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Ehrengarde
[Der Jäger Rekon erbarmte sich gnädigerweise, die Botschaft des Priesters vorzutragen, doch mit jedem Wort schien Brunhild das Blut in den Adern mehr und mehr zu gefrieren. Eine mordende Sekte, Lumbo-…Lumenao-…irgendwas mit Lum jedenfalls. War etwa der Medicus, der den alten armen Hauptmann vergiftete, einer von diesen Scheusalen gewesen?
Doch viel mehr schockierte sie die Antwort des Priesters auf diese Bedrohung:
Die Dorfbewohner sollten jeden Tag Jemanden wählen, von dem die meisten glaubten, er wäre ein Sektenanhänger und diesen erhängen. Und damit vielleicht sogar Unschuldige morden. Womit sie nicht besser wären als die, vor denen sie sich schützen wollen. Doch der Gipfel war, dass er sich von irgendwem bereden ließ, Konrad gleich zu bezichtigen. Allein das zeugte doch davon, dass der Priester nicht mehr bei Sinnen sein konnte. Gerade Konrad war mit Abstand derjenige, von dem sie am wenigsten glauben konnte, dass er einer menschenmordenden Sekte angehörte. Das konnte nicht sein. Das durfte einfach nicht sein!
Die Luft schien schlagartig um weitere zehn Grad kälter geworden zu sein, der Wirtin fuhren unangenehme Schauer bei ihren Gedanken über den Rücken und so raffte sie ihre Heuke so eng es nur ging um den Leib, als könnte sie sie vor allem Übel bewahren.
So bekam sie zunächst nur halb mit, wie der alte Jäger nach mehr Informationen verlangte und Merete das Schwert aufhob mit dem sehr sinnvollen Anliegen, es dem Schmied zur Untersuchung zu zeigen. Als die Nonne Maria das Wort ergriff und ihr aus der Seele zu sprechen schien, fiel ihr Blick auf Luise, die neben der Geistlichen kniete und seltsam teilnahmslos wirkte.
Dem Mädchen ging es ganz und garnicht gut zu gehen. Angesichts der Flut an Informationen und obendrein der Anschuldigung ihres Cousins konnte Brunhild das nur zu gut nachfühlen. Ein sehr zart besaitetes Wesen war die Apothekerstochter nunmal, und das schien alles einfach zuviel für sie gewesen zu sein.
Inzwischen hatte Noel begonnen darüber zu palavern, dass Menschen wie Ratten wären. Die Frau griff gerade leicht genervt nach der gefüllten und bereits beschlagenen Wasserkanne, als der gesichtsbemalte Rotschopf plötzlich verstummte und eine Weile völlig regungslos blieb. Mit hochgezogenen Augenbrauen betrachtete sie den jungen Mann von oben bis unten. Irgendetwas an ihm, neben seiner schlechten Stimmung gegenüber allem, was nicht Luise war, war äußerst seltsam.
Als er dann wieder zu sprechen begann, lauschte sie ihm sehr aufmerksam. Sein Wissen über die Lumke-… die Sekte war recht umfassend, doch seine Aufzählung von Dorfbewohnern, unter denen sich die Sektenanhänger befinden sollte, war so faszinierend wie suspekt. Viele der Anwesenden wurden benannt, auch Brunhild selbst. Dass er einen Freund bei dieser Sekte habe, schien ihr die ganze Sache noch suspekter zu machen, da es nicht gerade für ihn selbst sprach. Auf der anderen Seite hatte er sich selbst unter die Verdächtigen gezählt…
Etwas in ihr drückte ihr auf einmal die Kehle zu und sie hatte das Gefühl daran zu ersticken, wenn sie es nicht aussprechen würde. Sie holte tief Luft, griff fester um den Henkel ihrer Kanne und sprach:
Ich möchte Euch auch noch Etwas sagen. Und zwar dass ihr Euch alle schämen solltet! Auch nur darüber nachzudenken, andere an den Galgen zu bringen, und dabei womöglich einen Unschuldigen zu treffen, ist schändlich! Habt ihr auch nur eine Sekunde darüber nachgedacht, womit ihr Euer Gewissen belasten würdet, wenn das geschieht? Wir wären keinen Deut besser als diese Lum-…pazeriosten oder wie auch immer! Und derjenige, der Konrad also so einen beschuldigt hat, sollte sich schämen, auch wenn es keiner von Euch war! Er hat nie Jemandem etwas getan, sondern vielen geholfen und war immer nett und freundlich zu jedem. … Schwer keuchte sie, ehe ihr der eine Satz Noels wieder in den Sinn kam und sie in einem ungewohnt abfälligen Ton hinzufügte: „Und wenn wir Niemandem vertrauen dürfen, dann sollten wir uns wohl am besten gleich alle selbst erdolchen, dann kann uns keiner von diesen Lum-Typen umbringen. Aber ihr habt anscheinend einen Rat schon verinnerlicht, dass ihr Alle schon nicht mehr erkennt, wenn eine aus unserer Mitte Hilfe braucht…“
Wuttränen glitzerten in ihren Augen, als sie noch einmal kurz in die Runde sah und dann mit ein paar Schritten zu der immernoch apathischen Luise ging und sich vor ihr niederkniete.
Sanft strich sie über ihre Wangen und bemerkte dabei, dass ihre Ohren als Eiszapfen dienen könnten. Geschwind löste sie ihr Kopftuch, sodass sie ihre hochgesteckten Haare über die Schultern ergossen, und band es der Kleinen als Kopfring um, als Viktoria zu ihnen kam und sich ebenfalls besorgt zeigte.
Aus den Augenwinkeln bekam die Wirtin mit, wie Rekon ohnmächtig zusammensackte, und kurze Zeit später von der jüngeren Jägerin nach Hause getragen wurde. Zumindest spielten nicht alle auf einmal verrückt, beruhigend zu wissen…
Beherzt griff die ältere Frau der Apothekerstochter unter den Arm und half ihr hoch. Bedächtig führte sie sie, das Schneiderinnenkind nebenherlaufend, zu ihr ins Wirtshaus. Dort angekommen zog sie die Tür zu, um die Kälte nach draußen zu verbannen und stellte die Kanne ab.
“Entschuldige Lumi, dass es länger dauerte, aber wir stecken da offenbar gerade ganz schön in etwas drin und die arme Luise hier muss erstmal wieder aufgepäppelt werden…“, meinte sie an ihren Gast, während sie das arme Kind zum dem Kamin am nächsten liegenden Tisch bugsierte und hinsetzte.
Danach wand sie sich um, legte der stehenden Viktoria die Hand auf die Schulter und meinte milde: “Mach es Dir ruhig bequem…
Schnell holte sie Milch, welche sie in den Topf über dem Feuer gab, entledigte dann Luise ihres Mantels und hängte diesen zusammen mit ihrer Heuke an den Haken neben der Tür. Dann stürmte sie hinauf und kam mit ein paar warmen Wolldecken beladen zurück, wovon sie eine um Luises Körper und eine um ihre Beine schlang. Die anderen legte sie auf den Tisch, damit sich die beiden anderen Damen bei Bedarf bedienen konnten.
Daraufhin ergriff sie die Wasserkanne und nickte Lumi, als sie in Richtung Gästekammer damit schritt zu: Ich stelle sie vor Deinem Zimmer ab, Du kannst Dich daran bedienen und waschen…, tat wie geheißen und kehrte zurück.
Brunhild trat an den Topf heran, in dem die Milch inzwischen fast am überkochen war, und schöpfte die erhitzte Flüssigkeit in drei Krüge ab. Allen fügte sie einen großzügigen Löffel Honig bei, nur einem jedoch noch eine Kleinigkeit getrockneten Baldrian, den sie für stressige Tage immer vorrätig hatte. Den Sondertrunk stellte sie vor der immernoch regungslosen Luise ab, die anderen beiden bekamen Vitkoria und Lumi.
Kurz hielt sie inne und blickte zu einem undefinierbaren Punkt. Sie wollte die anderen Dorbewohner da draußen nicht so einfach unbeaufsichtigt lassen. Irgendwie machte ihr der Gedanke, sie würde es doch tun, extreme Magenschmerzen. So kramte Brunhild aus einer Ecke einen geschlossenen Metallzylinder mit Füßen und Henkeln und einer Klappe versehen vor, stapelte einige glühende Kohlen vom Kamin dort hinein, legte einige neue Holzscheite dazu und trug das ganze hinaus auf die Außenterrasse des Gasthauses, welche einen guten Blick auf den Dorfplatz bot. Unter großen Anstrengungen und Ächzen trug sie dann die Eingemummelte hinaus zu einem Stuhl neben dem Metallzylinder, holte ihren Mantel und war ihr ihn über, ehe sie bibbernd ihre Heuke überzog. Viktoria griff sich eine Decke und setzte sich zu der Apothekerstochter, während die Wirtin die Milchkrüge der Mädchen mitnahm und auf dem kleinen Holztischchen vor ihnen plazierte.
Dann atmete sie einmal tief durch, fuhr sich durch das offene Haar und ließ sich danach neben Luise nieder. Einen Arm legte sie dem Mädchen um die Schulter, drückte es an sich, küsste sie sanft auf die Schläfe und wiegte sie dann sacht in den Armen.
Geändert von Mephista (25.03.2013 um 00:12 Uhr)
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