Ich weis nicht, ob das schon kam, aber "Tote Mädchen lügen nicht" ist aus meiner Sicht echt mal einen Blick wert. Ich hab jetzt erstmal die erste Staffel der Serie geschaut, weil auf YouTube für die zweite Staffel geworben wurde. Und ich muss sagen auch wenn ich die erste Folge, sagen wir mal, interessant fand, hatte sie mich noch nicht so vom Hocker gehauen, aber das hat sich recht schnell geändert, als ich noch ein paar Folgen eine Chance gegeben habe. Irgendwann wollte man dann wirklich wie es weitergeht mit der Geschichte. Der Sog wird sehr sanft her aufgezogen und steigert sich dann Schritt für Schritt. Die spannungskurve würde ich als Parabel bezeichnen, zwar kommt man am Ende an ein vorläufiges Ende, dass einerseits befriedigt andererseits quasi die Geschichte noch unerlöst lässt.

Der Aufhänger der Serie ist ein Mädchen, dass sich bereits vor dem Handlungsbeginn umgebracht hat. Diese hat mehrere Kassetten mit einer Erzählung der letzten Jahre ihres Lebens bespielt und zeichnet dort an je einen ihrer Freunde/ Bekannten gewandt nach, was die Gründe waren, warum sie sich umgebracht hat. Diese Kassetten kamen dann den betreffenden Personen in einer gewissen Reihenfolge zu, sodass jeder einzelne damit auch die Geschichten und Geheimnisse aller anderen aus der sicht des toten Mädchens erfährt.
Quasi am Anfang steht das "Verbrechen" (ihr Selbstmord) und in der Serie ergründen wir quasi chronologisch, wie es zu diesem Ereignis kam.

Dabei wird interessant mit den Erzählebenen und der Darstellung gespielt. Während sich ihr bester Freund als einer der letzten in der Handlungsgegenwart die Kassetten anhört und die Handlung in der Gegenwart um den Selbstmord kreisend fortgeführt wird, springen wir immer wieder in ausgedehnte Rückblenden, die sich allerdings mit der gegenwärtigen Zeitlinie vermischen, in dem Orte besucht werden, die in der Vergangenheit mit der Geschichte auf den Kassetten zu tun hatten. So werden quasi die zwei Erzählstränge ab und an wie zwei Folien aufeinander gelegt. Um zu zeigen, wo man sich gerade befindet, lohnt es immer (das finde ich darstellungstechnisch sehr klase gemacht) ins gesicht des Protagonisten zu schauen (mehr verrate ich nicht).
Und das ganze während die tote Schülerin die Handlung aus dem Off also in Form der Kassette kommentiert und uns dabei noch einen Einblick in die Gefühlswelt gewährt. Das Spiel mit den Erzählebenen macht daraus eine sehr interessante Erfahrung.

Die Thematik ist reichlich Teenie-Drama (also das ist vielleicht nicht für jeden etwas) befasst sich aber mit den schwierigeren Themen wie Mobbing, schwierige Beziehungen, generell das Problem von sozialen Beziehungen in Gruppen, Sex, Drogenmissbrauch, Gewalt im Elternhaus und gewisse schlimmere Dinge und natürlich Suizid.
Gerade die Frage von Schuld und Verantwortung werden zwar mit eindeutiger moralischer Positionierung des Protagonisten verhandelt, allerding nur sehr selten mit anklagendem und vor allem selbstgerechten Zeigefinger. Ebenso wie die schwierigen Themen beweist der Plot dort Zurückhaltung und lässt sich Zeit damit die Handlungsstränge organisch und nicht plakativ zu entwickeln. Und wirft einem auch nicht die moralische Keule quasi vor die Füße, sondern gestaltet den Ablauf der Dinge als moralischen und menschlichen Erkenntnisprozess der Charaktere als auch des Zuschauers.
Unterschwellig, wenn man darauf achtet, gibt es freilich einen deutlichen Willen zur Vermittlung moralischen Handelns und zur positiven Erziehung, aber wie gesagt, dass wird einem nie direkt vor die Füße geworfen. Eine in Anbetracht der Sache sehr angenehme Erfahrung, denn bei dem Thema hätte man sicherlich sehr viel einfachere, plattere, respektive schlechtere Wege nehmen können.
Ein wenig wird die Emo-Schiene allerdings in den Interaktionen zwischen dem Protagonisten und seinem besten Freund für meinen Geschmack überreizt, etwas das die Serie aber, ich glaube mit einer gewissen Selbstironie aufgreift, in dem sie den Freund des Protagonisten einen nicht-hilfreichen Yoda nennt, an einer Stelle. Das sind aber nur kleine Makel.

An der Stelle noch etwas, dass mir positiv aufgefallen ist: Die Serie ist praktisch ein feuchter Diversity-Traum, hebt auf dieses Thema allerdings bis auf zwei sehr kurze Szenen nie ab, lässt das ein quasi normales und praktisch irrelevantes Detail am Rande sein, es spielt auch für den Großteil der Protagonisten und ihrer Charakterzeichnung keine sonderliche Rolle, was man daher letztlich als ein positives Beispiel für derartige Darstellungen heranziehen kann. Das hat man auch schon sehr viel schlechter und plakativer gesehen.

Die Serie lebt deshalb sehr gut, weil sie von den Charakteren, die zum Teil Highschool-Stereotypen entsprechen, die letztlich als Charaktere mit Persönlichkeit über eine Rollenfunktion durchaus hinaus wirken, wunderbar getragen wird. Man hat eine gute Chemie zwischen den Schauspielern, die auch sehr gut für die Rollen besetzt wurden.

Erwartet hier ein gut gemachtes emotionales Drama, ein paar kleine Geheimnisse (die mehr einen inneren Voyeuristen befriedigen und weniger Thrill sind) und gute Charakterinteraktion. Wenn ihr mehr auf Action steht, ist die serie womöglich nichts für euch.