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Thema: Das Dorf Gottes 2-Tag 1

Baum-Darstellung

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  1. #9
    "Schiffe. Sie... äh... nun. Sie fahren. Auf Wasser. Gewissermaßen."
    Luise
    starrte den Bibliothekar verwundert an. Sie wusste ja, dass Schiffsbau ein gutes Thema war, um sich vorsichtig etwas besser kennenzulernen. Aber dass Noels Verhalten sich so schnell wandeln würde, sobald sie dieses Thema aufbrächte... das hatte sie nicht gedacht.
    Der sonst so gefasst wirkende junge Mann schien nun um seine Worte zu ringen. Eigentlich war auch dieses Bedrohliche verschwunden, was sie sonst immer in ihm spürte. Er erinnerte im Augenblick mehr an einen stammelnden Jungen, der eine Ausrede suchte, denn an einen erwachsenen Bibliothekar, den anscheinend so viele Dorfbewohner fürchteten.
    Auch seine nächsten Worte überraschten Luise:
    "D-Der Schiffsbau als Solches geht weit in der Zeit zurück, man nimmt an, die Ägypter hätten die ersten Schiffähnlichen Gefährdte konstruiert. An sich ist es stets eine Frage von Konstruktionsgenauigkeit, finanziellen Mittteln und gewünschtem Zweck. In unserem Land wird man nicht auf allzuviele Kriegs oder Handelsschiffe treffen, hier sind Transport und P-Passagierschiffe an der Tagesordnung, welche ihren Fokus a-auf Staumasse und Äußerlichkeiten legen. Für weitere Informationen in detaillierter Auflistung kann ich dir die R-R-Regale 2 bis 4 empfehlen, in denen du allerhand Literatur über jegliche Gefährte der bekannten Welt findest..."
    Luise hatte immer gewusst, dass Noel ein gebildeter Mann war, der vieles wusste. Somit waren es nicht seine Worte, die sie überraschten, sondern seine Art. Tyrell hatte ihr erzählt, dass Noel ein verabscheuungswürdiges zweites Gesicht besaß - aber davon konnte Luise im Augenblick einfach nichts sehen.
    Seine Worte klangen mühselig auswendig gelernt und dann heruntergestammelt. Und er wirkte beinahe so nervös wie Luise selbst, wenn sie vor einem fremden Menschen reden musste. Irgendetwas musste den armen Bibliothekar furchtbar aus dem Konzept bringen. Hatte sie etwas falsches gesagt?
    Da kam Luise ein schrecklicher Gedanke, mit dem sie gleich ohne nachzudenken losplatzte: "Hast du etwa -"
    Rechtzeitig unterbrach sie sich selbst. Wenn ihr Gedanke stimmte, würde sie ihm wahrscheinlich einen rostigen Dolch ins Herz rammen, spräche sie ihn direkt aus.
    Konnte es sein, dass Noel eine schlimme Erfahrung mit einem Schiff gemacht hatte? Oder auf einer Schiffbaustelle? Bestimmt hatte er einmal Eltern gehabt und er schien ja noch sehr jung zu sein. Bestimmt keine zwanzig Sommer. Vielleicht waren seine Eltern bei einem Schiffsuntergang gestorben? Oder von einer vom Gerüst fallenden Planke erschlagen worden? Vielleicht hatte er ein jüngeres Geschwisterkind gehabt, dass ins Wasser gefallen, von einem großen Schiff versehentlich gerammt worden und dabei umgekommen war? Oder er selbst hatte einen Piratenüberfall miterlebt?
    Was es auch war, das Noel so belastete, die Frage "Hast du etwa etwas schlimmes auf einem Schiff erlebt?" wäre unendlich taktlos.
    "- ähm, e-ein ganzes B-bücherregal ü-über... ähm... dieses T-thema... g-gelesen?", beendete Luise stattdessen ihre unterbrochene Frage und versuchte, beeindruckt zu klingen. Schnell eilte sie zu den genannten Regalen und schnappte sich achtlos ein Buch mit dem Titel "Das Bezirzen holder Burgfräuleins durch den Bau großer Schiffe für ihre Schoßhündchen" und sagte mit einem etwas gekünstelt fröhlichem Lächeln: "V-vielen Dank, N-noel. Ich w-werde mir d-das hier dann mal ausleihen u-und dann d-die Apotheke ö-öffnen. W-wir sehen uns bestimmt bald wieder in der Apotheke, w-wenn du... äh.. w-wieder K-kopfschmerzen hast..."
    Dann durchschritt sie die Tür zur Straße.
    Immer noch irritiert, nachdenklich und mitleiderfüllt von ihrem Gespräch gerade, nahm Luise diesmal den direkten Weg zur Apothek, über den Dorfplatz.
    Dort angekommen fielen ihr mehrere Dinge auf.
    Erstens saß dort am Brunnen Maria, die nonnigste aller Nonnen, und schien auf jemanden zu warten. Sie trug einen Beutel, ähnlich denen in welchen Mönche oder Nonnen manchmal Kräuter zur Apothek lieferten. Schuldbewusst dachte Luise daran, dass wohl auf sie gewartet wurde.
    Das zweite, was ihr auffiel war ein Schwert auf dem Dorfplatz. Luise trat neugierig näher und stellte angewiedert fest, dass Blut daran klebte. Wer ließ sein ungesäubertes Schwert mitten auf dem Dorfplatz zurück. Dann laß Luise den am Schwert befestigten Zettel.
    Eine Welt brach für sie zusammen.
    Mechanisch drehte sie sich zu der nun auf sie aufmerksam gewordenen Nonne zu und fragte mit leiser, bebender Stimme: "I-ist das w-wahr? I-ist Konrad w-wirklich... ?"
    Ihre Knie gaben unter Luise nach, und der darauf folgende Schmerz bestätigte ihr, dass dies kein Traum war.

    Geändert von Zitroneneis (24.03.2013 um 16:17 Uhr)

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