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Thema: Das Dorf Gottes 2-Tag 2

Baum-Darstellung

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  1. #13
    Szenentheme:
    http://www.youtube.com/watch?v=e9rMt-xtaxM

    Vom Regen durchnässt stand Noel Luise gegenüber, die sich jetzt ebenfalls wieder erhoben hatte und ihn mit einem Blick ansah, den er bisher nicht kannte. Dann lächelte sie erbärmlich und flüsterte ihm etwas zu.
    "Wir beide... wir sind uns gar nicht unähnlich.
    Du verstehst es, nicht wahr? Du hast auch jemanden verloren."


    Sie versuchte, zu lachen. Weinte immer noch nicht. Aber sie wollte es, das war mehr als offensichtlich. Die Regentropfen, von denen sich jeder Einzelne so schwer anfühlte wie ein reiner Saphirdiamant, kleideten die beiden gleichsam verwarlosten Gestalten in einen Umhang aus glänzenden Wasserfällen, als Noel, wie so oft einem Affekt folgend, seinen Verstand ausschaltete, auf Luise zuging und seinen Arm um sie legte. Stumm setzte er seinen Kopf auf den ihrigen und streichelte mit seiner anderen Hand behutsam ihre durchnässten Haare.
    "Es ist in Ordnung, kleine Elfe.
    Menschen weinen, wenn sie jemanden verlieren. Das ist... vollkommmen normal. Tu es einfach, wenn dir danach ist. Schau, ich stehe jetzt vor dir, es wird nicht einmal jemand sehen und durch den Regen auch nicht hören. Es ist in Ordnung. Danach wird es dir besser gehen. Das ist kein Zeichen von Schwäche, im Gegenteil. Letztendlich können nur Menschen weinen, die zu ihrer Schwäche stehen und Verluste akzeptieren.
    Ich habe... nie geweint. Nicht ein einziges Mal. Ich habe nicht geweint, als meine geliebte Mutter vor meinen Augen brutal vergewaltigt und abgeschlachtet wurde. Und auch nicht danach.
    ...Ich habe es mein Leben lang bereut. Die Tränen, die ich damals hätte vergiessen können, flossen in mein Inneres und wurden mehr und mehr zu einem widerlichen, schwarzen Klumpen Hass. Du hast jetzt die Chance, zu weinen. Nutze sie."


    Still nahm Luise hin, dass der junge Bibliothekar sie einfach so in die Arme schloss. Es war ihr nicht unangenehm.
    Im Gegenteil, seine Wärme war ihr ein Trost.
    Seine Stimme war bar jeder Verachtung und jeden Spottes. Luise war sicher, dass er wusste, wovon er sprach. Dass seine Worte von Herzen kamen. Weil auch er Verluste erlitten hatte.
    Doch Luise konnte nicht weinen. So sehr sie es auch wollte, keine Träne rollte über ihre Wange.
    Weinen hieß Loslassen. Die Löcher akzeptieren, welche Konrad und Maria zurückgelassen hatten. Die Gefühle von sich stoßen und all die gemeinsame Zeit zu verschwommenen Erinnerungen verkommen lassen.
    Sie war noch nicht so weit.
    Für eine Weile wollte Luise noch die Schatten der beiden spüren.
    "Ich kann nicht." Sanft löste sie sich von Noel, hielt nur seine Hand sanft fest. Mit dem traurig scheiternden Versuch eines dankbaren Lächelns blickte sie ihn an. "Danke... danke für deine freundlichen Worte... und für alles andere." Sie senkte den Kopf. "Aber... ich kann die beiden nicht loslassen. Noch nicht. Vielleicht... bestimmt wird es eines Tages soweit sein... und dann werde ich weinen." Ein wenig leiser fügte sie hinzu: "Und... mich würde nicht stören, würdest du es sehen." Sie blickte ihm wieder in die Augen. "Kannst du das verstehen?"

    Noel lächelte nicht, hielt einfach ihren Blick.
    Er hatte die kleine Elfe gerade umarmt und was sie zu ihm gesagt hatte... unter anderen Umständen wäre es für ihn das Glück auf Erden gewesen. Aber nun fühlte es sich seltsam... bedeutungslos an.

    "...ja. Ich verstehe, kleine Elfe."

    Noel ging in die Hocke, um mit Luise auf einer Augenhöhe zu sein, bevor er leise flüsterte, so nur sie seine Worte vernehmen konnte.
    "Konrad war ein großartiger Mann, nicht?
    Letztendlich... hat er sogar meinen Respekt gewonnen. Wenngleich ich seine Flucht nicht voll verstehen kann... ich nehme mir nicht raus, über ihn zu urteilen.
    Trauere auf deine Weise, Luise. Ich werde auf die meinige trauern."

    Nun lächelte Noel leicht, versuchte, die Kälte aus ihrer Seele zu treiben.
    "Aber verliere dich nicht in den bodenlosen Tiefen und den allesverzerrenden Schmerzen deiner Trauer. Sonst wirst du, ehe du dich versiehst, zu einer dämonischen Bestie, wie ich eine bin. Das werde ich nicht zulassen."

    Stumm sah Luise Noels Lächeln. Wollte es erwidern. Wollte ihm sagen, dass sie bestimmt nicht zu einer Bestie werden würde.
    Doch beides würde nicht wirklich ehrlich sein.
    Kein Lächeln wollte sich auf ihren ausgekühlten Lippen ausbreiten.
    Und eine Bestie war sie doch schon längst. Keine Elfe. Gott hatte Recht gehabt, sie mit diesem roten Haar zu zeichnen.
    Es war auch ihre Schuld gewesen, dass Merete unschuldig hingerichtet worden war.
    Weil Luise lieber die Meinung anderer übernommen hatte als selbst Verantwortung zu übernehmen.
    Und damit womöglich andere darin bestätigt hatte, ihrem Beispiel zu folgen.
    Was schließlich wahrscheinlich auch zu Marias Ermordung geführt hatte. Denn was konnte gefährlicher für die Lumianer sein, als eine Dienerin Gottes, der so viele Menschen vertrauten?
    Vielleicht war Konrads Verbannung auch eine weitere Strafe für Luises Fehltritt gewesen.
    Doch das alles bedeutete nicht, dass sie nun einfach aufgeben und sich dem Bedauern hingeben würde
    Fest blickte sie dem Bibliothekar in die Augen und sprach ruhig: "Mein Schmerz wird mich nicht verschlingen. Ich... ich werde ihn ertragen, bis ich für meine Fehler gebüßt habe. Und dann... dann werde ich loslassen können." Das Lächeln was sie ihm nun schenkte war um keinen Deut fröhlicher als die vorherigen. Aber es war zumindest einen Hauch selbstsicherer.
    "Ich... ich möchte dir noch einmal danken. Du bist sehr... großzügig und freundlich." Sie zögerte einen Moment, bevor sie fortfuhr: "Ich weiß nicht, warum du so sehr für mich sorgst... oder warum du so eine hohe Meinung von mir hast. Von einem ängstlichen Kind wie mir...mit solch teuflischem Haar..." Ihre Stimme ebbte ab. Eigentlich wollte sie diese Gedanken nicht nach außen tragen. Wollte die Welt nicht noch mehr auf ihr abstoßendes Haar aufmerksam machen. Doch nun war es ihr herausgerutscht. Und sie musste zurückdenken, an Noels allererste Worte an sie... deren Bedeutung sie bis heute noch immer nicht verstand.

    Noel lächelte weiter. Er wusste, was er ihr nun sagen würde.
    Seltsamerweise war er kein bisschen aufgeregt, sein Herz schlug vollkommen normal.
    "Es war jener Tag vor zwei Jahren... da ich dein wundervolles, rotes Haar das erste Mal sah."
    Auch wenn er versucht hatte, Luise' in die Augen zu sehen, sank sein Blick
    unsicher zu Boden.
    "Du bist ein wundervoller Mensch, kleine Elfe, und du hast wunderschönes Haar, Hör auf, dich dafür zu hassen.
    Ich weißt nicht... ich glaube, es dauerte einige Wochen. Es dauerte einige Woche, bis ich begriff, was ich für dich empfinde."

    Stumm lächelnd sah er ihr wieder in die Augen. Noel entschloss sich, es nicht direkt auszusprechen. Es war überflüssig, und gerade war ohnehin nicht der Zeitpunkt für solcherlei Gefühle.
    "Du bist mir sehr wichtig, Luise... mehr als Irgend etwas Anderes. Ich habe Konrad geschworen, dich nicht mehr zu belästigen, aber.." , seine Augenbrauen zogen sich schmerzhaft zusammen, "ich muss diesen Schwur brechen. Ich weiß nicht, ob ich der Richtige bin, um dich zu beschützen, kleine Elfe... aber ich mache es, weil ich es so will. Lass mich an Konrads statt dein Halt sein und dir einen Teil deiner Trauer und deines Schmerzes abnehmen. Würdest du das... akzeptieren?"
    Sich unsicher zu einem Lächeln zwingend, hatte Noel es ausgesprochen.
    Die beiden waren vollkommen vom Regen durchnässt, es schüttete so laut, dass man sein eigenes Wort nicht verstehen konnte. Und doch, so schien es Noel und Luise, war es friedlich still.

    Luise konnte kaum glauben, was sie da hörte.
    Wie konnte es sein, dass jemand solch starke Gefühle für sie empfand? Dass sie ihm wichtig war, ohne dass er sie vorher gekannt hatte?
    Dass er ihr Haar mochte?
    Erst jetzt kam ihr in den Sinn, dass er seinen ersten Satz ernst gemeint hatte. Dass er ihre Haare tatsächlich schön fand.
    Sie wusste nicht, was sie auf seine Worte erwidern sollte.
    Ihr rotes Haar war abstoßend. Rot wie das Feuer der Hölle. Ein Merkmal der Hexen.
    Aber seine Worte klangen so ehrlich und offen, dass Luise ihm nicht widersprach.
    Stattdessen ging sie traurig auf seine Frage ein: "Du wirst Konrad nicht ersetzen können. Er ist mein Vetter... aber wir waren immer mehr wie Bruder und Schwester. Er hat nur zwei Jahre bei uns gelebt. Und dennoch... all die Zeit, die wir uns voher schon kannten... und besonders die letzten zwei Jahre... sie können nicht ersetzt werden - selbst wenn ich mich eines Tages nicht mehr klar an sie erinnern werde." Luise schwieg einen Moment, dann drückte sie sanft Noels Hand. "Aber... ich kann deinen Wunsch akzeptieren, mich zu beschützen. Ich weiß nicht, was genau dein Versprechen an Konrad war... aber er ist nun fort. Er hat mich zurückgelassen. Und du belästigst mich nicht. Du möchtest mich trösten und mich beschützen. Das kann nicht gegen Korads Willen sein. Ich danke dir dafür." Schließlich fügte sie noch hinzu: "Doch eine Bitte habe ich. Bitte... bitte achte auch auf dich selbst. Ich möchte nicht, dass meine Sicherheit auf dem Opfer anderer aufbaut..."
    Ein plötzlicher Windstoß fegte durch ihr nasses Haar und peitschte die Tropfen in ihr Gesicht. Und da erinnerte Luise sich wieder daran, dass sie mitten auf dem Dorfplatz stand, umgeben vom kalten Regen, und mit leerem Magen.
    Sie fühlte wieder. Die eingefrorene Zeit war aufgetaut und lief weiter.


    Grinsend schüttelte Noel den Kopf, sein blutrotes Haar wog im nassen Wind.
    "Selbstverständlich wird niemand Konrad ersetzen können.
    Ein Mensch ist einzigartig, könnte man sagen.
    Aber... ich danke dir für dein Vertrauen. Und deine Sorge um mich.
    Sie ehrt mich, kleine Elfe."


    Stumm sahen sich die beiden ungleichen Personen noch einige Momente in die Augen, bis Noel bemerkte, dass es Luise körperlich gar nicht gut ging.
    Stumm erhob er sich und legte ihr, wie am Vortag, ihren dicken Mantel um den schmächtigen Körper, obgleich er nur ein dünnes Hemd trug.

    "Hey... Luise.
    Weißt du was? Wenn das Alles vorbei ist... lass uns dieses Dorf gemeinsam verlassen.
    Lass uns zusammen durch die Welt reisen und nach Konrad suchen.
    Irgendwann werden wir ihn finden und zusammenleben. Das verspreche ich dir."


    Aufmunternd schenkte er ihr ein Lächeln, welches seinen Willen bezeugen sollte, mit ihr dieses Spiel zu überleben. Das war sein einziges Ziel.
    Wir beide werden überleben. Definitiv.

    Geändert von Holo (30.03.2013 um 17:38 Uhr)

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