Momnet, moment, moment. Javert ist nicht Hasserfüllt. Er ist eigentlich sogar ein ziemlich nobler Mensch. Sein charakterlicher Hauptmerkmal und sein großer Unterschied zu Valjean ist die eigene Moral. Es ging immer darum, den Unterschied zwischen dem richtigen Handeln nach dem Gesetz und nach ethischen Regeln.
Um genau zu sein gehört Javert zu den tragischten Charakteren in der gesamten Geschichte, wenn nicht sogar der tragischte Mann im gesamten Stück. Mit den Frauen kann er da natürlich nicht mithalten. Da fehlt der körperliche Leidensaspekt. Im Musical/Film kommt das aber kaum heraus. Kurz einmal ein "I am from the gutter too!", und dann kurz bei seinem Abschied. Wenn man hier von Hasserfüllt redet, ist einem etwas entgangen.
Generell wurde viel gekürzt. Die gesamte Zweisamkeit zwischen Marius und Éponine, die entscheidenden 2-3 Szenen in der Schulzeit, und was am meisten schmerzt, den Wandlungsprozess des Valjean. Zumindest die entscheidende Münzszene hätten sie niemals streichen dürfen. Und die Nonne, des Monsieur Madeleine.
Ich denke, das Hauptproblem war, wie man den Film interpretieren möchte: Als Film? Als Musical? Als Hybrid? Und wie steht dieser Hybrid zu den anderen vorhandenen Hybriden?
Ich für meinen Teil sehe eigentlich recht wenige Musicals. Einfach, weil die meisten von der Geschichte her so einfach sind, dass ich gleich ein Bilderbuch lesen könnte. Die Musical-Verfilmungen die ich kenne (und da schaue ich vorallem auf Phantom of the Opera -- für das eine gute Lied muss man sich das wirklich nicht anschauen. Aber, was soll mans ich auch vom Macher von Cats erwarten? Purr, purr.)
Als reines Musical gibt es eine Tendenz zu minus. Die Hauptdarsteller haben einfach nicht den Bauch, den man für die Lieder braucht. Das hört man. Cat Woman ist eine hervorrande Wahl gewesen. Die hätte man sofort ins Musical stecken können. Die gesamten Thénardiers waren auch großartig, da kann man kaum etwas sagen. Die Studenten waren auch großteils gut, wobei ich mit Marius nicht zufrieden war.
Als reiner Film muss man einmal die großartigen Bilder hervorstreichen. Die haben funktioniert, auch wenn mir da sofort das Intro von Heinrich (I?)V(I?)(I?)(I?)(I?) eingefallen ist, in dem erklärt wird, dass ein Krieg zwischen zwei Königreichen auf eine kleine Bühne gebannt wird: Denn die Schranken der Sets waren immer klar. Trotzdem muss man dazu sagen, dass die Kulissen mehr nach Paris ausgesehen haben, als Paris selber. Ich war da, ich habe mir einige der Orte in Person angesehen. Ich habe sogar eine Pressente gegenüber einer der Geschehensorte gegessen, und mir deswegen recht viele Kleinigkeiten gemerkt.
Das Problem als Film ist die ungute Verzerrung der Zeiten, die komplett weg fallen. Übergänge der Flucht sind weg, und die kleinen Auswege des Alltags, die Cosette das Leben zur Hölle gemacht haben (der Zahn-Guy war auch bei den Thénardiers!). Ich denke, wenn man hier noch etwas gestreckt hätte, wäre hier einiges besser geworden. Die Länge hätte aber etwas viel abverlangen können.
Schauspielerisch fand ich den gar nicht schlecht. Da muss ich sogar beiden Hauptdarstellern ein gutes Zeugnis ausstellen. Javert wurde immer als starr beschrieben. Das wurde auch recht gut umgesetzt. Besonders am Anfang finde ich, hat Wolverine verdammt gute Arbeit geleistet. Die Szene in der Wert bzw. am Berg und in der Kirche sind verdammt gut gelungen.
Als Hybrid muss man erst wissen, wo man die Grenzen sieht. Vorallem ist hier der Gesang einzuordnen. Geht man in Richtung Musical, fehlt den Leuten stückweise wie Gesagt der Bauch für die Töne. Geht man etwas mehr in Richtung Film, muss man hier aber wieder ein ausgezeichnetes Zeugnis ausstellen. Hier wurde nämlich -- stückweise auf Kosten der Gesamtqualität -- dieser an die Szenen angepasst. Durch den Realismus im Hintergrund musste man hier einfach gewisse Modifikationen am Gesang vornehmen. Ich fands gelungen.
Das Problem Schauspieler, anstatt Rollen, zu sehen hatte ich nicht. Ich kenne nicht mal die Namen der Einzelnen. Wolverine habe ich erst gar nicht erkannt, während ich den Gladiator recht schnell bemerkt habe. Hätte ich nicht auf Wikipedia nachgeschlagen, wären sonst alle an mir vorbei gegangen. Mein Fernseher ist schon recht verstaubt, und ich weis gar nicht mehr, ob dieser überhaupt noch funktioniert. In dem Punkt habe ich sicher einen Heimvorteil.
Wenn man allerdings die Geschichte als Film sehen möchte, empfehle ich lieber die französische Mini-Serie mit Gérard Depardieu. Dauert zwar 6 Stunden, lässt dafür viel weniger aus.
Wenn man das Musical sehen möchte, empfehle ich sich dieses Live anzusehen.
Wenn man sich das Musical nur per Aufzeichnung ansehen kann, aufjedenfall den aktuellen Film. Vielleicht sogar aufjedenfall den Film wegen den Bildern.