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Thema: Das Dorf Gottes 2-Tag 1

Baum-Darstellung

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  1. #28
    Luise hatte einen Fehler gemacht.
    Es wurde ihr schmerzlich bewusst, als sie sah, wie Merete ihren Gang zum Galgen antrat. Ohne ein einziges Wort, einen anklagenden Blick. Sie hatte sich nicht gewehrt, hatte es einfach geschehen lassen.
    Und Luise war nicht eingeschritten, hatte trotz ihrer Zweifel stumm zugesehen.
    Geschworen hatte sie sich, zu ihrer Entscheidung zu stehen und bis zum Ende dazubleiben. Doch als sie sah, wie die junge Jägerin hilflos am Strick hing, hörte wie sie verzweifelt und vergeblich nach Luft schnappte, wich Luise zurück und wandte ihren Blick ab, verschloss die Ohren vor den Geräuschen.
    Doch es half nichts, die Bilder hatten sich in ihren Kopf eingebrannt und die bald einsetzende Stille hinterließ ein anklagendes Echo. Merete war tot. Und Luise trug Mitschuld daran.
    Mit gesenktem Kopf, machte sie sich heimlich davon.

    Eine Weile hatte Luise nun alleine im hinteren Teil von Viktorias Garten verbracht. Diesmal hatte sie darauf acht gegeben, nicht gesehen zu werden. Der Kirschbaum verdeckte die Sicht auf das junge Mädchen. Lediglich Noel hätte sie von seinem Haus aus sehen können, hätte er dort aus dem Fenster geschaut. Doch Luise konnte das bleiche, tätowierte Gesicht nirgends ausmachen und war auch irgendwie froh darüber. Sie wollte einfach allein sein.
    Normalerweise beruhigten das Rascheln der Blätter, das Ächzen der alten Zweige und das Meer aus blauen Blüten Luises Seele. Doch jetzt saß sie einfach reglos da und war innerlich so aufgewühlt, dass sie nicht wusste, was sie tun sollte.
    Seltsamerweise kamen aber keine Tränen. Möglicherweise hatte sie zu viel geweint und damit all ihre Tränen vergossen. Vielleicht war es ihr aber auch nicht vergönnt, ihre Verzweiflung mit Tränen fortzuwaschen. Vielleicht musste sie erst büßen, bevor sie ihrer Trauer freien Lauf lassen und sich damit ihres festen Griffs entledigen konnte.
    Eine Weile blieb Luise einfach sitzen, doch als sie schließlich merkte, dass ihre Gedanken sich im Kreis drehten. Seufzend stand sie auf und ging zum Wirtshaus, wo sie hoffte, Konrad anzutreffen.
    Er machte sich bestimmt Sorgen um sie, und bei den derzeitigen Umständen, war das nur allzu verständlich.

    Später, als Konrad sich trotz jedes Widerspruchs vor ihrer Zimmertür postierte, bereute sie ein wenig, wie große Sorgen er sich machte. Sie konnte ihn nicht dazu bewegen, einfach in sein bequemes Bett zu steigen und dort zu schlafen. Warum musste er nur immer so sehr den Beschützer spielen? Warum konnte er nicht einfach an sich selbst denken? Nein, Konrad ließ sich nicht von seinem Vorhaben abbringen und seine kleine Cousine wusste, dass der Versuch, ihn umzustimmen, zwecklos war.
    Doch nachdem Luise lange mit offenen Augen im Bett gelegen hatte und schließlich noch einmal in eine Decke gewickelt vor die Tür trat, fand sie ihn fest schlafend vor. Kürbis jedoch war von dem Geräusch erwacht und sprang Luise, trotz verbundener Pfote, freudig entgegen. Geistesabwesend nahm Sie ihn in den Arm und blickte ihren Vetter an.
    "Du bist wirklich ein Dummkopf", murmelte das Mädchen und setzte sich neben ihn. Einen Moment lang betrachtete sie sein friedlich schlafendes Gesicht und fuhr dann leise fort: "Du solltest wirklich... mehr an dich selbst denken. Hier so unbequem... zu sitzen... bestimmt gibt das morgen... Rückenschmerzen..." Schläfrig rieb Luise sich die Augen. Warum war sie auf einmal so müde? Den Welpen an sich drückend sagte sie noch: "Dabei... bin ich... doch schon... gar nicht mehr so... klein..."
    Und dann sank sie selbst, neben ihm an die Wand gelehnt, in einen tiefen Schlaf.

    Geändert von Zitroneneis (28.03.2013 um 17:51 Uhr)

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