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Ritter
Luise hatte gar nicht bemerkt, wie kalt ihr gewesen war, bis Brunhild sie vom Geschehen weggezerrt, in eine warme Decke gehüllt und sie in den Arm genommen hatte.
Unter all dieser Wärme saß sie nun, langsam auftauend da und beobachtete die Dorfversammlung, ohne dem Inhalt voll und ganz greifen zu können. Ihre Gedanken waren wirr und unsortiert und Fragen über Fragen häuften sich in ihrem Kopf:
Wer kam auf die Idee, Konrad könnte ein Mitglied dieser Sekte sein? War Konrad noch immer am Schlafen? Würde nun wirklich eine Jagt auf die Ketzer eröffnet werden? Wer war diese Sekte? Woher wusste Noel von ihr? Wer kam auf die Idee, Konrad könnte ein Mitglied dieser Sekte sein? Warum gab Noel plötzlich so menschenverachtende Singe von sich? Und was war das andere, wovon er geredet hatte? Wer kam auf die Idee, Konrad könnte ein Mitglied dieser Sekte sein? Hatte Luise etwas falsches gesagt? Hatte Noel nun so miserable Laune, weil sie ihn an das Schiffsunglück erinnert hatte? Wer aus dem Dorf könnte in der Lage sein, solche schrecklichen, ketzerischen Dinge zu tun? Wer kam auf die Idee, Konrad könnte ein Mitglied dieser Sekte sein ...? Konnte Konrad heimlich ein Ketzer sein?
Dieser Gedanke ließ Luise erbeben und sofort überkam sie Schuldgefühl. Konrad war immer da, wenn man ihn brauchte. Seid ihrer frühen Kindheit hatte er sich nahezu immer mit ihr abgegeben und sie wie eine kleine Schwester behandelt.
Außerdem war er der gottesfürchtigste Mensch, den Luise kannte. Abgesehen von Maria, welche ja die nonnigste aller Nonnen war. Auch nur in Erwägung zu ziehen, Luises älterer Vetter könnte ein boshaftes Sektenmitglied sein, kam dem Verbrechen nahe, selbst eines zu sein.
Mit zitternden Händen griff Luise nach der dampfenden Tasse, welche Brunhild ihr fürsorglich vor die Nase gestellt hatte, und führte sie an den Mund. Ein süßer Geschmack von Milch und Honig breitete sich auf ihrer Zunge aus - und ein Hauch Baldrian. Dankbar schmiegte Luise sich enger an die Wirtin. Ihr rückte wieder in den Sinn, dass Konrad gestern im Wirtshaus solch eine Freude gehabt hatte. Und bei einer solchen Frau war das wenig verwunderlich. Luise würde sicher nichts dagegen haben, sollte Konrad sich dazu entschließen, Brunhild eines Tages als seine Braut heimzuführen.
Als die Tasse halb geleert war, spürte Luise, dass sie wieder etwas beruhigter war. Ihre Hände hörten langsam auf zu zittern, sie nahm die Umgebung wieder etwas bewusster wahr und in ihrem Kopf herrschte kein allzu großes Chaos mehr. Die Fragen brannten ihr nun stattdessen auf der Zunge. Eigentlich wollte Luise niemanden mit ihren Gedanken belästigen, aber irgendwie mussten sie ausgesprochen werden. Und hier, bei der ruhigen Viktoria und der mütterlichen Brunhild, die beide stets ein offenes Ohr für ihre Sorgen hatten, war die junge Apothekertochter auch bei weitem nicht so schüchtern wie in Anwesenheit manch anderer.
"Danke Brunhild. Und Viktoria. Dass ihr euch immer so um mich kümmert", sagte Luise leise, aber vollkommen ehrlich. Dann schwieg sie einen Moment, gedankenverloren auf das Geschehen am Dorfplatz starrend. "Wisst ihr", fuhr sie dann nachdenklich fort, ohne den Dorfplatz aus den Augen zu lassen, "bis heute hätte ich nicht im Traum daran gedacht, dass unser Dorf einmal in eine solche Lage kommen würde." Ihre Stimme klang erstaunlich ruhig,als sie das sagte. Wahrscheinlich die Wirkung des Baldrians. "Dass irgendjemand Böses über Konrad gesprochen hat ist schlimm genung... aber dass der Pfarrer ihn - oder überhaupt jemanden - am Galgen sehen will... das ist unerträglich." Eine Locke roten Haars hatte sich aus dem Zopf gelöst und fiel Luise nun ins Auge. Geistesabwesend strich das Mädchen sie beiseite. "A-aber wenn der Pfarrer sagt, dass es hier eine solche Sekte gibt... und mit diesem blutigen Schwert und der Nachricht... muss es diese Lumianer w-wirklich hier geben, nicht wahr?" Sie trank einen weiteren Schluck aus der Tasse und fuhr dann fort, ohne auf eine Antwort zu warten: "U-und dann Noel... niemand scheint ihn zu mögen und dennoch teilt er sein Wissen - während er trotzdem fortwährend alle Menschen beleidigt und selbst ein Ungläubiger ist." Luise schüttelte verwirrt den Kopf. Zuvor hatte sie, abgesehen von ihrem Bauchgefühl, nie verstanden, weshalb jeder dem jungen Bibliothekar so wenig Vertrauen entgegen brachte. Nun konnte sie es nachvollziehen. Seine Handlungen begriff sie trotzdem nicht. "E-es ist, als ob es ihm vollkommen egal wäre, was andere über ihn denken. U-und als ob ihm sein Leben nicht wichtig wäre, wenn er so gefährlich daherredet." Luise bemerkte, dass sich eine weitere Strähne aus ihrem Zopf gelöst hatte. Sie war heute Morgen wohl unachtsam gewesen. Vielleicht waren ihre Hände auch einfach zu zittrig für eine solche Aufgabe gewesen. "Die schlimmsten Menschen sind jene mit Honig auf der Zunge und Arglist im Herzen. D-das sagt mein Vater immer. A-aber wenn Noel alles so offen nach außen trägt... sich so offen z-zur Zielscheibe macht... ist es dann nicht eher unwahrscheinlich, d-dass er ein Lumianer ist?" Sie schwieg wieder einen Moment. Was genau veranlasste Noel, so zu handeln? "E-er hat sich so gut um Kürbis´ Wunde gesorgt. U-und er war immer nett zu mir. Und... und ich glaube, er h-hat seine ganze Familie bei einem Schiffsunglück verloren. U-und er möchte nicht darüber reden. A-aber... aber..." Sie schluckte schwer. "Warum hasst er die Menschen nur so sehr?"
Sie ließ die Frage im Raum stehen, nahm einen weiteren großen Schluck aus ihrer Tasse und kuschelte sich an Brunhild.
Geändert von Zitroneneis (25.03.2013 um 12:22 Uhr)
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