Gespannt lauschte Merete den Äußerungen des tättowierten Jungen. Noel. Ob der angespannten Situation, die sicher nicht weit davon entfernt war, zu eskalieren, weckte die Fischerstochter in sich selbst das Interesse an Namen. Zu wissen, mit wem und über wen man sprach, würde in naher Zukunft womöglich unverzichtbar sein.
Noel also. Die Art und Weise, in der er sprach war ungewöhnlich, ihr unbekannt. Doch was wusste sie? Die Personen, mit denen sie mehr als das alltägliche Wort wechselte, konnte sie an einer Hand abzählen. Dennoch - irgendetwas unterschied ihn von den anderen. Und er stachelte sie auf, forcierte erneut, zu was bislang nur der Pfarrer aufforderte. Merete konnte nur hoffen, dass der Rest nicht zu früh beginnen würde, seinen Worten - oder denen des Geistlichen - Beachtung zu schenken. Der Weg der Gewalt sollte der letzte Weg sein, auf den man sich verlässt. Das hatte sie früh gelernt.
Viel besorgter als die Bogenschützin schien jedoch ihr Jagdgenosse. "Noel, wenn du deine Informationen von einem der Lumianer beziehst, wirst du uns doch sicherlich sagen können, wer dieser Lumianer ist", stellte er mehr fest. Recht hatte er. Würde Noel die Wahrheit erzählen, so müsse er wissen, um wen es sich handle. Doch vielleicht trieb er nur ein Spiel mit ihnen oder suchte gar die Aufmerksamkeit der Masse, ohne überhaupt etwas zu wissen.
Rekon wirkte jeden Moment schwächer, doch sprach er weiter. "Deshalb Noel... Sag uns... wer ist deine Quelle?" Das Gesicht des Jägers verzog sich ein letztes Mal, bevor er mit offenen Augen fiel und auf dem erdigen Untergrund zusammensackte. Sein Zusammenbruch und der erste Regentropfen, der ihre Wange traf, weckten Merete aus sämtlichen Überlegungen und ließen sie handeln. Bevor die Sorge der Dörfler um den bewusstlosen Rekon überhandnahm, trat sie bereits an die Seite seines ohnmächtigen Körpers, hatte das Schwert notdürftig im Ledergurt verstaut. Der Mann war groß und trug zudem seine schwere, rote Rüstung, doch war dies nicht das erste Mal, dass sie einen - in diesem Fall glücklicherweise vorrübergehend - leblosen Körper trug. Sie hievte den Oberkörper hoch und hob ihn schließlich halb auf den Rücken, legte ihre Arme nach hinten unter die seinen. Für einen Moment drohte sie unter der Last zusammenzubrechen, doch wie erwartet hielten ihre Beine stand. Atem sammelnd wendete sie ihren Kopf zur Menschentraube. "Ich bringe ihn in seine Hütte und besuche anschließend den Schmied."
Nur wenig später schlug sie mit dem rechten Bein die Tür eben jener Hütte auf, darauf bedacht, das linke für den Stand fest im langsam aufweichenden Erdgrund zu verankern. Ein kurzer Schreck durchfuhr die Jägerin, als ihr ein aufgeregtes Japsen entgegenkam. Ein Mädchen - vielleicht 8 Sommer alt - stand vor ihr, mit besorgter Miene auf den regungslosen Körper Rekons blickend. "Was...?", begann sie, doch Merete unterbrach in einem Tonfall, den sie selbst als möglichst beruhigend empfand, noch weiter gedämpft durch die Last auf ihren Schultern. "Er verlor am Dorfplatz das Bewusstsein. Keine Sorge, er braucht Ruhe!", sprach sie, ohne zu wissen, was es war, das dem erfahrenen Jäger so übel mitspielte. Doch sein Atem war selbst durch die Rüstung zu spüren. Ein zuverlässiges und beruhigendes Zeichen dafür, dass er noch lebte.
"Sein Bett?" Das Mädchen hüpfte nervös von der Stelle und wies mit einem gerade ausgestreckten Arm den Weg, den die Isländerin zügig antrat. Vorsicht walten lassend drehte sie sich vor seiner Liegestatt um und ließ ihn ebenso achtsam darauf sinken, schob schließlich seine Beine hinauf. Die Rüstung sei sicherlich nicht die bequemste Schlaftracht, doch sah Merete Rekon sowieso stets in ihr, wie kurios auch die Situation. Und ohnehin würde sie den Teufel tun, ihm seiner Rüstung zu entledigen. "Behüte ihn gut, bis er aufwacht!", wies sie schließlich das Mädchen an, die ein hastiges Nicken folgen ließ, während die Fischerstochter bereits umdrehte und die Hütte verließ, um den Dorfschmied aufzusuchen.