Der junge Mann wurde von dem entfernten Zwitchern aktiver Vögel geweckt, seine dunklen Vorhänge verhinderten, dass sich zur Kette der ersten Eindrücke sanfte Sonnenstrahlen gesellten. Er knirschte mit den Zähnen und drückte sich gereizt die Hände auf die Ohren. Dieses Vogelgezwitcher... nichts anderes als das Scharben von Kakerlaken.
Schwerfällig erhob er sich aus seinem Bett, schlurfte zu seinem kleinen Spiegel: wie jeden Morgen starrte ihn daraus ein ausgemerkelter, dünner und wenngleich junger mit Narben übersäter Körper an. Und natürlich spiegelte sich das glänzende, silberne Amulett, dass er permanent um den Hals trug. Entspannt schloss Noel die Augen, nahm das Amulett in beide Hände und drückte einen sanften Kuss darauf.
Als er sich in seinen verschlissenen, schwarzen Mantel und seine Unterwäsche gekleidet hatte, aß er einige Happen Brot. Essen war für Noel schlicht Mittel zum Zweck, ein Kraftstoff, um Energie zu haben. Er konnte Leute nicht verstehen, die dafür unmengen Gold ausgaben oder sich damit unnötig lange aufhielten. Narren waren das, Idioten die nicht wussten, worauf es ankam. Schließlich ließ er sich gelangweilt in den alten Sessel seiner kleinen Hütte fallen und überlegte, was er nun mit seiner Zeit anfangen könnte. Bis Noel seine Pflicht in der Bibliothek anzutreten hatte, hatte er sicherlich noch zwei oder drei Stunden Zeit. Wie immer war er grundlos äußerst gereizt, seine chronische Migräne meldete sich bereits schwach zu Wort, es war ein sonniger Tag. Noel HASSTE die Sonne. Trübe, regnerische Tage waren ihm lieber, sie passten besser zum Gesicht dieser Welt.
Schließlich beschloss der junge Mann nach einigem grübeln, das einzig existente Gegenmittel für seine schlechte Laune aufzusuchen: Luise.
Er trat aus seiner Hütte, ließ seinen Blick über den Himmel schweifen und griff zu seinem Dolch, der Noel seit frühester Kindheit begleitete. Wie ein Mann, der betete, kniete er sich auf den Waldboden, umschloss seinen Dolch und schloss die Augen.
"Verachtung ist das Blut, das durch meine Adern fließt,
Hass die Seele, die sich an mein Inneres schmiegt."
Es war der Satz, den Noel jeden Morgen sprach, eine Art Lebensmotto.
Schließlich trat er den kurzen Weg zum Dorf an. Die wenigen Dorfbewohner, die ihm in dieser unwirtlichen Frühe entgegenkamen und grüßten, benickte er nur kurz oder ließ sich zu einem gelogenen Lächeln herab. Er hegte eine leichte Empathie für die Leute dieses Ortes, Noel hasste sie nicht. Und doch konnte er einfach nicht mit Menschen. Erst als ein kleines, weißes Gebäude in sein Blickfeld kam, löste sich die brennende Spannung in seiner Brust und sein verrottetes Herz begann, sich mit Kraft zu füllen und schneller zu schlagen: Die Apotheke.
Seicht lächelnd betrat er die Eingangstür und sah sich um: Es war kaum jemand hier, so war es ihm am liebsten. Unaufmerksam begann er, in einem der aufgestellten Regale zu wühlen, so als würde er etwas bestimmtes suchen. Natürlich war das, wie beinahe jeder Besuch hier, nur ein Vorwand. Was er wirklich suchte, war die Göttin, die er verehrte, das Licht, dass er zu sehen sich wünschte. Also sah er sich ruhiger Hoffnung im Laden um, wie jeden Tag die leidenschaftlichen, glänzenden Haare zu entdecken, die er so liebte.