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Thema: Das Dorf Gottes 2-Tag 4 und alle folgenden Tage

  1. #1

    Das Dorf Gottes 2-Tag 4 und alle folgenden Tage

    Nachdem Noell der Geschwätzige gestorben war töteten die Lumianer in Gestalt des Henkergehilfen Tyrell (Ligi) und des Oberhauptes Peter (Layana) in der folgemden Nacht Lumi (Steel) welche eine normale Person gewese war, allerding Viktoria (Himbeereis), die Täuferin beerbt hatte.

    Am nächsten Morgen lebte außer ihnen nur noch
    die Alchemistin Luise, welche sie leicht üpberwältigen können würden.


    Dieser Thread ist zum Afterplay da. Bedenkt bitte das lebende und tote Charaktere nur über Geistererscheinungen kommunizieren können. Den Aufenthaltsort der Toten könnt ihr frei gestalten. Lebende können ihre Charaktere auch sterben lassen.



    Glückwunsch an unsere Lumis!


  2. #2
    21. März 1480
    (Zweiter Abend)
    :
    Musik

    Nachdem Luise nach Brunhilds Hinrichtung heimgekehrt, Tyrells Wunde versorgt und ihm einen Schlafplatz angeboten hatte, brachte sie Adalbert sein Abendessen. Der Frühgealterte saß aufrecht in seinem Bett und blickte sie mit trüben, leeren Augen an. Er wirkte gebrechlicher denn je und er wurde von unaufhörlichem Husten geschüttelt.
    Luise wollte nicht von den Ereignissen des Tages reden, aus Furcht es könne ihren Vater unter Schock setzen. Also schenkte sie ihm einfach ein Lächeln, obwohl sie sich nicht im geringsten danach fühlte.
    Schließlich brach Adalbert das Schweigen: "Konrad hat mich heute gar nicht besucht." Ein Husten.
    "Ach... er hat einen Ausritt gemacht. Danach ist er sicher ins Wirtshaus gegangen. Bestimmt kommt er bald zurück." Der Apotheker hustete und Luise fügte eilig hinzu: "Und du solltest nicht zu viel Kraft ins Sprechen setzen. Ruh dich lieber aus und werde gesund!"
    Ein weiteres Husten. "Ich ruhe mich schon seit Tagen aus und werde nicht gesund." Er schaute sie mit erstaunlich wachsamen Augen an. "Aber darum mache ich mir keine Sorgen. Mich bekümmert etwas anderes. Du."
    Luises Gelassenheit flog dahin. Sie war nie gut darin gewesen, ihrem Vater etwas vorzuspielen. aber um keinen Preis der Welt wollte sie ihn unnötig belasten. "W-was meinst du? Mir geht es gut, ich bin nur etwas durch den Wind wegen der Sektengeschichte..." Ihr Vater unterbrach sie. "Luise, seit du dich als kleines Mädchen nachts in der großen Stadt verirrt hast, habe ich dich nicht mehr so unglücklich gesehen. Was ist wirklich los? Friss es nicht in dich hinein. Rede mit mir! Ich mag krank sein... aber ich bin immer noch dein Vater. Ich bin da... für dich." Ein weiterer Hustenanfall folgte.
    Und dann konnte Luise sich nicht mehr zurückhalten. Mit Tränen in den Augen erzählte sie ihm alles. Von Konrads Verbannung, Marias Ermordung und Brunhilds Hinrichtung. Von Noels Täuschung. Und von ihren eigenen Schuldgefühlen.
    Die ganze Zeit hielt Adalbert sie fest in seinen schwächelnden Armen. Sanft strich er ihr übers Haar und unterdrückte seinen Husten so gut wie möglich.
    "Was soll ich tun, Vater? Unschuldige werden entweder feige ermordet oder öffentlich hingerichtet. Und meine Stimme, die Stimme eines Kindes, wird nicht gehört. Ich kann nichts tun, ich bin machtlos!"

    "Liebes Mädchen..." Adalberts Stimme war schwächer geworden und Luises Augen weiteten sich. Bevor sie jedoch etwas sagen konnte, ergriff der Apotheker ihre Hand. "Lass mich ausreden... bitte. Luise, du trägst keine Schuld. Egal, was passiert, du bist auch ein Opfer. Du hast das alles nicht gewollt." Ein Hustenanfall unterbrach ihn. Als dieser sich gelegt hatte, fuhr er fort: "Du bist... ein liebes Kind. So sanft... und scheu... mit einem guten Herzen. Und das ist... was dich ausmacht... es ist keine Schwäche. Ich... ich möchte, dass du nur deinem Herzen folgst... tu was du für richtig hältst... und lass dich von niemandem davon abhalten. Du... hast ein... besseres Urteilsvermögen als du glaubst... trag es nach außen... und ich bin mir sicher, dass andere... dem folgen werden..." Ein weiterer, heftigerer Hustenanfall schüttelte ihn.
    Verzweifelt starrte Luise ihn an. "Bitte... du nicht auch noch! W-wie soll ich etwas n-nach a-außen tragen, wenn s-selbst du mich f-für scheu hältst!? U-und wie soll ich weiterleben, w-wenn alle m-mich verlassen!?"
    Adalbert schenkte ihr ein tröstendes Lächeln. "Es... tut mir Leid Luise... ich habe... meinen Zustand heruntergespielt, um dich nicht zu ängstigen... Ich dachte, es würde besser werden... aber nun sieht es ganz danach aus... als würde ich bald... meine Brida wiedersehen..." Ein letztes Mal hob er noch seine Stimme: "Luise... du musst weiterleben... für alle... die... gegangen... sind..."
    Und mit diesen Worten verschwand Adalbert von dieser Welt.
    Zurück blieb seine Tochter, die ihrem Gast nur beiläufig berichtete, er würde schlafen.
    Wenn alles vorbei war, sollte Adalbert eine ordentliche Bestattung haben.

    In der Nacht schlich Luise sich davon. Einst hatte sie von ihrer immer abergläubischer werdenden Mutter heimlich zwei von einem dubiosen Händler erworbene Tränke erhalten, welche angeblich Macht über Leben und Tod besaßen. Wer einen dieser Tränke zu sich nahm, dem würde sein gerechtes Schicksal zukommen.
    Einen hatte sie bereits einer Toten gegeben, welche wieder zum Leben erwacht war.
    Den anderen hatte sie Rekon heimlich in seinen Bierkrug geschüttet. Obgleich niemand ihren Verdacht teilte, Luise war sicher, dass er ein Lumianer war. Und dass sein gerechtes Schicksal ein anderes als Marias sein würde...
    Eigentlich wollte sie wieder heimkehren.
    Doch eine Bewegung am Waldrand hielt sie auf.
    Dort stand sie.
    In mitgenommener Kleidung und vor Dreck starrend. Mit verworrenem Blick und feuchten Augen ging Brida auf die Apotheke zu.
    Verzweifelt stoppte Luise sie und führte die zusammenhangslos vor sich hin murmelnde Frau an den Waldrand und nahm sie in den Arm.
    "Du spürst, dass er fort ist, nicht wahr?", flüsterte Luise. Ihre Augen blieben trocken. Sie hatte schon zu viel geweint. Und wenigstens vor ihrer hilflosen, irrsinnigen Mutter wollte sie stark sein.
    Brida schien jedoch nichts wirklich wahrzunehmen. Sie plapperte nur schluchzend ihre einzelnen Silben vor sich hin, welche für Luise keinen Sinn ergaben. So war sie meistens. Selten brachte sie einen richtigen Satz zustande. Und wenn, dann war auch dieser völlig aus jeglichem Zusammenhang gerissen. Brida lebte in ihrer eigenen Welt. Zumindest hatte Luise das bisher angenommen. Doch es konnte kein Zufall sein, dass ihre Mutter genau dann zurückkehrte, wenn ihr geliebter Ehemann starb. Vielleicht gab es wirklich noch etwas, das Brida an diese Welt band.
    Während Luise die heruntergekommene, weinende Frau an sich drückte, fiel ihr Blick auf die an ihrem Gürtel befestigte Flasche, in welcher der Trank aufbewahrt gewesen war. Ein Rest war übrig.
    Diese Tränke... Marias Leben war durch sie gerettet worden.
    Das Schicksal, welches sie verdient hatte...
    Wenn die Tränke Leben schenken konnten, konnten sie auch den Geist heilen?
    Vorsichtig öffnete Luise die Flasche.
    Träufelte ihrer Mutter sorgfältig den Rest in den Mund und sah sie schlucken.
    Und tatsächlich - Bridas Augen klärten sich. Starrten Luise an.
    "Luise? Was ...? Wo bin ich ...?"
    Kaum fassen konnte Luise ihr Glück. Sie wollte sprechen, brachte aber keinen Ton hervor. Sie drückte sich nur eng an ihre Mutter. Nach einem Moment des Schweigens brachte sie hervor: "Mutter... ich... ich bin froh, dass du wieder zu Hause bist..."
    "Ja... ich bin zu Hause." Ein leises, glückliches Lachen erklang in Bridas Kehle. "Komm, Luise. Ich möchte gleich Adalbert sehen." Dann erschlaffte ihr Körper plötzlich. Schock und Entsetzen machten sich in Luise breit.
    Das Schicksal, was man verdiente... ?
    Warum... ?
    Weil sie gewünscht hatte, bei ihrem Gemahl zu sein? Verdiente sie das?
    Stumm erhob Luise sich und starrte den reglosen Körper ihrer Mutter an. Die Flasche glitt aus ihren Händen und zerbarst.
    Das Mädchen drehte sich auf dem Absatz um und rannte zurück zur Apotheke.
    Nun war sie ganz allein.
    Und es war ihre eigene Schuld.



    23. März 1480
    (Vierter Morgen):





    Mit einem entsetzten Schrei erwachte Luise.
    Die Sonne war noch längst nicht aufgegangen und einen Moment lang war ihr nicht bewusst, dass sie sich in ihrem Zimmer befand.
    Als es ihr wieder einfiel, zündete sie eilig eine Kerze an. Sie war über einem Schreiben eingeschlafen. Eine Nacht völlig ohne Schlaf hatte ihren Tribut gefordert und nun fast ihren Plan ruiniert.
    Wer hätte gedacht, dass jene Alpträume von der dunklen Kirche, in welche sie sich als Kind in der großen Stadt verirrt hatte, sie einmal so hilfreich aus dem Schlaf wecken würde?
    Niemand, auch Luise selbst nicht, wusste genau, was damals vorgefallen war. Sie hatte mit ihren Eltern die Stadt besucht und war in kindlichem Übermut von ihnen getrennt worden. Und am nächsten Morgen hatte man sie zusammengekauert innerhalb einer großen Kathedrale vorgefunden. Natürlich gab es Vermutungen, wie zwielichtige Sekten, heimlich von Fremden verabreichte Rauschgifte... aber nichts hatte sich bestätigt. Und Luise selbst erinnerte sich kaum. Sie wusste nicht, ob alles nur ein böser Traum oder Wirklichkeit oder eine Mischung aus beidem gewesen war.
    Doch das kümmerte sie jetzt nicht. Sie würde bald keine Alpträume mehr haben. Nie wieder.
    Aber erst musste sie ihre Aufgabe erfüllen. Sorgfältig legte sie den Brief in eine Kiste, in welcher einige andere Dinge bereits lagen. Dinge, die sie heimlich über den Tag verteilt im ganzen Dorf eingesammelt hatte.
    Eine heruntergefallene Karte.
    Ein schmutziger Anhänger.
    Ein Gedichtband.
    Leise trug Luise die Kiste aus ihrem Zimmer. Kurz machte sie in der Apotheke halt, um eine mit heller Flüssigkeit gefüllte Flasche mitzunehmen. Dann trat sie auf die einsame Straße und eilte schnellen Schrittes zum Garten der Schneiderfamilie. Dort kniete sie sich unter dem alten Kirschbaum nieder und fand zufrieden, wonach sie suchte.
    Zwischen den kräftigen Wurzeln konnte ein scharfes Auge eine Lücke entdecken. Dort hinein schob Luise die Kiste und legte etwas altes Laub davor. Die Lumianer würden sie hier nicht finden. Aber jemand anderes vielleicht. Luise nahm einen großen Schluck der köstlichen, süßen Flüssigkeit aus der Flasche und ließ sich dann ins Veilchenfeld sinken.

    Während sie die Flasche leerte, ging sie geistig noch ein letztes Mal den Inhalt des Briefes durch:





    Musik


    Schweigend lag Luise nun im Veilchenfeld, das rote Haar wie eine Wolke um sie ausgebreitet.
    Ihre Aufgabe war erledigt.
    Nun konnte sie reinen Gewissens loslassen.
    Sie spürte, wie sich eine Taubheit in ihren Finger- und Fußspitzen breit machte und sich langsam in Beine und Arme ausbreitete.
    Auch ihr Geist beruhigte sich. All ihre starken Gefühlswallungen ebbten ab, bis sie nur noch ein fernes Flüstern waren.
    Ihre restlichen Sinne aber waren schärfer denn je. Sie nahm den Duft der Veilchen, welche in wenigen Stunden ihre Blüten öffnen würden, stärker wahr als je zuvor.
    Luise hatte Veilchen immer geliebt. Dass sie jetzt, so kurz vor ihrem Ende, noch diesen Duft in der Nase hatte, erschien ihr wie das größte Glück der Erde.
    Ein kalter Wind wehte, aber für Luise war er mehr wie eine laue Sommerbrise an einem heißen Tag.
    Die blütenbesetzten Äste des Kirschbaums hoben sich in ihren geschärften Augen klar vom mitternachtsblauen Nachthimmel ab, an dem langsam die letzten Sterne verblassten.
    Vögel zwitscherten ihre schönsten Lieder.
    Ja. Es war ein guter Zeitpunkt zum Gehen.
    Sie lächelte friedlich.

    Doch plötzlich hörte Luise ein Rascheln im Gebüsch. Sie wollte sich erheben, konnte aber nicht.
    Ihre Gliedmaßen waren bereits taub.
    Aus den Augenwinkeln sah sie, wie ein kleiner, roter Schatten angesprungen kam. Ein Fiepsen war zu hören und ein weiches Fellbündel schmiegte sich an ihr Gesicht.
    Und dann trat auch schon eine andere Gestalt in Luises Blickfeld. Eine wohlbekannte.
    “So ist das also. Du warst wirklich immer einer von ihnen...“ Luises Stimme war nicht mehr bitter. Nur eine Art gleichgültige Freundlichkeit, vielleicht mit einem Hauch milder Enttäuschung fanden sich in ihr wieder. “Nun... wie du siehst, musst du nichts mehr tun. Ich habe es selbst in die Hand genommen, zu gehen.“ Das Reden strengte sie ungemein an. Tyrell. Ich weiß nicht, warum du diesen Lumianern beigetreten bist. Sicher wirst du deine Gründe haben. Ich möchte dich nicht darüber ausfragen und auch nicht verurteilen. Das brauche ich nicht mehr... mir wurde ohnehin schon alles genommen... und Zorn... wird nichts... zurückbringen...“ Sie machte eine kurze Pause zum Kraftschöpfen und fuhr dann fort: “Aber... eine Bitte. Kümmre dich... um... diesen Kleinen... oder finde... zu Hause... für ihn... er ist... noch... Welpe... und...“

    Dann erstarb Luises Stimme. Sie konnte sich nicht mehr bewegen.
    Und sie fühlte sich mit einem Mal so müde.
    Sie lauschte noch der Antwort des jungen Mechanikers.

    Und dann schlossen sich ihre Augen.

    Geändert von Zitroneneis (10.04.2013 um 10:33 Uhr)

  3. #3
    Deprimiert zog Tyrell seine Kreise durch das Dorf, als auch die letzte, unschuldige Person zu Tode verurteilt wurde. Noel... wobei ihm das ganz recht war. Trotzallem... er hätte nicht sterben müssen... oder etwa doch? Tyrell schloss sich den Lumianern an, um den letzten Wunsch seiner Mutter zu erfüllen. Er setzte sich kurz aufs Grüne und ruhte sich aus. Die letzten Tage waren anstrengend, sowohl körperlich, als auch geistig. Die Gewissensbisse plagten ihn, doch was hatte er für eine andere Wahl? Er versuchte seine Taten damit zu entschuldigen, dass das Dorf durch die Abstimmungen ihr wahres Gesicht zeigte, ein dunkles und beängstigendes Antlitz des Teufels.

    Doch er wusste, dass es nicht zu rechtfertigen war. Es gab einen Grund, ja. Und das genügte für das Erste. Und zumindest ist die Person nicht gestorben, von der er es am wenigsten wollte. Bis er plötzlich ein beunruhige Geräusche hörte. Langsam näherte er sich dem kleinen Blumenteich, welches etwas verborgen vom Dorf lag. Er kämpfte sich ein wenig durch's Gebüsch, und sein Herz blieb stehen, als er Luise am Boden liegend sah. Sie regte sich nicht sonderlich. Ein friedliches, aber zugleich finsteres Bild spielte sich vor ihm ab. Er eilte zu ihr, und sagte mit Sorge gefüllten Worten:

    "Oh nein... nein, nein, nein... Luise... Luise! Was... ich hätte niemals... diese verdammten...!"
    “So ist das also. Du warst wirklich immer einer von ihnen...“ Sein Gesicht zog er aus der deprimierenden Tiefe, als er diese Worte hörte und begriff, dass sie verstand.
    “Nun... wie du siehst, musst du nichts mehr tun. Ich habe es selbst in die Hand genommen, zu gehen.“ Sie holte Kraft zum Reden, während er ihr lauschte... Tyrell. Ich weiß nicht, warum du diesen Lumianern beigetreten bist. Sicher wirst du deine Gründe haben. Ich möchte dich nicht darüber ausfragen und auch nicht verurteilen. Das brauche ich nicht mehr... mir wurde ohnehin schon alles genommen... und Zorn... wird nichts... zurückbringen...“
    Und ein letztes Mal holte sie zum Reden aus, unabhängig von allem, was geschah: “Aber... eine Bitte. Kümmre dich... um... diesen Kleinen... oder finde... zu Hause... für ihn... er ist... noch... Welpe... und..."
    Ihre Stimme blieb ihr weg. Tyrell sah es kommen, dass sie nicht mehr viel Zeit hatte... doch damit sollte sie nicht aus der Welt treten.
    "Luise... oh Gott, das hätte nicht sein müssen...", sagte er, obwohl diese Worte eher für ihn gedacht waren, "...es ist alles so wie damals... hätte ich einen dummen Fehler nicht gemacht, hätte alles anders sein können. Alles..."
    Er spürte, wie sie nur noch sanft in ihren ewigen Schlaf gewogen werden wollte... er versuchte nicht weiter, sich da rauszureden... stattdessen erzählte er ihr eine Geschichte. Eine Geschichte über eine Frau namens Jolaine, an die sich Luise nicht mehr erinnern kann, und ihrem Sohn, der ihr sein Leben verdankt... aber umgekehrt war er der Grund, warum sie starb.

    [...]

    Luises Gesicht verblich. Ihr war nur noch ein schwaches, verständnisvolles Lächeln anzuerkennen, während ihre halbgeschlossenen Augen zu seinem Gesicht blickten.
    "Ha ha... das war wohl zu offensichtlich... du weißt, dass ich der Sohn bin, nicht wahr...? Natürlich...", sagte er mit einem selbstironischem Lächeln, und er fing an zu Weinen, "...ich könnte schwören, es ist alles so, wie damals... meine Mutter lag dort und ich sitze kniend vor ihr. Und was kann ich alles tun? Gar nichts... es ist so traurig."
    Luises Atmen wurde schwerer. Ihre Augen waren kurz davor, sich zu schließen. "Luise... es tut mir so Leid... lass mich, wie damals bei meiner Mutter, auch deinen letzten Wunsch erfüllen... und ich verspreche dir, dieser Welpe wird nicht unter meinem selbsterwählten Schicksal leiden müssen... diese Lumianer... die haben mich zum letzten Mal gesehen..."

    Und ihre Augen waren zu. Was danach geschah, das weißt niemand mehr so genau...

    Geändert von Ligiiihh (10.04.2013 um 15:16 Uhr)

  4. #4
    http://www.youtube.com/watch?v=Xyu0gdlKlcw

    Ferne Geräusche und sanfter Wind waren das Erste, dass er wahrnahm.
    Das Scharben von Kakerlaken... nein, das fröhliche Zwitschern unbeschwerter Vögel. Eine unwirkliche Wärme umgab seinen Körper und er fühlte sich seltsam... glücklich.

    Unendlich langsam öffnete Noel seine dunklen Augenlider, es brauchte ein enormes Maß an Kraft, doch es war ihm egal; er wollte es sehen. Sein Verstand hatte noch nicht realisiert, dass er gerade gestorben war. Seine Augen öffneten sich beheblich und sein Blick wurde klar. Grüngraue diamantengleiche Pupillen, versteckt hinter wundervollen, roten Haaren, gleich leidenschaftlichem Feuer, verziert von einem liebevollen Lächeln sahen ihm entgegen.

    Noels Verstand war nicht in der Lage, es zu begreifen, es zu verarbeiten. Träumte er? War er im Himmel? Nein, jemand wie er würde unmöglich dorthin kommen...

    "Mama...?"

    Die ihm so vertraute Frau über ihm schloss sanft die Augen, ihr Lächeln wurde breiter. Erst jetzt bemerkte Noel, dass sein kopf auf ihrem Schoss lag. Etwas nervös schreckte der Junge auf, besah sich seines Umfeldes:

    Noel befand sich in einem sonnendurchflutetem Waldstück, seine Mutter saß vor einem großen Baum, das Grün des Lebens war hier zahlreich und in vielfacher Form vertreten, das melodische Singen hunderter Vogelfamilien unterstrich zart die friedliche Atmosphäre, goldene Schmetterlinge säumten die Wiesen. Ein Stück weit entfernt zog ein breiter, flacher Fluß seine Bahnen, in dem zwei Gestalten ausgelassen herumtollten.

    "Unmöglich...!"
    Noel hauchte mehr, als dass er sprach. Seine Augen waren ängstlich und unsicher geweitet, versuchten ihm ein Bild zu vermitteln, dass sein Gehirn blockierte.
    Es waren Valan und Luise, die im Fluß herumtanzten und sich lachend mit Wasser bespritzten.

    Verwirrt wandte sich Noel, der ebenso wie Alisia im weichen Gras saß, ebendieser zu, die ihn nach wie vor stolz anlächelte.
    "Mama... was... wo..."

    "Psscht... ist gut, mein Schatz. Du hast es geschafft. Du musst jetzt nicht mehr leiden, nie mehr."

    Liebevoll umarmte sie ihren zitternden Sohn, der nach wie vor vor Angst bebte, dies könnte nur ein wunderschöner Traum sein. Behutsam flüsterte sie in sein Ohr.
    "Du träumst nicht, Noel. Dein Leben auf der Erde mag vorbei sein... aber ab jetzt hast du die Chance, für immer hier im Wald mit mir, Luise und Valan zusammenzuleben. In Frieden."

    "Was...?"

    "Heeeeeeeeeey! Noel, komm her und spiel mit! Zu dritt macht es bestimmt viel mehr Spaß!"
    Luise hatte entdeckt, dass er erwacht war und winkte ihm lachend zu. Auch Valan, dessen Hemd und braunweiße Haare vom Flusswasser durchnässt war, lächelte ihm seicht entgegen.
    "Meine Güte, was für ein Problemschüler... du hast wirklich lange gebraucht, um herzukommen, was? Aber jetzt bist du ja hier..."

    Alisia, die neben ihrem Sohn im Gras saß und Luise zuwinkte, legte ihren Kopf auf Noels Schulter und flüsterte ihm, mit sanftem kichern, etwas ins Ohr.
    "Davon hast du immer geträumt, nicht wahr, Noel?"

    Ja, davon habe ich immer geträumt. Ich habe mir immer so sehr gewünscht... mit euch in Frieden zusammenleben zu können. Doch, so dachte ich, dieser Traum wäre in unerreichbarer Distanz... und jetzt... und jetzt...

    Noels Augen verwandelten sich in flüssige Kristalle und das erste Mal in seinem Leben weinte er vor Glück. Schimmernde Tränen liefen leise seine blassen Wangen herunter, als er nach wie vor wie versteinert ungläubig auf Luise und Valan blickte. Dann näherte sein Blick sich erneut der Person neben ihm, dessen Existenz er erst jetzt in vollem Maße begriff. Ein Affekt war es, der ihn aufspringen und sie krampfhaft umarmen ließ, während er weinend losbrüllte.
    "MAMA!... Ma...ma... Mama, ich habe dich so vermisst... ich habe... dich so sehr..."
    Wie ein kleiner Junge, der dass erste Mal seit Ewigkeiten seine Mutter sah, lag Noel in Alisias' Armen, färbte ihre Kleidung dunkel mit den zahlreichen Tränen, die er nicht zurückhalten konnte. Nun, eigentlich war Noel genau das.
    Ein Kind, dass seine Mutter wiedertraf.

    Liebevoll strich ihm Alisia Noel den Kopf, sie sagte nichts, es bedarf jetzt keiner Worte. Einige Minuten saßen Mutter und Sohn einfach nur eng umschlungen beieinander, genoßen die genseitige Wärme zusätzlich zu den milden Sonnenstrahlen, die sie in ein goldenes Gewand tauchten.
    "Ich habe dich auch vermisst, meine kleine Heulsuse... mehr, als ich es mit Worten ausdrücken könnte... aber du hast dich genug gequält. Jetzt ist Alles gut. Ich bin ja da."

    "Mama! Mama... Ma... ma..."

    "Oh, w-warum ist Noel denn plötzlich so traurig? H-habe ich vielleicht etwas Falsches gesagt?"
    Besorgt hielt Luise sich den Zeigefinger an die Lippe, sah zu, wie der rothaarige Junge in Tränen ausgebrochen war.

    Valan hingegen schüttelte nur unmerklich den Kopf, lächelte in den wolkenfreien himmel hinauf.
    "Nein, du hast nichts falsch gemacht, Luise... du hast nichts falsch gemacht."





    Das habe ich mir immer gewünscht. Mit den drei Menschen, die ich über Alles liebe, friedlich zusammenleben zu können. Ohne Leid. Ohne Gewalt. Ohne Morde, Kriege oder Missgunst.
    Ich bin so... glücklich.






    Es waren einige Tage vergangen. Obwohl Noel sich da nicht ganz sicher war... die Sonne ging hier nicht unter. Er hatte nicht realisiert, dass er gestorben war, erinnerte sich nicht bewusst an sein Leben vor diesem Wald. Warum, darüber dachte er nicht nach. Er war hier endlich glücklich, er war im Paradies angekommen. Das war alles, was zählte.
    Der rothaarige Junge saß an einem der vielen Bäume dieses Wäldchens, Luise befand sich neben ihm und hatte ihren kleinen Kopf an seine Brust gelehnt, leise konnte Noel sie atmen hören; Anscheinend musste das Mädchen eingeschlafen sein. Erst ihn bitten, ihr die Haare zu streicheln und dann das...
    Der Junge kicherte beinahe unmerklich.

    Ohne, dass Noel Notiz davon nahm, löste sich aus dem Dickicht hinter ihnen eine gestalt, welche ohne jede Scheu neben sie trat und sich entspannt in das Gras legte. Noel schreckte auf, sein Herz schlug wieder schneller. Ja, sein Herz schlug noch. Er war am Leben.
    "Deus...!"

    Mit dem altbekannten Grinsen begrüßte der graue Wolf ihn, bevor dessen Blick auf Luise fiel.
    "Wie ich sehe... genießt du dein Paradies. Das freut mich für dich. Das fehlende Tatoo in deinem Gesicht ist echt ein komischer Anblick."

    Ja, genau... Seit Noel hier war, war das schreckliche, blaue Tatoo aus dem Blute seiner Mutter von seinem Gesicht verschwunden.
    "Bin ich... im Himmel?"

    "Erinnerst du dich an dein Leben? An mich?"

    "Ja... ähm, nein... ich weiß nicht genau..."


    Kläffend lachte der Gott auf.
    "Keine Sorge, das ist völlig normal... du bist gestorben, Noel. Und das hier ist dein persönliches Paradies."

    Das Spiel der Deuses. Er erinnerte sich, stoppte darin, Luise die roten Haare zu streicheln.
    "Persönliches... Paradies...?"

    Deusexus räusperte sich, bevor er mit Blick auf die umliegenden Wälder zu erklären begann.
    "Das Spiel der Deuses... die Menschen, mit denen wir spielen, verlieren durch uns ihr Leben, weil sie sich gegenseitig ermorden. Das ist wahnsinnig und grausam. Doch seit jeher gibt es dafür immerhin eine geringe Entschädigung. Jeder Teilnehmer eines solchen Spieles kommt nach seinem Tod nicht in Himmel oder Hölle... sondern in ein ewiges Paradies, welches sich ganz alleine nach den Wünschen und Sehnsüchten des Menschen richtet."

    Nachdenkend sah sich Noel zuerst im Wald um, bis sein Blick auf das schlafende Gesicht der lächelnden Luise fiel, die weniger wie eine Elfe als mehr wie ein Engel aussah. Sein Verstand war jedenfalls noch der Selbe, und so brauchte er nicht lange, um die logischen Schlussfolgerungen zu ziehen. Behutsam lehnte er Luise an einen Baum, weg von seiner Brust.
    Es war auch zu schön, um wahr zu sein.

    "Also ist das hier nur eine Illusion. Ein Kaspertheater der Deuses, um uns auch über ihr Spiel hinaus noch die ewige Ruhe zu verwehren und uns zu foltern, in dem sie uns ein Paradies vortäuschen."
    Bitterkeit und Anklage lagen in Noels' stimme, obgleich er wusste, dass sein Freund keine Schuld traf. Seine Reaktion war dennoch unerwartet: Deus lächelte ihn nur seelig an.
    "Was bedeutet schon Illusion? Was Realität? In diesem Moment ist das hier deine Realität, Noel. Du bist gestorben, es ist dein Himmel. In diesem Moment ist diese Luise dort die echte und einzige Luise deines Paradieses. Das Selbe gilt für deine Mutter und Valan. Das hier ist nun deine Realität.
    Keine Illusion."


    Schweigend ließ Noel sich die angenehme Brise durch sein langes Haar wehen, als er über Deus' Worte nachdachte.
    "Also kann ich für immer hier bleiben? Es ist kein Traum und ich kann für immer mit Luise, Valan und Mama zusammensein?"

    "Sag mir Noel... bist du glücklich?"

    Ohne zu zögern verwandelte sich Noels dürres, blasses Gesicht in einen Hort der Lebensfreude.
    "Ja, Deus. Das bin ich."

    "Hm... das ist schön. Ich habe lange gewartet, dich das Mal sagen zu hören."

    Eine Weile saßen die beiden Freunde einfach schweigend auf der leuchtendgrünen Blumenwiese, der Wind fuhr durch die hohen Baumkronen wie auch durch ihre Haare, das nahe Plätschern des Flußses entspannte sie ungemein, als Deus wieder zu sprechen begann.

    "Noel, mein Freund. Ich bin heute, um der Wahrheit eine Chance zu geben, nicht nur hier um dich zu treffen und dich über dieses Paradies aufzuklären."


    Etwas Bitteres, Nervöses lag in Deus' Stimme, etwas, dass Noel zutiefst beunruhigte.
    "Was meinst du...?"

    Zögerlich sah der Wolf Noel einige Momente lang tief in die Augen.
    "Was ich zu sagen habe, könnte dir dieses wundervolle Paradies für immer zerstören. Ich tue es einzig aus dem Grund, weil ich denke, dass du es wissen wölltest. Es ist an und für sich streng untersagt, einen Teilnehmer in seinem Paradies noch einmal mit irdischen Dingen zu konfrontieren, aber da ich ohnehin sehr bald kein Deus mehr bin..."

    Irdische Dinge... er meint doch nicht...

    Deus konnte aus Noels Blick herauslesen, was er dachte, und seine Augen fielen ebenfalls auf die schlafende Luise.
    "Mach dir eines klar, mein guter, tiefer Freund. Diese Luise dort ist Luise, wie du sie kennst. Sie ist Luise, deine kleine Elfe, daran besteht überhaupt kein Zweifel. Doch natürlich... gibt es die irdische Luise. "

    Noels Herz raste wie verrückt, warmer Schweiss bedeckte seine Stirn und sein Hals wurde trocken.
    "Was ist mit... Luise, Deus?"

    Der Blick des Wolfes sank in den Boden.
    "Ich müsste es... dir zeigen. Doch du kannst es dir vorstellen."

    Noels Atem stockte. Obgleich es so wundervoll warm war, begann sein Körper leicht zu zittern.
    "Zeig es mir."

    "Noel, dich wiederzubeleben, ist nicht möglich. Ich würde nur ein sehr begrenztes Gefäss für deine Seele auf der Welt erschaffen. Und lass dir gesagt sein, dass dies eines der schlimmsten Verbrechen gegenüber Gott selbst wäre, wenn man mich entdeckt. Und nicht zuletzt..." ,
    Deus Blick wanderte ein letztes Mal traurig zu der schlafenden Luise, "wirst du nie wieder hierhin zurückkehren können, wenn du nun mit mir kommst, um das tragische Schicksal der dir bekannten Luise mit eigenen Augen zu sehen. Es ist nicht nötig. Du kannst friedlich in deinem Paradies leb-"

    "Nein!"
    Deus schreckte zurück. Noel war aufgesprungen, jegliche Entspannung schien wie fortgetragen.
    "Ich bin glücklich, Deus... die kurze Zeit, die ich hier verbringen durfte, war die Wundervollste meines Lbens, und ich würde Alles dafür geben, hierbleiben zu können... aber letztendlich bin ich kein Narr. Das sind nicht Mama, Valan und Luise. Es sind Schemenbilder nach meiner Vorstellung. Ich habe Luise ein Versprechen gegeben. Und ich werde es einhalten. Und wenn ich mich dafür mit Gott persönlich anlegen muss!"

    Deus konnte darauf nichts mehr erwiedern.
    Es stand ihm auch nicht zu. Fragend sah er tief in Noel hinein; Zweifelsohne, er hatte seine Entscheidung getroffen.
    Was bist du nur für ein Narr, Deus... du hättest es wissen müssen.
    Wie aufopferungsvoll... wie aufopferungsvoll muss ein Mensch sein, um so etwas fertigzubringen? Er hat die Wahl, für immer mit den Personen die er liebt und braucht, in Frieden zusammenzuleben oder der schrecklichen Realität einmal mehr ins Angesicht zu sehen und entscheidet sich für den qualvollen Weg...? Das ist eine Fähigkeit, die sogar die Kräfte der Deuses übersteigt.


    "Ich verstehe. Möchtest du dich noch verabschieden?"

    Lächelnd wandte Noel sich um und kniete sich vor der schlummernden Luise nieder.
    "Nein. Denn immerhin wäre das kein Abschied an die Personen, für die er gedacht ist."
    Behutsam näherte sich Noels Gesicht dem des Mädchens, als er mit seinen dünnen Fingern sacht ihre weichen Haare berührte und Luise einen zarten Kuss auf die Stirn drückte.

    Dann wandte er sich wieder Deus zu, einen entschlossenen Blick in den Augen.
    "Lass uns gehen."

    "Hm.

    Es tut mir leid, Noel. Von ganzem Herzen."


    "Was... meinst du?"







    Es war noch früher Morgen, als Noel, angeführt von Deus, das Dorf Düsterwald betrat. Zumindest schloss er das anhand der schwachen morgenröte, die in dem grauen Wolkenhimmel beinahe unterging. Überrascht sah er sich seine Hände an - das war sein Körper. Doch von dem Stich im Hals nichts zu spüren. Als er in einem vorbeiziehendem Fenster sein Spiegelbild betrachtete, stellte er zu seinem Leidwesen fest, dass das Tatoo wieder auf seiner linken Wange prankte.


    Eine Weile dauerte es, bis Noel begriff, wohin Deus mit ihm lief - Zum Veilchenfeld, nicht weit entfernt von dem abgelegenen Waldstück, dass sein einstiges Haus umgab. Das Dorf war nach wie vor vollkommen ausgestorben, aber das mochte auch nur an der unwirtlichen Zeit liegen.


    Dann kam sie in sein Blickfeld. Luise. Sie lag, friedlich schlummernd, im Veilchenfeld, ihre wundervollen Haare gleich einer Wolke um sich ausgebreitet, die zarten Hände auf der Brust gefaltet. Erleichtert stürmte Noel, so schnell er nur konnte, zu ihr, Deus blieb stumm zurück. Als er über ihr stand, sah Noel ihr einen Moment ins Gesicht, musste sich die Freudentränen verkneifen.
    "Luise..."

    Keine Reaktion.
    Noel versuchte es erneut, diesmal deutlich lauter.

    Keine Reaktion.

    http://www.youtube.com/watch?v=eZNnuRvrZDU

    Unruhig drehte Noel sich zu Deus um, suchte seinen Blick - doch er wich ihm aus.
    Zitternd fiel er vor dem schlafenden Mädchen auf die Knie und umfasste behutsam ihre Schultern.
    "Luise... wach auf. ich bins. Ich hab dir doch versprochen, ich komme zurück und mache alles wieder gut, nicht? Also wach auf und sag etwas!"


    Keine Reaktion. Nicht das allergeringste Zucken, nicht die allerkleinste Bewegung.
    Noels Herzschlag stoppte und ein taubes, eisiges Gefühl überfuhr erst seine Finger an dem zierlichen Mädchen und kämpfte sich geschwind durch seinen ganzen Körper. Seine Augen trännten. Warum tränten seine Augen? Dazu hatte er doch keinen Grund?!

    "Deus... was... was ist mit Luise...?"

    Er antwortete nicht.
    "Deus! WAS IST MIT LUISE?!"

    "Sie ist t"

    "NEIN! ich sehe keinerlei Wunden, das kann nicht sein,
    lüg mich nicht an du Sohn einer ••••!"


    Sein Blick fiel wieder auf das makellose, lächelnde Gesicht des Mädchens, es war, als würde sie friedlich schlafen. Und doch hatte sein Verstand längst begriffen, was sein Geist nicht begreifen konnte. Und nie würde.

    "Sie hat sich selbst das Leben mit einem Trank genommen. Es war ihr eigener Wille."



    Noel zerbrach. Sein Geist, aber auch sein Verstand. Er glaubte, sich schreien zu hören, doch er war sich nicht sicher. Seine Wahrnehmung war kaum mehr als eine vernebelte Hölle aus unbeschreiblichen Schmerzen. Doch konnte er spüren, wie er das Mädchen in eine Umarmung riss und heisse Tränen flutartig sein Gesicht bedeckten.
    "LUISE! NEIHEIN! Luisee.... LUISE!!!.... Luise.... LUISEEE!"
    Weinend und schreiend wie ein kleines Kind klammerte sich Noel an das Mädchen, presste seine Wange an die ihrige, unbarmherzige, finstere Tränen tropften auf ihr engelsgleiches Gesicht, als der mann über ihr wie in schrecklichster Folter schrie und schluchzte.
    "ES TUT MIR SO LEID! ES TUT MIR SO LEID, LUISE, ES TUT MIR SO UNENDLICH LEID!"
    Er ertrug es nicht mehr. Taumelnd wich Noel zurück, ließ den von Salzwasser benetzten Körper Luises zurück ins Veilchenfeld sinken. Er konnte ihr nicht mehr ins Gesicht sehen. JGenau in diesem Moment fing es an, wie aus Eimern zu regnen.

    Deus, der das Geschehen nur bedrückt mit ansah, verfluchte den Himmel für diese Geste unnötiger Dramatik.
    In jeder Literatur regnet es nur, wenn etwas Schlimmes passiert oder ein Charakter verstirbt. Aber das hier ist die Realität. Und dennoch...

    Noel kniete winselnd wie ein geprügelter Hund im Schlamm, war in seine Arme zusammengesunken und zog sich krampfhaft an den Haaren, als er sich wie im Affekt aufrichtete und schrie, wie er es nie zuvor getan hatte. Salziges Kristallwasser zeichnete ungebrochen seine Wangen, und es schien nicht, als würde es sobald verschwinden. Wie in Trance griff Noel mit einer Hand zu seinem Gürtel - der Dolch war noch da. Wie im Wahn stoch sich der völlig verstörte Junge immer wieder in den Hals, Blut spritzte heraus, verteilte sich um ihn herum auf dem schlammigen Boden, bevor es vom schwarzen Regen hinfortgespült wurde. Egal, wie oft Noel zustach, er spürte weder etwas noch starb er. Aber das hielt ihn nicht davon ab, sich unter Tränen immer und immer wieder den Dolch in die Kehle zu rammen, schien ihm das doch die einzige Möglichkeit, dieser Situation in irgendeiner Weise zu entkommen.

    "Das ist nur ein Homunculus, kein echter Körper. Du kannst so nicht sterben..."

    Noel warf den Dolch weg. Schluchzend stolperte er wieder zu den durchtränkten Veilchen hinüber, fiel mehrere Male in den tiefen Schlamm, bevor er erneut Luises Körper erreicht hatte und ihn wieder, diesmal deutlich weniger kraftvoll, umarmte und ihre Haare umfasste.
    "Lhuife... 'uise.... L....Luise....Lhu....ihf..."
    Immer noch weinte er wie ein kleines Baby, konnte kaum noch sprechen vor lauter Rotz und Wasser, dass sich in seinem Mund angesammelt hatte, der prasselnde Regen, der auf ihn herniedersauste, kam erschwerend hinzu.
    Sicherlich würde sie ihn auslachen, wenn sie den großen Möchtegern-Einzelgänger jetzt so sehen würde. Ja, sicherlich würde er sich selbst auslachen.

    "Es fhud mir leid... es fhud mhir fo unenfhlich leid....iff whollfe dich beschützen, aber... ich... Luise... Lui...se..."
    Immer noch gebrochen, aber rationaler, blickte Noel in ihr schlafendes Gesicht, welches durch ihn vom Regen verschont gelieben...und doch ganz und gar nass war. Zitternd strich er ihre Haare vorsichtig beiseite, legte seine Stirn an die ihrige.
    Wieder flossen Tränen an seinem Gesicht hinunter, welche sich nun am Gesicht des Mädchens teilten.
    Er wollte etwas sagen, Irgendetwas, aber es ging nicht, seine letzten Kräfte verließen ihn vollends und Noel brachte nur noch jämmerliches Geschluchze und jammerndes Gebitte hervor, dies möge nicht wahr sein.
    "Luise....luise.... Lui...se....Luifhe...."

    Wie konnte es nur so enden? Hatte er nicht Alles aufgegeben, um dieses Mädchen zu beschützen? Hatte er an jenem Tag nicht hoch und heilig auf den Namen seiner Mutter geschworen, sie vor allem Unheil zu beschützen?
    "VERFHLUCHT, ICH HFFATTE DOCH NUR FIESEN EINEN WUNSCH! WAR DAS ZU VIEL VERLANGT?!"

    Aufgelöst richtete Noel seinen grenzenlosen Zorn und seine allesverdrängende Verzweiflung gegen den düsteren Himmel, hoffte, seine Worte mögen Gott erreichen. Es musse ihn geben. Immerhin gab es auch Deuses.
    "Du elendes Schwein! Was habe ich dir angetan, dass du mir das antust?! MACHT DIR DAS SPASS?! BEREITET ES DIR FREUDE, DEINE EIGENEN KINDER IN DEN TOD ZU SCHICKEN? DU DRECKIGER BASTARD, Komm hier runter und ich reiss dir eigenhändig den Schädel von den Schultern!"
    Tränenverschmiert ließ Noel den Körper der kleinen Luise an einen kleinen Baum auf dem Veilchenfeld sinken und legte seinen Kopf an ihre Brust - schluchzte stumm in ihre durchnässte Kleidung hinein, immernoch ihre Schultern umarmend.

    Deus saß einfach nur entfernt und wartete ab, bis noel sich beruhigt. hatte. Es würde seine Zeit dauern, doch er würde zu Sinnen kommen. Er musste ihm diese Zeit geben und einfach noch besser darauf achten, dass Noels' Präsenz von den anderen Deuses nicht wahrgenommen wurde.





    http://www.youtube.com/watch?v=eZNnuRvrZDU

    Es wurde langsam Abend im Dorfe Düsterwald.
    Und wie auch der starke Regen den ganzen Tag angehallten hatte, so hatte auch der junge Noel, der mittlerweile nur noch ein zutiefst erbärmliches Bild abgab, Luise den ganzen Tag über nicht ein einziges Mal losgelassen, noch hatte er aufgehört, Tränen zu vergießen. Seine ganze, dünne Kleidung war bis auf die Haut durchnässt und vollgesogen mit Regen, dass der Junge erbärmlich frieren musste, sein ganzes Gesicht war fast so rot wie dass Haar, dass ihm in selbigem klebte.
    Stumm schluchzend saß er neben Luise am Baum, ihren toten Körper an seine Brust gelehnt streichelte er wimmernd ihre roten Locken.
    "Luise.... Luise... Lui...se...Luiseee...."

    Deus hatte gewartet. Er hatte zwar erwartet, dass Noel lange brauchen würde, um zu klarem Geiste zu kommen, aber auch nach weit mehr als zehn Stunden war nicht der geringste Funke Licht am Tunnelende zu erkennen. Das war nicht gut.
    Weniger, wegen der Gefahr erwischt zu werden als mehr wegen dem immer weiter steigenden Risiko, dass der Junge nie mehr zu sich finden würde. Wie ein Besessener streichelte er weinend das Mädchen gleich einer zerstörten Puppe.
    Und so sehr es ihm das alte Herz brach, er musste jetzt einschreiten.

    "Noel. Lass es gut sein. Luise ist tot."

    Wieder vergrub er sein Gesicht in ihren Haaren, sein Körper bebte und zitterte, dass es nicht mit anzusehen war. Da tat Noel etwas unerwartetes: Er legte Luise beiseite und kroch auf allen Vieren auf ihn zu. Dann riss er ihn mit beiden Händem am durchnässten Fell, ihm einen hoffnungsvollen, wenngleich zerstörten Blick zuwerfend.
    "Dfeus...Dfeuf, du kannft sie doch... du kannst sie doch wfieder lebendig machen, ofer? DAS KANNFT DU DOCH, ODER DEUHF?!"
    Noels Blick war flehendlich. Er flehte ihn stumm an wie ein Kind, dass nicht enttäuscht werden wollte. Dennoch konnte Deus nur schweigend den Kopf schütteln.
    "Tote kann man nicht lebendig machen. Ausgeschlossen."

    "GHH......!"
    Noel sprang auf und schlug dem Wolf die Faust ins Gesicht, dass er wenige Meter weit flog. Irritiert von dieser Aktion brauchte der Gott einige Sekunden, bis er sich gesamelt hatte. Plärrend und tobend gestikulierte Noel sich vor ihm, brüllte und schrie in an wie im Wahn.
    "IHR DEUSES SEID DOCH GÖTTER, ODER? IHR SEID DOCH SO TOLLE GÖTTER, DIE SICH HERAUSNEHMEN, MIT DEN MENSCHEN SCHACH ZU SPIELEN, DA WERDET IHR DOCH WOHL EINE FIGUR ZURÜCKBRINGEN KÖNNEN!"

    "NOEL, VERDAMMT NOCHMAL, MAN KANN KEINE TO-"

    "BIITTEE!"
    Jammernd und weinend warf sich Noel vor dem Wolf auf die Knie, drückte seine Stirn in den kalten Schlamm vor Deus' Pfoten.
    "MACH IRGENDWAS! Ich flehe dich an, Deus, wenn du es kannst, mach irgendetwas! Bitte! Bitte! Bitte, Deus! Mach Luise wieder lebendig! Ich will auch nicht in mein Paradies zurück oder weiterleben! Nimm meine Seele! Tu Irgendetwas! Nur mach Luise wieder lebendig! Bitte!"

    Es war erbärmlich, nein, das war das falsche Wort... auf eine bittere Weise zutiefst mitleiderregend. Aber sehr viel schlimmer war: Noel Geist war dabei, zu verblassen. Wenn er nichts unternehmen würde, wäre er für den Rest seines lebens ein stummer, apathischer Gebrochener, der nur noch mit leeren Augen aus dem Fenster seiner Zelle starren würde. Da kam ihm ein Gedanke.
    "Es gäbe da vielleicht... eine Möglichkeit..."

    "W-WHAS?! WFIRKLICH?!"
    Das erste Mal seit Stunden weiteten sich Noels' verquollene Augen und er riss wieder aufgeregt an Deus' Fell herum.

    "Hör mir zu, Noel. Ich bin sehr bald kein Deus mehr. Wie du weißt, habe ich die Regeln des Spieles gebrochen und wurde dafür von den anderen Deuses zur Sterblichkeit als Mensch veruteilt. Es gibt aber noch eine andere Option."
    Einen Moment lang sah er seinem Schützling, welcher ihm als einziger von so vielen Avataren in 2000 Jahren wirklich wichtig geworden war, tief in die Augen, bevor er weitersprach.
    Ich kann einen Nachfolger bestimmen. Ein Mensch, der meinen Posten als Deus weiterführt. Der Haken ist, ich muss diesem Menschen all meine Kraft übertragen und... nunja... du kannst dir vorstellen, wo ich dabei bleibe."

    Erschrocken flackerten Noels Gedanken auf, sein Verstand, der überflutet und zerquetscht war von Trauer, brauchte Minuten, um Deus' ganze Aussage zu begreifen.
    "A...Aber whaf würde es mir bringen, ein Dheuf zu werden?!"

    "Das Spiel der Deuses. Ich habe dir doch gesagt, die gewinnenden Deuses bekommen... "Privilegien", nicht?"

    Stumm sahen sich die beiden in die Augen, bevor Noel den Gedankengang in Worte fasste.
    "Was für... Privilegien sind das?"

    Ein Moment Stille, nur durchbrochen vom Prasseln des Regens.
    "Gewinnt ein Deus, kann er sich etwas wünschen."

    "Von wem?"

    "Von Gott."

    Wieder standen bzw. knieten sich die beiden still gegenüber. Diesmal nicht, weil Noel es nicht verstanden hatte, sondern weil er versuchte, es zu verstehen.

    "Also... gibt es Gott wirkich?"

    "Ja. Wir wissen über ihn allerdings auch nur das. Er erfüllt siegenden Deuses genau einen Wunsch."

    Noels Blick fuhr blitzartig zu Luise' Leiche.
    "EGAL, WAS?!"

    "Egal, was.
    Nun, ich denke, man kann sich nicht Sachen wie "Ich will Gott werden", 1000 Wünsche mehr" oder "zerstöre die Welt!" wünschen, aber für DEINEN Wunsch..." ,
    Deus' Blick streifte ebenfalls das Mädchen, "sollte es alle Mal reichen."

    Einen Moment hatte Noel ernsthaft darüber nachgedacht. Am widerlichen Spiel der Deuses teilnehmen und Luise wieder...Luise wieder...Luise...
    "Das geht nicht... ich kann nicht dein Leben dafür f-fordern, Deus... du bist immerhin wie ein Vater für mich."

    Energisch schüttelte der silberne Wolf den Kopf.
    "Nein, Noel. Ich habe lange genug gelebt. Ich bin... müde. Und ich bin dieser Welt überdrüssig. Meine Existenz aufzugeben, um dir deinen sehnlichsten Wunsch erfüllen zu können, das wäre etwas, dass mich glücklich machen würde. Und glaub mir, so eine kitschige Scheiße gebe ich nicht oft von mir."
    Der Wolf bleckte die Zähne, doch Noel zögerte. Abermals streifte sein Blick Luise, als er zu ihr hin schlurfte. Der Junge hatte sich etwas beruhigt. Zwar war sein Gesicht noch immer verheult, doch die Tränen waren endlich versiegt, sein Schluchzen abgeklungen. Liebevoll strich er Luise mit den Fingerspitzen über die zarte Wange, ein kleines, trauriges Lächeln schenkte er ihrem schlafenden Gesicht.
    "Ich werde dich zurückholen, Luise... und dir ein Zuhause schaffen."

    Stumm erhob sich Noel und trat dem Wolf gegenüber. Ein leichtes Nicken genügte.
    Damit war es entschieden.






    Sie waren umgeben von unendlicher Weiße abseits jeder Existenz.

    Noel kniete mit geschlossenen Augen vor Deus, der ihm nun seine Pfote auf den Kopf legte.

    "Hiermit ernenne ich, Deus Ex Machina,
    Deus der Menschlichkeit,
    Gott 3.Ranges,
    dich, Noel De'chrones'tulem,
    menschliche Seele,
    zu meinem Nachfolger und damit zum Deus 5.Ranges.


    Etwas passierte mit Noels Körper. Abgesehen davon, dass ihn eine innerliche Macht erfüllte, die man mit keinem Wort menschlicher Sprache erklären konnte, schimmerten seine Haare nach Sekunden in einem silbernen Grau, das Tatoo auf seinem Gesicht hatte sich über seinen gesamten Körper ausgebreitet und bedeckte Noel nun beinahe vollständig, außerdem wuchsen seine weißen Haare mehr und mehr, bis sie dem Jungen Gott schließlich bis zu den Füßen herabhingen. Seine Iris war von einem stechenden Gelb, spitze Pupillen waren in ihrem Zentrum zu sehen.
    Erhebe dich, Deus Ex Chronestulem.

    Dankbar lächelnd stand Chronestulem, der nun selbst ein Gott war, seinem Mentorem, seinem Freund... seinem Vater gegenüber, der sich bereits aufzulösen begann.
    "Danke... für Alles, Deus."

    "Alexander".

    "Hm?"

    "Das war mein Name, als ich einst noch ein Mensch war. Er ist das Einzige, an dass ich mich erinnere."

    "Nun, dann... hab meinen tiefsten Dank, Alexander. Ich werde deine Kraft nutzen, versprochen."

    "Da bin ich sicher... Knirps. Ha ha ha.

    Die letzten Funken verblassten und Deus war nicht mehr.
    Nun gab es einen neuen Deus. Mit nur einem Ziel.










    Hunderte Jahre später...


    http://www.youtube.com/watch?v=eZNnuRvrZDU

    Ich hatte mich an meine Existenz als Deus schnell gewöhnt, doch ich musste auf das nächste Spiel warten... das Spiel der Deuses fand nur aller paar Hundert Jahre statt, und so verachtenswert es auch sei, es war mein einziger Hoffnungsschimmer, sie je wiederzusehen... wie lange ich wohl zu warten hatte? Dreihundert Jahre? Fünfhundert? Tausend?

    Wenn ich so zurückdenke... waren die ersten hundert Jahre wohl die
    Schlimmsten.
    Weinen und Schlafen.
    Ersteres sollte ein Deus nicht und Zweiteres sollte er nicht müssen.
    Und doch weinte ich mich in den Schlaf.
    Jeden Tag, jede Nacht, jedes Jahr, jedes Jahrzehnt, aus der Sehnsucht, dein Lächeln nur ein einziges weiteres Mal zu sehen. Es zerriss mich. Egal, wie viele Stunden ich damit verbrachte, die Tränen, die ich nicht mehr besitzen sollte, hinauszulassen und an Fassung zu gewinnen, ich versank immer und immer mehr in purer Verzweiflung. Und dass, wo wir uns nur zwei Jahre gekannt hatten und du mich nie sonderlich mochtest. Schon seltsam, hm?






    Geräuschvoll öffneten sich die die großen, silbernen Türen, durch die eine einzige, kleine Gestalt trat. Kaum war sie hindurchgeschritten, schlossen sich diese wieder und es herrschte erneut Stille in dem kleinen Tempel.
    Traurig lächelnd, wie jeden Tag, wenn Chronestulem hier war, trat er in den kleinen Garten, den er im Inneren seines persönlichen Tempels errichtet hatte, und ging auf dessen Zentrum zu - ein kleiner, goldener Baum, an dem ein rothaariges Mädchen, scheinbar mit der Baumrinde verwachsen, lächelnd und friedlich schlief, die Hände vor der Brust gefaltet.

    "Hallo, Luise..."
    Mit einem kurzen Gedanken begann Noel zu schweben, so dass er sich dem Körper des Mädchens näherte, welches einige Meter über dem Boden hing.
    Sanft strich er ihr durch das Haar, daran denkend, wie er dies möglich gemacht hatte.

    Ich habe deinen Körper mit den göttlichen Kräften, die man als Deus 5.Ranges schon besitzt, versiegelt und somit vor zeitlichen Einflüssen vollkommen bewahrt. Damit bleibt nicht nur das Bildnis deiner Anmut, Reinheit und Zerbrechlichkeit bestehen, nein, du wirst auch sofort in deine Hülle zurückkehren können, so der Tag kommt, an dem ich dich zu neuem Leben erwecke.

    "Bald, Luise... halt nur noch ein wenig aus. Ich habe dir doch vom Spiel der Deuses erzählt, nicht? Es kann nicht mehr lange dauern. Ich habe schon einen vielversprechenden Avatar gefunden. Bald wirst du wieder leben... und dann kann ich endlich wieder dein Lächeln sehen..."
    Behutsam drückte Chronestulem dem Mädchen einen vorsichtigen Kuss auf die immer noch warmen Lippen, bevor er wieder zurück auf den Erdboden sank und sich, wie immer, daran machte, den Tempel wieder zu verlassen.

    "Bis Morgen, Luise... ich komme Morgen wieder!"




    So ging das über fünfhundert Jahre lang. Meine Zerrissenheit und mein Leid versteckte ich vor dir, wenn ich dich besuchen kam. Und obgleich mir deine Hülle unersetzbaren Trost spendete, war sie doch auch eine Folter ansich. Wie oft habe ich wohl schluchzend vor deinem Baum gesessen? Wie oft deine schönen Kleider mit meinen Tränen getränkt? Ich habe aufgehört, zu zählen. Doch es wird nicht mehr lange dauern, da ich dich retten werde.




    Und wenige Jahre später war es soweit. Zusammen mit zwanzzig anderen Deuses nahm der noch junge Gott Noel an einem erneuten Spiel teil. Er hatte sich Jahrhundertelang strebsam auf genau diesen Tag vorbereitet, hatte jahre dafür aufgebracht, den vielversprechendsten Avatar zu finden, und ihm wäre jedes Mittel recht, zu gewinnen - Und wenn er schummeln müsse. Er ertrug es keinen einzigen Tag länger ohne Luise.


    Und Noel war erfolgreich. Ein Avatar nach dem anderen fiel. Seine Erfahrung als ehemaliger Avatar machte sich bezahlt. Tag für Tag leitete er seinen Schützling zielstrebig an, die ganze Zeit nur ein Gesicht vor Augen.
    Er kam unter die letzten vier. Der Wunsch war zum greifen nahe. Er würde Luise wiedersehen. ihre Stimme hören. Ihr Lächeln. Noch heute.

    Er scheiterte. Sein Avatar verlor in der letzten Runde gegen die Gegenseite und damit hatte der Wunsch sich für das nächste Jahrtausend erledigt.



    Verzweiflung war kein Ausdruck für das, was ein Individuum in dieser Situation empfinden konnte. Wenn Noel das Gefühl hatte, er hatte in den vergangenen Jahrhunderten viele Tränen vergißen, so waren es an diesem Tag allein wohl doppelt so viele. Monatelang versank er vollkommen in Depressionen und Trauer, konnte seinen Tempel nicht betreten, war dem endlosen Wahnsinn nahe. Doch er stand wieder auf. Noel hielt durch, mit dem Gedanken, dass es ein nächstes Spiel geben würde. Er müsse sich dieses Mal nur besser vorbereiten. Was waren schon 500 Jahre? Nichts gegen den Tag, an dem Luise die Augen öffnen würde.


    Doch Noel scheiterte wieder.
    Und wieder.
    Und wieder.
    Und wieder.

    Jedes Mal, wenn ein Teil von ihm dachte, nachdem er tagelang vor Luise' Leiche weinend, schluchzend, schreiend zugebracht hatte, sich mit Selbsthass übergiessend für ein weiteres Versagen und wieder ein halbes Jahrtausend ohne Hoffnung auf Erlösung, spottete ein anderer Teil ihm, indem er ihn wieder aufstehen ließ.
    Der Gott gab nicht auf. Er arbeitete sich hoch, Rang um Rang, bis er schließlich als Deus 1.Ranges sogar Alexander um weiten übertroffen und die besten Voraussetzungen für das Spiel der Deuses hatte. Dennoch scheiterte er wieder.
    Vielleicht lag es daran, dass sein Verstand mit jedem Jahrhundert zusehends verblasste. Doch irgendwann hatte er es geschafft. Noel hatte als einziger Deus bei einem Spiel gewonnen.

    Er hatte sein Ziel erreicht und durfte vor Gott einen Wunsch äußern.


    Und genau das tat er. Noel bekundete den Wunsch, für den er über 3000 Jahre lang gelitten hatte.














    http://www.youtube.com/watch?v=Xyu0gdlKlcw

    Das rothaarige Mädchen stand dem lächelnden, jungen Mann gegenüber, die Mundwinkel zu einem sanften Grinsen geformt. Auch der Deus lächelte, doch liefen Tränen seine Wangen herunter. Vielleicht waren es Tränen des Glückes.
    Das Mädchen indessen konnte darauf nicht reagieren.

    Denn, so schien es, es schlief.



    Mit leichtherzig befreitem und doch traurigem Lächeln nahm Noel Luise in eine tiefe Umarmung und flüsterte ihr unter zurückgehaltenen Tränen ins Ohr.

    "Luise... ich... ich habe es geschafft.
    Ich habe dem Spiel der Deuses ein Ende bereitet.
    Es gibt dieses grausame Spiel nicht mehr.
    Es wird es nie wieder geben."






    NENNE DEINEN WUNSCH, DEUS EX CHRONESTULEM.

    Noel war dabei, es auszusprechen, als er, ohne recht zu wissen warum, wie so oft in seinem langen Leben einem Affekt folgte.
    "Bereite dem Spiel der Deuses ein Ende.
    Ein solches Spiel soll nie wieder ausgetragen werden."






    Mit zitternder Stimme strich er ihr über den Kopf, wissend, dass sie es nicht fühlen konnte. Noel weinte. Doch dieses eine Mal nicht aus Verzweiflung.
    "Das... das habe ich doch richtig gemacht, nicht wahr?

    Du hättest das doch sicher gewollt, nicht?

    Du... du bist doch stolz auf mich... oder Luise?"

    Schluchzend versank sen Gesicht in ihren Haaren. Es war vorbei.
    Luise würde nicht wieder ins Leben zurückkehren. Nie wieder.
    Warum Noel sich letztendlich entschieden hatte, das Spiel der Deuses zu vernichten statt Luise ins leben zurückzuholen?

    Du hast mich doch... so sehr gehasst. Du hasstest mich. Und du hast jeden verloren, der dir wichtig war. Durch mich. Ich bin sicher, da, wo du jetzt bist, bist du viel glücklicher, als du es hier in meiner Gefangenschafr währest... nicht wahr, Luise?"

    Stumm sank noel auf die Wiese zurück. Lächelnd wusch er sich die Tränen vom Gesicht und sah Luise noch einmal in die geschlossenen Augen.
    "Ich werde meine Existenz dieser Welt widmen, die du so geliebt hast, Luise. Das Spiel der Deuses gibt es nicht mehr, aber trotzdem existiert so viel Leid und Hass auf der Erde... ich werde von nun an jeden Tag dafür kämpfen, dass Familien wie die deinige nicht mehr zerrissen werden und die Zwietracht zwischen den Menschen auhört. Ich werde das Zuhause erschaffen, nach dem du dich immer gesehnt hast... also bitte... sieh mir zu, ja?"

    Lächelnd verließ Noel seinen Tempel. Es gab viel zu tun.




















    Viele Jahre später










    Sie war genervt.
    Gut, sie kannte ihn ja, es war normal für Chron, in seiner Freizeit nächtelang in seinem kleinen, muffigen Tempel herumzuhocken. Aber WIEDER hatte ER ihr Treffen ausgemacht, diesmal ging es ihm um den Krieg der beiden Planeten Eonetos und Erde, dessen Völker in einen heftigen Streit geraten waren, und WIEDER war ER es, der zu spät kam!
    Ihre Adern kochten, als Yandera daran dachte. Wutschnaufend stieß sie die hohen Tore seiner Stätte auf, betrat sausend die grüne Wiese, und natürlich: Er schwebte wie immer ruhig vor dem Mädchen.

    "CHRON! Bei allen Sternenlichtern Aristas', ich respektiere deine Bräuche, aber Amaterasu und Toffirife warten auf uns! Wir sind deine Freundinnen und Geduld ist eine schöne Sache, aber langsam, so wahr Gott mir helfe-"

    "Tut mir leid, Deus Ex Yandera. Verzeih vielmals. Ich bin sofort da."

    "WIE OFT MUSS ICH ES DIR NOCH SAGEN, YANDERA REICHT!

    IDIOT!

    Wutschäumend stürmte das schwarzhaarige Mädchen aus dem Tempel und ließ den grauhaarigen, jungen Mann mit seiner "Puppe" zurück.
    Noel legte Luise gerade lächelnd eine Kette, gemacht aus Silber und Veilchen, um den Hals.


    "Gefällt sie dir? Die mochtest du doch immer...
    Also, Luise..."

    Er nahm die Hand von ihrer zarten Wange und strich ein letztes Mal für die nächste Zeit durch ihr Haar.
    "Ich muss dann Mal wieder los... du weißt schon. Aber in ein paar Wochen bin ich wieder da, versprochen? Also halte schön aus..."
    Liebevoll drückte er ihr einen leichten Kuss auf die Lippen, bevor er herabschwebte und sich daranmachte, den Tempel zu verlassen.
    "Bis bald... kleine Elfe."










    http://www.youtube.com/watch?v=nYs0VWd60cE



    Ich lebe weiter, für dich.
    Ich habe diese Welt lieben gelernt und kämpfe mit meinen Freunden jeden Tag dafür, sie ein bisschen besser für die Menschen zu machen, die in ihr leben.
    Weil ich weiß, dass du es genau so gewollt hättest.
    Ich möchte, dass du stolz auf mich sein kannst, Luise.
    Auch, wenn wir uns nur eine kurze Zeit kannten und ich mich an mein altes Leben schon lange nicht mehr erinnere... ich werde dich niemals vergessen.
    Die Erinnerung an dich ist tief in meinem Herzen eingeschlossen und hilft mir, zusammen mit deinem sterblichen Abbild, weiterzumachen.

    Sag mir, Luise... bist du stolz auf mich?






    Selbst wenn dieser Körper zu Asche zerfallen würde, würde ich dich niemals verlassen.



    - Deus der Aufopferung, Chronestulem.

    Geändert von Holo (11.04.2013 um 00:00 Uhr)

  5. #5
    Irgendwas war faul. Es roch nicht gut. Es roch nach Ärger. Die Stille war ohrenbetäubend. Jedes klitzekleine Geräusch klang in ihren Ohren wie das Aufbäumen von Göttertrommeln. Lumi wusste nciht genau, was es bedeutete, aber sie war sich im Klaren darüber, dass der Falsche gerade draufgegangen war.

    Sie hatten Noel zum Sterben verdonnert. Und sie hatte ein seltsam beschissenes Gefühl dabei.

    Laut schmatzend tat sich Djángo am letzten übriggebliebenen Brötchen gütlich, die kleinen Knopfaugen stoisch auf das Futter gerichtet. Rudiger lag sichtlich erschöpft vor der Tür, schaute sie mit großen Augen an. Sie antwortete auf seinen Blick mit einem stummen Nicken. Luminitsa Szábo, versprengte Tochter eines der in ihren Augen größten Männer die auf der Erde wandelten, saß auf einem Stuhl zusammengekauert an einem der Tische, den Blick ins Nirgendwo gerichtet. Nichts war schlimmer, als auf den Moment zu warten. Der Moment, der vorherbestimmt ist für uns alle.

    Sie erwachte asu ihrer Lethargie, um Djángo übers wuschlige Fell zu streicheln, den Blick immer noch stur nach vorne gerichtet.

    Der Moment.

    Es war lange nicht vorbei. Das Schlimmste stand noch bevor und sie hatte Angst davor. Aber gleichzeitig schloss sie auch ab mit dem Gedanken, etwas Schlimmes zu erleben. Ein qequälter Schrei drang von draußen in die leere Taverne, eine schwache Windbrise folgte und wirbelte Staub auf. Das war es wohl für Noel, den verdammten Vollidioten. Er hätte es machen sollen wie sie es geplant hatte - abhauen. Etwas klapperte ein paar Meter entfernt von ihr. Die Tür eines kleinen Schranks war sperrangelweit geöffnet, knatschte laut vor sich hin.
    Quietsch. Auf. Quietsch. Zu.
    Ihr gutes Auge fixierte die Tür.
    Quietsch. Auf. Quietsch. Zu.
    Langsam stand sie auf, die Kälte des Holzbodens übertrug sich auf ihre Fußsohlen, als sie barfuß zur Kommode schlich.
    Quietsch. Auf. Quietsch. Zu.
    Sie legte den Kopf schief zur Seite. Hatte sie die Tür nicht richtig verschlossen?
    Quietsch. Auf.
    Sie beugte sich herunter und kramte zwischen all dem Unrat der sich dort wohl über die Jahre gesammelt hatte die Maske der Schwester der Rothaarigen hervor, betrachtete sie eingehend, rubbelte mit dem Ärmel ihres Umhangs darüber um den Staub zu entfernen. Eine wahrlich feine Handsarbeit. Sie schien fast emailliert zu sein an der Vorderseite, sehr edel. Was diese Maske wohl für einen Nutzen für das Mädchen hatte? Grünlich-weiß schimmernd spiegelte sich Lumis Gesicht wider, gedankenverloren betrachtete sie das Kusntwerk, was sie mir-nichts-dir-nichts in die Kommode verbannt hatte. Ein mildes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, als sich schöne Erinnerungen vor ihrem Auge abspielten. Tänzerinnen, die auf der Durchreise waren, im Szábo-Lager ein paar Kilometer südlich von Vienna Halt gemacht hatten, vor dem Lagerfeuer tanzten als gäbe es keinen Morgen mehr, pumpende Rythmen gingen von den Tamborins aus, genauso wie eine mystische Aura um jede einzelne von ihnen. Eines Tages wollte Lumi genau so eine mystische Aura um sich herum haben, genauso um ein Feuertanzen, Wahrheiten predigen, Geschichten zusammenstricken aus fern erscheinenden Bildern auf Tarotkarten, mit einem angeleinten wilden Tier die Hauptstraßen passieren. Und jeder würde sagen: "Schaut euch mal diese Frau an.". Doch alles was sie jetzt hatte waren ein blindes Auge, Tolpatschigkeit, einen schrecklichen Umgangston, statt Wahrheiten kam nichts als Scheiße aus ihrem Mund heraus wenn sie wahrsagen wollte, statt eiens wilden Tiers blieb ihr nichts außer einem Hermelin, statt eines Lagerfeuers brannten nur ein paar Kerzen die mehr schlecht als recht den Raum erhellten,und statt einer Hauptstraße war es dieses gottverlassene beschissene Kuhkaff in welchem sie jetzt war. In einer beschissenen menschenleeren Taverne. Sie war den Tränen nahe, als ihr innerhalb von wenigen Sekunden all diese Sachen durch den Kopf schossen.

    Der Moment in dem sie kommen würden, sie zu holen.

    Quietsch. Auf.
    Und plötzlich spiegelte sich etwas anderes wider in der Maske. Eine Gestalt, groß, kam näher. Sie wirbelte herum und es war Pjotr, der in majestätischer Pose vor ihr stand. Von hier unten am Boden aus schien er hundert Meter hoch zu sein, die kurzen braunen Haare, seine Kleidung, alles schien pechschwarz zu sein außer den funkelnden Augen, die auf sie herunterblickten.
    Sie öffnete den Mund, doch es kam nichts heraus. Kein Schrei, kein Fluch, kein Hilferuf, nur ein lautes Einatmen, als sie die Maske fallen ließ und in der Hocke den Halt verlor. Der Rücken schemrzte, als sie mit etwas Wucht gegen die Kommode knallte, die Augen weit aufgerissen vor schierer Panik. Er war nciht heir um über Gott und die Welt zu reden. Er war hier, um ihr begreiflich zu machen, was Gott udn die Welt für ihn war. Und Gott war für ihn, sie mit einer Hand am Haarschopf zu packen, hochzuhieven und von sich aus nach links zu schleudern, wo sie mit dem Rücken voraus gegen die Bartheke knallte. Eine der Kerzen wurde von der Wucht nach hinten hin umgestoßen, landete am kaltfeuchten Boden, die Flamme erlosch mit einem lauten Zischen. Zwei Äpfel fielen von der Anrichte nach vorne hin herunter, einer landete auf ihrem Kopf, kam halb zerborsten am Boden an. Instinktiv kroch sie nach links weg, wollte Pjotr ausweichen, die Treppe hochlaufen, doch er war schneller als sie und griff ein weiteres Mal nach ihr, diesmal umschlossen seine Hände ihre Kehle, schnürten ihr die Luft ab. Er kniete neben ihr, in seinem Blick gleichzeitig Wut und Trauer, die in ihrer jetzigen Mischung puren Wahnsinn ergaben. Es gab nur eine Möglichkeit. Sie dachte darüber nach. Ob es klappen würde...Seine Hände lagen wie ein Holzbalken auf ihrem Hals, sie schnappte hektisch nach Luft, dann endlich mobilisierte die Kärfte die ihr noch blieben udn trat Pjotr mit einem gezielten Kniehieb zwischen die Beine. Er gab einen jaulenden Schrei von sich, doch ließ nciht ab. Als oncoh einer. Und noch einer. Bis er endlich nach hinten hin Arsch voraus auf den Boden fiel und im Fall zwei Stühle umwarf.

    Langsam rappelte sie sich auf, hustete, keuchte, atemte schwer, krallte sich am Rand des Tresens fest, um Halt zu finden, während Pjotr ebenfalls langsam wieder aufstand. Rudiger, der beschissene feige Fellball, war indes abgehauen, zumidnest lag er nciht mehr vor der Tür und war auch sonst nicht in der Taverne zu sehen. Aber... wo war...?
    Mit einem Mal flog eine kleine, schattige Gestalt von rechts ins Bild, laut knurrend. Djángo biss sich in Pjotrs Hals fest, während dieser unter lautem Geschrei verscuhte, das Tier zu fassen zu bekommen. Lumi hechtete derweil unkontrolliert über den Tresen, riss eine weitere Kerze um. Kein Zischen. Egal. Sie rannte in die Küche, durchwühlte jeden Schrank, jede Schublade, während Pjotr weiterhin laute Flüche von sich gebend mit dem wilden Marder kämpfte. Dann fand sie endlich ein Fleischerbeil, das sie unter Aufwendung aller Kräfte aus dem Fleischerblock zog. Schwer lag das Gerät in ihrer Hand, doch sie fühlte sich nun um einiges sicherer, um einiges selbstbewusster - ja das könnte...

    Ein lautes, gequältes Quietschen.

    Abrupt blieb sie stehen, als sie gerade um den Tresen herumrennen und Pjotr drohen wollte, lehnte sich geschockt an der Wand neben ihr an.
    Sein Fuß.
    Auf ihm.
    Er zuckte noch.
    Ein Tritt.
    Dann verließ ihren treuen Begleiter jegliche Lebenskraft, schlaff hing die Zunge aus dem Maul, blutunterlaufene Augen starrten ins Leere so wei sie vorhin.
    Sie schluchzte auf. "Nem...", entglitt es ihr. "Djángo..." Tränen schossen ihr ins gute Auge. Ob das andere tränte, wusste sie nciht, sie fühlte nichts. Bis eben konnte sie noch spüren, dass es da war. Er war... er ist... er...
    Langsam blickte sie vom toten Frettchen auf zu Peter, der sichtlich geschockt da stand und nicht genau wusste, was er sagen sollte. Hatte es ihn übermannt? Dieses Gefühl, was sie gerade übermannte?
    "Du hast gerade...", fing sie an, wischte sich die Tränen mit der bloßen Hand aus dem Gesicht, Trauer wurde ersetzt durch blanken Hass. "Du hast gerade..." Pjotr zog selbst etwas metallenes von seinem Hosenbund her. Ein Messer? Ein Dolch?
    "... dein Urteil des Todes unterschrieben du Kurafi!". Mit beiden Händen umfasste sie das Fleischerbeil, trottete dem braunhaarigen Mann entgegen. "Fogok kurva ölni! [Ich werde dich verdammt nochmal umbringen!]", flüsterte sie. Die drei Worte wiederholte sie, immer aluter werdend. Sie sagte es, sie wollte es eigentlich nicht. Oder doch?
    "Fogok kurva ölni!"
    Gleichzeitig Trauer und Wut.
    "Fogok kurva ölni!"
    Wahnsinn.
    "Ich bring dich um du Luminaten-Schwein!"

    Sie rannte los, das Fleischerbeil hoch über ihrem Kopf ausholend. Als es niederschmetterte, wich Pjotr bereits aus, stolperte seinerseits allerdings über einen Stuhl. Im Fall fing er sich, hielt sich fest an einem der Tische, den er als Wegsperre vor Lumi umwarf. Fast stolperte sie selbst, doch mit vorgehaltener Klinge fiel sie ihrem Mörder in spé entgegen, verletzte ihn am Arm, nur ein kleiner Streif. Er konterte mit einem gezielten Stich in den linken Oberarm. Heiß brannte Schmerz, punktgenau am dünnlichen Bizeps. Sie schrie auf, wirbelte mit dem Beil in der rechten Hand einige Male vor sich, zerhackte zwei Krüge die splitternd auseinander zu explodieren schienen. Währenddessen knisterte es hinter ihr, was sie zum Blick nach hinten animierte. Der Bereich hinterm Tresen stadn lichterloh in Flammen, tauchte dieses Schlachtfeld in ein rot-orange flackerndes Licht.

    Ich tanze ums Feuer.

    Diesen Moment der Ablenkung nutzte Pjotr, um sie mit einem brutalen Schlag ins Gesicht für ihre Nachlässigkeit zu bestrafen. Sie taumelte nach hinten, Kopf zuerst in den Kamin schmetternd, eine Platzwunde nach sich ziehend. Die zweite die sie sich in diesem verkackten Dorf eingehandelt hatte. Von der blutigen Lippe ganz zu schweigen. Pjotrs Sillhouette sah gegen das Feuer gesehen noch bedrohlicher aus als sie es ohnehin schon war. Er keuchte, atemlos, erschöpft, blickte sie stumm an. Dann steckte er den Dolch wieder ein, als wäre nichts gewesen.
    "Ey!", rief Lumi, als er sich umdrehte und die restlichen Kerzen umwarf. Einige fielen auf den Boden, zischten, erloschen. Doch andere fielen auf Leinentücher und Holzmöbel, erzeugten erst kleine, dann größer werdende Flammen.
    "Wir sind noch nicht fertig, Pjotr!", schrie sie, wollte aufstehen, hämmerte mit dem Kopf gegen den scheiß Kamin, sodass ihr Kopf wieder herunterdonnerte.
    "Ich verfluche dich! Deine Kinder sollen an was unheilbaren erkranken und sollen dahinsiechen während du nur zuschaust du verfickter...!", rief sie und hielt sich die Hände vor den Kopf vor lauter Schmerzen. Sie robbte danach mit den Füßen zuerst etwas nach vorne, während er weiter in Richtung der Tür schritt. Sie begann wieder zu heulen, während sie in ihrem Wahn nach dem Fleischerbeil griff, das neben ihr auf dem Boden lag. "Ich werde dich finden, ja?", flüsterte sie halblaut, während sie auf allen Vieren in Richtung der Tür kroch. Zum Aufstehen war sie zu schwach, zum Aufgeben zu wütend. "Dich und deine anderen Kumpels und..." Sie hustete stark, der Rauch bildete sich schneller als sie gedacht hatte.
    "PJOTR!!!", schrie sie ihm hinterher. Doch er war bereits verschwunden, da waren nur noch Flammen, Rauch, Chaos. Erste Holzbalken an der Decke fielen um sie herum. Es waren nur noch wenigen Meter. Mit letzter Kraft robbte sie zum Ausgang, konnte die Luft an ihren Fingerspitzen spüren so wie die Brandwunden die sie sich auf dem Weg hierher eingefangen hatte. Doch da war noch ein anderer Schmerz. Ein kleiner an der anderen Hand, die nun schlaff neben ihr lag. Sie drehte den Kopf herum.

    Er war sichtbar angeschlagen, humpelte allerdings für seine Verhältnisse halbwegs munter auf drei Beinen laufend auf sie zu. Tot spielen war schon immer eine sehr gute Eigenschaft von ihm gewesen.
    "Nicht totzukriegen!", flüsterte sie freudig erregt. Rumms. Ein weiterer Balken fiel hinter herunter, verfehlte nur knapp ihre Beine.
    Djángo wiederzusehen, schien sie fast mit neuen Kräften zu füllen. Sein rechtes Auge war blutunterlaufen, das andere blickte allerdings so hell wie nie zurück, als sie mit einem Grinsen auf dem Gesicht mit ihrer schlaffen Hand seinen Körper umfasste, sachte zupackte und sich wieder den Weg nach vorne bahnte, das Frettchen hinter sich her schleppend. Hinter ihr stürzte derweil die Decke ein, Funken schlugen, das Feuer schien alles zu fressen was nicht angenagelt war.

    Nur noch ein Stückchen...

    Als das Wirtshaus in sich zusammenbrach, humpelte die lädierte Zigeunerin einfach geradeaus in Richtung des Waldes. Sie fuhr herum, schaute auf die lichterloh brennende Ruine. Die Freude über Djángos Überleben (und ihr eigenes) war groß, doch gleichzeitig war sie erschöpft, traurig, erschüttert, deprimiert. Nur ein Gedanke von vielen konnte laut ausgesprochen werden in diesem Moment: "Tut mir leid, Brunhilda. Tut mir leid wegen Feuer." Dann stapfte sie barfuß in den Wald, der finster in ihre Seele zu blicken schien. Finsterer als jeder Lumianer in seinem Tötungsrausch, finsterer als die gesamte militante Christenheit zusammen...

    Ein Jahr und jede Menge Kilometer des Reisens später
    "... und als ich durch den Wald ging, so, das war wie - kurva szellemek. Scheiße Geister, ich schwör! Ich habe mich voll gefühlt wie wenn jemand mich beobachtet! Und ich bin sicher, so, da war mindestens ein so... kurva róka, so ein scheiße Fuchs, der ist mir voll gefolgt durch ganze scheisendreck Wald. Und diese scheiße Wald war so elendig lang, aber irgendwann, so, war ich in andere Kuhkaff und, ohne Scheiß, haben irgendwas erzählt von wegen...", sie pausierte kurz, um ihre theatralische Geste vorzubereiten. Mit beiden Händen formte sie einen riesigen Kreis in der Luft und sprach mit kieksender Stimme weiter. "VER-FICK-TE WERWOLFS, haver [Alter]! Ich nur so 'Waaaas?' und die nur so 'Ey, dings, hier wir haben voll Problem mit Werwolfs, so, hilf uns oh große Luminitsa!' - ich schwör, die waren elbaszta [im Arsch]!"
    Mit gespanntem Blick sahen sie fünf Kinder an, allesamt Cousins und Cousinen.
    "Und... hast du geholfen?", fragte ein kleines blondes Mädchen, ihre ältere Cousine väterlicherseits.
    Lumi pausierte und antwortete laut und stolz. "Was denkst du wohl? Ein albernes Feuer macht Lumi nicht tot, ein Typ mit Dolch macht Lumi nicht tot - bassza meg, Typ mit Dolch, Feuer, alles, nichts macht selbst Djángo tot!" Djángo gab ein leises Fiepsen von sich, während er sich in Lumis Schoß zusammenrollte. Er humpelte immer noch, allerdings war seine Wunde am Auge fast komplett wieder verheilt. Lumis Wunde am Arm war immer noch da, heilte einfach nicht ordentlich zu. Eine Narbe blieb dort, ebenso unter der Lippe. Sie betrachtete ihn kurz, schaute dann wieder auf und verkündete mit trockenem Ton: "Natürlich hab' ich nicht geholfen - teste Glück einmal, passt schon. Zweimal, voll mutig. Dreimal? Niemand ist so dumm und macht sich selbst in so Situation dreimal. Bin nicht unsterblich, weißt du?"
    "Und was ist mit denen im anderen Dorf passiert?", fragte ein kleiner Cousin. Lumi wollte nicht mit "Alle tot" antworten. Eine gute Geschichte hat entweder einen guten Schluss der alle losen Enden hübsch miteinander verknüpft, oder einen Schluss der die Zuhörerschaft nach mehr verlangen lässt. Dies galt sowohl beim Kartenlesen als auch jetzt, wo sie ihre Geschichte in extrem blumiger Form an ihre kleinen Cousins und Cousinen weitergab. Sie war froh, dass das Ende ihrer Dorfgeschichte sie nciht nach mehr verlangen ließ. Sie hatte abgeschlossen, vieles verarbeitet, vieles allerdings brachte sie dazu, mitten in der Nacht aufzuwachen und zu denken, Pjotr stände in der Tür, Dolch gezückt.
    "Weiß nicht, ich glaube sie gehen ihrem Scheiß nach wie immer...", antwortete Luminitsa mit einem Lächeln auf dem Gesicht, das schnell verflog, als die Hand ihres Vater sachte gegen ihren Hinterkopf schlug, was sie mit einem langgezogenen "Aaaaauuuutsch!" quittierte. János Luminitsa, ein stämmiger, breit gebauter Mann mit schulterlangen pechschwarzen Haaren und einem authoritären Blick sah zu ihr herunter und schüttelte nur den Kopf.
    "Lumi..."
    "Hey...", antwortete sie kleinlaut, als sie zu ihm hochschaute. Schnell setzte sie den Hundeblick auf.
    "Nein, nein, nein, Lumi! Kein Hundeblick! Ich hab' tausendmal gesagt du sollst nicht vor den Kindern soviel fluchen!"
    "Ich fluche nicht einfach nur so, ich benutze Fluchdings für sprachliche Wirkung und so'n Scheiß.". Wieder traf die Hand den Hinterkopf. "Aaaaauuuutsch!"
    "Nicht. Fluchen. Vor den Kindern!", rief er. Die Kinder schauten derweil perplex drein. "Wie oft muss ich es dir denn noch sagen, verdammte Scheiß-?" Er brach den Satz selbst ab und hielt sich die Hand vor den Mund.
    "Ach, also wenn du 'Scheiße' sagst ist's in Ordnung, aber wenn ich einmal eine Geschichte erzähle-"
    Er nahm die Hand wieder vom Mund und pöbelte lautstark zurück. "Kein 'Scheiße' vor den Kin-AAAAHHHH jetzt habe ich schon wieder 'Scheiße' ges-OH MANN daran bist du schuld!"
    "Kannst mich ja nochmal aus Familie verbannen wie das letzte scheiß Mal!"
    "Verdammte Scheiße, ich habe dir schon gesagt dass es mir leidtut dass wir dich vergessen haben!"
    "Das würde ich jetzt auch sagen!"
    "Scheiße, Lumi!", er machte mit beiden Händen eine abwinkende Geste. "Bassza meg, wir klären das nachher, ja?", rief er ihr im Gehen zu. Als er weit genug entfernt war, wandte sich Lumi wieder den Kindern zu.
    "Ich werde bis heute drauf bestehen dass sie mich wegen meines Namens ausgesetzt haben udn wegen der Sache mit Mama! Da lasse ich mir gar nicht reinreden!" Sie atmete entnervt aus. "Ich und mein Vater müssen uns noch richtig zusammenraufen... vielleicht könnt ihr uns ja dabei helfen, wo ihr schonmal hier angekommen seid, ja? Klingt gut?"
    Energisch nickten die Kinder, jedes ein Strahlen auf dem Gesicht.
    "Gut! Aber vorher könnt ihr ja Kosenga Lumi dabei helfen, was zu essen zu suchen damit wir nachher was leckeres kochen können für Onkel János!"
    Wieder kam energisches Nicken zurück.
    "Rendben! [Alles klar!] Auf geht's!"
    Sie sprangen auf und rannten vor in Richtung der Stadt. Vienna. Schon wieder. Ein paar Kilometer südlich von der schönsten Stadt die Lumi kannte - sie war schön, jetzt wo sie wusste, wie ein hässliches Dorf aussah. Langsam rappelte sie sich auf, bis sie nun stolz da stand. Der Umhang flatterte in der sanften Sommerbrise, Djángo turnte freudig erregt um ihre Beine, nur nicht mehr ganz so tobend und energiereich wie zuvor.
    "Komm' her!", sagte sie, bückte sich und hob das Frettchen hoch, um es in ihrem Beutel verschwinden zu lassen. Ein weiterer Blick auf die Stadt, die etwas weiter unten im Tal majästetisch erhaben auf sie heraufschaute. Sie hoffte so sehr darauf, hier bleiben zu können. Bis die Tänzerinnen zurückkämen. Ums Feuer tanzen mit all ihrer Mystique.
    "Hier wird es uns gutgehen, Djángo...", sagte sie mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Die Ereignisse im Dorf würden bald vergessen sein, wie Tränen im Regen. Und niemals wieder-

    Eines der Mädchen rannte zurück zu ihr, mit beiden Händen etwas hinter ihrem Rück haltend. Lumi beugte sich zu ihr herunter. "Was hast du da hinter dein Rücken, hä?"
    Grinsend hielt das Mädchen ihr das vors Gesicht, was sie-
    Grün-weiß.
    Emailliert.
    Edel glänzend.
    Lumis Gesicht widerspiegelnd, das nicht so recht wusste, ob es im Lächeln verharren oder sich verfinstern sollte.
    Vielleicht war das Brunhildas Art und Weise, ihre Entschuldigung anzunehmen, denn die Maske wirkte fast völlig unversehrt. Immer noch lächelnd und mit ruhiger Tonlage fragte sie ihre Cousine, wo sie das denn herhätte. Sie zeigte nur mit ausgestrecktem Arm auf jemanden, der Lumi bekannt vorkam.

    Jemand, an den sie erst vor kurzem wieder gedacht hatte.

    Sie lächelte nun noch breiter, noch freudig erregter, in ihrem Auge schien es zu blitzen. Vielleicht war es auch nur eine Illusion. Aber wenn, war es eine wunderbare.

    "Was hat Djángo dir diesmal geklaut...?"

    Geändert von T.U.F.K.A.S. (11.04.2013 um 20:36 Uhr)

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