"E-es tut mir Leid, d-dass ich einfach s-so hier eingedrungen bin. Ähm... i-ich habe mir Sorgen gemacht u-und
n-nicht überlegt. I-ich b-bin sehr d-durcheinander... E-entschuldige b-bitte."
, kam es schüchtern von Luise kurz nachdem die Wirtin zu sprechen geendet hatte.
Mit einem milden Lächeln den Kopf schüttelnd gab sie dem Mädchen zu verstehen, dass es sich für Nichts zu entschuldigen brauchte.
Der selbsternannte Leibwächter Luises jedoch taxierte sie mit zornigem Blick und presste, seine Wut sichtlich unterdrückend, hervor:
"Wärt Ihr wohl so freundlich... diesen Namen nicht mehr in Anwesenheit dieses Mädchens zu sprechen? Sie hat eine tiefe Wunde durch seinen Verlust erlitten, wie Ihr euch denken könnt."

Das junge Mädchen erwiderte darauf tonlos in langsamer Weise, wie Brunhild es noch nie von ihr gehört hatte:
"Es... es ist nicht nötig, solche Rücksicht zu nehmen... das ist nichts, was ich verdiehnt hätte. Ich... ich kann nicht darüber sprechen... aber ich kann andere nicht daran hindern, es zu tun."
Unverständig glotzte sie die Beiden an. Dass sie nicht weiter auf Marias Verscheiden eingehen sollte, wäre ihr durchaus verständlich. Das Kind hatte ihre Obernonne wahrhaft gemocht und ihr fast schon bedingungslos vertraut. Doch warum sagte er dann „seinen“ Verlust? Konrad konnte er kaum meinen, denn ein langer Ritt zur Stadt würde von seiner Cousine kaum als Verlust angesehen werden und wenn Konrad ebenfalls der Sekte oder den Tieren des Waldes zum Opfer gefallen wäre, wäre dies inzwischen längst Dorfgespräch und seine Beerdigung wie die Marias schon abgehalten.
Doch ehe sie ihre Verwunderung aussprechen konnte, fuhr Noel auch schon fort:
"Uns ist kalt und wir würden uns an eurem Kamin gerne etwas aufwärmen. Ein wenig Schwarztee und Suppe wäre wundervoll. Zudem wäre ich euch persönlich tief verbunden, wenn ihr Luise aus ihren nassen Kleidern schälen und ihr ein paar Neue zur Verfügung stellen könntet. Meint Ihr, das wäre denkbar? Natürlich bezahle ich Alles im vorraus.
Eine leichte Verbeugung folgte seiner Ansprache.
Einige Augenblicke betrachtete sie ihn weiter, als wäre er der erste Gesichtsbemalte, dem sie je begegnet war (-nun, an sich war er das tatsächlich, aber das tat hier im Moment nichts zur Sache-), ehe seine Worte vollends die vorigen in die hinteren Teile ihres Bewusstseins geschoben hatten.
Energisch schüttelte sie den Kopf. Es kommt gar nicht in Frage, dass ich Geld dafür annehme, Euch beide hier aufwärmen lassen. Zu Essen und zu Trinken gibt es hier jedenfalls reichlich, da zauber ich Euch schon schnell was zusammen…
Skeptisch betrachtete sie Luise, kurz auch Noel, ehe sie fortfuhr:
In ihrer Größe werde ich kaum Etwas haben, aber wir kriegen sie schon wieder in trockene Tücher…
Damit holte sie, auf Zehenspitzen dem Blute ausweichend, aus ihrem Schrank nach einigem Wühlen einige Kleidungsstücke und Decke hervor. Letztere drückte sie Noel bis auf eine in die Hand.
Nimm die schonmal mit nach unten, vielleicht wollt Ihr euch dann noch zusätzlich wärmen… Komm, mein Kind.. Sanft, aber bestimmt drückte sie das Mädchen in Richtung des elterlichen Schlafzimmers, welche es still geschehen ließ.
Aus den Augenwinkeln sah sie, dass der Bursche sich bereits abwendete, darum meinte sie nur: Einen Augenblick noch… ehe sie im Zimmer verschwand, um kurz darauf mit einem alten Hemd samt Hose wieder zu erscheinen. Sie warf es ihm zu.
“Hier, die gehörten meinem alten Vater. Sind schon lange nicht mehr getragen worden, aber meine Mutter hatte sie bis zu ihrem Tod immer in Stand gehalten und gepflegt. Du musst sie nicht anziehen, aber an Deiner Stelle würde ich die nassen Sachen nicht anlassen…“ Die Tür wurde hinter ihr geschlossen.
Rasch und mit geübter Hand entledigte die Wirtin das durchnässte Kind all seiner Kleider und begang darauf, den jungen Körper mit der verbliebenen Decke trockenzureiben. Luise blickte nachdenklich auf das Kreuz, welches sie um den Hals trug. Auf eine Nachfrage diesbezüglich meinte das Mädchen nur knapp, es stamme von Maria und sie habe es aus dem Schlafzimmer als Andenken genommen. Danach blickte sie wieder ausdruckslos ins Leere, als würde sie gedanklich weit, weit weg sein. Tiefe Sorgenfalten zogen sich durch Brunhilds Stirn. Die Persöhnlickeit und Gefühlswelt des Mädchen war so empfindlich und zerbrechlich wie Kristall, schien es ihr mehr und mehr. Schon gestern war sie wegen Konrads Nominierung so gewesen und musste von ihr aufgepäppelt werden. Und heute ob des Todes von Schwester Maria schon wieder. Wenn das so weiter ginge, würde es ihre kleine Seele und infolgedessen auch der zierliche Körper nicht mehr lange machen, dachte die Wirtin kummervoll, während sie Luise eines ihrer Kleider überwarf. Mit Bändern versuchte sie den überschüssigen Stoff einigermaßen an den schmalen Körper zu binden, sodass sie vorzeigbar würde. Nach einer Weile schien sie zufrieden mit dem Ergebnis und meinte, um die erdrückende Stille zu durchbrechen: Zum Maitanz würde ich Dich damit zwar nicht lassen, aber Du musst Dich erstmal nicht schämen, Dich so vor Anderen zu zeigen, meine Liebe…
Eine Antwort erwartete sie garnicht, sondern ging, Luischen führend, hinunter in die Schankstube.
Dort angekommen setzte Brunhild sie an den Tisch, an dem Noel es sich bequem gemacht hatte. Mit leicht mürrischer Miene sah sie, dass der Bursche sich wohl zu fein gewesen war, trockene Kleider, die etwas älter waren anzuziehen ,ehe sie sich umwand und zwei Kochtöpfe über die Feuerstelle hing. Während das Teewasser anfing zu brodeln, mischte sie, den Wünschen des ach so vornehmen Herren folgend, ein Süppchen mit Speck, Töften, Rüben und einigen Kräutern zusammen. Als sie sowohl den fertigen Tee als auch die Suppe dampfend in jweils zwei Becher und zwei Schalen abfüllte, fiel ihr Blick auf den Schaffellüberwurf, den sie am Morgen auf dem Tresen liegen gelassen hatte. Nach kurem Überlegen, verbarg sie sie vorsichtig hinter dem Tresen. Luise würde sie sicher als Konrads wiedererkenne und ,warum auch immer sie momentan nicht an ihn erinnert werden wollte, dies musste ja nicht unnötigerweise provoziert werden.
Beladen ging sie zu den beiden hinüber, um ihnen Speis und Trunk vorzulegen.
Es betrübt mich, Dir sagen zu müssen, dass das Haus keinen Schwarztee führt, da dieser sehr teuer ist. Der Herr möge sich hoffentlich mit gesüßtem Kräutertee zufrieden geben, der ist sowieso besser gegen die Kälte und Nässe…
Das hatte sie sich nicht verkneifen können und wollen. Noel mochte ein Junge mit einer schlimmen Vergangenheit sein, auch wenn sie diese nicht kannte, und deswegen verschlossen und grimmig gegen jeden außer Luise, aber sein überheblicher Ton gerade ihr gegenüber schmeckte ihr gar nicht. Schon dieses andauernde förmliche „Euch“, mit dem er sie ansprach. Nach den Jahren waren sie wohl kaum mehr Fremde und sie redete mit anderen Dorfbewohner erheblich weniger als mit ihm und wurde von denen geduzt.
Ihren Grimm hinunterschluckend, strich sie Luise sanft über die Wange und stapfte wieder nach oben, schließlich galt es noch ihr ehemaliges Schlafzimmer zu reinigen.
Ihren Brechreiz beim Anblick und vor allem dem Geruch des Blutes herunterwürgend ging sie in die Knie und begann zu schrubben.