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Thema: Das Dorf Gottes Tag 0 (Anmeldung noch bis Mittwoch 20h)

Baum-Darstellung

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  1. #11
    Sie wählten alle den breiten Rotschopf, den Namen hatte Lumi im Pulverrausch nicht ganz aufschnappen können - aber irgendwas wie "Horst Feller". Der dramatische Auftritt ging mächtig nach hinten los, vereinzelt hörte sie Worte wie "Ketzer" - und da dämmerte es ihr:
    "Oh, großartig - Christen...", entfuhr es Lumi leise während sie weiter auf der Bühne lag. Sie war alles andere als religiös, glaubte nur daran, dass jeder seines Glückes Schmied war und es jedem freistand, wie er mit dem Leben umginge, das ihm geschenkt wurde. Und in diesem Moment hatten sie sich alle dazu entschlossen, den rothaarigen Holzfäller zu wählen. Der Typ schien ja irgendetwas an sich zu haben, was den Leuten gefiel. Sie hingegen war fremd.

    "Fein.", sprach sie, stand auf und warf sich wieder ihren Umhang über. "Dann halt kein Hilfe. Kein Hilfe für niemanden vor drohende Apopolypse oder wie ihr Leute das nennt. Ich...", sie zog das untere Augenlid ihres halbblinden Auges herunter, "... hab damit gutes Verbindung nach oben. Sehr gutes Verbindung. Und wenn ihr mir nicht glauben wollt, dann...!", sie ließ das Augenlid los und deutete mit dem rechten Arm vorwärts als drohende Geste. Doch ihr fiel nichts ein. Kein Wort in irgendeiner Sprache konnte ausdrücken, wie gedemütigt sie sich in dem Moment fühlte. "Lumi ist und bleibt eine schlechte Verliererin." hatte ihre Mutter immer gesagt. Und es stimmte: Wenn sie etwas hasste, war es verlieren. Egal ob es beim Spiel, bei der Politik oder bei der Liebe war. Wobei letzteres eher nicht unbedingt ihr Fachbereich war - als umherziehende, ständig von irgendwelchen Leuten gejagte selbsternannte Wahrsagerin mit Hang zur Kleptomanie hatte sie nie wirklich Zeit dafür gehabt. Es gab einen, aber der war jetzt bereits unterwegs gen Süden. Und sie hatte ihn noch vor ein paar Tagen gesagt, sie würde nichts empfinden. Hätte was werden können. waren die vier Worte, die momentan alles widerspiegelten, was ihr widerfahren war.

    Aber sie konnte sich nicht so diesen Dorfbewohnern öffnen. Sie wusste nicht wohin, sie wusste nicht wie sie so schnell ihrer Familie nachreisen konnte und sie wusste nicht ob sie wirklich mit einem Fluch belegt war, wie es Onkel Dimosz ihr gesagt hatte. Und vor allen Dingen wusste sie nicht, wie sie die verdammte Reise bezahlen sollte, gerade bei ihren Essgewohnheiten, die wohl alles andere als minimalistisch waren. Und mit Djángo. Dem armen Djángo, der nun mit ihr zusammen durch diesen Suhl aus Dreck musste. Enttäuscht von sich selbst, der Welt und allem anderen hockte sie sich auf den Rand der Bühne und schaute mit Hundeblick geradeaus ins Leere, während sie sich alle anderen fast überschlugen vor lauter Hochachtung vor Horst dem Holzfäller. Horst. Was für ein Scheißname. Fast so schlimm wie Analbert. "Horst der scheiße Holzfäller...", murmelte sie im geistesabwesenden Ton. "Horst der verkackte scheiße Holzfäller.", wiederholte sie, immer noch flüsternd. Schlecht aussehen tat er ja per se nicht, aber dafür schien der Kerl nicht wirklich helle im Kopf zu sein. Nun, zugegeben, er hatte einen gewissen Bonus, da er die Leute hier kannte und genau wusste was Sache war. Hm. Vielleicht war es gar nicht so eine schlechte Idee, ihm näher zu kommen. Horst wüsste vielleicht, wie sie hier rauskäme, und sie müsste dafür nicht einmal irgendwelchen Blödsinn von sich geben der frei erfunden war. Verdammt, sie musste ihm nur schöne Augen machen und das war's. Zack. Ein zartes Grinsen wurde nun auf ihrem Gesicht sichtbar. Sie könnte ja immer noch prophezeien. Für Geld. Aber vorerst brauchte sie ein halbwegs taugliches Dach überm Kopf.

    "Irgendein Idee, Djángo?", flüsterte sie in Richtung des neben ihr liegenden Beutels. Normalerweise konnte sie zumindest ein Fiepsen oder ein Rascheln vernehmen - aber da war nichts. Kein Laut. Kein Rascheln.

    Kein Frettchen.

    Sie entsprang ihrer Lethargie und durchwühlte panisch ihren Beutel. "Hol bujkál, Djángo? [Wo versteckst du dich, Djángo?]", sagte sie ein paar Male, jedes Mal ein wenig lauter werdend. Die anderen schienen keine Notiz von ihr zu nehmen. Wenn er jetzt auch noch verschwunden war, wüsste sie nicht, was sie als nächstes tun würde. "Wo ist er bloß, wo ist er bloß, wo ist er bloß?". Sie merkte, wie ihre Augen feucht wurden. Das war nicht gut, ganz und gar nicht.

    Oh, du wirst jetzt nicht ernsthaft heulen, oder? Reiß dich am Riemen, Luminitsa! Du bist eine Szábo! Wir weinen nicht, wir verdrehen höchstens die Augen, sagen "Ach, scheiße..." und gehen weiter! Djángo geht's gut, er kommt bestimmt gleich wieder!

    Und plötzlich saß er direkt vor ihr, ein halbes Brötchen im Maul, sah aus als würde er grinsen. Wo hatte er das Brötchen her? Egal. Sie kiekste vor Freude, hob das Frettchen mit dem halben Brot im Maul hoch vor ihr Gesicht, wuschelte mit ihrem Gesicht im Fell ihres kleinen Freunds herum und untermalte das mit folgenden Worten in hoher, erfreuter Stimme: "Oooooohhhhh Djángo! Jó görényt! Te jó görényt! Igen van! Jó görényt! [Gutes Frettchen! Ein gutes Frettchen bist du!]"
    Sie führte Djángo mit den Händen ihren Mund und schnappte ihm das Brötchen aus dem Maul, das er nach wenig Widerstand losließ. In einem Bissen verschlang sie es, kaute laut schmatzend und breit grinsend darauf herum. Es war das beste Brötchen aller Zeiten. Nur ein Meister von Bäcker konnte sowas-Oh. "Wo hast du das her, Djángo?", fragte sie nun, immernoch die Backen voll mit dem eben verputzten Brötchen und schaute panisch an ihm vorbei auf die Leute. Ob irgendwer das Brötchen vermisste? Wer vermisst ein Brötchen? Es ist ein Brötchen. Brötchen haben keine Seele (genausowenig wie Rothaarige. Zumindest wurde ihr das glauben gemacht von ihrer Mutter. Wahrscheinlich hatte sie auch deshalb so eine Aversion gegenüber Horst.). Brötchen sind Brötchen. Wer auch immer Eigentümer dieses Brötchens war, er würde sich eh ein neues, krosses, extrem leckeres Brötchen backen. Scheiß auf das eine Brötchen. Dieses Meisterwerk von einem Brötchen. Oh Mann, jetzt machte sie sich etwa ernsthaft Vorwürfe wegen eines blöden Bröt-?

    "Entschuldige.", sprach's von links. Hatte sich doch tatsächlich ein blonder, bärtiger Kerl im toten Winkel zu ihr durchgearbeitet.
    Vor Schreck zuckte sie zusammen und fiel - ein Kieksen von sich gebend - nach hinten hin über. Da lag sie nun wieder. Auf der Bühne.
    "Oh Gott, hast du dir was getan?", sprach er mit ernsthafter Sorge in der Stimme. Lumi rappelte sich auf und rieb sich den angedonnerten Hinterkopf.
    "Mh.", gab sie von sich und schüttelte den Kopf. Eine kurze peinliche Pause später konnte sie endlich wieder reden. "Alles gut, ich hab' harte Kopf. Harte Kopf hält einiges aus."
    Der Blonde grinste. "Harter Kopf, wie? Wird wohl trotzdem ne Beule geben." Er musterte sie kurz, wie sie mit verwirrtem, misstrauischen Blick dasaß und sich den Hinterkopf rieb. Djángo verschwand indes wieder im Beutel und schaute mit seinen Kulleraugen auf den fremden Mann. "Du bist heute angekommen, hm?"
    Sie schüttelte den Kopf. "Durchreise."
    "Der kleine Marder - der gehört zu dir, hm?"
    Lumi nickte.
    "Also, wenn dein Freund hier noch Hunger hat, da wo das Brötchen herkam, gibts noch mehr. Ihr seht aus, als hättet ihr eine ganz schön lange Reise hinter euch. Magst du mir deinen Namen verraten?"
    Sie schwieg einige Sekunden, schaute zu Boden, dann wieder auf zu dem Mann. "Luminitsa. Lumi reicht. Du?"
    "Konrad Elkarst. Konrad reicht.", er lächelte ihr aufmunternd zu und verfütterte einige Fischbröckchen an das Frettchen.
    "Konrad, ja?", Zeit klugzuscheißen, "Konrad, der mutige Berater." Still ließ sie das kurz einsinken.
    Konrad blickte sie mit großen Augen an. "Das wusste ich gar nicht. Ich mein', mein Großvater hieß so. Aber 'mutiger Berater'... soso...", nachdenklich stupste er dem Frettchen gegen die Nase und rieb sich mit der andren übers vorgeschobene Kinn, während sich sein Grinsen vertiefte. Lumi hatte ihn offensichtlich tief beeindruckt und ihm ein Geschenk gemacht, das ihm sehr viel wert war.
    "Bist erster netter Mann hier. Rest war bis jetzt - wie sagt man? Suppsekt. Furcsa emberek.", Konrad blickte forschend in ihre großen Augen. "Ähm... Komische Leute." Sie sagte all das, während sie weiterhin möglichst unauffällig auf dem Brötchen herumkaute. Doch sie sah bereits, dass es ihm aufgefallen war.
    Wieder kam kurz Stille auf. Dann fing sie an, leise zu schluchzen. "Das war deine Brötchen, ja?", sie hielt sich die Hände vor's Gesicht. Jetzt wurde es theatralisch. "Es tut mir so leid um Brötchen. Ich will dafür bezahlen, ja? Aber sperr' mich nicht in Zelle, ja? Ich bezahle, ja? Ich schwör." Sie weinte nicht wirklich, sie war mehr auf einem Scheideweg zwischen "sich formell entschuldigen" und "aus allen Tränsendrüsen heulen wie ein Schlosshund damit sie nicht im Knast landete". Konrad machte eine beschwichtigende Geste und legte seine Hand auf ihren Oberarm.
    "Es war nur ein Brötchen, Lumi. Ist gut, dass dein Freund für dich sorgt - und um ehrlich zu sein, wenn ich alles alleine aufessen würde, was Brunhild mir so zusteckt wäre ich inzwischen so breit wie ein Breitmaulfrosch." Dabei pustete er die Backen auf und stemmte die Arme in die Seite, was ziemlich komisch aussah.
    Lumi beruhigte sich langsam wieder. Gut, am Knast war sie schonmal vorbeigeschlittert. Sie wischte sich mit dem Ärmel des Gewands die Augen trocken. "Djángo hatte nur Hunger. Ich auch. Seit fast zwei Tagen."
    "Zwei Tage Hunger, sind zwei Tage zuviel. Dagegen sollten wir etwas unternehmen, meinst du nicht?", sagte Konrad und stapfte gemütlich zurück zu einem Brunnen, der am Dorfplatz gelegen war. Kurz blieb er stehen und deutete mit dem Kopf in Richtung des Brunnens. "Folge mir. Keine Angst, ich beiße nicht."

    Auf der einen Seite war sie misstrauisch gegenüber derart freundlichen Menschen. Auf der anderen Seite: Essen für lau. Schneller als man "Lecker" sagen konnte schnappte sie sich ihren Beutel und lief dem blonden Hünen hinterher.

    Geändert von T.U.F.K.A.S. (21.03.2013 um 21:29 Uhr)

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