Noel war gerade auf dem Weg zur Bibliothek, er war sicher eine Viertelstunde gelaufen, da kam das kleine, schwarze Gebäude in Sicht. Hoffentlich waren noch keine Leute da, das musste er jetzt wirklich nicht haben. Lieber wollte er ganz in Ruhe ein Buch über Veilchen studieren.
Noch grübelnd, was er im Fall von lesebegerigen Besuchern unternehmen würde, bemerkte er, wie an diesem noch jungen und doch schon so ereignisreichen Tag nicht, das von hinten jemand heranstürmte. Erst, als der Unbekannte sich ihm auf wenige Zentimeter genähert hatte, reagierten seine antrainierten Reflexe und er wandte sich blitzartig um:
Ein älterer Kerl in seltsamer Aufmachung stolperte ihm entgegen, schaffte es gerade noch, das Gleichgewicht wiederzufinden, bevor er sich vor dem jungen Noel in den Dreck gelegt hätte. Schnaufend fixierte der Landstreicher ihn, während Noel ihn nur ungerührt und mit den Händen nach wie vor in den Taschen beäugte.
"Hah...hah...verflucht, freche kleine Hexe... wer hätte auch ahnen sollen, dass sie ausgerechnet sein Sohn ist, ist ja nicht so, als sähen sich die beiden besonders ähnlich...SCURUMB!"
Das letzte Wort das der Kerl brüllte und das, wie Noel aus Studien wusste, in einer älteren Sprache eine nicht besonders schöne Betitelung für den Geschlechtsakt bezeichnete, machte ihn neugierig.
"Hey, du. Von wo kommst du? Und von wem redest du?"
Noel, ich halte das für keine besonders gute Idee.
"...hah...Hä? Oh, guter Mann, einen gottgesegneten Tag! Ach, ihr werdet sie kennen, dies' kleine Apotheke, schmächtig in der Gestalt. Und dann diese Göre mit den verfilzten roten Haaren...hahaha, guter Mann, hat man schonmal von einer Apotheke gehört, die da von einer FRAU geleitet wurde, noch dazu von so wenigen Sommern?"
Oh je. Das wird schmutzig. Es ist schon bedauernswert, wie einige Menschen manchmal breitgrinsend ahnungslos in die Klinge springen. Gute Güte....
Noel schloss seelenruhig die Augen. Nun, seelenruhig für einen Betrachter. Wie es in ihm gerade ihnnen aussah, das mochte man nichtmal erahnen geschweige denn in Worte fassen.
"So...?"
Noels Hand glitt langsam aus seiner Tasche, an seinen Gürtel. Entspannt machte er einige Schritte auf den Herrn vor ihm zu, näherte sich ihm bis auf wenige Zentimeter.
Bevor der Medicus auch nur mit der Wimper zucken konnte, hatte Noel stumm seinen Dolch tief in seiner Magengrube versenkt. Er stand ihm genau gegenüber, hielt mit der einen Hand seine Schulter, so dass ein vorbeiziehender Dorfbewohner nichts hätte bemerken können, gar sonderlich finden an diesem Anblick. Der schockierte Trickbetrüger starrte fassungslos röchelnd auf zu dem dünnen, rothaarigen Mann, welcher ihn emotionslos mit einem kalten Blick strafte.
"Du widerliches Stück Scheiße, sei dankbar dass ich dich, obgleich deiner Worte, für welche du jahrhundertelange Folter fernab jeder Beschreibung verdient hättest, sofort und ohne Umwege zu deinem Schöpfer schicke, welcher wohl, ich hätte es fast vergessen, genau solch ein Abschaum ist wie ihr Alle. Ihr seid so verachtenswert."
Nachdem der angsteinflößende Junge zu ihm gesprochen hatte, beendete er es: Er riss den Dolch nach oben, zog ihn durch seine ganze Brust. Das letzte, dass der fassungslose Mann, welcher ganz offensichtlich an den falschen Gesellen zum Lästern geraten war, sah, war ein kopfschüttelnder Wolf.
Schließlich fiel er, mit dem Rücken zuerst, auf den schmutzigen Boden des Dorfes.
Seelenruhig kniete Noel sich vor die Leiche seines Opfers, umschloss den blutgetränkten Dolch und flüsterte einige Worte.
"Verachtung ist das Blut, dass durch meine Adern fließt,
Hass die Seele, die sich an mein Inneres schmiegt."
dann wusch er die Klinge mit seinem Mantel ab und steckte ihn zurück zum Gürtel. Anschließend schulterte er den Burchen, und setzte seinen Weg fort. Seine Leiche würde er dann einfach irgendwo in den Wäldern um die Bibliothek herum entsorgen.
Du bist dir im klaren, dass das ziemlich riskant war, ja? Wenn dich jemand dabei gesehen hätte, wäre es das mit deinem friedlichen Leben. Und dann könntest du auch Luise nicht mehr nahe sein.
"Nimm nicht ihren Namen in den Mund."
Normalerweise hörte Deusexus nicht auf Noel, aber zuweilen konnte er in einer Art sprechen, dass es sogar ihm das Fell sträubte.
...tut mir leid. Aber ehrlich, du solltest besser aufpassen. Wenn du ständig so hitzköpfig agierst, war es das bald mit der kleinen Elfe.
Stumm setzte Noel die letzten Meter zur Bibliothek fort. Gleich würde er diesen Müll entsorgen und dann hoffentlich Ruhe finden, ihm war heute ehrlich gedacht schon zuviel passiert. Es genügte für einen Tag.