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Thema: Das Dorf Gottes 2-Tag 2

Baum-Darstellung

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  1. #14
    Mit stumpfem Blick beobachtete Luise, wie Brunhild die eigene Verzweiflung weggestoßen hatte und wieder zu der gutmütigen Wirtin geworden war, die jeder kannte.
    Sie war keine Lumianerin. Konnte es unmöglich sein.
    Aber wie sollte sie, die kleine Apothekertochter, ihnen das klar machen? Erwachsene waren immer so. Hatten sie einmal ihre Schlüsse gezogen, ließen sie sich nicht dazwischenreden. Erst recht nicht von einem Kind.
    Aber was konnte sie schon bewirken? Sie konnte Brunhild nur retten, indem sie einen anderen dem Tode weihte. Womöglich einen Unschuldigen.
    Und das konnte sie nicht wagen, wenn sie sich nicht sicher war.
    Also schloss sie sich stumm der Menge an, welche Brunhild zum Galgen geleitete.
    Die Wirtin wirkte seltsam gefasst. Mit einem Lächeln drehte sie sich zu Luise, legte ihr das Schaffell um die Schultern und nahm Abschied mit den Worten:
    “Du gutes Kind, er hätte sicher gewollt, dass ich es Dir gebe. Bitte lass Dich nie vom Bösen verleiten. Wenn mir je eine Tochter vergönnt gewesen wäre, sie hätte exakt Dein Ebenbild in Äußerem wie Innerem sein sollen.“
    Sich nicht vom Bösen verleiten lassen? Eine Tochter im Äußeren und Inneren?
    Luise wollte schreien. Wollte ihr sagen, dass sie letztendlich auch eine Sünderin war. Dass sie es nicht wert war, ihre Tochter genannt zu werden.
    Aber auch, dass Brunhild seid Bridas Verschwinden für sie das gewesen war, was einer Mutter am Nächsten kam.
    Doch sie brachte kein Wort hervor. Kein Wort des Abschieds oder des Dankes. Luise sah einfach stumm zu, wie der Strick um Brunhilds weichen Hals gelegt wurde.
    Hörte die Worte für Konrad.
    Seltsam... vor zwei Tagen war sie noch entsetzt gewesen, bei dem Gedanken, jemand könne ihrem Vetter seine Liebe schenken. Nun wünschte sie sich nichts sehnlicher als dass Konrad hier wäre, um Brunhilds Worte zu hören. Doch als sie in Richtung Wald blickte, kam kein kräftiger, blonder Mann auf einem schwarzen Pferd namens Kobold angeritten.
    Und als Luise sich wieder umdrehte, hörte sie nur noch das Geräusch eines fallenden Körpers. Sah nur noch, wie Brunhild leblos in der Luft baumelte.
    Nun war auch sie fort.
    Luise hörte das aufgeregte, lauter werdende Gemurmel um sie herum. Man hatte eine Unschuldige gehängt. Schon wieder.
    Eine Weile stand das Mädchen einfach kraftlos da und ließ alles um sich herum einfach geschehen.

    Doch, wie so oft in den letzten Tagen, gab es jemanden, der sie aus ihrer Apathie riss.
    Noel.
    Noel, der ihr vor wenigen Stunden noch hatte versichern wollen, was für ein guter Menschenkenner er war.
    Noel, der kurze Zeit später in einem Anflug von Dramatik das ganze Dorf gegen Brunhild aufgehetzt hatte.
    Noel, der nun drauf und dran war, Tyrell den Hals aufzuschlitzen.
    Ein Schwall von Zorn brach in Luise los. Ein Gefühl, welches sie nie zuvor gekannt hatte. Ein Gefühl, dass ihr mehr Kraft gab, als sie jemals vermutet hätte. Sie hielt es nicht zurück. Schrie es einfach heraus:
    "HÖR AUF!"
    Noel ließ von Tyrell ab und starrte das Mädchen sichtlich betroffen an.
    Luise ließ sich nicht davon beeindrucken. Mit großer Mühe, ihren Emotionsausbruch zumindest ein wenig im Griff zu halten, sprach sie:"Noel... h-hör damit auf... du hast schon genug... angerichtet."
    Ihre Stimme zitterte. Aber es lag nicht an ihrer Scheue. Es lag an der nahezu unkontrollierbaren Wut, die man in jedem Wort hören konnte.
    Noel zog nun ab, mit dem Gebaren eines geschlagenen Hundes.
    Dennoch ließ er sich nicht daran hindern, kurz vor Luise stehen zu bleiben und ihr einen Gegenstand in die Hand zu drücken:
    "Das habe ich, seit wir uns kennen, kleine Elfe. Es ist... mein größter Schatz. Aber jetzt verdiene ich es nicht mehr. Es gehört dir."
    Bevor Luise eine Antwort geben konnte, fügte er noch mit tonloser Stimme hinzu:
    "Gib acht, dass du heute Nacht eine sichere Schlafstätte findest, ja...?"
    Luise antwortete nicht sofort. Doch nachdem Noel einige Schritte gegangen war, schleuderte sie das erhaltene Amulett mit aller Kraft zu Boden, wo es im Schlamm versank.
    "Ich bin nicht deine Elfe! Und deinen größten Schatz kannst du behalten... ich möchte keine Geschenke von jemandem wie dir."
    Sie achtete nicht auf eine Reaktion. Blickte nur wild umher.
    Ihre Augen blieben an Ross und Peter hängen. Die beiden, die so viel Vertrauen im Dorf genossen. Luises Stimme hatte sich wieder etwas beruhigt, aber ihre Worte trieften vor Bitterkeit: "So... hat es gut getan, eine Unschuldige zu ermorden? Seid ihr zufrieden damit, eine Frau tot zu sehen, die sich immer um das Dorf gekümmert hat? Die selbst den unausstehlichsten Gästen Bier eingegossen und selbst kurz vor dem sicheren Tod nicht ihre Freundlichkeit verloren hat? Das ist euer Dank!?" Luises Hände ballten sich zu Fäusten. "Vielleicht wollt ihr ja mich als nächstes hängen... falls ihr nicht in Wahrheit zu dieser Sekte gehört, und beschließt, mich heute Nacht zu beseitigen. Noel scheint ja euer treuer Schoßhund zu sein. Und wenn er mich beschützen will, kann ich mich wahrscheinlich besser auf meinen Fuchswelpen verlassen."

    Ihre Rede wurde von Tyrell unterbrochen, der sie umarmte und ihr auf den Rücken klopfte. Erst jetzt bemerkte Luise, dass ihr die ganze Zeit Tränen der Wut und der Verzweiflung über die Wangen gelaufen waren.
    Sie hörte seine Worte der Warnung - und diesmal verstand sie, was er meinte.
    Dann sah Luise, dass er blutete. Entschlossen fasste sie Tyrells Hand. "Komm mit! Ich kann das verbinden und außerdem einer Entzündung vorbeugen." Dann fügte sie noch hinzu. "Danke... danke, dass du mich gewarnt hast... auch wenn ich es wohl zu spät berücksichtigt habe... und danke, dass du dich für Brunhild eingesetzt hast. Mir... hat dazu der Mut gefehlt..."
    Dann betraten die beiden die Apotheke.

    Geändert von Zitroneneis (04.04.2013 um 12:02 Uhr)

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