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The Big Guns
"Verfickte Scheiße!"
Unter lautem Scheppern zerbrach ein halbvoller Krug an der Wand.
"Nichts. Was. Ich. Mache. Bringt. Irgendwas!" Bei jedem Wort flog ein weiterer zufälliger Gegenstand durch die Taverne, während Tränen an ihren Wangen herunterkullerten, manchmal wild von ebenjenen flogen und leise platschend auf dem Boden landeten, unhörbar für Lumi, die in völlige Rage verfallen war. Sie schnappte nach einem Eimer und hielt ihn unter den Zapfhahn des Dünnbierfasses, was Brunhilda erst gestern angebrochen hatte, füllte ihn zur Hälfte und setzte ihn an. Einige kräftige Schlücke später landete auch der halbvolle Eimer in der Mitte des Raums und der Restinhalt ergoss sich schäumend am Boden. Mit Trauer und lange unterdrückter Wut in der Stimme machte sie ihrem Ärger Luft, äffte Horst nach, torkelte halbtrunken zwischen den Stühlen herum und hielt dabei wahrscheinlich das gesamte Dorf wach.
"Nun, ich glaube Brunhilda ist eine Lumianierin weil ich habe Ahnung!", dann Noel. Der verkackte Noel. "Nem, nem, nem - IIIIICH habe Ahnung und lege Einspruch ein und änder' mein Meinung weil ich KEINE BESCHISSENEN EIER HABE!!!", sie rannte zur halboffenen Tür und brüllte es noch einmal hinaus in die Nacht: "Hörst du das, du Kurafi [•••••••••]? Fick dich Noel, ja? Dich soll der Blitz beim Scheißen treffen! Und den blöde Horst gleich mit, ja?!" Sie zog mit Schmackes die Tür zu, das laute Donnern hallte in den Gassen wider. Sowohl Rudi der doofnaive Hund als auch Djángo schienen sie wie von Angst erstarrt anzusehen und gaben keinen Ton von sich, während die Ungarin das komplette Möbiliar auf den Kopf stellte.
Schlaff ließ sie sich in einen der wenigen Stühle fallen, die sie noch nicht durch die Gegend geworfen hatte, emotionslos "Miért? Miért, Brunhilda? [Warum?]" von sich gebend, ins Leere schauend. Meretes Tod war traurig, ja - aber Brunhildas Tod hatte Lumi das Herz gebrochen. Jetzt gab es wirklich keinen guten Grund mehr hierzubleiben. Und die Taverne hatte sie ihr auch noch vermacht. Verdammt.
"Ich zieh' einfach Preise an für alle Rothaarigen, dann verdien' ich mir goldenes Nase...", murmelte sie halblaut, blinzelte langsam. Das gesamte dorf hatte sich gegen die Frau gestellt, die niemals auch nur im Ansatz irgendetwas Böses an sich hatte. Und wenn das heir so endete wie...
Wie vor wenigen Tagen...
... dann würde am Ende niemand übrigbleiben. Das war doch der Sinn oder?
Nicht gläubig genug oder zu gläubig. Gibt kein Dazwischen.
Sie nickte mit dem Kopf auf dem Tisch ein. Die Vorratskammer war bereits aufgeschlossen, somit konnten zumindest weder Djángo noch der blöde Hund verhungern. Sabber lief ihr aus dem Mundwinkel auf den Tisch. Die Schwärze vor ihren Augen verwandelte sich in Bilder, die rasend schnell an ihr vorbeizogen.
Ein blutiger Dolch.
Ein Kruzifix in den Boden gemalt.
Ein blondes Mädchen, das gerade 17 geworden war.
Eine Notiz.
"Deus lo vult"
Drei Tote innerhalb von zwei Tagen.
Und sie haben sie verjagt.
Nach all den Jahren vertreibt der Szábo-Clan die Tochter des Anführers.
Ihr Vater.
Gebrochen.
Ihre Mutter.
Dolch im Herzen.
"Deus lo vult".
Zigeunerhetze als Sport seit fast einem Jahrhundert.
Die Kirche.
Die Christen.
Und ihre militanten Söhne und Töchter.
Und das Mädchen mit dem verfänglichsten Namen vertreiben sie weil sie denken sie wäre...
"Luminitsa heißt 'Die Erleuchtete'. Wir haben dich so genannt, weil durch dich etwas wiedererweckt wurde, was unserer großen Familie lange fehlte. Lumi - meine Kleine. Du wirst immer leuchten. Immer. Und niemand wird dir jemals dieses Leuchten wegnehmen können, egal wie oft sie auf dir rumhacken wegen deines Auges. Egal, wie oft sie dir böse Namen geben. Egal, wie oft sie dich, mich oder deine Mama durch den Dreck zu ziehen versuchen - du bist eine waschechte Szábo. Stolze Verfechter der militanten katholischen Kirche rund um Budapest seit mehreren Generationen. Und ich habe dir hier jemanden mitgebracht, damit du stets daran erinnert wirst, wieviel du mir - uns bedeutest. Sag' hallo zu... hm, wie willst du ihn nennen?"
"Ich... ich... ich weiß nicht, ich..."
"Oh, entschuldige - überrumpeln wollte ich dich jetzt nicht mit all der Scheiße, ich meine..."
"János! Du sollst vor ihr verdammte Scheiße nochmal nicht fluchen!"
"Ich... ich hab' verdammte Scheiße nochmal nicht vor ihr geflucht! So einen Scheiß würde ich niemals machen, Schatz, das weißt du!"
"János! Stell das 'Scheiße' vor ihr ein! Sie ist erst zehn Jahre alt!"
"Lumi hat bis sie drei war gedacht, dass 'Scheiße' ihr Name wäre! Es war ihr erstes Scheißwort, verdammte Scheiße!"
"János!"
"Ágnes! Du zerstörst gerade einen Scheiße nochmal wichtigen Moment in ihrem-"
"Djángo."
[peinliche Pause]
"Djángo. Klingt gut, oder?"
"Wo hast du das Wort aufgeschnappt?"
"Oma Csilla hat mir davon erzählt - es heißt sowas wie 'Ich erwache' oder so. Aber er klingt wunderschön für einen Marder, oder?"
"Ja. Haha, ja, das klingt wunderbar, Lumi! Das ist der perfekte Name für den kleinen Racker! Djángo. Hörst du das, Ágnes? - Djángo!"
"Ja, das klingt wunderschön!"
Und dann ließen sie sie Jahre sptäer einfach so zurück, ohne eine Spur zu hinterlassen, ohne einen Grund.
Es war nicht ihre Schuld, dass Mama starb.
Mama starb weil irgendjemand es so wollte, weil irgendjemand, irgendwer...
Kruzifix in den Sand gemalt.
"Deus lo vult".
Dolch in ihrer Brust.
Zwei aufgeknüpft am Apfelbaum.
Angst.
Schrecken.
Eine Welle aus Tod und Verderben zieht über sie hinweg auf der Flucht vor der Kirche.
Blendet.
Tritt einem kleinen Kind solange ins Gesicht bis sie links nichts mehr sieht.
Lässt ihre Familie denken sie wäre...
Verflucht.
Dolch in ihrem Herzen.
Kruzifix gemalt in ihre Gedärme mit einer heiß brennenden Klinge, die "Ketzer" schreit.
Karten zinkt.
Verteufelt.
Mordet.
"Deus lo vult".
"AH!"
Schweißgebadet erwachte sie, mitten in der Nacht, nur von einem vor ihr auf dem Tisch schlafenden Djángo und dem hundsdummen, vor ihr auf dem Boden liegenden und laut hechelnden Rudiger geäugt.
"Traum. Nur ein Traum.", beruhigte sie sich selbst, wischte sich Speichel vom Mund und Schweiß aus ihrem Gesicht und zog den ebenfalls schweißgebadeten Umhang aus, um ihn zum Trocknen über die Bartheke zu werfen. Jetzt war sie zwar nur in weißem Leibchen und schwarzem kurzen Rock gekleidet, aber im Moment war eh egal, was sie tat. Sie würde zu dieser ganzen Sache nur noch dazu beitragen können, dass noch mehr Leute die nichts verbrochen hatten sterben würden.
Sie würde heute nacht nicht mehr schlafen. Stattdessen begann sie, langsam mit einem Besen und akkuter Hyperaktivität bewaffnet die Taverne wieder aufzuräumen, die sie so zugerichtet hatte.
Geändert von T.U.F.K.A.S. (04.04.2013 um 18:31 Uhr)
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