Ergebnis 1 bis 20 von 42

Thema: Das Dorf Gottes 2-Tag 2

Baum-Darstellung

Vorheriger Beitrag Vorheriger Beitrag   Nächster Beitrag Nächster Beitrag
  1. #12


    Der Platz füllte sich langsam mit Menschen.
    Stimmen wurden lauter. Hunde bellten. Pferde wieherten.
    Und im Hintergrund erklang das stetige Lied des Regens. Das Geräusch unzähliger, fallender Tropfen, die auf der Erde landeten, sich in Pfützen sammelten oder von den Dächern herabrannen.

    Doch Luise hörte all das nicht. Die Geräusche waren nicht mehr als ein fernes Flüstern. Das aufgeregte Treiben nicht mehr als verschwommene Bewegungen in ihren Augenwinkeln.
    Es war ihr egal.
    Es war vorbei.
    Schwester Maria war tot.
    Konrad war fort. Zurückgelassen hatte er sie.
    Stets hatte er ihr ein frohes Gesicht gezeigt. Sie in den Arm genommen und sie getröstet, wenn es ihr schlecht ging. Sie beschützt.
    Sie glauben lassen, dass selbst sie, ein hässliches, schwaches Mädchen, gestraft mit feuerrotem Haar, dass selbst sie Liebe und Zuneigung verdiente.
    Konrad. Der Bruder, den sie nie gehabt hatte.

    Und nun hatte er Luise grausam zurückgelassen. Sie daran erinnert, dass sie letztendlich doch nur ein kleines, rothaariges Mädchen war.
    Allein war sie nun.
    So schutzlos.
    Zerbrechlich.
    Schwach.

    Einen langen Moment hatte sie nun verweilt, auf dem kalten Boden. Nur in ihre eigenen Gedanken, ihren Schmerz vertieft.
    War nicht auf die Annäherungen ihrer Umwelt eingegangen.
    Sie hatte nicht einmal gemerkt, dass Rekon sich bemüht hatte, sie zu trösten.
    Doch nun hörte sie, wie er eine Rede hielt. Die Neuigkeiten einfach zusammenfasste und dann fortfuhr mit der Freiwilligensuche für Marias Beerdigung.
    Das Leben ging weiter.
    Und genau das war es, was den Verlust so schmerzhaft machte.
    Der Versuch, ein normales Leben zu führen - ungeachtet der Lücken, welche Menschen hinterließen, wenn sie fort waren.
    Der Versuch, eine Welt zu schaffen, in der sie nicht mehr gebraucht wurden.
    Die Wochen, während der man das Vergessen suchte und es nicht fand.
    Und dann, eines Tages die Erkenntnis, dass man bereits vergessen hatte. Dass nichts geblieben war von der einstigen Nähe und Wärme. Dass sogar das einstig geliebte Gesicht nur noch eine verschwommene Erinnerung unter vielen war.
    So war es mit Brida gewesen, nach ihrem Verschwinden. So würde es auch mit Maria und mit Konrad sein.
    Eines Tages würde Luise zurückdenken an diesen Tag und nichts fühlen. Eine Erinnerung von vielen.

    Still erhob Luise sich schließlich vom schmutzigen Boden und wandte sich um. Mit regloser, versteinerter Miene erblickte sie Noel, der gerade auf sie zuhielt.
    Blass war er. Noch mehr als sonst. Etwas schien ihn zu Boden geworfen haben, denn seine Kleidung war schlammbesudelt. Der Regen hatte sich in seiner Robe und den ins Gesicht fallenden Haarsträhnen gesammelt.
    Noel sah erbärmlich aus. Genau wie Luise selbst.
    Mit einem kläglichen Lächeln sagte sie: "Wir beide... wir sind uns gar nicht unähnlich." Keine Träne hatte sie bisher vergossen. Doch ihre Stimme klang brüchig. Falsch und kränklich in ihren eigenen Ohren. Mit jedem Wort musste sie kämpfen, bis es ihre Lippen verließ. So leise war ihre Stimme, dass sie benahe vom Regen fortgwaschen wurde. Dennoch wusste Luise, dass Noel sie gehört hatte. "Du verstehst es, nicht wahr? Du hast auch jemanden verloren." Eine Antwort darauf erwartete sie nicht wirklich. Was sollte man schon dazu sagen? Trotzdem schaute sie ihm weiter in die Augen. Die Miene regungslos, die Augen leer.

    Geändert von Zitroneneis (29.03.2013 um 23:25 Uhr)

Berechtigungen

  • Neue Themen erstellen: Nein
  • Themen beantworten: Nein
  • Anhänge hochladen: Nein
  • Beiträge bearbeiten: Nein
  •