Vom Regen bis in alle Poren durchnässt sah Brunhild zu, wie Marias sterbliche Überreste in Gottes heiligen Acker beigesetzt wurde. Rekon hatte gerade das Grab ausgehoben, als vom Kloster her sämtliche Nonnen und Mönche herankamen, um die nonnigste unter ihnen zu verabschieden. Bruder Justus schloß als Letzter auf und hinkte merkwürdig. Ihre Blicke trafen sich und in den Augen des Mönches blitzte einen Moment Grimm und Verachtung auf, ehe er sich von der Wirtin abwandte.
Das verwirrte sie. Weshalb hatte er ihr gegenüber auf einmal solch eine Abneigung? Ob es an den Bieren lag, die er gestern zusammen mit Konrad gehoben hatte und ihn heute verkatert aus dem Bett stiegen haben lassen? Es schien ihr die einzig logische Erklärung, auch wenn sie sich da keine Vorwürfe machen lassen würde. Sie konnte schließlich Nichts dafür, wenn ein Mönch, gerade während der Fastenzeit, auf seine Enthaltsamkeit pfeift…
Der Regen schien nicht enden zu wollen. Es war, als ob Gott selbst auf die Erde darnieder Tränen um seine so treue Nonne schickte. Der Priester endete gerade seine Abschiedspredigt, sie bekreuzigte sich mit allen Anderen.
Brunhild wandte sich zum Gehen. Träge schmatzten ihre Schritte durch den Schlamm. Wie sollte man weitermachen? Man konnte doch nicht einfach den alltäglichen weiter nachgehen, als wäre Nichts geschehen oder als würde einen der Tod kaum kümmern. Doch was war die Alternative? Sollte man sich hinhocken, starr vor Trauer, Angst und wachsender Verzweiflung und darauf warten, dass man selbst mit einem Dolch im Herzen auf dem Dorfplatz gelegt wird? Auf dem Dorfplatz hielt gerade Ross eine kleine Ansprache und bezichtigte Peter, bereits zur Mittagsstunde. Er schien die Abstimmung wohl nicht bis zum Abend abwarten zu können.
Und das war wohl der einzige Weg. Auch wenn sie Schande über sich bringen würde, musste die Wirtin doch abstimmen, damit es wenigstens etwas Hoffnung gab. Hoffnung, das weitere Morden zu stoppen. Sie musste durchhalten, musste stark ssein für die Anderen. Unnütz rumsitzen würde auch nicht helfen. Dagegen zu wirken würde sie gleich anfangen. Mit geballten Fäusten stapfte sie durch den aufgeweichten Boden auf den großen Wasserkübel bei den Ställen zu, mit denen die Pferde immer getränkt wurden.
Dort angekommen stellte Brunhild verwundert fest, dass Kobold nicht da war. Bommel wieherte ihr zu und stubste sie hungrig an. Konrad konnte unmöglich noch auf seinem Wanderritt sein. Ob ihm etwas im Wald zugestoßen war, ging es ihr fröstelnd durch den Kopf, während sie den braunen Wallach fütterte und putzte. Von den wilden Tieren könnte er angefallen worden sein und nun schwerverletzt daliegen, weil ihm Kobold durchgegangen war oder noch Schlimmeres!
Nein, das durfte sie garnicht denken, die Situation im Dorf ließ sie gleich den Teufel an die Wand malen. Vielleicht war er nur in die nächste Stadt geritten, um Beistand und Hilfe für sie alle zu erflehen, deswegen war er auch schon in den frühen Morgenstunden aufgebrochen. So musste es sein! Sie durfte nicht verzagen, musste vorwärts blicken…
Mit einem letzten Klaps auf Bommels Kruppe verließ sie die Stallungen, den Kübel im Schlepptau in Richtung Brunnen. Ihr Haus war immernoch befleckt vom reinen Blut der verblichenen Maria und sie könnte es nie wieder betreten, wenn es so bliebe. Allein beim Gedanken an ihr (nun ehemaliges) Schlafgemach schauderte es ihr und schnell bekreuzigte sie sich, bevor sie das Wasser aus dem tiefen Schacht schöpfte.
Schwer beladen wankte sie in’s Wirtshaus und warf sich gleich die durchnäste Heuke vom Leib. Ein übler Geruch nach verbranntem Mehlbrei stieg ihr in die Nase. So hastete sie schnell zu der Feuerstelle und hob den Kessel mit der nun schwarzen Masse an, um ihn gleich darauf draußen vor die Tür zu stellen. Dort störte der Gestank nicht weiter und der Regen konnte schon erste Spülarbeiten verrichten.
Noch immer war von Rüdiger keine Spur, etwas wie Sorge um ihn machte sich in ihr breit. Merkwürdig, wo sie doch eigentlich froh sein müsste, wenn er endlich aus ihrem Leben verschwunden war….
Sich einredend, dass sie sich sicherlich nicht um den alten Flopelz sorgte, sondern nur vor Hunger Magenschmerzen bekommen hatte, holte die Wirtin ihre Schrubbbürste und ein Stück Seife hervor, von welcher sie einige Späne in das Wasser schnitt. Nach kurzem Überlegen machte sie sich auf zur Treppe, es wäre besser, wenn sie das Schlimmste gleich hinter sich brächte, auch wenn der Schankraum den abendlichen Gästen wegen auf jeden Fall wieder sauber werden musste.
Mühsam hiefte sie den schweren Kübel nach oben, den Blick auf ihre Füße gerichtet, um nicht auf den abgetretenen Stufen auszurutschen. Oben angekommen stellte sie ihre Last zum kurzen Verschnaufen ab und wollte sie gerade erheben, um die müden Knochen zu strecken, als sie die zwei Gestalten vor ihr erblickte.
Mit einem erstickten Schrei zuckte sie zusammen, machte einen Satz nach hinten und stieß dabei den Kübel an, der gefährlich schwapperte. Gegen die Wand gepresst fasste sie sich ans Herz und ging die beiden Eindringlinge an:
“Heilige Maria und Joseph, was fällt Euch ein, durch fremde Häuser zu schleichen wie die Diebe?! Das Wirtshaus hat erst abends geöffnet, ganz sicher aber noch nie zur Mittagsstunde! Und selbst wenn es geöffnet wäre, habt ihr Nichts hier oben zu suchen!!! Hinausprügeln müsst ich Euch, jawoll!“
Keuchend und den Schreck noch immer in allen Gliedern spürend klärte sich ihre Sicht soweit, dass sie die Gestalten als Noel und Luise erkennen konnte, die auf dem Dorfplatz vorhin so turtelnd voreinander gestanden hatten. Schnell legte sich die erredete Rage und sie winkte ab.
Ach, verzeiht, es ist nur… der heutige Tag ist wie verhext. Heute in den frühen Stunden glaube ich von diesen Sektenheinis heimgesucht zu werden, und hätte beihnahe den guten Konrad erschlagen; dann werde ich von diesen Gottlosen heimgesucht, ohne es zu merken und sie nehmen Maria mit sich, obwohl sie mich wollten…, mit einer Geste wies sie in das Blutkabinett hinter den beiden, doch an Luischens Miene konnte sie ablesen, dass sie es bereits gesehen hatten,…und jetzt schleicht ihr Euch hierein und ich dachte schon, jetzt sind sie wiederhekommen, um mich zu holen, bei hellichten Tage, um nicht nochmal zu fehlen…Ich glaube, ich bin bereits zu alt für das Alles…“
Seufzend lehnte sie sich gegen die Wand und wischte sich den Angstschweiß von der Stirn.