Noel und Lumi traten auf den Platz heraus. Es war mittlerweile dunkel, um das Schafott herum aufgestellte Fackeln waren die zuverlässigste Lichtquelle, als sich das Dorfzentrum langsam mit tuschelnden Leuten füllte. Da passierte einmal mehr das schier Unmögliche: Luise kam keuchend auf Noel zugerannt, suchte seinen Blick, wollte offenbar mit ihm reden. Noel wollte aber nicht mit ihr reden. Trotz seines Unbehagens hätte er es allerdings nie fertig gebracht, Luise abzuweisen. Nie. Also ließ er sich wohl oder übel darauf ein.
"Lumi..."
Er legte seine Hand auf die Schulter seiner kleinen großen "Freundin."
"Geh schon Mal vor. Ich komm' gleich."
Mit hochgezogener Augenbraue beäugte sie Noel, bevor Lumi kopfnickend zum Zentrum schritt. Stumm und seufzend wandte sich Noel Luise zu, suchte ihren Blick und wartete ab, wie sie ihm Hass und Verachtung entgegenschreien würde. Vorher aber schwank seine Aufmerksamkeit zu Deus, der geduldig neben den beiden saß.
Verzieh dich.
Was? Du willst, dass ich DAS verpasse?! Auf keine Fa-
Ich sags nicht nochmal.
Grummelnd schlurfte der Wolfsgott Lumi hinterher, Noel mit einem unzufriedenen Blick strafend. Jetzt hatte der rothaarige Junge Zeit für seine Elfe.
"Noel! I-ich weiß, d-dass ich dir heute M-morgen wohl zu n-nahe getreten bin. I-ich habe dich sicher verletzt m-mit meinem unüberlegten Gerede."
Noel kniff schwer denkend die Augen zusammen.
Es ratterte in seinem Kopf.
...
...
...
...
...
HÄ?
"D-du musst w-wirklich wütend sein. B-bestimmt hasst d-du mich jetzt dafür..."
Noel verstand nicht genau, wovon sie redete. Da würde ein bisschen... moment. Verdammt. Kein Gedankenlesen.
Na ja, eigentlich war die Situation auch so klar - Seine kleine, süße, naive Elfe hatte Mal wieder Irgendetwas falsch verstanden. Einem unbestimmten Reflex folgend legte Noel ihr lächelnd eine Hand an die Wange, schob sanft ihre Strähnen beiseite.
"Hassen? Wie könnte ich dich jemals hassen, kleine Elfe? Wie dir Abneigung entgegenbringen?"
Luise schwieg, blickte ihm sichtlich verwirrt ins Gesicht.
"E-es wäre dein g-gutes Recht! I-immerhin w-war ich wirklich taktlos..."
Noel wollte gerade fragen, wovon sie sprach, als sie bereits weiterhaspelte.
"A-aber das ist m-meine Schuld, nicht die der anderen Dofbewohner. I-ich kann d-dich schlecht um Verzeihung b-bitten, w-wo ich d-deine Gefühle so verletzt habe. A-aber selbst wenn du mir nicht vergibst - ich bitte dich dennoch darum: Teile dein Wissen über die Lumianer mit uns! Hilf dabei, die Unschuldigen zu schützen, indem du uns mit deiner Erfahrung und deinem Wissen beistehst! B-bitte. Du musst es n-nicht für mich tun. E-es ist für alle, die hier leben. A-alle die e-ein friedlliches Leben führen wollen. Alle, d-die all das Unglück der Welt vergessen wollen. I-ich werde d-dich nicht weiter belästigen, w-wenn du das nicht möchtest. A-aber denk bitte an alle, die n-nichts mit a-alldem zu tun haben!"
Luise sah Noel direkt in seine dunklen Augen, mit den ihrigen, die so schimmerten, dass ein jeder Smaragd dagegen verblasst wäre.
Es tut weh.
Ihre Haare waren vom Regen durchnässt, ihre Kleidung schmutzig, Nervosität und Tränen zierten ihre Mimik.
Es tut weh.
Luise war schöner als je zuvor. Und wegen Irgendetwas fühlte sie sich schuldig ihm gegenüber.
Oh nein, naives Elflein, glaubt, meine Gefühle verletzt zu haben... es tut weh.
Da kenne ich so viele Arten des Umganges und so viele Wörter... und doch bekomme ich nicht einen einzigen Satz auf die Reihe. Kann sie nicht beruhigen. Und mich ebensowenig.
Es tut weh.
Ich liebe dich.
"Kleine Elfe..."
Noel wich Luise' Blick aus. Er ertrug ihn nicht mehr, sprach mit einer bebenden Stimme.
"Zuersteinmal.." ,
er zwang sich zu einem Lächeln. Ein für seine Verhältnisse erbärmliches Schauspiel. Nein, für jedermanns Verhältnisse.
"Du hast meine Gefühle nicht verletzt. Du bist der Grund, warum ich welche habe..."
Den zweiten Teil des Satzes murmelte er eher, als dass er sprach. Dann sah er Luise lächelns ins Gesicht.
"Ich bin dir nicht böse, Luise. Ich war es nie... und werde es nie sein."
Seine Hand auf ihrer Wange zitterte wahrscheinlich. Oh verdammt. Schnell zog Noel sie von ihr weg, hoffentlich noch rechtzeitig. Sie war nach wie vor stumm, Noel konnte ihren Gesichtsausdruck nicht deuten.
"Du willst, dass ich den Dorfbewohnern gegen die Lumianer helfe?"
Wieder folgte Noel einem Reflex. Er kniete sich vor dem Mädchen auf ein Bein, nahm ihre Hand in die Seinige.
""Alles, was du möchtest. Ich werde dir jeden Wunsch erfüllen. Versprochen."
Stumm drückte er einen leichten Kuss auf ihren Handrücken. Sie zitterte ebenfalls.
Noel erhob sich wieder und entkleidete sich seines Mantels, welchen er ihr unaufgefordert um den Körper legte.
Er hatte ja immer noch ein schwarzes Hemd an, das würde reichen.
"Er ist nicht der Beste, aber.."
Wieder zwang Noel sich zum lächeln, "er sollte dich etwas wärmen, kleine Elfe."
Dann schweifte sein Blick ab, herüber zum Schafott, während er nochmals mit Luise sprach.
"Es gibt da etwas, dass ich dir sagen möchte, weißt du? Aber ich kann es noch nicht. Ich bin... zu feige. Ich bin ein kleiner Feigling. Es war nie anders. Aber irgendwann..." ,
Und da erschien das erste echte Lächeln auf seinem tätowierten Gesicht, "möchte ich mich verändern. Ich möchte mutig werden. An diesem Tag sage ich es dir, ja? Also werde ich Alles in meiner Macht stehende tun, damit wir beide diesem Tag entgegengehen können. Ich werde das Dorf beschützen.
Versprochen, Luise."
Ein letztes Lächeln schenkte er dem Mädchen, bevor er sich, ohne eine Antwort abzuwarten, mit den Händen in den Hosentaschen zum Dorfplatz begab. Das erste Mal seit langer, langer Zeit hatte Noel das Gefühl, für den Moment mit sich und der Welt im reinen zu sein. Und würde dieses Gefühl auch nicht lange anhalten, so die Hinrichtung doch bevorstand und man Hass nicht ohne weiteres tilgen konnte, wollte er es für nun still genießen.
Deus wartete bereits auf ihn und ging mit Noel die restlichen Schritte.
Hast wohl gelauscht, was? Scheiß Köter.
Nein, habe ich nicht. Kein Wort. Das tut man nicht unter Freunden.
Pff...
Noel lächelte stumm in sich hinein.
Was wirst du jetzt tun?
Na, was wohl? Ich werde dieses Dorf beschützen. Jeden einzelnen Bewohner. Für sie. Für ihr Lächeln. Nein... auch für mich.
Wie meinst du das?
Warum... hasse ich die Menschen, seit ich denken kann, Deus?
...
Ich möchte mich verändern und die Menschen wie auch die Welt... akzeptieren können. Mögen können. Lieben können. Für Sie.
Der Wolf grinste zähnebleckend.
Verstehe.
Und damit trat Noel vor das Schafott, bereit, einen Lumianer hinzurichten.
Eine Alternative gab es nicht.
Stumm, wenngleich mit lodernder Entschlosenheit zog er seinen Dolch, hielt ihn in Richtung des Strickes und sprach laut über den Platz, mehr zu sich selbst, als zu irgendjemandem sonst.
"ICH, Noel De'chrones'tulem, schwöre bei meinem Dolche, dass HEUTE NACHT ein LUMIANER hängen wird!"