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Ehrengarde
Ein neuer Tag, ein neues Glück- so zumindest dachte Brunhild, als sie mit den ersten Sonnenstrahlen aufstand. Mit wenig Wasser in der Waschschüssel reinigte sie zumindest Gesicht und Arme einigermaßen, bevor sie sich des Schlafhemdes entledigte und für den Tag ankleidete. Geschwind stieg sie von ihren Gemächern, die diesen Namen kaum verdienten, die Treppe hinab, an deren Ende sie bereits ein wohlbekanntes, behaartes Gesicht erwartete.
“Und eine weitere Nacht ging vorüber, an dem sich der Herrgott Deiner nicht erbarmen wollte...“, wurde Rüdiger wie jeden Morgen von ihr im Vorbeigehen begrüßt.
Die Wirtin des Dorfes ging zunächst zum winzigen Gästekämmerlein und klopfte an. Schließlich sollte es dem hier einquartierten Medicus an nichts mangeln, damit er den erkrankten Hauptmann so schnell wie möglich zur Gesundung bringen möge. Als keine Antwort kam, öffnete Brunhild bedächtig die Tür, nur um den Raum menschenleer vorzufinden.
Auch in der Schankstube war er nicht aufzufinden und so konnte sie nur mutmaßen, dass er sich bereits aufgemacht hatte, den Hauptmann zu heilen. Umso besser: Der alte Mann würde bald wieder auf den Beinen sein und sie musste sich jetzt nicht noch um das, wenn auch karge Frühstück des Gastes kümmern. Beim Gedanken daran zog sich ihr Magen gierig zusammen. Mit einem kleinen Seufzen begab sich die Frau an den Tresen, um sich einen Krug Holunderblütensaft zu genehmigen. Ihr alternder Schäferhund blickte mitleidig zu ihr hoch, was sie mit einem Austöhnen quittierte:
„Schon gut, Du bekommst Dein Fressen gleich auch, lass mich wenigstens in Ruhe austrinken, alter Fresssack..“.
So leerte sie eilig das Gefäß, hob die eigens für Rüdiger reservierte Schale vom Boden auf und kratzte vom Vorabend die letzten Reste des numehr kalten Hirsebreis aus dem Topf. Danach schloß sie die Vorratskammer auf und suchte dort nach ein paar alten Fleischreste, die man der Menschheit nicht mehr zumuten kann, mengte die kümmerlichen Brocken unter und stellte das Ganze auf dem Boden mit den Worten: “Erstick dran.“ Rüdiger schien nicht gerade begeistert und begann vorsichtig das Fleisch herauszuziehen und mit den erstaunlich vielen Zähnen, die ihm noch geblieben waren, zu zerkauen.
Die Wirtin derweil ging zurück zur Vorratskammer, um nachzuprüfen, wieviele Vorräte noch da waren und ob sich diese mit ihren Auszeichnungen An den jeweiligen Regalen deckten. Diese „Aufzeichnungen“ bestanden aus angenagelten Papieren, auf denen mit einer Handschrift, die den ungeübten Schreiber sofort entlarvte, verschiedene Nahrungsmittel notiert und dahinter Strichlisten zu finden waren, die Auskunft über die in der Kammer befindliche Menge davon gaben. Brunhild war unglaublich stolz auf dieses System, dass sie sich noch zu Lebzeiten ihrer Mutter hatte einfallen lassen. Sorgfältig und hochkonzentriert zählte sie alles durch, mit Zahlen hatte sie in hohen Bereichen ähnliche Probleme wie mit zuvielen Wörtern auf einmal.
Nach einer Weile ward alles überprüft und gegebenenfalls korrigiert worden- auch die beste Wirtin kommt an einem vollen Abend manchmal ein wenig durcheinander- verlässt sie die Kammer mit einem Stück Brot und schließt die Tür sorgfältig ab. Die meisten der Vorräte waren für das Osterfestmahl bestimmt und sie konnte sich nicht erlauben, dass ein hungriges Menschen- oder noch eher Hundemaul sich darüber hermachte.
Schnell schob sie sich das Brot in den Mund- der Herrgott möge ihr diesen Luxus vergeben- und sah Rüdiger, der unmutig in seinem Brei nach weiterem Fleisch suchte.
“Ich versichere Dir, dass ich Dich nicht mehr füttern werde, bis die Schale leergefressen ist.“, ermahnte ihn Brunhild, während diese durch das Fenster Konrad erblickte, der sich gerade auf den Weg zu den Ställen machte.
Unwillkürlich strich sie ihre Schürze glatt und überprüfte, ob ihr Kopftuch richtig saß und trat hinaus. Dort fiel ihr Blick auf Noel, der gerade einem am Boden liegenden fremden Mädchen ans Bein ging. Die Wirtin konnte nur den Kopf darüber schütteln. Nicht genug, dass dieser mürrischer, gesichtsbemalte Bursche um die junge Apothekerstochter Luise herumschleicht wie ein Dieb, nein, jetzt fing er schon mit unsittlichen Näherungen gegebüber Fremden an. Doch schon stand das junge Ding auf und eilte davon, also mussten sich vorerst keine weiteren Gedanken drum gemacht werden.
So lenkte Brunhild ihre Schritte zu den Ställen, an denen sie Konrad vermutete, aber nirgends erblicken konnte. Die Pferde waren weder gefüttert noch die Ställe ausgemistet. Da musste den Lockenkopf wohl etwas von aller, allerhöchster Wichtigkeit von seiner Pflicht abgelenkt haben. In sich hineingrinsend gab sie jedem Tier zumindest eine halbe handvoll Hafer, damit sie nicht gar zu stark hungern mussten. Die Sonne stand bereits recht hoch, und sie musste sich sputen, wenn sie heute noch einige neue Fässer Bier abfüllen wollte. Maische galt es auszupressen und Hopfen hinzugefügt zu werden zum Gären. Und neues Getreide musste sie auch aufweichen…
Aus ihren Gedanke riss sie ein beständiges Klopfen am Bein, was vom alten Flohpelz herrührte, der ihr mal wieder hinterhergetrottet war. Unsanft stieß sie ihn fort und wies ihn in Richtung des Eingangs „Zur runden Hirschkuh“.
Pass auf, dass kein Dieb sich einschleicht oder tu wenigstens so, als würdest Du aufpassen…, sah zweifelnd mit an, wie Rüdiger sich vor der Tür breit macht und schritt ums Haus herum zum Brauereiraum. Auf dem Weg dahin grüßte sie Tyrell und Luise, die scheinbar auf dem Weg zum Haus des Hauptmannes waren. Sie sollte ihm mal wieder ein kleines Fresspaket zur Gesundung vorbeibringen, dachte sich Brunhilde, bevor sie in die kleine angebaute Brauerei trat und sich ans Werk machte.
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Zufrieden mit ihrem Tagewerk bis dahin ging Brunhild wieder hinaus ins Freie. Zwei ganze Fässer waren wieder aufgefüllt und gärten vor sich hin, eine zufriedenstellende Leistung. Nun konnte sie sich daran machen, die Schankstube zu kehren und alles für das abendliche und nächtliche Treiben vorzurichten. Ein Junge informierte sie allerdings darüber, dass eine wichtige Versammlung stattfinden würde und alle sich umgehend im Haupthaus einfinden müssen.
Schnell wand sie sich zum Gehen, doch da erblickte sie Konrad, der gerade das letzte Licht zum Holzhacken nutzte. Ein eifriger Bursche, ohne Zweifel. Brunhild beschloss, noch einmal kurz ins Wirthaus zu gehen, betrat schnell die Vorratskammer, stellte ein Beutelchen mit allerlei Leckereien für den Lockenkopf zusammen und steckte es ihm mit einem Augenzwinkern zu: Na, nachdem Du so hart geschuftet hast, solltest Du auch was zwischen die Zähne bekommen und wer weiß, wie lang diese Versammlung dauern mag… Er schenkte ihr ein strahlendes Lächeln und drückte ihr einen überschwenglichen Kuss auf die Stirn. "Du bist eine Seele von Frau, Brunhild. Danke.“ Da ihm ob seines verschwitzten Hemdes fror, machte er sich eilig auf nach Hause und sah so zum Glück nicht, wie der Wirtin das Blut in die Wangen stieg und sie sich versonnen lächelnd an die geküsste Stirn fasste. Doch kurz darauf schüttelte sie sich und schalt sich ob ihres närrischen Verhaltens. Er war ein prächtiger Bursche sowohl in Gestalt als auch Charakter, doch ziemt es sich wirklich nicht für sie als wesentlich ältere Frau, sich irgendetwas auf ein Lächeln oder einen dankbaren Kuss einzubilden.
Eiligen Schrittes ging sie also zum Haupthaus, bemerkte, dass schon so ziemlich alle anderen zugegen waren, und wollte sich gerade Gedanken über den Anlass machen, als auch schon Tyrell das Wort ergriff und sie über die Schrecklichkeit in Kenntnis setzte.
Der gute alte Hauptmann war verblichen. Wahrscheinlich vergiftet vom Medicus, den sie bei sich im Wirtshaus hatte schlafen lassen. Sie biss die Zähne zusammen, um die aufkommende Traurigkeit und die Tränen nicht ausbrechen zu lassen. Nur am Rande bekam sie so den letzten Wunsch des Hauptmannes mit, einen Nachfolger zu wählen und sich für kommendes Unheil zu wappnen. Eilig wischte sie sich über die Augen. Egal wie niedergeschlagen man war, man musste immer ein Lächeln für die Leute um einen herum haben und nach vorne sehen, das war eines ihre wichtigsten Mottos, als Betreiberin eines Wirtshauses absolut unerlässlich. Also drängte sie die schlimmen Gefühle weg, es galt nun Wichtigees zu besprechen.
Die anderen zwölf waren bereits eifrig dabei, vorzuschlagen und zu beraten, wer als Nachfolger am besten geeignet wäre.
Rekon war sicherlich ein guter Jäger und reich an Erfahrung durch viele erlebte Winter, doch war sie sich nicht sicher, ob er mit seiner Art und Lebensweise der Passende für solch eine Position war.
Auch mochte Merete, die sich flammend dafür ausgesprochen hatte, sich für das Dorf einzusetzen, vielleicht geeignet sein, doch als Frau wird sie als Anführerin kaum geeignet sein- nicht, wenn es Männer gab, die sie anführen soll.
Der Holzfäller Ross war ein pragmatischer Typ, sehr umgänglich und hatte sicherlich das Zeug dazu, für die unmittelbar folgende Zeit den Posten als Hauptmann zu bestreiten.
Während dieser Überlegungen schritt Noel auf die Bühne und was Brunhild dann sah, ließ sie völlig sprachlos werden, was ein Kunststück war: Der rothaarige Bursche begann tatsächlich ein Rede vorzutragen, die in Verbindung mit seiner Person einfach nur unglaubwürdig klingen musste. Es mochte schon sein, dass er vielleicht tief im Inneren kein komplett verkehrter Bursche war, aber dass er, mit seiner sonst sehr mürrischen und fast schon unheimlichen Art so theatralisch aufführt, nur um aus reinem Herzen der Hauptmann zu werden, kaufte sie ihm beim besten Willen nicht ab- erst recht nicht nach dieser Aktion, die sich danach mit Tyrell begab.
"Einen tollen Hauptmann würdest Du abgeben, wahrlich…" rief sie dem Gesichtsbemalten mit einem Augenrollen zu.
Auch der Auftritt des fremden blonden Mädchens, der schon fast an Hexerei grenzte, war mehr Unterhaltung als wirklich einer Überlegung wert.
So blickte sie noch einmal jedem der Runde an, ehe sie sprach:
“Unser neuer Hauptmann sollte wie der verblichene, Gott sei seiner Arme Seele gnädig und möge sie sicher ins Himmelreich aufnehmen, unser aller Vertrauen genießen und im Notfall bestimmt und doch besonnen durchgreifen können- da kommt, wie schon einige fanden, am besten Ross Fäller (R.F.) in Frage.“
Geändert von Mephista (21.03.2013 um 16:19 Uhr)
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