Also kratzte er sich den Bart und wandte sich erneut an Noel: „So wie es scheint, besteht sie darauf euch selbst zu versorgen. Seht mal, Luise nennt euch ja eh schon Noel und wenn ihr mögt könnt ihr mich ebenfalls beim Vornamen nennen. Konrad also.“
Noel hielt Konrads Blick stand, er blieb, wie er es normalerweise pflegte, gefasst und ruhig.
Tz... als hätte ich irgendein Interesse, deinen Namen zu sprechen. Allerdings kann es wohl nicht schaden, ihren Cousin nicht zum Feind zu haben.
Noel war sich nicht ganz sicher, wie er reagieren sollte. Solch eine Angespanntheit war eigentlich völlig untypisch für ihn. Natürlich, es musste an ihrer Anwesenheit liegen.
Der junge Mann beschloss, seine seltene Gabe, das Gedankenlesen, von der niemand außer ihm selbst etwas wusste, anzuwenden.
Natürlich, Noel... das ist ja wieder die einfachste Lösung. Du machst es dir so leicht...
Deusexus...
Noels Freund hatte sich wieder gezeigt. Der junge, feist grinsende Wolf saß ungeniert mitten in der Apotheke, natürlich konnte nur Noel ihn sehen.
Nun... "Freund" war eine reichlich mutige Bezeichnung. Das erste Mal hatte Noel den Wolf als kleines Kind wahrgenommen, wohl etwa, als seine Frau Mutter verstarb. Zuerst dachte er, der sprechende Wolf, der sich selbst Deusexus nannte, wäre nichts weiter als eine Sinnestäuschung, ein Ergebnis seines schmerzlichen Verlustes. Doch auch nach Wochen und Monaten war das Tier nicht verschwunden, drängte sich zu den unpassendsten Momenten in seine Wahrnehmung. Also hatte Noel ihn irgendwann einfach akzeptieren müssen. Er wusste nicht, wer oder was Deusexus war... wahrscheinlich nur eine chronische Wahnvorstellung als Nebenwirkung seiner Migräne.
Halt den Mund. Ich tue es, um meine kleine Elfe nicht zu verlieren. Also misch dich nicht ein.
Der Wolf hielt sich eine Pfote vor das breite Maul, wäre er ein Mensch, könnte man seine Reaktion wohl als gehässiges Kichern bezeichnen.
Tz! Genau, das ist deine Ausrede für Alles, du dunkler, hassender Einzelgänger du. Lies nur die Gedanken des Burchen, reagiere entsprechend und stehe als Held da. Du bist erbärmlich.
Damit war Deusexus endlich wieder verschwunden. Noel hatte mit der Zeit gelernt, die vorlaute Schnauze seines unfreiwilligen Mitbewohners zu ignorieren, also schritt er zur Tat und las die Gedanken Konrads, welcher einen Augenblick lang ruhig verharrt hatte.
Gütiger Herrgott, ich kann nicht immer auf sie aufpassen.
Schütze du sie beide und vollbringe weiter deine Wunder an ihm.
Noels Augen weiteten sich unmerklich. Dieser Mann... man merkte, dass er Bewohner dieses schönen, kleinen Ortes war. Noel konnte ihn nicht so recht einschätzen, er war längst nicht so einfach gestrickt wie er es vielleicht immer glauben wollte. Dann sprach Konrad erneut mit ihm.
„Weil ihr Vater sie so sehr braucht, vergisst sie manchmal was sie selber braucht um glücklich zu sein. Wenn ihr ihr dem Kind mal eine Freude machen wollt... sie mag Veilchen ganz gerne.“
"W..."
Ein gutmütiges Lächeln umspielte Konrads Lippen.
Zwar zog sich etwas in Noel zusammen bei der Art, wie der Burche das Wort "Kind" betont hatte, doch der Rest kam... unerwartet. Diesmal entschied sich Noel, nicht schlicht die Gedanken seines Gegenübers zu lesen. Es interessierte ihn, wie dieser Mann tickte.
"Warum habt ihr mir das gesagt?"
Noels Blick war nach wie vor misstrauisch, doch seine Haltung gegenüber dem großgewachsenem Konrad war deutlich entspannter als noch vor Augenblicken.
Der rotgelockte Geselle schien einige Augenblicke nachzudenken. Dann zierte erneut ein unbeschmutztes Lächeln sein Gesicht, und er flüsterte.
"Wisst Ihr, Noel... ich denke, ab und an brauchen wir alle Mal etwas Hilfe. Niemand kann ganz alleine seine Ziele erreichen. Auch Ihr nicht."
Mit diesen Worten zwinkerte er Noel lächelnd zu, bevor er sich zu Luise und Tyrell begab.
Etwas erstaunt blieb Noel stumm zurück. Nach unendlichen Augenblicken... zogen sich seine Mundwinkel leicht, ganz leicht in die Höhe.
Verflucht, da soll mich doch Käpt'n Hook beim schlafen holen... nicht übel, Konrad.
Noels Blick wanderte entspannt zu Luise herüber.
Veilchen, hm...?
Und mit diesem Gedanken beschloss er, dass es für heute genug war. Er wandte sich, den Laden zu verlassen, als etwas unerwartetes geschah. Noel musste träumen.
"N-nun, wenn Euch das nichts ausmacht, Noel, dann könnt ihr sehr gerne das Ladenschild richten, anstatt den üblichen Preis zu zahlen. Schließlich seid Ihr... äh... s-sehr oft hier und m-möchtet vielleicht n-nicht Euer g-ganzes Geld wegen dieser K-Kopfschmerzen für unsere Medizin ausgeben." Hoffentlich klang das nicht unhöflich. Luise hatte gehört, dass manche Erwachsene empfindlich darauf reagierten, wenn man sie darauf ansprach, ob sie ihren Geldbeutel schonen wollten - anscheinend verletzte es ihren Stolz. Und das war das letzte, was Luise wollte. Also fügte sie mit einem scheuen Lächeln hinzu: "A-aber natürlich nur, wenn Euch das genehm ist. E-ein Schild befestigen i-ist ja sicher anstrengend, u-und kostet bestimmt viel Zeit -"
"W-w-w-wawawawa... ich fürchte, ich verstehe nicht re-"
Da kreuzte sich Noels Blick mit dem von Konrad. Feist grinsend zwinkerte der ihm zu.
PECH UND SCHWEFEL, DIESER VERFLUCHTE !!!!!!!!!!!????!!!*********!!!??***
Noel hatte keine Zeit, dem falschen Teufelsanbeter noch weitere Flüche an den Hals zu werfen, denn Luise stand vor ihm, nervös, unschuldig wie immer, die großen Augen unsicher die seinen suchend.
Oh Gott. Wenn es einen Gott gibt, dann hasst er mich.
HAHAHAHAHAHA, KÖSTLICH, DAS IST JA UNBEZAHLBAR! Du Noel, ein Schild reparieren! ICH KANN NICHT MEHR, mein Bauch, oh bei allen Wolfsmüttern des Mondes, erlöst mich! Hahahahaha!
Deusexus welzte sich jaulend vor Amüsement durch die Apotheke, Noel hatte das gottgegebene Bedürfnis, Amok zu laufen.
"Luise, ich fürchte... da hast du etwas falsch verstanden. Natürlich will ich nicht sagen, es war dein Fehler, nein. Vielmehr... scheint es mir... nun..."
Hach, was sollte man sagen. Seine kleine Elfe konnte manchmal einfach beispiellos perplex und durch den Wind sein. Selbstredend war auch das nur eine weitere ihrer liebenswürdigen Eigenschaften, doch in mancherlei Situation, und zu jenen zählte diese ganz zweifellos, war sie unangenehm. Äußerst unangenehm.
Noel wollte erneut das Wort erheben, als einige Kinder in die Apotheke gestürmt kamen.
Offenbar hatten sie ein verwundetes Tier dabei, Luise rief Konrad um Hilfe an. Noels Stimmung beruhigte sich, gleichgültig starrte er auf das jammernde Fuchsbaby und Luises tränennahe Augen, in Sorge getränkt.
Es zerriss ihn fast. Das war unerträglich. Das würde er nicht dulden.
Seelenruhig kam Noel auf das Tier zu. Konrad, der gerade herbeigestürmt war, hielt er ruhig mit einem Arm zurück. Ohne seinen Blick zu suchen, verstand dieser offenbar und blieb ruhig stehen. Noel kniete sich herab zum Fuchsbaby, direkt neben Luise.
"Sorge dich nicht, kleine Elfe... ich habe schon ungezählt viele Bücher über Tiere und deren Pflege gelesen... offenbar ist dieser kleine Freund in eine Falle der... Menschen getreten."
Behutsam griff Noel nach Luises' Hand, nahm ihr sanft das Fuchsbaby aus den Armen und wusch seine Pfote vorsichtig mit einem feuchten Lappen.
"Am besten ist es, wenn die Wunde jetzt desinfiziert und abgedrückt wird. Dann sollte sie schon in wenigen Tagen wieder verheilt sein."
Beruhigend lächelte er Luise an, hielt ihr den kleinen Fuchs hin, welcher eine nun deutlich sauberere Pfote hatte.