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Thema: Das Dorf Gottes 2-Tag 2

Baum-Darstellung

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  1. #30
    Ohne dass Luise darauf geachtet hatte, waren immer mehr Menschen in das Wirtshaus geströmt.
    Alle hatten Noels dramatische Rede mit angehört. Peter fragte Luise von der Seite, ob sie etwas über Tyrells Gesundheit wusste.
    Doch ehe sie eine Antwort geben oder Stellung zu Noels Verdächtigung beziehen konnte, kam auch schon Brunhild angelaufen, um die alten, besudelten Kleider über Noel auszuwringen. Fassungslos schüttelte Luise den Kopf. Dass Brunhild zu solchen Maßnahmen griff und dann auch noch einen Gast wegschickte, war ein seltener Anblick. Um genau zu sein hatte Luise eine derartige Reaktion von der herzlichen Wirtin noch nie erlebt. Was auch immer Noel getan hatte, es musste ihr wirklich ein Dorn im Auge gewesen sein.
    Und schon ging es los. Brunhild sprach ihren Verdacht gegen Ross aus. Lumi machte grinsend einige obszöne Witze über Noels Zustand und schloss sich Brunhilds Nominierung an, wobei sie ihre anscheinend aus den Karten las. Und dann erhob Noel, um nun Ross zu verteidigen - und seine Stimme zurückzunehmen, um Brunhild des Lumianerseins zu beschuldigen. Ross konterte Brunhilds Anschuldigung ebenfalls, indem er ihr selbst seine Stimme gab.
    Und die ganze Zeit saß Luise nur still daneben und beobachtete teilnamslos das Geschehen. Es war nicht so, dass sie irgendeinen bestimmten Verdacht hatte. Jeder aus diesem Dorf konnte es sein.
    Jeder Dorfbewohner hatte Luise das ein oder andere Mal einen Dienst erwiesen. Jedem hatte sie schon das ein oder andere Mittel gegen Husten oder Kopfschmerzen oder Schlafstörungen empfohlen. Jeder war wichtig. Jeder war etwas Besonderes – ein Teil der Gemeinde. Dennoch musste irgendjemand ein falsches Spiel treiben.
    Und jetzt da Maria und Konrad, die beiden Menschen, denen Luise voll und ganz vertraut hatte, verschwunden waren... wer blieb nun übrig?

    Noel
    mochte versichern, dass er nur ihr bestes wollte. Aber die Tatsache blieb, dass er allen anderen gegenüber ein ablehnender, ketzerischer... ihr fiel kein passendes Wort ein... war.
    Brunhild war immer eine gutmütige Wirtin, die eigentlich nur ihren Hund - und nun auch Noel - grob behandelte. Sollte sie etwa zu solch grausamen Morden fähig sein? Dazu auch noch in ihrem eigenen Haus?
    Viktoria? Die junge Frau war immer still und zurückhaltend. Tat immer wie von ihrer Mutter geheißen. Verbarg sich etwas Dunkles hinter diesem braven Gesicht? Oder konnte womöglich genau dieses Gesicht mörderische Intentionen verbergen? Als Maske dienen, weil niemand sie verdächtigte?
    Lumi, das fremde Mädchen mit dem seltsamen Akzent und der alles andere als damenhaften Ausdrucksweise. Die ihre Zukunft aus Karten las. Das machte sie natürlich überaus verdächtig. Aber, ähnlich wie bei Noel, war Luise sicher, dass die Lumianer nichts derart offensichtliches tun würden.
    Peter? Der ruhige Bauer, welcher sich immer um seine Familie kümmerte? War seine häufige Abwesenheit ein Zeichen dafür, dass er heimlich ein blutrünstiger Sektenanhänger war?
    Andererseits müsste Selbiges auch für Patricia gelten. Die unheimliche, schweigsame Frau in der Rüstung, welche man nur äußerst selten zu Gesicht bekam. Und die definitiv über die Kraft verfügte, einen Menschen zu erstechen und wegzuschleppen. Und auf ihrer roten Rüstung würde man Blutflecken kaum sehen.
    Aber, wie Noel gesagt hatte - Tyrell hatte sich während der letzten Tage kaum blicken lassen. Dennoch war Luise sicher, dass er einfach kränkelte. Oder sich nach all dem Auffruhr lieber mit einem Buch zurückgezogen hatte.
    Und Ross... Ross war in der Tat verdächtig. Seit er Hauptmann war, gingen die Dinge bergab. Und warum sollten die Lumianer jemanden in seiner Machtposition am Leben lassen, der keiner der Ihrigen war? Womöglich hatten sie seine Exekution aber einfach aufgeschoben - um erst Schwester Maria, mit ihrem friedlichen Einfluss auf die Gemeinde zu beseitigen.
    Und dann war da noch...

    Luise erhob sich leise. Sie hasste den Gedanken, jetzt vor der Menge zu sprechen. Aber ihr blieb keine Wahl. Brunhild wollte sie nicht anklagen. Sie konnte - wollte - nicht glauben, dass diese mütterlich-fürsorgliche Wirtin eine blutrünstige Ketzerin sein sollte. Genausowenig wollte sie aber Ross nominieren, ohne sicher zu sein. Doch wie die Dinge momentan liefen, würden sich die Erwachsenen weiter zerreißen und am Ende des Tages würden entweder der frischgebackene Hauptmann oder die gutmütige Wirtin baumeln.
    Als Luise ihre Stimme erhob, blickten viele verwundert in ihre Richtung. Womöglich lag es daran, dass das Mädchen noch immer sehr ruhig und emotionslos sprach, konträr zu ihrer sonstigen unbedarften Scheu.
    "Bitte... haltet einen Moment inne!" Auch der Befehlston passte nicht zu ihr. Es klang fremd aus ihrem Mund. Aber was machte das schon? Luise hatte nach dem heutigen Tage nichts mehr zu verlieren. Vielleicht war dieses Bewusstsein auch der Grund, warum Luises Stimme frei von stottern blieb. Warum ihre Bewegungen steif anstatt zittrig und ihr Gesicht reglos anstatt ängstlich waren. "Gestern haben viele von uns einen Fehler gemacht, indem wir Merete gewählt haben. Viele haben auch sich selbst gewählt. Ich kann das verstehen... ich selbst wollte das zuerst auch tun. Immerhin war gestern auch noch nichts geschehen. Niemand war verletzt, alles was wir hatten war eine seltsamen Drohung. A-aber heute... heute i-ist es anders." Ihre Stimme erstarb und ihre Augen verdunkelten sich. Aber es gelang Luise, die Tränen von Wut und Trauer zurückzuschlagen und fortzufahren:
    "Zwei wichtige Menschen haben unser Dorf verlassen. Und ich glaube... nein, ich bin mir sicher, dass die von allen geliebte Maria, zu der jeder tiefes Vertrauen hegte... dass sie genau dieser Zuneigung wegen ermordet wurde. U-und deshalb b-bin ich sicher, dass R-ross in seiner Machtposition und mit seiner Beliebtheit das nächste Opfer bilden wird.
    F-falls er unschuldig ist...", fügte sie fast unhörbar leise und untypisch bitter hinzu. "A-aber das tut jetzt nichts zur Sache. W-was ich sagen wollte ist, dass nun jedem klar ist, was auf dem Spiel steht."
    Mit zittrigen Händen legte Luise die Hand auf das silberne Kreuz um ihren Hals. "Maria mag nicht mehr unter uns weilen... aber jeder spürt den Verlust. U-und ich glaube, dass jedem daran gelegen ist, den Schuldigen zu finden. D-deshalb wird wahrscheinlich jeder U-unschuldige jemanden nominieren." Sie schluckte schwer. Das war der einfachste Teil gewesen. Das Schwere kam nun. "A-ber heute hat jemand trotz allem sich selbst gewählt. Jemand, der g-gestern für einen o-offensichtlichen Sündenbock, nä-nämlich Noel gestimmt hat. D-deshalb glaube ich, dass Rekon (Ocin) ein Lumianer ist, der versucht seine Hände in Unschuld zu waschen und gleichzeitig unsere Fortschritte zu behindern."
    Ohne ein weiteres Wort trat Luise zurück. Sie schloss die Augen, legte die Hand auf Marias Kreuz und atmete tief ein und aus.
    Bitte! Mach, dass meine Entscheidung die richtige war. Ich will keinen weiteren Unschuldigen seines Lebens berauben...

    Geändert von Zitroneneis (03.04.2013 um 17:27 Uhr)

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