modrig und er war sich nicht sicher, ob der Schiffsbauer hier gute Arbeit geleistet hatte. Aber hatte Astien eine Wahl? Er war am Vormittag am Hafen von Wegesruh angekommen, nur um festzustellen, dass zu dieser Zeit des Jahre kaum Schiffe anlegten. Und Schiffe, die nach Himmelsrand fuhren, schon gar nicht. Nachdem er dann zwei Stunden den Hafen auf und ab gelaufen war, hatte er von einem alten Seemann von einem Schiff von Abenteurern erfahren, die nach Himmelsrand fahren würden. Abenteurer, pah. Die Besatzung des Schiffes war nicht einen Deut weniger heruntergekommen als ihr Schiff, aber eine andere Möglichkeit hatte es nun mal nicht gegeben. Gegen ein paar Septime waren sie einverstanden gewesen ihn mitzunehmen. So hatte er sich also unter Deck begeben und hier saß er nun zusammen mit ein paar Gleichgesinnten. Einen Tag würde es dauern, um die Iliac-Bucht zu durchqueren und vier weitere Tage, um in Windhelm anzukommen. Ja, Windhelm. Eigentlich hatte er sofort in Winterfeste von Bord gehen wollen, wie er jedoch erfahren musste, besaß Winterfeste gar keinen Hafen. Seit dem großen Zusammenbruch vor 80 Jahren war keiner gebaut worden.
    Astien seufzte. Er hoffte, dass er in Winterfeste vielleicht einen Zauber lernen würde, mit dem sich das Reisen vereinfachen ließe. Fünf Tage würde er nun hier auf diesem Schiff feststecken.
    Astien öffnete seine Augen. Er musste weggedöst sein, als er gerade in seinem Buch gelesen hatte. "Na, auch schon wach?", fragte ihn der Khajiit, der neben ihm saß. Astien blinzelte. "War ich lange weg?", fragte er. Der Khajiit grinste. "Mein Junge, was würd ich dafür geben, wenn ich solange schlafen könnte wie du! Bei diesem ständigen Geschaukle brauch ich es gar nicht erst zu versuchen. Ich bevorzuge immer noch festen Boden unter den Füßen." Astien schmunzelte. "Festen Boden? Ich dachte, ihr Khajiit zieht eher die Wüste vor?" Der Khajiit wirkte belustigt. "Ach, zum Witze reißen seit ihr euch wohl auch nicht zu schade? Nein, mein Junge, ich war noch nie in Elsweyr, aber ich habe vor es einmal zu besuchen." Astien mochte den Khajiit. Er redete geradeheraus und schien auch Humor zu besitzen. Außerdem wirkte er gleichzeitig erfahren und jung, was ihn sehr beeindruckte. "Ich heiße übrigens Astien", sagte er, "und wie lautet euer Name?" Die Katze zwinkerte. "Mein Name ist Marj'dar. Ich denke, wir werden hier noch viel Spaß zusammen haben. Nun kommt! Ich muss euch etwas zeigen." Marj'dar eilte zum anderen Ende des Lagerraums, um die Falltür nach draußen zu öffnen. "Nach euch", meinte er und Astien tat wie geheißen.
    Er hatte noch nie so eine riesige Stadt gesehen. Wegesruh war natürlich nicht klein, was er nun aber sah stellte alles in den Schatten, was er bis jetzt gesehen hatte. Sie - Astien und Marj'dar - lehnten an der Reling des Schiffs und betrachteten die Hauptstadt von Hochfels, Daggerfall. Sie waren schon ein ganzes Stück gefahren und würden bald die Iliac-Bucht verlassen. Vor ihnen türmte sich nun Daggerfall auf, groß und prächtig. Astien konnte sich nicht sattsehen an den vielen Gebäuden und der Liebe zum Detail, die beim Bau dieser Stadt eingeflossen war. Astien erschauderte bei dem Gedanken, wie viel Wissen über Magie wohl innerhalb der Mauern gesichert war. Schließlich war dies hier die Hauptstadt der Bretonen, einem der magisch begabtesten Völker. Marj'dar leckte sich über die Lippen. "Verdammt, ich würde hier gerne eine Pause einlegen. Was für Geschäfte ich hier machen könnte! Daggerfall ist beinahe so beeindruckend wie die Kaiserstadt." Astien runzelte die Stirn. "Du warst in der Kaiserstadt? Und sie soll noch prächtiger sein als diese Perle hier? Erzähl mir doch nichts." Marj'dar lachte nur. "Junge, du würdest staunen, wenn du wüsstest wo ich schon überall gewesen bin. Ich bin mehr als ich aussehe. Jedenfalls, ja, die Kaiserstadt ist noch beeindruckender. Wenn sich auch der Weißgoldturm nicht mit deinem Diamantturm messen kann, es stimmt." Astien war neidisch. Er war sein Leben lang auf einem Bauernhof aufgewachsen und hatte war nie weiter als bis Wegesruh gegangen. Er hoffte, dass er als diese Orte selbst einmal besuchen würde.
    Sie blieben an Deck und ließen Daggerfall langsam an sich vorbeiziehen. Plötzlich fragte Marj'dar: "Wieso willst du nach Himmelsrand Astien? Was hat es für einen jungen Bretonen wie dich zu bieten?" Da brauchte Astien nicht lange zu überlegen. "Ich suche nach Wissen. Ich will mich der Akademie von Winterfeste anschließen." Marj'dar wirkte überrascht. "Ach, du bist Magier? Kein Wunder, schließlich bist du ein Bretone. Aber warum Himmelsrand? Wieso gehst du nicht zur Schule des Flüsterns oder zur Synode?" Astien konnte nur finster schauen. "Ich will zu einer Organisation gehören, die die Magie erforscht und in der es nicht nur um Ansehen und Politik geht. Die Magie selbst muss das Wichtigste bleiben." Marj'dar nickte. "Kann ich verstehen. Ich sagte ja, ich war mal in der Kaiserstadt und hab auch die Synode besucht. Alles was die da machen ist reden und reden. Ziemlich langweilig. Und ob einer von denen Magie beherrscht, weiss ich auch nicht. Willst du mir mal was zeigen? Solange du das Schiff nicht abfackelst versteht sich."
    Astien war begeistert. "Na klar doch!" Er überlegte kurz und kam zu dem Schluss, dass ein kleiner Blitzzauber nicht schaden würde. Er konzentrierte das Mana in seiner Hand, formte es in Elektrizität um und schickte es in einem schnellen Strahl ins Wasser. Das Ergebnis war gar nicht mal so schlecht: Der Zauber verbreitete sich ungefähr ein Dutzend Meter in alle Richtungen und tötete die Fische in diesem Bereich sofort. Der Khajiit nickte anerkennend. "Nicht schlecht. Ich bin ja nicht so der Magietyp. Ich verlass mich lieber auf meinen guten alten Dolch." "Jedem das seine", stimmte Astien ihm zu.
    Sie ließen noch einige Zeit vergehen, redeten über dies und das bis zum Anbruch der Dunkelheit. Schließlich verabschiedete sich Astien von Marj'dar für diesen Tag und ging in den Lagerraum zurück. Jetzt wo er Himmelsrand näher kam, überkam ihn langsam unbändige Freude. Er konnte es kaum erwarten, endlich mehr über Magie zu lernen und mit diesem Wissen durch die Welt zu reisen.

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