Hier noch ein ziemlich gutes Video-Essay zum Thema, das zwar ein paar kleinere Spoiler beinhaltet, aber meine Ansicht weitgehend widerspiegelt und außerdem einen besseren Eindruck von der Serie vermittelt als der obenstehende Trailer, der gegen Ende doch irgendwie seeehr happy und seicht wirkt. Anne with an E ist niemals düster zum bloßen Selbstzweck wie in so vielen anderen Shows der letzten Jahre, sondern skizziert einfach ein veritableres, ungeschöntes Bild von der damaligen Welt, durch die die Charaktere ihre Leben manövrieren müssen, um darin nicht unterzugehen. Dass dabei auch Traumata eine Rolle spielen, war eigentlich klar, wohl auch schon im Subtext des ursprünglichen Romans, aber wird in dieser Serie bewusst in den Vordergrund gestellt.
Gerade das macht Anne with an E so modern und relevant. Es ist keine Flucht in ein perfektes Bilderbuch-Universum, das die Vergangenheit romantisch verklärt, sondern setzt sich mit den Themen direkt auseinander. Ich hatte mal in die Version aus den 80ern reingeschaut, die viele Fans noch immer so krass in den Himmel loben (weil Kindheitserinnerungen), und die wirkt im Vergleich geradezu lächerlich und wie triefender, oberflächlicher Kitsch. Fehlende sklavische Treue zum Text der Literaturvorlage hin oder her - für mich ist die Fassung von 2017, soweit ich das beurteilen kann, die einzig wahre Anne. Nach 110 Jahren war ein würdiges Update mit mehr Anspruch und Niveau und wahrscheinlich auch hauptsächlich gedacht für eine etwas ältere, erwachsene Zielgruppe, vielleicht längst überfällig. Bin froh, dass das so verdammt gut gelungen ist.