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Thema: Das Dorf Gottes 2-Tag 2

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  1. #1

    Das Dorf Gottes 2-Tag 2

    Das Dorf schlief unruhig nach dem Tod einer Unschuldigen. Einige jedoch gingen untersuchenden oder tötenden Beschäftigungen nach und so fanden die Dorfbewohner wieder drei aufmerksamkeitserregende Dinge vor als sie an diesem regnerischen Samstag des Jahres 1480 auf ihren Dorfplatz kamen:

    Unmittelbar fiel ihnen die Leiche der nonnigen Nonne Maria auf, welche im Tode nicht mehr einer Nonne würdig aussah; ein Messer im Herzen steckend und voller Dreck. Offenbar war sie bewegt worden; sie lag genau in der Mitte des Platzes.

    Dabei gingen fast die beiden Stücke Papier unter, welche am für Ankündigungen üblichen Platz hingen:

    Auf dem einen stand das jemand eine Durchsuchung bei Konrad Elkarst vorgenommen hatte. Daraufhin war der offenbar Verfluchte aus der Stadt vertrieben worden.

    Der Andere stammte vom Pfarrer, welcher bei seiner Stimmabgabe wieder Hinweisen aus der Bevölkerung nachgegangen war und Noel De'chrones'tulem(Nonsense) wählte. Überdies zeigte er sich zuversichtlich das heute eine Bedrohung für das Dorf hängen würde, nachdem ja bereits ein teuflisches Geschöpf verschwunden sei.


    Der Tag beginnt und endet Mittwoch um 20 Uhr.

    Viviane und Wencke sind leider ausgeschieden.

    Geändert von Einheit092 (01.04.2013 um 14:19 Uhr)

  2. #2


    Vide cor meum [Sieh mein Herz]

    Regen tanzte auf den Dächern, die das Wirtshaus umgaben. Er war wieder allein. Konrad streckte sich genüsslich in der kühlen Morgenluft und trabte auf Kobold zu. Man denkt man hat alle Zeit der Welt...Was bist du denn so ungeduldig? Ich komm ja schon mein Alter...
    Plötzlich packte ihn jemand und seine Augen wurden blind als Dunkelheit ihn einhüllte. Er konnte nicht mehr atmen. Sein Aufschrei, als ihn eine Faust im Magen traf, klang in seinen eigenen Ohren dumpf. Da erklang eine Stimme über ihm. Sie klang bekannt. „Was haben wir denn da? Ich würde sagen, ein Übel das es zu bereinigen gilt. Seht zu, das nichts von ihm übrig bleibt.“ Formlos, kalt, schwarz. Die fleischgewordene Nacht. Er war gefangen. Irgendwer hatte ihm etwas über den Kopf gezogen. „Was...?“ ein Tritt ließ ihn sich zusammenkrümmen. „Du weißt genau was. Es war nur eine Frage der Zeit bis die Spuren der Ketzer auch hier sichtbar werden würden. Aber das ausgerechnet du diesen Heiden so nachweinen würdest... “ „Das könnt ihr ni... argh!“ „Woran erkannt man einen Verdammten? Ich sage es euch. Seine Seele wiegt so schwer, das man ihm das Gewicht ansieht. Man sieht es in seinen Augen. Nicht nur die Sünde zeichnet die Seele. Nein, du Junge, du bist gezeichnet. Kein Friede, keine innere Ruhe. Rastlos. Für dich gibt es keinen Platz. Nicht hier. Es würde mich wundern wenn der Teufel dich wollte. Nichtmal in der Hölle sollst du einen Platz finden. Ein Fluch liegt auf deiner ganzen Familie! Und vor allem auf dir!“ „Wa... was redet ihr da?
    „Nun, ihr solltet zumindest wissen weswegen ihr gleich tot sein werdet. Ich lese euch vor weswegen ihr vom heutigen Tage an von der Kirche gebrandmarkt worden seid. >Bruder Justus beglaubigt hiermit das Konrad Matthias Elkarst ein häretischer Verräter vor Gottes Angesicht ist. Nach bestem Wissen und Gewissen soll dieses Ungeheuer hingerichtet werden, bevor es mehr Schaden anrichten kann.<
    Konrad schwieg. All seine Befürchtungen wurden in diesem Moment war. Er hatte sein Leben auf einer Lüge gebaut. Er hatte vertraut und war verraten worden. Er sackte in sich zusammen. Kraftlos. Entsetzt. Gebrochen.
    „Aber, aber Konrad. Tretet eurem Tod mit ein wenig mehr Mut entgegen. Justus meinte, ihr wart sehr nachdrücklich was eure Worte "Wir sind alle gleich unter dem Himmel" anging. Nun ich muss euch enttäuschen. Ihr wurdet gewogen, ihr wurdet gemessen und ihr wurdet für schuldig befunden. Und zwar von höheren Erwählten, als ihr es seid. Oder besser gesagt - meintet zu sein."
    Konrads Kopf und sein Herz überschlug sich vor Aufregung. Doch noch konnte er sprechen. Er erwiderte seinem Richter nur mit Grabesstimme: „Bloße Gelehrsamkeit und Bildung sind eine kalte Sache, wenn das Herz ungebildet bleibt. Es gibt andere Maßstäbe als eine edle Abstammung, Geld oder gesellschaftliche Stellung. Das wissen die Einwohner hier. Und nun wie wärs wenn ihr diesen Wisch aufesst und daran erstickt? Die anderen, die ihr gottlos nennt, werdet ihr nämlich nicht so leicht finden – denn davor werden die Bürger erkennen, was hinter eurer Fassade steckt, die ihr Gerechtigkeit nennt. Inquisition. Hier. Ihr seid doch wahrlich der allerletzte... argh.“ Ein weiterer Tritt brachte ihm zum schweigen.

    Sollte er ihm die Worte glauben? Dem Burschen, der vor zwei Jahren so munter in ihr Dorf gekommen war, würde es ein Fluch unmöglich machen ins Himmelreich zu kommen. Der Fluch. Er hatte von ihm geträumt. Von ihm und den nebeligen Orten. Anderwelt. Ihre Alpträume. Es machte auf einmal alles Sinn. So schrecklich viel Sinn... Ein Fluch also. Gott hatte ihn verlassen. Seine Seele würde das Dorf nie verlassen können und ewig umherstreifen auf der Suche nach Erlösung. Seine Familie. Seine Gilde. So weit fort... Adalbert. Luise. Er hörte einsame Vögel, die am Horizont ihre Kreise zogen. Sie fressen kleine Tiere, die von den Kutschen zerquetscht werden. Ein Festmahl für die Aasfresser. So sollte sein Leben also enden.

    NEIN!“

    Justus mochte ihn verraten haben - aber was ihn wirklich ausmachte war nicht das, was die Kirche ihm lassen würde. Er würde sich selbst in Gottes Gnade befehlen - kein sterblicher Mensch würde zwischen ihm und seinem Gott stehen. Keiner! Mit einem silbernen Messer, das er aus seinem Gürtel zog stach er in die Hand, die ihn an der Schulter zurückhielt. Er riss die Haube von seinem Kopf und warf sie davon. Dann sprintete er los. Kobold wartete noch vorm Stall noch auf ihn – mit einem Satz galoppierte Konrad auf und davon und blickte nicht zurück. Ich mag ein schlechter Reiter sein, aber für euch reicht es allemal!, dachte er noch. Doch er ahnte es mehr als das er es sah, das es nicht der Rappe war der ihn aus der Gefahr trug sondern ein treuer und alter Freund, der ihn verteidigte. Denn niemand rief den Hund zurück, der sich nun hinter ihm auf seine Angreifer stürzte. Und er lächelte grimmig darüber. Gleichzeitig war er froh das sich sein Schicksal nicht hier in diesem Dorf erfüllen würde.

    Der Ruf seines Herzens wurde lauter und Konrad folgte ihm und trieb den Rappen zu einem waghalsigen Sprint an. So ging er, wie er gekommen war - mit aufrechtem Gang und voller Zuversicht. Keiner hier würde erfahren, welche Geschichte er zu erzählen hatte. Weshalb er einen Fluch auf sich geladen hatte. Doch wenn die Kirche ihn auch verflucht nannte – Gott würde ihm vergeben. Und falls seine Rastlosigkeit wirklich mit einem Fluch zusammenhing, der seinen Ursprung in seiner Vergangenheit hatte - wie schwer konnte es schon sein ihn zu lösen, wo doch Gott über ihn wachte?

    Er träumte seine Träume und beobachtete weiter den Himmel.
    Die Welt bewegte sich weiter.
    So zog Konrad Matthias Elkarst ein weiteres mal aus. Und der Tod folgte dem Verfluchten auf dem Fuße.

    Geändert von Viviane (29.03.2013 um 02:57 Uhr)

  3. #3
    Der Mond leuchtete durch das Fenster, und eine einzelne Kerze brannte und flackerte auf dem Nachttisch. Ansonsten war das Zimmer stockenfinster.
    Maria bemerkte nicht, wie es im Gasthaus langsam still wurde, so intensiv war sie ins Gebet vertieft.
    Sie kniete vor dem Bett und wiederholte einen einzigen Satz, unzählige Male, und schien damit nie aufhören zu wollen, während ihr bei jedem Mal weitere, salzige Tränen die Wange heruntertropften:
    "Herr, vergib, dass ich Merete anklagte für etwas, was sie nie tat. Vergib, dass ich ihres Todes schuldig bin."
    Irgendwann erlangte sie einen Müdigkeitsgrad, in dem sie einfach mitten im Satz, dem harten Boden zum Trotz, einschlief. Ihr Kopf fiel auf ihr Bett, ihr Rücken krumm, und ihre Knie würden am nächsten Tag dermaßen schmerzen, dass sie kaum laufen könnte. Doch das sollte Maria nicht wahrnehmen. Zu diesem Zeitpunkt noch aus Müdigkeit...

    Da stand Merete vor ihr, stumm und mit Entsetzen im Gesicht. Es wirkte, als würde sie nach Atem ringen, doch Maria hörte keinen Ton, nicht ein Geräusch drang ihr an die Ohren. Da war nur Merete, die nach Atem rang. Maria griff sich reflexartig an den Hals, und als wäre dort ein Schalter gewesen, wurde es schlagartig dunkel. Schwarz. Tiefschwarz. Nichts zu sehen. Merete war verschwunden.
    Etwas riss Maria herum. Dort sah sie die Versammlung vom Vorabend vor ihren Augen. Als ob sie erneut auf dem Platz stünde, nur dass sie diesmal gleich als Schuldige hängen würde.
    "DU BIST SCHULD! LUMIANERIN!", riefen die Dorfbewohner, die alle die Gestalt Meretes hatten. Ihre Worte durchrissen die Stille, schrill und laut drangen sie in Marias Kopf ein und hallten irgendwo wieder. Ihr Echo schien so ewig zu erklingen, und doch hielt es nicht lange an. Denn in dem Moment riss Maria ihre Augen auf.

    Sie lag mit dem Rücken auf dem Boden, ihre Knie schmerzten vom langen Beten am Vorabend. Ihr Atem, er schien sich nicht beruhigen zu wollen - und das nächste, was Maria wahrnahm, war eine dunkle Gestalt über ihr. Es war so dunkel... War da wirklich jemand oder bildete sie sich das ein? Immerhin kannte sie diesen Raum nicht besonders gut. Da atmete doch jemand. Oder war es Marias eigener Atem? Plötzlich blitzte etwas auf und noch ehe die Nonne erkannte, was gerade geschah, raste das funkelnde Ding geradewegs auf sie zu und rammte in ihre Brust. "Herr!", keuchte sie. Dann drehte sich alles. Ein qualvoller Schmerz durchfuhr sämtliche ihrer Glieder, und das Herz, das genau getroffen war, pumpte, ein paar wenige, letzte Male, kräftig.
    Maria spürte, wie das Messer in ihr umgedreht wurde, und das Leben aus ihr wich. Schwach fühlte sie feste Griffe, die sie an den Armen und Beinen packten, und sie aus dem Raum zerrten. Zu schwach, um sich zu fragen, wohin sie gebracht wurde. Das war's.

    Maria nahm nichts mehr wahr, was um sie herum geschah. Stattdessen sah sie ein letztes Mal vor ihrem inneren Auge all die Personen, die ihr wichtig waren: Ihre Mutter, die sie nie kennen gelernt hatte, sah sie so deutlich vor sich, als hätte sie sie jeden Tag ihres Lebens gesehen. Sie sah Justus. Konrad. Luise. Peter. Sämtliche Dorfbewohner. Selbst Merete war da. Doch Maria spürte nichts mehr. Es war keine Reue in ihr übrig, keine Wut, und keine Angst.

    Sie war frei. Es war vorbei. Sie war tot.

    Geändert von Wencke (28.03.2013 um 23:55 Uhr)

  4. #4
    Also machen wir es so?
    Das ist in der Tat ein interessanter Plan...
    Auf eine gute Zusammenarbeit, Asmo. Ich hätte nie gedacht, dass wir uns jemals einigen.
    Das dachte ich vorher auch nie. Ich werde ab jetzt auch am Tag mit dir in Kontakt treten, also müssen wir das nicht immer in der Nacht besprechen.
    Alles klar.

    Rekon erwacht, zum Glück nüchtern, aus seinem Schlaf und seiner Diskussion mit Asmotheyx. Selbst Mina war wach, was sehr verwunderlich war. Sie war doch ein Langschläfer, oder nicht? Das sollte Rekon aber nicht weiter stören. "Papi?" begann Mina auf einmal zu sprechen "wo ist eigentlich dieses braunhaarige Mädchen? Sie war doch gestern noch im Dorf, aber anscheinend wurde ihr Haus gesperrt oder sowas. Jedenfalls kann man da nicht mehr rein...". Rekon musste sich schnell was einfallen lassen, denn er hätte nicht erwartet, dass Mina ihn so früh am Morgen damit konfrontiert. "Merete ist... ähm... Sie ist auf eine Reise durchs Land. Als du geschlafen hast ist sie zu mir gekommen um sich zu verabschieden. Weiteres weiß ich auch nicht..." sagte er um Mina nicht den Tod erklären zu müssen. Sie schien recht ungläubig, doch nahm sie die Antwort einfach so hin, sie würde einfach an einem anderen Zeitpunkt nochmal fragen. Nach einem ausgewogenen Frühstück (einem Wildschwein, was erwartet man auch bei einem Vielfraß wie Rekon... Na ja... eigentlich erwartet man einen größeren Körperumfang, aber damit kann er zu seinem Glück nicht dienen) begab er sich auf einen Morgenspaziergang. Etwas, was er eher selten tut. Als er dann den Platz erreicht hat erschrak er, denn die nonnigste aller nonnigen Nonnen, welche jetzt anscheinend nicht mehr ganz so nonnig ist lag leblos, mit einem Messer in der Brust, auf dem Platz. "Dieses Mal... hat es jemanden erwischt... aber nicht nur jemanden, sondern direkt die Kirche. Ist das ein Zeichen?" sagte er, obwohl niemand, außer die leblose nonnige Nonne dort war. Rekon rannte erstmal zurück um eine Schaufel zu holen. Man konnte diese Frau doch nicht einfach dort liegen lassen! Doch erstmal sollte man warten, bis alle diese Nachricht bekamen. Desweiteren wusste Rekon nicht, wohin die Leiche gebracht werden soll. Viele Gedanken schwirrten in Rekons Kopf herum doch vor allem dachte er darüber nach, wie viele Lumianer es in diesem Dorf gibt. Es muss an diesem Tage unbedingt ein Lumianer sterben, oder Düsterwald ist dem Untergang geweiht...

    Geändert von Zirconia (28.03.2013 um 23:14 Uhr)

  5. #5

    Sie war allein.


    Ihre Füße wund. Ihr Mund trocken. Ihre Augen blind in der Dunkelheit.
    Kein Mondlicht drang in das hohe Gewölbe herein. Keine Lampe erhellte die Nacht.
    Lediglich das winzige Flackern einer weitentfernten Kerze erinnerte sie daran, dass es auch noch Licht gab auf dieser Welt.
    Weiter tappte sie, konnte nicht stehen bleiben. Aus Furcht, etwas könne aus der Dunkelheit nach ihr greifen und sie für immer zu sich in die Finsternis ziehen.
    Sie war so schutzlos. Ihre Hände umfassten die bloßen Schultern. Ihre Lippen zitterten vor Kälte. Und ihre bloßen Füße traten so unsicher auf den kalten Boden.
    So schutzlos.
    Zerbrechlich.
    Schwach.

    Die Kerze wurde nur langsam größer. Quälend lang war der Weg dorthin. Zeit war nicht mehr als eine vage Erinnerung.

    Doch sie ging weiter. Und weiter. Und immer weiter.
    Bis sie eine ruhige Stimme hörte, kaum mehr als ein Wispern: “Was für ein kleiner Vogel hat sich denn zu solch später Stunde hierher verirrt? Tritt näher, Täubchen, damit ich dich sehen kann!“
    Die Stimme erfüllte sie mit unerklärlichem Grauen. Doch um nichts in der Welt wollte sie zurückgehen, in die vollkommene Finsternis. Es blieb nur der Weg nach vorn. Der Weg ins Licht. In die Wärme. Heraus aus der Einsamkeit.
    Sie trat näher.

    “Nun, was sehen meine alten Augen da? Glaubte ich eben noch, einen verirrten kleinen Vogel zu empfangen, so erkenne ich nun die schreckliche Wahrheit.“
    Nichts verlor die Stimme an ihrer Ruhe. Sie klang monoton. Leblos. Kalt.

    “Welche Wahrheit?“ Zweifel überkamen sie.
    Die Gestalt stieß ein kaltes, humorloses Lachen aus. “Mich kannst du nicht täuschen, Wesen der Hölle. Mag dein Gesicht auch noch so unschuldig und dein Gebaren noch so zart sein – eines verrät dich.“

    Sofort begann die Finsternis sich zu bewegen. Schatten sprangen auf sie zu. Hände griffen nach ihren Füßen. Zerrten an ihren Armen. Krallten sich in ihr Haar. Tausend Paar Hände.

    Formlos, kalt, schwarz. Wie die fleischgewordene Nacht.
    Sie wollte rennen. Wehrte sich mit Händen und Füßen. Sie biss sogar in eine Hand.
    Aber es brachte nichts.
    Sie war gefangen.

    Schutzlos.

    Zerbrechlich.
    Schwach.

    “Nun... willst du es wissen? Willst du wissen, wer ich bin?“ Langsam zog das verhüllte Wesen seine Kapuze zurück. “Hier. Schau nur gut hin, kleines Höllentäubchen.“

    Mit einem erstickten Schrei erwachte Luise.
    Draußen hörte sie das sachte Plätschern von Regen. Aber das Licht sagte ihr, dass der Morgen bereits hereingebrochen sein musste.
    An ihren bloßen Füßen fühlte sie etwas Warmes, Flauschiges. Etwas, das sich bewegte. Und tatsächlich - eine Sekunde dauerte es, da war Kürbis, der bis vorhin anscheinend noch friedlich an ihre Füße gekuschelt geschlafen hatte, auch schon auf ihren Schoß geklettert und winselte leise.
    Luise kraulte ihm mit zitternden Händen das Fell. Es war gut, nach einem solchen Traum etwas so Beruhigendes bei sich zu haben.
    Doch was machte Kürbis hier? Schlief er nicht eigentlich bei Konrad?
    Das letzte, woran Luise sich erinnern konnte, war dass ihr Zimmer gestern Abend von Konrad bewacht worden war. Und schließlich war sie noch einmal aufgestanden und hatte nach ihm gesehen.
    Sie erinnerte sich auch vage daran, dass sie den Fuchswelpe in die Arme genommen hatte. Und Konrad war am Schlafen gewesen.
    Aber sie konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern, zurück ins Bett gestiegen zu sein.
    War sie etwa dort, im kalten Flur, neben ihrem Vetter eingeschlafen? Hatte er sie zurück getragen?
    Luise seufzte. Sie würde es wohl noch erfahren. Konrad würde sich wohl kaum die Gelegenheit nehmen lassen, sie ein wenig damit aufzuziehen. Und so sehr Luise es auch beschämte, ihm mehr Arbeit bereitet zu haben, so dankbar war sie auch, dass sie ihn hatte. Dass er sich immer so bedingungslos um sie kümmerte. Obwohl sie es nicht verdient hatte.
    Schnell schlüpfte Luise in ihre Kleidung und warf dann einen Blick vor die Tür. Von Konrad war nichts zu sehen. Ein wenig alarmiert schritt das Mädchen, gefolgt von einem aufgeregt fiependen Kürbis, zu seiner Kammer. Auch dort war er nicht zu sehen. Seine Stiefel und sein Mantel waren nirgends zu sehen.
    Luise runzelte die Stirn. Es kam nicht besonders häufig vor, dass Konrad in solcher Frühe schon auf war. Geschweige denn, Ausflüge machte. Vielleicht hatten die Ereignisse ihm doch ähnlich stark zugesetzt wie Luise selbst.
    Sie würde später mit ihm reden. Sicher würde alles gut werden.
    Doch während Luise das Frühstück für Adalbert vorbereitete, verließ das ungute Gefühl sie nicht. Irgendetwas stimmte nicht, aber sie konnte nicht festmachen, was. Nachdenklich warf sie Kürbis einige Fleischstreifen zu.
    Auf ihr eigenes Frühstück verzichtete Luise. Sie würde gleich einfach zum Wirtshaus eilen und Brunhild fragen, ob diese ihren Vetter heute schon gesehen hatte. Ja, das würde sie tun. Und man würde ihr sagen, dass er schon früh morgens in der Kirche zum Beten war. Oder, dass er einen kleinen Morgenspaziergang machte.
    Eine Sekunde lang zögerte die junge Apothekertochter. Dann öffnete sie mit zitternder Hand die Tür zur Straße.


    Erst wollte sie wegblicken. Sich einfach umdrehen und vorgeben, nichts gesehen zu haben.
    Doch sie konnte nicht. Mit zögerndem, unsicheren Schritt ging sie auf Rekon und die am Boden liegende Gestalt zu. Die Lumianer hatten wieder zugeschlagen.
    Es konnte nicht Konrad sein. Dafür war die Gestalt viel zu klein und schmal. Aber dieser vorläufige Trost verebbte, als sie das Opfer erkannte.
    Luise rannte nun und kniete sich trotz des schlammigen Grundes neben Maria nieder. Sah den Dolch in ihrer Brust. Berührte zitternd die kalte Hand.
    "Nein...", hauchte das junge Mädchen. Mehr brachte sie nicht hervor. Ihr Atem stockte. Warum ausgerechnet Schwester Maria?
    Die liebenswerte Nonne, welche ihr gestern noch Worte des Muts zugesprochen hatte.
    Die sich gegen die Meinung des Pfarrers gestellt hatte.
    Die Frau, der Luise voll und ganz vertraut hatte.
    Der sie ihr Leben in die Hand gelegt hätte, selbst nach ihrer gestrigen Fehleinschätzung.
    Nun lag sie reglos und schmutzig auf dem Boden. Am Ende so sterblich und unvollkommen wie jede andere auch.
    Mit verwirrter Stimme murmelte Luise, mehr an sich als an Rekon gerichtet: "W-wir müssen s-sie fortbringen. W-wenn man sie so sieht, w-was soll dann werden?" Mit zitternden Händen versuchte Luise, das schmutzige Kleid zu glätten. "W-wie soll sie d-denn in Frieden ruhen, w-wenn ihr Körper auf s-so kaltem Grund liegt?"
    Der Grund, warum die Lumianer ausgerechnet Maria gewählt hatten, lag selbst für Luise auf der Hand. Nie hatte die Nonne jemandem etwas zuleide getan. Immer hatte sie auf ihre nonnige Art und Weise ihrem Herrn und Schöpfer gedient. Sie war deshalb im Weg gewesen. Hatte nicht genug Hass im Herzen getragen, um ihnen von Nutzen zu sein.
    Stattdessen lebten sündige Menschen wie Luise weiter. Menschen, die nicht in der Lage waren, den Frieden zu wahren. Oder jemanden zu schützen.
    Das Mädchen blickte unruhig umher.
    Der Regen plätscherte weiterhin herab. Verwandelte den Boden in ein schlammiges Meer. Durchnässte Luises Kleid und machte auch vor der reglosen Nonne keinen Halt.
    Doch auf mysteriöse Weise hatte er die beiden an die Dörfler adressierten Zettel verschont.
    Zitternd erhob sich Luise und las die Nachrichten. Verstand die Worte nicht. Las sie erneut. Riss den einen Zettel herab und las ihn erneut. Murmelte das Gelesene vor sich hin.
    Aber die Worte änderten sich nicht. Konrad sollte ein Ketzer sein. Ein von Gott Verstoßener. Und nun auch aus dem Dorf verbannt.
    Luise rührte sich nicht. Sie starrte lediglich weiter den Zettel an. Ihr war, als hätte die Zeit einen Moment lang den Atem angehalten.

    Geändert von Zitroneneis (29.03.2013 um 11:26 Uhr)

  6. #6

    Rekon betete noch für die nicht mehr ganz so nonnige Nonne, bis Luise Elkarst, die Cousine von Konrad zu ihm kam und die tote Leiche sah. Man sah ihr ihren Schock sehr an.
    "W-wir müssen s-sie fortbringen. W-wenn man sie so sieht, w-was soll dann werden? W-wie soll sie d-denn in Frieden ruhen, w-wenn ihr Körper auf s-so kaltem Grund liegt?" sagte sie weinend, während sie versuchte das Kleid der toten Leiche zu glätten. "Du hast recht, Luise. Wir sollten ihr eine gute Reise ermöglichen... Eine gute Reise zum Paradies..." antwortete Rekon ebenfalls traurig über den Tod der Nonne. Auf einmal fand Luise einen Zettel, den Rekon anscheinend übersehen hat. Sie las ihn sehr oft und begann nach einigen Malen den Text zu murmeln. Rekon verstand genau, was sie las. Konrad war eine verfluchte Person und wurde vom Pfarrer vertrieben. Dieser Schock schien für Luise so groß zu sein. Sie erstarrte. "Luise... Das muss wirklich schwer für dich sein... Lass uns erstmal Maria begraben und dann gehen wir zum Gasthaus. Ist das okay für dich?" fragte Rekon, welcher von Mitleid erfüllt ist. Er weiß wie es ist, Personen zu verlieren, die wichtig für einen sind. Er versuchte noch eine ganze Weile, Luise zu trösten...

  7. #7
    You lie silent there before me
    your tears they mean nothing to me
    the wind howling at the window
    the love you ever gave
    They give to you

    Really don't deserve it
    but now there's nothing you can do
    so sleep in your only memory of me
    my dearest mother

    Here's a lullaby to close your eyes good-bye
    it was always you that I protected
    I feel to much for you to cry oh well
    here's a lullaby to close your eyes good-bye

    Goodbye, my dearest Mother







    "....oel...Noel! Du musst besser aufpassen, du kleiner Dummkopf! Wenn du dich immer mit den anderen Kindern in der Schule streitest, passiert eines Tages noch etwas Ernsthaftes!"

    "...Ja. Tut mir leid, Mami."

    Behutsam tupfte die junge, schlanke Frau die blutende Wange ihres kleinen Sohnes ab. Ihre langen, feuerroten Haare bedeckten ihr kränkliches Gesicht, doch funkelten ihre smaragdgrünen Augen und ihr Lächeln wie das einer märchenhaften Elfe.

    "Hm. Sag Noel, warum hast du dich mit dem Jungen geschlagen? Du kannst schließlich keiner Fliege was zu leide tun, soweit ich weiß. Bist doch ein kleiner Feigling."

    Leise kicherte sie, ob des bockigen Blickes des rothaarigen Knirpses. Das hatte er von seinem Vater.

    "Sie haben..."
    Er wich ihrem Blick aus, Tränen des Trotzes glänzten in seinen Augen.
    "...Sie haben... schlimme Sachen über dich gesagt. Weil du immer krank bist. Sie haben gesagt, du wärst eine böse Hexe. Und gelacht."
    Der Junge kam heran, um seine Mutter zu umarmen. Alisia strich ihm seicht lächelnd über den Kopf.

    "Und da hast du mich verteidigt? Mein Held, hihi."

    "Mwami... iwst keine Hexe..."*hick*

    "Nicht weinen, Noel. Du bist immer so eine kleine Heulsuse, was soll später nur mal aus dir werden, wenn du so weitermachst, hm?"
    Grinsend strich Alisia ihm über die Wange, wusch seine Tränen weg.

    "I-i...ich bin keine Heulsuse, Mama! Ich werde später mal ganz reich und mächtig, bis ich ein König bin! Und dann wirst du meine Königin und ich mache dich wieder gesund!"

    "So...?"
    Wieder musste die kränkliche Frau kichern.
    "Na gut... dann warte ich solange, mein Held. Aber warum soll Mama deine Frau werden? Ich bin doch schon Papas Frau."

    "Papa... ist aber weggelaufen. Er hat uns alleine gelassen..."


    Alisia putzte ihrem Sohn mit einen weichen Tuch die schmutzigen Wangen, als sie ruhig antwortete.
    "Nein, Noel, Papa ist nicht weggelaufen. Er ist immer noch als Ritter unterwegs und kämpft für uns. Darum ist er auch Mamas Held! er ist wirklich cool, weißt du?"

    "Wirklich?! Dann beschütze ich dich, bis Papa wieder da ist! Und dann werden wir ganz reich und leben zusammen in soooooo" , der Junge breitete theatralisch die Arme aus, "einem großen Schloss!"


    Sie lächelte warm und sah ihrem Sohn in die Augen. Seit ihr Mann verschwunden war, waren sie auf sich allein gestellt. Da sie kränklich und arbeitsunfähig war, lebten sie in schäbiger Armut. Und doch hatte ihr Sohn noch Kraft.
    "Also liebst du... diese Welt, Noel?"

    Ein breites Grinsen zog sich über das Gesicht des rothaarigen Burchen, bevor er beinahe lachend antwortete.
    "JA!"

    Auch Alisia lachte.
    "Das ist schön, mein Schatz."

    "Liebst du mich, Mama?"

    Lächelnd schüttelte Alisia den Kopf, und zwinkerte ihrem Sohn zu.
    "Was für eine wirklich dumme Frage, du Tomatenkopf!"

    "Nenn mich nicht Tomatenkopf, MAMAH!"

    "Ahaha... ahahahaha. Hahahahaha."







    (Spoiler enthält charakterrelevante Traum-Szene mit Grimdark, u.a. sexueller Übergriff! Nur öffnen, wenn ihr sowas vertragt.)







    "...guah!"
    Hustend fuhr Noel hoch, saß Sekunden später keuchend und schweißgebadet mit geweiteten Augen in seinem schwarzen Bett.
    "Hah... hah...Ngaaaah!"
    Die Hände des jungen Mannes fuhren blitzartig zu seiner Stirn, umpressten sie, er kniff brüllend Augen als auch Zähne zusammen, geplagt von der schlimmsten Migräne seit Monaten.
    "Ver... verdammt... Pest und VERDAMMNIS, tut das weh!"
    Noel warf seine Decke beiseite, stürzte in sein kleines, schmutziges Badezimmer und ließ möglichst kaltes Wasser aus der Dusche über sein Gesicht tröpfeln.
    Es half. Zumindest etwas. Das dämonische Pochen ging zurück und Noel entspannte sich etwas.

    Als er das Badezimmer wieder verlassen wollte, fiel sein Blick auf das Spiegelbild.
    "Historische Elfenpisse, was..."
    Seine Augen waren blutunterlaufen und verziert mit tiefen, schwarzen Ringen. Sein Teint war noch blasser als sonst und Noels Nase blutete leicht.

    Der Preis einer durchzechten Nacht.

    Noel erschrak und blickte hinter sich: Deus nahm gerade ausgelassen ein Schaumbad, ein Quietchefüchschen und ein kleines Holzschiff trieben auf der Wasseroberfläche umher.
    Beim hereinkommen hatte er den Gott gar nicht bemerkt.
    "haaah.... Deus." , Noel griff sich, nun wieder etwas genervter, an die Stirn, "wie oft habe ich dir gesagt, du sollst meine Wanne nicht benutzen, du wandelnde Flohzucht?"

    Wie oft hab ich dir gesagt Oh mein Gott, wenn zur Hölle interssierts?!

    Kopfschüttelnd verließ Noel das Badezimmer. Auf so eine Diskussion konnte er jetzt wirklich verzichten.
    "Stimmt... ich gab mich dem Alkohol hin. Das war wohl die gerechte Strafe. Aber dennoch... dieser Traum... ach. Nicht darüber nachdenken."
    Nachdem er sich in seinen üblichen Mantel gekleidet und eine Kleinigkeit gegessen hatte, trat er auch schon umwegslos vor sein Haus. Es war ein düsterer Tag, dunkler in der Gestalt noch als Gestern, Regentropfen bestimmten das Bild des nahen Dorfes, prasselten auf Noel herab, als wären es Tränen. Als würde der Himmel selbst um Gefallene trauern.
    Da fiel es Noel wie Scheuklappen von den Augen:
    Die Lumianer. Jemand war wahrscheinlich tot. Er musste ins Dorf.
    Aber zuerst...

    Noel kniete sich auf den Boden. Einen Moment zögerte er mit seltsamen Blick, als er schließlich nicht wie sonst zu seinem Dolch, sondern zu dem Amulett um seinen Hals griff, es in seine betenden Hände einschloss und mit entspannt geschlossenen Augen sanft lächelnd flüsterte.

    "Selbst wenn dieser Körper zu Asche zerfallen würde, würde ich dich niemals verlassen."

    Der Junge schwieg noch einige Momente, bis er sich die Kette wieder anlegte und sich zum Dorf aufmachte.

    Wo geht es heute hin, Noel? was machen wir jetzt?

    Trocken umfasste der rothaarige Bursche seinen Dolch.
    "Lumianer jagen."




    Er kam auf dem verregneten Dorfplatz an, nur wenige Menschen waren anwesend:
    Noel erblickte Rekon, und direkt neben ihm, auf dem Boden kniend...
    "...Kleine...Elfe..."

    Luise saß zitternd und mit fassungslosem Blick im Schlamm, einen Zettel in ihrer Hand anstarrend. Normalerweise wäre er nun sofort losgestürmt, hätte Rekon halb totgeschlagen und sich dann nach dem Grunde Luise' Trauer erkundigt. Aber so war er es vermutlich, der sie tröstete. Und das musste genügen.
    So sehr ihn der Anblick seiner kleinen Elfe in diesem Zustand auch zerriss.
    Noel beschloss, sich dem Dorfaushang zuzuwenden.
    Zuerst fiel sein Blick aber auf etwas Dahinterliegendes.



    Marias erstochene Leiche.
    Noels Schultern sanken ab und mechanisch, unendlich langsam, weiteten sich seine Pupillen.

    Sie war das Lumianeropfer dieser Nacht.
    Warum? Wieso die Nonne? Mit welcher Motivation? Was bezwecken die Lumianer damit? Ich muss mich in sie... nein. Moment. Zuerst die restlichen Informationen. Schach funktioniert über lückenlose Informationen.

    Noel beachtete die Leiche nicht weiter. Den Verlust bedauerte er zwar. Eine weitere Bürgerin, die er nicht beschützen konnte. Doch die Reaktion war längst nicht so verherrend wie gestern Abend, als ihn sein Versagen deutlich härter traf. Konzentriert suchte er das Schild ab - Um einen weiteren, kleinen Schock zu erleben:
    Zitat Zitat
    Noel De'chrones'tulem
    Sein Name. Sein Name stand an dem Schild. Er war heute Nacht nominiert wurden, ein Lumianer zu sein.
    Reaktionslos starrte Noel auf das kleine Schild.
    Nun... in Ordnung. Das hättest du dir denken können. Du hast dich gestern auffälliger verhalten als ein Papagei im Rabennest. Das sollte nicht unerwartet sein.

    Trotz seinem ruhigen Gedanken war Noel sich unsicher, welche Folgen diese Stimme heute Abend für ihn hätte. Keine Positiven, dessen war er sich bewusst.
    Aber warum war Luise so aufgebracht? Wegen der Nonne?
    Möglich... wegen seiner Nominierung? Haha, wohl kaum.

    Der dritte mögliche Fall war noch nicht durch Noels Synapsen geschossen, da fiel sein Blick auf den letzten Zettel am Schild, und er musste sich für einen kleinen Moment an Selbigem stützen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.










    Verfluchtes Roulette, dein Humor ist Schwärzer als der des grünen Satans...


    Warum? Warum Konrad?
    Konrad, ein Verfluchter? Ihr ungezählten Dämonen der goldenen Hölle...
    Ich wusste, er war kein Lumianer, aber das... Nein. So ein verdammnisnahes Unglück, Pestregen und Tumorengift.

    Noels Augen taten weh. Er krampfte seine Finger in den kalten Schlamm, eisige Regentropfen schossen spottend auf ihn herab, als er fühlte, wie sich ein starkes Unbehagen in seinem leeren Inneren ausbreitete.
    Noel empfand Trauer. Trauer um einen Mitmenschen.
    Einen Menschen, den er bis vor kurzem gehasst hatte, der es aber mit wenigen Taten der Aufrichtigkeit geschafft hatte, seinen Respekt zu gewinnen.

    Das zweite Mal in seinem jungen Leben empfand Noel Trauer ob des Todes eines anderen Menschen.


    Konrad... verfluchter Hund. Wie kannst du es wagen, zu verschwinden?
    Wo meine letzten Worte an dich so... wertlos waren. Du Bastard. Verdammt, Konrad.

    Zitat Zitat
    "Ich werde mich von ihr fernhalten, darauf habt Ihr mein Wort. Ich werde euch in der Apotheke nicht mehr belästigen."
    Keine Worte der Entschuldigung für die letzten zwei Jahre meiner ungerechtfertigten Abneigung. Kein einziges Wort des Respektes, des Dankes, den ich diesem Mann gleichermaßen entgegenbrachte.
    Kein Wort des Dankes, dass er Luise mit seinem Leben beschützte wie kein Zweiter.

    Selbst wenn du ein orkengefälliger Bastard warst... so sollte es nicht enden.


    Mit bitterem Gesichtsausdruck schreckte Noel auf.
    Kleine Elfe. Meine Güte, wie... wie sehr muss sie den Schmerz eines Verlustes spüren?

    Sein schmerzender Blick fiel auf das starr da kniende Mädchen, welches nach wie vor außer Stande war, Gefühle zu zeigen. Zu weinen. Noel konnte es nachvollziehen..

    Dem Kerl Vorwürfe machen... dabei bin ich Schuld.
    Du bist Schuld? Warum, Noel?

    Ich hätte es verhindern können. Hätte ich es geschafft, gestern einen Lumianer hinzurichten, dann wäre es anders gekommen. Keine Frage.

    Das stimmt. Du bist ein wertloses Insekt, weniger wert, als der Dreck unter den Fingernägeln eines jeden Lumianers.

    Ich werde es wieder gutmachen.
    Ich muss sie-


    GARNICHTS musst du! Was willst du tun, du wertloses Stück Dreck? Dich ihr nähern? Sie auch sterben lassen?

    Ich muss sie beschützen.
    Meine kleine Elfe... sie hat niemanden mehr.
    Wie sollte sie weiterleben, wie sollte sie in ihrer Reinheit einen solchen Verlust verkraften? Die kleine Elfe braucht jemanden.


    Dieser jemand bist nicht du. Denk an deinen Schwur.
    Nein... denk an dein Wesen. An deine Seele, dein Innerstes.

    Die warme, schwarze Kirche, die tief in deiner Brust verborgen ist, gleichbedeutend mit deiner Seele, welche die Form eines schwarzen, trieffenden Klumpens hat, für den es nur eine einzige angemessene Bezeichnung gibt.


    Hey... soll ich dir etwas sagen, Noel?


    Du bist WAHNSINNIG!



    "Ngrrr..! Guah... Ungh... "
    Keuchend, von Kopfschmerzen verzerrt und in Bitterkeit ertrinkend, stürzte der rothaarige Junge auf eines seiner Knie.
    Mein Kopf tut so weh... ich weiß nicht, was ich tun soll... mein Kopf tut so weh... verdammter Pestrauch, es tut weh!


    Du hast es geschworen, Narr. Sei kein Mensch. Bleib kühl und gefasst. Sei kein Mensch.

    Ich nahm an, Konrad würde sie schützen. Mein Schwur ist nichtig. Ich werde sie beschützen.

    AUSREDEN! Nichts als Aureden! Du bist willensschwach, du bist von ihr besessen! Konrad ist aus dem Weg geräumt, nun kannst du dich ihr wieder nähern, was?!
    Du Wahnsinniger!


    Schweig still.
    Du bist nicht mehr als ein eingebildeter Dämon, ein Ergebnis meines gestrigen Exzesses, du bist Nichts!
    Verschwinde aus meinem Kopf. Sofort.


    Schnaufend, fast schmerzhaft keuchend kam Noel wieder auf die Beine. Mit seinem Mantel wischte er sich unwirsch die Stirn, bevor er mit festem Blick Luise fixierte, bevor er ein letztes Mal die Augen schloss.

    Es tut mir leid, Konrad... seist du ein Verräter oder nicht...nichtig. Doch ich löse meinen Schwur hiermit.
    Das macht mich nicht besser als dich.

    Letztendlich... sind wir beide Menschen, was?

    Und mit diesen Gedanken ging Noel stumm auf das kleine, rothaarige Mädchen zu.

    Geändert von Holo (29.03.2013 um 21:26 Uhr)

  8. #8
    Ross hatte die Nacht im Hauptmannshaus verbracht, wo er sich alle Utensilien und einen Großteil der Schriften ansah. Vielleicht hatte der verstorbene Hauptmann ja irgendwelche Hinweise hinterlassen, Hinweise die sie auf die Spur der Lumianer hätte führen können. Dafür, dass noch vor ein paar Tagen hier jemand seinen Dienst verrichtet hatte, war es erstaunlich staubig und außerdem hing ein modriger Geruch in der Luft. Ross versuchte, den Ursprung des Gestankes auszumachen, als er irgendwo in der Ecke vergammelte Überreste einer Mahlzeit vorfand.
    Mit einem angewiederten Blick beförderte er die Schimmelpilzkultur nach draußen, bevor er sich wieder den Pergamenten widmete. Zu seinem Leidwesen, konnte er damit aber nicht allzu viel anfangen, da seine Lesekünste geradeso ausreichten, um als Holzfäller die wichtigsten Sachen erledgien zu können, aber bei weitem nicht genug, um den Inhalt der Pergamente zu begreifen, weshalb er sie schlussendlich dann mit einem Anflug von Frustrationen vom Tisch fegte.
    Mit einem Seufzer stand er auf und begab sich ersteinmal zu einem Fenster. Die kalte Luft draußen und die warme Luft im Inneren des Hauses sorgten dafür, dass die fensterscheiben alle angelaufen waren. Ross betätigte den Hebel, der die Fenster aus ihren Verankerungen gleiten lassen sollte, damit sich das Fenster öffnen lies. Mit einem leichten knarksen schoben sich die in Holz eingelassenen Fensterscheiben nach außen und boten somit ein ideales Loch, durch das der leichte Wind eindringen konnte, der sich in den letzten Stunden gebildet hatte.
    Über die Zeit hatte war die Temperatur noch weiter abgesunken und nun konnte man ab und an einige vereinzelte Schneeflocken sehen, die im Winde tanzten, bevor sie zu Boden fielen und auf der noch immer warmen Erde sich wieder in Wassertropfen verwandelten.
    Nun zog ein kalter Wind durch das spärlich beleuchtete Arbeitszimmer und die Kerzen, die überall verteilt standen flackerten im Wind, einige wenige, die sich zu nah am Fenster befunden hatten, gingen aus und hinterließen eine dünne Wolke, die vom Wind fortgetragen wurde und der Umgebung einen leicht festlichen Geruch gab.

    So verging die Nacht und langsam wich die Dunkelheit dem Licht, auch wenn es am Morgen noch immer ein recht wolkiger Anblick war. Die Kerzen waren alle heruntergebrannt und überall im Zimmer lagen nun alle möglichen Pergamente herum. Von Volkszählungen, über Verhandlungen, Importe, Exporte, Steuereinnahmen und -ausgaben, Berichte über ungelöste Verbrechen, Unfälle, von denen ein Großteil sich im Innersten des Waldes zugetragen hatten und noch viel mehr. Ross, der sich fast die ganze Nacht um die Ohren geschlagen hatte, erwachte leicht verwirrt; zum einen weil er sich nicht in seinem Bett befand (wobei ihm recht schnell wieder einfiel, dass er gar nicht nach Hause gegangen war) und zum anderen, weil er feststellen musste, wohl doch eingeschlafen zu sein. Das und die Tatsache, dass es nur ein paar Stunden Schlaf waren, was bei seinem Grad der Überarbeitung doch noch recht wenig war, oder anderes gesagt: er war es einfach nicht gewohnt.
    Ross blickte auf und stellt fest, dass das Fenster wieder geschlossen war. Hatte er es wieder geschlossen? Ross konnte sich nicht erinnern. Er stand auf und begab sich zu dem Fenster, welches sich zum Dorfplatz richtete und öffnete es. Danach versuchte er einen Blick auf den Platz zu erhaschen, wobei er bemerkte, dass sich eine kleine Menge an Leuten bereits dort versammelt hatte. War etwas in der Nacht vorgefallen? Ross war sich sicher, in der Nacht nichts gehört zu haben, auf der anderen Seite musste er aber wohl irgendwann doch eingeschlafen sein. So würde ihm wohl nichts anderes übrig bleiben, als selbst nachzusehen. Sollte sich doch etwas ereignet haben, so musste er als Hauptmann sich sofort um die Gegebenheiten erkundigen.

    So kam es, dass Ross sich seinen Mantel schnappte und die Tür zum Hauptmannshaus öffnete. Mit eiligen Schritten, begab er sich schnellstmöglich dorthin, wo sich die Ansammlung aufhielt und umso näher er kam, umso mehr vernahm er einen leicht metallernen Geruch und was das bedeuten könnte, wurde Ross mit jeder Schritt immer mehr bewusst: es war jemand gestorben.

    Als er am Dorfplatz ankam, bot sich im ein grauenhafter Anblick, war das die Nonne, die dort..."Das schlimmste ist also eingetreten...dann bleibt uns also heute wieder nur die Entscheidung, jemanden hinrichten zu lassen...", ihm lief ein Schauer über den Rücken.

    Geändert von R.F. (03.04.2013 um 14:42 Uhr)

  9. #9
    Geistesabwesend war Viktoria mit Brunhild mitgelaufen.
    Sie fand es nett, dass sie ihr eine warme Tasse gab und dachte an die Abende, an denen sie bei ihr im Wirtshaus aufgetreten war.
    Manchmal fragte sie sich, ob die Menschen wussten, wer hinter der roten Viola steckte.
    Nachdenklich sah sie zu Luise, die noch immer ganz blass aussah.
    "Was ist nur passiert?", flüsterte sie in den Raum und war sich nicht sicher, ob es jemand gehört hatte. Es schien nicht so.

    Nachdem Luise erstaunlicherweise ziemlich ruhig geblieben war, als sie sich bei Brunhild und Viktoria ihr Herz ausgeschüttet hatte, fragte sie Viktoria:"Ähm... i-ich würde später g-gerne einen Blumenstrauß für d-den verstorbenen Hauptmann machen. D-du kennst dich ja mit Blumen aus. Vielleicht machen wir das zusammen? A-aber nur, wenn du willst, n-natürlich."
    Viktoria nickte.
    Als Luise die Tür hinter sich zu zog, musste Viktoria an ihre Mutter denken.
    Sie musste sofort verschwinden.
    "Brunhild, ich danke dir wirklich herzlich.",sagte sie in die Richtung der Wirtin. "Bis heute Abend...öhm ich meine...Wir sehen uns bestimmt bald...öhm ja", sie öffnete die Tür und lächelte der verwunderten Brunhild noch einmal zu, dann lief sie zurück zur Schneiderei.
    Etwas später als ihre Mutter in die Schneiderei trat und Viktoria vertieft in ihre Arbeit war, berichtete diese: "Auf dem Dorfplatz herrscht wieder ein merkwürdiges Unterfangen. Die Leute nominieren Menschen aus unserem Dorf die sterben sollen. Ich hoffe meine wohlerzogene Tochter hält sich daraus!!"
    Ihre Mutter legte ein Gewand auf Viktorias Tresen.
    Dann verschwand sie ohne weitere Worte.
    Verwundert erhob sich Viktoria.
    Jemand sollte sterben?
    Sie sah auf das Gewand.
    Ein kleines Loch hatte es, an seinem Ärmel.
    Wenn es bis heute Abend nicht fertig war, würde ihre Mutter das merken. Sie raste ohne weiter darrüber nachzudenken durch die Tür und dann hinaus in die Kälte.
    Als sie ankam hatte sich das Dorf bereits für Merete entschieden.
    Besorgt sah sie zu ihr.
    Sie ahnte, dass das Dorf eine falsche Entscheidung getroffen hatte.

    Geschockt nähte sie an dem Loch des Ärmels herum.
    Sie hatte Merete nicht gekannt. Dennoch, es brach ihr das Herz zu wissen, dass sie tot war.
    Eine Unschuldige. Jeden hätte es treffen können.
    Es war etwas in ihrem Bauch. Ein mulmiges Gefühl und sie hatte das Gefühl, dass das Böse unter ihnen wohnte.
    Sie ahnte auch wer es sein könnte jedoch...
    AUTSCH! ein ziehender Schmerz zog sich durch ihren Finger.
    Sie hatte sich die Nadel in den Zeigefinger gestochen. Blut tropfte auf den Fußboden und sie hörte sich selber schluchzen.
    Es war nicht richtig das Merete tot war. Es war eindeutig und wahrhaftig nicht richtig.

    Als sie an diesem Abend im Wirtshaus auftrat, sang sie für niemand anderen als für Merete.
    Sie sang, dass Elefanten Lied. Jedoch änderte sie den Refrain in:

    "Ich schreibe ein Lied für sie,
    und ich hoff' das sie nie vergessen wird.
    Ich schreibe ein Lied für sie,
    denn sie hat nichts Böses getan"

    Der nächste Morgen begann für Viktoria wie jeder andere, jedoch schwebte noch immer ein großes Unwohlsein in ihrer Brust...
    Als sie mit diesem Gefühl vor der Arbeit zum Dorfplatz schlich, ohne das ihre strenge Mutter es ein weiteres Mal merkte, wusste sie woher das Gefühl kam.
    Die Nonne. Eine weitere Unschuldige, dachte Viktoria sofort.

  10. #10
    Rekon bemerkte, dass sich eine gewisse Masse an Leuten ansammelte. Noel, welcher sich zu Luise und Rekon saß, der neue Hauptmann und die Schneiderin Viktoria sind am Dorfplatz angekommen und haben bereits die tote Leiche der nonnigen Nonne gesehen. der Hauptmann sagte direkt, dass es heute wieder an der Zeit ist, jemanden zu hängen.
    Rekon trat hervor, um den Anwesenden etwas zu sagen.
    "An alle Anwesenden. Diese Nacht ist eine der unseren, Maria die Nonne, von den Lumianern getötet worden. Ebenfalls hat der Pfarrer wieder einmal seine Nominierung ausgesprochen. Dieses Mal nominiert er Noel. Zum Dritten wurde Konrad aus dem Dorf verbannt, da er einen Fluch trug. Das sind alles schreckliche Neuigkeiten, das weiß ich, doch sollten wir uns erstmal um den Körper unserer Nonne kümmern. Ich habe bereits, wie ihr sehen könnt, eine Schaufel besorgt. Mit dieser Schaufel, werde ich das Grab der toten Maria schaufeln. 2 Personen werden benötigt, um sie zum Friedhof zu tragen. Ich hoffe, dass sich jemand dieser Aufgabe annimmt. Heute muss übrigens ein Lumianer hängen. Wir wissen nämlich nicht, wie viele von ihnen in diesem Dorf wohnen. Wenn es zu viele sind und wir heute erneut eine falsche Person hängen, dann ist es aus für uns. Und auch wenn es nicht zu viele sind. Ich denke nicht, dass irgendjemand von euch eine unschuldige Person am Galgen hängend sehen will. Den Rest überlasse ich unseren Hauptmann, Ross. Auf das dieser Tag erfolgreich wird!"
    Dies war Rekons Rede. Er hat sie so gehalten, wie er sie früher gehalten hat. Rekon schnappte sich seine Schaufel und wartete, bis sich zwei Personen bereit erklärten, der nicht mehr ganz so nonnigen Nonne ein würdiges Begräbnis zu bescheren.

  11. #11
    Vom sanft gegen die Scheibe prasselnden Regen geweckt machte sich Brunhild für den neuen Tag zurecht. Ihre Hände fuhren sacht durch den weichen Überwurf aus Schafsfell, den sie über das Bettende gelegt hatte. Er war der sichere Beweis, dass ihre nächtliche Begegnung mit Konrad nicht nur ein schönes Gespinst ihrer Phantasie gewesen war. Ein versonnenes Lächeln zeichnete ihr Gesicht.
    Nachdem sie die letzten Haarsträhnen unter das Kopftuch gestopft hatte, nahm sie das wärmende Kleidungsstück mit nach unten. Natürlich würde sie es ihm später zurückgeben, auch wenn sie es noch so gerne behalten würde. Es wäre sowieso ein gute Plan, gleich zu dem Lockenkopf zu gehen und zu schauen, ob er vom Wanderritt heil zurückgekommen ist, ma weiß ja nie. Doch vorher würde sie für Lumi und Schwester Maria ein ordentliches Frühstück bereiten.
    Nachdem sie den Überwurf auf dem Tresen abgelegt hatte und ein neu entfachtes Feuer bei der Kochstelle züngelte, fragte sich die Wirtin, wo eigentlich ihr alte Köter abblieb. Normalerweise war er morgens immer zur Stelle, wo es ja die einzige sichere Gelegenheit für ihn war, von ihr am Tag gefüttert zu werden. Vielleicht hatte ihn Konrad ja zu Ausritt mitgenommen. Wenn das Glück ihr hold war, hatte er vom vielen Laufen einen Herzinfarkt bekommen und ist irgendwo im Wald krepiert. Aber was Rüdiger anging hatte sie noch nie Glück gehabt.
    Aus der unverschlossenen Vorratskammer holte sie alles Nötige für das erste Mahl ihrer Gäste. Sich selbst genehmigte sie ein Stück Brot, während sie den Mehlbrei im Kessel anrührte und abschmeckte. Als sie sich zum Schüsselholen umwand, entdeckte sie die noch immer am Boden liegende Teigrolle, die sie nach dem nächtlichen Eindringling geworfen hatte.
    Grinsend bückte sie sich, um sie aufzuheben, als ihr Blick auf einen merkwürdigen Fleck auf den Dielen fiel. Für einfachen Dreck glänzte es zu sehr, als betrachtete sie ihn sich aus der Nähe. Ihre Augen weiteten sich bei der Erkenntnis, dass es sich um Blut handelte. Und da waren weitere Flecken in Richtung Eingangstür. Brunhild war sich eigentlich ziemlich sicher gewesen, dass Konrad unverletzt gewesen war, das wäre ihr doch aufgefallen…
    Alarmiert blickte sie sich in der Schankstube um. Die Flecken bildeten eine Spur von der Tür zum…Treppenansatz. Eine dunkle Vorahnung kroch langsam in ihr hoch, ihr Puls beschleunigte sich schlagartig. Auf zwei Stufen fand sich ebenfalls Blut, warum war ihr das vorhin nicht schon aufgefallen?
    Unsagbar langsam schritt sie die Treppe hinauf. Ein letzter kleiner Blutfleck direkt vor ihrem Zimmer, in dem die Nonne geschlafen hatte. Ihre Hand umschloss den Türgriff.
    Alles in ihr schrie danach, es zu lassen, auf dem Absatz kehrt zu machen, wieder hinunterzugehen und fortan so zu tun, als würde es dieses Zimmer nicht mehr geben. Doch bevor ihr Verstand die Oberhand gewann war die Tür bereits geöffnet. Ein Schrei des blanken Entsetzens entfuhr Brunhilds Kehle.
    Blut. Überall Blut. Das ganze Bett war getränkt davon. Auf dem Boden sah man eine verschmierte Blutlache, so als ob ein Körper durch sie ein Stück in Richtung Tür geschliffen wurde, ehe er hochgehoben und den Weg nach unten und aus dem Haus hinaus getragen wurde.
    Krampfhaft hielt sich die Wirtin ob ihrer weichen Knie am Türrahmen fest und kämpfte mit der sich anbahnenden Ohnmacht. Verzweifelt biss sie sich schließlich in den Finger, um wieder zu Besinnung zu kommen. Die Wirkung stellte sich prompt ein. Hals über Kopf stürzte sie die Treppe hinunter, warf sich ihre Heuke achtlos um und stürmte aus ihrem Heim auf den Dorfplatz- auf die kleine Menge zu.

    Als sie atemlos bei ihnen war, hörte sie Rekon gerade sprechen, dass zwei Leute benötigt wurden, um „sie“ zum Friedhof zu tragen. Ihr Blick fiel schnell auf sie, die noch vor wenigen Stunden friedlich in Brunhilds Bett geschlafen hatte.
    Auf die Knie fallend nahm sie den Kopf von Marias Leiche sacht in die Hände. Ihr Oberkörper wiegte unwillkürlich leicht vor uns zurück. Ihre Tränen vermischten sich mit dem Regen und fielen auf die kalten Wangen der guten Nonne. Wie konnten die Bastarde es nur wagen, eine Geistliche zu morden und dann auch noch gerade diese? Schwester Maria war mit Abstand die nonnigste Frau auf dem gesamten Erdenrund gewesen, eine treue Dienerin des Herren und eine Seele von einem guten Menschen.
    Plötzlich hielt sie inne, die Augen auf einen undefierbaren Punkt gerichtet. Die Mörder hatten es garantiert nicht auf Maria abgesehen. Außer ihr und der Wirtin hatte keiner Kenntnis darüber, dass die Nonne diese Nacht in ihrem Zimmer genächtigt hatte. Brunhild selbst war das eigentliche Ziel gewesen, dessen war sie sicher. Die gute Frau hatte aufgrund ihrer Entscheidung ihr Leben lassen müssen.
    Vorsichtig legte sie den leblosen Kopf wieder ab, ehe sie aufstand und zurückwich. Sie sollte hier liegen, ein Messer in der Brust, ihr Blut das Bett und den Boden des Wirtshauses tränken, ihr Lebensfaden diese Nacht durchtrennt worden sein.
    Es war allein ihre Schuld, dass Schwester Maria nun vor ihren Schöpfer getreten war. Ihr Blut klebte an ihren Händen, und sie würde sich nie reinwaschen können. Sie war genauso ihre Mörderin wie der, der ihr den Dolch ins Herz gestoßen hatte.
    Ihr Blick fiel auf Ross und ihr kam wieder etwas vom Vortag in den Sinn. Vor einigen Tagen hätte sie sich selbst dafür als verrücktes altes Weib gescholten, doch inzwischen hatte sich eine ganze Menge verändert. Doch nun war nicht die Zeit, diesen Gedanken weiter zu verfolgen, sie musste ihn nur später zum rechten Zeitpunkt griffbereit haben.
    Stattdessen wand sie sich an Rekon und meinte mit bebender Stimme:
    “Ich werde sie mitragen, auch wenn ich ihrer unwürdig bin…es ist das Mindeste, was ich jetzt für sie tun sollte.“
    Vielleicht würde sie sich nie von ihrer Schuld Maria gegenüber lösen können. Aber sie würde alles in ihrer Macht stehende tun, auf dass die Seele der Nonne ihr im Himmelreich vergeben möge.

    Geändert von Mephista (30.03.2013 um 13:05 Uhr)

  12. #12


    Der Platz füllte sich langsam mit Menschen.
    Stimmen wurden lauter. Hunde bellten. Pferde wieherten.
    Und im Hintergrund erklang das stetige Lied des Regens. Das Geräusch unzähliger, fallender Tropfen, die auf der Erde landeten, sich in Pfützen sammelten oder von den Dächern herabrannen.

    Doch Luise hörte all das nicht. Die Geräusche waren nicht mehr als ein fernes Flüstern. Das aufgeregte Treiben nicht mehr als verschwommene Bewegungen in ihren Augenwinkeln.
    Es war ihr egal.
    Es war vorbei.
    Schwester Maria war tot.
    Konrad war fort. Zurückgelassen hatte er sie.
    Stets hatte er ihr ein frohes Gesicht gezeigt. Sie in den Arm genommen und sie getröstet, wenn es ihr schlecht ging. Sie beschützt.
    Sie glauben lassen, dass selbst sie, ein hässliches, schwaches Mädchen, gestraft mit feuerrotem Haar, dass selbst sie Liebe und Zuneigung verdiente.
    Konrad. Der Bruder, den sie nie gehabt hatte.

    Und nun hatte er Luise grausam zurückgelassen. Sie daran erinnert, dass sie letztendlich doch nur ein kleines, rothaariges Mädchen war.
    Allein war sie nun.
    So schutzlos.
    Zerbrechlich.
    Schwach.

    Einen langen Moment hatte sie nun verweilt, auf dem kalten Boden. Nur in ihre eigenen Gedanken, ihren Schmerz vertieft.
    War nicht auf die Annäherungen ihrer Umwelt eingegangen.
    Sie hatte nicht einmal gemerkt, dass Rekon sich bemüht hatte, sie zu trösten.
    Doch nun hörte sie, wie er eine Rede hielt. Die Neuigkeiten einfach zusammenfasste und dann fortfuhr mit der Freiwilligensuche für Marias Beerdigung.
    Das Leben ging weiter.
    Und genau das war es, was den Verlust so schmerzhaft machte.
    Der Versuch, ein normales Leben zu führen - ungeachtet der Lücken, welche Menschen hinterließen, wenn sie fort waren.
    Der Versuch, eine Welt zu schaffen, in der sie nicht mehr gebraucht wurden.
    Die Wochen, während der man das Vergessen suchte und es nicht fand.
    Und dann, eines Tages die Erkenntnis, dass man bereits vergessen hatte. Dass nichts geblieben war von der einstigen Nähe und Wärme. Dass sogar das einstig geliebte Gesicht nur noch eine verschwommene Erinnerung unter vielen war.
    So war es mit Brida gewesen, nach ihrem Verschwinden. So würde es auch mit Maria und mit Konrad sein.
    Eines Tages würde Luise zurückdenken an diesen Tag und nichts fühlen. Eine Erinnerung von vielen.

    Still erhob Luise sich schließlich vom schmutzigen Boden und wandte sich um. Mit regloser, versteinerter Miene erblickte sie Noel, der gerade auf sie zuhielt.
    Blass war er. Noch mehr als sonst. Etwas schien ihn zu Boden geworfen haben, denn seine Kleidung war schlammbesudelt. Der Regen hatte sich in seiner Robe und den ins Gesicht fallenden Haarsträhnen gesammelt.
    Noel sah erbärmlich aus. Genau wie Luise selbst.
    Mit einem kläglichen Lächeln sagte sie: "Wir beide... wir sind uns gar nicht unähnlich." Keine Träne hatte sie bisher vergossen. Doch ihre Stimme klang brüchig. Falsch und kränklich in ihren eigenen Ohren. Mit jedem Wort musste sie kämpfen, bis es ihre Lippen verließ. So leise war ihre Stimme, dass sie benahe vom Regen fortgwaschen wurde. Dennoch wusste Luise, dass Noel sie gehört hatte. "Du verstehst es, nicht wahr? Du hast auch jemanden verloren." Eine Antwort darauf erwartete sie nicht wirklich. Was sollte man schon dazu sagen? Trotzdem schaute sie ihm weiter in die Augen. Die Miene regungslos, die Augen leer.

    Geändert von Zitroneneis (30.03.2013 um 00:25 Uhr)

  13. #13
    Brunhild winselte am Boden still vor sich hin, Verzweiflung und Todesangst tobten in ihrer Mimik. Noel stand mit eingestürztem Blick daneben, kalter Atem verließ seine blassen Lippen.

    "N-Nhoel! Ih... Ih liefbe dihf! Ih liebe di-"


    Er fasste sich mit der Hand an die Stirn, seine Migräne nahm zu.
    Sie sieht aus wie sie damals... genau... wie sie.

    Noel war kein Narr. Er mochte sein Schachbrett-Denken, es hatte sich in seinen Jahren bei Gottes Augen unzählige Male bewehrt. Und doch hatte er noch andere Fähigkeiten. Wie seine Menschenkenntnis. Und diese verriet ihm gerade etwas ganz Anderes.

    Nach einigen Minuten jedoch hatte sich die Wirtin wieder beruhigt.
    Anscheinend hatte sie sich mit ihrem Schicksal abgefunden...
    Traurig lächelnd wusch sie sich die Tränen vom Gesicht und kam direkt auf ihn zu.
    Flüsternd sprach Brunhild, Noels Selbstsicherheit von eben begann bereits zu bröckeln.
    “Ich habe zwar nicht die geringste Ahnung vom Schachspiel, doch glaube ich, dass Du Deines noch verbessern kannst.“
    Leise kichernd legte sie, bevor Noel Irgendetwas entgegnen konnte, ihre Stirn an die Seinige.
    “Ich wünsche so sehr, dass Du Dich von den Dämonen der Vergangenheit, die Dich so werden ließen, irgendwann befreien und Dein Leben endlich genießen kannst. Wenn ich mich nicht vollkommen in Deine Lauterkeit täusche, dann halte bis zum Ende durch, wie auch immer es kommen mag. Bitte“
    Mit weit geöffnetem Augen konnte Noel sie nur stumm und fassungslos ansehen. Brunhild störte sich nicht daran, sondern ging einfach warm lächelnd weiter.

    Ich habe mich... geirrt.
    Ungläubig fiel Noel in seinen Stuhl, hiel sich die Hände vor das schockierte Gesicht.
    Schon... wieder. Ich habe mich geirrt.

    Durch das hohle knarzen der Tür und die leiser werdenden Stimme merkte er, wie das Dorf, angeführt von Brunhild, auf den Platz heraustrat. Wie ein geschlagener Hund streckte er seinen Arm aus, flüsterte mehrmals "Wartet..." , aber niemand nahm auch nur Notiz von ihm.
    "Gh...!"
    Gehetzt sprang Noel auf, stieß Tisch und Stuhl beiseite und eillte auf den Platz heraus, über dem, wie auch gestern, eine gespenstige Stille lag, so dass sein Ruf durch die Nacht schnitt.
    "WARTET! Sie... sie ist keine Lumianerin! Ich habe einen Fehler gemacht, ich-"

    "Hast du nicht gerade diese Riesenshow abgezogen und sie beschuldigt?"

    "Kannst du dich mal entscheiden, du Wichtigtuer?"

    "Erst so sicher und jetzt einen Rückzieher machen, sowas liebe ich ja am meisten!"

    Unsicher wich Noel zurück, sein Blick fiel auf Brunhild: Des Henkers Freund befestigte gerade die Schlinge um ihren Hals. Die Zeit wurde knapp.
    Also entschied sich der Junge, dieses eine Mal Taten den Worten vorzuziehen.

    "Geht mir aus dem Weg, ihr Abschaum und Pöbel!"
    Unsanft stieß er die Leute beiseite, welche den leeren Mittelweg, den vor Sekunden noch Brunhild beschritten hatte, blockierten. So schnell er konnte, hetzte er Richtung Schafott, bis ihm Deusexus knurrend vor die Füße sprang. Die Zähne gefletscht und das Fell gehoben, versperrte er ihm den Weg.

    HÖR AUF, NOEL! Das ist gegen die Regeln!

    PEST UND VERDAMMNIS, welche Regeln?!

    Die Regeln der Deuses! Sie sind absolut! Ist ein Avatar gewählt, gibt es kein zurück! Du hast deine Entscheidung getroffen!

    Noels Hand fuhr an seinen Gürtel, geschickt befreite er seinen Dolch daraus und hielt ihn der haarigen Schnauze seine Freundes entgegen.
    Zur Hölle mit den Deuses... und ihren Regeln. Geh mir aus dem Weg, Deus, oder ich schwöre, ich werde dich töten.

    Der Wolf wich nicht zurück, im Gegenteil, sein Knurren wurde intensiver.
    Du Idiot begreifst es nicht, was?! Wenn du die Regeln brichst, stirbst auch du! Und dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis das kleine, rothaarige Miststück ebenfalls vom Holze baumelt oder schlimmer noch, madenzerfressen irgendwo im Wald herum liegt, während die Ameisen auf sie pissen!

    Was sagst du... ?!

    Das wars. Deus hatte seine Elfe beleidigt. Er würde jeden Moment auf ihn losgehen. Den Dolch fesst umpresst fiel sein Blick, wie zufällig, auf Brunhild, ihre Augen trafen sich.
    In ihnen sollte Schuldzuweisung sein.
    In ihnen sollte Hass sein.

    Nichts davon konnte Noel erkennen. Sie lächelte ihm einfach nur zu.
    Kraftlos fiel er auf die Knie, den Dolch in den zitternden Händen. Immer noch ihren Blick haltend, formte er mit den Lippen stumm einen Satz.
    "Es tut mir so leid. Bitte verzeih mir."

    Noel wusste nicht genau, warum, aber sie schien ihn verstanden zu haben.

    Dennoch...
    Noel erhob sich still und beobachtete das Schauspiel, steckte den Dolch zurück. Auch Deus beruhigte sich und setzte sich neben ihn.
    Es gab noch eine Chance... vielleicht hatte sie nur gut geschauspielert. Sein Schachbrett-Denken versagte doch nie. Vielleicht hatte er sich gar nich geirrt.
    Stumm und ruhig setzte er sich wieder Richtung Schafott in Bewegung. Diesmal hielt Deus ihn nicht auf. Brunhild bestieg die letzten Treppen, und hing schließlich in der Luft.

    Noel stand genau vorm Schafott. Die Augenbrauen zitternd, die dünnen Hände verkrampft ineinander geschlungen beobachtete er, wie die junge Wirtin, die er mehrmals vollkommen zu Unrecht gekränkt hatte, um ihr Leben kämpfte.
    Nach zwei Minuten... war es vorbei. Ihr zierlicher Körper baumelte leblos vom Galgen.
    Egal, wie oft man Menschen sterben sieht... man gewöhnt sich niemals daran.

    Stille, während Noel sich zitternd auf die Lippe bis, die Fingernägel beinahe blutig in die Handflächen gekrallt, darauf wartend, dass sich Brunhilds Körper in Sternenstaub auflöste.





    Kein Sternenstaub. Brunhild... war... nein... UNMÖGLICH!
    Außer sich stürmte Noel auf die Bühne, riss der toten Brunhild an den Kleidern.
    "LÖS DICH AUF! Lös dich endlich in Sternenstaub auf, mach schon! Du bist eine Lumianerin, warum zerfällst du nicht zu STERNENSTAUB?!"

    Noel, es reicht. Sie ist keine Lumianerin.

    Gerade, als einige Dorfbewohner den Jungen zurechtweisen wollten, sank er, das bebende Gesicht in den Händen verguben, auf die Knie.
    Deus... ich... ich habe doch... nichts falsch gemacht.. oder? Mein Schachbrett-Denken hat doch bisher immer funktioniert... ich habe doch nichts falsch gemacht, oder?

    Stumm trat der Wolf an seine Seite, die Leiche der Wirtin beäugend.
    Du hast getan, was du für das Beste hieltest. Mehr kann ich dazu nicht sagen.


    Es war wieder kein König gefallen. Nur ein weiterer Bauer.
    Mit diesem Gedanken im Hinterkopf versank Noel in einer tiefen Erinnerung.





    "Nanu?" ,
    Valan legte sein Buch beiseite, bevor er neugierig auf den mit Blut verschmierten Wolf in seiner Tür zuging, welcher einen kleinen Jungen auf dem Rücken trug.

    "Wen hast du mir denn da mitgebracht, Deus?"
    Lächelnd kniete er sich vor den Wolf, streichelte dem Jungen, welcher wie eine Puppe aussah, über das mit Blutspritzern verunstaltete Gesicht. Seine ganze linke Gesichtshälfte war bedeckt mit dem Blut seiner Mutter.

    "Die Bande Adliger Vergewaltiger, die Gottes Augen schon seit einiger Zeit verfolgt... sie hat die Mutter dieses Jungen brutal misshandelt... und getötet."

    "So...?"
    Behutsam fuhr er dem Jungen durch das blutrote Haar, sah ihm tief in die leeren Augen.
    "So jung... und schon so viel Leid. Was ist mit seiner Seele, Deus?"

    "Normalerweise würde ich sagen, der Schaden ist ireversiebel. So ein Ereignis kann ein Kind seines Alters nicht verarbeiten. Aber bei euch Menschen ist ja Alles möglich..."

    "Hm... wie heißt du, mein Junge?"

    Keine Antwort. Wie ohnmächtig starrte der rothaarige Bursche weiter auf den Boden der kleinen Hütte.

    "Noel also... doch deine Gedanken sind so voll von furchtbaren Bildern... Deus. Was möchtest du, dass ich mit ihm mache?"
    Warm lächelnd wandte er sich dem Gott zu, während er ihm die Ohren kraulte.
    Es war eine rhetorische Frage, natürlich. Valan kannte die Antwort bereits.

    "Mach den Jungen zu deinem Schützling, Valan. Nimm ihn bei Gottes Augen auf. Immerhin hast du noch einige Jahre bis zum Beginn des Spieles."

    Valan schwieg einige Momente, bevor er mit den Fingerspitzen das Blut auf der linken Wange Noels berührte.
    Lächelnd sah er dem Kind in die Augen.
    "Von heute an, Noel... bin ich dein großer Bruder. Freut mich sehr."





    Noel und Valan saßen gerade im Hauptquartier Gottes Augen an einem kleinen Tisch. Deus hatte es sich vor einem Kamin in der Nähe gemütlich gemacht, während die beiden eine Partie Schach spielten.
    Der großgewachsene, warmherzige Valan mit den braun-weißen Haaren, wohl so um die zwanzig Jahre alt, brachte dem wohl zwöljährigen Knaben das Spiel gerade erst bei.

    "Weißt du, Noel... Schach kann in vielerlei Hinsicht nützlich sein. Ein Schachbrett ist nichts weiter als die abstrakte Nachbildung unserer Welt."

    "Hm. Es ist doch nur ein blödes Spiel. Wie sollte mir das beim töten helfen?"

    Lächelnd zog Valan seine Figur, bevor er antwortete.
    "Unsere Aufgabe ist nicht das Töten, Noel.
    Unser Wunsch ist es, diese Welt besser zu machen, indem wir sie von Dämonen befreien, verstehst du?"


    Stumm nickte der Junge, bevor er seinerseits eine Frage stellte.
    "Da fällt mir grad ein, Bruder... warum hast du mir unser Zeichen eigentlich auf die Wange tätowiert? Ihr alle tragt es auf der Hand oder Brust, warum muss ich das Teil im Gesicht haben?!"

    Valan kicherte leicht.
    "Es steht dir einfach märchenhaft."

    Naserümpfend machte Noel seinen nächsten Zug.
    Was der Junge nicht wusste, war, dass sein Tatoo nicht, wie üblich, nur aus Farbe bestand. Valan hatte es seinerzeit mit dem Blut, dass seine linke Wange bedeckte
    und einer Farbmischung kreiert. Der Junge trug das Blut seiner toten Mutter auf dem Gesicht.

    "Aber zurück zum Schach... Weißt du, es gibt etwas, dass ich Schachbrett-Denken nenne..."

    "Schachbrett-Denken?"

    "Ja, Noel... weißt du, Schach ist das wohl anspruchsvollste Spiel der Welt. Wir lernen so viel über unseren Gegner und auch über uns selbst dabei. Wenn du wissen möchtest, was dein Gegner denkt oder plant, empfiehlt es sich zuweilen, das Schachbrett umzudrehen."

    "Das Schachbrett umdrehen... hm... sich in den Gegner hineinversetzen?"

    "Ganz genau, Bruderherz. Das ist eine sehr effektive Methode, deinen Feinden immer einen Schritt vorraus zu sein. Nicht nur bei Aufträgen, auch im Alltag."

    Eine Weile herrschte Stille zwischen den beiden, und nur das Rücken der Figuren war zu hören.
    "Allerdings hat diese Denkmethode natürlich Schwächen... sie geht immer von den bestmöglichen Zügen aus, die dein Gegner macht. Ist dein Gegner so... "unmenschlich", dass er seine Gier im Zaun hält und nicht stets den für ihn besten Zug macht... könnte diese Denkmethode versagen."

    Noel dachte über die Worte seines Bruders nach.
    "Ich werde es mir merken... Valan."





    Wenn ich so zurückdenke... hat Valan mir Alles beigebracht, was ich weiß.
    Er nahm mich in die Sekte auf, in denen längst nicht jeder so rechtschaffend war wie er. Er bildete meine Kampfkünste aus, schulte mein Wissen mit so vielen Büchern, brachte mir Schach und das Schachbrett-Denken bei... aber letztendlich wohl umsonst. Es beschämt mich, dass ich dir so ein schlechter Schüler war, Bruder...

    Zwei Jahre später kamst du um. Du hattest zusammen mit vier anderen Mitgliedern den Auftrag, eine ganze Sippe auszulöschen, gerietst mit den Anderen in einen Streit über euer Ziel und wurdest letztendlich ermordet... und ich, der ich in dieser Masse aus Mördern, Fanatikern und Monstern nur dich hatte, versank vollkommen in Finsternis und Blut. Jeden Tag musste ich dutzende Menschen töten, und jeden Abend klebte so viel Blut von ihnen an mir, welches zusammen mit dem Geruch selbst nch stundenlangem Duschen nicht verschwand. Meine Seele und der widerliche Klumpen in mir wurden immer und immer schwärzer, bis ich genau die gebrochene Bestie war, vor der du mich immer besschützen wolltest. Wäre da nicht zumindest Deus gewesen, wäre ich wohl schon verzweifelt.
    Ursprünglich warst du sein Avatar, doch bei deinem Tod hast du Deus gbeten, mich deinen Platz einnehmen zu lassen.
    Ich muss dir nicht zuletzt deswegen so dankbar sein... Valan.







    Noel kniete nach wie vor wie ein zitterndes Elend auf dem Schafott unter der toten Brunhild. Deus legte ihm beruhigend eine Pfote auf den Rücken.
    Lass uns nach Hause,gehen, Noel.


    Sein Blick streifte Tyrell, der nahe im Puplikum stand. Da passierte es.
    Sein Arm schoss, ohne dass er etwas dagegen tun konnte, zu seinem Gürtel, man konnte fast das Surren der Klinge hören, die reflexartig aus ihm befreit wurde, bevor Noel mit einem großen Sprung vor der Bühne landete und, geschickt wie eine Schlange, auf sein Ziel zusauste.
    "ICH WERDE DICH AUSLÖSCHEN, TYRELL, du nichtswürdiger, falscher Bastard eines Menschen!"

    Einige Dorfbewohner hatten bemerkt was Noel vorhatte und versuchten, ihn aufzuhalten, doch er stieß sie einfach beiseite.
    Schließlich stellten sich ihm drei Wachen entgegen.
    "Sofort innehalten, Herr Bibliothekar! Die Wahl ist beendet, und-"

    Knurrend schlug Noel ihm die Hand in den Hals, woraufhin er bewusstlos zu Boden ging. Der zweite Soldat konnte noch nicht sein Schwert ziehen, da hatte der wendige Killer ihm auch schon den Griff seines Dolches ins Gesicht gerammt.
    Von hinten stieß ein Soldat mit dem Knüppel zu, doch Noel war schneller:
    Den Rücken zum Soldat gewandt schafft er es, der Knüppelspitze mit einer wendigen Bewegung auszuweichen und seinen Ellbogen kraftvoll in der Brust der Wache zu versenken, die daraufhin benommen nach hinten torkelte.
    "Wenn ihr glaubt, ich lasse mich von euch dabei aufhalten, einen Sektenwurm zu reissen, irrt ihr, ihr Gesocks!"

    NOEL! Verfluchte Rachegöttin, hatten wir das nicht gerade?! Hör auf, sofort!

    Wie ein jagendes Monster, dass bereits Blut gerochen hatte, ignorierte Noel den Gott hinter sich und stürmte weiter auf sein Ziel zu: Den Bengel Tyrell.
    Weitere Wachen kamen bereits mit erhobenen Waffen von allen Seiten auf ihn zu, aber er würde es schaffen - ein paar letzte Schritte machend erreichte er Tyrell, riss ihn mit der rechten Hand am Kragen in die Luft, drückte ihn die Klinge seines Dolches gefährlich an den schmächtigen Hals.
    "Widerliches Kind, wie kannt du nur so ruhig zusehen wie eine unschuldige Frau aufgrund deiner Schuld hingerichtet wird?! Du bist so menschlich!"


    Du bist... echt ekelhaft",

    Noels Halsschlagader pulsierte, er knirschte mit den Zähnen als er sein Gesicht auf wenige Milimeter an Tyrells heranbrachte.
    "Noch ein Wort, du Stück Scheiße... noch ein Wort. Na los, gib mir einen Grund. Gib mir einen Grund, dich wie Vieh abzuschlachten und wie das Schwein, dass du bist, ausbluten zu lassen, wie ihr es mit der Gottesfrau getan habt. WAR DAS GEIL?! Hat euch das Spaß gemacht?!"
    Seinem anschreien ließ Noel eine unschöne Geste folgen: Er spuckte dem Jungen angewidert ins Gesicht, sein Dolch drückte sich fester in Tyrells Hals, erste, feine Bluttropfen waren zu sehen.

    "Was hätte ich schon tun können. Ich war der EINZIGE, der sich für sie eingesetzt hast, während DU es warst, der ihren Tod in die Wege gesetzt hast. Wärst du nicht gewesen, hätten wir unsere ehrliche Wirtin im Dorf nicht verloren.. Du bist... so kindisch. Du glaubst, du hättest die Weisheit in Löffeln gefressen, dabei bist du einfach nur ein widerlicher Lügner, suchst dir deinen Sündenbock und gut ist. Schämst du dich nicht...?"

    "GHR...!"
    Noel packte den Jungen fester, und obgleich er wusste, dass Tyrell irgendwo recht hatte, war er der Falsche, um ihm das klarzumachen. Er sah es. Er sah es in Tyrells Augen. Er war schuldig. Das war so offenherzig und ehrlich wie das Weinen eines Neugeborenen.

    "Du Satansbrut... niemand wird es missen, wenn ich deiner verunreinigten und verdorbenen Seele hier und jetzt ein Ende bereite!"

    Noel, ich darf nicht in das Spiel eingreifen, aber du brichst die Regeln. Wenn du nicht aufhörst, muss ich dich...

    Noel beachtete den Wolf gar nicht. Seine Augen brannten in denen Tyrells', seine Wut mischte sich mit Schuld und Beschämung. Tyrell hielt den Blick.
    Nein... mehr noch. Es lag ein Hauch Spott darin.

    "Ghhh.....gnnn....!!!!!!"
    Noel riss den Dolch in die Höhe, um mit Schwung auszuholen, zielte direkt auf Tyrells Hals, setzte zum finalen Stich an.
    "Und selbst wenn ich durch eure Hand sterbe, so werde ich dich mit mir nehmen, du Parasit! STIIIIIIIR-"

    "HÖR AUF!"

    Noel stoppte in der Bewegung. Die Dolchspitze war nur noch wennige Zentimeter vom warmen Fleisch Tyrells entfernt, als sein Blick wie in Trance zu den Dorfbewohnern wanderte: Luise stand vor ihm, Trännen und Wut in den Augen.

    "Noel... h-hör damit auf... du hast schon genug... angerichtet."

    In ihren Augen brannte Hass. Und Verachtung. Diesmal war es keine Einbildung. Es war die Ehrlichkeit... eines Neugeborenem. Und diese Gefühle galten ihm.
    Abwesend sah Noel den umliegenden Bewohnern ins Gesicht. Sie alle straften ihn mit dem selben Blick. Sie alle dachten das Selbe.
    Ross. Rekon. Patricia. Peter. Luise.
    "Du bist Schuld."

    Noel sah ein letztes Mal in Luise Augen, als er wieder bei Sinnen war. Kraftlos ließ er den Dolch sinken, steckte ihn zurück in seine Tasche und warf den Jungen Tyrell beiseite.
    Schleichend, ja beinahe schlurfend verließ er die Bühne, ging stumm und unter den strafenden Blicken der Dorfbewohner vom Platz. Als er an Luise vorbeikam, blieb er einen Moment stehen. Er sah sie nicht an, doch er nahm das silberne Amulett ab, dass er um den Hals trug, und drückte es ihr in die Hand.
    "Das habe ich, seit wir uns kennen, kleine Elfe. Es ist... mein größter Schatz. Aber jetzt verdiene ich es nicht mehr. Es gehört dir."

    Kurz schwieg er, bevor er emotionslos flüsternd weitersprach.
    "Gib acht, dass du heute Nacht eine sichere Schlafstätte findest, ja...?"

    Ohne eine Antwort oder Reaktion abzuwarten, ging er weiter und verließ letztendlich den Platz in Richtung seines Hauses. Deus folgte ihm ruhig.

    Geändert von Holo (04.04.2013 um 00:56 Uhr)

  14. #14
    "ICH WERDE DICH AUSLÖSCHEN, TYRELL, du nichtswürdiger, falscher Bastard eines Menschen!"

    Tyrells Blick wandte sich Richtung Noel, welcher mit einer rasenden Wut auf ihn zuging. "Widerliches Kind, wie kannt du nur so ruhig zusehen wie eine unschuldige Frau aufgrund deiner Schuld hingerichtet wird?! Du bist so menschlich!" Noel packte seine rechte Hand an Tyrells Kragen und hob sein Fliegengewicht hoch, wie Nichts. Während er selbst schwer luftschnappend versuchte, Gedanken zu fassen. Seine nachfolgende Worte flossen ihm aus dem Mund wie ein unaufhaltbarer Fluss.

    "Du bist... echt ekelhaft."


    Und schon verzog sich Noels Gesicht in eine verbitterte Miene, reichte seins an Tyrells ran, wodurch wenige Millimeter sie nur noch trennten. "Noch ein Wort, du Stück Scheiße... noch ein Wort. Na los, gib mir einen Grund. Gib mir einen Grund, dich wie Vieh abzuschlachten und wie das Schwein, dass du bist, ausbluten zu lassen, wie ihr es mit der Gottesfrau getan habt. WAR DAS GEIL?! Hat euch das Spaß gemacht?!", und spuckte ihm ins Gesicht. Widerstand breitete sich in seinem Körper aus, doch von außen ließ er sich alles antun. Was hätte er großartig gegen ihn ausrichten können? Beide schauten sich tief in die Augen. Er war wirklich besessen von der Idee, Tyrell wäre für das ganze Dilemma mitverantwortlich. Aber was wusste Noel schon? Er war für Tyrell nichts weiter, als ein versessener Dummschwätzer, nur an sich selbst interessiert. "Was hätte ich schon tun können. Ich war der EINZIGE, der sich für sie eingesetzt hast, während DU es warst, der ihren Tod in die Wege gesetzt hast. Wärst du nicht gewesen, hätten wir unsere ehrliche Wirtin im Dorf nicht verloren.. Du bist... so kindisch. Du glaubst, du hättest die Weisheit in Löffeln gefressen, dabei bist du einfach nur ein widerlicher Lügner, suchst dir deinen Sündenbock und gut ist. Schämst du dich nicht...?" "GHR...!", entgegnete ihm Noel, während er noch fester zupackte, "Du Satansbrut... niemand wird es missen, wenn ich deiner verunreinigten und verdorbenen Seele hier und jetzt ein Ende bereite!" Er holte seinen Dolch aus, mit viel Schwung. Unangenehmerweise visierte er nahezu recht offensichtlich Tyrells Hals an. "Und selbst wenn ich durch eure Hand sterbe, so werde ich dich mit mir nehmen, du Parasit! STIIIIIIIR-"

    "HÖR AUF!"


    Noel hielt inne. Tyrell spürte, wie ein einziger Augenblicke er vom Tod entfernt war. Noels Blick hingegen wanderte seelenlos zu den restlichen Bewohnern, insbesondere Luise, mit ihrer geballten Faust und Tränen in den Augen sagend: "Noel... h-hör damit auf... du hast schon genug... angerichtet." Im nächsten Moment warf er Tyrell einfach weg, wie ein zerknülltes Stück Papier, welches keiner mehr brauchte. Eine Weile starrte er hinüber und beobachtete die Szene zwischen den beiden. Dabei übergab Noel ihr das silberne Amulett, welches er immer um sich hatte. Tyrell richtete sich auf. Nachdem Luise ein bisschen verloren wirkte, kam er auf sie zu, während sie ihn überrascht anblickte. Stunden sind vergangen, seitdem sie miteinander redeten.

    "Luise...? Komm her, ich bin dir nicht böse." Er umschlug sie einmal, sanft klatschte er zweimal auf ihren Rücken, als er im nächsten Moment wieder sofort von ihr los ließ. "Da siehst du... Noels wahre Natur. Er kann sehr grausam sein, unfassbar grausam. Es ist schrecklich, mit ansehen zu müssen, wie er unkontrolliert seinen Willen durchsetzt..." Luise schluckte kurz und schaute zur Seite, darauf zu antworten lag ihr wohl gerade nicht. "Ich weiß, er ist nett zu dir... aber sei ein bisschen selbstbewusster. Irgendwo nutzt er auch, versehentlich und passiv wohlgesagt, deine Gutmütigkeit aus, diese Unbeholfenheit." Tyrell schaute sich kurz um, während er weiterredete: "Du musst sehr vorsichtig sein, wie du mit ihm umgehst. Ich habe es dir schon einmal gesagt, ich weiß, aber... wenn du ihm nicht zeigst, dass hinter dem kleinen Mädchen hier eine Person, ein Mensch steckt, und nicht die Elfe, wie er dich dauernd nennt... es ist ein Teufelskreis, den ich nicht beschreiben kann." Er nahm sich das nächste Fass in greifbarer Nähe und setzte sich hin. Seit Kopf blickte zu Boden, seine Hände umfassten seine Haare. "Dieser Mensch... er ist keiner. Glaub mir, das ist jemand, der sich um nichts schert, außer sich selbst. Er mag vielleicht auf dich Acht geben, allerdings resultiert dies lediglich aus seinem eigenen Interesse... er ergötzt sich in deinem Wesen, welches für ihn wohl idealisiert da steht. Du musst wirklich aufpassen, dass du dich nicht von ihm um den Finger wickeln lässt." Sein Blick folgte hoch zu Luises bedrücktem Gesicht. Immer noch keine Antwort. "...tut mir Leid, dass du dir das anhören musst... ich habe sonst niemanden, dem ich das sagen könnte..."

    Er fasste sich kurz an den Hals, als er einen kleinen Schmerz verspürte. "Na sowas... er hat mich tatsächlich zum Bluten gebracht... ich versorge das lieber, so schläft es sich nicht besonders angenehm", murmelte er vor sich hin, klar und deutlich für Luise zu hören, und setzte an zum Gehen.

  15. #15
    Mit stumpfem Blick beobachtete Luise, wie Brunhild die eigene Verzweiflung weggestoßen hatte und wieder zu der gutmütigen Wirtin geworden war, die jeder kannte.
    Sie war keine Lumianerin. Konnte es unmöglich sein.
    Aber wie sollte sie, die kleine Apothekertochter, ihnen das klar machen? Erwachsene waren immer so. Hatten sie einmal ihre Schlüsse gezogen, ließen sie sich nicht dazwischenreden. Erst recht nicht von einem Kind.
    Aber was konnte sie schon bewirken? Sie konnte Brunhild nur retten, indem sie einen anderen dem Tode weihte. Womöglich einen Unschuldigen.
    Und das konnte sie nicht wagen, wenn sie sich nicht sicher war.
    Also schloss sie sich stumm der Menge an, welche Brunhild zum Galgen geleitete.
    Die Wirtin wirkte seltsam gefasst. Mit einem Lächeln drehte sie sich zu Luise, legte ihr das Schaffell um die Schultern und nahm Abschied mit den Worten:
    “Du gutes Kind, er hätte sicher gewollt, dass ich es Dir gebe. Bitte lass Dich nie vom Bösen verleiten. Wenn mir je eine Tochter vergönnt gewesen wäre, sie hätte exakt Dein Ebenbild in Äußerem wie Innerem sein sollen.“
    Sich nicht vom Bösen verleiten lassen? Eine Tochter im Äußeren und Inneren?
    Luise wollte schreien. Wollte ihr sagen, dass sie letztendlich auch eine Sünderin war. Dass sie es nicht wert war, ihre Tochter genannt zu werden.
    Aber auch, dass Brunhild seid Bridas Verschwinden für sie das gewesen war, was einer Mutter am Nächsten kam.
    Doch sie brachte kein Wort hervor. Kein Wort des Abschieds oder des Dankes. Luise sah einfach stumm zu, wie der Strick um Brunhilds weichen Hals gelegt wurde.
    Hörte die Worte für Konrad.
    Seltsam... vor zwei Tagen war sie noch entsetzt gewesen, bei dem Gedanken, jemand könne ihrem Vetter seine Liebe schenken. Nun wünschte sie sich nichts sehnlicher als dass Konrad hier wäre, um Brunhilds Worte zu hören. Doch als sie in Richtung Wald blickte, kam kein kräftiger, blonder Mann auf einem schwarzen Pferd namens Kobold angeritten.
    Und als Luise sich wieder umdrehte, hörte sie nur noch das Geräusch eines fallenden Körpers. Sah nur noch, wie Brunhild leblos in der Luft baumelte.
    Nun war auch sie fort.
    Luise hörte das aufgeregte, lauter werdende Gemurmel um sie herum. Man hatte eine Unschuldige gehängt. Schon wieder.
    Eine Weile stand das Mädchen einfach kraftlos da und ließ alles um sich herum einfach geschehen.

    Doch, wie so oft in den letzten Tagen, gab es jemanden, der sie aus ihrer Apathie riss.
    Noel.
    Noel, der ihr vor wenigen Stunden noch hatte versichern wollen, was für ein guter Menschenkenner er war.
    Noel, der kurze Zeit später in einem Anflug von Dramatik das ganze Dorf gegen Brunhild aufgehetzt hatte.
    Noel, der nun drauf und dran war, Tyrell den Hals aufzuschlitzen.
    Ein Schwall von Zorn brach in Luise los. Ein Gefühl, welches sie nie zuvor gekannt hatte. Ein Gefühl, dass ihr mehr Kraft gab, als sie jemals vermutet hätte. Sie hielt es nicht zurück. Schrie es einfach heraus:
    "HÖR AUF!"
    Noel ließ von Tyrell ab und starrte das Mädchen sichtlich betroffen an.
    Luise ließ sich nicht davon beeindrucken. Mit großer Mühe, ihren Emotionsausbruch zumindest ein wenig im Griff zu halten, sprach sie:"Noel... h-hör damit auf... du hast schon genug... angerichtet."
    Ihre Stimme zitterte. Aber es lag nicht an ihrer Scheue. Es lag an der nahezu unkontrollierbaren Wut, die man in jedem Wort hören konnte.
    Noel zog nun ab, mit dem Gebaren eines geschlagenen Hundes.
    Dennoch ließ er sich nicht daran hindern, kurz vor Luise stehen zu bleiben und ihr einen Gegenstand in die Hand zu drücken:
    "Das habe ich, seit wir uns kennen, kleine Elfe. Es ist... mein größter Schatz. Aber jetzt verdiene ich es nicht mehr. Es gehört dir."
    Bevor Luise eine Antwort geben konnte, fügte er noch mit tonloser Stimme hinzu:
    "Gib acht, dass du heute Nacht eine sichere Schlafstätte findest, ja...?"
    Luise antwortete nicht sofort. Doch nachdem Noel einige Schritte gegangen war, schleuderte sie das erhaltene Amulett mit aller Kraft zu Boden, wo es im Schlamm versank.
    "Ich bin nicht deine Elfe! Und deinen größten Schatz kannst du behalten... ich möchte keine Geschenke von jemandem wie dir."
    Sie achtete nicht auf eine Reaktion. Blickte nur wild umher.
    Ihre Augen blieben an Ross und Peter hängen. Die beiden, die so viel Vertrauen im Dorf genossen. Luises Stimme hatte sich wieder etwas beruhigt, aber ihre Worte trieften vor Bitterkeit: "So... hat es gut getan, eine Unschuldige zu ermorden? Seid ihr zufrieden damit, eine Frau tot zu sehen, die sich immer um das Dorf gekümmert hat? Die selbst den unausstehlichsten Gästen Bier eingegossen und selbst kurz vor dem sicheren Tod nicht ihre Freundlichkeit verloren hat? Das ist euer Dank!?" Luises Hände ballten sich zu Fäusten. "Vielleicht wollt ihr ja mich als nächstes hängen... falls ihr nicht in Wahrheit zu dieser Sekte gehört, und beschließt, mich heute Nacht zu beseitigen. Noel scheint ja euer treuer Schoßhund zu sein. Und wenn er mich beschützen will, kann ich mich wahrscheinlich besser auf meinen Fuchswelpen verlassen."

    Ihre Rede wurde von Tyrell unterbrochen, der sie umarmte und ihr auf den Rücken klopfte. Erst jetzt bemerkte Luise, dass ihr die ganze Zeit Tränen der Wut und der Verzweiflung über die Wangen gelaufen waren.
    Sie hörte seine Worte der Warnung - und diesmal verstand sie, was er meinte.
    Dann sah Luise, dass er blutete. Entschlossen fasste sie Tyrells Hand. "Komm mit! Ich kann das verbinden und außerdem einer Entzündung vorbeugen." Dann fügte sie noch hinzu. "Danke... danke, dass du mich gewarnt hast... auch wenn ich es wohl zu spät berücksichtigt habe... und danke, dass du dich für Brunhild eingesetzt hast. Mir... hat dazu der Mut gefehlt..."
    Dann betraten die beiden die Apotheke.

    Geändert von Zitroneneis (04.04.2013 um 13:02 Uhr)

  16. #16
    "Verfickte Scheiße!"
    Unter lautem Scheppern zerbrach ein halbvoller Krug an der Wand.
    "Nichts. Was. Ich. Mache. Bringt. Irgendwas!" Bei jedem Wort flog ein weiterer zufälliger Gegenstand durch die Taverne, während Tränen an ihren Wangen herunterkullerten, manchmal wild von ebenjenen flogen und leise platschend auf dem Boden landeten, unhörbar für Lumi, die in völlige Rage verfallen war. Sie schnappte nach einem Eimer und hielt ihn unter den Zapfhahn des Dünnbierfasses, was Brunhilda erst gestern angebrochen hatte, füllte ihn zur Hälfte und setzte ihn an. Einige kräftige Schlücke später landete auch der halbvolle Eimer in der Mitte des Raums und der Restinhalt ergoss sich schäumend am Boden. Mit Trauer und lange unterdrückter Wut in der Stimme machte sie ihrem Ärger Luft, äffte Horst nach, torkelte halbtrunken zwischen den Stühlen herum und hielt dabei wahrscheinlich das gesamte Dorf wach.
    "Nun, ich glaube Brunhilda ist eine Lumianierin weil ich habe Ahnung!", dann Noel. Der verkackte Noel. "Nem, nem, nem - IIIIICH habe Ahnung und lege Einspruch ein und änder' mein Meinung weil ich KEINE BESCHISSENEN EIER HABE!!!", sie rannte zur halboffenen Tür und brüllte es noch einmal hinaus in die Nacht: "Hörst du das, du Kurafi [•••••••••]? Fick dich Noel, ja? Dich soll der Blitz beim Scheißen treffen! Und den blöde Horst gleich mit, ja?!" Sie zog mit Schmackes die Tür zu, das laute Donnern hallte in den Gassen wider. Sowohl Rudi der doofnaive Hund als auch Djángo schienen sie wie von Angst erstarrt anzusehen und gaben keinen Ton von sich, während die Ungarin das komplette Möbiliar auf den Kopf stellte.

    Schlaff ließ sie sich in einen der wenigen Stühle fallen, die sie noch nicht durch die Gegend geworfen hatte, emotionslos "Miért? Miért, Brunhilda? [Warum?]" von sich gebend, ins Leere schauend. Meretes Tod war traurig, ja - aber Brunhildas Tod hatte Lumi das Herz gebrochen. Jetzt gab es wirklich keinen guten Grund mehr hierzubleiben. Und die Taverne hatte sie ihr auch noch vermacht. Verdammt.
    "Ich zieh' einfach Preise an für alle Rothaarigen, dann verdien' ich mir goldenes Nase...", murmelte sie halblaut, blinzelte langsam. Das gesamte dorf hatte sich gegen die Frau gestellt, die niemals auch nur im Ansatz irgendetwas Böses an sich hatte. Und wenn das heir so endete wie...
    Wie vor wenigen Tagen...
    ... dann würde am Ende niemand übrigbleiben. Das war doch der Sinn oder?
    Nicht gläubig genug oder zu gläubig. Gibt kein Dazwischen.

    Sie nickte mit dem Kopf auf dem Tisch ein. Die Vorratskammer war bereits aufgeschlossen, somit konnten zumindest weder Djángo noch der blöde Hund verhungern. Sabber lief ihr aus dem Mundwinkel auf den Tisch. Die Schwärze vor ihren Augen verwandelte sich in Bilder, die rasend schnell an ihr vorbeizogen.

    Ein blutiger Dolch.
    Ein Kruzifix in den Boden gemalt.
    Ein blondes Mädchen, das gerade 17 geworden war.
    Eine Notiz.

    "Deus lo vult"

    Drei Tote innerhalb von zwei Tagen.
    Und sie haben sie verjagt.
    Nach all den Jahren vertreibt der Szábo-Clan die Tochter des Anführers.

    Ihr Vater.
    Gebrochen.

    Ihre Mutter.
    Dolch im Herzen.

    "Deus lo vult".

    Zigeunerhetze als Sport seit fast einem Jahrhundert.
    Die Kirche.
    Die Christen.
    Und ihre militanten Söhne und Töchter.
    Und das Mädchen mit dem verfänglichsten Namen vertreiben sie weil sie denken sie wäre...

    "Luminitsa heißt 'Die Erleuchtete'. Wir haben dich so genannt, weil durch dich etwas wiedererweckt wurde, was unserer großen Familie lange fehlte. Lumi - meine Kleine. Du wirst immer leuchten. Immer. Und niemand wird dir jemals dieses Leuchten wegnehmen können, egal wie oft sie auf dir rumhacken wegen deines Auges. Egal, wie oft sie dir böse Namen geben. Egal, wie oft sie dich, mich oder deine Mama durch den Dreck zu ziehen versuchen - du bist eine waschechte Szábo. Stolze Verfechter der militanten katholischen Kirche rund um Budapest seit mehreren Generationen. Und ich habe dir hier jemanden mitgebracht, damit du stets daran erinnert wirst, wieviel du mir - uns bedeutest. Sag' hallo zu... hm, wie willst du ihn nennen?"
    "Ich... ich... ich weiß nicht, ich..."
    "Oh, entschuldige - überrumpeln wollte ich dich jetzt nicht mit all der Scheiße, ich meine..."
    "János! Du sollst vor ihr verdammte Scheiße nochmal nicht fluchen!"
    "Ich... ich hab' verdammte Scheiße nochmal nicht vor ihr geflucht! So einen Scheiß würde ich niemals machen, Schatz, das weißt du!"
    "János! Stell das 'Scheiße' vor ihr ein! Sie ist erst zehn Jahre alt!"
    "Lumi hat bis sie drei war gedacht, dass 'Scheiße' ihr Name wäre! Es war ihr erstes Scheißwort, verdammte Scheiße!"
    "János!"
    "Ágnes! Du zerstörst gerade einen Scheiße nochmal wichtigen Moment in ihrem-"
    "Djángo."
    [peinliche Pause]
    "Djángo. Klingt gut, oder?"
    "Wo hast du das Wort aufgeschnappt?"
    "Oma Csilla hat mir davon erzählt - es heißt sowas wie 'Ich erwache' oder so. Aber er klingt wunderschön für einen Marder, oder?"
    "Ja. Haha, ja, das klingt wunderbar, Lumi! Das ist der perfekte Name für den kleinen Racker! Djángo. Hörst du das, Ágnes? - Djángo!"
    "Ja, das klingt wunderschön!"

    Und dann ließen sie sie Jahre sptäer einfach so zurück, ohne eine Spur zu hinterlassen, ohne einen Grund.
    Es war nicht ihre Schuld, dass Mama starb.
    Mama starb weil irgendjemand es so wollte, weil irgendjemand, irgendwer...

    Kruzifix in den Sand gemalt.
    "Deus lo vult".
    Dolch in ihrer Brust.
    Zwei aufgeknüpft am Apfelbaum.
    Angst.
    Schrecken.
    Eine Welle aus Tod und Verderben zieht über sie hinweg auf der Flucht vor der Kirche.
    Blendet.
    Tritt einem kleinen Kind solange ins Gesicht bis sie links nichts mehr sieht.
    Lässt ihre Familie denken sie wäre...

    Verflucht.

    Dolch in ihrem Herzen.
    Kruzifix gemalt in ihre Gedärme mit einer heiß brennenden Klinge, die "Ketzer" schreit.
    Karten zinkt.
    Verteufelt.
    Mordet.

    "Deus lo vult".


    "AH!"
    Schweißgebadet erwachte sie, mitten in der Nacht, nur von einem vor ihr auf dem Tisch schlafenden Djángo und dem hundsdummen, vor ihr auf dem Boden liegenden und laut hechelnden Rudiger geäugt.
    "Traum. Nur ein Traum.", beruhigte sie sich selbst, wischte sich Speichel vom Mund und Schweiß aus ihrem Gesicht und zog den ebenfalls schweißgebadeten Umhang aus, um ihn zum Trocknen über die Bartheke zu werfen. Jetzt war sie zwar nur in weißem Leibchen und schwarzem kurzen Rock gekleidet, aber im Moment war eh egal, was sie tat. Sie würde zu dieser ganzen Sache nur noch dazu beitragen können, dass noch mehr Leute die nichts verbrochen hatten sterben würden.

    Sie würde heute nacht nicht mehr schlafen. Stattdessen begann sie, langsam mit einem Besen und akkuter Hyperaktivität bewaffnet die Taverne wieder aufzuräumen, die sie so zugerichtet hatte.

    Geändert von T.U.F.K.A.S. (04.04.2013 um 19:31 Uhr)

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