-
Provinzheld
Solstheim, südwestliche Küste, Rabenfels
<< Zum vorherigen Beitrag
Ein Krug und Schälchen standen inzwischen nicht mehr auf der Kommode, deren Vorgänger Vesana von dieser gefegt hatte, sondern ganz am Rand auf dem kleinen, runden Tischlein mit den zwei Stühlen. Ihr Tornister lehnte von außen am einzigen Schrank im Zimmer. Ansonsten entdeckte sie nichts, dass sie nicht zuvor schon schemenhaft wahrgenommen hatte, während sie auf der Seite lag und zum ersten Mal wieder einigermaßen klar zu denken vermochte. Das Atmen fiel ihr nach wie vor schwer, aber immerhin schmerzte es nicht mehr so sehr, dass es ihr jedes Mal die Sehschärfe raubte. Außerdem schien der Schwindel verschwunden zu sein, zumindest solange sie lag. Aber genauer würde sie es in Kürze wissen. Entschlossen, dieses Mal weiter als bis zum niedrigen Ablageschränkchen zu kommen, streckte die Jägerin die Füße unter der Bettdecke hervor und stützte sich zunächst auf den rechten Ellbogen. Anschließend brachte sie sich in eine sitzende Position und schlang die Wolldecke um die Schultern. Ein wenig fröstelte es ihr noch, aber das mochte gut auch am Hunger, Durst und dem allgemeinen Gefühl von Schwäche liegen und nicht an einer kühlen Umgebung.
Sich auf jede einzelne Bewegung konzentrierend begann Vesa damit aufzustehen. Anschließend tastete sie sich gebückt erst am Bett und anschließend an der Kommode entlang. Dort hielt sie wie zuvor inne und brachte sich in eine normale Körperhaltung. Das Ziehen in der Brust strafte sie jedoch unverzüglich ab, weil sie zu hastig agierte und so krümmte sie sich erst noch einmal, bevor sie wieder normal Luft bekam. Im Anschluss setzte sie den Weg zur Tür fort und hatte dabei immer eine Hand an der Wand, um sich selbst ein gewisses Sicherheitsempfinden bei ihren Schritten zu vermitteln. An der Tür angekommen, lehnte sie sich mit der Schulter gegen die Wand und drückte die alte Eisenklinke hinunter. Ein Dunmer mit feuerrotem Haar und einem linksseitig umfassend tätowierten Gesicht wandte sich ihr augenblicklich zu. Etwas Überraschung huschte über die sonst steinernen Züge. Vesana brauchte einen Moment, um die bekannte Erscheinung zuzuordnen, aber schenkte der Wache von der Basaltmauer schließlich ein völlig entglittenes, schiefes Lächeln zum Gruß. „Könntet Ihr“, begann sie mit kraftloser Stimme zu sprechen, „den Ältesten Othreloth holen?“ Der Dunmer nickte und verschwand aus dem Sichtfeld der Kaiserlichen.
Diese schloss den Durchgang und kämpfte sich zurück zu ihrer Schlafstatt, auf die sie sich schließlich sinken ließ und erschöpft zurück gegen die Wand lehnte. Die Augen geschlossen wartete sie darauf, dass der Priester kam. Erst, als sie vernahm, wie die Tür aufgeschoben wurde, hob sie die Lider. Der alte Dunmer mit den langen, weißen Haaren und in einem Zopf auslaufenden Kinnbart nahm sich einen Stuhl und setzte sich vor die Jägerin. „Wie geht es Euch?“, seine dunkelrot glühenden Augen strahlten zwar eine gewisse Bedrohlichkeit aus, doch die feinen Falten an den Augenwinkeln und die weiche Tonlage ließen diese schnell vergessen werden.
„Kraftlos“, entgegnete Vesa. „Und hungrig.“ Othreloth lächelte.
„Dagegen können wir etwas unternehmen. Hunger ist ein gutes Zeichen. Wie geht das Atmen?“
„Schwer. Aber besser.“ Der Geistliche nickte und zupfte sich am Bart.
„Was haltet Ihr davon, wenn ich Euch eine Suppe und etwas Wasser bringe und wir uns versuchen zu unterhalten?“
„In Ordnung.“ Als ob sie auch eine Wahl hätte. Aber sie wollte nicht klagen, immerhin verdankte sie diesem Mann ihr Leben, da ließ sich ein kleines Gespräch schon verkraften. Im Zweifel konnte sie immer noch abbrechen, weil ihr die Kraft zum Sprechen fehlte.
„Setzt Euch doch schon an den Tisch, ich komme gleich zurück.“ Damit erhob sich der Priester und schob den Stuhl zurück an seinen vorherigen Platz. Vesana harrte noch einen Moment auf dem Bett aus, dann kämpfte sie sich zum Rundtisch vor und setzte sich. Die Decke hielt sie nach wie vor um die Schultern geschlungen, obgleich es nichts gegen die frierenden Zehen und Füße half. Wenig später kehrte der grauhäutige Weise zurück, stellte eine dampfende, herb duftende Suppenschüssel vor sie, legte etwas Brot dazu und schenkte aus einem Krug Wasser in eine Tasse. Er ließ die Kaiserliche erst einmal einige Löffel voll der kräftigen Kräuter- und Gemüsebrühe schlucken und schwieg.
Das heiße Mahl weckte frische Lebensgeister in Vesa. Sie spürte förmlich, wie neue Energie durch ihren Körper strömte und das leichte Zittern, das ihren Körper fest umklammert hielt, allmählich zurückdrängte. Ihre leichenblassen Hände und Unterarme erhielten bald darauf eine leichte fleischige Färbung und nach der Hälfte der Schüssel verebbte auch das Beben der Lippen. Geschmack zählte in diesem Moment nicht, die neugewonnene Kraft rechtfertige zu diesem Zeitpunkt so gut wie alles. Zusammen mit dem Brot sättigte die warme Mahlzeit auch noch in völlig ausreichendem Maße. Zufrieden lehnte sich die Kaiserliche zurück, trank noch einen Schluck und fasste anschließend die Enden der Decke, um sie dichter um sich zu schlingen.
„Besser?“, fragte Othreloth.
„Ja.“
„Denkt Ihr, wir können uns etwas über die Geschehnisse von vor einer Woche unterhalten? Was Ihr gesehen habt und was genau eigentlich passiert ist?“
Sie schaute den Geistlichen an, musterte seine tiefroten Augen und die Regungen auf dem Gesicht, um ihn besser kennenzulernen, doch verrieten die Züge wenig mehr, als ihr schon bekannt war. Es schien, als wollte er zu Schonungszwecken die Befragung der Verletzten übernehmen und sie nicht den Gardisten der örtlichen Behörden überlassen. „Ich werde Euch sicherlich nur wenig erzählen können, aber ja“, stimmte Vesana zu. Einiges wollte sie auch nicht erzählen, aber das musste der Priester nicht wissen.
„Wisst Ihr, wer Euch angegriffen hat?“
„Nein.“ Die erste Lüge gleich zu Beginn. Sie kannte nur nicht seinen Namen. „Der Waffenwahl nach zu urteilen aber ein Assassine.“ Einer aus der Morag Tong, um genau zu sein. Allein der Gedanke an diese Organisation ließ gleichermaßen Wut wie Furcht in ihr aufsteigen. Welches genau es war, das sie die Faust unter der Decke ballen ließ, wusste sie nicht. Auf jeden Fall stieß ihr die Suppe im Magen auf und nur mühsam gewann sie die Oberhand über die aufquellenden Gefühle.
„Ja, das liegt nahe. Auch, da er sich schnell entfernen konnte und unverändert verschwunden bleibt“, dachte der Älteste des Tempels laut darüber nach. Er zupfte sich grübelnd unaufhörlich an Kinn und Bart herum. „Könnt Ihr Euch an irgendetwas genauer erinnern? Hat er etwas gesagt? Wie hat er Euch überfallen? War es ein Mann, oder eine Frau?“
„Ich vermute, dass es ein Dunmer war. Ein Mann. Er hat mich von hinten festgehalten und niedergestochen. Mehr ist da nicht.“ Die Worte des Meuchlers spielten keine Rolle und waren ohnehin privat. Selbst wenn sie sie kundgab, änderte das nichts. Ihren Angreifer würden die Wachen hier ohnehin nie zu fassen bekommen.
„Hm, das ist nicht sehr viel.“
„Tut mir leid, es ging alles so … so verdammt schnell“, sie brach künstlich ab, strich sich mit der Linken über das Gesicht und massierte die Augen. Diese Standardfragen führten zu nichts.
„Schon in Ordnung, verzeiht“, entschuldigte sich der Priester. „Nur eines noch, zum Abschluss: Habt Ihr etwas von einem Bären mitbekommen, der sich in der Nacht in Rabenfels aufgehalten hat?“
Jetzt wurde die Kaiserliche hellhörig und schaute auf. „Ein Bär?“ Konnte es das gewesen sein, was sie kurz vor der Ohnmacht noch vernommen hatte? Dieses animalische Grollen begleitet von Kampfgeräuschen?
„Ja. Es scheint, als hätte er sich zum Zeitpunkt des Überfalls auf Euch in der Straße aufgehalten und Euren Angreifer attackiert. Die Wachen sind erst durch ihn darauf aufmerksam geworden, dass sich etwas ereignet hat. Als sie eintrafen, rannte er jedoch durch den Tunnel im Bollwerk hinter einer schlanken Gestalt her.“
Vesana überwand ihre erste Neugier und Überraschung und schüttelte sacht mit dem Kopf. „Nein, tut mir leid. Ich habe nichts bemerkt.“ Für die Zeit vor und während des Überfalls traf dies auch zu.
„Schon in Ordnung. Wenigstens habt Ihr es überstanden.“ Freundlichkeit stahl sich auf die Züge des Dunmers und er faltete endlich die Hände im Schoß zusammen. Das Fummeln am Bart hatte mit der Zeit zu stören begonnen.
„Ich würde mich gerne noch etwas bewegen. Umherlaufen, vielleicht“, wechselte Vesa das Thema. Wenn sie sich jetzt wieder hinlegte oder allein zurückblieb, wären unangenehme Gedanken und Erinnerungen vorprogrammiert. Mit der kalten Wut im Bauch und der Furcht in den Knochen in einem stillen Raum und allein zu ringen erfüllte nicht gerade ihre Vorstellungen von Erholung und Rückgewinnung von Kraft. Sie musste sie herauslaufen und irgendwo vor der Zimmertür abladen.
„Natürlich. Lasst mich Euch aufhelfen, dann bringen wir die Schüssel weg und gehen etwas durch den Tempel.“ So taten sie es dann auch.
In den folgenden Tagen erlangte die Jägerin sehr rasch ein Grundmaß ihrer Kräfte zurück und sah sich letztlich in der Lage, auch ganz ohne fremde Hilfe zu gehen. Zwar hatte sich noch längst nicht ihre übliche Verfassung wiederhergestellt, aber immerhin ließen sich einfache Wege erledigen – regelmäßige Pausen zum Luft holen und Sammeln vorausgesetzt. Othreloth befand am Morgen des zehnten Tages nach dem Überfall, dass sie soweit ausreichend genesen war, dass sie die Rückreise nach Himmelsrand antreten konnte. Nicht zuletzt verdankte sie das den Heilkünsten des Priesters und der Unterstützung der örtlichen Alchemistin.
„Die salzhaltige Seeluft sollte Euch gut tun“, erklärte der Geistliche, als sie sich verabschiedeten. „Und hier habt Ihr noch drei kleine Heiltränke, die Ihr in den nächsten Tagen zusätzlich als Dampfbad einatmen solltet, damit die regenerierende Wirkung ohne Umwege direkt an die verletzten Stellen dringt. Ihr kennt das ja bereits. Danach sollte der Heilungsprozess von alleine rasch voranschreiten und Ihr Eure alte Stärke zurückgewinnen.“ Vesana nickte und nahm den Beutel mit den Fläschchen entgegen. „Es tut mir leid, dass man Euren Angreifer noch immer nicht gefunden hat. Passt auf Euch auf.“
„Habt Dank für Eure Fürsorge. Das werde ich.“
„Lebt wohl.“
„Ihr ebenso.“ Mit diesen Worten wandte sich die Kaiserliche von dem Priester ab und trat vom Anlegesteg auf Gjalunds Kahn. Sie hatte Othreloth noch eine kleine Spende für den Tempel dagelassen, aber das wusste er noch nicht. Vermutlich hätte er sie nicht angenommen. Möglichst schnell verschwand sie unter Deck und legte sich in eine Hängematte. Wenig später ließen sie Rabenfels hinter sich. „Bloß weg von hier“, flüsterte sie zu sich selbst. Weit, weit weg von allem, das auch nur ansatzweise im Zugriffsgebiet der Assassinengilde aus Morrowind lag. Zurück in heimische Gefilde. „Alles nur wegen Dir, Vater, nur wegen Dir. Gut gemacht!“ Der Magen krampfte und die Finger gruben sich in den Stoff ihrer Tunika auf dem Bauch. Hass vergiftete ihren Hunger bis er schließlich daran verstarb und verhinderte überdies, dass sie Schlaf fand.
Zum nächsten Beitrag >>
Geändert von Bahaar (13.09.2013 um 17:17 Uhr)
Stichworte
Berechtigungen
- Neue Themen erstellen: Nein
- Themen beantworten: Nein
- Anhänge hochladen: Nein
- Beiträge bearbeiten: Nein
-
Foren-Regeln